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Dunkle Erinnerungen...
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Llynya Nemeton





 Beitrag Verfasst am: 05 Mai 2006 01:59    Titel: Dunkle Erinnerungen...
Antworten mit Zitat

Dunkelheit...
Leise knisterte das Stroh, als Llynya Nemeton sich mit offenen Augen auf ihrer Schlafstätte auf den Rücken drehte. Sehnsuchtsvoll seufzte sie in die Finsternis ihrer Kammer und versuchte sich zu erinnern wie sie nur in diese Situation gekommen war.
Erinnerungen...

Vater... Lavrans Nemeton entstammte dem Geschlecht, das man auf der kleinen Insel Skog, etwas westlich von Gerimor, die Lagmannssöhne nannte. Lavrans hatte sich bereits in jungen Jahren verheiratet; er war erst 19 Jahre alt gewesen, und er war zwei Jahre älter als seine Frau. Als Heranwachsender war er im Gefolge des Königs gewesen und hatte eine gute Erziehung genossen; aber nach seiner Heirat lebte er ruhig auf seinem Gehöft Maelienydd, denn Edmee, seine Frau, war etwas scheu und fühlte sich nicht wohl unter den Menschen östlich im Lande.
Im übrigen waren die Leute auf Maelienydd sehr geachtet und auch beliebt, hauptsächlich Lavrans, denn er war als ein starker und mutiger Mann bekannt, aber auch als friedliebend, ruhig und rechtschaffen, gleichmäßig in seinem Tun und Lassen, von höfischem Wesen; er war ein besonders tüchtiger Landwirt und ein großer Weidmann, sehr hitzig in der Jagd auf Wolf und Bär und alle Arten von Raubwild. Er vereinigte in wenigen Jahren viele Ländereien unter seinen Händen, aber er war ein guter und hilfsbereiter Hausvater gegen seine Pächter. Lavrans hatte schulterlanges blondes Haar und einen kurzen Bart. Seine Haut war braun und von Wind und Wetter gegerbt. Seine Augen jedoch waren von dunklem tiefen blau.
Von Edmee bekamen die Leute nicht viel zu sehen, waren sich jedoch darüber einig, dass sie die schönste Frau der ganzen Insel sei. Schön war sie immer gewesen, doch man sagte, dass sie an Anmut gewonnen hatte, da sie sich verheiratet hatte. Ihr Haar war schwarz wie die Nacht, ebenso ihre Augen mit einem stillen Leuchten darin. Ihre vollen und roten Lippen hoben sich deutlich von ihrer blassen Haut ab.

Llynya wurde in einer gewittrigen Nacht geboren. Lange hatte die zierliche Mutter in den Wehen gekämpft und man befürchtete, dass Edmee den Morgen nicht mehr sehen würde. So beteten Lavrans und alle Bediensteten des Hofes die ganze Nacht zu Temora für ihre Güte und wider aller Erwartungen erstarkte Llynyas Mutter und blühte unter dem Segen des Kindes vollkommen auf.

Mutter... Eine von Llynyas ersten Erinnerungen war das sanfte Gesicht ihrer Mutter, das liebevoll auf sie herabblickte. Ihre schwarzen langen Haare umrahmten ihr Gesicht und fielen auf sie herab. Ihre roten Lippen umspielte ein Lächeln. Ihre schlanken und blassen Finger spielten mit ihren kleinen Händen.


Erinnerungen...
Abermals seufzte Llynya in die Dunkelheit hinein, als sie sich des Gesichts ihrer Mutter erinnerte. Bald würde der Morgen dämmern und ein weiterer Tag der Demütigungen und Schmach beginnen. Sie rollte sich zur Seite und zog sich ihre Knie bis unter das Kinn hoch. Wie lang war sie nun schon hier? Zwei Jahre? Drei Jahre? Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Ihr früheres Leben mit ihren Eltern schien ihr viel kürzer zu sein. Die Zeit vergeht schnell, wenn man glücklich ist...

Rasch wuchs Llynya zu einem fröhlichen und glücklichen Kind heran. Ihre Haare waren ebenso nachtschwarz, wie die der Mutter, ihre Augen von demselben tiefen und dunklem blau, wie das des Vaters. In ihrem dritten Lebensjahr erhielt Llynya ihre Tätowierung in Form einer Schlange, die sich von ihrer Stirn bis hinab auf ihren Nasenrücken zog – das Zeichen der Familie Nemeton. Stunden spielte sie als Kind auf dem Hof und auf den Feldern mit den Tieren des Hofes, stets ein leises Lied und ein Lächeln auf den Lippen.
Tiere... Sie waren schon immer ihr Anker gewesen. In den sanften Augen einer Kuh, in den treuen Blicken eines Hundes, in dem selbstbewussten Willen einer Katze oder in den freien Gedanken eines Pferdes lag Llynyas Seele und Verständnis.


Erinnerungen...
Langsam wurde es heller. Llynya hasste die Dunkelheit und dennoch mochte sie diese um vieles mehr als das Licht des Tages. Licht bedeutete endlose Arbeit, der Geruch von Alkohol und Schmerzen. Sehr langsam richtete sie sich auf ihrem Lager aus Stroh auf und starrte in Richtung der Tür, wohl wissend, dass sie abgeschlossen war. Mit erschöpften Fingern zog sie sich die Schuhe an.

Alles hatte sich an einem Tag verändert. Ein Tag, der ihr zukünftiges Leben für immer auf den Kopf stellen würde. Der dunkelste Tag, der die scheinbar endlose Finsternis nach sich zog.
Llynya kehrte von einem Ausritt zurück. Sie war zu jener Zeit 13 Jahre alt. Mit Entsetzen erblickte sie eine schwarze Rauchwolke, die sich von Maelienydd wie eine Schlange in den Himmel wand. Ausgerechnet eine Schlange... Sie spornte ihr Pferd zu einem gestreckten Galopp an. Schreckliche Gedanken schossen ihr durch den Kopf. In ihrem Herzen wusste sie, dass es bereits zu spät war... Zu spät für ihre Eltern, ihren Hof, sie selbst, ihre Seele. Dennoch jagte sie in wilder Verzweiflung auf das Gehöft zu, Tränen liefen ihr aus den Augen. Schon von der Entfernung konnte sie die Verwüstung sehen, das Wohnhaus und die Felder standen in Flammen. Der Stall war aufgebrochen und viele ihrer Tiere lagen in einer Blutlache am Boden. „Vater... Mutter...“, immer wieder schrie sie nach ihnen, während sie dem Hof immer näher kam. Als sie das aufgebrochene Tor erreichte, sprang sie vom Pferd und rannte auf den Hofplatz. Nur das Knistern des Feuers war zu hören. Llynya eilte in Richtung des Wohnhauses und riss die noch nicht brennende Tür auf. Zum letzten Mal erblickte sie ihre Eltern. Beide lagen in einer dunklen Blutlache auf dem Boden, aus dessen Ritzen Feuer schlug. Lavrans hielt in seiner Rechten noch eine Axt umklammert, seine linke Hand umfasste die Hand seiner Frau Edmee. Sie waren bereits tot, ihre Gesichter entspannt und doch so fremd. Llynya schien es, als hätten sie ihre Körper verlassen und nur die leeren Hüllen zurückgelassen. Llynyas laute Schreie hallten über den Hof, das Feld, bis zum nahen Wald. Das Feuer griff nach ihrem Rock und sie wünschte sich nichts sehnlicher als nun in diesem unterzugehen. Ein Balken stürzte in den Raum und versperrte ihr die Sicht auf ihre Eltern. Sie wollte zu ihnen, bei ihnen sein, neben ihnen sterben. Gerade als sie das Haus betreten wollte, spürte sie einen harten Schlag auf den Hinterkopf. Dann Dunkelheit...


