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Verschmolzene Blickwinkel
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 02 Jun 2020 16:54    Titel:
Antworten mit Zitat

„In meinem Kopf beginnen sie wieder einen der Reigen, die immer enger werden. Ein Kreis wird getanzt und dann scheint es, als würde der Platz geringer werden oder aber die Mittänzer schwinden, bis es eine sehr schnelle und hastende Runde ist. Das macht mich... nervös? Weißt du, ich mag jetzt nicht stolpern und fallen, weil ich deine Hand halte und dann fällst du auch.“

„Ich würde nicht zulassen, dass du fällst, nicht solange meine Hand da mitzureden hat, hm? Warum denkst du, dass du fallen könntest? Gibt es etwas in der Mitte des Kreises? Was lässt die Tänzer verschwinden oder warum zieht sich der Reigen immer enger?“

„Nicht wegen dir und mir, sondern wegen dem drum herum. Ich nehme an, dass du deinen Soll in den letzten Wochen sehr wohl geliefert hast? Ich nicht. Die Tänzer verschwinden mit der dahinschreitenden Zeit und Länge des Tanzes, sie bestehen aus Selbstsicherheit und Zuversicht...
Und in der Mitte lauert immer etwas. Das, was nach dem Ende auf mich wartet.“


Part 1: Die Nebelkrähe

Es war eigentlich schon viel zu spät für einen Rabenvogel des Zwielichts und der Tagesstunden, die Eulenzeit war angebrochen und mit dieser hatten die Schwarzfedern nichts zu tun. Eigentlich war es auch zu klamm und peitschend feucht, zu salzig die Luft hier an der Küste, Möwengebiet im Grunde und nicht Terrain der Totenkrächzer. Eigentlich war es hier zu unsicher, zu gefährlich und viel zu dreckig, der Pier und die gossenartigen Gassen daneben, dort herrschten schmutzige Tauben und nicht die Weisheit der Kohleaugen.
Eigentlich – und doch saß die kleine Nebelkrähe seit Stunden bereits still und unbewegt unter dem hervorstehenden Giebel des windschiefen Schindeldachs und starrte in die Schmuddelwelt des Hafenstädtchens hinab. Es roch nach einer Mischung aus menschlichem Unrat, bitterem Schweiß und abscheulich süßer Sünde. So intensiv, dass das Vögelchen sich schaudernd aufplusterte und doch keinerlei Anlass sah, sich zu erheben und in die tröstliche Decke der tiefblauen Nacht zu entschwinden. Nein, genau hier war die kleine Nebelkrähe richtig, denn die Seelen, die sie suchte, blühten im Dunkel solcher Gegenden auf, wie der giftige Nachtschatten im kalten Mondlicht. Sie musste nur Geduld haben, Ekel und Abscheu hinunterwürgen und warten, bis...
Ein Geräusch ließ sie den possierlichen Kopf ruckartig schräger legen und sie begann zu lauschen. Es klang nach einem scharfen, jankenden Schrei. Nicht aus der Kehle eines Menschen, nein, doch lag die verzweifelte Pein eines gequälten Wesens darin und sie ahnte, dass ihre Suche ein Ende hatte. Die pechfarbenen Flügel wurden geschmeidig und leise entfaltet, dann der Flug, ein fast lautloses Rauschen, beschwingte Höhe, dem wimmernden Gejaule entgegen. Was sie zu sehen bekam erstaunte sie nicht, doch ließ es sie aus mehreren Gründen auch nicht kalt: ein geschundener Straßenköter und ein betrunkener Mann – welch ungleiche Kräftemessung. Er trat nach dem Tier, das sich bereits ängstlich in die Ecke einer Bretterverschlagwand drückte und dessen dunkle Augen geweitet und panisch nach einer Fluchtmöglichkeit suchten. Jene konnte die Nebelkrähe geben und so stimmte sie einen krächzenden Choral an, wohlwissend dass der Kerl aufsehen und der Hund im selben Moment türmen würde. Ja, selbst den Steinwurf, der danach in ihre Richtung driftete, hatte sie berechnet und wich ihm flatternd aus. Hinter einem Schornstein lauschte sie dem lallenden Fluchen des betrunkenen Schlägers und erst, als sie die stolpernden Schritte in der Gasse vernahm, setzte sie ihre Verfolgung erneut fort. Sie ahnte längst, dass er den aufgestauten Zorn nicht an einem Stück Holz oder Stein auslassen würde und als er einige Minuten später in ein kleines Hüttchen am Rande des Hafens wankte, die Türe fest hinter sich schloss und das weinende Schreien, diesmal ganz und gar menschliche Laute, im Inneren erneut begann, da wusste die Nebelkrähe sicher, dass sie gefunden hatte, wonach sie gesucht hatte. Es war an der Zeit, den Soll wieder zu begleichen.


***


„Um diese Uhrzeit?“
„Um diese Uhrzeit sollte man nicht durch Wälder gehen, da man in andere Menschen hineinlaufen könnte, die hier ebenfalls einen Mitternachtsspaziergang einlegen?“
„Es hat gar den Anschein, dass dem so sein könnte, ja. Dabei sollten junge Damen, wie Ihr, um diese Uhrzeit längst Zuhause und in der Obhut ihrer Väter sein. Und nicht alleine... im Wald...“
„Ich bin stets in der Obhut meines Vaters...“



Part 2: Der Mann

In einer Stadt, die irgendwo zwischen Alltag und Bedeutungslosigkeit versumpft, ist es unabdingbar eine Strategie zu entwickeln, die einen aus diesem Morast zerrt. Ein rettender Ast vielleicht, nach dem man bei Bedarf greifen kann, wenn man wieder einmal bis zu den Waden in dem farblos-grauen Schlick versinkt. Nur, wer solche Kniffe entdeckt und einen derartigen Ast sein Eigen nennen konnte, der erlag nicht der Verzweiflung und dem Trübsal. Wer wusste, wie man das Leben pulsierend und frisch in den Adern weckte, der konnte hier bestehen und er hatte seine Lösung längst gefunden. Sie lag in der Entladung der Muskeln, die den Funken in jedem Zoll seiner Glieder weckte oder in anderen Entladungen seiner männlichen Kraft, am besten in der Kombination aus beidem! Wann immer ihn also der Sumpf der Gosse zu packen drohte, wählte er die Bauernopfer für seine Strategie aus. Mal schlug er Katzen und anderes Kroppzeug tot, mal suchte er die Hurenhäuser auf und genoss die Macht des zahlenden Kunden oder, wenn der Geldbeutel zu schlaff aber die Lenden stramm waren, besuchte er die, die dank eines Eheversprechens nach wie vor an ihn gebunden war. Er fasste dabei keinerlei festen Plan, sondern beließ die Wahl ganz und gar in des Schicksals Händen, dessen Rad sich zu drehen begann, wenn die Tavernentür hinter ihm zuschlug und er ins Freie wankte. Waren noch genug Münzen in seinen Taschen? Fand er einen Straßenstreuner? Führte es ihn ohne Umwege in die heimische Hütte? Es blieb immer wieder spannend und er ergötzte sich bereits an dieser Scheinwahl, welcher er auch an diesem Abend entgegen hechelte, als er die Spelunke hinter sich ließ und in die Küstennacht gespuckt wurde.
Doch, nein, er hatte nicht damit gerechnet, dass ihn das Schicksal an diesem Abend offenbar glühend verehrte und er weder lange suchen musste, noch sich einen derartigen Prachtfang je in seinen kühnsten Träumen erdacht hätte... diesmal handelte es sich nicht um ein Bauernopfer, sondern um eine Königin, die ihm in die Hände gefallen war.
Im Nachhinein war er sich nicht sicher, was genau es schaffte, seine Aufmerksamkeit durch den trüben Nebel des Suffs zu erhaschen – nicht, dass ihn diese Frage lange beschäftigt hätte - , doch sah er genau zum rechten Zeitpunkt vom Steg herab zum rechten Fleck zwischen dem grauen Strand und den schwarzen Felsen, um eine schneeweiße, zarte Gestalt dort verloren wandeln zu sehen. Weiblich, schwach, alleine. Ein staunendes Grunzen entwich seiner Kehle und zeichnete den passenden Ausdruck auf seine geröteten Züge, ehe dieser einem breiten, dunklen Grinsen weichen musste. Es war an der Zeit, nach dem Ast und der schneeweißen Königin darauf zu greifen.


