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Der Schmerz ist ein großer Lehrer.
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Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Der Schmerz ist ein großer Lehrer.
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Anwa'qulae





 Beitrag Verfasst am: 23 Jul 2020 09:58    Titel:
Antworten mit Zitat

    Ich dachte zu wissen, was Schmerz ist; ich wußte es nicht!
    Erst jetzt steig ich in deine Tiefen, Menschenleid,
    und fühle deinen Jammer, Kreatur, mit eign'er Seele.

    Ich wälze schlummerlos des Nachts mein Haupt,
    und trag des Tages lautlos meine Bürde;
    den Mund versiegelt übergroße Qual.

    Aufklafft der Boden mir unterm Fuß,
    des dunklen Himmels Schönheit stürzt in sich zusammen,
    in Rausch und Flammen steht alles,
    was ich anbete – und sterben lassen muss..




    Schwärze. Stille.
    Schmerz. Pein. Leid. Elend. Marter. Qual. Folter. Kummer. Furcht. Not. Hass.

    Ich hatte gewusst dass dieser Moment kommen würde. Einmal hatte ich ihn schon miterlebt, ein weiteres Mal hatte ich ihn gefürchtet. Sowie die Worte, einem liebevollen Flüstern gleich, mein Ohr gestriffen hatten, zog es mich unliebsam aus allem, was ich bis eben noch gedacht, gefühlt oder gewollt hatte. Der letzte Nachhall einer Verbindung erlosch brennend. Ich blinzelte gegen die Dunkelheit an und tastete nach einem Geist, den ich zuvor noch gehört hatte. Ich konnte es fühlen, das raue, verfilzte Haar, dessen Geruch mir vertraut in die Nase stieg. Blut, Schweiß, Schwefel.. Zuhause. Mit der Berührung und dessen Regungslosigkeit schloss die Erkenntnis zu meinen Augen auf, welche sich unweigerlich mit etwas füllten, dass man allgemein als Tränen bezeichnete. Ein zärtlicher Handstrich, welchen ich an den Haarschopf meines Letharfen setzte, obwohl die Tat mir ebenso fremd war, wie dieses Gefühl, welches sich in meinem Körper ausbreitete. Ich versuchte sein Gesicht zu drehen, einen letzten Blick in das blutrote Augenpaar zu werfen, welches zu meinem überschwinglichen Leid erloschen war. Hilflosigkeit. Etwas das ich nur selten in meinem Leben empfunden hatte. Nervös griff ich an die Schultern des Mael'qils, schüttelte sie in letzter Hoffnung.. doch er hatte mich verlassen, zu früh.

    Erst als ich das Gebet nach einigen Stunden niedersinken ließ und feststellte, dass nichts der einstigen, inneren Wärme mehr von ihm zurückgeblieben war und auch nicht zurückkehren würde, erfasste ich all mein Leid. Ich zitterte, meine rechte Hand lag noch immer auf den hellen Strähnen, welche von getrocknetem Blut durchzogen schienen. Mein Blick war von Feuchtigkeit, die nicht versiegen wollte, verschwommen. Es brodelte in meiner Brust, verdichtete sich, als würde ich im nächsten Augenblick von der Angst selbst heimgesucht werden. Es ließ meinen Brustkorb eng werden und meine Zähne knirschend aufeinander reiben. Es geschah schleichend.. und ich wusste genau, was in meinem Körper vor sich ging. Denn spätestens als der leidende und wutentbrannte Schrei meine Kehle verließ und das Gefühl freisetzte, als würden die Särge unter dem ungewohnten Ton vibrieren, spürte ich, wie ich von gleißendem Hass erfüllt wurde. Brennend, hell, lodernd und alles verschlingend. Ich wollte sie alle mit mir niederbrennen, auf dass nichts als jämmerliche Asche von ihnen übrig bleiben würde, wenn überhaupt. Ich wollte mich an ihren leidenden Augen ergötzen und sie spüren lassen, was ich spürte. Reinen, nichts übertreffenden Hass und Schmerz. Sie alle hatten ihn mir genommen, waren dafür verantwortlich dass nichts als Zwietracht mehr herrschte. Mein einziges Heim auf diesen Erden, geschützt durch die Hände meines einstigen Gefährten. "Dort sind wir wieder Eins..", hörte ich und zuckte augenblicklich zusammen, ballte meine Hände auf der blutigen Robe zu Fäusten und drückte mich auf. Mit letzter Kraft versuchte ich den leblosen Leib neben einen der Särge zu ziehen, probierte mich auf den wankenden Beinen zu halten, ehe ich mich hinabkniete und die Haare aus seinem schlafenden Gesicht zu streifen. Niemand außer Vater würde mich sehen und er musste wissen, wieso er ihn mir gesandt und weswegen er ihn nun zu sich zurückgeholt hatte. Ich setzte meine Lippen an seine Schläfe und sog das letzte Mal in diesem Leben den Geruch seiner Haare tief in die Lungen. Noch immer am Boden hockend tastete ich seinen Körper nach einem Dolch ab und zog meine Robe hinauf. Dort lag sie, in den Schatten meiner dunklen Haut. Die Rune mit dem Namen meines Letharfen. Verheilt und geborgen, sodass man es wissen musste, wollte man sie finden. Ohne Regung bohrte ich die Spitze des Dolches in meine Haut und zog die Linien der Besitzrune nach, tief, blutend, bleibend und bindend. Niemand würde je daran zweifeln, dass dieser Name auf meinem Körper stand, niemals.

    Ich hinterließ ein Rinnsal an Blut am Boden der Grabkammer, dort würde sich ein Teil von mir das letzte Mal mit dem Mael'qil vereinen. Mit feuchten, roten Fingern griff ich an meinen Hals, wo ein weiterer Teil seines Blutes schon Jahre in einer Phiole in meiner Obhut lag. Dann wendete ich mich der schweren Steinmauer zu und schloss die Grabkammer hinter mir, auf dass niemand sonst ihn in seiner letzten Ruhe stören würde, auf dass niemand je erfahren würde, welche Empfindungen ich mit ihm eingeschlossen hatte. Schritte die ich lange nicht mehr gegangen war, trugen mich schlurfend und kräftezerrend in den Bankturm, wo ich nach dem hellen Pantherhelm griff und ihn im selben Moment für mich beanspruchte. Meine eigene Ausrüstung notdürftig überprüft, wendete ich mich dem langen Aufgang zu, welcher an die Oberfläche führte. Alles an mir war verborgen, mein Gesicht, mein Schmerz, mein Verlust. Ich wollte weg, denn er war es, der mich hier an diesem Ort verankert hatte. Ich musste den Meister finden.. und alles was sich mir in den Weg stellen würde, würde ich mit in den gleißenden Abgrund aus Leid ziehen, ein für alle Mal mit Haut und Haar verschlingen. Nichts dürstete mich mehr als zu zerstören.








Zuletzt bearbeitet von Anwa'qulae am 23 Jul 2020 17:38, insgesamt einmal bearbeitet
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Anwa'qulae





 Beitrag Verfasst am: 10 März 2021 17:18    Titel: Der letzte Faden
Antworten mit Zitat


    Das stumpfe Schwert der Trennung,
    reißt schmerzhaft auseinander,
    was Vertrauen einst so eng verwachsen ließ.

    Und hinterläßt mir Wunden,
    die nur langsam heilen
    und danach häßlich eiternde Narben,
    zu Erinnerung.





    Rückblick:

    Ich erlebte ein düsteres, verdrehtes Deja-vu, welches mich an vergangene Zeiten meines jämmerlichen, jungen Lebens erinnerte. Ich hatte das Leth'Axorn verlassen und war in mein altes Nest zurückgekehrt, dort wo ich aufgewachsen und gelernt hatte, dass ich ein Nichts war. Doch dieser Umstand hatte sich geändert, ebenso wie die Blicke meiner alten Geschwister, die zu Teilen noch immer ihr Leben damit verbrachten, sich um den Nachwuchs zu kümmern. Die Erzlethoryxae, die ich das letzte Mal vor Jahren erblickt hatte, neigte ihre Stirn zu mir hinab, denn ich war bei weitem keine Runenlose mehr. Ein kurzer Anflug von Zuneigung machte sich in mir breit, als ich die langen, hellen Haare meiner damaligen Mentorin und das fliederfarbene Augenpaar erblickte, welches gar eine Spur stolz auf mir lag. Sie würde den Grund meines Auftauchens kaum übersehen können, denn in dieser Sache hatte ich all meine Erfahrungen ausschließlich bei und mit ihr gesammelt. Doch war ich nicht mehr das schwache Stück Dreck von damals, ich war an den Jahren meines Dienstes an Vater gewachsen, und brauchte den Beistand meiner Erzlethoryxae streng genommen nicht mehr. Seitdem die Essenz Zyd'araks zu Vater zurückgekehrt war, hatte ich mein Gefühl Stück für Stück verloren. Ich fühlte mich dumpf, taub und betäubt, als weigerte sich mein Leib seit Monden eine Regung zu zeigen. Doch er hatte eine Regung gezeigt, eine Entwicklung, als ich mich bereits Wochen im steinernen Grab meiner Vorfahren eingeschlossen hatte, um dem quälenden Keim von Macht in mir, mittels eisernen Gedanken, des Wachstumes zu berauben. Ohne Erfolg. Ein Blick zu mir hinab und ihre Stimme erhob sich, wissend, überlegen.
    "Wie ich sehe, bist du nicht gekommen um dich an Kaa'nyr zu rächen, Schwester. Du solltest allerdings wissen, dass er noch immer hier verweilt, auch wenn er längst keine Macht mehr über dich hätte." Eine Feststellung, keine Frage. Die Tatsache, dass er noch immer am selben Punkt seiner Ausbildung zu stagnieren schien, hinterließ allerdings eine gewisse Genugtuung in mir. "Ich bin gekommen, um ein weiteres Mal in meinem Leben etwas in deine Obhut zu geben." Eine Offensichtlichkeit, welcher ich nun aufmerksam machte.

