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Darna - Knappe(n) Tage
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 17 Jan 2006 16:35    Titel: Darna - Knappe(n) Tage
Antworten mit Zitat

"Was würdest du tun, wenn...

...du nochmal dort im Gasthof wärest? Wenn ihr nochmal von Räubern überfallen werden würdet? Wenn ihr nochmal zu unterliegen droht? Wenn er dir nochmal sagen würde 'Lauf, Darna!' - was dann?

Gelmiron scheute und ließ sich kaum unter Kontrolle halten. Erbarmungslos und mit aller ihr gegebenen Reitkunst zwang sie das Tier vorwärts, doch die Nervosität der Reiterin hatte gänzlich auch von dem Pferd Besitz ergriffen. Schenkeldruck rechts, nicht ausbrechen, nicht steigen...
Darna packte das Schwert fester und senkte die Spitze gen des Halunken vor ihr, der sie mit Axt und Schild erwartete. Sie setzte der Wut, die sie durchflutete, nichts entgegen, hieß sie willkommen und gab ihr Luft: "Zieht euch zurück, oder eure Zähne sollen Pferdehufe schmecken!"
Sie nahm die Zügel kurz in beide Hände, so gut es ging, spannte ihren eigenen Körper an, lehnte sich vor, rutschte im Sattel zurück.
"Komm schon, Gelmiron, hoch! Und vorwärts, stampf diesen Bastard ungespitzt in den Boden! Drecksdiebespack, widerliches!"
Das Pferd stieg, wie verlangt, doch es wollte seinen natürlichen Fluchtinstinkten folgen, weg - und schon gar nicht näher an diesen maskierten Kerl mit der Axt heran.

Der Mann vor ihr merkte, daß die junge, ungerüstete und lediglich mit einem Schwert bewaffnete Reiterin zwar zu Pferde saß, was für ihn deutlich ungünstig war, doch wich er nicht. Die Frau mit der Armbrust würde ein Problem sein, und es war zu hoffen, daß sein Spießgeselle mit dem Ritter fertig wurde.

Darna schnaubte, fast lauter als das Tier. Aufknüpfen sollte man sie alle! Hinter ihr erklangen Kampfgeräusche - Sir Aradan ließ sich auf den Kampf mit dem Kerl ein, der die Nerven hatte, sein Gesicht hinter einer dieser widerlichen gehörnten Helme zu tragen, wie Orks sie trugen.
Ein Bolzen flog dem Axtkämpfer entgegen, abgeschossen von Frau Silbersee. Schwertklänge... hoffentlich würde unter Aradan nicht der Boden wegbrechen... sie blinzelte. Das war doch Unsinn. Den Bruchteil der Sekunde, in dem ihre Erinnerungen ihr einen makaberen Streich gespielt hatten, hatte der Kerl vor ihr zu einem Spurt zu Aurora rüber angesetzt.
Sie wendete ihr Pferd, für einen Moment an die Gefahr denkend, was passieren mochte, wenn die Schützin am Angreifer vorbeischoß und stattdessen sie treffen würde - wieder ein kostbarer Lidschlag verlorene Zeit. Sie wurden tatsächlich angegriffen, dabei war dieser Hinterhalt doch eigentlich so lausig offensichtlich gewesen...

Wieder wallte die Wut in ihr hoch. Nie wäre ihr zuvor greifbar in den Sinn gekommen, daß sie vom Pferd aus Jemandem in den Rücken schlagen würde, doch sollte sie darauf warten, daß Frau Silbersee zu Boden ging und diese menschliche Mißgeburt sich gnädigerweise umdrehte und sich stellte?
Darnas Klinge riß einen Schnitt in die Robe des Mannes, ob darunter Rüstung war oder nicht, spielte keine Rolle. Als sie wieder ausholte, sank die junge Schützin doch in den Straßenstaub, Darnas Schwert durchschnitt die Luft.
Nein, sie wäre nicht weggelaufen, selbst wenn Aradan es befohlen hätte, gleich würde er hierherkommen und dann würde dieser Bastard sein blaues Wunder erleben!
Wieder versuchte Gelmiron, durchzugehen, als nicht nur von rechts, sondern auch von Links Schläge auf ihn und seine Reiterin eindrangen. Was war los, wie konnte das passieren?
Sie riß ihren Kopf herum - und sah auf dem Boden den blauen Umhang, die weiße Rüstung, die blonden Haare, mit lähmendem Entsetzen brannte sich der Anblick in ihre Augen... plötzlich höllischer Schmerz, als sich die Axtklinge in ihr rechtes Bein fraß. Das Pferd wieherte panisch und stieg, nein! NICHT runterfall...


Gleich, nur noch ein bißchen aushalten...
Sie hatte kaum noch Gefühl in ihrem rechten Bein, und damit gestaltete sich ein selbstkontrollierter und würdevoller Abstieg als ein gewisses Problem. Hatte sie nicht selbst in den jungen Tagen ihrer Ankunft einer Dame in ähnlich mißlicher Lage geholfen? So hilfsbereit und höflich, wie sie damals zugegriffen hatte, so fest und helfend war nun ihr eigener Ritter zur Stelle. Regelrecht ausgeruht wirkte er, die Gnade Temoras hatte Linderung geschenkt, die daraus resultierende Kraft wendete Sir Krenor nun dazu auf, Aurora und seine Knappin zum Heilerhaus zu bringen.
Noch während Darna sich der Sicherheit der Matratze unter ihr anvertraute, kreisten ihr Gedanken durch den Sinn, wirr und ohne Antwort. Ihr Pferd war tot. Wie sollte sie das Frau Auenfeld beibringen? Sie sorgte sich so hingebungsvoll um jedes ihrer Tiere... der Verlust des bißchen Geldes, das sie bei sich hatte, war zu verschmerzen, doch warum hatten die Halunken ihre Handschuhe haben wollen, bei Alatars krankem Geiste?
Die Heilerin musterte die Platzwunde an Auroras Stirn und den blutgetränkten Verband an Darnas Bein. Die junge Schützin sah furchtbar aus, und der Anblick legte einen eisigen Griff um Darnas Herz.
"Versorgt erst die Gesichtswunde. Sie muß gründlich gesäubert und gereinigt werden, sonst entzündet sie sich."
Für kurze Momente sprach sie überraschend klar und geflissentlich bei der Sache, schloß dann müde und erschöpft für einen Moment die Augen. Dankbar hörte sie, wie ihr Sire ihrem Wunsch Nachdruck verlieh, obwohl er angesichts der Schwere der Verletzungen leicht widersinnig schien.

Sie hatten verloren, doch es ging ihm gut.
"...doch bedenkt, daß ich nicht Sir Hagen bin und auch niemals sein werde."
In der Tat, und noch während ihren Geist tiefer Schlaf vereinnahmte, war sie dankbar für diesen Umstand - es hatte sich nicht wiederholt.
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 28 Jan 2006 01:58    Titel:
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Nach bestem Wissen und Gewissen - Teil I

"Sucht die Schreine und findet für Euch heraus, was sie und ihre Symbolik für Euch bedeuten. Danach lest, was in den Schriften des Klosters darüber steht und lernt. Es geht nicht um morgen oder die nächstmöglichen Tage, doch es sei mein Auftrag an Euch, Knappin von Elbenau."

So oder ähnlich hatte es ihr Herr ausgedrückt. Eine Weile war sie unsicher, gar traurig gewesen, denn sie sollte nun gezielt die fehlenden Schreine suchen, statt sie zu finden, wie es bisher geschehen war. Sie war nicht gezwungen, über das Land zu hetzen. Sie hatte Raum, ihren eigenen Weg dabei zu gehen. Trotzdem sträubte sich etwas in ihr, aber warum?
Vielleicht war hier auch auf diese Frage eine Antwort zu finden... Leise drückte Darna die Türklinke herunter und betrat das kleine Gebäude, das den Schrein vor Wind und Wetter schützte. Es war leer, und doch fühlte sie sich willkommen, nicht Zuhause, sondern wie ein umsorgter Gast. Ihr Blick wanderte über die Bänke und die Kissen, hing verzaubert wie jedes Mal an den springenden Lichtfunken, die stetig die Luft zu erfüllen schienen, und glitten über das Symbol, das für die Tugend der Geistigkeit stand.
Als Aradan ihr auftrug, vor jedem der Symbole niederzuknien und zu beten, hatte sie wieder dieses Gefühl leichter Kränkung empfunden, wie jedesmal, auch in ihrer Ausbildung, wenn man sie über Dinge belehrte, die sie schon ohnehin von sich aus tat. Sie erinnerte sich daran, wie sie beim ersten Erblicken des ersten Schreines diesen lange verwundert betrachtet hatte, sich fragend, was es zu bedeuten haben mochte - und schließlich respektvoll den Kopf geneigt hatte, bevor sie ging - aus dem Gefühl heraus, daß es richtig sein würde. Am nächsten Tag hatte sie es noch immer nicht sicher gewusst, und war dennoch niedergekniet.
Heute schien es ihr als selbstverständliche Geste, sich vor dem Schrein wie vor dem Altar der Kirche zu verneigen und auf ein Knie zu gehen. Sie betete zu ihrer Göttin, und die Worte muteten wie die Bitte eines Gastes um Obdach an, wie die Bitte eines Schülers um Unterweisung, wie die Bitte eines Gejagten um Zuflucht und Ruhe.

Dann erhob sie sich, hüllte sich fester in ihren wärmenden weißen Umhang und setzte sich auf eine der Bänke, holte ein leeres Buch hervor und etwas zu schreiben. Sie ließ sich alle Zeit der Welt damit, ihre ersten Zeilen bedacht zu Papier zu bringen - es würde eh eine lange Nacht werden, vielleicht würde sie gar den kommenden Tag hier verbringen... so lange, wie es eben brauchen würde.

"24. Hartung des Jahres 249, gegeben unter Temoras gütigem Licht

Diese Zeilen setze ich auf, im Bemühen, über die Tugenden der Herrin Temora zu schreiben, so wie man sie mich lehrte, so wie ich sie zum heutigen Tage empfinde und verstehe. Stammt auch der Befehl, dies zu tun, von meinem Herrn Sir Aradan Krenor, so folge ich dieser Order doch gerne und mit eigenem Willen. Zum Schrein der Geistigkeit habe ich mich begeben, um meine Gedanken sammeln und ordnen zu können, doch will ich mir nicht viel anmaßen: Ich bin kein Templer, weder sollen meine Worte Predigt sein, noch sollen sie den Anspruch der Wahrheit bergen. Es ist nur meine ganz eigene, zu dieser Stunde existierende Wahrheit auf dem Pfad des Lernens; es ist lediglich das, was ich im Herzen fühle und im Geiste denke, in vermutlich unbeholfene Worte gekleidet. Bislang vermochte ich nicht zu erfassen, was mich wirklich bewegt, doch ich will mein Bestes geben, Ordnung in wirres Empfinden zu bringen.
Meine Erfahrungen will ich ordnen nach der Reihenfolge, in der ich die Schreine vorfand, denn mit jedem Schrein wuchsen meine Gedanken zu ihnen, wurden komplexer.

Gerechtigkeit - Waage
Ich fürchte, jeder Mensch hat in seinem Leben Dinge erfahren, die er für sich als Ungerechtigkeit empfindet. Bei näherer Betrachtung scheint es unsinnig, daß ich beim Anblick der reinen Dinge zuerst an die unreinen dachte, die für mich selbst Gewicht haben, doch es war so. Ich dachte an all die Streitigkeiten mit Gernot von Kelterburg, an unsere Rivalität, die Jahre währte und die selbst heute in mir noch keinen Frieden fand. Stets hat er versucht, meine Herkunft zu schmälern, jeden Makel an mir hervorzuheben und meine Geduld mit Arroganz, Sarkasmus und Anmaßung auf die Zerreißprobe zu stellen - oft genug erreichte er sein Ziel.
Ich weiß noch sehr genau, wie ich bei den ersten Besuchen des Schreines mir nichts mehr wünschte, als daß es eines Tages Gerechtigkeit geben möge: Daß ich von Kelterburg beweisen könne, daß mein Name "von" Elbenau nicht allein durch meine in seinen Augen niedere Geburt verdient sei, sondern auch durch den Verdienst, selber Ritterin geworden zu sein. Die Schmach, die er mir stets angetan, wollte ich vergolten wissen. Die Niederlagen im Kampf, die er mir aufzwang, durch harten und ordnungsgemäßen Kampf heimgezahlt wissen.
Es kam mir wie ein schlichter Wunsch nach Gerechtigkeit vor... inzwischen zweifle ich daran. Drei Dinge waren es, die diese Einstellung schließlich fragwürdig erscheinen ließen:
Es geschah, daß ich der Hinrichtung zweier Menschen beiwohnte, die maßgeblich mit den Tod meines Herrn Sir Hagen von Weilenscheidt zu verantworten hatten. Sie bereuten nicht, seit Jahren waren sie liderlichster Wegelagerei nachgegangen, und sie hatten meinen Ritter in einen erbärmlichen Tod getrieben - das Ende durch den Strick erschien nur gerecht, und innigst hatte ich es ihnen gewünscht. Doch mein Erschrecken darüber währt bis heute - als ich sah, wie ihre Genicke brachen, als ich sah, wie das von mir erwünschte Ende eintrat, glich ich ihnen im Herzen weit mehr als gewollt, denn statt Zufriedenheit oder Erleichterung verspürte ich rein gar nichts. Im Moment ihres Todes schien es, als sei auch ich innerlich tot gewesen.
Was war es also, das mich nach ihrem Tod verlangen ließ? Gerechtigkeit? Hätte mich dann ihre vom Gesetz ordnungsgemäß durchgeführte Hinrichtung nicht zufriedenstellen müssen?