Erinnerungen...
Eine einsame Träne rann Llynya über die Wange und tropfte von ihrem Kinn, als sie ihrer Eltern gedachte. Das war nun über drei Jahre her... Der Tod ihrer Eltern war tragisch, aber nichts hatte sie darauf vorbereitet, was folgen sollte. Ein Sonnenstrahl fiel durch ein Loch in der Wand und traf auf ihr Lager auf Stroh, wo er zu einem goldenen Stern in dem düsteren Zimmer wurde.

Als es wieder heller wurde und sie die Augen öffnen konnte, spürte sie zunächst nur den Schmerz in ihrem Kopf. Er dröhnte, pochte und brannte. Dann nahm sie langsam Schemen um sich herum wahr. Ein düsteres Zimmer... ein Hocker... eine Tür. Es dauerte noch einige Minuten ehe sie es schafft ihren Oberkörper in eine aufrechte Position zu bringen ohne, dass sie vom Schwindelgefühl übermannt wurde. Dann blickte sie sich langsam in dem dämmrigen Raum um. Sie lag auf einem muffigen Strohlager am Boden, der Boden selbst war nur festgetretene Erde. Die Wände bestanden aus Holzbohlen, die allerdings recht stabil auf einige Holzbalken genagelt waren. Fenster hatte der Raum keine. Auf dem kleinen dreibeinigen Hocker lag eine Scheibe Brot und ein Krug Wasser. Schnell lief Llynya zur Tür, nur um nach dem plötzlichen Aufstehen kurz davor zusammenzubrechen und nur noch bunte Punkte vor ihren Augen tanzen zu sehen. Sie griff blind nach der Türklinke. Verschlossen... Wer hatte sie in dieser Kammer eingeschlossen? Was war nur geschehen? Sie legte ihr Gesicht in die Hände und begann übermannt von der Erinnerung an die letzten Geschehnisse zu schluchzen. Sie weinte so lange bis sie keine Tränen mehr in sich hatte und ihr schlecht wurde. Dann rollte sie sich am Boden neben der Tür zusammen und schlief vor Erschöpfung wieder ein.
Das nächste Mal wurde Llynya von einem unsanften Tritt in die Seiten geweckt. Als sie die Augen öffnete, sah sie ein paar schwere Stiefel, in welchen eine abgenutzte braune Hose steckte. Und es stank nach einer widerlichen Mischung aus Schnaps, Bier und Wein. Langsam blickte sie an der Person hoch. „Hör mir gut zu, Gör! Ich hab dein Leben gerettet und wennste hier brav arbeitest, kriegste auch was zu essen dafür, hörste mich?“, sprach er in einer tiefen, lallenden Stimme. Das braune Hemd war ebenso abgenutzt wie die Hose und spannte sich über einen mächtigen Bierbauch. Der Mann war wohl um die 50 Jahre alt mit einigen tiefen Falten im Gesicht. Ein dichter Bart umrahmte seine wulstigen Lippen. Seine braunen Haare lagen in fettigen Strähnen an seinem Kopf. Ängstlich blickte Llynya zu jenem Mann, der wie sie erst sehr viel später erfuhr Tikus Fanion hieß, hoch. Jener zerrte sie auf die Beine und schleppte sie nach draußen. Llynya erblickte einen ungepflegten Hofplatz, einen zerfallenden Stall und einige verkümmerte Tiere auf nackten Weiden. Die Felder waren unbestellt und es stank. „Hier haste ma was zu tun, Gör!“, fuhr der Mann sie an und mit diesen Worten machte er sich auf Richtung Veranda, wo er sich mit einer Flasche Schnaps hinsetzte und sie beobachtete. Llynya begann zu arbeiten...
So ging es nun Tag um Tag. Sie wurde aus dem ehemaligen Geräteraum gezerrt, arbeitete den ganzen Tag und wurde am Abend wieder darin eingeschlossen. Niemals wurden ihre Fragen beantwortet, was denn in Maelienydd geschehen war, was sie denn nur verbrochen hatte... Fragte sie zu lange, oder arbeitete nicht soviel oder so gut wie Tikus Fanion es wünschte, oder hatte er auch nur einen schlechten Tag hagelte es Schläge. Am Schlimmsten war jedoch der immerwährende Gestank von Alkohol, der von Tikus Fanion ausging und sich scheinbar in alles, was er berührte oder nur ansah, einsog. Jeden Abend weinte Llynya sich in den Schlaf, nichts verstehend, alles vermissend.
Im ersten Jahr durfte sie sich niemals außerhalb seines Blickfeldes aufhalten, aber nachdem sie ihm immer gehorsam folgte und nicht mehr widersprach, gestattete er ihr eines Tages mit ihm die Ruine des Gehöfts Maelienydd zu besuchen, damit sie um ihre Eltern trauern könnte. Langsam ging Llynya auf ihre Vergangenheit zu, die wie das Haus in dem sie gewohnt hatte, zu einer Ruine aus verkohlten Balken bestand. Tikus war zurückgeblieben, sie spürte aber seinen Blick auf ihrem Rücken. Sie fühlte noch die heiße Asche auf ihrem Haupt, als sie vor der ehemaligen Schwelle niederkniete und zu Temora für die Seelen ihrer Eltern betete. Von ihnen war jetzt wohl nicht viel mehr übrig als Staub und Erde. Die Körper zerfallen, wie Häuser zerfallen, aus denen die Menschen fortgezogen sind. Sie dachte an ihre lieben Toten – an deren Mienen und deren Stimmen und Lächeln und Gewohnheiten und Tun und Lassen –; sie selbst waren in jenes andere Land hinübergegangen, es war so schmerzlich, an ihre Gestalten zu denken; es war wie die Erinnerung an das eigene Heim, wenn man wusste, dass es jetzt öde stand und dass die verfaulenden Balken zusammenstürzten. Lang kniete sie dort und hielt ihre Gedanken an Bilder des Todes und an den Verfall zeitlicher Dinge. Und sie vermochte nicht, ihre Seele so weit zu erheben, dass sie einen Schimmer jenes Landes erblickte, wo die Toten waren, wo alle Liebe, Güte und Treue schließlich hinfloss und währte. Ihr aber halfen auch die Gedanken daran nicht. Ihr war, als müsse, wenn ihr müder Leib endlich unter einem Stein verfaulte, immer noch ihre unruhige Seele irgendwo in der Nähe umherflattern, so wie ein unseliges Gespenst klagend um die zusammengesunkenen Häuser dieses öden Hofes irrt. Wenig später kam Tikus und zerrte sie zurück auf seinen Hof.