***


„Welche Augenfarbe hat er? Du hast nicht darauf geachtet, sondern versucht zu lauschen und die Lippen angesehen, hmn? Es ist die Farbe von Smaragdgestein.
Hell und braun, wie Haselnüsse, so warm und lebendig – hell und grün, wie der Frühling in den ersten Blättern der jungen Zweige – dunkel und tiefgründig verborgen, wie der Smaragdstein in den Tiefen der Berge – orangebraun und zugleich gülden, wie das unruhige Feuer des Bernstein – grau, wie der Küstenwind und zugleich so hellblau, wie das frische Eis des ersten Winters...“



Part 3: Das Mädchen

Kohlefarben schwarz, erleuchtet nur vom matten Grünstich einer fernen Erinnerung an Schiefertafeln, entzündet vom stetig glimmenden Span der lodernden Emotionen oder des fiebrigen Wahns, welcher sie in solchen Nächten ganz und gar in seinen unseligen Strahlenkranz hüllte. Sie lehnte an dem Anthrazitgestein und lauschte weder den knirschenden Sandschritten des herantappenden Unholds, noch dem Geplapper des unförmigen Steckenklopswesens, das sich aus den Tiefen ihrer geistigen Umnachtungen an die Oberfläche gewunden hatte, um wieder einmal über Katerworte zu philosophieren, sondern dem Rauschen des Meeres. Dort, im Wispern der Wellen, hörte sie die Geschichten der letzten Abende, sah Gesichter und roch Enttäuschungen. Jene, die sie hatte beobachten müssen, als ein Soldat nicht aus seiner Haut konnte und ein noch so unschuldiges Mädchenherz einen fast hörbaren Riss abbekam. Jene, die sie hatte erfahren müssen, als sie realisierte, dass manche Scheinfreundschaften eben nur dies waren und sich darunter etwas Dunkleres pochend verbarg. Jene, die sie sich selber hatte zuschreiben müssen, als die eigenen Worte das aussprachen, was sie doch schon länger wusste. Er, der sie befreit und vor einem Schicksal bewahrt hatte, welches ihre Seele zerrissen hätte, verlangte den Ausgleich dieser Schuld und in seiner Gnade hatte er ihr jegliche Wahl freigestellt. Sie hatte die vollkommene Entscheidungsgewalt, zu jeder Zeit, so fest in der Hand, wie den schlanken, beidseitig geschliffenen Stoßdolch unter dem Mantel. Es war ihm ganz gleich, wer oder was seine Kraft nähren würde, solange der Fluss selbiger nicht unterbrochen wurde und die Zeit des Müßiggangs war vorbei, hier und jetzt, sofort. Ein Keuchen drang an ihr Ohr und sie tauchte geschmeidig unter dem Wirkungskeis einer grabschenden Hand hinweg, drehte sich in der Bewegung, um zum ersten Mal direkt in das Gesicht des vermeintlichen Verfolgers zu blicken. Rotblondes, ausgeblichenes Haar, Sommersprossen im rauschgezeichneten Gesicht, unrasierte Stoppeln an den Wangen und dem Kinn – Augen in der Farbe später Oliven, ein Hauch träger Herbstsonne auf saftigen Berghängen, der Geruch von staubiger Erde und halbverdorrten Kräutern, der monotone Klang des Zikadenorchesters. Sie würde auch diesen Eindruck mitnehmen, in die Tiefen des Traumwaldes, in den Leichenbrunnen der Erinnerung, unter die Decke des Nebels, wo das Grauen wartete. In dem Moment, in welchem sein Schrei den finalen Punkt auf der letzten Seite seines Kapitels setzte, würde er ein Teil ihrer Welt werden und die Augenfarbe sie in die Rabennächte begleiten. Es war an der Zeit, die Feder anzusetzen.


***


„Sie sollen mit einem Schrei gehen und mit starrer Angst in den Augen.“
„Was kümmert dich, ob sie Angst haben?“
„Weil es jene sind, die sie verdient haben. Weil sie nehmen und nehmen und es ihnen egal ist, was sie zurücklassen. Sie hören die Schreie der Anderen nicht, sie erfreuen sich an Ängsten, an so vielen, vielen Facetten von Gewalt und haben ihren grausamen Spaß damit! Ihnen ist es egal, wenn Andere schreien, denn sie suchen die verdammte Angst darin und da sollen sie sie bekommen!“

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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 21 Jun 2020 15:14    Titel:
Antworten mit Zitat

Von Symbolen

So zart, das Band aus weichem Pech. Zierlich und schmal, eine einzelne Locke nur, die doch in sich vollkommen war. Formvollendet. Ein Kreis... wieder einmal.

„Morra?“
„Seyar?“
„Warum eigentlich Kreise? Du hast immer Spiralen und Kreise gezeichnet. Auf dem Tisch oder sonstwo... aber auf meiner Haut nur Kreise.“
„Ich weiß es nicht... weil es Kreise und Spiralen sind, meist. Wobei der Kreis das Vollkommene ist, da er umfasst, einschließt und beschützt. Anfang und Ende verknüpft, während die Spirale herabschwindelt und mitreißt... langsam aber sicher, einem Strudel gleich. Beide enden nie.“


Den Strudel der Spirale wurde sie nicht mehr los, er war ein Teil ihrer Selbst geworden, hatte sie daran erinnert, dass es kein Entkommen gab, als der weiße Rabe ihr den Blick auf das persönliche Ende gewährte. Ja, einem Strudel, der sich enger und enger zog aber doch einen repetitiven Beigeschmack sein Eigen nannte, kam es gleich:

- Ein lächelndes Gesicht -

In dem Moment, in dem man die Augen wieder öffnete und das Ende, das Nichts erwartete, würde es erscheinen. So nah vor dem eigenen Antlitz, dass sich die Nasen beinahe berühren könnten und es zu spät war, um zu fliehen. Immer und immer wieder, das Grauen, das Eigene. Im Nachhinein schien es sogar schwer, genau zu sagen, wann der Wirbelstrudel entstanden war. Mit Sicherheit ruderte sie bereits jappsend darin, wie sich die Türe ihres Zimmers geschlossen hatte und das leise Klicken des Schlüssels von außen zu vernehmen war. Nichts als eisige Kälte, als sie am metallischen Griff und an den Eisenstangen vor dem Fenster rüttelte.
Ähnlich kalt das Messerlein, welches dennoch vertraut und mit unausgesprochener Zusicherung in der bleichen Hand lag. Blitzend wanderte das Sonnenlicht über die Klinge und reflektierte gleißende Lichtpunkte, die sich wiederum in ihr gespenstisch blasses Gesicht hinein zeichneten. Eine kurze Weile fand sie Gefallen an den hellen Funken, ließ sie sogar blendend übers Augenlicht huschen, ehe sie das Messer entschieden hob.
Der Linken überließ sie die Wahl der Strähne und schon gruben sich die Finger in das Schneeweiß der Haare, tauchten durch die widerspenstigen Wellen, ehe sie eine passende Locke gefunden hatte und jene am Haupt von dem Rest des Schneeflusses abteilte. Das Messerchen wurde an den Ansatz geführt und angesetzt... so seltsam, das scharfe Geräusch, als es durch die einzelnen Haare trennte und säbelte, bis sich die Strähne schließlich gänzlich vom Schopf löste und mitsamt der Hand herabsank, doch „seltsam“ war bekanntlich nur ein anderes Wort für „besonders“.
Still betrachtete sie den reinen, schlimmernden Schneehauch im Schoß und all die Warnungen, die man ihr im Laufe der Ritualkundeeinheiten, den Unterweisungen seitens Magnus oder den weisen Worten ihres Protektors, dem Wanderer, welcher im Laufe des letzten Jahre eine Art Vaterfigur für sie einnehmen musste, mitgegeben hatte, schrillten kurz gellend im Kopf unter dem Schneehaupt auf.

„Gib niemals dein Haar, dein Blut oder andere Stoffe deiner Selbst an irgendwen!“

Und leise fügten Magnus' längst vergangene Sätze noch etwas an:

„Trau keinem, nicht einmal den Geschwistern auch nicht mir oder jenen, die du einst lieben wirst.“

Und in just dem Moment, in welchem diese Mahnung den Geist vollends durchzogen hatte, konnte sie nicht umhin leise aufzulachen. Hatte nicht gerade der Pechbube, dessen Haar den ersten der gemeinsamen Kreise geformt hatte, noch gesagt, dass er Magnus' Haltung durchaus als „klug“ und „nachvollziehbar“ definieren würde. Dennoch war er da, dieses vollkommene Wunderwerk und gerade die gewählte Schlichtheit, ohne sinnlosen Tand und protzenden Zierrat, schien die Tiefe der Geste erneut zu unterstreichen. Aus dem Lachen wurde ein semi-verzweifeltes Keuchen und endete in einem kläglich ergriffenen Aufschluchzen. Sie besaßen es bereits, das Herz des jeweils Anderen und jede Warnung käme zu spät. Einem Rettungsseil gleich, welches den Anfang des Strudels berührte, doch waren sie beide schon zu tief gesunken... um dann staunend festzustellen, dass es sich nicht um den tödlichen Wirbel handelte.

