FAQ Login
Suchen Profil
Mitgliederliste Benutzergruppen
Einloggen, um private Nachrichten zu lesen
        Login
Aus vergangenen Tagen
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Aus vergangenen Tagen
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
Askan Fiete Sturmlicht





 Beitrag Verfasst am: 05 März 2018 20:35    Titel: Aus vergangenen Tagen
Antworten mit Zitat

Rückblende – Siebenwacht

Siebenwacht, du Perle des Herzogtums Schwarzwasser. Prachtvoller Kriegs- und Handelshafen. Siebenwacht, du Geschwür am Arsch der Armen. Siebenwacht war durchaus schön anzusehen. Der große, geschäftige Hafen, die verschiedenen Viertel, die getünchten Fassaden und hübschen Giebel der Häuser. Zumindest war es schön anzusehen, solang man die Augen vor dem Armenviertel verschloss, das Rattennest. Eigentlich heißt es nicht wirklich so, aber der Volksmund der Stadt hatte es so getauft und etabliert, denn nichts anderes war es. Hier hauste die unterste Schicht, teils im Verborgenen, teils offen, und nicht selten wurde das örtliche Regiment oder auch mal die hiesigen Söldner hinein geschickt, um mal wieder für Zucht und Ordnung zu sorgen – mit geringem Erfolg.
Irgendwo mussten schließlich auch die wenig betuchten Menschen leben, und das war nun einmal im Rattennest.

Der Mensch wäre nicht der Mensch, wenn es nicht auch irgendwelche findigen Geister dort gäbe, die sogar aus dem Elend noch die letzte Münze herausschröpften und sich damit eine goldene Nase verdienten. Solche waren „Onkel“ Ed und „Tante“ Sanna. Sie besaßen im Rattennest ein sehr ansehnliches Anwesen. Nicht, dass das Ding wirklich hübsch anzusehen war, was die beiden Haus nannten, es war ein verlotterter Kasten, der dringend einiger Reparaturen und Pflege bedurfte. Aber es war groß. Das Grundstück war groß und die Bruchbude war groß. Groß genug, um einen Haufen verlotterter Bälger und Großgewordene unterzubringen, die nichts anderes zu tun hatten, als Gold für die zwei heranzuschaffen.
Dazu war ihnen jedes Mittel Recht, sowohl die Mittel der Goldbeschaffung, als auch die Mittel sich zu vergrößern, Angst zu schüren, zu unterdrücken und dafür zu sorgen, dass es niemand wagte auch nur einen Pieps an Widerspruch von sich zu geben, oder gar zu rebellieren.
Wer widersprach, rebellierte oder ausreißen wollte, verschwand. Spurlos. Niemand wusste, wohin oder was genau geschah. Die, die es wagten, wurden nicht mehr gesehen, kaum dass es rauskam, was sie vorhatten, oder das Widerwort gefallen war.
Die Geschäfte, die Onkelchen und Tantchen betrieben, waren restlos alle, die im zwielichtigen Bereich machbar waren: Der Verkauf von Drogen, käufliche Lust, Einbrüche und Taschendieberei, Informationsbeschaffung und –verkauf, und so weiter und so fort. Für alle hatte er eine Motivation parat: Essen. Gutes Essen.
Onkelchen und Tantchen schrieben sich für die breite Öffentlichkeit auf die Fahne, sich um Waisen und Gossenkinder zu kümmern. Der Klassiker. Dabei war festzuhalten, dass sie selbige tatsächlich mit Speisen und Unterbringung anlockten, sie aber auch genauso kauften, ob von korrupten Kinderfängern, oder gar von den Eltern der Kinder, die sonst keinen Ausweg mehr für sich und die weitere Brut sahen. An Kinder zu kommen, die keiner wollte, war keine große Kunst. Sie zogen sie sogar groß, allerdings nicht wie zartfühlende Eltern. Natürlich hatten sie dabei auch Hilfe. Die Kinder, die inzwischen groß und erwachsen geworden waren, die hier aufgewachsen waren und überlebt hatten. Die Kinder, die nun Schläger waren, oder aber die entsprechenden Sparten führten, unter denen die Bälger ihr Handwerk verrichten lernten oder gar schon nachgingen.
Die Motivation an sich: Wer das meiste Gold am Tag heimbrachte, bekam das beste Essen, nämlich das, was es bei Tantchen und Onkelchen am Tisch gab, durfte eine Nacht in einem piekfeinen Bett verbringen, baden, und alle Freuden genießen, nach dem der Sinn stand. Einen Tag lang. Oder so lang, bis der nächste besser war. Die Rivalität dahingehend war enorm, denn wer nicht ablieferte, schlief irgendwo, wo Platz war. Der ganze Boden war voller dreckiger, stinkender Leiber in der Nacht, keine Decken, kein Stroh, nichts unter sich, außer den blanken Dielenbrettern. Die Mahlzeit belief sich auf einen Napf Hafergrütze für den ganzen Tag. Wer Glück hatte, bekam noch altes Brot dazu.

Nun, dort verbrachte ich nicht nur die meiste Zeit meiner Kindheit, sondern auch die meisten Jahre meines Lebens, bis es mich nach Gerimor verschlug. Genau genommen lebte ich also, fast so lange dort, wie ich denken konnte. Nicht, weil es mir sonderlich gefiel, aber ich hätte es auch schlechter treffen können.
Onkel und Tante fanden sehr schnell heraus, wozu ich taugte, und wie ausbaufähig das war. Also verbrachte ich als kleiner Stöpsel die Tage damit Flüsterbotschaften zu verteilen an ein ganzes Netz an kleinen Spitzeln, kaum dass ich alt genug dafür war. Danach ging es weiter, selbst die Augen und Ohren offen zu halten und wirklich alles bei den beiden vorzutragen. Mit der Zeit wurden die Vorträge selektiver, denn jedes Kind fand schnell heraus, worauf es ankam, wenn es dafür eingesetzt wurde. Wer es nicht hinbekam, bezog Prügel über Prügel. Tja, und irgendwann schickte er mich zur feineren Gesellschaft. Nicht, dass es sich hierbei um die ganz hohen Tiere handelte, auch wenn ich die viel später auch hier und dort zu Gesicht bekam. Zu Anfang waren es einfach nur die etwas besser betuchten, denen nach ein wenig Nestwärme der Sinn stand, oder nach Plauderei mit jemandem, den sie für ungefährlich hielten.
Mit der Zeit fand ich mich auch dort zurecht, mittlerweile schon innerlich in viele Stimmen, Hüte und Gesichter zerbrochen, die alle nur dazu dienten, mich selbst zu schützen. Es war verlockend, diese Tätigkeit. Es versprach all das, was die Motivation der zwei ausmachte, und noch viel mehr. Stets hatte ich die Hoffnung über diesen Weg aus allem herauszukommen und entfliehen zu können. Ich nährte diese Hoffnung, inständig und fortwährend. Aber es sollten Jahre vergehen, bis sich mir ein Ausweg zeigte.
 Nach oben »
Askan Fiete Sturmlicht