Erinnerungen...
Wütend ballte Llynya eine Hand zur Faust. Wie sie diesen Mann hasste, diesen nach Alkohol-stinkenden, brutalen und widerlichen Sack! Alle Fluchtversuche waren vergeblich gewesen, hatte er sie doch immer wieder eingefangen und anschließend verprügelt.
Schon hörte sie seine schweren Schritte auf dem Platz draußen immer näher kommen. Unendlicher Hass... Ein Riegel wurde zurückgeschoben. Unendlicher Hass... Die Tür wurde geöffnet und sie sah seinen Schemen gegen das Licht der aufgehenden Sonne. Unendlicher Hass...
„Nun, heut issn ganz besonderer Tag, Gör!“, brummte er. Eine Schwall von Alkoholgeruch schlug Llynya entgegen. „Nachdem du ja heut 17 Jahre wirst, biste ja alt genug dirn Mann zu nehmen.“ Er machte eine kurze Pause, in der sich Gedanken im Llynyas Kopf überschlugen. „Mich.“ Breit grinste er sie an. Das konnte doch nicht... Wie immer packte er sie am Handgelenk und zerrte sie aus dem kleinen Hüttchen. Doch anstatt sie wie sonst immer in Richtung Scheune zu ziehen, schlug er den Weg zu seinem Wohnhaus ein. Panik keimte in Llynya auf. Sie begann zu weinen, zu schreien... Es half nichts. Unerbittlich hielt er in einem eisernen Griff ihr Handgelenk umklammert. Er schleifte sie über die Stufen, die zur Schwelle führten. Weiter schleifte er sie durch den dreckigen Flur in sein Schlafzimmer. In dem Haus war der Gestank des Alkohols noch viel schlimmer. Im Schlafzimmer angekommen, warf er sie aufs Bett und machte sich an seiner Hose zu schaffen. Irgendeinen Ausweg suchend, durchsuchte Llynya das Zimmer mit Blicken. Wenn ihr nur nicht so schlecht wäre... Tikus packte sie und zerriss ihr Hemd. Llynya schrie auf und hielt die Hände vor sich. Da! Neben dem Nachtkästchen blitzte etwas... ein Messer! Er packt ihren Kopf und drückte seine Lippen auf die Ihren. Llynya meinte, sie müsse sich übergeben. Mit der Hand tastete sie den Boden ab, immer wieder entglitt das Messer ihren Fingern. Tikus riss sich das Hemd vom Leib und warf sich auf sie. „Das gefällt dir, was?“, keuchte er. Ihre Hand schloss sich um den Griff des Messers. Unendlicher Hass... Sie riss ihren Arm nach oben und stieß zu. Das Messer bohrte sich tief in seine Schulter. Llynya konnte seinen ungläubigen Blick sehen. Er fiel zur Seite und sah sie an. Llynya zog das Messer wieder heraus. Unendlicher Hass... Der Geruch... Wieder rammte sie das Messer in seinen zuckenden Körper. Unendlicher Hass... Der Geruch... Seine Hände... Sie riss das Messer heraus und stieß es wieder in ihn hinein. Unendlicher Hass... Der Geruch... Seine Hände... Extase... Wieder und wieder fuhr das Messer in seinen Körper. Sein Blut benetzte ihre Kleider, ihre nackte Brust, ihr Gesicht. Noch nie hatte Llynya sich so frei gefühlt! Als sein Blick brach und seine Seele schwand, sah sie ihm in die Augen. Einige Minuten saß sie nur da und blickte auf seine Leiche, während sein Blut ihren Körper hinablief. Dann fiel sie vom Bett und übergab sich. Von Krämpfen geschüttelt taumelte sie aus dem Haus. Was hatte sie nur getan? Am Hofplatz verlor sie das Bewusstsein.
Sie erwachte am Abend. Die Sonne ging gerade unter. Langsam richtet sich Llynya auf. An ihren Händen, an ihrer Kleidung, überall auf ihrer Haut klebte sein getrocknetes Blut. Es schien sich durch ihre Poren in sie hineinzusaugen. Abermals übergab sie sich. Dann sprang sie, noch immer von Krämpfen geschüttelt und von dem Entsetzen über ihre Tat aufgeschreckt, auf und begann zu rennen. Über die Felder, über die Wiesen, durch den Wald rannte sie und konnte nicht anhalten bis es vollkommen dunkel war. An einem kleinen Weiher im Wald brach sie keuchend zusammen. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, sah nur Tikus brechenden Blick. Irgendwann schlief sie ein und wurde von Alpträumen geplagt, durchlebte immer wieder Tikus` Ermordung. Am Morgen erwachte sie mit zerschlagenen Gliedern und einem kranken Geist. Sie ging in den kleinen Weiher und wusch sich mehrere Stunden bis sie das Gefühl hatte, sein Geruch, sein Blut würden nicht mehr an ihrem Körper haften. Sie wusste nicht, was genau mit ihr geschehen war, sie wusste nur, dass sie weg musste, weg von diesem Geruch, diesem Ort, dieser Insel. Irgendwo neu anfangen und um Vergebung bitten... wen auch immer! Sie machte sich auf den Weg. Einige Tage irrte sie herum bis sie eine Hafenstadt fand. Der Kapitän gewährte ihr für die Überfahrt statt zu zahlen, das Schiffsdeck zu schrubben und zu kochen. Das machte Llynya nichts, sie war Schlimmeres gewohnt. Auf dem Schiff, wenn der salzige Geruch des Meeres ihr ins Gesicht schlug, fühlte sie sich frei und nicht mehr so krank. Dennoch lag immerwährend ein dunkler Schatten auf ihrer Seele und ihrem Geist. Vielleicht wäre es doch besser gewesen in dem Feuer zu vergehen...
Bereits wenige Tage später legte das Schiff in Bajard an und Llynya setzte das erste Mal Fuss auf Gerimor, ihre Gedanken immer bei den Erinnerungen...
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Llynya Nemeton





 Beitrag Verfasst am: 21 Mai 2006 01:20    Titel:
Antworten mit Zitat

Der erste Schritt... Auf eigenen Füßen in das Küstendorf von Bajard.

Erinnerungen...
Genau vermochte sich Llynya Nemeton daran zu erinnern und ein zaghaftes Lächeln wanderte über ihre Lippen. Langsam ließ sie sich auf den großen Stuhl der Terrasse nieder und sich den frischen und von Düften erfüllten Wind des Frühlings um die Nase wehen. So viel war geschehen seit sie diesen ersten Schritt getan hatte, so vielen freundlichen Menschen war sie begegnet und hatte sie kennen gelernt...

Ängstlich war sie gewesen, allein und verschüchtert. Vor Jedem hatte sie Angst gehabt, vor Jedem war sie zurückgeschreckt. Und die Gedanken an das, was sie getan, was ihr widerfahren war, verfolgten sie. Keine Nacht konnte sie schlafen, und wenn sie doch einmal Schlaf fand, wurde sie gequält von Albträumen. Sie hatte im Wald gelebt. Zu dieser Zeit war es noch deutlich kälter gewesen, aber alles war besser als das, wo sie zuvor gewesen war. Sie verdiente sich etwas Gold für ihr Essen, indem sie im Wald Holz schlug und dieses verkaufte.
Viele Menschen hatte sie kennen gelernt und doch waren es nur einige Persönlichkeiten, die ihr besonders in Erinnerung geblieben waren. Jene, die besonders freundlich gewesen waren oder sie auf andere Art unterstützt hatten. Vielleicht ohne, dass diese es wussten...
Lukan. Llynya war ihm in Bajard begegnet, als sie mal wieder kein Gold für Essen hatte und hungerte. Er lud sie zu sich ins Haus ein und gab ihr zu essen. Aber was viel wichtiger war: Er redete mit ihr wie man mit einer Erwachsenen redete. Sie sprach mit ihm über den drohenden Krieg und den Glauben. Er erzählte ihr von der Macht der Natur und seiner Berufung. Gebannt lauschte sie seinen Worten und dankte ihm in Gedanken tausende Male für diesen Nachmittag...
Thancred. Wahrscheinlich würde er sich ihrer nicht mehr erinnern, aber sie würde nie wieder vergessen, welche Güte er ihr erwiesen hatte. Sie war ihm einige Tage nach ihrer Ankunft auf Gerimor in Varuna begegnet. Er hatte einen Marktstand gemietet und sah auf als Llynya all die schöne Dinge betrachtete, die er anbot, und doch wusste, dass sie sich nichts davon leisten konnte. Er schenkte ihr eine Sichel und eine Sense, als er erfahren hatte, dass sie Bäuerin war... Bäuerin ohne Hof und Tiere! „Irgendwann wirst du es sicher brauchen...“, hatte er gesagt. Weniger die Sichel und die Sense waren es, die ihr neuen Mut gaben, als vielmehr die Geste und was sie für Llynya bedeutete...