Das Zweite war, als ich in der Kirche zu Varuna ein Gespräch mit Herrn Miron Nordhag darüber führte, was Gerechtigkeit sei, und ich antwortete auf seine Frage das, was einst Bruder Talarions Worte gewesen waren: "Gerechtigkeit ist das Urteil, das beiden Seiten wahren Frieden schenkt, mit dem beide zufrieden sein können."
Die Worte erschienen mir in dem Moment selbstverständlich, und doch änderte sich etwas zu der Zeit davor: das Symbol der Waage gewann tieferen Sinn für mich. Die Waage symbolisiert tatsächlich hervorragend Gerechtigkeit, denn sie strebt das perfekte Gleichgewicht an und doch genügt ein Weniges, um sie in fast stetes Pendeln zu bringen - den Zustand von Harmonie somit so schnell wieder verlassend, wie er erlangt wurde.
Allein der göttlichen Macht der Herrin Temora mag es vergönnt sein, wahre und erfüllende Gerechtigkeit zu wahren, und selbst sie befindet sich durch den Kampf gegen den Brudermörder in einem stetigen gegenseitigen "Aufwiegen" ihrer beider Kräfte. Es erscheint logisch, daß wahre Gerechtigkeit beidseitig sein muß, denn in der Unausgewogenheit empfindet man als Unterlegener stets die Situation als ungerecht, doch wie soll Gerechtigkeit also entstehen können, wenn Alatar stets darauf bedacht ist, mit mehr Gewicht in seiner Waagschale seine göttliche Schwester zu übertrumpfen?

Das Dritte war der Wunsch einer Frau, die mir noch klarer als zuvor vor Augen führte, daß Rache und Vergeltung den Anspruch vorgaukeln, Gerechtigkeit anstreben zu wollen, doch daß sie dazu Mittel benutzen, die das Erreichen von Gerechtigkeit schon durch sich selbst ausschließen. Die Bitterkeit der Frau war nur verstehbar, sie hatte ihre geliebte Schwester verloren und war daran, Rache gegen jenen zu schwören, der sie in feigem Kampf getötet und enthauptet hatte.
Meine eigene Erfahrung hatte mich zu diesem Zeitpunkt bereits gelehrt, daß aus solchem Ansinnen keine echte Genugtuung entsteht, zumal sie grausame Pläne schmiedete, die nicht gutzuheißen waren. Ich bekehrte mich selbst, indem ich sie davon zu überzeugen versuchte, daß weder sie selber noch ihre tote Schwester aus so etwas irgendeinen Nutzen ziehen würden. In überspitzter Weise erschien mir ihr Leid und ihre Verfehlung als die meine, und ich bete zu Temora, daß meine Worte etwas bewirkt haben mögen und sei es wenigstens nur, ihr etwas wie Trost oder Kraft oder auch nur einen Anlaß zu weiterem Nachdenken gegeben zu haben. Gerechtigkeit kann nicht erzwungen werden, indem man an seiner eigenen Waagschale reißt. Und sie kann auch nicht erlangt werden, indem man die andere Seite schwerer und schwerer werden lässt. Dies sei meine derzeitige Meinung dazu.“
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 29 Jan 2006 19:39    Titel:
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Nach bestem Wissen und Gewissen - Teil II

"Demut - Beugung

Der Abend, an dem ich den Schrein der Demut fand, wird für mich immer etwas Besonderes bleiben. Es war eine Ermahnung, mich auf meine eigenen Grenzen zu besinnen, als ich drohte, den Blick nur auf Äußerlichkeiten zu konzentrieren und das Wesentliche aus den Augen zu verlieren.
Ich hatte wenige Tage zuvor das erste Mal die Mauern der Paladinfeste gesehen, hatte die Ritter oben auf dem Wehrgang wachen sehen. Seit ich zurückdenken kann, ruht in mir eine Begeisterung für dieses Leben, für all das, für was edle Ritter stehen, doch in meiner Lage zu dieser Zeit machte es nicht sonderlich den Anschein, daß ich meinen Weg zur Ritterschaft ohne Sir Hagen weiter hätte fortsetzen können. Sehnsucht danach, diesem Ort und all dem, für was er steht, nahe zu sein, machte ich mich mitten in Nacht und Kälte aller Vernunft zum Trotz auf, um einen Weg um das Gebirge herum zu suchen, mich der Feste noch auf anderem Wege nähern zu können als über die Brücke hinter Berchgard.
Der Weg dauerte viele Stunden und statt der Ritterfeste fand ich den Schrein auf der Suche nach einem Weg über den Fluß. Was mir bei seinem Anblick durch den Sinn ging, lässt sich nicht beschreiben; ich war beschämt und zufrieden zugleich.

Bruder Talarion, Hofkaplan seiner Erlaucht von Felsenstein, hatte mir eines Tages befohlen, ein bestimmtes Buch aus einem Regal der Bibliothek zu holen. Er war sich sehr sicher darüber, daß das Buch dort sei. Viele Minuten später, wohl bereits ein halbes Stundenmaß, kam er selber in die Bibliothek und fand mich vor dem Regal stehend an, zum ungezählten Male die Reihen der Buchrücken durchgehend, weil ich den gesuchten Band nicht finden konnte. Er sah mich an und sprach: "Darna - gehe einen großen Schritt zurück und schließe deine Augen."
Ich tat wie geheißen und er ließ mich einige Augenblick so verharren, bis ich zur Ruhe kam. Dann ließ er mich die Augen öffnen. Ich fand das Buch: es lag flach oben auf dem Regal.

Demut ist in meinem Empfinden die Tugend, die eigenen Grenzen auch dann zu akzeptieren, wenn man sie gerade nicht sieht oder auch direkt vor ihnen steht. Demut gibt die Gelassenheit, seinen eigenen Platz und seine eigene Bestimmung so anerkennen zu können, wie sie sind. In der Demut beuge ich mich freiwillig, und der Lohn ist innerer Frieden.
So suchte ich in dieser Nacht und auch der darauffolgenden Zeit nicht mehr nach der Feste. Ich beugte mich der Tatsache, daß meine Situation so war, wie sie nun einmal war und daß der Anblick von roten Umhängen und goldenen Rüstungen nichts daran ändern würde. Zum heutigen Tage darf ich mich Knappin von Sir Krenor heißen und bin dankbar darum.
Im Nachsinnen über das Verweilen in seinen eigenen Grenzen kommen mir die Erzählungen von Alatars Fall in den Sinn. War die Demut die erste Tugend, an der er frevelte, als er nach mehr verlangte als das, was Eluive ihm zugedacht hatte? Mit seiner Bestimmung zufrieden, hätte er womöglich einen vorbildlichen Dienst geleistet und viel Leid wäre erspart geblieben, doch er wollte nicht zufrieden sein, wollte über seine Grenzen hinaus - es scheint mir die Gefahr an dem zu sein, was man leichtfertig verherrlichend "freiheitliches Streben" nennt. Alatar frevelte, indem er, über seine eigenen Grenzen hinaus schreitend, Getares' Grenzen verletzte. Und keine Demut vermochte ihm Einhalt zu gebieten.

Das Symbol selber trägt für mich durch seine gekrümmte Linie eine eigenständige Botschaft, wenngleich es vermutlich einen Bettlerstab oder ähnliches darstellt. Stets seitens meiner Familie darauf bedacht, daß ich aus edlem Hause komme, demzufolge einen anderen Rang innehabe, anderen Verpflichtungen nachkomme als der gemeine Bürger, war doch die Erfahrung wertvoll, mit nichts in den Händen dazustehen und auf die selbstlose Hilfe anderer Menschen angewiesen zu sein.
Trotz aller Schrecknis, die dem Tod von Sir Hagen innewohnte, ist es eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Demütig bin ich an vertrauenswürdig scheinende Menschen herangetreten und habe Milde erfahren. Verschiedenen Bettlern war ich zuvor begegnet und glaubte nun, zu begreifen, wo Unterschiede zwischen Demut, geheuchelter Unterwürfigkeit, beschämender Erniedrigung und gar Demütigung durch andere liegen.

Ein Ritter soll im Schutz der Schwächeren ein Schild sein, standhaft, eine Eiche, die allem Sturmwüten trotzen kann. Doch in sich selber muß er Demut tragen, um zu seinem eigenen Schutz sich im Sturm auch biegen zu können wie ein Halm, anstatt zu brechen.
Seltsam rührt es mich in diesen Momenten des Schreibens an, daß der Stab der Bettler nicht nur ihr Zeichen der Beugung nach außen ist, sondern ihnen tagtäglich oft das letzte bißchen Halt und Stütze gewährt."
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 02 Feb 2006 22:33    Titel:
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Nach bestem Wissen und Gewissen - Teil III

"Aufopferung - Tropfen

Als ich zurückkehrte von der Suche nach Sir Hagen und von den verhehrenden Kämpfen vernahm, die während meiner Abwesenheit Varuna in Schutt und Asche gelegt hatten, da gab es Stunden, in denen ich mich schuldig fühlte und mit dem Hergang der Geschehnisse haderte.
Ich hörte von fallenden Toren, an denen ich nicht stand, um mit anderen zusammen einen lebenden Wall gegen die Feinde zu bilden. Ich hörte von all den Toten, die zu betrauern waren und dachte: "Vielleicht hättest du eines dieser Leben bewahren können."
Doch ich war nicht da, um der Stadt zu dienen, der ich meinen Dienst versprochen hatte, und es schmeckte ebenso bitter wie die Flucht, die mir Sir Hagen befahl und während der er sein Leben verlor. Zu beiden Ereignissen hatte ich das Gefühl, daß ich hätte da sein müssen. Daß dies unsinnig war, gebot die Vernunft. In beiden Fällen folgte ich meinen Pflichten, in beiden Fällen - und wohl auch sonst nie - war nicht vorauszusehen, was diese Entscheidung bedeuten würde.

Zu einem Teil dieser Einsicht führte skurrilerweise ein Streit mit einer Person, die Temora und ihr Handeln als feige bezeichnete, daß die Tugendbringerin sich in einer uneinnehmbaren Festung versteckt habe, statt sich Alatar zu stellen. Sie schien genau zu wissen, von welchen Ereignissen sie sprach, während ich mich auf unvertrautem Terrain wiederfand, so vermied ich es, ihr mit diesbezüglichen Argumenten zu begegnen. Mir war nur unverbrüchlich bewusst, daß die Herrin Temora nicht feige ist, und daß sie, wenn sie den Kampf gegen ihren älteren Bruder gescheut haben sollte, es aus wohlen Überlegungen heraus geschehen sein muß. Schwertmeister Roderich fasste es kurz und treffend zusammen:
"Vorsicht ist keine Feigheit. Und Leichtsinn kein Mut."