    Wir gingen gewohnte, geschlungene Pfade des Axorns entlang und ließen viele Höhlen hinter uns. Ich erkannte sie blind, als würde ich noch immer hindurchrennen um mich zu verstecken. Auch kannte ich die Geräusche, welche mich insgeheim eher an das Leth'Axorn erinnerten. Ich höre die Pantherklauen surrend aneinander klirren und hielt inne. Die Erzlethoryxae vernahm mein Zögern und sah zurück, doch ich hatte mich bereits abgewendet und war von Neugier getrieben auf die Höhle zugegangen. Letharfen hatten immer eine gewisse Ähnlichkeit miteinander, doch diesen Einen hätte ich auf hundert Schritt Entfernung erkannt. Nicht nur, weil er mir soviel Leid zugefügt hatte, sondern weil sein Anblick mir einen schmerzhaften Stich versetze, wie der Anblick Zyd'araks es damals getan hatte. Diese Ähnlichkeit hatte mich lange Zeit meines Lebens verfolgt und beschäftigt, doch jetzt, sah ich die blutroten Augen meines Letharfen auf mir liegen - nur kurz und als falle ein Sandkorn in Zeitluppe in ein Stundenglas hinab - dann wurde mir bewusst, dass ich mich einem Trugbild hingegeben hatte und meinem alten Peiniger entgegen sah. Harsch hörte ich die Stimme der Erzlethoryxae hinter mir:
    "Hört auf zu glotzen und zollt der Lethoryxae den Respekt, der ihr zusteht." Das blutrote Augenpaar lag noch einen Moment starrend auf mir, dann sank es zu meinem Leib hinab, zögernd und lauernd. Schlussendlich jedoch sank sein Oberkörper mit dem der anderen voran und die Verbeugungen wurden sichtbar. "Vaters Hass führt unsere Klinge!", gab ich als Erwiderung zurück und wendete mich ohne ein weiteres Zögern von der Höhle und dem Vergangenen ab.

    Stunden später fand ich mich erneut in meiner Vergangenheit wieder. Ich ließ die rote Robe von meinem Leib zu Boden fallen und trat ohne Scham und völlig nackt vor meine Mentorin, welche mich aufmerksam besah und den Zustand oder auch die Veränderung meines Körpers erfasste. Die kalten Finger legten sich über die Striemen an meinem Rücken, welcher noch immer ein Gesamtkunstwerk meiner Ausbildung zeichnete. Dann wanderten sie meine Runen entlang und kamen schlussendlich an meiner Besitzrune zum erliegen.
    "Du hast also einen Letharfen gefunden." Ich verkniff mir ein weiteres Zucken und grub alles was ich empfand unter einen Berg aus Steinen ein. "Er ist zu Vater zurückgekehrt. Bringen wir es hinter uns, es dauert nicht mehr lang." Sie untersuchte mich, wie sie es damals getan hatte und wies mir einen Platz zu, der mir allzu vertraut war. Eine steinerne Liege, ein Bestelltischchen, saubere Tücher, Wasser.

    Es vergingen zwei weitere Stunden, bevor die schweißnassen Haare in meinem Gesicht klebten und man die Luft förmlich schneiden konnte. Ich hatte mich bereits unter ersten Anzeichen hierher gebracht und kannte das Gefühl, wenn es begann. Schmerz war eine willkommene Abwechslung, welche mir vor Augen führte, dass ich noch lebte. Das Tuch unter mir war von meinem eigenen Blut benetzt, trieb mir den eisernen Geruch in die Nase und die Schreie die ich hörte, gingen nicht von mir aus, dieses Mal nicht.. Denn die Geräusche, die widerlich in meinen Ohren klingelten, galten einer starken Verbindung, aus welcher ein Kind erwachsen war. Der Nachkomme eines Mael'qils und einer Lethoryxae. Der letzte Nachkomme dieser Verbindung, der letzte Nachkomme aus dem Leib dieser Lethoryxae. Ein Umstand den ich seit dem Zeitpunkt seines Todes nicht mehr gewollt hatte, doch in dieser Hinsicht galt allein der Wille und das höhere Ziel Vaters. Das in saubere Tücher gepackte Bündel wurde von der Erzlethoryxae in meine Richtung gehalten.
    "Es ist ein Männchen, Schwester, wunderbar." Mein drittes Kind und dennoch das erste, welches ich auf der Suche nach etwas Bestimmtem ansah, ehe ich die roten Äuglein erkannte. Dann ließ ich mich zurücksinken und erwiderte: "Natürlich ist es ein Männchen. Vater gab ihm den Namen Zyd'arak."


    Gegenwart:

    Jedes meiner Kinder war in diesem Nest aufgewachsen, so war es und so würde es immer sein, auch wenn ich sie nie in meinem Leben erneut sehen - oder zumindest ziemlich sicher nicht erkennen würde. Mein Weg allerdings lag an einem anderen Ort, einem Ort den ich nicht mehr betreten hatte, seitdem ich den Leichnam meines Letharfen in den Grabkammern zurückgelassen hatte. Es war Zeit ins Leth'Axorn zurückzukehren und meinen Platz in der Gemeinschaft wieder einzunehmen. Hoch erhobenen Hauptes stieg ich einen Mond später die steinernen Stufen hinab und nahm den ersten tiefen Atemzug. Schwefel.. Blut, Heimat. Ich schluckte meine Empfindungen wieder hinab und verbarg alles, was auch nur im entferntesten an Schwäche erinnern würde, wieder hinter der kalten und eisernen Wand aus Hass. Alles was nun zählte.


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Anwa'qulae





 Beitrag Verfasst am: 10 Mai 2021 15:26    Titel:
Antworten mit Zitat


    Er, den der Stein verschlossen hielt,
    und den man noch im Grabe bewacht,
    er steigt als Sieger aus dem Grab,
    fährt auf in neuer Stärke.




    Natürlich hatte ich mir in den Tiefen meines Glaubens eingeredet, dass das Kind, welches meinem Leib entsprungen war, die Essenz seines Erzeugers trug, die seines Vaters und meines Letharfen. Umso länger ich darüber nachdachte und in den endlosen Weiten meiner schlaflosen Nächte darüber sann, desto klarer wurde mir, dass ich mich selbst mit diesem Gedanken getröstet hatte. Trost, wer mochte glauben das ein Lethar soetwas benötigte oder jemals benötigen würde, allenfalls in der Verlassenheit seiner eigenen Höhle, begraben in stiller Dunkel- und Verschwiegenheit um sich bei Tageslicht selbst zu strafen.

    Viele Jahre und sogar Jahrzehnte war ich nun schon mit meinem Schöpfer verbunden und teilte dieses Band von Geben und Nehmen. Mit Gewissheit konnte ich sagen, dass Vater die Essenz meines Letharfen genommen und zu sich zurück gesogen hatte um sich am Wissen, an den Erfahrungen und den Errungenschaften des Mael'qils zu stärken. Ebenso sicher war ich mir, dass er mir einen Teil meines Gefährten gelassen hatte, wenn auch nur für weitere 14 Monde, als Saat der Erneuerung in meinem Leib. Und als wüsste auch Vater um den für mich nötigen Trost, hatte er meinem Kind nicht nur die Stärke eines Männchens gegeben, sondern ihm auch die blutroten Augen Zyd'araks hinterlassen. Seit Ewigkeiten nahm Alatar unsere Essenzen an sich zurück wenn unsere Hüllen nicht mehr dem Sinn und Zweck dienten oder unser Weg an dieser Stelle zu Ende ging, wir uns nicht mehr weiterentwickeln oder verbessern konnten oder würden - nur damit sie in einen neuen, unbeschadeten Leib einkehren konnte. Hier würde der Kreislauf des Lebens erneut beginnen, vielleicht war es ein anderer Weg, eine andere Profession, eine neue Bestimmung, doch irgendwo würde sich diese Essenz wiederfinden. Vielleicht fand sie sich in meiner Nähe wieder, vielleicht war sie Weiten von mir entfernt - dennoch würde ich es nie erfahren, selbst wenn ich glauben würde es zu spüren.