Erinnerungen...
Llynya schloss zufrieden ihre Augen und ließ diese Ereignisse nochmals vor ihrem inneren Auge ablaufen. Dann hatte eine ganz besondere Begegnung stattgefunden...

Llynya war einmal wieder durch den Wald gelaufen, als sie ein leises Geräusch vernahm. Ein Jaulen... Sie folgte dem Laut. Dort auf einer kleinen Lichtung saß ein großer brauner Wolf und leckte unablässig seine Pfote. Vorsichtig ging sie auf das Tier zu. Der Wolf wand den Kopf und begann zu knurren. „Ganz ruhig, mein Lieber...“, meinte sie leise und streckte ihm sehr langsam und vorsichtig eine Hand hin. Der Wolf betrachtete sie und ihre Hand mit seinen gelben Augen. Einige Zeit verstrich ohne, dass sich einer der beiden rührte. Die Sonne versank langsam hinter dem Horizont und tauchte den Wald in rötliches Licht. Schließlich erhob sich der Wolf und ging zu ihrer Hand. Noch etwas misstrauisch sah er zu ihr auf und Llynya konnte das Feuer der wilden Freiheit in seinen Augen leuchten sehen. Dann senkte er den Kopf und begann an ihrer Hand zu schnüffeln und nachdem wiederum einige Zeit vergangen war, leckte er ihre Hand ab und setzte sich schließlich neben sie. Dort saßen Llynya und der Wolf die ganze Nacht und es wurde dunkel und hell um die beiden. Am Morgen hatte der Wolf seinen Kopf in ihren Schoß gelegt und wärmte ihre durchgefrorenen Beine. Als die Sonne wieder höher am Himmel stand, entfernte sie dem Wolf den Dorn aus der Pfote und gemeinsam wanderten sie seitdem. Sie und Halao, ihr wilder Gefährte, der ihr freiwillig folgte.

Erinnerungen...
Llynya lächelte abermals. Doch dann war der Krieg gekommen. Viel hatte Llynya davon anfangs nicht mitbekommen. Rahal greift Berchgard an, sie werfen die Einwohner von den Mauern. Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie sich an die Geschichten erinnerte, die sie gehört hatte. Warum Krieg?

Etwas anderes hatte Thancred ihr noch geschenkt: Ein Silberkryss. Noch nie hatte Llynya ein Schwert besessen! Und auch noch nie eines geführt... So machte sie sich eines Tages auf, um sich in Varuna auf dem Übungsgelände daran zu versuchen. In solchen Zeiten musste man auf sein Leben achten! Als sie es erreichte, sah sie, dass dort bereits zwei Leute am Trainieren waren. Zaudernd betrat sie den Rasen des Geländes, Halao war an ihrer Seite. Kurze Zeit beobachtete sie die beiden, ein Mann und eine Frau. Vor allem die Frau bewegte sich so sicher und gekonnt, dass Llynya sie nicht mehr aus den Augen lassen konnte. Schließlich wand sich der Mann zu ihr um und grüßte sie freundlich. Er stellte sich als Mikhail Kalveron vor und verhielt sich ihr gegenüber fast übermäßig freundlich, sodass sich Llynya schon etwas unwohl fühlte. Schließlich drehte sich auch die Frau, die Llynya später als Kajol Kalveron kennen lernen sollte, um und schien über das Verhalten von Mikhail sehr erzürnt zu sein. Damals konnte Llynya das noch nicht verstehen...
Dies war überhaupt ein seltsamer Abend gewesen. Kurze Zeit darauf taumelte ein junger Mann auf den Platz und ließ sich in den Sand des Boxrings fallen. Entsetzt war Llynya zu ihm gelaufen und hatte sich neben ihn gekniet. „Wir haben verloren... Alles ist verloren!“, wiederholte er einige Male. Scheinbar meinte er den Krieg. Verloren? Einige Zeit diskutierten Mikhail und er über den Krieg. Halungar. So stellte er sich ihr vor. Eine große Narbe lief ihm über das Gesicht, doch Llynya wagte nicht ihn danach zu fragen. Damals konnte sie noch nicht ahnen wie eng sich ihr Schicksal verknüpfen würde und wie sehr er sie lieben würde... Er lud sie ein etwas mit ihm zu trinken und nachdem er erfahren hatte, dass sie allein im Wald lebte, bat er sie solange in seinem Zelt zu wohnen wie sie wolle. Nur ungern nahm Llynya sein Angebot an, fühlte sie sich doch schon so Vielen gegenüber schuldig. Dennoch bestand er darauf...


Erinnerungen...
Das Wiehern eines Pferdes riss Llynya aus ihren Gedanken und sie schickte sich an die Tiere zu füttern. Den Arm voller Getreide wanderte sie über die Koppel, hier einen Hals streichelnd, dort auf eine Kuppe klopfend. Diese Pferde waren es gewesen, die ihr ein Tor geöffnet hatten. Sie warf das Getreide in den Trog und beobachtete zufrieden wie sich die Tiere darüber hermachten. Sie sah zum Zaun. Genau dort hatte sie gestanden, nur auf der anderen Seite...

Llynya stand am Zaun, den Kopf auf die Arme gestützt und beobachtete die Pferde. Stolz und wunderschön schritten sie über die Wiese. Leise seufzte sie. Endlich wieder mit Pferden arbeiten, das Gefühl haben gebraucht zu werden... Gemächlich näherte sich eine wohlbeleibte Bäuerin – Irmenlind Auenfeld. „Wei kann ichn dia helfn, Mädl?“, sagte sie. Traurig hob Llynya den Kopf und meinte resignierend: „Außer Ihr braucht eine Magd, könnt Ihr mir wohl nicht behilflich sein...“. Vergnügen blitzte in den Augen der Bäuerin auf, als sie antwortete: „Ajo, ne Magd könnt i scho gebrauchen. Komm ma rin, Mädl!“. Alles weitere war sehr schnell gegangen: Nachdem Llynya bewiesen hatte, dass sie was zur Feldarbeit taugte und mit Tieren gut umgehen konnte, hatte Irmenlind Auenfeld ihr ein kleines Zimmer gewiesen und Llynya als Magd auf dem Auenfelder Hof aufgenommen. So glücklich hatte sich Llynya schon lange nicht mehr gefühlt – vielleicht noch nie! Ein Hof auf dem sie arbeiten konnte, ein Feld, das sie ernten konnte, Tiere, die sie füttern und pflegen konnte... Mit Hingabe kümmerte sie sich um die Pferde, mit Eifer erntete sie die Felder, mit Freuden stand sie in der Küche und buk Brot. Fleißig war sie, konnte sie nun endlich frei wählen, wann genau sie arbeiten wollte, wann zu Bett gehen, wann was tun. Niemand beobachtete sie bei der Arbeit, kein Geruch von Alkohol, nur der Duft der Tiere und Pflanzen.
Llynya fühlte sich viel freier als je zuvor in ihrem Leben. Endlich hatte sie genug Mut und Kraft, um mit Menschen etwas offener zu sprechen. Und auch die Albträume schienen ihr nicht mehr so schlimm, wenn sie am Morgen in dem sonnendurchfluteten gemütlichen Zimmer erwachte.