„Schau, das meine ich. Bei dir ist es kein Strudel, sondern der Kreis.“
„Ich bin gerne ein Kreis mit dir.“


Irgendwann einmal hatte sie ein Buch über Haartrachten studiert und angefangen sich die, damals noch nachtfarbenen, Strubbelhaare zu flechten, doch diese Art der Kunst konnte sie nicht fesseln und obendrein war sie auch einfach schlichtweg grauenvoll darin und ließ bald davon ab. So dräute nun ein minderes Grauen, als sie das filigrane Flechtwerk des ersten Ringes betrachtete und dabei begann sich auszumalen, wie das Gegenstück gelingen würde, wenn sie nicht all ihre Geduld zusammennahm.
Ein langer Nachmittag stand ihr bevor und doch war es so unendlich lohnenswert.
Dieses kleine, eigene Mantra sagte sie sich immer wieder auf, wenn die Strähne sich nicht teilen ließ, sie das einfachste Flechtgewebe durcheinander brachte, einzelne Haare aus dem Bund entwischten und sich zuletzt grauenvoll quälend nur einzeln in den Anfang des winzigen Zopfes wieder eingliedern ließen, um das Rund zu vollenden.
Die Augen schmerzten im Licht der Kerze, welche bereits zwei Stunden vor der Vollendung der Aufgabe aufflackern musste, um das fehlende Sonnenlicht eher schlecht als recht zu ersetzen. Es war der Mond, der seine fahlen Silberstrahlen durch das Küchenfensterchen schickte und einen überirdischen Schimmer auf das geschaffene Werk warf: ein zartes, weiches Schneeringlein aus Haar, das perfekte Spiegelbild zum Pechring.
Behutsam schob sie es zurecht, ließ zu dass sich die beiden einander berührten, verglich und erschauderte ergriffen, als sich das Bild der Zwei ineinander schob. Da waren sie, die Geschichte des Pechbuben und die Mär des Schneemädchen, zwei Bücher, die irgendwann ineinander geflossen waren. Wörter, Sätze und ganze Kapitel zeichneten gemeinsam einen neuen, taufrischen Folianten, auf dessen Seiten Illustrationen entstanden, die schillernde Bilder vermittelten. All diese Farbenpracht fand ihre Wurzeln in schlichtem Schwarz und bleichem Weiß, welche beide eigentlich nicht in der Lage hätten sein sollen, irgendeine Farbe hervor zu bringen. Doch der Zauber lag in dem sich überlappenden Kreis, der ein eigenes Zeichen... Symbol... vielleicht auch irgendwo und irgendwann eine Rune bildete und mit dieser verloren Anfang und auch Ende ihre Bedeutung.

„Ah, der Kreis wird ja immer wieder gemalt. Ich glaube, wir sind's nicht wirklich, doch wir ziehen diesen irgendwie. Mairi würde nun fragen, welche Art Kreis es denn ist, aber die Antwort ist so einfach: unserer.“
„Hmm, ja. Unserer.“

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Zuletzt bearbeitet von Morra Thuati am 21 Jun 2020 15:15, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Cailen Vindheim





 Beitrag Verfasst am: 17 Aug 2020 17:39    Titel:
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Wohlmöglich mochten sich die Stunden gezogen haben. Vielleicht waren sie auch wie im Flug vergangen. So oder so war es die unerbittliche Angewohnheit der Zeit, nicht stehen zu bleiben, sondern beständig weiter durch die Finger zu laufen.
Umso schneller, je angenehmer die Momente sich gestalten mochten. Langsamer, wenn sie dies nicht taten, bis Sekunden sich zu gefühlten Äonen dehnen mochten.
Wie auch immer aber diese Nacht sich gestaltet haben mochte, irgendwann war auch sie zu Ende
Der Morgen kam und ging, danach die Mittagsstund.
Nunmehr, da der Tag dem Abend zu weichen begann, und die Zeiger sich auf die 8 zu schieben begannen, da musste das Warten nun endlich doch ein Ende gehabt haben.

Und so war es dann auch.

Pünktlich zur achten Stunde, abgekündigt durch das Läuten der Glocken, und nur gebrochen vom allabendlichen Raunen einer Stadt, die ihrer verdienten Ruhe entgegen sehnte, klopft es neben dem Zwitschern und Singen der Vögel nun auch an die Tür.


*Poch Poch Poch*

Drei beharrliche Schläge, mahnend und begehrend, die Einlass und Aufmerksamkeit fordern.

*Poch Poch Poch*


Wiederholt es sich, drängend, bis endlich die Tür geöffnet und sich dem anbahnenden Schicksal entgegen gestellt wird.

Ein Mann, in einfacher Kleidung, ein Allerweltsgesicht, wie man es überall in den Städten und Dörfern dieses Landes finden kann. Die Züge unverwandt, als wäre ihm der Anblick der Hausherrin zwar nicht gleichgültig, aber doch zumindest fremd und ohne größere Bedeutung
.

"Ein Botschaft für Morra Thuati"

Wird er wohl sagen und der Bewohnerin, so sie denn geöffnet hat, ein wohlbekanntes Körbchen überreichen.
Nicht mehr und nicht weniger, sei die Gebühr für den Transport wohl schon bezahlt.

Dann kehrt wieder Ruhe ein. Die Vögel singen, der Bach flüstert sein endloses Lied. In der Ferne verklingen die Glocken und das raunen der Stadtbewohner wird leiser. Hier und da noch das Lachen eines Kindes, welches nach Hause eilt, oder das Poltern vorbei eilender Wachen, die ihren Dienst antreten.
Sonst nichts.

Nur ein Körbchen, welches darauf harrt, begutachtet zu werden.
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 17 Aug 2020 18:26    Titel:
Antworten mit Zitat

Von der Brandung

Mit Anlauf, in einer einzigen, mächtigen Vorwärtsgeste, die im Laufe der Bewegung noch weiter an Kraft gewinnt, wirft sich Welle um Welle gegen die Küste meiner Heimat. Es gibt Tage, da liegt weniger Gewalt in dem Ansturm und es scheint, als würde das Meer einen sanfteren Reigen dem walzenden Rauschen vorziehen, nur um wenige Stunden später, angestachelt von Wind und Wetter einen neuen Vormarsch zu wagen. Nicht selten faucht die Brandung dann mit dem dröhenden Echo des Donners um die Wette, illuminiert nur vom gleißend-zuckenden Licht der Blitze, welche den schwarzen Himmel kurz zerreißen.

Mächtig. Gewaltig. Ewig.
Ein Bild welches sich in die Sinne bohrt und einen Abdruck hinterlässt, wie der dunkle Punkt hinter den Lidern, den man noch eine geraume Weile sieht, wenn man zu lange in die Sonne geblickt hat. Das ist vielleicht der Grund, warum ich es manchmal noch innerlich sehe, höre, das Salz auf meinen Lippen schmecke, der Atem ergriffen zittrig in die Lungen dringt und die Haut die feine Feuchtigkeit der sprühenden Gischt zu spüren scheint. Ein wenig davon trage ich in mir, egal wohin ich gehe, selbst wenn ich die Gefilde meiner Kindheit seit vielen Jahren nicht mehr betreten habe. So vieles aus dieser Zeit klebt auf immerdar an mir, hat sich in die Seele gepresst, wie ein rußiger Fingerabdruck auf ein zuvor unbeflecktes Stück simples Pergament. Du weißt, wovon ich spreche...

"... du weißt, was man Mädchen fragt, wenn man ihnen Ringe schenkt? Solche Ringe..."
"... dann macht es wirklich gar keinen Sinn..."