    Die Erkenntnis über ein neues Leben gewann ich, als ich mich Wochen nach meiner Ankunft erneut in die Hallen Vaters wagte. Mein Körper erholte sich noch immer von der Geburt und so war mein Zustand ein gefundenes Fressen für das kommende Erlebnis. Meine Finger auf den schweren Stein der Mauer gelegt, fanden meine Gedanken meinen Schöpfer, gewiss sogar, denn der Stein begann unter meiner Hand zu vibrieren, ehe ich ihn fast mit Leichtigkeit an die Seite schob, um in die grenzenlose Dunkelheit meines letzten Albtraumes zu treten. Die Grabkammer hatte scheinbar eine Art Vakuum hergestellt, denn noch immer konnte man den schweren und metallenen Geruch von Blut wahrnehmen, der dem Raum anhaftete. Ich stützte mich sicherheitshalber an der nahegelegenen Wand ab um mein Gleichgewicht zu halten und schloss meine Augen einen Moment um zu überlegen, aus welchem Grund ich hierher zurückgekehrt war. Ich wollte mich selbst überzeugen - überzeugen dass all das was ich gesehen und gefühlt hatte, der Wahrheit entsprach. Es war nicht lang her, dass Vater.. oder vielleicht auch die Missgestalt unserer Vettern mich getäuscht hatte. Wochenlang hatten sie mir falsche Überzeugungen und Schwächen eingebläut, sodass ich jetzt sicher sein musste, dass mein Letharf tatsächlich zu Tode gekommen war. Ich öffnete meine Augen Momente später, sodass sie sich nun rasch an die Finsternis gewöhnten und dort auf dem steinernen Boden der Grabkammer konnte ich es erkennen.. Am Boden war ein riesiger Fleck von getrocknetem Blut zurückgeblieben, auch konnte man erahnen wo ich einst gekniet hatte. Doch diese Hülle, die in sich zusammengesunken am Boden lag, gehörte nicht mehr dem Mael'qil und schon garnicht meinem Letharfen, denn er war fort. Sie war ein zurückgelassenes Gefäß eines Werkzeuges Vaters, nicht länger dazu bestimmt am Leben zu sein, nicht noch ein weiteres Mal.

    Ich sank, noch immer an die Wand gelehnt, zu Boden und starrte eine ganze Weile auf die vertrocknete Blutlache und die Leiche. Ich erinnerte mich.. ja, und ich wusste, dass kein Hauch von Leben mehr in ihm gewesen war, als ich dort gekniet und für Stunden getrauert hatte. Wahrscheinlich wussten nicht einmal die Geschwister, dass er nicht mehr lebte - doch war es wohl meine Aufgabe diese Mitteilung zu überbringen und seinen Leib aus der Grabkammer entfernen zu lassen. Jetzt, da ich mich überzeugt hatte die Wahrheit gesehen und auch empfunden zu haben, erhob ich mich von meinem Platz, ich erhob mich aus der sprichwörtlichen Asche um abzuschließen. Ohne ein weiteres Mal zurückzublicken oder den Körper auch nur genauer zu besehen, verließ ich den kühlen Raum und streckte meine Schultern durch. Die Lethrixoren vor dem Tempel neigten bereits ihre Häupter als sie mich erblickten, doch ich hatte weder Zeit noch Geduld ihnen außerordentliche Beachtung zu schenken.
    "Geht hinunter in die Grabkammer, dort liegt der Leib des einstigen Mael'qils Zyd'arak. Ihr werdet dafür sorgen dass dieser der Lavagrube zugeführt wird und die Kammer ohne Weiteres wieder verlassen. Solltet ihr versäumen sie zu verschließen, werdet ihr die Nächsten sein." - "Jawohl Lethoryxae!", erklang es rasch und einstimmig, als die Beiden sich auch schon in Bewegung setzten um meinen Worten Taten folgen zu lassen. Ich jedoch setzte mich in Bewegung um eine Nachricht für die Geschwister zu hinterlassen, welche ich mit Hilfe eines Dolches in die steinerne Wand hämmerte:


    Zitat:


    10. Eluviar 264


    Vaters Wille führt unsere Klingen Geschwister.

    Es sei verkündet, dass der Letharf dessen Besitz ich, Anwa'qulae und Lethoryxae ym Axorn, einst war - der Mael'qil Zyd'arak, seine Essenz an Vater zurückgegeben hat. Er kam in der Grabkammer der Sieben zum Erliegen, wo ich noch vor meiner Abreise, seinen Leib überprüft und seinen Tod festgestellt habe. Er hat Vater als außerordentlich gutes Werkzeug gedient und Ihm vor seinem Ableben einen neuen Streiter geschenkt, welchen ich in meinem alten Nest ausgetragen und übergeben habe.

    Seine Hülle wurde am heutigen Tage durch die Lethrixoren Vendalr'tul und Nari'tiroz aus der Grabkammer entfernt und der Lavagrube übergeben.

    Vaters Hass ist grenzenlos!

    Anwa'qulae
    Lethoryxae des Leth'Axorns





Zuletzt bearbeitet von Anwa'qulae am 10 Mai 2021 15:45, insgesamt einmal bearbeitet
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Anwa'qulae





 Beitrag Verfasst am: 13 Jun 2021 09:35    Titel:
Antworten mit Zitat


    Rache ist bitter,
    Überlegenheit
    süß.




    Schon in jüngsten Jahren hatten wir in unseren Ausbildungen gelernt, dass es schwach war, sich der Rache hinzugeben. Es war schwach die angesammelte Wut und den verlockenden Zorn in dunklen, verächtenden Schwaden aus unseren Körpern gleiten, und ihn ungenau und völlig unkontrolliert in gellendem Hass entweichen zu lassen. Dort wo er nur uns selbst befreite, den angestrengten Körper erleichterte und am Ende für nichts als eben jene Schwäche stand. Und das, obwohl wir schon zu Genüge, von allen Seiten davon umgeben waren. Fragile Bänder von alten Bündnissen, die dem zu geringen Glauben an Alatar zum Opfer gefallen waren, falscher Stolz, der die starke Reihe eines unerschütterlichen Heeres gebrochen hatte, einer Reihe die unbrechbar hätte sein sollen. Zitternde Hände, die es gewagt hatten, ihre Schwerter gegen ihre Schildbrüder zu erheben, widerlich, feige und wieder.. schwach! Streiter, die sich gegen ihren Anführer gestellt hatten, der höchsten Instanz Vaters auf Erden, nur um sich dann im falschen Licht des Stolzes und des Rechtes zu sonnen, wie die Geier aus dem Osten, nicht einen Wimpernschlag an das Große und Ganze gedacht, den Blick allein und fokussiert nur auf das eigene Wohl gelegt. Den Kopf so hoch getragen, dass sie in jedem Augenblick stolpern würden, ohne den Felsen vor ihrer Nase jemals auch nur zu erhaschen.

    Ich war mir nicht sicher, ob sie auch nur ahnten, dass sie sich am Ende nur selbst geschadet hatten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich ihres Fehler bewusst waren, lag bei Null. Wie so oft. Sie hatten die Schneide in ihr eigenes Fleisch und gleichsam in ihre Verbündeten gebohrt, darauf beharrend, dass es ihr Recht war, und sie sich und ihrem Volke etwas gutes tun würden. Doch weit gefehlt. Sie hatten unserem Volk ermöglicht seinen eigenen Weg zu gehen, sie hatten ermöglicht, uns ihrem Gefüge zu entziehen - uns weder an ihre Befehle, noch an ihre Hierarchie zu binden oder ihnen zu gehorchen. Sie hatten uns die Überlegenheit überlassen, selbst und allein für uns zu entscheiden, wann wir halfen und wann nicht, wann wir unser Blut für eine Sache gaben oder unsere Reihen verschonten, wann es sich lohnte ihnen in Schlachten zur Seite zu stehen oder es mehr brachte einen eigenen Plan zu verfolgen. Und so hatten wir in der Schlacht um Schattenwinkel einfach nur dagestanden und auf die Befehle unseres Bruders gewartet, denn diese waren die einzigen, die für uns zählten. Die süßen Worte der Andacht, das klebrige Getue, dass man sich freue unsereins in seinen Reihen zurückbegrüßen zu dürfen, sickerte durch meine Ohren wie Wasser durch offene Hände - denn wir waren keinesfalls zurück und allenfalls zur Hilfe gekommen, weil wir uns selbst vor dem Nichts zu verteidigen hatten - vor allem jedoch, hatten wir nicht vergessen. Wir waren gekommen um dem Vergessen Einhalt zu gebieten, denn nichts wäre je ein größerer Feind gegenüber der zu erreichenden Perfektion und der Entwicklung. Wir waren gekommen um unseren Verbündeten zur Seite zu stehen und ihre Rücken zu stärken, wie es schon immer der Fall gewesen war. Diesen, die schlauer gewesen waren als die Anderen. Kindern der Glut, genauso unabdingbar mit ihrem Glauben verbunden wie wir es waren, Diener des Raben, treue Gefolgschaft eines einstigen Dämons, und dies musste man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen.