Gut freundete sie sich noch mit Mikhail und vor allem Kajol an. Dennoch verwirrten Llynya die Gespräche mit Kajol. Sie schien so viel mehr Lebenserfahrung zu haben und soviel stärker zu sein, als sie selbst... Manchmal wünschte sich Llynya so zu sein wie diese selbstbewusste junge Frau.
Halungar... Er war bereits einige Tage, nachdem sie auf den Auenfeld Hof gezogen war, gefolgt, hatte sein Zelt abgebaut und in der Nähe des Hofes wiedererrichtet. Llynya konnte ihn nicht verstehen, konnte nicht verstehen, als er ihr sagte, er liebe sie. Wie könnte sie auch? Halao hatte sie zu ihm gegeben, denn einen Wolf auf einem Hof zu halten, wäre wohl mehr als ein Risiko. Häufig besuchte sie den Wolf und Halungar, oder er sie. Wie nur sollte sie Liebe verstehen, wenn sie nur in ihrer Kindheit welche erfahren hatte? Er machte ihr viele Geschenke und hielt sich gern in ihrer Nähe auf. Llynya schätzte seine Gesellschaft sehr. Sie dachte viel über ihn nach. Woher weiß man, ob man Jemanden liebt? Was ist Liebe?


Seufzend ließ sich Llynya auf ihr Bett nieder und schlüpfte aus ihren Stiefeln. Es war dunkel geworden. Noch immer fürchtete sie die Finsternis, dann kamen die dunklen Erinnerungen ihrer Vergangenheit und schlüpften in ihren Kopf wie Geister. Noch Niemandem hatte sie ihre Geschichte erzählt, von den Ängsten, die sie quälten, von den Geistern, die sie verfolgten, von ihrer schrecklichen Tat, an welcher sie noch immer schwer trug. Llynya legte sich ins Bett und zog sich die Decke bis zum Kinn. Kurz schloss sie die Augen und schluckte schwer. Dann drehte sie ihren Kopf, blies die Kerze aus und mit der Finsternis stieg auch die Dunkelheit wieder in ihr auf und die Gespenster kamen, um sie zu quälen...
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Llynya Nemeton





 Beitrag Verfasst am: 11 Jun 2006 14:02    Titel:
Antworten mit Zitat

Mit leerem Blick starrte Llynya zur Decke. Nur entfernt nahm sie Mikhail Kalveron wahr, welcher ihre aufgeschürften Armen versorgte. Alles war so wundervoll gelaufen... Schon fast hatte sie ihre nächtlichen Gespenster besiegt gehabt, schon fast hatte sie ihr früheres Leben vergessen. Doch dann...

Llynya hatte gerade ihre Arbeit bei den Pferden abgeschlossen und trat aus dem Gatter, als zwei vermummte Männer durch das Tor traten. Der eine hatte sich seine Kapuze weit ins Gesicht gezogen und eine Ledermaske vor seinem Mund, der andere trug eine grässliche rote Dämonenmaske. „Mach keinen Aufstand, komm einfach mit!“, erklang die Stimme des Vermummten, verzerrt durch die Ledermaske. „Was? Nein... ich...!“ Der Mann mit der Dämonenmaske packte sie hart am Oberarm. Llynya versuchte sich loszureißen, aber er war zu stark. „Nun komm einfach mit!“, wiederholte der Vermummte seine Forderung. Llynya begann laut zu schreien. Was wollten diese Männer von ihr? Warum sie? Rasch hatte der Mann, welcher sie bereits festhielt, seine behandschuhte Hand auf ihren Mund gelegt, sodass von ihren Schreien nur ein gedämpftes Geräusch blieb. Er schob sie durch das Tor. Tausend Gedanken jagten Llynya durch den Kopf, doch keinen von ihnen konnte sie fassen. Auf der Straße schwang sich der Vermummte auf sein Pferd und ergriff die Zügel des anderen Pferdes. Einige Schritt zerrten sie Llynya die Straße hinab, dann verließen sie den Weg und wanderten querfeldein zum nahen Wald. Immer mehr Panik stieg in der jungen Frau hinauf und schnürte ihr die Kehle zu. Kaum atmen konnte sie noch, Tränen stiegen in ihren Augen auf und liefen lautlos über ihre Wangen und die Handschuhe des Maskierten. Sie erreichten den Waldrand. Abermals versuchte Llynya sich zu befreien, doch es war zwecklos. Deutlich war zu spüren, dass es sich hier um die Arme eines Kriegers handelte. Unwillkürlich musste Llynya an den Griff von Tikus Fanion denken und Übelkeit stieg in ihr auf. Nach einiger Zeit, in welcher sie durch den Wald geführt worden war, zeigte der eine auf einen Baum und meinte mit Vergnügen in der Stimme: „Der Baum ist gut, bind sie da fest!“ Festbinden? Was...? Der Maskierte drängte sie an den Baum und nahm dabei die Hand von Llynyas Mund. Laut begann sie wieder zu schreien, sodass ihre Stimme von den Bäumen wiederhallte. Ein Schwert wurde aus der Scheide gezogen. „Halt den Mund, sonst schlitz ich dir die Kehle auf!“, ertönte die verzerrte Stimme des Maskierten. Mit bebenden Nasenflügeln und zitternder Unterlippe blickte Llynya auf den blanken Stahl hinab, welcher an ihrem Hals ruhte. „Bleib ruhig!“, meinte der vermummte Mann, welcher gerade damit beschäftigt war sie an den Baum zu fesseln, gen des anderen Mannes. Der grobe Strick scheuerte auf ihrer Haut und schien in ihr Fleisch zu schneiden.
Nervös begann Llynya auf ihre Unterlippe zu beißen, so fest es nur ging. Immer wieder schweiften ihre Gedanken zu jenem Tag, an welchem Tikus Fanion sein Leben verlor. In diesem Augenblick schien ihr diese Erinnerung tausende Male schlimmer als diese Männer... Der Schmerz, der ihre tief in die Unterlippe eingegrabenen Zähne verursachten, hielten sie in der Wirklichkeit. Ein dünner Blutrinnsal lief von ihrer Unterlippe und tropfte von ihrem Kinn.
„Knebel sie.“, knurrte der Vermummte. Llynya war alles egal. Was auch immer diese Männer von ihr wollten, sie wollte nur, dass es vorbeiging. Rasch hatte der Maskierte ihr einen Knebel vor den Mund gebunden und begann sie abzutasten. Er zog den kleinen Dolch aus ihrem Gürtel. Der Vermummte hatte ein kleines Feuer entzündet und setzte sich daneben. Der andere folgte ihm scheinbar, nachdem er Llynya die Augen verbunden hatte. „Hm, was wollen wir mit ihr machen?“, hörte Llynya, konnte aber nicht ausmachen welcher der beiden nun sprach. „Wir könnten sie...“, ein leises Lachen erklang, „...aufschlitzen und zerlegen!“ Der Andere stimmte offensichtlich in das Lachen mit ein. „Ich nehm den Kopf, den kann ich mir als Trophäe an die Wand hängen!“... „Ich möchte..“

Ihre Stimmen rückten in weite Ferne. Stille herrschte um Llynya. Sie spürte nicht mehr die schmerzenden Stricke, die an ihren Armen rieben, fühlte nicht mehr den rauen Stamm an ihrem Rücken, vernahm nicht mehr die grausamen Worte der Männer. Sie war wieder an jenem Ort, den sie am meisten fürchtete auf der Welt. Dunkelheit umhüllte ihre Gedanken. Der Geruch von Alkohol, von Blut, von Tod. Sie sah Tikus` Gesicht, im Tod zu einer grausamen Maske erstarrt. Sie vernahm seine Stimme, leise, etwas lallend, grausam: „Du hast mich ermordet. Ewig büßen sollst du für diese Tat und niemals Ruhe finden, niemals glücklich werden, niemand kann dich beschützen vor mir, niemand behüten vor deiner Angst!“ Immer und immer wieder erklang seine Stimme in der scheinbar endlosen Dunkelheit ihrer Gedanken. Tief fiel Llynya, immer weiter, und kein Boden würde sie auffangen können.