Keinen Sinn, hm?
Aber das macht auch das Brandungsgehabe nicht. Stetig, die Brandung und vielleicht nagt sie am Land, immer wieder ein winzig kleiner Mäusebissen und bestimmt mümmelt sie über Äonen hinweg die Küste hinfort, doch dann werde ich nicht mehr sein und somit bleibt uns kurzlebigen Ameisen auf dem Erdenrund die Sinnhaftigkeit des Brandungsspiels auf immer verschlossen. Keinen Sinn, so urteilen wir und doch ist es, wie es ist.
Die Mühle war mir schon vor einigen Jahren das wundervollste Heim, welches ich je bewohnen durfte. Die eigene, spärliche Muskelkraft hat sie gereinigt, viele kreative Köpfe haben sie eingerichtet und das wundervolle Band der Freundschaft hat sie erst erstrahlen lassen. Klein und vollgestopft ist sie, doch ich bin alleine und es störte nicht, dass sie keinen Namen trug. Doch seit ihrer Taufe hat sie sich verändert, heimlich, still und leise. Nun bin ich alleine, doch sie erscheint mir viel zu groß und entsetzlich leer. Keinen Sinn, ja...

"Ja... wir langeweilen sie... mit unseren Worten... von Ehe."

Nein, doch es schmeckt seltsam, das Wort.
Ein wenig bitter, wie die Schalen der Zitronen und doch trägt der Nachgeschmack all das Salz der weiten Brandungswellen in sich. Scharf zeichnet es sich seinen Weg über die bleiche Haut der Gesichtszüge, reißt gierig daran und perlt dann über die weichen Ränder der Lippen, prickelt auf der Zungenspitze und wagt den Sprung vom Kinn herab ins Nichts. Di Zeit und die zuvor drückende Stille haben sie hergebracht, die Brandung, wie das schwüle Sommerwetter letztendlich nur die dräuende, tobende Gewitterflut oder den Sturm prophezeit. Nun höre ich das Rauschen der Wellen in meinen Ohren, welches sich mit den Stimmen der letzten Tage mischt. Sie reden vom Verlust, fauchen übers Vermissen, doch sie erinnern mich an das, was fehlt. Simple Freuden, wie die entnervte Furche auf der Stirn des Pagengardisten, Seelenbalsam, wie das goldene Strahlen im Lächeln der Sternenfreundin und immer... immer wieder den Funken windblaue Glut in den Augen des Pechbuben.

Augen.
In den Mauern der Stadt die mich hasst.
In der Brandung, die mich erinnert.
In der Zeichnung, die mich beobachtet.

Es sind meine Augen, die mir dort vom Pergament entgegenstarren und sie tragen nur eine einzige Aussage in den schwarzen Tiefen der Kohlen:

"Ich weiß, wer du bist."

Es brauchte die Drohung verbal nicht, keine Ausformulierung mehr nötig. Die einzige Frage, die man sich hier noch stellen konnte, nämlich die, nach dem Zerbrechen des feinen Glases, das mein Geheimversteck noch umgibt, steht unter dem anklagenden Blick meiner eigenen Augen - von fremder Hand auf Pergament gebannt:

"Bald."

Die Brandung rauscht weiter, laut und ohne Unterlass.
Sie kümmert sich nicht um Befindlichkeiten, hört das kläglich hilflose Geheule nicht, sondern übertüncht es mit fauchender Gischt und sie sieht die Gestalt nicht, die an der Türe der Adoraner Mühle kauert und sich wimmernd im Raum umsieht. Ich. Meine Mühle. Schneewindchen getauft. Sie ist klein und vollgestopft, zu groß und viel zu leer, doch es ist meine Mühle und auch wenn ich sie seit Stunden hätte verlassen müssen, um das Ultimatum zu wahren, den Tod am Scheiterhaufen zu entwischen, so konnte ich es nicht. Sie werden kommen und mich holen - zur achten Stunde, so die Aussage... und das erste Zwielicht des Tages ist längst den goldenen Sonnenstrahlen gewichen.
Sie werden kommen, es ist Zeit.

*Poch Poch Poch*

Wellensturm.

*Poch Poch Poch*

Rauschen.

"Ein Botschaft für Morra Thuati"

Brandung.
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Zuletzt bearbeitet von Morra Thuati am 17 Aug 2020 18:27, insgesamt einmal bearbeitet
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 18 Okt 2020 00:20    Titel:
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Schemen

Wenn das Licht der blassblauen Herbsttage gemächlich in ein mattes Grau übergeht, das den Glanz der güldenen Wärme in düstere Kälte umwandelt, dann erwachsen sie. Langsam und wabernd, als wären sie aus schwarzem Rauch und flüssigen Schatten gewebt, strecken sie sich aus ihren Ecken heraus, machen sich lang und verzerren die Gliedmaßen auf groteske Art und Weise. So wachsen sie im Laufe der Nacht, verschlingen Zoll um Zoll, bis sie Räume, nein ganze Städte beherrschen. Auch der tröstende Schein der Kerzen vermag sie nicht in ihre Schranken zu weisen, sondern sorgt nur für ein ekstatisch zuckendes Leibertanzspiel. Erst der nahende Tag dreht den Spieß schneckenartig wieder um, schenkt ihnen im Zwielicht ein letztes Mal die Möglichkeit boshaft Abschied zu nehmen. Doch so lange sind sie da, präsent, lauernd, wartend, auf den einen Moment der Hilflosigkeit und dabei legen sie unglaubliche Geduld an den Tag – Pardon, die Nacht.

Diese Tugend bewiesen sie auch jetzt, da sie über all die Mondläufe hinweg geduldig am Ende des Tages im rabenschwarzen Wasser, das die kleine Märchenmühle in Adoran umspülte, ruhten und begierig nach dem adretten Stein des Mauerwerks haschten. Da drin, das wussten sie, leuchtete ein besonderer Preis:
Kohlefarbene Augen, die sie sehen konnten, obwohl sie nicht mehr die eines unschuldigen Kindes waren.
Bleiche Haut, die ihre Berührungen spürten, obwohl in ihr noch der Puls des Lebens kräftig rauschte.
Der wache Geist, welcher zugleich in ihrer Welt der Albträume gefangen schien und daher ihr Flüstern entziffern konnte.
Eine Seele, auf der so viele verschiedene Fingerabdrücke zu finden waren, dass sie in unterschiedlichen Farbtönen schillerte, wie glitzerndes, sich brechendes Licht auf der Oberfläche eines stillen, tiefen Sees.

Über Jahre hatten sie diesen Preis in einer schier ewig wirkenden Jagd verfolgt und so weit ihnen die Beute dabei entwischt war, so konnten sie sie zuletzt immer wieder zielsicher finden. Wie ein Leuchtfeuerchen in der Nacht brannte ihr Licht, so... ein... Pech.

Auch hier in der Mühle waren sie fündig geworden, hatte sie diesen Ort doch schon einmal, vor vielen Jahren als Zuflucht beansprucht und genau wie damals schwebte dieser ärgerlich irritierende, abweisende Schutz über dem Gebäude. Eine Schwelle die sie berühren aber nicht vollends durchschreiten konnten, eine dünne, höchst wirksame Trennwand und so blieben die nächtlichen Schemen in der Mühle nichts weiter, als genau das: blasse Abbilder ihrer Selbst.
Die Hände, die diesen lächerlich kleinen Flecken Erde beschützten, waren jedoch nicht die der Seenseele, sondern andere, fremde Einflüsse. Damals, die eines Mädchens, vor deren kühnen Blick sie fliehen mussten, deren Wille zur Konfrontation sie brennend im Nacken spürten und nun das traumwandlerisch unbewusst geschmiedete Schutzschild eines wagemutigen Steinewerfers.
Er, so ahnten die Schemen bald, konnte sie nicht sehen doch ihrer Präsenz und Intentionen fühlen. Was ihm an Zwischensicht fehlte, machte er mit Erfahrung wett und wie köstlich dunkel und zäh diese doch war, wie Pech... so... ein... Pech.
Ungünstig aber, wenn die Beute sich verbündete und versuchte sich gemeinsam aus der Falle zu helfen. Die kleine Mühle schien mit einem Male unantastbar, verwandelte sich zum wahren Refugium, deren Schild die Jäger vom Geschehen im Inneren fernhielt. Ärgerlich, doch Geduld wird belohnt, irgendwann und so kam der Abend, an dem sie die Mühle alleine betrat, sich unsicher umblickte und unter der Bettdecke versteckte – es folgten weitere, wurden zu Wochen, Mondläufen und mit dem erdrückenden Gefühl der Einsamkeit, das sich langsam ausbreitete, schwand der schützende Schild, wurde kleiner und kleiner und kleiner und kleiner, bis er nur noch sie umgab.

So... ein... Pech.