 Beitrag Verfasst am: 14 März 2018 10:52    Titel:
Antworten mit Zitat

Ein ganz normaler Tag – Rückblende

Ich war gerade etwa zehn Jahre alt, noch als kleiner Botenbengel unterwegs für Onkel Ed und Tante Shianna. Ein solcher Tag fing meist schon vor dem Sonnenaufgang an, endete für gewöhnlich erst spät in der Nacht. Viel Schlaf gab es also nicht für mich in dieser Zeit.
Die Flitzertätigkeit hatte ich schon mit sechs Jahren angefangen auszuführen. Ungesehen vom Nest zum Empfänger laufen, so schnell wie möglich. Keine Umwege. Keine Bummelei. Der Alte konnte unangenehm werden, wenn es raus kam. Beim ersten Mal dachte ich noch, ich könnte ein paar Stündchen der Freiheit genießen. Die Tracht Prügel die ich danach bezog, sollte ich meinen Lebtag nicht mehr vergessen – und sie wiederholte sich auch nicht noch einmal, zumindest nicht für diese Art von Versäumnis.

Zwei Jahre später brachte mir einer der älteren Jungs bei, wie ich Nachrichten mit Wachsiegel öffnen und wieder verschließen konnte, ohne Spuren zu hinterlassen. Lesen lernte ich von einem Mädchen in meinem Alter, die aus gutem Hause stammte, aber ihre Eltern verloren hatte und danach unfreiwillig bei uns gelandet war. Sie hatte es unsäglich schwer bei uns, aber tat ihr bestes um zu überleben. Was blieb ihr auch anderes übrig? Ich versuchte ihr zu helfen, so gut wie es halt eben ging, ohne dass es auffiel. Sie war ein hübsches Ding unter all dem Dreck im Gesicht, weinte viel in der Anfangszeit, aber irgendwann veränderte auch sie sich, wie wir alle. Onkelchen und Tantchen wussten, wie sie kleine Kinderseelen brechen und für sich missbrauchen konnten.

Seit dem Tag las ich jede Nachricht, die ich vom Nest fort- oder dorthin zurückbrachte. Ich lernte schnell, dass Wissen Macht bedeutete. Es brauchte auch schon einem kleinen Rotzlöffel wie mir zuweilen ein paar Vorteile ein, sofern ich mich denn traute das Wissen für mich zu nutzen.
Natürlich bedurfte das Öffnen und Lesen etwas Zeit, vor allem das Lesen, da ich darin nur mäßig gut war. Erwischt wurde ich dennoch nicht. So auch nicht an diesem Tag.
Ich hielt ein geöffnetes Pergament in den Händen, das an einen Mann der höheren Gesellschaftsschicht gerichtet war. Was ich da las, versprach ein lukratives Geschäft für mich zu werden, wenn ich mich denn nur traute. Und es sollte mich zu einem späteren Zeitpunkt dazu bringen, all meinen Mut zusammen zu nehmen, um das erste Mal etwas für mich einzufordern. Mit aller Sorgfalt versetzte ich das Dokument in seinen Ursprung zurück und flitzte die Straßen Siebenwachts entlang, huschte durch die schmaleren Gassen, hetzte um einige der Ecken und stieg über Bretterverschläge hinweg, um den Weg abzukürzen.
Als ich mein Ziel erreichte, klopfte ich an einer Hintertüre an. Wie stets. Vordereingänge waren verboten, auf das Strengste, denn wenn ein zerlumpter Rotzlöffel dort stünde und gesehen würde, führte das zu Gerede. Sowas hatten die hohen Herrschaften gar nicht gerne. Auch eine der harten Lektionen, die mit einer Tracht Prügel einhergegangen war, um sie einzubläuen. Was bei den Prügeln aber irgendwann auffiel, war der Umstand, dass der Onkel Wert darauf legte, dass man sie nicht sehen konnte. Warum, wusste ich nicht. Aber das sollte ich vier Jahres später etwa erfahren.
Ein großer hagerer Mann öffnete die Tür und warf mir einen geringschätzigen Blick zu, in dem ich viel Abscheu wiederfand. An solche Blicke hatte ich mich inzwischen gewöhnt.
„Eine Nachricht für den Meister“, erklärte ich mit möglichst fester Stimme. Der Diener, denn mehr war dieser Mann nicht, trat auf Seite und ließ mich ein. Er wusste, dass das Dokument nur für seinen Herrn bestimmt war und er es nicht in die Finger bekommen würde. Er führte mich in einen der hinteren Räume und hieß mich dort zu warten. Es verging eine kleine Weile, die mich schon begann nervös werden zu lassen, als die Türe sich wieder öffnete und der Meister eintrat. Ein fetter Kerl, der eindeutig zu wenig Bewegung bekam, aber dafür zu viel zu essen. Ich konnte wohl mit Fug und Recht behaupten, dass wir einander keine Zuneigung entgegen brachten.
„Rück schon raus, du verlauster Bengel!“ Mit seinen wurstigen Fingern wollte er nach dem Brief in meiner Hand schnappen, ich wand mich allerdings flink aus seiner Reichweite heraus.
„Kostet extra. Schweigegold. Vorher kriegst gar nix.“ Ich konnte förmlich zusehen wie dem Fettwanst die Augen rausquollen bei meinen Worten. „Und wenn de mich verpfeifst, dann hast auch gelitten. Mach dir keine Hoffnung!“ setzte ich hinzu. „Dann is‘ die Rübe ab. Kannste mal sicher sein!“

Ich verließ das Haus wenig später mit deutlich mehr Münzen, als der Botendienst mir eingebracht hätte. Den Zusatzverdienst musste ich allerdings rasch loswerden. Also sah ich zu, dass ich auf dem Rückweg einen kleinen Haken schlug zu meinem persönlichen kleinen Versteck, wo ich die Münzen deponierte, wie schon so einige zuvor auch. Wer wusste, wann ich es mal brauchen würde.