So sehr mich also auch das Schicksal von Sir Hagen und Varunas Bürgern dauerte - es geschah eben so, wie es geschehen ist, und es wird seinen Sinn gehabt haben. Ihre Gnaden Valeth merkte an, daß Temora niemandem mehr aufbürde, als er tragen könne, und vor dem Schrein erklang in mir die Frage, was in beiden Fällen denn mehr hätte geschehen sollen, als daß ich nur mein Leben weggeworfen hätte? Weswegen sollte ich undankbar über die hütende Hand sein, die die Herrin auf ihre Weise in diesen Zeiten über mich hielt?
Aufopferung ist die Bereitschaft, das, was einem selber gegeben wurde, selbstlos auch wieder zurückzugeben. Sei es das letzte Brot, das man dennoch am Feuer mit einem Gast teilt, sei es letztendlich das eigene Leben, das man für ein anderes in die Waagschale des Schicksals wirft.
Aufopferung sollte stets aus Mitgefühl entstehen, nicht aus eigener Geltungssucht, weil es "heldenhaft" wäre, oder weil man sich selber allein danach besser fühlt. So sah ich auch im ersten Erblicken des Symbols darin einen Blutstropfen, Blut, wie es Gelmir Ancalime für Temora vergoß, doch im weiteren Nachsinnen vor dem Schrein erschien mir auch die Träne des Mitleids oder der Trauer um Verlorenes gerechtfertigt - die Bedeutungen sind mir inzwischen gleich viel wert.

Je länger ich darüber nachsinne, umso schmaler scheint mir der Grat zu sein, auf dem man zur Tugend der Aufopferung geht. Jedes Leben ist wertvoll und unersetzlich, auch das eigene, und wer darf sich anmaßen, in Zeiten der Not darüber zu entscheiden, was mehr wert sei? Doch man muß es, und mancher warf vermutlich sein Leben lieber in dem Anschein weg, damit aufopferungsvoll zu sein, als sich den Konsequenzen seines Überlebens zu stellen.
Auf der anderen Seite ist das Leben ein Geschenk, das ohnehin enden wird, und in der Aufopferung kann - wie bei Gelmir geschehen - etwas weit Größeres bewahrt werden, als es das eigene Leben ist. Letztendlich ist es vielleicht aber auch tatsächlich wahr, was ich zu einem anderen Menschen sagte, der um den angeblich ehrlosen und unwürdigen Tod eines Verwandten trauerte: Im Tod selber liegt keine Ehre, ehrenvoll kann nur das Leben sein, bis zum letzten Herzschlag.
Und so sollte Aufopferung nicht allein am eigenen Tod gemessen werden oder an der eigenen gänzlichen Selbstaufgabe, sondern im Sinne der Waage stets daran, was man stattdessen damit zu bewahren gedenkt und was es tatsächlich bewirkt - eine schwere Prüfung.
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 07 Feb 2006 20:18    Titel:
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Demut im Kampf?

Mit unbarmherzigen Hieben teilte er weiter aus, doch Gernot konnte es jedesmal nicht leiden, wenn sie stur stehen blieb, schließlich hatte er es stets genossen, sie über den Platz zu scheuchen, bis sie rückwärts besser laufen konnte als vorwärts. Doch seit ihrem heimlichen und verbotenen Duell hatte sich ihr Kampfstil radikal geändert.
Verbissen glich ihre Mimik der eines wütenden Köters, sie war durch Schläge auf Kopfhöhe schnell zu verunsichern und mied es selber penibelst, solche auszuteilen, und sie gab freiwillig keinen fußbreit Raum mehr preis.
"Wollt Ihr den Beinamen 'Darna, der Fels von Elbenau' erringen, oder was soll das werden, Knappin?", schallte Roderichs Stimme herüber, als Gernot wieder in die Offensive ging und er erneut in die offene Klinge zu stürmen drohte.
"Schiefer", zischte ihr von Kelterburg zu, "da kann man zusehen, wie er bricht..." - wieder hämmerte sein Schwert gegen ihren Schild, ihr rechter Fuß rutschte über den Boden, sie suchte neuen Halt und schlug erbarmungslos zurück - wer angriff, gab leichter Lücken in der Deckung preis, das hatte sie rasch gelernt.
"Eines Tages ist hier nichts als Granit, und dann gnade dir, wer immer dann noch was für dich übrig haben mag, du arroganter Taugenichts", dachte sie zornig.


Sie brachte den Schild einfach nicht schnell und oft genug in die richtige Position, er fegte ihr Schwert beiseite, und bevor sie es wieder zurück in Paradehaltung gebracht hatte, prallte der nächste Treffer gegen ihr Kettenhemd. Auch wenn es nur Holzschwerter waren, mochte sie nicht darüber nachdenken, wie viele blaue Flecke sie morgen früh würde zählen können.
Nicht, daß sie einer Lehrstunde undankbar gegenüberstünde oder daß sie von ihrem Gegner erwarten würde, daß er sie schone, doch ganz langsam ging es ihr im Hinterstübchen auf den Keks, daß sie gegen Aradan nicht ankam - mit richtigen Waffen hätte er sie schon ein halbes Dutzend Mal zu Boden gestreckt. Doch sie würde nicht weichen!

Der Ritter beobachtete aufmerksam, was durch die Sehschlitze des Helmes vom Gesicht seiner Knappin zu sehen war, und was er erblickte, mochte sonst nur bei irgendwelchen Finsterlingen zu finden sein: die Narben, tiefer in der Haut im Schatten liegend, zerfurchten die völlig grimmig wirkende Mimik, die Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt, die dichten Brauen zusammengezogen, die Stirn in höchster Konzentration gefurcht, die Zähne stetig zusammengebissen, daß die Wangenknochen hervortraten. Ein Antlitz, das aus reinem Zorn gemeißelt war, konnte nur so oder sehr ähnlich aussehen. Rein vom Anblick her musste der Argwohn entstehen, daß sie ihn töten wolle, doch die Hiebe waren trotz ihrer Unvollkommenheit überaus präzise geführt.

„Ihr müsst lernen, wie ein Halm im Wind zu sein, Knappin“, sprach er schließlich lehrend, „Biegen aber nicht brechen… Im Moment gleicht ihr einem Berg.“
Überrascht sah sie ihn an, während er weiter erklärte: „Doch so massiv er ist, mit dem richtigen Werkzeug kann man auch einem Berg Wunden schlagen - tiefe Wunden.“
Nein, er konnte nicht davon wissen, oder? Für einen Moment war sie verunsichert. Es konnte sein, daß er die Papiere in ihrer Kommode über Demut gelesen hatte und ihren Vergleich darin – doch eigentlich traute sie ihm nicht zu, daß er an ihre privaten Sachen gehen würde. Er dozierte auch ohne… Hintergedanken, wie ihr schien. Als denke er selber persönlich nur gerade daran.
„Nur der Halm windet sich unter der Kraft des Angreifers hinweg, egal wie viel er davon hat. Versucht nochmal, den Schlägen auszuweichen, statt sie zu blocken.“
Konnte Demut in einen Kampf passen?
“Wie auch immer – tu einfach, was er sagt, schlimmer scheitern als Meister Roderich kann er nicht. Hoffentlich gibt das keinen Ärger…“
Sie versuchte, auszuweichen, doch das verbissen und verkrampft wirkende blieb. Schließlich sprach er sie auch darauf an, vermutete Wut dahinter – wieder fühlte sie sich unangenehm an die Lektionen bei Roderich erinnert.
„Nein, Sir“, widersprach sie entschuldigend, doch feststellend, „Ich verliere durchaus nicht bei einem Kampf den Kopf, doch dies verbissen wirkende ist mir seit Jahren zu eigen und ich kann es nicht kontrollieren.“
„Habt Ihr es schon mit Beten versucht?“
Beten? „Ich bete jeden Morgen, Sir.“ – er schüttelte gütig den Kopf: „Ich meine im Kampf.“
War er jetzt übergeschnappt, oder verstand sie ihn falsch? Vermutlich letzteres. Man betete vor dem Kampf, zumindest bei wichtigen, aber während des Kampfes? Das meinte er nicht, oder?
„Ich möchte, daß Ihr im folgenden Kampf betet, Knappin. Laut und deutlich, und zwar hingebungsvoll, so daß es keine Beleidigung für die gütige Herrin ist.“
Sie ächzte leise. Bei aller Gläubigkeit… sie schluckte. Wollte sie eine Aufforderung zum Beten verweigern?
„Wir Ihr… wünscht… Sir…“

Sie atmete durch. Das konnte ja was werden. „Herrin Temora, im Lichte…“ – abwartend musterte sie ihn, während sie das ihr vertraute Gebet begann. Sie musste nicht auch noch als erste den Angriff beginnen, oder?
„Nur weiter. Und kämpft…“ Er kam nun auf sie zu.
„…deiner Ge…“ Sie stockte schon, als der erste Schlag kam.
„Weiter.“
„…rechtigkeit“, haspelte sie das Wort schnell weiter und riß verspätet den Schild hoch.
„Bewahrt Ruhe.“
„…knie ich nieder“, sprach sie, während sie wie angewurzelt auf der Stelle stand.
„Beinarbeit, Knappin“, erklang es auch schon prompt. Sie stolperte unter seinem nächsten Schlag halb beiseite.
„Ich höre Euch nicht beten.“ – das machte ihm auch noch Spaß, oder? Sie selber wusste kaum noch, wo ihr der Kopf stand. Würde jemand die beiden gerade beobachten, er hätte ein einziges Desaster erblickt.
Gelassen musterte Aradan sie. Nein, es machte ihm keinen Spaß, sie aus der Fassung zu bringen – seit dem ersten Kampf, bei dem er sie erlebte, hatte sie sich deutlich verbessert, vor einigen Tagen erst hatte sie sich als merkliche Unterstützung beim Kampf gegen die Untoten erwiesen, doch hier, vor der Trainingshalle zu Varuna, war mehr als offensichtlich geworden, daß es noch einige Schwächen auszubügeln galt. Er stand hier als Lehrer.
„Beruhigt Euch, Knappin“, wiederholte er geduldig, „Ihr müsst Euch im Moment nicht beweisen. Sprecht mir nach…“

Darna atmete ein weiteres Mal durch und bemühte sich, sich wieder zu sammeln, sich zu konzentrieren.
„Temora… gütiger, lichter Glanz in unseren Herzen“, sprach er bedächtig und begann, derartig langsame Schläge zu führen, daß ein Kind sie parieren konnte. Die Knappin sprach ihm nach und parierte derweil die Schläge. Es war gänzlich ungewohnt, dabei einem Gebet angemessen zu sprechen, doch die benötigten Bewegungen waren durchaus von der Sorte, die sie nötigenfalls im Schlaf beherrschte. Erst kamen die Worte sehr stockend, bis es ihr gelang, ihre Aufmerksamkeit angemessen auf Parieren und Zuhören zu verteilen.
„Temora, güt..iger lich..ter Glanz i..n unseren.. Herzen...“
„gewähre unseren Herzen die Gnade deiner Tugenden.“
Sie mühte sich redlich, und in der Ungewohntheit der Aufgabe blieben die Augen tatsächlich aufmerksam geweitet, die Mimik weit gelassener als zuvor, abgelenkt, auf ihren Herrn gerichtet.
„ge..währe unseren.. Herzen die Gnade.. dei..ner Tugenden...“
„Erfülle unsere Herzen mit der reinen Zuversicht und der Gnade…“ – weiterhin schlug er sehr langsam zu, und er registrierte ebenso, daß ihre Bewegungen weniger fest kontrolliert, sondern flüssiger und lockerer kamen.
„Er..fülle unsere Her...zen mit…“ Aradan erhöhte kaum merklich das Schlagtempo, erneut drohte es, sie enorm zu irritieren, doch als wolle sie es ohne ein Wort zum Ausdruck bringen, wich sie etwas zur Seite, instinktiv damit eine angemessene Bewegung vollziehend, während sie ihm weiter nachsprach: „der reinen... Zuver..sicht und der.. Gnade...“ – von Gegenangriffen konnte noch keine Rede sein.
„…inneren Friedens und Ausgeglichenheit. Schenke den Menschen die Ruhe und Kraft…“
„…inneren Friedens und…“ Ohje. Was kam dann? Ach ja, „Ausgeglichenheit.“ Der nächste Satz gefiel ihr, sein Rhythmus bot sich an, die Paraden mit ein paar Gegenschlägen abzuwechslen. Nicht, daß Aradan sie nicht seinerseits hätte parieren können, doch das Ganze gewann langsam an Gegenseitigkeit.
„welche deine Taten und deine Barmherzigkeit in einem jeden Herzen wecken.“
„..welche deine Taten *Schlag* und deine Barmherz *Schlag* igkeit in einem jeden *Schlag* Herzen *Schlag* wecken.“ Und noch einmal drauf. Trotz der Ernsthaftigkeit, mit der sie bei der Sache war, schien es langsam, als würde ihr das sowas wie Spaß machen.
„Erweise den Deinen die Gunst, unter deinem Schutze den Frieden und die Ruhe zu finden, nach der sich ein jedes Herz sehnt.“
Ja, die Sache reifte – und als sie bei „finden“ angekommen war, musste er sich sogar ducken, um ihren Hieb zu entgehen.