    Unsere Haltung glich derer Statuen, die nur darauf warteten, dass ihr Erzlethyr sie mit einer Aufgabe aus der Starre befreite und dennoch, wenn ich die Reihe entlangsah, so wusste ich um einen jeden von ihnen als mein eigen Blut. Niemand unter ihnen würde jemals straucheln, denn unser Dasein würde ewiglich auf dem Vertrauen untereinander, dem Glauben an unseren Schöpfer und unserer Gemeinschaft gründen. Daraus dass wir stetig voneinander lernen und uns fortentwickeln würden, neue Bündnisse innerhalb unserer Reihen eingingen, neue und reine Streiter für Vater schufen, einen neuen Schildbruder ausbildeten, jemand anderen dazu befähigen würden zu führen, zu lehren, zu schulen und dennoch immer mit einem Messer hinter seinem Rücken zu stehen, um ihn zu schützen - nicht um darauf einzustechen. Ich sah sie alle, ob jung oder alt, ob vertraut oder neu - und ich hätte für jeden von ihnen mein Schild erhoben. Aron'deryl, unser aller Meister - der Letharf mit dem ich die meiste aller Zeiten verbracht hatte, der mich geschult und über alle Maßen gelehrt hatte was es hieß, ein Lethar zu sein. Ryl'xarul, welcher mir noch immer treu und wortlos überall hin folgen würde und an meiner Seite stand. Pha'raundarr, welcher es gewagt hatte meinen Letharfen ersetzen zu wollen und dem ich dennoch voller Respekt entgegensah, obwohl ich das Recht gehabt hatte ihn dafür zu strafen. Lyohr'thar, das Weibchen welches noch viel härter als alle Letharfen ausgebildet werden würde und auch die anderen Gesichter. Jyn'drarr, welcher zwar nicht in unserer Reihe stand, welcher aber Tage damit zugebracht hatte ein brennbares Gift zu mischen, Mory'tael, selbst kurz vor dem Verfall jederzeit bereits sich für Vater in den Kampf zu begeben, Zur'xeyl, Mykarr'niz, Ix'yxul, Zryz'thryl und Tzirk'hazak. Und auch den hellen Helm meines einstigen Gefährten sah ich kurz in dieser Reihe aufblitzen, denn noch immer trug ich sein Blut in einer Kristallphiole um meinen Hals. Gleich wie befähigt oder ungeschult ihre Hüllen waren, sie alle hatten den Aspekt Ser'thors bereits tief in sich erkannt. Sie würden kämpfen oder sterben, sich jederzeit vollends aufopfern um Seinem Weg zu folgen. Eine andere Alternative gab es in unseren Reihen nicht, niemals. Und wir taten es gemeinsam.







Zuletzt bearbeitet von Anwa'qulae am 13 Jun 2021 09:45, insgesamt 3-mal bearbeitet
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Anwa'qulae





 Beitrag Verfasst am: 21 Jun 2021 11:11    Titel: Lavendelstein
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    So kann ein Wiedersehn sein,
    dass Augenpaare tief einander messen.
    Lang, lang ist's her,
    und doch war nichts davon vergessen.


    Aus "Alles hat ein Ende"


    Ich hatte schon viele Jahre in diesem Axorn verbracht, ich war hier gewachsen, erstarkt und hatte mich entwickelt. Ich hatte Geschwister kommen und alte Geschwister gehen sehen - ob sie nun in ein anderes Nest oder zu Vater zurück gegangen waren. Ich hatte mich an sie gewöhnt, gelernt ihnen zu vertrauen oder war Verbindungen eingegangen, die uns gegensätzlich als nützlich erschienen. Wir alle würden immer wieder laut aussprechen, dass Letharen anders waren. Wir fühlten dieses Menschenleid Schmerz nicht so wie sie es taten und dennoch, einige von uns hatten mehr mit ihren menschlichen Zügen zutun gehabt als andere, nicht das ich mich diesen Geschöpfen noch einmal nah fühlen wollte. Es gab einen Grund wieso ich mich nicht mehr im Tempel an der Oberfläche blicken ließ, einen Grund dafür, dass ich ihnen nicht mehr wie damals, ihre Hinterteile hinterher trug, einen Grund dass ich ihnen nicht mehr traute. Sie hatten uns betrogen und dieser Bruch würde noch sehr lange Zeit und sehr schwer wiegen. So war das Leben, man verlor Verbündete, ob Mittel zum Zweck oder wahrer Vertrauter und am Ende blieb uns nichts anderes übrig als damit zu leben und danach zu handeln, denn wir selbst hatten überdauert, waren stärker daraus hervorgegangen und hatten weiterzumachen.

    Die Situation im Axorn wurde mit jedem Mal angespannter, dort wo an der Oberfläche gerade wieder Ruhe eingekehrt war, wackelten und tanzten die Stalagmiten und Stalagtiten von gegenüberliegenden Seiten und nahmen die Vibrationen der Erdbeben an. Ich hatte den Überblick verloren, welches Getier hier sein Unwesen trieb, ein riesiger Wurm mit seltsamen, robusten Eiern, irgendwelche Tentakelwesen oder doch die langen Schatten, die schon zu lang in den Untiefen der Lavagrube gefangen blieben? Wie es schien hatten die fragwürdigen Wesen sich zusammengerottet, was auch immer es für sie zu erreichen galt. Fest stand, dass wir nicht mehr lange im Axorn verweilen konnten. Niemand wusste wo dieser Wurm seine Wege gegraben hatte, wie brüchig die Erde über und unter unseren Köpfen am Ende eines Tages verblieb. An diesem Abend jedoch, waren wir in fragwürdiger Entscheidung in einen dunklen und langen Tunnel gestiegen, welcher irgendwo am Ende des Ganges ein Licht zeichnete, oder war es nur ein Schein von Augen gewesen? Ein harter und steiniger Weg, der viel für uns bereithalten sollte, wie sich später am Abend herausstellte. Denn auch wenn der Gang in einer vorläufigen Sackgasse endete, hatten wir uns an einer Statue wiedergefunden, die einem der unseren nachempfunden worden war. Es dauerte einen Moment, ehe die magische Barriere um das kleine Labor gefallen war, dann fand ich mich jedoch schneller als gedacht vor dem Abbild wieder und betrachtete es eingehend. Ein Ring unseres Volkes, Kleidung mit einem nachempfundenen Siegel, bekannte Züge.
    Vertrautheit, war es mir sogleich durch den Kopf geschossen, als ich einen Blick in die leeren Augenhöhlen und das Gesicht des Steingebildes geworfen hatte. Ich hatte das steinerne Auge bereits von Außen erblickt und nur wenige Momente später gab die Erzlethra den fliederfarbenen Edelstein an mich weiter. Der Drang, ihn zu meiner rechten Seite in die leere Augenhöhle zu setzen überkam mich, als wäre es eine natürliche Bewegung meinerseits. Und genauso natürlich sog die Höhle den Lavendelstein in die Kuhle und drehte ihn einen Moment, ehe sich eine blasse Iris darin abzeichnete. Zuneigung, hallte es abermals in mir nach und ich wies die Lethra an, auch das zweite, wahrscheinlich farblose oder rötliche Auge zu suchen. Und siehe da, weit hinter einen Phiolenständer gerutscht, fand sie auch den zweiten, rötlichen Edelstein, welchen ich gezielt in die freie Augenhöhle setzte, wo er sich zu drehen begann, ehe er seinen Platz gefunden hatte. Dem Letharfen neben mir kam diese Gestalt scheinbar genauso bekannt vor wie mir, mit den unterschiedlich farbenen Edelsteinaugen jedoch, kam mir das Gesicht meines Bruders in den Sinn. Erkenntnis. "Es gibt nur zwei Letharfen, die mir bekannt sind, die diese Augenfarbe tragen", murmelte ich, eher zu mir selbst als zu meinen Geschwistern, denn ich war so gebannt von dieser Situation und meinem Gegenüber, dass ich vieles um mich herum begonnen hatte auszublenden. "Der eine ist der Ala'thraxor. Diese Farbe ist allerdings nur Teil seiner Augen, welche meistens giftig grün sind. Dies hier jedoch...", ich sah nachdenklich an den Zügen der Statue entlang und erfasste sowohl das rötliche als auch das Fliederauge, ehe ich unsere Geschwister besah und des Rätsels Lösung aussprach: ".. ist der Letherix Xen'draxol." Sicherheit. Das violette Edelsteinauge purzelte in seiner Kuhle herum und erfasste mich fest, als hatte ich soeben eine fest verschlossene Truhe geöffnet und den Schatz preisgegeben. Diese Erkenntnis wäre mir beinahe im Halse stecken geblieben.