Kaum im Nest angekommen, händigte ich den Verdienst aus, vollständig. Der Alte wusste genau, was ich dafür bekam. Fehlte etwas, gab es wieder eine Tracht Prügel. Eine weitere Lektion.
„Bring mir das Fälschen bei“, forderte ich, nachdem ich all meinen Mut zusammen genommen hatte, um überhaupt etwas zu sagen. Es waren keine Widerworte. Es war Lernwille. Ich spürte seinen stechenden Blick auf mir, als er mich anstarrte. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, und erwartete schon, dass er unerbittlich zuschlug, aber zu meiner Überraschung zeigte er sein sehr seltenes, falsches Lächeln.
„Darrell! Bring Fiete das Fälschen bei. Fang direkt an“, bellte er einem der Erwachsenen zu, die sich in der Nähe aufhielten, und sich durch einen unsortierten Haufen Pergamente arbeiteten. Ganz wie es Ed gewohnt war, erfuhr er keine Widerworte. Der Haufen wurde zurückgelassen, ich am Nacken gepackt und mitgezerrt in einen Nachbarraum, in dem es verhältnismäßig ruhig war für das Gewusel, was ständig im Haus herrschte. Und so begann mein Unterricht in der Dokumentenfälscherei, die auch das Fälschen von etwaigen Siegeln einschloss. Mit diesen Unterweisungen kehrten auch die Prügel wieder ein, die ich bezog, wenn ich etwas falsch machte. Also bemühte ich mich schnell zu lernen, sehr schnell.
 Nach oben »
Rica Shagani





 Beitrag Verfasst am: 15 März 2018 16:33    Titel:
Antworten mit Zitat

Kalte Nächte - Rückblende

Der Wind drückte sich gegen die Holzverschläge und ein Knattern und Pfeifen mischte sich zu dem immer wiederkehrenden, leisen Husten, das jedes Mal aus einer anderen Ecke des Raumes zu dringen schien. Einmal hier ein Keuchen, einmal dort ein Kratzen und Rascheln. Auf so engen Raum blieb es nicht aus, dass sich Krankheiten wie Läuse oder Krätze verteilten, gerade im Winter, wo die Kinder sich noch seltener Waschen konnten und das Vergnügen auf lauwarmes Wasser hatten. Zurück blieben sie mit aufgekratzten Narben und Ekzemen auf ihrer geschundenen Haut.
Die kleine Mirla drängte sich tiefer unter das dünne Laken, das sie sich mit Rica auf dem mit Holzbrettern belegten Boden teilte. Sie schob ihre dreckigen, dunklen Füße an die Beine ihrer Freundin und wimmerte leise. Aus diesem Grund war Rica bereits wach geworden und erschrak nicht gänzlich aus den Tiefen des Schlafs, als die Tür ins Zimmer grob aufgeschlagen wurde und schwere Stiefel über die Dielen trampelten, begleitet im Hintergrund mit dem wütenden Worten des Onkels. Einer der älteren Jungen kam grobschlächtig in das Zimmer und scheuchte mit gedrungenen Beleidigungen drei der jüngeren aus dem einzigen Strohbett des Raumes. Im Halbdunkeln beobachtete das Mädchen, den Arm um Mirla gelegt, die Silhouetten, die sich nur sechs Schritt entfernt von ihr regten. Manchmal bestand das Leben nur aus Beobachtungen und daraus, dem schlimmsten zu entfliehen. Sie wollte sich aus all dem entziehen – keines der Kinder wollte hier sein, aber die Aussicht darauf ‚nicht‘ hier zu sein war das weit größere Elend. Selbst von einem Frösteln erfasst zwang sich das Kind die großen, undefiniert braunen Augen zu schließen und kaute ein wenig auf ihrem unlängst kurz gewordenen Daumennagel herum. Sie wollte den Hunger vergessen. Wenigstens konnten sie sich wärmen in dieser Nacht und die vielen Atemgeräusche sorgten für ein Gefühl der vertrauten Geborgenheit. Doch versprachen sie keinen Schutz.
 Nach oben »
Askan Fiete Sturmlicht





 Beitrag Verfasst am: 13 Sep 2018 09:31    Titel:
Antworten mit Zitat

Streichholzkinder

Das Nest beherbergte viele Kinder. Das Haus war groß. Die, die bereits etwas mehr beitragen konnten, hielten sich meist in den oberen Stockwerken auf, unten hausten die ärmsten Würstchen. Jeder war mal unten, ganz unten quasi. Manche blieben da für immer, andere schafften es, sich mehr einzubringen und es eine Winzigkeit besser zu haben. Unten lebten die sogenannten Streichholzkinder.
Als kleiner Fälscher und Kurier gehörte ich zu letzteren. Aber ich wollte noch mehr. Man könnte sagen, ich hatte Blut geleckt. Die Hoffnung nährte diesen Ehrgeiz. Inzwischen hatte ich auch begriffen, dass Schmeicheleien das Gegenteil hervorriefen.