Dicht zischte die hölzerne Klinge an seinem Gesicht vorbei. “Nicht!“, fuhr es ihr nur entsetzt durch den Sinn, und mit Vollendung des Schwunges flog ihr eigenes Schwert ein gutes Stück beiseite, erschrocken losgelassen. „Himmel!“, entfuhr es ihr, „Hab ich Euch getroffen?“ Das würde sie sich nie verzeihen… sie sah in ein amüsiertes Gesicht, hörte ein freundliches leichtes Lachen. „Alles in Ordnung, Knappin? Nur geschrammt, keine Sorge – doch jenes ist Ziel im Kampf.“
„Ja… natürlich…“ Bei allen Göttern, wie dämlich das wirken musste. Aber sie hatte vergessen, darauf aufzupassen, nicht in Kopfhöhe zuzuschlagen, weil sie sich sonst dauernd Sorgen machte, daß…
Betroffen weiteten sich ihre Augen, während sie noch beschämt zu Boden sah – die plötzlich begreifbare und so erschreckend offensichtliche Wahrheit traf sie wie eine persönliche Ohrfeige, und sie schluckte schwer. Sie hielt sich dauernd selber zurück, war dauernd gehemmt, eingeengt, ab diesem einen bestimmten Punkt kaum handlungsfähig. Auch was das ausmachte, wurde ihr erst jetzt bewusst. Es war so lächerlich wie das Erstaunen eines Blinden über die Erkenntnis, daß er so niemals ein vernünftiger Maler werden könne. Sie hatte mit ihren eigenen Methoden diese Schwäche zu umgehen, zu meistern versucht, doch es minderte nicht den Makel. “Was soll das für ein Kämpfer sein, der Angst davor hat, zuzuschlagen?“, dachte sie selbstkritisch.
Es ging an Aradan nicht vorbei. „Was habt Ihr, Knappin?“
Konnte sie das vor ihm zugeben? Sie hatte keine Lust, diesen kindischen Eindruck einer weinerlichen jungen Kämpferin zu erwecken, die sich selbst bekrittelte, nur um Lob zu erheischen. Das hatte sie nicht nötig, und darum ging es hier auch nicht. Wenn sie mit dieser Schwäche nicht besser umzugehen lernte, war sie im Notfall eine Gefahr für andere, die sich auf sie verließen.

„Macht Euch keine Sorgen... Wir alle tragen Probleme und Erinnerungen mit uns herum, gute wie schlechte… Ich dachte mir schon, daß so etwas Euch beschäftigt und darum solltet Ihr Euren Geist reinigen. Es gibt viele Übungen, um dies zu tun, doch jene ist mir die angenehmste. Übt Euch darin. Es war… eine sehr schöne Erfahrung, mit Eurem reinen Geist zu streiten, Knappin.“
Das Bild einer sich ihr entgegenstreckenden Hand schob sich in ihre Gedanken, und sie hob den Blick, sah ihrem Ritter in die Augen. Kein Hohn, kein Spott, nichts als Güte lag darin.
“Er ist das Gegenteil von Gernot“, stellte sie irgendwie bitter für sich fest. Noch immer maß sie so viel an dem von ihr verhassten Knappen, ließ sein Gift in ihren Gebeten, ihren Gedanken, Wünschen und sogar im Kampf gären.

„Auch, wenn Ihr sein Andenken ewig im Herzen tragen werdet und sollt – so darf die Vergangenheit Euch doch nicht beherrschen. Ihr müsst lernen, seiner so zu gedenken wie er es wollte…“ – verächtlich schnaubte sie bei diesen Worten Aradans aus. Leicht verwundert sprach er weiter: „und konzentriert Euch auf das Hier und Jetzt. Wenn Ihr in einen Kampf geht und in Eurem Geist stetig nur an das Eine denkt – an diesen einen Kampf – wird Euer Geist nie vollständig im Hier und Jetzt sein und irgendwann ist es schnell jene Unaufmerksamkeit die Euch vielleicht eines Tages das Leben kosten wird…“
Verärgert mischte sie sich dazwischen: „Wenn ich seiner so gedenke, wie er es wollte, müsste ich auf seine elende Arroganz noch Loblieder singen, diesem aufgeblasenen Grafensprößling eine Statue bauen und auf mein eigenes 'von' im Namen verzichten, am besten noch Hausmütterchen werden!“
„Wir sprechen von Sir Hagen, Knappin?“
„Was?!“ – entgeistert sah sie ihn an. „Nein!“ Wie kam er darauf? “Weil er doch Gernot gar nicht kennt.“
Sie stockte, wurde knallrot. Das durfte doch alles nicht wahr sein.
Aradan behielt das Gefühl, daß er mit seinen Lehren dennoch nicht so verkehrt lag, auch wenn es um jemand anderen zu gehen schien. Doch es war genug für heute. Zeit, nach Hause zu gehen.

„Wenn es nicht Sir Hagen war… scheintet Ihr Euch nicht gerade gut mit jenem verstanden zu haben, hm?“ Das war so offensichtlich gewesen wie ein Oger zwischen Dotterblümchen.
„Ihr müsst mir eines Tages mal berichten, was Euch in jenen Momenten bewegt, Knappin, wenn Ihr wollt. Vielleicht hilft es, darüber zu reden.“
Wieder die helfende Hand. Inzwischen hegte sie die stille Hoffnung, in ihrem eigenen Ritter die unerschütterliche Vertrauensperson zu finden, die sie in Bruder Talarion gehabt hatte, trotz Aradans eigener Jugend. Doch dies… musste ebenso wie vor Bruder Talarion verwahrt werden. Dieser Stachel im Fleisch musste wohl zuwachsen, statt gezogen zu werden.
„Ich habe bei meiner Ehre Schweigen gelobt, Sir“, erwiderte sie leise. Es würde besser sein, wenn er nie irgendetwas von ihrer persönlichen Fehde erfuhr. Luczilla hatte sich schon zu leicht einen Reim darauf machen können. Er respektierte es, was ihn nur noch weiter in ihrer Achtung hob.

Beten während des Kämpfens… sie sollte es weiter üben, doch schon in dieser Lektion hatte es verheerende Folgen gehabt. Sie stand vor den aufgerissenen und zerwühlten Trümmern ihres zuvor brüchigen Fundamentes. Es würde etwas Neues entstehen müssen, was trotzdem sie selber sein sollte…
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 14 Feb 2006 01:57    Titel:
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Nach bestem Wissen und Gewissen - Teil IV

Geistigkeit - Temorakreuz

Im Symbol selber scheint mir viel der Bedeutung dessen geborgen, was Geistigkeit als Tugend sein soll: Vom Fundament des Seins nach Höherem strebend, sucht der Geist nach Vollendung, nach Wahrheit, nach einem geraden Weg. Nach beiden Seiten führt es weiter, sei es im Sinne der Lehre, die sich verbreitet, sei es im Sinne des Lernens, Einflüsse von außen aufzunehmen und Teil des Ganzen inneren Selbst werden zu lassen. Aus der gefundenen Mitte heraus weiter den Weg zum Himmlischen suchend, kann das wahre Ideal nicht erreicht werden, doch am höchsten Punkt der Nähe zum Göttlichen findet das Streben in Harmonie den Weg zurück zu sich selbst.

Lange schien mir die Geistigkeit die schwierigste Tugend, doch wage ich es nicht länger, dies so weiter zu benennen. Jede Tugend birgt hohe Ansprüche, je weiter man ihr folgen will, keiner kann man alleine folgen und die anderen außer Acht lassen, denn sie gehören alle irgendwie zusammen. Ohne Wahrheit bliebe alles Nachdenken sinnlos und schal, es braucht seine eigene Form von Demut, sich seiner eigenen Fehlbarkeit stets bewusst zu sein. Selbst Mitgefühl darf nicht verloren gehen, denn was sollte das für ein Temoradiener sein, der nur versessen in einer Bibliothek oder in der Meditation säße und darüber die Hilfebedürftigen vor den Türen seines eigenen Klosters vergäße?

Geistigkeit ist in meinen Augen die Aufforderung, über sein eigenes Tun nachzudenken, zu prüfen, abzuwägen, Erfahrungen einzubinden, stets nach Verbesserung zu streben. Und ebenso vielfältig, wie die Anforderungen darin sein können, so unterschiedlich sind die Gefahren: Wie leicht und wie gerne ruhen einige sich auf ihren eigenen Fehlern aus, geben angesichts der Tatsache, stets nur fehlbare, sterbliche Wesen zu bleiben, den Kampf nach fortwährendem Dazulernen auf?
Wie viele übersehen, daß in der Fülle von Erfahrungen jeder von jedem lernen könnte, weil jeder anderes erfährt, anderes erlebt, erduldet und erreicht?
Ein hungriges Kind vermag es, einem gestandenen Erwachsenen in wenigen Augenblicken mehr über Leid, Demut, Angst und verletztem Stolz beizubringen, als es womöglich der Templer daneben in der gleichen Zeit vermocht hätte - wenn der erwähnte Erwachsene nur gewillt ist, seine Augen dafür zu öffnen. Es ist keine Unfähigkeit im anderen, es ist nur die Tatsache, daß ein einziges menschliches Leben gar nicht allein die Fülle der möglichen Erkenntnis fassen und schon gar nicht weiter vermitteln kann.
Auch eine Gefahr ist es, vor dieser niemals zu bewältigenden Aufgabe zu zerbrechen. Sei es, daß man die Augen verschließt und damit aufhört, zu lernen, sei es, daß man im sinnlosen Bemühen, alles zu erfassen, in sich selbst ausufert und zerfasert. Neues Erkennen muß Teil der Persönlichkeit werden, muß Ruhe finden, erst dann kann es selber Weiteres tragen oder sich selber als Lehre an andere neu offenbaren.

Seit ich meine Schreiben hier begann, an anderen Orten fortsetzte, wenn ich die nötige Ruhe fand, habe ich weitere Erfahrungen gewonnen, konnte alte Fragen als erklärt betrachten, stieß dafür auf neue. Heute schließt sich hier ein Kreis, wird sich zu anderer Zeit neu auftun, denn die Suche nach allen sieben Schreinen hat sich nicht als eine Aufgabe erwiesen, sondern als sieben Aufgaben, die Teil von Einem sind.
Bislang fand ich jeden Schrein zu einer Zeit, in der sein Anfinden mir weiterhalf, mich zum Nachdenken anregte, damit weiterführte, Frieden schenkte, indem ich zu einem neuen Teil meiner Selbst zurückfand.
Keine Beschreibungen wiesen mir den Weg, und das entstehende Vertrauen, daß die Schreine so vorhanden und auffindbar sind, wie sie es seit jeher sein sollen, war ein angenehmes Gefühl, das ich nicht mehr missen möchte.
So schien es mir auch erst befremdlich, gar bedauerlich, daß ich nach den verbleibenden Schreinen gezielt suchen sollte, statt sie wie bislang durch glückliche Fügung zu finden. Die Verwirrung war nicht gering, denn was sollte diese Auflehnung? Was sollte verkehrt sein an einer Anweisung meines Herrn, eines Ritters in Temoras Gunst und dem Suchen nach diesen Stätten, die nichts Schlechtes in sich bergen?
Hier am Schrein der Geistigkeit fand ich für mich eine Erklärung, die mir bislang richtig scheint, ich könnte keinen Frevel und keine Anmaßung darin entdecken:

Die Schreine sind da, waren schon immer da; sie ändern sich nicht, sondern mit jedem Auffinden war ich es, die sich änderte und zugleich ebenso im Inneren die Gleiche blieb. Ruhend, suchend, aufnehmend, weitergebend, strebend, zurückfindend. Genau hierin findet sich das Symbol der Geistigkeit wieder, und auch der Auftrag findet hierin seinen Sinn - aus dem heraus, was ich selber bin, fand ich die ersten Schreine, lernte Vertrauen und Wißbegier gleichermaßen. Aus dem Zufall des Findens und Erkennens verinnerlichte ich, und ganz natürlich darf dann die gezielte Suche beginnen, denn es macht keinen Sinn, darauf zu beharren, zufällig weiter etwas finden zu wollen, von dem man weiß, daß es da ist und daß es erstrebenswert ist. Alles, was es lediglich braucht, ist die nötige Ruhe, um weiterhin die Zeit zu gewähren, daß das Erlernte sich festigen darf. Noch immer werden die Schreine nicht anders sein, gleichgültig, ob gefunden oder gesucht. Es wäre Starrsinn, sich dem Suchen zu verweigern, die Schreine damit abzulehnen, nur um auf einer Stufe der Erkenntnis zu beharren, die an sich abgeschlossen ist und weiterführen kann.
Diese Antwort schenkte mir Gelassenheit, und so möchte ich dafür danken. Immer Neues lerne ich, doch Eines, das bleibt, ist das Vertrauen, daß alles Kommende sich fügen wird, wenn ich nicht darin nachlasse, jeden Tag auf's Neue mein Antlitz zu erheben, um meine Augen zu öffnen für alles, was wahr ist.
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 15 Feb 2006 16:45    Titel:
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Nach bestem Wissen und Gewissen - Teil V

Ehre – Kelch

Wo viele der Tugenden schwer zu erreichen sind, halte ich Ehre für eine Tugend, die stattdessen schwer zu bewahren ist. Ehre ist schwer zu fassen und schwer zu erklären, unterschiedlichste Ansprüche werden an sie gestellt und man kann nicht Ehre als solches ausüben, sondern Ehre bildet sich nur aus anderen Dingen, die man tut oder lässt.