Nie zuvor war ihr der Raum so riesengroß und unheimlich erschienen.
Wie denn auch, die Mühle war ein kleines, heimeliges Gebäude, welches ihr so manch belustigtes Lächeln eingebracht hatte, wenn sie sie von deren Pracht schwärmte. Im Grunde nur zwei Zimmer: eine Küche in der gerade Platz für zwei oder drei Personen an einem winzigen Tischchen war und wenn man über eine einfache Holzleiter kletterte, stand man schon im Obergeschoss. Den Badezuber trennte lediglich ein Vorhang vom Stiegenabgang und wenige Schritt entfernt stand der Schreibtisch am Fenster, dahinter die Bücherregale, an welche sich auf der anderen Seite die winzige Sitz- und Leseecke schmiegte. Ihr gegenüber das größte Möbelstück, ein Bett mit seinen weichen Decken und Kissen. Sie kauerte darin, beide Daunen- und die wollene Tagesdecke über den Kopf gezogen, das Gesicht in den seidigen Kissen vergraben, während sie mit der einen Hand das groteske Schädelpüppchen und mit der Anderen den geliebten, roten Kapuzenumhang an sich drückte. Sie lauschte und wartete zitternd, denn all die Decken über dem Haupt konnten das schabende Kratzen langer, rußiger Nägel über den hölzernen Bohlen nicht vertuschen und auch das weichste aller Kissen vermochte nicht das Bild in ihrem Kopf zu beschwichtigen.

Schwärze, vollkommene, alles aufsaugende Schwärze, die sich so rasant im Zimmer ausbreitete, als habe man ein riesenhaftes Tintenfass über die Mühle gekippt. Wo das Schwarz ankam, weitete sich der Raum, lebten die Schemen und veränderten ihre sichere Welt, führten sie grausam zurück in jene, der sie entflohen war.


„S'ist nicht die Heimat und erst recht nicht das Zuhause.“

Ein Zimmer nur, größer als die Mühle, ungleich edler und geschmackvoll prächtig eingerichtet – doch die schwere, dunkle Ebenholztüre war von außen verschlossen und ähnlich schwarze, gusseiserne Gitter versperrten den Blick aus dem Fenster, hinab in einen endlos wirkenden Garten. Oh, sie wusste, dass das Bild aus dem Brunnen stammte, wie all die anderen hässlichen, lebendig begrabenen Erinnerungen. Irgendwer hatte diese eine Leiche herausgezogen und man weidete sich an ihrem Entsetzen. Das Schaben kroch näher heran, fand den Weg zum Fuße des Bettes, trippelte kratzend am Bettkasten hinauf und dann blieb es für einen Moment erstaunlich still. Zitternd vergewisserten sich die eigenen Finger rasch der mollig weichen Wärme des Kapuzenmantels und dem kühlen, güldenen Puppenschädelchen. Im Kopf kreisten die Gedanken eifrig, beschwörend und flehend um eine Wahrheit, die sie doch eigentlich wusste: es war nur ein Schauspiel, ein Hirngespinst, konnte nicht anders sein, sie war doch alleine in der Mühle!

Da musste das Stichwort gefallen sein und ihr stockte der Atem, als sie die Bewegung der schweren Decken spürte. Behutsam, ja beinahe zärtlich wurden sie zurückgezogen, an die ferne Bettkante hinter ihren Füßen und das letzte bisschen Wärme schwand mit dem Daunengewebe.


„Das ist nicht fair...“, hörte sie sich halb erstickt in das Kissen wimmern, „... Bettdecken sind der Kinder heilig' Schutzschild. Unantastbar. Das ist nicht fair...“

Sie wagte nicht den Kopf zu heben, um nachzusehen, als die Wergfüllung der Matratze direkt neben ihr einsank und sich ein menschlicher Körper sachte auf die Bettkante setzte. Trotz der Seidenkissen schien die seltsame Duftmischung aus schwerem, rotem Wein, würzigem Tabakblatt und Wacholderöl fast stechend in ihre Nase zu ziehen und raubte ihr kurz den Atem, ließ sie leise röcheln. Nur ein Hirngespinst, schrillte es jämmerlich im Kopf und pumpte dröhnend in den Ohren, konnte ja nicht anders sein, sie war doch alleine in der Mühle!

Als Antwort legte sich die Hand, nun keine spitzen Klauen, sondern geformt aus Knochen, Sehnen, Fleisch und Blut, eine brennende Wärmespur hinterlassend, auf den Hinterkopf und strich im höhnenden Spott darüber hinweg bis zwischen die Schulterblätter. Dort verweilte sie kurz, hob sich dann und begann das Spielchen erneut, einem trägen, beharrlichen Rhythmus folgend, den man weinenden Kleinkindern angedachte, um sie zu beruhigen. Nur ein Hirngespinst, flüsterte es kraftlos im Kopf, denn es konnte wirklich nicht sein, sie war doch...


„Ja.“, bestätigte die dunkle Stimme nicht ohne Amüsement, „Du bist alleine in der Mühle, kleine Morra. Ganz, ganz, ganz alleine. Doch hast du nicht erst gestern gelernt, dass man vor Händen keine Angst haben muss, mein Schatz?“ Und da war es, das leise Lachen, in welchem ein Tröpfchen Wahn und ein Fünkchen Schwermut wohnte.
„Hat man dir denn nicht glaubhaft versichern können, dass man bei Berührungen nicht zu Schaden kommen oder gar brennen kann?“
Sie schwieg und versuchte seine Worte mit den Szenen zu ersetzen, auf die er angespielt hatte, doch nichts von der Selbstsicherheit, eigener Kraft und innerer Ruhe des Vorabends war geblieben, alles war der Verzweiflung gewichen und erstarrte in deren eisigem Griff. Griff... Griff...Griff...

Ein neues Stichwort, denn als sich die Hand ein weiteres Mal auf den Hinterkopf legte, war das Tröstespiel dahin, stattdessen gruben sich die Fingerspitzen in die Wellen, umschlossen einige Strähnen und hoben sie leicht an. Das lederne Unterbett knarzte leise, als sich das Gewicht verlagerte, die Körperwärme trotz noch bestehender Distanz an ihrem Rücken zu brennen schien.


„Unsinn, das hatten wir doch gerade, hm?“, murmelte die Stimme nun sehr nahe an ihrem linken Ohr, „Nähe brennt nicht, das hast du vor einem Tageslauf doch erst zustimmend benickt, oder?“ Dann folgte ein leises, tiefes Luftholen und die Erklärung daraufhin wirkte fast melancholisch.
„Apfelblüten. So viel Sehnsucht, so viel Hoffnung und doch ist es nur eine blasse Erinnerung an den Sommer.“

Noch einmal meldete sich das Unterbett, knackte dumpfer und wurde doch vom hauchenden Atem an ihrer Wange übertüncht.

„Sie wird verfliegen, mein Püppchen, wie der Duft in deinem Haar.“

Da begann sie zu schreien und um sich zu schlagen, doch trafen die Fäuste ins Leere und den Aufschrei schluckten die schwarzen Schemen, deren neue Heimat die kleine Mühle am Rande Adorans geworden war.
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Zuletzt bearbeitet von Morra Thuati am 20 Okt 2020 11:04, insgesamt 3-mal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 06 Nov 2020 13:03    Titel:
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Der Kohlestift hinterließ winzige, glitzernde Staubschmierer auf der weißen Haut und zauberte doch im gleichen Augenblick die etwas eckigen Figuren auf ausgeblichenes Pergament. Es hatte sich alles ineinander gefügt, wie gefaltete Hände, wenn die Finger sanft in die Zwischenräume glitten und dort einrasteten: Spiralen des Gedankenchaos im Kopf, keine Kreise, keine vollkommenen Aureolen, sondern eine Schraube, Schnecke, in deren Windung sie gefangen saß und nicht gegen den Strom nach oben schwimmen konnte. Im Gegenteil, jeder Versuch zu entkommen, zog sie noch ein wenig weiter hinunter in die Schwärze. So schwarz wie die Kohle in ihren Fingern und so schwarz wie die Gestalten auf dem Bogen vor ihrer Nase. Sie verharrte einen Moment, die Zeit angehalten, der Marionettenkörper nur noch schwach pendelnd. Für den Augenblick starrte der Puppenspieler mit ihr herab auf das unwirkliche Kunstwerk und ließ zu, dass sich weitere Kunstkenner zu Wort meldeten.