Es gab da ein Mädchen. Ihren Namen hatte ich inzwischen vergessen. Sie stand in der Haushierarchie eigentlich weit über mir. So weit, dass sie sogar adrette Kleider tragen durfte und konnte, sauber und gewaschen daher kam, im obersten Stock ein Zimmer hatte, dass sie nur mit fünf weiteren teilte.
Ich muss vielleicht an der Stelle erwähnen, dass im Untergeschoss und Erdgeschoss die Räume nahezu keinen Platz mehr boten, um noch irgendwo zu schlafen. Wenn man die Etagen durchqueren wollte in der Nacht, musste man schon geschickt sein, um nicht auf irgendwen drauf zu treten. Das sei nur erwähnt, um eine Vorstellung zu geben, wie gut das Mädchen es hatte.
Besagtes Mädchen hatte sich ihre Position hart erarbeitet. Mit hart, meine ich hart. Was andere, die ich heute kenne, so hart nennen, erscheint mir lächerlich dagegen. Der Einfachheit halber nenne ich das Mädchen mal Frieda. Nun, Friede wollte auch jetzt noch mehr. So war das. Hatte der Ehrgeiz einmal zugepackt, nahm dieser kein Ende. Ihr ernanntes Ziel, so flüsterten die Kinder, war es, Tante Sannas Platz einzunehmen. Hehres Ziel, hätte ich damals gesagt. Alles, was sie bis hierher erreicht hatte, war ein Kraftakt gewesen für sie. Nun wollte sie einen leichteren Weg haben, fand, sie hatte genug getan. Also ging sie zum Onkel und versuchte sich einzuschmeicheln, ihn rumzukriegen, um den Finger zu wickeln und zu umgarnen. Das ging eine ganze Weile so, und alle Augen verfolgten das Treiben voller Neugier.

Ich bin mir sicher, manche waren sich nicht sicher, ob Sanna besser war oder Frieda als „Regentin“. Aber Sanna wäre ja nicht Sanna, würde sie sich so leicht das Bütterchen vom Brot nehmen. Es ist mir bis heute nicht ganz klar, was genau geschehen war. Aber es kam der Tag, da stand eine aufrechte Frieder vor Onkel und Tante und im nächsten Moment riss Darrell ihr die feinen Kleider vom Leib, ließ sie durch wie nichts Gutes und trat erst von ihr fort, als sie nackt, völlig zerschlagen und blutend am Boden lag und sich nicht mehr rührte. Und das vor aller Augen. Es war ein hässlich inszeniertes Theaterstück gewesen. Ich weiß noch, wie ich dachte, dass er sie totgeschlagen hat. Heute bin ich mir sicher, viel hatte auch nicht mehr gefehlt. Und ihre Schreie, ihr Flehen und Wimmern werde ich nie vergessen. Danach fand Frieder sich bei den Streichholzkindern wieder. Mehr als Streichhölzer verhökern und den Leuten die Taschen aus den Beuteln stehlen, tat sie fortan auch nicht mehr. Sie wollte zu hoch hinauf und war noch tiefer gefallen. Eine Lehre, die sich tief ins Herz brannte. Eine Lehre, die mir eine weitere Stimme in meinem Kopf bescherte, die unentwegt flüsterte.

Die Stimme flüsterte schlaue Dinge. Dinge wie: Verknüpfe einen Aufstieg mit einer Lehre für dich. Dinge wie, die Älteren sind dazu verpflichtet die Jüngeren zu unterweisen. Ja, ich hatte bereits begriffen, welchen Lehren der Drecksack folgte. Hatte ich überhaupt nichts gegen einzuwenden. Vielmehr überlegte ich mir, wie ich das zu meinem eigenen Vorteil nutzen konnte. Denn darauf kam es ja immer an: Auf den eigenen Vorteil. Das sicherte das mir mein Überleben und es sicherte mir auch zu, dass ich alsbald hoffentlich rauskam aus dem Nest, oder ich zumindest ein schönes Leben hatte, als die Streichholzkinder.
Die mickrige Stufe, die ich gerade mal über ihnen stand, versprach keine großartige Veränderung. Es war nur geringfügig mehr Platz zum Schlafen, es gab eine halbe Suppenkelle mehr zu essen von dem Fraß, der das Wort essen nicht mal verdiente. Es blieb noch immer nichts andres übrig als die Händler um Pastete oder Obst zu erleichtern, wenn es möglich war, wenn man nicht hungern wollte.
Wie oft ich mit knurrendem oder gar schmerzendem Magen versucht hatte einzuschlafen, kann ich nicht einmal mehr benennen. Viel zu oft. Klagen durfte trotzdem niemand darüber. Dann kam zu den Magenschmerzen noch mehr Schmerz hinzu, danke einer weiteren Tracht Prügel.
Bald zählte ich etwa vierzehn Sommer. Woher ich das wusste, hätte ich nicht mal sagen können, war mir aber auch nicht wichtig genug, um dem nachzugehen. Es musste mehr drin sein, als das was mein Leben mir bot. Ich wollte, dass mehr drin war. Frieda war der Beweis. Es ging besser. Was also hatte Frieda getan?

Es war an der Zeit den Mut wieder zusammen zu nehmen. Ich suchte Onkel und Tante auf.
„Führt mich in die Gesellschaft ein“, forderte ich und bangte.


Zuletzt bearbeitet von Askan Fiete Sturmlicht am 13 Sep 2018 09:31, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Askan Fiete Sturmlicht





 Beitrag Verfasst am: 15 Sep 2018 08:52    Titel:
Antworten mit Zitat

Die Initiation

Ich wurde Vane zugeteilt und darf an dieser Stelle sagen, es begann für mich eine lehrreiche Zeit, dieses Mal allerdings ohne Schläge. Dieses Mal war alles anders. Hätte mich in der Zeit jemand gefragt, ich gesagt, es begann die beste Zeit meines bisherigen bescheidenen Lebens. In Vanes Obhut sein bedeutete im Bordell des Viertels zu hausen. Es war nicht das schmuckste aller Bordelle, die es in Siebenwacht ab, aber es brachte immerhin sogar ein eigenes Zimmer ein. Anfangs war das sogar eine Art Rückzugsort. Ich brauchte nicht ins Nest, konnte vorerst dortbleiben und mich einrichten. Nun ja, viel zum Einrichten besaß ich damals noch nicht, also nahm ich mit dem Vorlieb, was das Zimmer bot: Ein einfaches, rustikales Bett, ein Nachttischchen, eine Kleiderkiste. Ansonsten gab es auf dem Nachttischchen noch eine Öllampe und schäbige und schwere rote Vorhänge vor dem Fenster, dunkelgrüne Wände, von denen der Putz stellenweise schon abgeplatzt war. Irgendwo auf dem Boden lag noch ein ausgelatschter roter Läufer, der mehr Löcher aufwies, als ein guter Käse. Kurz: Das Zimmer hätte eine neue Einrichtung und einen neuen Anstrich vertragen können. Mit Sicherheit wäre es auch von Vorteil gewesen frischere Bettwäsche zu haben, aber dieses Bordell hatte andere Ansprüche.