    Mit den Geschwistern und der riesigen Fledermaus, welche die Statue wie ihr Eigentum an sich genommen hatte, schlugen wir uns einen Weg zurück und erst im Tempel des heimischen Axorns gab er unseren steinernen Bruder wieder frei. Gefangenen in der ewigen Starre blieb ihm an dieser Stelle nichts übrig, als ruhig zu verharren und darauf zu hoffen, dass wir eine Lösung fanden. Soviele fremde Gesichter, in einer solchen Situation musste es furchtbar sein und als ich einen kurzen Anflug von Angst in seinen Augen erkannte, zuckte ich zumindest innerlich zusammen.
    Verbundenheit. Ich hatte ihn tagtäglich gesehen und so wusste ich genau, was an diesem Bild ganz und garnicht nicht stimmte. Die Augenklappe und der Hut fehlten und so wies ich den Lethoryx an, in das rahalische Rathaus einzudringen und den Federhut, welchen ich viele Monde beim Eintreten gestriffen hatte, zurück in unseren Besitz zu bringen. Bei genaurer Betrachtung waren die Menschlinge es ohnehin nicht wert, dass ein Andenken unseres Bruders auch nur einen Tag länger in ihren Händen lag. Viel zu lange hatte er sich für sie bemüht, wenn man besah, wie schnell sie dieses Bündnis in den Dreck geschmissen hatten. Nachdem auch die Augenklappe am alten Platz festgebunden wurde, sah dieses Gebilde schon mehr nach unserem Bruder aus, wenngleich sie noch immer aus Stein war und der Lavendeledelstein hilflos herumirrte. Am liebsten hätte ich sie alle bis auf den Erzlethyren hinausgeschickt um ihn nicht zu überfordern, um meinen heimgekehrten Bruder nicht zu teilen, ihm etwas Ruhe zu gönnen, doch so liefen solche Sachen hier nich ab, und so rätselten wir gemeinsam weiter und ich versuchte mich von anderen Überlegungen abzulenken. Es fehlte eine Waffe in seinen Händen und nachdem wir viele Fragen und viele Versuche getätigt hatten, wussten wir immerhin, dass es sich um eine Pantherklaue aus dem Metall der Kieselfresser handelte. Doch wo war sie zurückgeblieben? Benötigten wir diese Waffe um seinen letzten lebendigen Zustand wieder herzustellen oder die dunklen Schwaden der Aura, des Fluches, zu brechen?

    Nachdem ein Teil der Geschwister den Tempel verlassen und ich den anderen Teil hinausgeschickt hatte um persönlich über unseren Bruder zu wachen, ließ ich mich in ungesehenem Moment am Boden vor ihm nieder. Was sollte es schon, er hatte mich in schlimmeren und deutlich jämmerlichen Zuständen gesehen, gesehen als mein Rücken ein Kunstwerk an offenen Wunden einer siebenschwänzigen Peitsche gewesen war, mich gesehen als ich am Boden gelegen hatte, gesehen als ich als Häufchen Nichts im Axorn angekommen war, er kannte mich - früher wie heute.
    Wissen. Und auch ich hatte ihn in schlimmeren Zuständen erblickt und des Nachts über ihn gewacht, wenn er selbst nicht dazu in der Lage war. Damals, als wir ihn aus diesem Erdloch gezogen hatten. Ich hatte ihn zusammen mit seiner damaligen Lethra gepflegt und behandelt, hatte Wunden genäht, die andere in ihrem Leben noch nicht einmal erblickt hatten. Hier am Boden vor ihm zu sitzen kam mir also alles andere als falsch vor. Zusammengehörigkeit. Eine Stille legte sich über den Tempel und schuf eine kleine aber gut erhaltene Blase aus Zweisamkeit. Nicht diese Zweisamkeit die man des Abends in den heimischen Höhlen teilte, sondern eine Zweisamkeit in der Vertrauen herrschte und etwas wie ein stummer Trost mitklang. Denn auch wenn er nicht antworten konnte, verbrachte ich noch Stunden damit ihm von den Geschehnissen in seiner Abwesenheit zu erzählen, dem Sturz und dem Verschwinden des Alkas, dem Bruch des Bündnisses, des Betruges der Menschlinge, dem Tod meines Letharfen, die Abwesenheit des Meisters. Und ich erzählte ihm diese Dinge nicht nur aus bloßer Höflichkeit, ich sprach mit ihm weil es mich beruhigte und mich von einem Gefühl befreite, welches hässlich an meinen Eingeweiden nagte und im Körper eines Letharen nichts zu suchen hatte. Schuld. Wie lange war er in diesen Gängen gewesen, wie lange hatte er in diesem Zustand verbracht ohne etwas zu Sehen, ohne reagieren zu können? Hatte er alles, was man mit ihm getan hatte bewusst miterlebt oder war er ebenso stumpfsinnig und taub wie dieser Stein gewesen? Und in all der Zeit hatten wir nicht mehr damit gerechnet, dass er eines Tages zurückkehren, geschweige denn noch leben würde. Bis ich eine Waffe aus meiner Halterung zog und sie auf meinem Schoß ablegte, verging einige Zeit des einseitigen Gespräches. Lediglich sein Lavendelauge lag wachsam, aufmerksam und musternd auf mir, wie es schon in früheren Zeiten der Fall gewesen war. Er war also definitiv dort drin und irgendwie.. bei Verstand. Hier würde ich also sitzen, die Klinge auf meinem Schoß, die Hände am Griff der Waffe abgelegt. Noch einmal würde mir dieser Fehler nicht passieren und solange er nicht auf sich achten konnte, würde ich es tun, wieder. Schutz.






Zuletzt bearbeitet von Anwa'qulae am 21 Jun 2021 11:24, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Anwa'qulae





 Beitrag Verfasst am: 24 Jun 2021 20:17    Titel: Notizen und Überlegungen
Antworten mit Zitat


    Wer sich nicht frei fühlt, kann nicht wachsen.
    Wer nicht wächst, entwickelt sich nicht.
    Nicht entwickeln heißt Stillstand.

    Stillstand bedeutet sterben.


    Aus "Alles hat ein Ende"



    Wie konnte man überleben, wenn man sich in einem Zustand der Stille, in einem Zustand des Stillstandes befand. Eine Starre des Seins, möglicherweise sogar eine völlige Taubheit des Verstandes und der Handlungen. Gewiss mochte es Geschöpfe geben, die einen solchen Verlauf als angenehm empfanden. Hier ein wenig ausruhen, da nichts hören, nichts sehen, nichts empfinden und nichts tun - und ja, auch ich hatte diese Momente manchen Tages herbeigesehnt, allerdings nur die, dass ich niemanden sehen und nichts empfinden wollte. Empfindungen machten uns schwach und boten eine breit gefächerte Angriffsfläche, dort wo ein jeder von uns stets versuchte oder bereits in Perfektion gelernt hatte, eine Mauer aus Wut und Stumpfsinnigkeit um sich herum zu errichten. Ich hatte einen langen Weg aus Fallen und Aufstehen und wieder Stürzen hinter mich gebracht, ich wusste was es hieß alles hinter diesem Wall aus Nichts einzuschließen, manche Dinge jedoch wollten selbst von einem Lethar gespürt werden. Wir waren zu seelenlosen Gefäßen erzogen worden, die dem Weg ihres Schöpfers unerbittlich folgten und ihn nie in Frage stellen würden, ihn niemals in Frage stellen wollten, weil wir an Ihn und uns glaubten. An dieser Stelle würde es nie ein Fragezeichen, sondern immer nur ein Ausrufezeichen geben - hieß das jedoch, dass wir Verbindungen zu anderen unserer Art oder auch ihren Verlust nicht fühlen sollten, gar durften? Das alles verschlingende, brennende Gefühl von Zorn, das brodelnde Gefühl in der Kehle, wenn es drohte überzuschwappen und uns schlussendlich zu dem machte, was wir waren. Ein Volk, dass aus seinem Schmerz und der erwachsenden Wut seine Konzentrationsquelle sog, wie der trockene Erdboden das Wasser vom Himmel. Wie konnte man also ertragen, wenn man nicht sprechen, nicht handeln, nicht reagieren und tatsächlich kein Stückchen an sich wachsen konnte? Ein Leben in völliger Einsamkeit, selbst wenn man in Gesellschaft war und irgendwann würde die Zunge sicherlich vertrocknen, wenn man nicht sprach.

    Ja, ich hatte in meinem bisherigen Leben keinen Stillstand erfahren. Ich war gestrauchelt, hatte mich jedoch niemals von meinem Weg Vater zu dienen abbringen lassen und war an ihm, nein für ihn, gewachsen. Ich hatte alles aufgesogen was ich hatte lernen können, hatte beobachtet und verstanden, mir das meiste davon allerdings selbst beigebracht. Ein Vorteil vielleicht, denn so würde ich nie in die Verlegenheit kommen etwas zu vergessen und ebenso wenig, mit meinem gesammelten Wissen in der Schuld eines anderen zu stehen. Nachdem ich einen Lethrixor vor dem Tempel damit beauftragt hatte den Letherix zu bewachen, hatte ich den Tempel für einen kurzen Moment verlassen und hatte Xen'tael gebeten mir die Kiste aus meiner alten Höhle zu bringen. Mehrere Kisten, die nicht nur Schätze aus meiner Feder sondern auch einen ganzen Schwung Waffen und Ausrüstung meines einstigen Letharfen bereithielten. Doch dies war nicht das Ziel meiner Suche, denn erst als ich den Sack mit meinen Büchern und Aufzeichnungen gefunden hatte, schob ich sie zum Bruder zurück und machte mich auf, wieder in den Tempel zu kommen. Dort auf dem steinernen Boden, abermals in den Schneidersitz niedergelassen, breitete ich meine Notizen, Bücher und Kritzeleien um mich herum aus, um sie zu besehen und zu studieren. Ich suchte nicht blind, nein, ich suchte nach den Schriftstücken des anderen Axorns und denen über das Thema Flüche.