Das Symbol der Ehre sei der Kelch, doch glaube ich nicht, dass eine Gleichsetzung mit dem Gefäß alleine der ganzen Vielschichtigkeit von Ehre gerecht würde. So wie der Sinn eines Kelches nicht in ihm selber liegt, sondern darin, mit einem reinen Getränk darin zu erfrischen und zu laben, so soll die Ehre den Tugendhaften selber als auch andere stärken und von Nutzen sein.
Der Kelch muß für sich selber fest stehen, sonst wird er seinen kostbaren Inhalt vergießen und seinen Sinn verlieren, nur noch leere Hülle sein, und so muß auch der Tugendhafte einen sicheren Stand beweisen und darf nicht wanken. Wie auch beim Kelch ist es jedoch dem Menschen vergönnt, sich nach einem Stürzen neu aufzurichten, neu befüllt zu werden – der vorige Inhalt muß allerdings als verloren gelten.

Alles, was sich im Kelch findet, ist auf Vertrauen gegründet. Wohl wird der sich selbst einschenkende am Besten wissen, was er in sich gewahrt wissen will, und schon hier beginnen die Ansprüche unterschiedlich zu werden – was ihm gefällt, muß dem Nächsten so nicht schmecken, und kann doch noch Ehre sein.
Als Verdorben muß allerdings alles gelten, was Gift für einen selbst und andere ist.

Ehre besitzen kann jeder, doch ist leider nur zu oft das Misstrauen gerechtfertigt, aus dem Kelch eines anderen nicht trinken zu wollen – sagt auch das Äußere des Gefäßes nicht unbedingt etwas über seinen Inhalt aus. Wahrheit, Verlässlichkeit, Güte, Hilfsbereitschaft, Mut, Gerechtigkeitsempfinden... all dies und mehr können Inhalte sein, die die Ehre des Einzelnen ausmachen.
Was man für sich als Ehre empfindet und was man anderen als Ehre zugesteht und abverlangt, sorgt für ein komplexes Gefüge aus „Gesetzen der Ehre“, die kein Weiser der Welt zu Papier bringen könnte, denn es ist so wenig greifbar wie ein Sonnenstrahl – und im rechten Maße auch so wohltuend.

Mich selber lehrte mein Vater, meine Ehre an den Geboten der Tugenden und meinem Herzen zu messen. Wenn ich den Dingen gedenkend, die ich getan und gelassen habe, mir im Spiegel in die Augen sehen kann, ohne Trotz, ohne Reue, und mit dem ruhigen Gefühl, das Richtige getan zu haben und es vor mir und der Herrin verantworten zu können, so sei meine Ehre gewahrt. Er lehrte mich auch die Verse:
„Es kann die Ehre dieser Welt
dir keine Ehre geben.
Was dich in Wahrheit hebt und hält,
muß in dir selber leben.

Wenn’s deinem Innersten gebricht
an echten Stolzes Stütze,
ob dann die Welt dir Beifall spricht,
ist all dir wenig nütze.

Das flücht’ge Lob, des Tages Ruhm
Magst du dem Eitlen gönnen.
Dies aber sei dein Heiligtum:
Vor dir bestehen können!“
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 11 März 2006 00:06    Titel:
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Das Glück dieser Erde...

Dünne Zweige peitschten ihr entgegen und wieder senkte sie instinktiv den Kopf, verlor damit das Ziel aus den Augen. "Gewöhn es dir doch endlich ab! Du wirst dir diese Schwäche nicht ewig erlauben können..."
Das Pferd unter ihr wusste, wo sie schon wieder hinwollte, und das machte den Hauptgrund aus, warum sie auf Kurs blieb, ihr Ziel wieder neu anvisieren konnte.

Noch etwas weiter lehnte sie sich vor, als das Pferd mit der Last der gerüsteten Knappin auf sich die kleine Anhöhe hochgallopierte, auf den Baum zu, von dessen Ast die aufgehängte Strohpuppe herabbaumelte. Sie holte aus... anderthalb Schrittweiten von Sandsturm noch...
Schlag!

Die Klinge traf schräg vor der Schulter des Übungsobjektes, dort, wo bei einem echten Menschen wohl das Schlüsselbein gewesen wäre, glitt am Arm schließlich ab, während die Reiterin vorbeipreschte. Die Puppe wirbelte um ihre eigene Achse, schwenkte aus, schlingerte unkontrollierte, ehe sie in ein etwas regelmässigeres Hin und Her-Pendeln überging.
Darna achtete nicht darauf, es galt, die Zügel wieder rasch und sicher mit beiden Händen zu greifen, vorher schon ruhig den Albergerhengst durch Schenkeldruck um die nächsten Bäume herum zu dirigieren, den Galopp dann erneut in ein Austraben und dann gemächlichen Gang zurück zu maßregeln.
Die Flanken des Tieres begannen zu schwitzen, Dreck war an Roß und Reiterin hochgespritzt, und es hing feiner, kaum wahrnehmbarer Nieselregen in der Luft.

Einen herrlichen Tag hatte sie sich dafür ausgesucht, den Waffengang zu Pferde zu üben... doch ihre Auswahlmöglichkeiten waren mehr als spärlich. Sie hatte heute keinen Dienst im Kastell oder auf Patrouille, so lauteten die Varianten, daß sie sich mit dem Elend des Armenviertels auseiandersetzen durfte, wie es ihr Herr kurz vor dem Mordfall befohlen hatte, oder sie machte sich daran, den nächsten der letzten zwei Schreine aufzusuchen.
Sie entschied selber, daß sie eher die geistige Beruhigung benötigte, ehe sie sich mit neuem Leid auseinandersetzte, hatte das Pferd gesattelt und den langen Ausritt durch die weiten Wälder Gerimors genossen.

Sicher würden die Elfen sie wieder beobachtet haben, doch diesmal beging sie nicht den Fehler, den Forst gerüstet zu betreten. Ein wenig seltsam kam sie sich schon vor, als sie vor der Waldgrenze stand und gut vernehmlich, doch an niemand sichtbares gerichtet "Ich komme in friedlicher Absicht!" rief... aber sie ahnte, daß dort Ohren waren, die es hören würden - und wenn nicht, machte es auch keinen Schaden.

Der Schrein des Mitgefühls...
Sie sog die Stille des erhabenen Ortes dankbar in sich auf, genoß die Ruhe, die Beschaulichkeit, den Frieden, den dieser Ort vermittelte. Doch heute hatte sie hier auch das Gefühl, als gäbe dieser Schrein ihr still ermahnend eine Aufgabe mit auf den Weg.
Sallagar war nur ein Schritt auf einem langen Pfad gewesen, irgendwie ahnte sie gar, daß sein Leid, sein ganzes Wesen und die Probleme, die sich mit ihm ergeben hatten... einfach gewesen sein mochten. Er hatte ein klar zu benennendes Problem, es machte ganz den Anschein, daß es eine Möglichkeit gab, ihm diese erdrückende Last, die er mit sich trug, von den Schultern nehmen zu können.
Die Gossen der Bettler würden wohl anderes zeigen; nicht greifbare Berge an Problemen, daß man nicht wusste, wo man anfangen sollte. Diese Bitterkeit, die Saldor gezeigt hatte... "Ihr verlängert ihr Leiden nur. Ihr helft ihnen auf, aber sie werden nur hinfallen, sobald Ihr sie wieder loslasst."

Sie dachte eine Weile nach und musste sich schließlich eingestehen, daß sie Angst vor dieser Aufgabe hatte. Es konnte so vieles aufwühlen - was, wenn sie überfallen wurde?
"Vertrauen. Hab irgendwie Vertrauen." Sie atmete durch und wappnete sich geistig gegen die neuen Grenzen, die sich ihr wohl in verletzender Weise offenbaren würden. "Temora gebe mir den Mut und die Kraft, Dinge anzugehen, die ich ändern kann; sie gebe mir die Gelassenheit und Ruhe, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann - und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden." So hatte Bruder Talarion stets mit einem hintergründigen Lächeln gesprochen, und manchmal, wenn sie sich in den letzten Tagen vor unüberwindlichen Problemen wähnte, hatte diese Lehre sie davor bewahrt, sich selbst aufzureiben, denn zu vieles lag schlicht außerhalb ihrer Macht.
"Tu, was du kannst. Nicht mehr und nicht weniger. Und sollte doch alles Leid zuviel werden, so ist dein Mitleid nicht nur bei anderen... sondern ihr Mitleid ist dann auch mit dir."

Nachdenklich erinnerte sie sich an den befremdlichen, doch wohligen Schauer, der ihre Haut zum Kribbeln gebracht hatte, als sie ganz vorsichtig und behutsam mit den Fingerspitzen die Platte des Schreins berührte - und schreckte auf, als die schon durchweichte Strohpuppe geradewegs auf sie klatschte. Mühsam hielt sie sich im Sattel und ein undamenhaftes "Dreck!" kam ihr über die Lippen. Sie brachte Sandsturm zum Stehen. Es reichte.
Hinter ihr fiel ein kleiner Klumpen Stroh aus einer geplatzten Naht an der Seite, trotzdem hatte Frau Kyteler gute Arbeit geleistet - sie hatte das Ding ziemlich ausgiebig malträtiert, und zu spät hatte sie erkannt, daß die Verwendung eines Holzschwertes vernünftiger gewesen wäre.

Sie band das nasse Ding los und ritt an Sir Rafaels Haus vorbei zurück nach Varuna. "Ob er auch in dem Wald früher geübt hat?"
Sie ritt durch das Südtor, grüßte die Kollegen, ritt in das prächtige Viertel, wo ihr Herr wohnte.
Morgen würde sie anderes sehen...
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 17 März 2006 15:13    Titel:
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Nach bestem Wissen und Gewissen - Teil VI

Mitgefühl - Herz

Mit-Gefühl... Schon über das Wort alleine ließen sich ganze Bände füllen. Es ist nicht alleine, einem Bettler ein paar Münzen zu geben, daß er sich diesen Tag Brot kaufen kann. Mitgefühl ist eine gewaltige Aufgabe, denn es ist die Ermahnung, sich stets als Teil des Ganzen zu begreifen. Die Ermahnung, in jedem Gegenüber einen Teil von sich selbst zu sehen, nicht nur für sich, sondern für den anderen mitzudenken, mit zu empfinden, an seiner Seite zu stehen.

Echtes Mitgefühl macht aus Herrschern gütige Herren, denn sie spüren die Sorgen ihrer Schutzbefohlenen und begegnen ihnen mit angemessener Rücksicht, egal um was es sich handeln mag. Mitgefühl gebietet, die Handlungen des Gegenübers zu akzeptieren, mehr noch: sich in sie hineinversetzen und sie zu einem gebotenen Maße nachempfinden zu können, denn kein Handeln ist in sich "sinnlos" - jeder hat für alles, was er gerade tut, einen Grund, den er als wichtig genug ansieht, um so und nicht anders zu handeln.
Echtes Mitgefühl macht aus Dienern wahrlich helfende Geister, denn sie erkennen, welche Rücksicht und welchen Raum ihr Herr benötigt und was ihm gerade wirklich hilfreich ist.

