Ardan
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Verfasst am: 30 Mai 2023 21:08 Titel: Eine Flamme erlischt |
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Es war der Tag vor dem Fest der Heiligen Ilara, der 30. Eluviar des Jahres 266. Längst hatte der Frühling auf Gerimor Einzug gehalten und war dabei, in den üppigen Sommer überzugehen. In der kühlen Bibliothek des Klosters der Lichteinigkeit sitzend, blickte Diakon Ardan von seiner Lektüre empor und traf eine Entscheidung. Viel zu lange war es her, dass er sich in die Mauern des Klosters zurückgezogen hatte, um in stiller Kontemplation die Lehren Temoras zu studieren. Aus dem jungen, nicht selten vorwitzigen Geweihten, der einst in Varuna von einer Erscheinung Temoras selbst die Roben des Geweihten empfing, war mit den Jahren ein ruhigerer, ernsterer Mann geworden, welcher die Ruhe der Bibliothek den Wirren der Welt vorzog. Doch noch immer verstand und liebte er es, bisweilen seine Späße zu machen, wovon die Krähenfüßchen an seinen Augen beredtes Zeugnis boten. Zwar hatte er nach einigen Jahren die Roben des Priesters wieder gegen die des Diakons getauscht, doch seiner Liebe zur Schildmaid Temora und seiner Hingabe zum Studium ihrer Lehre tat dies keinen Abbruch.
Nach einigen Überlegungen also packte Ardan seine Siebensachen und machte sich auf zum Schrein der Demut im Norden Gerimors. Bei den Klosterwächtern meldete er sich ab, nannte das Ziel seiner Reise und dass man ihn nicht vor Einbruch der Nacht zurückerwarten solle. Sein treues Pferdchen hatte er schon vor langer Zeit hergegeben, so bestritt er den Weg frohen Mutes auf Schusters Rappen. Am Schrein angekommen legte er sein Gebetsbuch zwischen einige der dort bereits befindlichen Opfergaben, zündete eine Kerze in einer kleinen Tragehalterung daneben an und kniete sich zum stillen Gebet nieder. Die Kerze würde etwa vier Stunden brennen, so lange wollte er über die Tugend der Demut nachsinnend meditieren. Ein Fünkchen der göttlichen Macht Temoras genügte, damit die Flamme der Kerze unbeirrt vom Wind stets gerade und ohne zu flackern brennen würde.
Eine geraume Weile war bereits vergangen und Ardan tief in seine Meditation versunken, die Augen geschlossen, der Geist der stofflichen Welt entrückt. So bemerkte er nicht die beiden Gestalten, die sich auf leisen Sohlen dem Schrein genähert hatten. Er bemerkte auch nicht, wie das Flämmchen der Kerze zu flackern begann, als sie sich ihm näherten. Er bemerkte den scharfen Geruch von Rauch, als das Flämmchen erlosch. Dann spürte er heftigen Schmerz am Kopf. Dann wurde es dunkel um ihn.
Am Schrein blieb sein Gebetsbuch zurück. Daneben eine gerade einmal fast halb herabgebrannte, erloschene Kerze. |
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