    • "Flüche und Flüche brechen I & II" mit Kapiteln über den Blutfluch, den Objekt- und auch den Verbindungs- oder Seelenfluch.
    • "Das Ryal'axorns" mit Kapiteln über den verschollenen Erzlethoryx, meine Reise zum Tempel, den Mael'qil und ihren Meister.
    • "Die Seuche rund um den Splitter" mit Notizen über das Mael'rayat und den Ursprung der verdorbenen Geschwister im Ryal'axorn.
    • "Aufzeichnungen des Erzlethoryx Shir'kur'lor" mit Zeichnungen und Erläuterungen über den Tempel und das Axorn Rul'sil'tars.
    • "Rhad'il und der Mael'qil Zyd'arak" mit einer Zusammenfassung und Notizen zur Grabkammer.

    In groben Zügen erinnerte ich mich selbst an die Geschehnisse im anderen Axorn, daran welche Geschwister neben mir dem Meister gefolgt waren, um einen weiteren Splitter in unseren Besitz zu bringen und vor der Gefahr zu bergen. In meinen Schriften hatte ich allerdings auch die Einzelheiten festgehalten. Die Seuche, die bei Berührung der gallenartigen Tropfenwesen freigesetzt wurde. Geschwister die den Verstand verloren hatten, unberechenbar, angriffslustig und nicht mehr in der Lage zwischen Rang oder dem Wert einer Hülle zu unterscheiden. Sie alle waren verseucht worden und hatten nur noch ein Ziel in ihren Köpfen getragen - das Bruchstück des Mael'rayats zu erreichen. Höchstwahrscheinlich waren selbst die Tropfen erst durch die Nähe zum grünschimmernden Kristall vergiftet worden. Eine schwache Hülle, ein einziger Rotzfleck, der kaum mehr Widerstand besessen hatte als ein Taubenei und schon garkeinen eigenen Verstand, perfekte Gegebenheiten um zu verderben. So ging und würde es stets jeder Hülle gehen, die noch nicht geschult und erfahren genug war, sich dieser Waffe zu nähern. Wir hatten Xen'draxol befragt und durch die Regungen des Fliedersteines herausgefunden, dass er von Geschwistern unseres Volkes angegriffen worden war, Runenlosen, die ein ebenso gutes Opfer in den Händen des giftigen Splitters sein konnten. Eine meiner Überlegungen war nun, dass die Tunnel entweder zu nah an unseren drei Bruchstücken des Mael'rayats verliefen, oder das sich ein weiteres davon möglicherweise, wenn auch unwahrscheinlich, unmittelbar und völlig ohne Schutzbarriere in den Tiefen dieser Tunnel befand und einen mehr als negativen Einfluss auf die Jüngeren unter uns ausübte. Mir war bewusst wie weit hergeholt dieser Gedankengang war, dennoch hatte es mich stutzig gemacht, dass Geschwister aus unseren eigenen Reihen ihr eigen Blut angriffen und das gleich welchen Standes und welchen Alters. Herumsitzen und Däumchen drehen gehörte noch nie zu meinen Stärken und so würde ich eher eine Option mehr, als eine zu wenig in Betracht ziehen. Ich würde dies also vorerst im Hinterkopf behalten und mit dem Erzlethyren darüber sprechen. Und es fand eine Notiz an mich selbst auf einen Zettel.

    Während der Lavendelstein nicht aufhörte mich anzustarren, als läge ein Anker in meinem Dasein, schlug ich die nächsten Bücher auf und fuhr mit den Fingern über die getrocknete Tinte hinweg. Eigentlich brauchte ich diese Bücher nicht, aber manchmal war Papier geduldiger als der Kopf und so überflog ich die Zeilen, die sich tief in mein Bewusstsein gebrannt hatten und an denen ich schon seit Tagen vor und zurück überlegte. Mein erster und letzter Unterricht seitdem ich Junglethoryxae geworden war. Ich konnte die Stimme meines damaligen Lehrers noch in den Ohren rauschen hören, wie eine Stimme die von Zeit zu Zeit das Leben kommentierte und zu mehr Verstand oder Konzentration aufrief. "Was ist der Unterschied zwischen einem Fluch und einem Segen?", hatte der Lethoryx Tar'xyr uns gefragt und ich kannte die Antwort darauf früher wie heute, denn der Unterschied bestand noch immer im Widerstand des Zieles. Der innere Widerstand spielte die Hauptrolle in diesem Stück, denn gegen einen Fluch konnte jedes Geschöpf in verschieden ausgeprägter Form einen Widerstand aufbringen. Schätzte man sein Ziel falsch ein, war es zu stark, zu widerständig oder unser Opfer zu gering, würden wir stets einen Tribut in Form von körperlichen Schwächen zahlen, im schlimmsten aller Fälle den Tod. Doch wie gelang es überhaupt einen Fluch zu schaffen? Selbstredend suchten wir dazu eine Ebene mit Vater auf oder mit der Gottheit, an welche wir eben glaubten, eine meditative Form in welcher der Geist vom Diesseits entrückte und uns in völligen Einklang mit unseren Schöpfer bringen würde. Die höchste Intensität erhielten wir dann, wenn wir unseren Fluch über längere Zeit einwoben. Am besten dann, wenn unser Ziel durch Gespräche oder andere sinnestäuschende Situationen oder Hilfsmittel abgelenkt oder geschwächt war, denn dann war auch sein natürlicher Widerstand geringer. Zu unterscheiden galt es zu diesem Thema den Blutfluch, welcher all das einschloss, wozu ein Leben gefordert oder ein Blutzoll gegeben wurde, das Blut naher Angehöriger zum Beispiel - dann gab es noch den Objektfluch, wobei die Wirkung mit einem Objekt verbunden wurde, welches das Ziel dann bei oder an sich tragen würde. Etwas unscheinbares wie einen Ring, eine Kette oder auch anderes, das man täglich und allein nutzte. Zu guter Letzt blieb noch der Verbindungs- oder auch Seelenfluch genannt, eine Kette die zwei Seelen miteinander verband. Eine recht einfache Methode wenn man so wollte, denn alles was man seinem Wirt zufügen würde, würde auch dem Ziel zugeführt. Blut, Haare oder auch kanalisierte Schwächen wie Angst waren als Opfer geeignet, jedoch war es wichtig, dass der Wirt dieses Opfer des Ziels bei oder in sich trug. Umso stärker der Wirt, umso widerstandsfähiger die Seelenbindung. Außerdem würde hier niemand außer der Beiden den Tribut zahlen, hatte man sein Ziel zu stark eingeschätzt, eine Sicherheit für denjenigen, der den Fluch erschaffen hatte. All diese Flüche waren klerikal zu vernehmen und auch zu brechen, auf die ein oder andere Art, die Frage war nur, um welche Art Fluch es sich hier handelte. Wäre es ein Gegenstand, so bliebe er zu entfernen, wenn das Ziel jedoch versteinert war, sah diese Option schlecht aus. Hatte jemand eine Verbindung zu unserem Bruder geschaffen, so blieb uns die Möglichkeit den Wirt umzubringen um diese Kette zu zerschlagen. Was wir nicht vergessen durften war, dass dieser Fluch sowohl klerikal als auch magisch erschaffen worden war, womit mir unweigerlich auch das Erlebnis mit dem Mael'qil Zyd'arak in den Sinn kam. Wir alle hatten ihn gesehen, gesehen dass seine Essenz noch vorhanden war, der Verräter Rha'dil. Ob es sich dabei um eine Täuschung Vaters gehandelt hatte wusste niemand so genau, wir konnten uns jedoch gewiss sein, dass auch er zu Solcherlei in der Lage war.

    Ich überlegte still einige Stunden und auch die Nacht hindurch, machte mir Notizen um diese nicht sogleich wieder zu verwerfen. Ich saß einfach nur da, las, überlegte und schrieb. Ich wollte Xen' nicht in weitere Unsicherheiten stürzen, jetzt wo sein erster Halt die Beherrbergung im heimischen Axorn war. Fest stand jedoch, dass ich nicht locker lassen würde - es gab mehr Ideen, es gab noch viele viele Bücher und Schriften und meine Geduld war noch lange nicht am Ende angelangt. Zum Tagesanbruch fanden sich folgende Vermerke auf einem Zettel, welchen ich sicher in eines meiner Bücher gelegt hatte.

    • Möglicher Splitter des Mael'rayats abermals für verderbte Geschwister verantwortlich? - Aron'deryl aufsuchen
    • Blutfluch - welches Blut war verwendet worden und wer konnte uns eine Antwort darauf geben?
    • Objektfluch - welcher wäre ein geeigneter Gegenstand in diesem Fall?
    • Wo ist die Pantherklaue? - Fluch ebenfalls durch Kieselfresser möglich
    • Seelenfluch - wo war der Wirt und wie stark war er?
    • Wo ist Rhad'il abgeblieben?