Plötzlich war sie wieder zurück. Sie sah den Wald um sich herum, die beiden Männer standen vor ihr. Der eine der beiden hielt die Augenbinde in seiner Hand, der andere spielte mit ihrem Dolch. „Sie soll sehen, was sie quält!“, sagte der Vermummte und es war zu hören, dass er grinste. Mit einem geübten Schnitt durchtrennte der Maskierte die Halterung ihres Umhangs, sodass er zu Boden glitt. „Mal sehen, ob du wirklich so hübsch bist!“, erklang seine Stimme. Sie wollten doch nicht...? Wild warf Llynya ihre Kopf herum und versuchte sich von den Stricken loszureißen, welche ihr jedoch nur tiefer ins Fleisch schnitten. Schnell lag ihr Kilt in zwei Teile zertrennt am Boden. „Jetzt bist du dran!“ Der Maskierte reichte dem Vermummten den Dolch. Grübelnd stand jener vor ihr. Llynya trug nun nur noch ihre Hose, ihr Hemd und den Wildlederbüstenhalter. Rasch führte der Vermummte den Dolch an ihren Bauch und zerteilte ihr Hemd. Ein stechender Schmerz durchfuhr Llynya. „Da war ich wohl etwas zu übereifrig!“, lachte der Mann und blickte auf eine gerade Schnittwunde auf ihrem Bauch.


Erinnerungen...
Erschreckt fuhr Llynya hoch. Sie spürte die kalte Klinge des Eisens an ihrem Bauch. Panisch sah sie sich um. Mit einem besorgten Blick kniete Mikhail Kalveron neben ihr. „Ruhig, Llynya, schon gut!“, meinte er mit ruhiger Stimme, „Ich muss dir nur den alten Verband entfernen.“ Mit Angst in den großen dunkelblauen Augen starrte Llynya auf den kleinen Dolch in seiner Hand. Leise seufzte Mikhail und erhob sich. Rasch gingen seine Schritte zu dem Schrank und Llynya konnte hören, wie er etwas herausholte. Ihre Gedanken eilten schon wieder zurück, ihr Blick verklärt. Sie nahm noch wahr wie sich Mikhail wieder neben ihr niederkniete und spürte eine kühle Flüssigkeit über ihre Lippen laufen. „Trink das! Ich pass schon auf dich auf...“

Ihre Kräfte hatten sie verlassen und dennoch stemmte Llynya sich mit aller Macht gegen die Stricke. Unaufhörlich rann nun die dünne Blutspur von ihren Lippen, durchtränkte den Knebel und tropfte von ihrem Kinn auf den Waldboden. „Und nun...“, erklang die Stimme des Maskierten, als er ihren Dolch wieder in der Hand hielt. Llynya hörte einige Ästchen brechen. Das kam nicht von hier, nicht von dieser Lichtung! Sie wand den Kopf und konnte eine Gestalt zwischen den Bäumen ausmachen. „Was tut ihr da?“, vernahm sie eine Stimme, die sie nur allzu gut kannte.
Halungar... Was tat er hier? Von all den Menschen, die sie hätten finden können, entdeckte ausgerechnet Halungar sie? Zufall? Schicksal?
Die beiden Männer fuhren herum. „Verschwinde, Mann!“, tönte der Maskierte. Llynya konnte Halungars wachen Blick sehen wie er über die Lichtung wanderte und schließlich auf ihr verharrte. Seine Augen weiteten sich etwas. „Verschwinde! Sie werden dich töten!“, wollte Llynya rufen, doch es kam nur ein dumpfes Geräusch von ihren Lippen. Halungar wand seinen Kopf wieder in Richtung der beiden Männer. „Das werde ich, aber ich nehme sie mit!“, gab er ihnen zur Antwort. Die beiden Männer lachten. „Wie willst du das denn anstellen?“, erwiderte der Vermummte, „Sieh!“, er machte eine ausladende Geste, „Du bist allein! Wir sind zu zweit!“. Als einzige Antwort zog Halungar mit einem singenden Geräusch sein Schwert und nahm seine kleine Axt vom Rücken. So stand er und wartete. Abermals versuchte Llynya sich gegen die Stricke zu lehnen – sinnlos. Nicht bereit auch nur einen ihrer Freunde zu verlieren, vor allem nicht ihn! Lieber würde sie hier bleiben und durch die Hand dieser Männer sterben, wenn es so sein sollte. „Willst du zuerst?“, erklang die Stimme des Maskierten. Der Vermummte zog seine Waffe und ging mit gelassenen Schritten auf Halungar zu. „Nein!“, versuchte Llynya zu rufen. Der Vermummte hob seine Waffe gegen Halungar, dieser parierte. Einige Hiebe führten die beiden gegeneinander, Llynya konnte nicht ausmachen, wer der beiden die Oberhand hatte. Schließlich verpasste Halungar dem Vermummten einen Tritt, sodass jener nach hinten taumelte. Der Maskierte, der mit gezogenem Schwert neben ihr stand, blickte sich um. Sein Blick verharrte auf ihr und er hob mit einem leisen Lachen seine Klinge gegen ihren Hals. „Verschwinde! Oder sie wird sterben!“, rief er Halungar zu. Llynya nahm Halungars Blick wahr, zunächst unsicher, dann zogen sich seine Augen zu engen Schlitzen zusammen und er funkelte den Maskierten an. „Sie wird doch sowieso sterben, wenn ich sie hier bei euch lasse!“, meinte er leise. Llynya konnte die Fassungslosigkeit und Verwunderung in der Stimme des Maskierten hören, als er sagte: „Sie ist dir also gar nichts wert?“. Halungar warf seine Axt nach dem Maskierten. Dieser wich geschickt aus und stürmte auf ihn los.
Wieso hatte Halungar das getan? War sie ihm wirklich nichts wert? War es ein Bluff? Llynya versuchte ihre Gedanken etwas zu ordnen. Entfernt vernahm sie das Waffengeklirr. Die Verwunderung in der Stimme des Maskierten... Es schien mehr hinter dieser Entführung zu stecken.
Ihr Blick wanderte zu dem Kampf. Halungar schien die beiden gekonnt von sich halten zu können. Die beiden wichen etwas zurück und blickten einander an. Dann eilten sie zu ihren Pferden, ergriffen deren Zügel und schwangen sich rasch darauf. Der Vermummte blickte zu Halungar herab, streckte den Zeigefinger auf ihn und sagte: „Das wird dir noch leid tun! Wir sehen uns wieder... versprochen!“. Er gab seinem Pferd die Sporen und die beiden galoppierten dicht an Llynya vorbei. Llynya konnte einen Blick des Pferdes erhaschen, der kurz auf ihr lag. Sie kannte dieses Leuchten, diesen Schritt, diese Bewegungen... Dieses Pferd hatte sie selbst ausgebildet und sie hatte nicht vergessen, wem sie es in Obhut gab... Die Männer verschwanden im Wald.
Halungar eilte zu ihr und durchtrennte ihre Fesseln. Kraftlos sank sie zu Boden und riss sich den Knebel vom Mund. Sie musste husten, als ihr die frische Waldluft in die Lungen spülte. Halungar kniete sich mit besorgtem Blick neben sie. „Llynya. Ist alles in Ordnung?“ Llynya vermochte ihm nicht zu antworten. Zu viele Gedanken jagten einander in ihrem Kopf. „Darf ich dich tragen?“, fragte er mit besorgter Stimme. Nur leicht nickte Llynya. Sanft hob er sie hoch und trug sie fort von diesem schrecklichen Ort. Nicht viel nahm sie noch wahr, zu viele Gedanken, zu viele Geschehnisse, zu viel für sie...
Er setzte sie auf sein Pferd und führte es zunächst zum Auenfeld Hof. Halungar brachte Llynya in das Haus und verband ihre Wunde am Bauch. Es war als umgebe sie eine Wand aus grauem Nebel. Sie nahm nichts wirklich wahr und Halungar konnte sie mit seinen Worten nicht erreichen. Ihr Blick war leer und stumpf. Sie konnte sich erinnern, dass später Kajols Gesicht kurz durch den Nebel spähte und mit ihr sprach. Sie wurde nach Varuna hineingeführt, Llynya wusste, auch sie hatte etwas gesagt, konnte sich aber nicht recht erinnern was. Alles war so verschwommen, unklar... Nebel.