Einführen in die Gesellschaft bedeutete fürs Erste nicht etwa Etikette lernen. Auch hier fing jeder unten an, so viel stand fest. Aber unten war hier weit über dem, was unten wirklich bedeutete – fand ich jedenfalls. Vane war so etwas wie die Mutter aller Jungs und Mädchen hier. Davon gab es etwa zwanzig. Sie war streng aber gerecht. Die Luden vor der Tür sorgten für Ruhe, ließen aber die Jungs und Mädchen sonst in Ruhe. Alles lief über Vane. Sie stand für alles gerade und reichte bei Bedarf weiter. Und Vane befand, Eyna sollte mich anlernen.
Eyna. Sie war ein erstaunlich sanftes Geschöpf, dem horizontalen Gewerbe zum Trotz. Außerdem noch findig, kreativ, in meinen Augen wunderschön, schlank, ungemein gelenkig, und bei allen Göttern, sie war ungemein gut. Vielleicht muss man dazu sagen, als unerfahrener kleiner fast vierzehnjähriger Rotzlöffel hätte ich vermutlich alle gut gefunden. Erfahrung konnte ich ja keine vorweisen bis dahin. Aber dort machte ich welche, nein, viele. Sehr viele. Sie brachte mir nach und nach alle Kniffe, Tricks und Tücken bei. Ich konnte gar nicht anders, als mich in dieser lehrreichen Zeit hoffnungslos in sie zu vergucken. Ihren Unterweisungen erfolgten die Lehreinheiten durch Nores. Sie waren genauso tiefgehend, wie die von Eyna, wenngleich auch stellenweise deutlich rüder, als wollte er mir den Unterschied zwischen Jungs und Mädchen so nochmal zusätzlich verdeutlichen.

Bestimmt ein halbes Jahr ging so ins Land. Neben den Unterweisungen war es nun auch nicht so, als gäbe es nicht noch anderes zu tun. In den Abend- und Nachtstunden verdonnerte Vane mich in der Regel dazu Getränke an die Freier auszuteilen, was auch beinhaltete mich ja artig begrabschen zu lassen, und so weiter und so fort. Alles in allem durfte ich also nicht zimperlich sein, bestenfalls immer freundlich, gerne frech, aber nicht zu sehr, und wenn es jemand übertrieb, stand plötzlich irgendein Lude neben mir und gebot dem Einhalt. Es war ein Gefühl von relativer, etwas kruder Sicherheit. Etwas, was vorher nie da gewesen war und von mir deshalb mit größtem Misstrauen beäugt wurde. Ich wartete dauernd in geduckter Haltung darauf, dass es krachte.

Irgendwann kam der Tag, und auch der erste Freier. Ich konnte mich daran erinnern angefüllt von nervöser Aufregung gewesen zu sein. Rückblickend betrachtet war dies sogar mehr ein positives Gefühl gewesen, einmal nicht von ernsthafter Angst begleitet. Vielleicht lag das an den fehlenden Prügelstrafen – bis jetzt. Nein, ich traute dem noch immer nicht.
Mit den ersten Freiern, ob nun männlicher oder weiblicher Natur, lernte ich allmählich das wahre Wesen des Bordells kennen. Sicher brachte das Geschäft an sich einiges mehr an Münzen ein, als das, was ich bislang getan hatte. Aber das eigentlich Wertvolle war: Wer verkehrte hier? Wer erzählte hier was? Wohin führte der Weg danach? Was für Verhältnisse lagen noch hinter dem Gesicht, das über oder unter einmal lag? Und so weiter und so fort. Es versprach wirklich eine sehr interessante Sache zu werden. Sowohl das eine, wie auch das andere. Und die neue Stimme flüstertete unentwegt.
 Nach oben »
Askan Fiete Sturmlicht





 Beitrag Verfasst am: 24 Feb 2022 14:41    Titel:
Antworten mit Zitat


Die Lehre


Ich kann mich erinnern, dass Vane regelmäßig vom Tantchen aufgesucht wurde. Die Gespräche fanden hinter geschlossener Türe statt. Natürlich nagte damals die Neugier in mir, herauszufinden, worum es ging. Ich machte aber nicht den Fehler direkt danach zu fragen. Vielmehr nutzte ich den Vorwand Einkäufe für den Abend tätigen zu wollen, um mich unter das Fenster zu hocken, als ich feststellte, dass es offenstand. Zu meinem Entzücken wuchsen darunter direkt Büsche, die die Sicht auf mich nahmen. Zu meinem Ärger hatten sie Dornen. Tja, die Neugier hatte eben so ihren Preis.
Zunächst einmal hatte das Gespräch nichts Interessantes an sich. Es wirkte wie das Geplänkel zwischen zwei Freundinnen. Es brauchte eine Weile, bis ich den Unterton darin heraushören konnte. Oh nein, sie waren keine Freundinnen, sie waren das genaue Gegenteil davon! Das wiederum machte es für mich gleich noch viel interessanter. Denn ich befand, wenn Tantchen Vanes Feindin war, war Vane meine Freundin, ganz eindeutig.
Dann hörte ich wieder die warnende Stimme flüstern. Mit einem Nicken antwortete ich darauf. Ja, ja, es könnte auch eine Falle sein. Vielleicht wussten sie von meinem Aufenthaltsort. Andererseits: Woher? Ich war vorsichtig gewesen, als ich mich hierher bewegt hatte. War von einem Winkel aus gekommen, der nicht einsehbar war und die Luden waren gerade auch nicht zu sehen gewesen. Niemand war da gewesen. Woher also? Egal, ich hielt damals alles für möglich. Und wenn ich eines gelernt hatte, dann Vorsicht und Misstrauen am Leben hielt. Ich verhielt mich also weiterhin mucksmäuschenstill und lauschte.