Zuletzt bearbeitet von Anwa'qulae am 24 Jun 2021 21:06, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Anwa'qulae





 Beitrag Verfasst am: 30 Jun 2021 13:48    Titel: Der seidene Faden
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    Manch starkes Seil,
    ist in Wirklichkeit nur ein hauchdünner Faden.

    aus "Alles hat ein Ende"


    Dieses ganze Erlebnis war schwierig für mich einzuordnen. Die Beben, das Rieseln des Steines, das Brechen der Stalagmiten und das Leben, dass ich hier im Leth'Axorn gelebt hatte war von einen auf den anderen Moment ausgelöscht. Nach dem Tod meines Letharfen war nun auch das Ableben unserer Heimat gekommen. Und es schauderte mich, wenn ich überlegte, wie einfach dieser Stein zersprungen war und vor allem wie schnell, nachdem wir unseren Bruder in den Tiefen dieser Gänge gefunden hatten. Es war unnötig darüber nachzudenken wie wenig Zeit ihm geblieben wäre, hätten wir ihn nicht geborgen und schlussendlich befreit, und ebenso sinnlos sich vorzustellen wie schnell auch der Stein dieser Statue gebrochen wäre. Nachdem ich Tage und Nächte auf ein steinernes Abbild von ihm eingeredet hatte, glich es einer Wohltat die wohlbekannte, immer prüfende und reizende Stimme des Letharfen zu hören, eine vertraute Stimme, die ich mir zwar schon vor etlichen Jahren eingeprägt, dessen Fehlen aber den Eindruck erweckt hatte, als könne ich mich nicht mehr an ihren Klang erinnern. Doch mit dieser Errungenschaft war das Leth'Axorn mit den Resten unserer Lebenswege in sich eingestürzt. Gewiss zählte für einen Letharen nur das Kommende, das Fortbestehen und die Weiterentwicklung, doch an diesen Höhlen hatten die meisten meiner Erinnerungen gehangen. Niemand würde das Handeln Vaters je begreifen, Er hatte uns schon immer Dinge gegeben und in doppelten Teilen wieder zu sich genommen. Seine nie endenden Prüfungen um unsere Haltung bis zum Letzten zu strapazieren und zu sehen, wieviel wir auszuhalten im Stande waren und wer von uns am Ende noch Aufrecht stand. Es war kein materieller Wert den ich darin ausmachte, doch die Umgebung war es, die man mit den zugehörigen Momenten verknüpfte.

    Diese Höhlen, Tunnel und Gänge erinnerten mich an Erlebnisse mit meinen Geschwistern, wenngleich sie nicht ausschließlich positiver Natur waren. Das meiste davon hatte das einmal starke Seil meiner Geduld und meines inneren Widerstandes weiter und weiter aufgeribbelt. Sie alle hatten daran gezogen, gezupft, es angesengt oder mit einem Dolch daran herumhantiert, bis nichts als ein seidener Faden zurückgeblieben war. Ein Faden gleich einer Lunte, die bereits lichterloh brannte. Der blutrote Faden des Lebens, den jeder in sich trug. Und so fehlte manches Mal nur der Hauch eines Zutuns und unsere Fassade begann zu brechen, die dünne Hülle unserer Haut riss in feinen Narben auseinander und gab unschöne oder ungewollte Dinge frei. Ungeduld und ziellose Wut, Schwachstellen wie Verlangen, dem Verlieren im Schmerz oder unkontrollierte Rachegelüste. Ein gezielter Windstoß und ganze Wehrtürme stürzten in sich zusammen, ein wohl gesprochenes Wort und unser standhaft emporgezogener Schutzwall begann zu bröckeln. Das richtige Angebot aus entsprechenden Mündern und wir gaben unserem Verlangen nach, ließen uns von ihm in die Tiefen des Strudels ziehen und verführen, darin zu ertrinken. Ich konnte die triezende Stimme in meinen Ohren hören, die Wahrheit dessen über meine Haut kratzen spüren, den Geruch der sich auftuenden Möglichkeit förmlich riechen, ich fühlte den festen Griff der Wirklichkeit an meinem Leibe und den Kuss des Vergehens rau an meinen Lippen, oder war es doch eine mildernde Gabe, die sich wie ein Einhalt gebietender Finger mittig auf meinem Mund ablegen würde, um Gedanken und das Offensichtliche darüber nicht preiszugeben. Würde aus Zerstörung stets etwas Neues erwachsen und wenn ja, brachte auch neues Gemäuer die alten Erinnerungen zurück oder waren wir dazu verdammt sie irgendwann zu vergessen? Gleichwohl hatte ich gelernt, dass es hier nicht nur Schwarz und Weiß, sondern endlos viele verschiedene Graustufen gab. Man musste Altes nicht gänzlich aufgeben um Neues zu erlangen, schließlich wuchsen wir an und mit unseren Erfahrungen und dem gesammelten Wissen. Ausgelernt hatten wir erst, wenn all unsere Finger die gleiche Länge besitzen würden - ein endloses Spiel. Die Frage war ob wir uns, hätten wir einen Wunsch frei, mit einem einzelnen Finger zufrieden gaben oder doch die ganze Hand forderten, denn weniger war in unseren Augen ganz gewiss niemals mehr. Bescheidenheit würden wir zeitlebens den Menschlingen überlassen. Jeder für sich trug diesen einen, dünnen und losen Faden in seinem Inneren. Der eine war schneller zu lösen, am anderen musste man reißen wie am Kadaver seiner Beute, ehe man ihn sich um den Finger wickeln konnte. Setzte man diese Fäden unser aller Geschwister jedoch zusammen, wurde daraus ein starkes Geflecht aus zahllosen Stricken. Wir wollten keine Bescheidenheit, wenn wir stattdessen geeinte Stärke wählen konnten.

    Ich hatte in diesem Axorn von Allem das Beste bekommen. Die Narben die mein Körper trug glichen einem Gesamtkunstwerk aus Schulung, Erlebnis, Stärke, Fortentwicklung, Lehre und Strafe. Ich war meines Verstandes beraubt worden, um mich mit meinen Schwächen konfrontiert zu sehen, mich mit ihnen auseinanderzusetzen und mich gegen sie aufzulehnen. Ich hatte Kinder geboren, zwei davon waren aus brutalem Hass und der Gewalt eines unreifen Letharfen, eines davon aus dem tiefem Vertrauen einer Verbindung entstanden. Ich hatte in diesem Tempel gekniet bis ich meine Beine nicht mehr spürte, solange gelauscht bis meine Ohren hätten bluten müssen und ich hatte selbst zu Genüge Blut vergossen. Das meiner Geschwister, das unserer Feinde, mein eigenes und schlussendlich das meines Letharfen. An diesem Ort war ich Vater zum ersten Mal begegnet und hatte ein weiteres Zeichen davongetragen, welches ich stets wie ein Schmuckstück, statt einem möglichen Makel trug. Ich hatte Streitigkeiten im Bankturm erlebt, sich bekämpfende Männchen erblickt, Letharfen erfahren, welche Lethrae verabscheuten und ich erinnere mich sogar an einen Runenlosen, welcher die Frechheit besessen hatte mir durch das Gesicht zu lecken, obwohl er nichts als der Dreck unter meinem Stiefel gewesen war. Wo er nach diesem Erlebnis jedoch abgeblieben war, war ebenso schnell aus meinem Kopf, wie er aus meinem Blickfeld verschwunden, vielleicht hatte Zyd'arak ihn auch persönlich in die Lavagrube verfrachtet. Ich hatte mit angesehen wie der Meister den höheren Geschwistern höchstselbst das Essen weggenommen und es einer runenlosen Lethra mit Namen Anwa'qulae hingestellt hatte. Und ich hatte meine eigene Größe erkannt als ich die sprichwörtlichen Geduldsfäden in den Lippen meines Letharfen festgezurrt hatte, nur um im Anschluss daran eine brennende Besitzrune an meiner Hüfte zu verewigen. Zu guter Letzt und als wichtigster Aspekt jedoch, hatte ich all meine Erfahrungen mit meinen jüngeren Geschwistern geteilt. Eine einzelene starke Hülle machte schließlich kein ebenso starkes Volk aus. Eine runenlose und mikrige Lethra aus den Bruthöhlen war genau in diesem Axorn zu einer leidenschaftlichen und ehrfürchtigen Lethoryxae und Dienerin Vaters gewachsen. Leidenschaft war die Herrscherin vieler Augenblicke und sie würde kein Nein dulden, sie würde stets auf ein Ja bestehen. Ja, ich hatte von allem nur das Beste erhalten und war auch jetzt nicht bereit, geringeres zu akzeptieren. Wieso sollte man sich mit einem Wunsch zufrieden geben, wenn man auch den Ursprung des Wunsches haben konnte? Das Axorn war möglicherweise restlos verloren, doch nur ein jämmerlicher, rückfälliger Mensch würde glauben, immer wieder von Vorn beginnen zu müssen. Die Erinnerungen an all das Vergangene und Erlebte waren in unseren Köpfen verborgen und wir trugen sie gleichsam in und an unseren Körpern, sichtbar oder nicht. Man musste nicht sehen um daran zu glauben, es reichte, wenn man es fest und ohne Zweifel in sich trug. Und so würden wir ganz sicher nicht von Vorn beginnen, wir würden auf den Trümmern aufbauen.