Das gegenseitige Geben und Nehmen erhält nur mit Mitgefühl tieferen Sinn, mit ihm entsteht eine Art des gemeinsamen Wirkens, das die Welt tief bewegen kann, denn mit gegebenem und erhaltenem Mitgefühl schreitet der Mensch nicht mehr allein, sondern mit dem Bruder zusammen. Es erfüllt sich eine weitere tiefe Zufriedenheit:
"Ich erhalte, indem ich gebe."

Darin sei das Vertrauen verankert, daß keine Tat, die aus echtem Mitgefühl entstand, verloren oder sinnlos ist, sondern in dem größeren Gefüge des Gebens und Nehmens irgendwann und irgendwie in anderer Art zu einem zurückkehrt und letztendlich im Mindesten vor der gütigen Herrin nicht vergessen ist. Es lässt sich nicht in der Zahl von Almosen bemessen, sondern ist die Wärme im Herzen, wenn man dem Nächsten etwas Gutes tut und die Kostbarkeit des Umstandes begreift, mit den eigenen kleinen, einem selbst gegebenen Mitteln ein Stückchen Welt - und mag es noch so klein sein - für einen Moment die Schönheit der Harmonie erkennbar gemacht zu haben.
So laut der Ruf nach Selbstlosigkeit bei gefordertem Mitgefühl auch oft erklingt, es ist nicht selbstlos. "Ich erhalte, indem ich gebe."
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 18 März 2006 19:01    Titel:
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wie alle anderen...

"Und was siehst du?", hatte sie ihn leise gefragt.
"Vielleicht fehlt mir der Weitblick... die Fähigkeit, hinter die Dinge zu schauen. Jedoch... ich sehe nichts weiter als Individuen, die mit hoch erhobener Nase durch die Strassen laufen. Die im Namen irgendeiner Göttin um Vergebung für ihre Sünden flehen, um Stärke bitten, und das einhergehend mit Säckchen voller Gold. Menschen, die sich über das wahre Leben erheben, und sich anmaßen, über dasjenige der anderen zu entscheiden und es zu bestimmen, zu begrenzen.
Das sehe ich.
Und das sehe ich, wenn ich daran denke, daß du einen Weg eingeschlagen hast, der meiner Meinung nach ebenso dahinführt."

Der Weg zum Ritterstand... der Weg zu Temora, der Weg zu Ehre, Würde, Anstand, Dienst am Herrn, Schutz an den Untergebenen - und er sah nichts als Hochnäsigkeit am Ende dieses Weges?

"Ich kenne diese Worte längst", entgegnete sie fest und bitter, als er meinte, daß sie vielleicht seine Worte in Erinnerung behalten möge, "Doch nie hat es jemand gewagt, mir ins Gesicht zu sagen, daß diese Worte die Wahrheit über mich wären, nie wagte es jemand, dies als Wahrheit über meinen Vater zu behaupten. Aber immer ist es 'der Adel'. 'Die anderen, die so sind wie ihr. Adelig eben.'
Durch Edelmut ist meine Familie überhaupt erst adelig geworden, und ich bin stolz darauf." Langsam machte sich Verärgerung in ihrem Tonfall breit. Kämpfte sie völlig umsonst? Sah selbst Adrenalon nicht mehr in ihr?
"Jeden Tag gebe ich mein Herzblut dafür, aller Welt zu zeigen, daß Edelmut und Adel mehr ist.
Daß dieses Gefüge funktioniert. Daß die arroganten Verteter meines Standes die Ausnahme sind."

"Ich wollte deine Familie in keinster Weise angreifen. Indes, allein die Tatsache, daß wir beide uns nun darüber doch streiten, bestätigt mich in meiner Meinung nur noch."
Es war auch egal, was sie sagte, oder? Wütend trat sie einen halben Schritt vor, direkt vor ihn und starrte ihm ins Gesicht.
"Das, was du Schlechtes sagtest... ist es das, für was du mich hälst? Ist das die Wahrheit, die du in mir siehst?" - hatte sie so sehr versagt?
"Das ist die Zukunft, die ich sehe, gehst du diesen Weg bis zum bitteren Ende", antwortete er ohne zu zögern. Sie wollte aber kein bitteres Ende. Am Ende dieses Weges war Licht, am Ende dieses Weges, der nie zuende war, war die göttliche Herrin, was ließ so erschreckend viele Menschen das Licht dort nicht sehen?
"Kennst du das Wort ...'Vor-Urteil'... Adrenalon?"
"Kennst du das Wort 'Erfahrung', Darna?"

Die Worte ihres Kameraden, den sie zu schätzen gelernt hatte, waren wie Schläge ins Gesicht. Diese Bitterkeit, die sie bei so vielen erfuhr, schien ihr wie eine Krankheit, gegen die sie kein Heilmittel wusste.
"Groll, myn Maid. 's is eyn Gift, eyn schleychendes", hörte sie die fast vergessenen Worte eines alten Mannes.

"Lassen wir das doch... ich möchte mit dir nicht streiten, das führt zu nichts und ehrlich gesagt, du bist mir viel zu wichtig, als daß das durch so etwas Profanes wie einen Streit in der Gasse gestört werden kann."
Sie, ihm viel zu wichtig?
Was wagte er es dann? Was trieb ihn dann dazu, sie in einen Topf mit Gernot von Kelterburg zu werfen? Seine verletzenden Worte nagten in ihr, raubten ihr lange Zeit die Ruhe, um einzuschlafen, und verfolgten sie noch über die Schwelle des Schlafes hinaus...

Sie hing über diesem dunklen Loch, in das sie sich für Saygan stürzen wollte, um ihn von da unten zu retten. Für diesen Mann, der hinter ihr stand, gehässig lachte und das Messer wetzte.
"Ich krieg dich, Schlampe", hörte sie ihn, "Ich kann warten. Hör auf, herumzuseiern."
"Hör auf, Phrasen zu dreschen", stimmte Gernot ihm zu.
Sie hing dort, sie hatte nicht einmal Angst. Sie musste dort runter, für jemand anderen, es konnte nicht verkehrt sein. Adrenalon hielt sie, sie war sicher.
"Du hast diesen Weg eingeschlagen", sagte er - und ließ los.

Sie stürzte, fiel, entsetzlich lange, in die Dunkelheit, immer weiter.
"Du bist wie alle anderen!", rief er ihr hinterher.
Sie hatte keine Angst. Es konnte nicht sein, war nicht wahr - sie war nicht wie alle anderen, sie war eine von Elbenau. Darna von Elbenau.
Sie schlug unten auf, fiel in den Matsch eines Schweinepferches.
"...erhebe ich mein Antlitz, um meine Augen zu öffnen für alles, was wahr ist", zitierte eine gehässige, spottriefende Stimme. Sie konnte nicht sagen, von wem sie kam. Sie hob den Blick, erhob sich und schaute auf die Menschen vor sich: Gernot, Saygan, Clarissa, Saldor, Adrenalon, hinter ihnen so erschreckend viele Menschen - und alle ohne Gesicht. Sie erkannte sie, doch sie hatten kein Antlitz. Nur eine völlig leere gerundete Fläche.
"Willkommen in unserer Mitte."
"Ich bin nicht wie ihr."
Sie lachten. Lachten sie aus.
"Es ist dunkel hier, aber bist du blind?"
Sie tastete nach ihrem Gesicht... und fühlte nichts als glatte, leere Fläche. Sie wollte schreien, aber hatte keinen Mund dazu.


Als sie schweißgebadet endlich erwachte, hoffte sie, daß man sie im Nebenraum nicht gehört hatte, daß sie nicht wirklich geschrien hatte, aber ihr Brustkorb und ihr Hals taten weh.
Sie hatte nie zuvor gedacht, daß sie einmal für ihre Narben im Gesicht dankbar sein konnte, als sie wie von Wahn getrieben sie immer wieder abtastete... sie waren da, sie hatte ein Gesicht.
"Ich bin nicht wie ihr", flüsterte sie beschwörend.
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 21 März 2006 23:23    Titel:
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Die Gesichter der Armut - Tag Eins

"Let me take you by the hand and lead you through the streets of Varuna
I'll show you something to make you change your mind"

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"Ich weiß diesmal nicht, wo ich beginnen soll. Der Befehl lautete, einfach am besten alles aufzuschreiben, was mir in den Sinn käme - nun gut, sei es, wie Ihr wünscht, Sir.

Es gibt auch im geringsten Viertel Varunas verschiedene Bereiche, dies ist sicher kein Geheimnis. Vieles schien mir nicht fremd, führen doch die Patrouillen oft genug hierher. Manches wirkt gar idyllisch mit kleinen verwinkelten Gassen, den sich aneinanderschmiegenden Häusern, den Eheweibern kleinbürgerlicher Handwerker, die man beim Kehren der Straße, dem Klatsch und Tratsch an den Brunnen oder beim Waschen der Wäsche zusehen kann. Spielende Kinder, und am idyllischsten ist sicher der kleine Teich am Westrand des Viertels, um den herum die Vögel nun wieder die ersten Nester herrichten.

Doch kein Viertel scheint mir so viele verschiedene Gesichter zu haben wie dieses. Sind dies tatsächlich die gleichen Straßen und Gassen, wenn nachts eine Gruppe lärmender Trunkenbolde vier Gardisten in Atem hält und einen ganzen Straßenzug um die wohlverdiente Nachtruhe bringt? Wo sind tags diese Winkel hin, in die sich bei Dunkelheit kein Kollege mehr recht traut?
Mein Seidenumhang gleitet über Dreck und Unrat - aber wieso fällt er mir erst jetzt in dieser Eindringlichkeit auf? Er wird sicher nicht erst seit eben dagewesen sein...
Geschlossene Ladenfenster, doch ich höre und weiß, dahinter findet Leben statt. Doch abweisend sind sie zu, selbst tagsüber, und es fällt mir erst jetzt auf. Fast habe ich Angst, den Weg zurück nicht mehr zu finden, denn je länger ich hier gehe, je mehr ungewohnte Dinge mir auffallen, desto mehr entsteht der Eindruck, als trete ich über in eine andere Welt, eine ganz andere. Ist dies noch Varuna? Es wirkt fremd. Habe ich Varuna bislang etwa nie wirklich gekannt?
Leider kommen mir die Worte von Frau Ilvess wieder in den Sinn, ich wünschte, ich könnte ihnen die Härte, den giftigen Stachel nehmen. Immernoch erscheinen sie mir von Falschheit getrieben, doch nun bedenkenswert - als könnte es gefährlich sein, sie außer acht zu lassen. Sie sagte, der Graf würde das wahre Leben auf der Straße nicht kennen. Meinte sie dies?

Ich sehe verschlossene Türen und blinde Fenster, dunkle, zugemüllte Gassen, abweisende niedrige Gänge zu verborgenen Hinterhöfen. Wieso habe ich all das vorher übersehen und was bergen sie?
Wann habe ich den Mann dort das letzte Mal übersehen, der sich zum Einbruch der Nacht zwischen halbvergammelten Kisten auf einem improvisierten Lager einfindet, das ich bei Licht und einem flüchtigen Blick nur für eine Ecke voller Müll gehalten habe?
Ich habe noch einen anderen Mann beobachtet: ich sah, wie er zwischen gänzlich unbrauchbaren Möbeln und weiteren, undefinierbaren Unrat stand, einen alten Strohschuh in der Hand, schon etwas zerfranst. Ich dachte, er wolle dort eine unauffällige Nische suchen, wo er seinem Müll dazutun könne und hatte schon dazu eine etwas mißbilligende Meinung.
Ich sah den Mann wieder - und er trug an seinen Füßen einen durchgelaufenen Lederschuh und diesen Strohschuh, wirkte zufrieden, als er ging. Er hatte den Strohschuh nicht wegwerfen wollen, er muß ihn dort gefunden haben...
Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen.