Sie unterhielten sich über das Geschäft, wie es lief, Tantchen trieb die Gelder ein, gab Anweisungen und bei Vane hatte ich den Eindruck, dass sie bei weitem nicht alles weitergab, was sie wusste. Sie hielt Informationen zurück. Noch begriff ich nicht wieso, aber das waren ja auch die Gedanken eines kleinen Rotzlöffels, der noch keine Ahnung von dieser Art Geschäft hatte.
Natürlich versuchte ich einzuschätzen, was sie weitergab, was nicht. Ich hörte vieles, seit ich raushatte, dass es genau darauf ankam, und auch darauf, wer es von sich gab. Mir war klar, es ging um Erpressung und Reibachmacherei mit Wissen. Und mein Ehrgeiz wurde davon wieder geweckt.
Irgendwann hörte ich heraus, wie sich Zorn in Tantes Stimme mischte, unterdrückt, aber doch unverkennbar. Ich kannte die Stimmlage. Sofort stieg mir das Geschehen um Frieda wieder bildhaft vor Augen und ließ mich die Lippen tüchtig verziehen. Ich musste Vane warnen, soviel stand fest. Mir war sehr danach noch ein paar Jährchen was von ihr zu haben.

Als ich mitbekam, dass Tantchen gehen wollte, huschte ich davon, die Einkäufe erledigen, wie versprochen. Ich musste mich beeilen und mir über das Gehörte Gedanken machen. Außerdem wollte ich noch etwas ins Nest bringen. Die Einkäufe waren fixer erledigt als üblich, im Laufschritt ging es Richtung Nest, allerdings bog ich kurz vorher ab und zwängte mich hinten herum durch den Zaun. Bald war ich zu groß für dieses Spielchen. Schon jetzt fürchtete ich dort bald stecken zu bleiben. Es gab hinterm Haus eine Ecke, die gut taugte, dort etwas zu verstecken. Dafür musste man etwas klettern, damit man drankam, aber sowohl Nika als auch ich nutzten sie für den Austausch. Ins Rattenloch reinzugehen war zu riskant für mich, außer ich wurde einbestellt.
Dort hinterlegte ich Pastete für zwei, etwas Handgold und ein paar Pillchen, dann machte ich mich auf den Rückweg. Natürlich nutzte ich Umwege, damit ich am Ende aus der richtigen Richtung zurückkehrte. Einer der Luden gab mir einen Klaps an den Hinterkopf. „Trödelhannes.“ Mehr nicht. Kein Ärger, nichts. Ihm brachte das ein Grinsen ein, kein Kommentar, keine Klage. Was sollte ich dazu auch sagen? Er hatte ja Recht!

Natürlich suchte ich mir direkt den Weg zu Vane, nachdem ich die Einkäufe abgeliefert hatte. Voll guter Absicht, jede Vorsicht missen lassend, fragte ich sie um ein Gespräch unter vier Augen und Ohren. Sie gewährte mir die Zeit. Ich hatte mir nicht zurechtgelegt, woher ich das überhaupt wusste oder wissen konnte, oder gar wie ich das in irgendeiner Form erklären wollte, teilte ihr nur mit, dass ich an Frieda denken musste. Dass ich Tantchens Stimmlage gehört hatte, wie sie zu ihr gesprochen hatte. Dass sie bestimmt versuchen würde, Vane um die Ecke zu bringen oder zumindest mit einem üblen Spiel von ihrer Position zu treten.
„Du hast also unser Gespräch belauscht“, schlussfolgerte sie ohne große Betonung aus meinen Warnungen, diese erst einmal völlig außer Acht lassend. Die folgende sehr harte Backpfeife überraschte mich derart, dass mir direkt die Tränen in die Augen schossen, mehr auf Grund des Schocks, den es mir verpasste, als auf Grund der kribbelnden Schmerzen auf der Wange, die ihre Hand hinterließ.
Mein Blick gestaltete sich derart vorwurfsvoll ob der Behandlung, dass sie anfing zu lachen, zog mich mit Überschwang an ihre Brust und schnürte mir bei dem Druck, den sie ausübte, fast die Luft ab.
„Sie wird mich nicht umbringen, dafür bin ich ihr zu wertvoll, auch wenn sie jedes Mal versucht mir damit zu drohen. Und du steckst deine Nase in Angelegenheiten, die dich nichts angehen.“ Ihre Stimme nahm einen entschieden gefährlichen Ton an, bei dem es mir eiskalt über den Rücken runterlief. Alles in mir fing an zu rebellieren, und trotzdem war ich in eine regelrechte Kaninchenschockstarre gefallen. „Du bleibst ab jetzt schön an meiner Seite, kleiner Fiete, wenn du nicht grad für mich anschaffst.“

Dieser Tag war der Beginn eines neuen Kapitels meines erbärmlichen Lebens.
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Askan Fiete Sturmlicht





 Beitrag Verfasst am: 21 Jul 2022 14:37    Titel:
Antworten mit Zitat



Bessere Zeiten

Vane half mir Dinge zu lernen, von denen ich nicht einmal dachte, dass ich sie je lernen würde. Solcherlei wie: Welche Informationen waren wichtig, welche nicht, oder auch wie man Menschen richtig las. Darüber hinaus brachte sie mir bei, die Menschen richtig zu lesen, schon an der Körperhaltung oder Mimik mehr abzulesen, als manch einer es für möglich hielt. Es war eine äußert spannende Zeit und es zeigte sich auch, dass Vane ein Gespür dafür hatte, wer dafür vielleicht ein gewisses Talent besaß zu einer ihrer kleinen Ratten zu werden. So nannte sie ihre kleine Meute liebevoll. Aber nur weil sie das tat, hieß es nicht, dass wir uns da alles hatten erlauben konnten. Sie führte ein sehr strenges Regiment, war aber auch gerecht – ganz im Gegensatz zu Tantchen und Onkel. Wer etwas Außergewöhnliches mit nach Hause brachte, wurde besonders belohnt, aber auch kleinere Informationen blieben nicht unbeachtet.

Ich lernte darüber hinaus schnell, dass Liebesspiele und Betten eine ungeheure Vielfalt an Möglichkeiten boten, um Dinge herauszufinden. Darüber hinaus gab es natürlich auch noch eine Vielzahl an anderen Tricks, die ich anzuwenden lernte und wurde über die Zeit immer besser auf diesem Gebiet, und auch auf dem Gebiet der Manipulation. Ich lernte schnell, wie ich mir Leute vom Hals hielt, ohne sie wirklich zu verprellen, oder sie heranzog, ohne dass sie es auch nur merkten. Es war, ja, es war ein Talent, das nur entdeckt werden wollte, so kam es mir vor, weil es mir immer leichter von der Hand ging.