Zuletzt bearbeitet von Anwa'qulae am 30 Jun 2021 14:50, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Anwa'qulae





 Beitrag Verfasst am: 05 Jul 2021 11:28    Titel: Feuer
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    Wenn es gelänge, Ketzer mit einfachem Feuer zu überwinden,
    so wären die Henker die gelehrtesten Heiler auf Erden.

    aus "Von feindlichen Briefen und tödlichen Präsenten"


    Ich hatte damit gerechnet, dass das Menschenkind mir nicht einfach nur irgendeinen Kasten Wein zukommen lassen würde, Gift war so vorhersehbar wie die Dunkelheit meiner eigenen Haut. Gemeinsam hatten wir den Inhalt des gelieferten Kästchens auseinander genommen, von Verzierung bis hin zu den verschiedenen Flaschen und dem Brief. Recht schnell war uns bewusst, dass das Buch das eigentliche Geschenk war, selbst die Menschlinge aus dem Osten waren nicht dämlich genug es nur mit verderbtem Wein zu probieren. Nachdem ich den Vorschlag, dass der Letherix es zuerst durchblättern würde, abgelehnt hatte, hatte ich die Handschuhe über meine Finger gezogen und das Buch entschlossen an mich genommen, den Buchrücken dabei an die Tischkante gelegt. Dies war eine Botschaft an mich, es gab keinen Grund einen Bruder vorzuschicken, der gerade erst wieder zu sich selbst zurückgefunden hatte. Ich hatte noch nie großes Mitleid mit meinen Geschwistern gehabt oder war zimperlich mit ihnen umgegangen wenn es um Wunden oder Strafen ging, aber ihn war ich nicht bereit bewusst zu verletzen und eine runenlose Made war nicht zu sehen. Viele unsagbar schlechte Gedichte über übliche Floskeln der Ketzer.. Licht, Tugenden, Ehre und die heilige Flamme. Doch was ich las glich keinem Gedicht, es klang eher nach einem Wunsch, einem Versprechen, gar einer Vorhersagung. Brenne hell in ihren Lodern, heiß zur Asche, heiß zur Glut. Brenne hell in ihrem Scheine, brenne, brenne.. brenne. Mit den dick verklebten Seiten im Hintergrund vermuteten wir eine Falle und in meinem Inneren pochte der Gedanke, dass es sich möglicherweise um etwas Feuerartiges handeln würde. Xen' schlug vor das ganze Buch in die Esse zu schmeißen, eine hervorragende Idee wenn man den Schutz der Lethoryxae vorsah, dieser Weg lag jedoch nicht in meinem Begehren und so war den Letharfen nichts übrig geblieben, als sich meiner Stimme unterzuordnen. Ich war nicht mehr die kleine Anwa'qulae von früher, ich hatte Gefühle wie Angst oder Furcht aus meinem Körper verbannt und so fanden wir uns nur wenige Momente im Hof der Zitadelle wieder. Die Letharfen hatten sich um mich geschart als hätte ich meinen Leib mit Honig beschmiert und sie wären die Ameisen, die nach und nach zum Ort des Geschehens aufschlossen. Die Nervosität war ihnen am Leib anzusehen und in ihren Stimmen zu hören. Der eine wollte es selbst tun, der nächste bot Schild und Helm, der Nächste sah vor, das Buch mit einem Stab öffnen. Ich lehnte all die Vorschläge ab und tat es nicht aus unwissender Dummheit sondern weil ich wissen wollte und neugierig war, was das Menschenkind sich für ein Schicksal für eine Lethra wie mich wünschte. Ich wollte es am eigenen Leibe erfahren, um am Ende meine eigenen Energien daraus ziehen und andere potentielle Reaktionen zu wecken.

    Ich hatte also Abstand zu meinen Geschwistern genommen, das Gesicht abgewendet und meine Finger hatten nach dem dicken, zusammenklebenden Einsatz des Buches getastet, um ihn umzuschlagen. Glut ruht still in sich. Entspannt strahlt sie. Sanft leuchtet sie. Feuer ist eine auf der Glut tanzende Flamme. Feuer ist lebendig, wild und unberechenbar. Feuer wird, Feuer ist, Feuer vergeht. Eine kleine Flamme lässt sich gut in Schach halten, doch es kommt der Zeitpunkt an dem sie Luft ansaugt und heller und heißer brennt als zuvor. Unkontrollierbar. Ich würde Recht behalten, denn sobald die Seiten umgeschlagen waren, sprang das im Buch beherrbergte Inferno in meine Richtung. Ich fühlte das Brennen an der Seite meines Halses bereits bevor ich reagieren konnte, das Feuer fraß sich unnachgiebig in meine Haut hinein und zerrte seine Nahrung voller Leidenschaft und ohne Unterlass, bis ich spüren konnte, wie ich und die Flammen von etwas bedeckt wurden, dass sich nach Ersticken anfühlte. Der dichte Stoff der Rettung klebte an meinen Wunden und sank in die geschmolzene Haut ein. Ich hatte flüssiges Wachs vor Augen, wenn man seinen Finger hineindrückte um zuzusehen, wie sich eine hauchdünne aber feste Hülle um den Finger bildete. Als ich wieder Luft bekam sah ich in die Gesichter der Letharfen und konnte die Erkenntnis meiner Verletzungen in ihren Augen erkennen. Davon abgesehen, dass das Feuer zwar gelöscht war, sich jedoch unter meiner Hülle festigte. Ohne darüber nachzudenken tastete ich nach den brennenden Stellen um eine kurze Erfassung meiner Wunden zu erlangen. Die linke Seite meines Kinns, die linke Halsseite, mein Ohr und auch konnte ich die Hitze an meiner Schulter spüren, dort wo meine Rüstung sich heiß hineingesengt hatte. "Diese missgestaltete Ausgeburt einer Hure!", war es mit berechnender Stimme aus meiner Kehle gedrungen und am Ende war es, wie die Brüder es gesagt hatten. Ich musste diesem Menschling im Grunde gratulieren. Nicht weil sie mich "überlistet" hatte, schließlich war ich mit der Gewissheit hinaus gegangen, dass dieses Buch eine Falle war. Ich musste ihr gratulieren, dass sie vom tugendhaften Weg ihres Glaubens abgekommen war. Es war der süße Geschmack eines heimlichen Sieges, denn ich hatte den Zorn in ihren Adern geweckt, sie so sehr getriezt, dass sie zu einem Rachemittel gegriffen, und sie so sehr umnächtigt, dass sie es nicht völlig Ideenlos getan hatte. Was sagte diese Tat der List über einen Gläubigen der Schwerthure aus? Ich war nicht nur eine einfache Templerin Vaters, ich wusste nicht nur um Seine Leitgedanken oder Seinen Hintergrund, ich hatte mich schon vor langer Zeit ebenso über die zweifelhaften Tugenden der Ketzer informiert. Mitgefühl, Ehre, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Opferbereitschaft, Geistigkeit und Demut. An welchem Punkt konnte man hier wohl die Leitgedanken Vaters einflechten? Rachsucht, Zorn und Hass.. Hinterlist, Intrigen und Schattenkunst. Eine interessante Wendung, die mich noch während der Wundbehandlung in verschiedene Gedanken zu Gegenschlägen investieren ließ.

    Die Letharfen um mich herum benahmen sich zunehmend seltsamer. Sie alle waren von gespannten Drahtseilen durchzogen, die man an diesem Abend durchtrennt hatte und die erbarmungslos und voller Schwung emporgeschossen waren, um dem nächstbesten Lebewesen zu schaden. Man konnte die Anspannung und das Keimen der Wut in ihren Augen erkennen, es am Knarzen ihrer Handschuhe oder in ihrer verkrampften Haltung erahnen. Kaum dass sie die Bläschen auf meiner breit gefächerten, nässenden Verbrennung erkannt hatten, rannen die grausamsten Pläne über ihre Lippen hinweg. Ein Augenschmaus sie dabei zu beobachten und festzustellen, dass man nicht nur meinen Ergeiz entfacht hatte, sondern auch in ihnen die junge Lohe eines neuen Zornesfeuers brannte. Hell, leuchtend, verzehrend. Das Weibchen hatte nicht nur mich verwundet, sondern auch die Letharfen mit denen ich schon vor vielen Jahrzehnten ein Band des Bündnisses eingegangen war. In dieser Nacht schlief ich nicht wirklich, stattdessen hatte ich mich in die Nähe des Letherix zurückgezogen und mich zur Ruhe neben ihn gebettet. Unter dem Vorwand einer weiteren Wundversorgung, sollte es in der Zwischenzeit wieder zu brennen beginnen, hatte ich ihm die Information seines Schlafplatzes abgerungen, doch geweckt hatte ich ihn nicht. Auf die rechte Seite meines Körpers gedreht würde er mein Augenmerk die Nacht über auf seinem Gesicht spüren, während ich überlegte, welchen der vielen geschmiedeten Pläne wir verfolgen würden. Ich ließ es brennen, ziepend an meiner Haut nagen oder heiß pulsieren, ich nahm die Empfindungen in mich auf und betrachtete jede zuckende Reaktion meiner Haut mit kurzer Aufmerksamkeit. Die Zeit würde kommen, schon bald.



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