„Wer ist wer?“
Sie drehte den Kopf nicht beiseite und brauchte auch keinen Blick aus den Augenwinkeln, um zu wissen, was da saß. Mit ihren quietschigen, hellen Piepsestimmchen verrieten sie sich immer zu schnell, zu leicht und zu überdeutlich. Kurzes Abwägen im Inneren, die Waagschalen schwappten hin und her, während sie mit sich selbst argumentierte, ob sie einfach gehen würden, wenn sie ihre Präsenz ignorierte und nicht auf die Frage einging. All die Erfahrungen mit den Steckenbeinchenklopswesen brach krachend auf die Waage ein und sorgte dafür, dass das Resultat sehr rasch vorlag: vermutlich nicht!

„Der Erste ist der, der die Sterne nennt...“
Auf ihre Worte hin wackelte einer der Klopse näher und gaffte seitlich an ihrem Arm vorbei.
„Ah, also machst du dir da Gedanken? Warum? Ist es relevant? Rollenvergabe schon abgeschlossen?“
Das klang fast ein wenig feixend und sie kam nicht umhin nun selber über die Frage zu grübeln. Die schwarzen Kohlen im Gesicht ruhten blicklich auf der schwarzen Kohle am eigenwilligen Gemälde, während der Puppenspieler den Körper ansonsten noch nicht weiter freigeben wollte.
„Nein.“

„Gut gut und wer ist der Zweite?“
Sie schwenkte den Fokus beiseite, fixierte die zweite, krakelige Gestalt.
„Der, der Wahrheiten kennt.“
Unweigerlich flatterten die Lider einen Moment und beiläufig gesprochene Sätze über die Farbwahl der Ungeheuer und geschnupften Kristallstaub vermischten sich im Geist zu einer ganz anderen Aussage, die in einem anderen Kontext, zu einer anderen Zeit gesprochen wurde.
„Weiß ist das Fehlen der Farben, also sind sie rein äußerlich nicht wirklich vorhanden.“
„Hast du denn dafür gesagt, wie es innen aussieht?“
„Durcheinander, Farbchaos, Wahnsinn.“
„Ja aber hast du es gesagt?“
„Nein.“

Damit war auch das zweite Portrait ausreichend besprochen und alle mehr oder minder Anwesenden blickten eine ganze Weile in trauter Stille dem dritten Bildnis entgegen.
„Schläft?“
Sie konnten einfach keine Ruhe geben, mussten nachbohren, mussten weitere Fragen aus der Tiefe zerren und darauf herumtreten, wie auf einem... einem... Teig... klumpen? Ja, ausrollen! Das war es, sie wollten alles entrollen, entwirren und dann auf das Gesamtpaket glotzen, es analysieren bis in den letzten Mehlkrümel hinein. Vermalledeite Klopse! Sie biss die Zähne zusammen, bis die Kiefermuskeln seitlich an den Wangen etwas hervortraten aber eine Antwort wollte sie ihnen diesmal schuldig bleiben, einfach nicht reagieren, bis sie wieder verschwunden waren. Erst als da plötzlich etwas am Stoff des kurzen Nachthemds zuppelte, blickte sie beiseite, nur um ächzend festzustellen, dass einer der Klopsschemen dürre Steckenärmchen zugeteilt bekommen hatte und mit winzigen Fingerchen in stoischem Rhythmus am Kittel zupfte.
„Schläft?“, fragte er noch einmal und seine Augen wurden kugelig rund, beinahe bettelnd.
Da schwand die Spannung im Kiefer und die Zunge löste sich fast wie von selbst vom Gaumen, formte Silben und spuckte jene aus, ohne dass der Kopf so recht absegnen konnte, was sie da nun sprach.
„Offensichtlich. Aber nur auf dem Bild, wie man wohl sehen kann. Nicht hier, nicht hier.“
„Verschwunden...“, jammerte der Klops auf und dicke Tränchen sammelten sich in den Kulleräuglein.
Seinen? Ihren? Allen! Ihrer Kehle entwich ein leises Schluchzen und die Klopsgemeinschaft begann mit der Künstlerin des Kohlenwerkes zu trauern, während sie noch ein Stücklein tiefer in die Schneckenmuschel rutschte.



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Zuletzt bearbeitet von Morra Thuati am 06 Nov 2020 13:05, insgesamt 2-mal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 17 Dez 2020 19:28    Titel:
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In kleinen, ruckenden Bewegungen glitten die Finger zögerlich stockend über das alte Schöpfpapier, das die eigenwillige Berührung mit leisem Knisterknacken kommentierte. Während die Linke sanft in die Mitte des Schriftstücks rutschte, weiteten sich die eh schon großen Augen zu fast runden, schwarzen Murmeln, in welchen sich neben all dem bizarren Staunen vor allem Melancholie, Verzweiflung und trübsinnige Schwermütigkeit spiegelte. Die Seenseele lag so finster und still da wie ihr bildliches Leinwandäquivalent im Apfelholzrahmen. Doch indessen sandten die Fingerspitzen eifrig und begeistert die Sinneseindrücke an den Kopf, welcher ihr fleißig Vergleiche anbot, beschrieb und auswertete.

Papier, so viel glatter als Haut und in seiner Beschaffenheit genauer, ebener. Winzige Pflanzenfasern und feine Holzstoffe, gewebt zum einheitlichen Vlies der Makellosigkeit... und doch nicht vollkommen!
Richtig, es fehlte die Wärme darunter, das weiche Pulsieren einer anderen Hitze, die die Eigene erkannte und spiegelte, sich schon nach kurzer Berührung verband und zur einzigen Flamme verschmolz. Trost konnte die kühle Begegnung mit der starren Königin Papier in keinster Weise spenden und dennoch war es die Verbindung, die in diesen dunklen Tagen blieb. Briefe, gesammelte Worte und Gedanken, auf jenes Papier gebannt, welche sie den luftigen Schleier der Erinnerung an andere Tage, die so weit fern schienen, spüren ließen. Zart und hauchdünn war er und wenn man zu rasch danach griff, sich ein wenig zu fest in das lichte Gewebe warf, dann riss es und warf sie mit einem dumpfen Aufschlag wieder in die Kälte des Winters und die unruhigen, zuckenden Schattenbewegungen innerhalb der Mühle zurück.

In solchen Momenten hörte sie das Knacken, so leise und knisterig, wie das Schreiben, über das die Finger suchend und spürend wanderten. Eisiges, flüsterndes Knirschen und dieses Geräusch alleine griff ähnlich frostig nach dem Körper, vermochte sie für wenige Momente in der Bewegung zu gefrieren und tastete eifrig nach der Brust, wo es das Herz in eine kristalline Schicht aus Kälte packte, bis es zu schmerzen begann und die Angst sie übermannte.
Sie hatte gewusst, dass es gefährlich war auf diesen See zu laufen, denn die Eisschicht war so unglaublich dünn und die Risse hatten sie beide bereits mitgebracht. Vertrauen, ein Gefühl, zu groß in einer Welt in der solche Gefühle eigentlich bereits dahingeschmolzen waren. Pechbube und Schneemädchen voller Ängste sich wahlweise an den eigenen, investierten Emotionen gewaltig zu verbrennen oder in der plötzlichen Kälte zu erfrieren, wenn das gemeinsam genährte Feuerchen zu schwinden drohte. Oh nein, da war kein Frost zwischen ihnen... nur die Abstinenz der Gegenhitze, das Fortbleiben des einen Funkens, der es vermochte mit einer Schneeflocke um die Wette zu taumeln, das Fehlen einer Hand, die sie auch dann nicht loslassen würde, wenn das Eis nachgab.

„Soll leise gehen...“, flüsterte eine Stimme, bei der sie sich nicht sicher war, ob es die Eigene sein könnte oder ob sie überhaupt aus dem Raum und den Albträumen darin kam oder gar eine Hommage an Vergangenes sein konnte.
„Nur ein feines Knacken, ein kurzes Wispern und dann bist du verschwunden. Kein Schrei, kein Platschen und kein Kampf. Ein Lidschlag, nicht einmal genug um Luft zu schnappen.“, jetzt schwang im Flüstern auf einmal eine dunkle Intonation wie ein schwaches Summen mit und bestätigte ihr, dass es sich bei ihr tatsächlich um das nimmermüde Echo des alten Grauens handelte.
„Ich werde da sein... auch ich kann warten.“

Mit einem hastigen Ruck zog sie nun die Finger vom Brieflein, als hätte sie sich an den krakeligen Männerschriftbuchstaben darauf geschnitten. Richtig, es hatte in den letzten Monaten weitere Nachrichten gegeben, die nicht seiner Feder entstammten, doch zuerst ähnlich behutsam und tröstend klangen, wie Worte aus der Kehle des Pechbuben. Im Laufe der Zeit aber wandelten sich die Briefe, bekamen einen anderen Unterton, der sowohl bedrohlich als auch einengend erklang.