Erinnerungen.
Langsam öffnete Llynya ihre Augen. Mikhail blickte sanft auf sie herab. „Du stehst unter Schock. Bleib ganz ruhig! Du bist hier in guten Händen. Wir passen auf dich auf!“
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Llynya Nemeton





 Beitrag Verfasst am: 02 Jul 2006 21:35    Titel:
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Llynya stand draußen hinter ihrem Hof. Zu ihren Füßen lag das Tal und leuchtete in der Morgensonne. Es war ein früher Sommertag – sie zog die scharfe, frische Luft ein –, der Wind war kühl und er brachte einen Geschmack vom Meer weit draußen und von den Sommerblumen mit: Die Höhenrücken der Berge lagen in der Morgensonne schwer vor dem Tal und die Tautropfen glänzten wie schimmerndes Silber überall auf den Wipfeln der Bäume in den dunkelgrünen Wäldern. Der Himmel war wie reingefegt, klargelb und blassblau, mit ganz wenigen dunklen, vom Wind getriebenen Wolken, die weit draußen dahinschwammen. Zwischen den Häusern lag noch ein kalter Schatten der Nacht. Und dicht vor ihr bewegte der Morgenwind das volle, sattgrüne Gras, es neigte sich und es schimmerte.
Llynya bückte sich und zupfte eine der vielen gelben Blumen, welche in dichten Büscheln zusammen standen. Konnte all dies wirklich wahr sein?

Nach dieser grässlichen Entführung, diesem Schock, diesen Angstzuständen, die diesem Tage gefolgt waren, hatte Llynya einige Zeit gebraucht, um die erste Panik abzuschütteln. Kaum wagte sie noch das schützende Bauernhaus des Auenfelder Hofes zu verlassen. Und wenn sie es doch musste, um die Tiere zu versorgen und die Felder abzuernten, blickte sie immer ängstlich über die Schulter. Die Stimmen der beiden Maskierten verfolgten sie, ihre Schatten schienen überall zu sein. Doch viel schlimmer als dies waren ihre eigenen Gespenster, ihre dunklen Erinnerungen, welche sich in dieser Zeit der Schwäche verselbstständigten, sie schlimmer verfolgten als sie es für lange Zeit getan hatten. So unsicher und verängstigt war Llynya Nemeton in Gerimor angekommen...
Nach Wochen endlich und mithilfe einiger vertrauter Freunde und deren aufbauender Worte, kehrte etwas ihrer Selbstsicherheit wieder. Und mit dieser Selbstsicherheit schienen auch ihre Gespenster schwächer zu werden. Kajol und Mikhail Kalveron wussten nun von ihrer Geschichte, ihren Erinnerungen. Schwer war es ihnen wohl gefallen, ihr all dies zu entlocken und doch standen sie treu zu ihr und unterstützten sie, so gut sie eben vermochten. Wie viel es Llynya bedeutete, dass sie ihr den Mord an Tikus Fanion nicht nachtrugen, sie ganz im Gegenteil bestätigten, dass sie in Notwehr gehandelt hatte, wusste nur sie selbst und bewegte es in ihrem Herzen. Sie benutzte es als Schild gegen ihre dunklen Erinnerungen, wenn die Angst und die Schuld sie zu erdrücken schienen war es wie eine Kerze in der Dunkelheit. Zwar war sie noch nicht stark genug alle Gespenster zu verscheuchen, dennoch konnte sie mit einer Kerze in der Hand sicherer durch die Finsternis ihrer Erinnerungen und Träume wandern.
Halungar wusste nichts von all dem und auch war Llynya noch nicht bereit dazu ihm davon zu erzählen. Er stand zu ihr auch ohne dies Wissen, wohl aber mit dem Wissen, dass sie ihm nicht alles gesagt hatte. Treu und aufopferungsvoll kümmerte sich in all der Zeit um Llynya, schlief des Nachts sogar vor der Tür des Hofes, um ihr ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Sie fühlte sich schuldig, hatte er ihr doch bereits so vieles geopfert. Wie hätte sie ihm sagen können, dass er sie nicht beschützen konnte, nicht vor dem was sie wirklich verfolgte? Wie hätte sie ihm erklären können, dass sie eine Mörderin war, niemals das gewesen war, von dem er dachte, was sie wäre? Was würde er antworten, was sagen, wie reagieren? Zu viele Fragen, deren Antworten sie immer wieder nur zu einem einzigen Ziel führten: „Sag es ihm nicht... Schweig, Llynya! Ihn zu verlieren, würde dich mehr als deine Kraft kosten!“ So schwieg sie.

In den Wochen nach der Entführung verließ Llynya den Hof selten, sondern kümmerte sich mit besonderer Hingabe um ihre Aufgaben. Die Tiere und Pflanzen gedeihten hervorragend unter ihren Händen.
Von Zeit zu Zeit dachte sie nun auch wieder an ihre Eltern. Die Ereignisse der letzten Monate hatten ihren Geist in dieser Zeit vollkommen eingenommen. Wenn sie die sprießenden Sämlinge aus dem dunkelbraunen Boden wachsen sah, entstand bisweilen das Bild ihres Vaters vor ihren Augen. Ein tüchtiger Landmann war er gewesen und ausgeglichen und ruhig in seiner Art. Llynya vermisste ihn. Ebenso wie ihre sanfte und stille Mutter. So vieles hätten die beiden ihre Tochter lehren können und wurden doch so grausam aus ihrem Leben gerissen. Nun stand Llynya allein, musste sich vieles selbst beibringen, was ein Kind unter gewöhnlichen Umständen von seinen Eltern hätte lernen sollen. Unwillkürlich führte Llynya ihren Zeigefinger über die tätowierte Schlange auf ihrer Stirn – das Zeichen der Familie Nemeton. Nun war sie die einzige, die dieses Zeichen trug. Zumindest konnte sie sich keiner Verwandtschaft erinnern. Dieses Zeichen sollte für all das stehen, wofür ihre Eltern ein Leben lang gearbeitet hatten: Stärke, Mut, Rechtschaffenheit, Ausdauer und Fleiß. Sie würde sich bemühen das Andenken ihrer Eltern in Ehren zu wahren.


Erinnerungen...
Llynya strich mit dem Zeigefinger über das Ornament auf ihrer Stirn. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen. Ihre nackten Füße spielten mit einigen Grashalmen. Die letzten Wochen waren hart gewesen, doch hatten sich all ihre Mühen gelohnt. Kein Schritt war umsonst gewesen, keine Handbewegung war sinnlos ausgeführt worden und nun schien sie endlich einige Früchte ihrer Arbeit ernten zu können.