Nach einem Jahr oder vielleicht auch anderthalb Jahren schickte Vane mich in ein anderes Bordell, eines der gehobeneren Klasse, der „Karminpelz“. Das sollte meine Endstation für Siebenwacht bedeuten, der letzte Ort, an dem ich unterkam.
Ich liebte es dort. Es war das erste Mal, dass ich ein eigenes Zimmer hatte, das ich mir herrichten durfte, wie ich es mochte. Da gab es nur die Auflage, dass es stets vorzeigbar und nutzbar sein musste, wenn die Freier kamen, also auch alles sauber sein musste, ordentlich, inklusive einem gehobeneren Ambiente. Ich bekam dafür ein gewisses Budget in die Hand gedrückt, als Vorschuss, um mir diese Dinge überhaupt leisten zu können. Was ich darüber hinaus schnell merkte, dieser Ort entzog mich um einiges mehr dem langen Arm von Tantchen und Onkel, was ich nur begrüßte.

Als das Zimmer erstmal so weit hergerichtet war, schickten sie mir Schneider noch und nöcher, die mich einkleiden sollten. Mir war nur zu bewusst, dass ich damit meine Seele an diesen Schuppen verkaufte, denn bis ich das alles zurückzahlen würde können, mochten Jahre vergehen.
Dummerweise überwog das Gefühl endlich mal wer sein zu können, also mehr als nur die Ratte aus dem verdammten Loch, das Tantchen und Onkel ein Dach über den Kopf nannten. Ich ließ mich allzu sehr davon verleiten und hatte nach den Besuchen einen ganzen verdammten Kleiderschrank voll guter Kleidung in allen erdenklichen Farben und Ausrichtungen. Die neuste Mode Siebenwachts hing da und ein paar Stücke, die alltagstauglicher waren.
Erst als Ruhe einkehrte, wurde mir bewusst, wie sehr ich meinen Arsch verscherbelt hatte und schloss einige Momente lang die Augen, atmete tief durch und nahm es mit einem Zucken der Schultern hin. Es war wie es war.
Da für diesen Abend angesagt war das Haus zu verlassen und anderswo tätig zu sein für die feine Gesellschaft, suchte ich mir das passende heraus und machte mich fertig.

„Fiete ist kein Name, der taugt für dieses Etablissement. Zu gewöhnlich! N’est-ce pas? Also, wie wäre es mit Angelo. Deine wunderschönen blonden Haare geben das durchaus her, meinst du nicht?“
Ich stand da und wurde betrachtet, wie das, was ich war. Ein Stück Ware. Madame Tendresse umrundete mich immer wieder, den eingeklappten Fächer in hochgehaltener und nach hinten gebogener Hand. Sie stank nach Parfum, mindestens 10 Meilen gegen den Wind und hüllte alles in ihrem Dunst ein, wo sie nur entlang ging. Aufgetakelt bis zum geht nicht mehr, scharwenzelte sie weiter, zupfte hier an meinem Kragen, da am Jackett, und suchte nach irgendeinem kleinen Fehler. Irgendwann blieb sie vor mir stehen, legte den Fächer unter mein Kinn und hob meinen Blick so an – ja, sie war größer als ich. „Angelo. Compris?“ – „Ja, Madame.“ Was nutzte es da auch aufzubegehren. Sie war die Herrin des Hauses, sie bestimmte. Das war ich schon gewohnt. Es zürnte mich weder, noch schockierte es mich. Tagesgeschäft. Ich fügte mich und ließ sie dennoch nicht aus den Augen. Sie wirkte dümmlich, harmlos, war aber knallhart, das wusste ich. Niemand, der in der Position saß, war dämlich oder gar unfähig. Das konnte sie sich gar nicht leisten. Wo ihre Stärken lagen, wusste ich allerdings noch nicht. Woher auch. Ich war gerade erst hier. Ein paar Tage inzwischen vielleicht.
Bislang hatte sie mich weitestgehend in Ruhe gelassen, um mich einzufinden. Jetzt war die Schonfrist rum.
„Und du wirst der feinen Gesellschaft heute ein überaus zuvorkommender Gesellschafter sein, n’est-ce pas? Ich möchte keine Klagen hören! Bring ordentlich was mit nach Hause, kleiner Angelo. Es gibt dort viele Röcke und auch Hosen, die bedient sein wollen. Da sei dir sicher.“
Ich wusste, sie meinte nicht nur das Gold für die Hurerei, sie wollte mehr. Das waren Dinge, die hörte man nach einer Weile aus der Tonlage heraus. Das war ihr eigentliches Geschäft, neben der Hurerei. Also erwartete sie auch Entsprechendes bei der Heimkehr.

Trotzdem, es waren bessere Zeiten. Es waren entschieden bessere Zeiten. Ich hatte reichlich zu essen, viel zu tun, verkehrte in hohen Kreisen wie in der Mittelschicht, nicht mehr darunter. Ich verdiente gut, manchmal doppelt durch das, was ich noch mit heimbrachte. Es war genug, um immer etwas beiseitelegen zu können für die eigenen Träume und Wünsche.
Die Plätze für die Aufbewahrung des eigenen Bedarfs änderten sich immer. Es war nie gut, seine Verstecke allzu lang beizubehalten. Dann kam nur wer dahinter, weil man allzu oft dorthin ging und dann doch gesehen wurde.
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Askan Fiete Sturmlicht





 Beitrag Verfasst am: 19 Jan 2023 15:39    Titel:
Antworten mit Zitat



Spinnlein, Spinnlein, spinn dein Netz

Wer glaubte, es ging in der gehobenen Schicht Schwarzwassers geordnet, sittsam und artig zu, der irrte gewaltig. Wenn es im Armenviertel oder der Hafenkante schon schmutzig war und auch ebenso dreckig zuging, so war das ganz weit oben mitnichten besser. Es wurde nur getarnt mit viel Tand, viel Gold und viel Aufsehen, übertüncht von Fächern, Lächeln, Freundlichkeiten.