„Ich habe dich weinen gesehen... verletzlich... du hast mich nicht erkannt... Mädchen mit den dunkelsten aller Augen, Mädchen mit den hellsten aller Haaren, Mädchen mit dem Geheimnis, das niemand kennt... Gut, dass ich niemand bin... hast du Angst vor den Briefen in deinem Kasten, die dir noch nichts tun können, außer dir zu sagen, dass du gesehen wirst... es juckt mich in den Fingern... du wirst fliehen, wenn ich den Schritt wage... wie fängt man das ein, was sich einem entzieht? … Viel Geduld und Zeit... ich kann warten... bis du merkst, dass es die Einsamkeit ist, die dir das Licht raubt... unser Warten nicht mehr aufgewogen werden kann... meine Geduld wird sich, im Gegensatz zu deiner, auszahlen... Ich kann warten... ich werde da sein... du wirst meine Aufmerksamkeit ablehnen... mit Entsetzen... es spielt keine Rolle... ich kann warten.... kann warten... warten.“

Aufmerksam- und Einsamkeit, zentrale Themen an welchen sie zum einen erkannte, dass sie tatsächlich beobachtet wurde und dann nutzte er dreist Kosenamen, ja sogar den neuen-alten Titel im Kreise des Nachtvolkes, um sie zu verunsichern. Aber sicher, die Bilder, die in den schwer einstufbaren Schreiben verwendet wurden, waren ihr meist ein Dorn im Auge oder versuchten zu berühren, wo sie jeglichen Kontakt scheute. Sie krochen zu nahe, überschritten Grenzen, die ihr heilig waren und suchten sie zum straucheln zu bringen.
Langsam zucken die Mundwinkel bei diesen Schlussfolgerungen und Mutmaßungen einen kleinen Deut nach oben...
Dieser ominöse „Niemand“ hatte da einen gewaltigen Haken in seinem Plan stecken, denn trotz all seiner gruseligen Beobachtungen kannte er sie nicht und bei all den angedeuteten Geheimnissen hatte er auch nicht entdecken können, wer oder was sie denn wirklich war.
Die Gefahr alleine im Eissee zu versinken war real, doch er würde dort unten nicht warten.
Er hatte stattdessen eine Schlinge ausgelegt, um ein Häschen zu fangen, ohne zu realisieren dass es dieses kleine, wehrlose Geschöpf nicht gab und er sich auf der Suche nach selbigem langsam in ein Nebelfeld gewagt hatte – ihr Nebelfeld unter dessen Schleiern sich weitaus grauenvollere Gestalten bewegten als „Niemand“, der mit all den seltsamen Briefen und Geschenken zwar einen Nerv traf, doch sicherlich nicht den, auf welchen er gezielt hatte.

Geschenke...

Langsam wagte sich der Blick wieder zur Auslage im Vitrinenschrank, wanderte über den neuen Spielzeugschlitten, der neben der kleinen Kutsche und den Zinnsoldaten stand, verweilte einen Moment am Duftflakon, nur um zum polierten Wurzelholzperlengeflecht zu driften und kam zuletzt beim sauber gestrickten Schal zur Ruhe.
Sie hatte sich selbst zuerst daran versucht, doch ihr eigenes Werk war so schlecht gelungen, dass selbst die Schneeflocke darauf eher an einen schiefen, traurigen Stern erinnerte und sie einen weitaus hübscheren Ersatz am Markt erstanden hatte. Dieser lag nun hier, sauber gefaltet, mit glänzenden Nestelspitzen an den geflochtenen Fransen und schien zu warten, wie sie.

„Richtig, die Frage ist nur, wie gut du darin bist...“

Ächzend wandte sie sich ab und versuchte sich noch einmal an den Gedanken zu klammern, der vor dem schleichenden Gift des Flüsterns gewesen war. Geschenke, ja, genau. So viele hatte sie vor einer Woche erhalten und mit kindlicher Freude staunend geöffnet, ehe das Päckchen "Niemands" ihr den Spaß verdorben und ehe der einsam wartende Schal im Schrank die Stimmung wieder aufs knackende Eis gezogen hatte.
Gut, dass es nicht ihr missglücktes, schiefes Eigenwerk war, das dort so verloren lag, denn trotz seiner Hässlichkeit klebte Hingabe und sinnbildliches Herzblut daran. Ein Glück, dass dieses dezent entstellte Produkt ihrer handwerklichen Begabung einen besonderen Platz in sicheren, dankbaren Händen gefunden hatte. Rasch zuckten die Gedanken wie Blitze durch den Kopf und illuminierten Standbilder einer aus dem Impuls entstandenen Geschenkübergabe. Ein überraschtes Aufleuchten in hellen Augen, vorsichtig der Griff nach dem weichen Ungetüm aus Wolle und der nicht überhörbare Hauch der Rührung in einer bestechend ehrlichen Aussage:

"Ihr lebt nicht vom Häk'ln, oder? Beruhigend..."

In dem Augenblick hatte sie begriffen, dass sie vielleicht alleine auf dem zugefrorenen See kauerte, doch am Ufer standen Andere. Kameraden, Geschwister, Vertraute, Freunde - und da geschah es, dass aus vollkommen unerfindlichen Gründen eine Farbe lebendig und hell durch den Raum schwappte und für einige, wunderbare Momente die Schatten aus dem Zimmer spülte.
Die Mischung aus dem ersten Grün des Frühlings und dem leuchtenden Blau einer sommerlichen See.
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Zuletzt bearbeitet von Morra Thuati am 17 Dez 2020 23:46, insgesamt einmal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 10 Apr 2021 18:42    Titel:
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Von den Briefen

Ein Postkasten sollte etwas wundervolles sein, so ganz pragmatisch gesehen. Im Endeffekt steht dieser kleine, gülden glänzende Metallkasten tagein, tagaus parat, um artig Präsente, Lieferungen und vor allem Briefe anzunehmen, um sie sicher zu verwahren, bis sich der Besitzer des besagten Kästchens irgendwann daran macht, den Schlüssel zu drehen und mit gespannter Miene nach dem Inhalt zu spähen. Dann kann so manch Paket ein begeistertes Lachen aus der Kehle kitzeln und das liebe geschriebene Wort vermag das Herz zu rühren, bis ein verzaubertes Lächeln noch lange die Lippen ziert.

So zumindest die reine Theorie...

Um mal ganz gerecht und fair bei der Wahrheit zu bleiben, kannte sie die aufgezählten Momente nur zu gut und hatte sie alle schon erlebt. Das Päckchen, das Hluthar und Moira ihr um die Jahreswende herum in das Kästchen gelegt hatten oder die lieben Grüße von den wundervollen Valkenbergs vermochten beide ihr den gesamten Tag zu versüßen. Ach und als der Brief der Sternenfreundin sanft auf dem blau gestrichenen Untergrund des Kastens lag, da jubilierten ihr die Sinne. Sicher also, so ein Postkasten konnte seinem Ruf durchaus gerecht werden.

Schlecht nur, wenn irgendeine hinterfotzige, höhere Macht anfing diesen Zauber zu verdrehen. Wie immer endeten solche skurillen Verformungen in grotesken und dunklen Sackgassen, die keine Freude mehr hervorriefen, wenn man nach dem Schlüssel griff, um in den Kasten zu linsen, sondern ein ganz anderes Herzklopfen weckten.
Panik, wie so oft, diese ekelhaft eisig heiße Panik, die sich schon mit einem unangenehmen Ziehen in der Magengegend ankündigte und einem Kribbeln in den Extremitäten. Natürlich konnte man die Zeit dann noch eine gewisse Weile hinauszögern, drehte demonstrativ den Kopf weg und sah lieber von der Mühlenbrücke aus gen Eichenkätzchen am Baum als die Existenz des Postkastens zu bestätigen, doch auch Verdrängung klappte nur eine gewisse Weile. Irgendwann, wenn sich die Angst vor möglichen Postsendungen des Grauens bis in die Träume wob und sie mit Albensirenengesang umgarnten, dann half es nur noch den giftigen Dorn mit einem schnellen Ruck zu ziehen, will sagen: Postkasten öffnen!