„Es wurde eine neue Insel entdeckt, südlich von Gerimor. Man nennt sie Lameriast.“, erzählte ihr eines Tages Halungar. Eine neue Insel... Neuer Boden, neue Möglichkeiten...
Sobald Llynya die Nachricht ereilte, dass das neue Land sicher betreten werden konnte und einige Anwesen dort zum Verkauf standen, machte sie sich auf den Weg. Wieder auf einem Schiff zu stehen, erfüllte Llynya mit den seltsamsten Erinnerungen, doch diesmal schien sich der Schatten der Angst nicht über ihren Geist zu legen. Nach einer ihr endlos vorkommenden Überfahrt, erreichte das Schiff den Hafen von Lameriast. Wie in entfernten Gedanken versunken wanderte Llynya durch das kleine leerstehende Dorf. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt vor einem Hof stehen. Ein recht großes Haus mit einem großen Feld war es. Es erinnerte sie an das heimatliche Gehöft der Eltern – Maelienydd. Die Hauswände waren mit Efeuränken bewachsen, eine kleine Treppe führte zur Schwelle des Hauses. Langsam trat sie ein. Es roch nach Holz und Kräutern. Llynya schloss die Augen und sog diesen Geruch tief in sich ein... Fast schon konnte sie die Pferde wiehern hören, fast schon die Hühner gackern und die Kühe muhen; fast schon vernahm sie das angenehme Prasseln eines heimatlichen Feuers... zu Hause. Dieser Hof war ihre Zukunft.
Nicht lange dauerte es, bis sie alle Formalitäten geklärt hatte und ein Tor einbauen ließ. Von Stolz erfüllt hielt sie den Schlüssel zu ihrem eigenen Hof, ihrem Gehöft. Schon nach einigen Tagen hatte sie das Feld vollkommen bestellt, einige Hühner gackerten bereits in ihrem Gatter. Allerdings reiste Llynya alle zwei Tage zurück noch Gerimor, um sich um den Auenfelder Hof zu kümmern, hatte sie doch noch keine Gelegenheit gefunden Frau Irmenlind von dem Nemeton Hof zu berichten. Anstrengend war es, kaum Schlaf hatte sie in den letzten Tagen gefunden.

Nachdem Llynya eine Kundin auf dem Auenfelder Hof bedient hatte, kehrte sie mit müden Augen und zerschlagenen Gliedern in das Haus zurück. In der Küche traf sie auf Irmenlind Auenfeld. Die beleibte und sanfte Bäuerin aß gerade etwas kalten Braten vom vergangenen Tag. „Sag es ihr jetzt!“, drängten Llynyas Gedanken. „Ik bin echt sea zufriedn mit deener Arbeet hia!“, meinte Irmenlind in ihrer gewohnt lauten, doch sanften Stimme. Traurig blickte Llynya zu Boden. Es schmerzte sie sehr diese Frau zu verlassen, die ihr ein erstes Heim auf Gerimor gegeben hatte. „Nun, leider werde ich wohl nicht mehr hier arbeiten können..“, antwortete Llynya mit bebender Stimme. Sorgen blitzte in Irmenlinds Blick auf. „Wasn los, Kind? Haste Schweerigkeeten? Biste krank?” Sachte schüttelt Llynya den Kopf. „Ich habe mir einen Hof auf der neuen Insel gemietet und kann deshalb nicht länger als Magd hier arbeiten.“ Die Sorge verschwand aus Irmenlind Auenfelds Augen und stattdessen konnte man dort Freude, aber auch Trauer erkennen. „Det freut mik füa dik!“ „Es schmerzt mich wirklich sehr, dass ich Euch verlassen muss. Ihr wart so gütig zu mir!“ Irmenlind wischte sich die Hand an der Schürze ab und strich ihr, so sanft es ihr wohl möglich war, über die Wange. „Det Temora hat dia een neuen Wech voa deene Füß gelecht.“, sagte Irmenlind leise zu Llynya. Sachte nickte Llynya und blickte mit tränenschweren Augen, doch auch mit einem Lächeln zu der sanften Bäuerin auf. „Ich kann Euch gar nicht genug danken für alles, was Ihr für mich getan habt!“ Irmenlind machte eine wegwerfende Geste. „Ach wat! Du hast jut jearbeitet hia. Hol deen Zeuch, deen neua Hof muss bestellt wern.“
Mit schwerem Herzen stieg Llynya ein letztes Mal die Stufen zu ihrer kleinen Kammer hinauf und verstaute ihre Habseligkeiten in ihrer Tasche. Alles hier am Hof würde sie vermissen... Frau Irmenlind, die Tiere, das Feld, die Luft, ja, jeden Stein und Grashalm. Langsam ging sie die Treppe hinunter und trat auf den Hofplatz. Llynyas Schritte führten sie auf die Koppel der Pferde. Sanft strich sie über die Kuppen und Hälse der Tiere, jedem eine Verabschiedung zuflüsternd. Irmenlind stand neben dem Tor und erwartete sie mit einem ruhigen Lächeln. Kurz blieb Llynya mit gesenktem Blick vor der beleibten Bäuerin stehen, dann schlang sie, von Gefühlen übermannt, ihre Arme um den Oberkörper der Frau und begann zu schluchzen. Irmenlind drückte sie in einer fast mütterlichen Umarmung an sich und für einen kurzen Moment schien es Llynya als wären auch ihre Augen feucht. Schließlich ließ Llynya von der Bäuerin ab. „Ihr seid jederzeit auf meinem Hof willkommen. Ich würde mich freuen, wenn Ihr mich besuchen kämt.“, brachte sie schließlich mit zitternder Stimme hervor. „Wenn du wat brauchst, kannste imma hea kommn. Du wast mia eene jrosse un liebe Hilfe. Det wead ik nich vajessen.“, antwortete die Bäuerin mit warmer Stimme. Llynya schwang sich auf ihr Pferd. „Möge Temora Euch schützen!“, sagte Llynya und noch nie schien ihr, hätte sie es Jemandem so sehr gewünscht wie dieser gütigen und liebevollen Bäuerin. „Möje det Temora ihre schützende Hand üba dik haltn!“, gab jene zur Antwort. Kurz verweilte Llynya auf dem Weg vor dem Hof und ließ ihren Blick abschließend über das Haus und die Felder schweifen, ehe sie ihr Pferd umwand und es zu raschem Lauf antrieb.


Erinnerungen...
Zufrieden schloss Llynya ihre Augen und sog tief die Luft ein. Kein Gespenst hatte sie in dieser Nacht heimgesucht. Ruhig und gleichmäßig waren ihre Träume gewesen. Erfrischt war sie im Morgengrauen erwacht und war mit ruhigem Schritt über ihren Hof gegangen. Ihre Füße hatten sie fast ohne ihr Zutun auf diese silbern vom Tau glänzende Wiese geführt, auf welcher sie nun stand und der Sonne dabei zusah wie sie sich langsam über den Gipfel des Berges schob. Eine Schlange wand sich zu ihren Füßen durch das Gras. Llynya Nemeton beobachtete sie lächelnd bis sie im hohen Gras verschwand. Die Sonne hatte ihre goldene Scheibe nun vollkommen am Himmel erhoben und vertrieb jene kühle Schatten der Nacht zwischen den Häusern. Einen Augenblick noch verweilte Llynya dort und schüttelte einige dunklen Erinnerungen ab. Immer würden sie da sein, doch würde sie der Finsternis nicht so leicht erlauben mit den klammen Klauen wieder nach ihrem Herzen zu greifen.
Langsam wand sich Llynya Nemeton in Richtung ihres Hofes ab. Es gab viel zu tun!

Gegenwart...
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