Es war Ballabend im Palast zu Siebenwacht. Die herzogliche Familie lud ein zum Tanz, Plauderei und Rendezvous. Ein Abend, an dem mögliche Schwiegersöhne und Schwiegertöchter gefunden oder auch nur verzweifelt gesucht wurden. Darüber hinaus aber auch ein Abend, an dem sich allerhand sehen und hören ließ, und damit ein Abend der klingenden Münze.
Mein Auftrag war es mitnichten Informationen zu sammeln, aber diese würden natürlich trotzdem gerne genommen, wenn ich sie denn zu fassen bekam. Nein, mir wurde aufgetragen eine junge Mademoiselle, wie sich Madame Tendresse auszudrücken pflegte, in die feine Kunst der Lust einzuführen. Ich hatte ein kleines gezeichnetes Portrait gezeigt bekommen, ebenso einen Namen dazu, sowie ihren gesamten bekannten Hintergrund. Ich sollte es im Vorfeld auswendig lernen, um damit glänzen zu können. Es wurde, wie immer, nichts dem Zufall überlassen. Es würde am Ende dazu führen, dass sie ihre Jungfräulichkeit verlor, der Auserwählte sie verschmähte, und eine Verbindung scheiterte, die gewissen Leuten schadete. Nichts weiter als eine der vielen Intrigen bei Hofe, die gerade an solchen Abenden allzu häufig entweder in Gang kamen oder ihn anfüllten mit allerhand Tratsch und Klatsch, wie Peinlichkeiten der besonderen Art, die eigentlich gar nicht so besonders war, wie man annehmen oder glauben machen wollte.

Die Kleiderordnung sah Weiß und Gold vor. Also griff ich meine teure Hose aus feinstem Linnen heraus, weiß, mit goldenen Knöpfen vorn am breiten Bund, das Hemd, weiß mit zarten Goldstickereien am Kragen und der Knopfleiste, stopfte ich in die Hose, und band noch eine breite goldene Schärpe mit reichlich zusätzlicher Goldstickerei um die Hüfte. Dann zog ich einen weißen Frack mit Goldapplikationen am Revers über und setzte mir für den letzten Schliff einen dazu passenden Hut mit buschig weißer Feder auf. Auch die Stiefel dazu waren in Weiß gehalten, schlicht, ohne Gold dazu. Weiße Handschuhe rundeten das Gesamtbild ab. ;Adrett schaust du aus‘, dachte ich bei einem Blick im großen Standspiegel.
Just in dem ging die Tür auf und Madame höchstpersönlich trat ungebeten und ungefragt in mein Zimmer. Einen Moment verharrte sie auf Abstand, um mich kritisch zu mustern, dann trat sie näher heran, drückte in meine Brusttasche ein auffallend rotes Taschentuch, säuberlich gefaltet, mit zarter Goldbestickung, welche exzellent zum Rest passte.
„Das erleichtert die Kontaktaufnahme mit Mademoiselle. Sie hat eine kleine Nachricht erhalten, von einem Verehrer, der versichert hat, das Tuch als Erkennungszeichen zu tragen. Sie wird also dich finden. Schau zu, dass du sie einführst und danach tunlichst verschwindest. Bestenfalls, wenn sie noch vor Hitze glüht. Und sei so gut, verschwinde dann ganz vom Ort des Geschehens, auch vom Ball. Leg dir irgendwo diese Kleidung hin, damit du unauffällig verschwinden kannst.“
Damit packte sie mir eine Tasche hin, in die ich natürlich sofort schaute. Einfache Straßenkleidung, die in der Gegend selbst kein Aufsehen erregte. Nun fein. Das hieß also auch, die Nacht würde ich in einem Gasthof verbringen, nicht hier. Das stand damit fest. Es lag sogar ein Beutel mit etwas Handgeld in der Tasche, wohl um das Zimmer damit zu zahlen.
All das verriet mir auch, wie prekär die Lage an sich war, in die ich da gestoßen wurde. Das erhöhte den Nervenkitzel zweifellos. Leid tat mir nur die Mademoiselle. Zumindest noch. In der Regel gab sich das gut und gerne mal, wenn ich auf die Zielperson traf.
Ich zuckte mit den Schultern und nahm es hin, wie es war, nickte Madame nur zu.
„Du wirst im Gasthof ‚Zum krummen Henkel‘ einkehren. Da ist bereits ein Zimmer unter dem Namen Maraneo Saimler gebucht. Und zur fünften Morgenstunde bist du am Hafen und besteigst die ‚Sturmfieber‘ mit dem Reiseziel nach Gerimor. Du wirst mit niemandem ein Wort darüber sprechen. Auch nicht mit deinen Schätzchen, damit das klar ist. Es ist zwingend erforderlich, dass du eine Weile von der Bildfläche verschwindest. Ach und, sollte dich jemand aufhalten vom Palast zum Gasthof, oder vom Gasthof zum Hafen, erwarte ich, dass du das Problem beseitigst, ohne Aufsehen zu erregen.“
„Ich kann Siebenwacht nicht einfach so verlassen!“ – „Mit Sole und seiner Schlampe ist alles geregelt. Du wirst Siebenwacht verlassen. Du musst.“

Was zur Hölle heckte sie aus?! Ich saß in der Kutsche zum Palast und starrte aus dem kleinen Fenster hinaus auf die Straße. Das gleichmäßige Hufgeklapper auf dem Kopfstein ließ mich nur noch tiefer in Grübeleien versinken. Aus irgendeinem Grund wollten sie mich forthaben. War es nur wegen Mademoiselle oder war es mehr? Ich machte mir Sorgen um Maus und Nika, es nagte regelrecht an mir. Ihnen nichts zu sagen, kam für mich nicht in Frage. Ich wusste nur nicht, wie ich das am geschicktesten anstellen sollte, ohne dass Madames Augen und Ohren es mitbekamen. Das war nicht so einfach.

Zum Mäusemelken.
Ganz still im hinteren Eck seines Geistes meldeten sich gleich mehrere Stimmen. Sie alle hatten Lösungen, und die meisten waren nicht wirklich das, was man artig, sittsam oder legal nannte.
Aber alle waren loyal zu Nika, Maus aber auch zur Madame. Irgendwie.


 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Aus vergangenen Tagen
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.




phpBB theme/template by Tobias Braun
Copyright © Alathair



Powered by phpBB © 2001, 2002 phpBB Group
Deutsche Übersetzung von phpBB.de