Nicht das Armenviertel verändert sich und wird fremd, sondern mein Blick dafür ändert sich und es ist fremd, war schon vorher fremd gewesen. Und ich bin fremd hier... mit jeder Stunde merkte ich es mehr.
Ist es nicht so, daß Leute, in feines Tuch gewandet, auf die ärmer gekleideteren herabsehen? Ich stelle fest, es geht auch anders herum und fast noch schlimmer. Mehr und mehr wurden mir die Blicke der Leute gewahr, zwischen denen ich wie eine Kuriosität wirken muß - und wie ein Eindringling in "ihr Revier". Die Garde wird respektiert, geduldet, hingenommen, ignoriert oder umgangen, je nachdem, in welchen Kreisen sie sich bewegt.
Ich habe heute einige Stunden in der Helligkeit dort verbracht, die Zeit der Dämmerung, vielleicht eine Stunde Dunkelheit, und das Letzte sicher nicht in den schlimmen Gebieten. Doch ich habe den stillen Protest, die schlecht verhohlene Anfeindung gespürt, und ich gebe zu, ich bin gegangen, bevor ich damit nicht mehr umgehen konnte. Ich habe noch keine Ahnung, wie dem zu begegnen ist. Von Aufgeben kann keine Rede sein, doch für heute reichte es.

Die Fassade "Kleinbürgerviertel" beginnt, zu brökeln, und teils habe ich regelrecht Furcht vor dem Fremden dahinter, Furcht vor dem, was sich Unerwartetes offenbaren könnte. In mir nur Vertrauen, daß sich irgend etwas daran fügen wird. Die edelste Kleidung, die ich besitze - ich konnte sie dem Einfluß des Schmutzes, der dort allgegenwärtig schien, nicht entziehen, meine eigene Fassade nicht unberührt lassen.
Ich trat als äußerlich Reichste dort auf, aber nie kamen mir meine Hände so leer vor.
Alles Maskerade. Welches Gesicht wird sich als nächstes zeigen? Und wie wird das meine darauf reagieren, wie werde ich davon beeinflusst werden?"

Nachdenklich las sie den Text. Wirr. Ihr Vater hätte ihn vielleicht schimpfend zerrissen, doch sie wusste, das war nicht mehr der einzige Maßstab. Würde es sich als Fehler erweisen, so offen zu sein? Viel zu viele unbeantwortete Fragen. Auf diesem Papier standen nicht greifbare Ängste. Mochte ein Knappe die vielleicht haben dürfen... aber ein Ritter? Sie legte es beiseite, offen auf ihren Nachttisch, von der Kerze beschwert - sollte Aradan es lesen, wenn er meinte, es jetzt schon lesen zu wollen. Sie würde nichts verändern.
"Hab Vertrauen."
Es war das erste Mal, daß sie das nicht unbedingt beruhigende Gefühl hatte, blind in diesem Vertrauen herumzutapsen, ohne rechte Ahnung, in welche Richtung sich all dies entwickeln würde.
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 25 März 2006 23:08    Titel:
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Nach bestem Wissen und Gewissen - Teil VII

Hatte es irgendeinen tieferen Sinn, daß ausgerechnet der letzte Schrein sich ihrem Zugriff zu entziehen schien? Der Schrein der Tapferkeit blieb noch aus, soviel war sicher. Sie war alle Wasser entlanggeritten, und vom Schrein der Geistigkeit ermahnt, auch durch die Wälder.
Sie hatte, bevor sie sinnloserweise die Strecken zum zweiten Mal ritt, zum Buch gegriffen und nachgelesen, hatte die Hinweise zum Weg gesucht, die in den Geschichten über die Kinder Temoras verborgen lagen - doch ausgerechnet für den Schrein der Tapferkeit musste sie querlesen, der Hinweis lag bei Amyra und Boresal gleichermaßen. Wald, tatsächlich Wald. Östlich vom Schrein des Mitgefühls...

Nachdenklich klappte sie das Buch zu und ließ die Erinnerungen vom Tag Revue passieren, als sie den fast an einen Irrgarten gemahnenden Flußlauf gefunden hatte. Davor war sie vom Schrein der Demut aus durch den Wald geritten...
Inzwischen kam es ihr nicht einmal mehr albern vor, daß sie vor jedem Betreten des Waldes, ungerüstet und das Schwert schwer greifbar unter den Umhang auf den Rücken geschnallt, halblaut "Ich komme in friedlicher Absicht!" zwischen die Bäume rief - die Vermutung war fast Gewißheit, daß dort Ohren waren, die sie hören würden. Fast jedesmal hoffte sie, Malgallad wiederzutreffen. Doch hatte sie die Hoffnung schon fast aufgegeben, daß die Barden der Hochelfen gewillt sein würden, ihr etwas von Gelmir zu erzählen.

An diesem Tag jedenfalls hatte sie schon hoffnungsvoll vermeint, ein Gebäude zwischen den Bäumen erspähen zu können. Doch dann hatte sie eine kaum wahrnehmbare Gestalt dort auch ausgemacht, ein Huschen zur Linken... und respektvoll hatte sie einen Bogen um Haus und Elfen gemacht, deren Gebiet, deren Gebäude, wie sie vermutete.
Jetzt fragte sie sich, ob das nicht ein Trugschluß gewesen war. Die Siedlung der Waldelfen lag doch woanders? Und auch die Hochelfen hatten doch ihr Gebiet nicht mitten in diesem riesigen Wald, sondern hüteten ihn sozusagen nur.
"Wenn das der Schrein war, hast du dich ausgerechnet von Elfen vertreiben lassen?", zog sie selbstkritisch die Brauen hoch.

Wenn dem so war, war es ein peinlicher Fehltritt gewesen. Elfen hatte man mit Respekt zu begegnen, aber doch nicht mit Furcht. Nachdenklich runzelte sie die Stirn. "Dann war es nur angemessen, daß ich ihn nicht fand."
Sie machte sich nochmal auf den Weg.

Respektvoll nickte sie den seltsamen Wesen des Waldes zu. Wandelnde Bäume, bunte singende Lichter... Sie dachte daran, wie sehr sie sich das erste Mal erschrocken hatte, als sie einen dieser riesigen Bäume sah, selbst jetzt kam sie ihnen nicht zu nahe, wenn es nicht sein musste, doch sie waren wohl das, was diesem Wald seinen eigenen Zauber und seine "Seele" gab. Unbeirrt setzte sie ihren Weg fort. Hier irgendwo lag das letzte Haus der Göttin, was diesen Teil ihres Weges anbelangte.
Sie erblickte abermals die grauen Mauern und hielt diesmal darauf zu. Er musste es sein, nicht wahr? Vage drängte sich das Empfinden auf, daß sie sich nicht mehr dafür schämen brauchte, daß bis zum heutigen Tage ihr Weg sie nie ins Kloster geführt hatte.
Dieser Weg für sie hatte nicht dort beginnen sollen, dort lag nicht der Anfang, sondern ein Ziel...

Ihr Blick fiel auf die Bodenplatten, das hellgraue Muster auf dem dunkelgrauen Stein. Das Schwert. Die lebenden Bäume schienen näherzurücken, doch sie schenkte dem keine Beachtung. Hier war geweihter Boden. Hier war sie sicher. Mit diesem Vertrauen ging sie hinein, und still verharrte die Pfeilspitze vor der Bogensehne in ihrem Rücken, machte sich nicht auf den Weg...

Das Schwert, ja. Das offensichtlich scheinendste Symbol, schnell mit Tapferkeit in Zusammenhang gebracht. Gelmirs Waffe, die Rettung für Temora in höchster Not. Und doch - sie hatte andere Tapferkeit gesehen, Mut, so tief, daß sie als Kriegerin sich vor der harmlosesten und doch so mächtigen und ehrfurchtgebietenden Frau innerlich verneigte: ihrer Heiligkeit.
In Darnas Erinnerung sah sie sie wieder auf Saygan zuschreiten, von blauem Licht umhüllt, diese Schale aus Haß mit endlos scheinendem Vertrauen zur Güte Temoras durchbrechend.

Die Knappin ging wieder auf ein Knie vor dem Schrein, das Symbol behielt nicht mehr Gestalt - es ging um mehr als das Erklingen von Waffenstahl, und noch im Haus mit dem Schrein selber fanden wenige Zeilen Platz in dem Buch, dem letzten Buch dieser sieben:


"Tapferkeit - Schwert

Ich knie vor diesem Schrein und erkenne Eines, was kaum Worte verlangt und doch so viel bedeutet:

Tapferkeit ist das Vertrauen, sich einzig den hütenden Händen der Herrin zu überlassen, wenn alles andere nur Zweifel aufwirft. In ihr ruht alle Kraft, wenn man selber keine mehr hat und doch alles gibt."


"Hab Vertrauen."
Mit dieser Ruhe in sich trat sie aus dem Gebäude - und dort den beiden Elfen entgegen, die ihr fast schon aufgebracht oder zornig erschienen. Sie verstand nicht ganz, warum, doch wahrte sie die Höflichkeit. Es waren Elfen. Sie musste keine Angst haben.
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 21 Apr 2006 23:44    Titel:
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Die Gesichter der Armut - Tag Neun

"Let me take you by the hand and lead you through the streets of Varuna
I'll show you something to make you change your mind"

*************************************************

"Die Distanzen schwinden, und es wird Zeit, daß ich über Entwicklungen berichten kann statt nur von den Eindrücken, die sich mir hier aufdrängen. Die Straßen sind die gleichen - doch alles bewegt sich, die Menschen bewegen sich, und vielleicht ist es mir vergönnt, auch selber ein kleines bißchen etwas zu bewegen; zum Guten hin, nicht allein zu Hoffnung, sondern auch zu Verbesserung.

Ich habe inzwischen auch den Eindruck gewonnen, daß der schlimmste fruchtbare Boden für sinnlosen Haß die Angst vor dem Unbekannten ist, die Distanz zu fremden Dingen.
Ich bliebe diesen Menschen hier wohl fremd, auch wenn ich Kleidung wie sie tragen würde. Ich bin nicht wie sie, stetig fallen mir neue Dinge auf, die uns trennen. Doch umso mehr erfüllt es mich mit Zufriedenheit, wenn ich manche Distanz überbrücken, manche Fremdheit in den letzten Tagen beenden konnte, ohne dabei verleugnen zu müssen, was ich bin.
Es schärft die Beobachtung, möglichst rasch und sicher unterscheiden zu müssen, welche Personen hier wie einzuschätzen sind. Mancher Gestalt, der ich früher vielleicht in weitem Bogen aus dem Weg gegangen wäre, um mich selbst zu schützen, trete ich nun weit gelassener entgegen, weil die Zeichen, die hier vor echter Gefahr warnen, andere sind. Die Blicke, der Gang... es ist kaum zu umschreiben.

Und ich komme nicht mehr mit leeren Händen hierher. Mag es manchem lächerlich erscheinen, mit einer Tüte Äpfeln und zwei Decken etwas ausrichten zu wollen - es ist ein winziges Stück Verbesserung, und somit wertvoller als nichts.
Es ist nicht nur ein gewisses Maß an Leistung, geben zu können, sondern auch Nehmen will gelernt sein. Manche Menschen hier können nehmen, ohne daß dieses empfindliche Geflecht aus Spende und Not, aus Milde und Leid in schädigender Art jemanden verletzen müsste. Es scheint etwas zu sein, das wir mit der Zeit zu verlernen drohen, denn kleinste Kinder nehmen in unbefangenster und unkompliziertester Art. Erst später gesellt sich aus Not die Gier hinzu, aus Zurückweisung die Verletztheit, aus Schädigung das Mißtrauen.
Eine hungernde Frau drehte den Apfel argwöhnisch wieder und wieder - ihr Sohn biß in den zweiten einfach hinein, mit einer Dankbarkeit, die sich einzig in der Geschwindigkeit des Verzehrs äußerte.

Kleinste Dinge, die sich bewegen lassen...
Ein wenig haben sich meine Besuche herumgesprochen, Gerüchte wandern hier schnell. Auch ein Entgegenkommen kann gute wie schlechte Seiten haben, nahezu alles, was ursprünglich rein war, lässt sich verderben - meine Gaben haben dazu geführt, daß manche Menschen wahrlich und schlicht dankbar sind und erzählen, sich öffnen - verletzend jedoch, mit welcher Erniedrigung und ratloser Verzweiflung mich andere anbettelten, weit über ein Maß hinaus, das ich geben konnte.
Man kann sich in diesem bodenlos erscheinenden Sumpf rasch selbst aufgeben, das ist keine Schwierigkeit. Doch es benötigt ein hohes Maß an sinnvoller Begrenzung und vermittelbarer Milde, um nicht hineingerissen zu werden und sich weder der Hartherzigkeit noch der eigenen Verzweiflung anheimfallen zu lassen.
Ehrlich gestanden, Sir, weiß ich nicht, ob ich dies hier langfristig überstehen würde oder nicht doch innerlich verdorren müsste. Mein eigenes Wohlbefinden gemahnt mich an eine Festung, die hier belagert und unentwegt beschossen wird.

Ich erwähnte, daß manche Menschen sich hier zu öffnen wagten und von ihrem Kummer und ihren Hoffnungen erzählten, bewahrten wie enttäuschten. Es rührte seltsam an, den Namen von Fräulein Llasthobar hier zu hören. Sie scheint sich eine Weile darum bemüht zu haben, eine Armenspeisung hier zu führen.
Ich weiß nicht, ob es damit in Zusammenhang steht, doch andere Berichte erzählten davon, daß die Armenküche so oft widerrechtlich ausgeplündert wurde, daß der Betrieb nicht mehr gesittet aufrecht erhalten werden konnte. Der Almosener steht in einem schauderhaften Ruf, und nicht ein gutes Wort vernahm ich über ihn und seine Gepflogenheiten hier.
Ich muß dies im gleichen Zuge korrigieren: es waren gute Worte zu hören, doch stellten sich jene bei näherer Betrachtung lediglich als die Worte derer heraus, die von des Almoseners Machenschaften direkt begünstigt waren. Eine Fassade zum Selbstschutz, die bislang niemand durchbrochen zu haben scheint. Er soll die gräflichen Almosen unter den Armen verteilen, ein Bettler als Erster unter Gleichen. Doch es macht den Anschein, daß er sich nach anfänglicher Zuverlässigkeit nun nur noch als Einziger über anderen versteht.

Ich werde seine Erlaucht bitten, hier ein paar Maßnahmen in Gang bringen und über eine angemessene Zeit hinweg bewahrend beobachten zu dürfen. Sicher ist es nicht viel, was ich tun kann, doch vielleicht trägt sich ein kleiner Teil davon weiter, ein Funke Hoffnung, der zu weiteren Kerzen überspringt. Und sollte selbst das vergeblich sein, so war es immernoch besser als nichts.
Ich hoffe, daß mein Blick auf Menschen und ihre Redlichkeit mich nicht trügt, und ich unter anderem eine Frau aufgefunden habe, in die ich Vertrauen setzen kann:
Es war lediglich am Waschbrunnen, wo ich sie das erste Mal beobachtete, und sie fiel nicht durch den höchsten Eifer auf, mit dem sie verbissen selber schrubbte wie andere - sondern damit, daß sie in ganz natürlicher Art eine kleine Zänkerei schlichtete, während sie hilfreich und rasch der Nächsten etwas reichte und daraufhin einer weiteren klugen Rat gab, sich die Arbei zu erleichtern.
Eine Frau, Mutter von sechs Kindern, wie sich später herausstellte. Mir selber trat sie nicht blauäugig, doch auch nicht mit Groll entgegen und überzeugte sich erst von meiner eigenen Aufrichtigkeit, sprach dann jedoch offen und mit Blick für's Wesentliche. Ich schätze es als hohes Gut an, ihr begegnet zu sein und es stützt meine Überzeugung, daß auch in diesen Kreisen von Menschen alle Varianten an Charakterzügen verborgen sein können - und so auch die edlen, aufrechten, und sei es ganz ohne Samt und Seide.

Ich fragte mich auch, was ein Herz wie dieses dann von meinem unterscheide, was die Berechtigung unseres Standes sei, und die Antwort lautet für mich bislang, daß es vielleicht nicht das Herz ist - doch das Leben als Ganzes, und die Maßstäbe, in denen es stattfindet. Es könnte eine gewisse beruhigende Abgrenzung darin liegen, daß sie sicherlich nicht für seine Erlaucht das Schwert zu führen gewillt ist... und daß es mir nicht danach gelüstet, ihre Wäsche zu waschen. Mit jeder Zufriedenheit mit diesen Dingen entsteht Ruhe und ein Fundament, auf dem man aufbauen kann. Ich muß nicht Teil dieser Straßen sein, daß man mich von ihnen nicht mehr zu unterscheiden wüsste, sondern ich darf lediglich nicht so weit entfremdet bleiben, daß meine Augen für einen Blick aus einer anderen Richtung heraus blind wären.
Und erst in diesen Momenten wird mir in formulierbarer Art bewusst, wie wertvoll es sein kann, daß ich anders bin, denn nur so kann ich doch auch in anderer Art, als sie selbst es vermögen würden, helfen. Helfen, weil ich das bin, was ich bin."

Nachdenklich senkte sie die Feder. "Ritter", geisterte es hartnäckig als Wort in ihren Gedanken herum, als solle es die sinnvolle und selbstverständliche Fortführung und Vollendung des soeben geschriebenen sein. "Ritterlich", korrigierte sie immer wieder strikt. "Mag sein, daß dieser Weg seine Vollendung findet, doch sollten mir gar jegliche weiteren Ehrungen verwehrt bleiben, so würde ich doch der Mensch bleiben, der ich nun bin. Ich helfe doch nicht, weil ich Ritter werden will." Selbstkritisch zog sie die Brauen zusammen. "Zugegeben, ich wäre vermutlich nicht aus eigenem Antrieb hingegangen. Nicht in dieser Art. Das Gleiche gilt für das Waisenhaus. Für beide Erfahrungen bin ich dankbar und nehme sie mit, denn geformt hat mich alles davon."
Sie hob grübelnd den Kopf und schaute auf einen unbestimmten Punkt an ihrem Bücherregal.
"Würdest du also auch all dieses tun und all dieses bleiben, wäre alles umsonst gewesen, wäre dir die Ritterwürde ewig versagt?"
Sie schaute auf die einfachen Hemden, die sie morgen mit ins Armenviertel nehmen wollte.
"Ja.
Und wird dies nicht mit einer der Gründe gewesen sein, warum Aradan mich überhaupt als Knappin akzeptierte?"


Sie hatte nicht über das zu entscheiden, was sie wurde - diesem Umstand beugte sie sich. Doch allem anderen, was bis zum heutigen Tag geführt hatte und allen Dingen, die vielleicht noch kommen mochten, sah sie in diesen Momenten im Geiste fest und sicher stehend entgegen.
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Darna von Hohenfels





 Beitrag Verfasst am: 03 Mai 2006 21:59    Titel:
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Die Entlassung

Es waren die letzten Worte, die sie an die Königin richten durfte - doch Anaras Ohren blieben bereits seit Tagen allem Weltlichen verschlossen.
Dennoch...
"Euer Majestät... ich durfte Euch bislang nicht mehr dienen, als es meine Familie seit Großväter Zeit tut."
Adrian stand neben ihr, seine Hand die ganze Zeit auf dem Sarg ruhend, und Darna hoffte inständig, daß auch ihre Worte einen kleinen Teil an Trost spenden mochten. Sie wandte sich ihm zu, warf einen kurzen Blick auf die von Tränen und Kummer gezeichnete Miene und auf die blauen, verschleierten Augen, hinter denen sonst in so rechten Maßen Güte wie Strenge wohnten.
Sie kniete nieder.
"Euer Herz, Eure Güte und Eure weise Herrschaft bis zum heutigen Tage lassen mich in dieser Stunde die rein persönliche Bitte äußern, einen Teil der Lücke, die gerissen wurde, zu schließen, so es mir erlaubt sein möge. Ich möchte Euch persönlich die Treue schwören, auf daß Euer Werk vollendet werde, ungeachtet meines Standes, nur mit meinem Namen.
So lange Leben in mir sei."


Noch während ein Fetzen Verstand sich die Frage stellte, ob ihr klar war, was sie hier tat, wusste sie bereits die Antwort: Ja. Dies hier war richtig.
Es war eine Sache, als Ritter seinem Lehensherrn die Treue zu schwören. Sie war kein Ritter - noch nicht. Und es spielte in diesem Moment auch keine Rolle.
Kein Tag war vergangen, an dem sie nicht der Regentschaft von Adrian von Hohenfels höchsten Respekt gezollt hätte, ihm und seiner Fähigkeit, zu den richtigen Zeiten vor den richtigen Leuten das richtige zu tun.
Ob es eine Dankesrede an sein Volk auf einer Stadtfeier war, oder in Rüstung vor den Menschen stehend, die gewillt waren, mit ihm zu kämpfen - er war nicht nur adelig, er war edel.
Ihm und keinem anderen wollte sie dienen.

"Euer Wille zur Seite zu stehen wird gewiss angenommen werden. Doch schwöret nicht mir die Treue, sondern dem Königsgeschlecht, welches durch Ador den Ersten angeführt wird."
Ador konnte sie diesen Schwur nicht vorbringen - und wollte es auch nicht. Nicht in dieser Weise, nicht persönlich. War es eine höfliche Ablehnung ihres Angebotes?
Weiter lauschte sie den Worten des Grafen:
"Jene, die ihm treu zur Seite stehen, mögen durch Euch Stärke empfangen, so wie er."
Diese Form der Königstreue war seit ihrem Großvater Tradition. Etwas, an dem sie nicht einmal hätte rütteln können, selbst wenn sie es gewollt hätte, sie war schließlich nicht Stammhalter ihres Hauses. Darauf gab es nur eine Antwort.
"Dieser Schwur gilt ungebrochen, Euer Erlaucht", sprach sie gedämpft und fest.
"Meinen Dank an Euch hierfür in meinem Namen als auch im Namen Adors des Ersten, unseren einzig wahren Königs."

Hatte er damit akzeptiert? Ihr Herz tat aufgeregte Hüpfer wie ein kleines Kind, und einen klaren Gedanken zu fassen, schien unmöglich. Sie hatte ihm ihre persönliche Treue angeboten... und er... hatte... gedankt...
Ihr Blick ruhte auf ihm, auf dem Sarg, in ihrer Erinnerung hallten ihre eigenen zu Papier gebrachten Worte nach, daß sie ihm mit ihrem Herzen in diesem Kummer nicht dienen konnte... doch nun schrie es danach.

**************
ein Tag später
**************

Ihr Blick ruhte auf dem neuen Reichsregenten, wie er wieder vor dem Sarg kniete und leise seiner Schwester seinen eigenen Schur vorbrachte:
"So wie ich sicher bin dass Temora gemeinsam mit dir auf uns darniederblicket, will ich nun auch dir und vor Temoras Angesicht schwören, dass ich zu deinem Erstgeborenen stehen werde, ich werde ihm zur Seite sein an deiner Statt, meine liebe Anara."

Mit gewisperten Silben wandte sie sich an ihren eigenen Ritter, hinter dem sie stand, wie sie es seit Monaten nun treu getan hatte. Vor wenigen Tagen hatte er ihre Ausbildung für abgeschlossen erklärt und sie gebeten, bis zur Ritterweihe dennoch weiter ihren Dienst in seinem Hause zu verrichten.
Sie sah zu Adrian und lauschte dem kaum greifbaren Gefühl, das sich in ihr ausbreitete, lauschte der Erinnerung an Worte, die sie an seine Hochgeboren Calor von Gryffenhorst gerichtet hatte - über das verletzende Überschreiten von Grenzen oder dem Erweitern von Grenzen und ihnen dann zur rechten Zeit folgen zu können.
"Sir?"
"Knappin?"
"Sir, wenn... Ihr es mir freien Herzens gestatten wollt... möchte ich Euch darum bitten, mich aus Eurem Dienst zu entlassen."
Lange Zeit erwiderte Aradan nichts, sondern blickte nur zu Adrian - dann schließlich nickte er.

"Ja ... seine Hoheit kann eine treue Gefolgschaft wie Euch gewiss dringender benötigen als ich." Er wandte sich zu ihr um. "So mag ich dies tun, Knappin Darna von Elbenau, und ich danke Euch für die aufrichtige Zeit eures stets gewissenhaften Dienstes."
Er neigte etwas den Kopf vor ihr, doch allein die Geste, die eine ganz eigene Art von Respekt und Dank bekundete, traf sie wie ein Hammerschlag.
"Danke, Sir", sie schluckte schwer, "Für alles."

Der Ritter und nun ihr ehemaliger Lehrmeister sah wieder zum Reichsregenten, und mit leisen Schritten löste sie sich aus seinem Schatten, um einen neuen Platz einzunehmen.
Wenige Schritt schräg hinter Adrian stellte sie sich in ruhiger, wie üblich korrekter Haltung hin und verschränkte mit einem gelösten, leisen Ausatmen in gewohnter Geste die Hände auf dem Rücken...
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