Doch wann hatte es sich von der hellen Freude in das finstere Grauen entwickelt? Zu welchem Zeitpunkt genau waren die Farben der Fröhlichkeit in düstere Nuancen umgeschlagen? So genau konnte sie den Zeitpunkt nicht benennen aber der Anfang war sicherlich mit den Botschaften gemacht, die eben nicht eintrafen. Nachrichten, die mehrere Monate auf sich warten ließen und ihre Welt wieder einmal so durcheinander brachte, dass sie wieder zwischen Traum und Realität, also zwischen den Wegen, zu wandeln begann. Als eine dann eintraf, malträtierte sie einen armen Botenburschen aus dem Hafen, bis dieser gestand, von welchem Schiff aus das Brieflein geliefert wurde.

Aber damit nicht genug, denn das was dann folgte war das Päckchen mit dem Ringlein im Inneren. Im ersten Moment erkannte sie es nicht einmal. Ein silberner Ring, eine Halskette und einige andere, nette Kleinigkeiten. Verdattert und misstrauisch zugleich inspizierte sie das Paket genauer, forschte nach dem bekannten Absender, der sich hinter dem feigen Pseudonym "Niemand" verbarg und immer wieder seltsame Geschenke mit vermeintlichen Trostbotschaften sandte, die aber von mal zu mal aggressiver und persönlicher klangen.
In diesem Päcklein jedoch war nichts davon zu finden.
Um genau zu sein fehlte jegliche Nachricht, als würde der Absender darauf bauen, dass sie die Intention dahinter schon verstehen könnte und so beäugte sie die Gegenstände lange, nur um festzustellen, dass der Blick immer und immer wieder auf dem Ringlein ruhte. Es kam ihr, nun so im Nachhinein, doch irgendwie bekannt vor:

Silbernes Metall, schlicht und doch sauber gearbeitet, beinahe vollkommen. Schmal war das Ringlein, für Frauenhände gefertigt und diese mussten das Kunstwerk wohl auch treuherzig getragen haben, denn hier und da war ein Abrieb zu entdecken, eine kleine Delle oder ein schmaler, matter Streifen im Silberglanz. Die Gravur im Inneren sagte ihr nichts und doch wirkte auch jene initim-vertraut.

"Wind..." hörte sie sich wispern und der Geist ging auf Wanderschaft im Bereich der Erinnerungen, forschte und verglich, bis mit einem Schlag das Bild zu diesem Ring, der passenden Hand und einer jungen Frau, die das Flüstern im Winde war, zum Vorschein kam.

"Mairi."

Diesmal war die eigene Stimme nicht mehr als ein weinerliches Wimmern, denn sie wusste auch zu genau, was es bedeutete, dass sie auf deren Kleinod aufpassen sollte - Mairi hatte sich auf ein Schiff begegen und war dem ziehenden Ruf des Herzens gefolgt. Heimwärts zu Garvin, ihrem Mann, dessen Wind sie für immer sein sollte.
Selbstsüchtige Tränchen und Bitterkeit brachte dieses Paket...

Zuletzt aber blieben die "Niemand"-Briefe und immer dann, wenn man gerade dabei war, ihren ätzend drohenden Unterton zu vergessen, dann tauchte just in dieser Phase ein Neuer auf. Seit dem Tag der kleinen Geschenke hatte sie Ruhe und schob das Ganze schon langsam wieder auf einen dummen Streich. Der Postkasten wandelte sich von Tag zu Tag wieder ein wenig mehr in einen netten kleinen Freudenbringer zurück. Sie konnte über ein wenig Obst oder die Kochzutatenunterstützung durch den Magister-Korporal schmunzeln und genau das war wohl der Grund, warum sie so blauäugig das unscheinbare Päckchen darin auch an diesem Abend selig öffnete, nur um an dem alten Muster - ein Brief, ein zu vertrauliches Geschenk mit seltsamer Assoziation - jäh abzuprallen, wie an einer unsichtbaren Wand aus Eis.

Das Lächeln gefror tatsächlich noch während sie den Handspiegel stumm betrachtete, nur um dann nach dem dazugehörigen Brief zu greifen. Mit einem innerlichen Ächzen brach sie tapfer das Siegel und ließ den Blick über diese nunmehr bekannte Schrift gleiten, sog Worte auf und verband deren Sinninhalt... bis dieser nach wenigen Sätzen umschlug und hässlich wurde. Die Hände, die das Pergament noch umklammerten, zitterten - vor Furcht, ja doch auch mit aufkeimender Wut.
Oh, der Zorn brannte zuletzt so heiß, dass Tränen ihr die Sicht verschleierten, denn wohin sollte sie mit diesem Wisch voller Dreck hin? Zum Regiment konnte sie nicht, ohne dass sie vor persönlichen Fragen gefeit war, die in eine unangenehme Richtung gehen würden. Wie bei einem Schachspiel hatte sie der Verfasser, vermutlich unbewusst, in eine Ecke gedrängt, die zur Gegenwehr den Sturm nach vorne voraussetzte und dann das thematisierte, was sie am meisten scheute. Das erkannte sogar "Niemand" und höhnend hallte eine bestimmte Phrase aus dem Schreiben fies immer und immer wieder durch ihren Kopf:

"Nun schreckst du zurück, denn du fürchtest sie, nicht wahr? Nähe."

Richtig und damit wird es schwer sich dem Regiment und der Obrigkeit, ja sogar Nyome anzuvertrauen, bei der sie bereits diese Briefe schon einmal vorsichtig angesprochen hatte. Sie sah sich kurz fast im Schachmatt, bis ihr der boshaft finstere Gedanke kam, dass es ja nun doch noch eine andere Stelle gab, die weniger Fragen stellen und schnell agieren konnte.

Na warte!
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 Beitrag Verfasst am: 03 März 2022 17:56    Titel:
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Von Traumnebel

Der Nebel berührte sanft den Kopf und drang tief in die Gedanken ein.
Verschleierte, die Sinne, verschleierte die Realität…

… nur um eine weitere Wahrheit zu weben,
das Land einer anderen Wirklichkeit, den Stoff aus dem die Träume sind!


Mit behutsamer Vorsicht glitt das Ruder, sowohl einziger Antrieb als auch Richtungsweiser, durch die schwarzen Fluten, auf welchen sich in allen Farben glimmende, unwirklich nahe Sterne spiegelten. Für wenige Momente genoss sie diesen Anblick, der in kurzer Zeit vom dichter werdenden Nebel eingehüllt und meist verdeckt bleiben würde. Noch hatte sie ein paar Lidschläge inmitten der traumwandlerischen Ruhe, die gleichzeitig keine Stille war. Vielleicht hätte man die sprichwörtliche Stecknadel hier noch fallen hören können und doch wäre ihr Kontakt mit den dunklen Wassern ähnlich gedämpft, wie das fast flüsterleise Wirken des Ruders darin. Dafür schien ein leises Klingeln, gehaucht nur und wie ein fernes Echo eines längst vergangenen Klanges, den Raum einzunehmen. Vielleicht war es der Sterne Beitrag zu dieser Welt und doch leitete er gleichsam das Näherwabern des Traumnebels ein. Noch immer hielt sie die Luft an, wenn das kleine Boot, welches ihrer Meinung nach den Namen „Fähre“ nur bedingt verdient hatte, in die Nebelbank hineindriftete.

Im ersten Moment war es fast so, als würde der weißliche Stoff alles schlucken: Geräusche, die sakrale Ruhe, den Ausblick und die Orientierung. Doch dann flossen die Sterne, der Nebel und die Dinge, die darunter warteten ineinander und verbanden sich zu einem seltsam mystischen, sowohl wundersam als auch grauenvollen Gewebe, vom dem sie den Blick nicht einmal ablenken konnte, als sie spürte, wie die ersten Dinger aus dem Nebel krochen, sich langsam hinter ihr in die kleine Nussschale zogen und dort lauerten. Der Fährmann hatte sie auf diesen Moment gut vorbereitet.
So oft waren sie in den letzten Monden Nacht um Nacht gemeinsam durch die Nebel gefahren, damit sie lernen konnte und nun nicht versagte. Eigene Ängste hatte sie zurückgelassen und nicht mit in das Boot geladen und die Größte davon würde die kleine Fähre nicht besteigen können…

„… doch wartet sie überall unter dem Nebel und du wirst sie nie loswerden, wenn du nicht eines Tages zurück zum Anfang gehst, um ein Ende zu setzen.“

„W… wie? Ich äh, ich meine… soll ich? Gleich?!“

„Nein, noch ist die Zeit dafür nicht gekommen, Morra. Noch ist es zu früh.“

„Oh! Nun, dann stellt sich mir die Frage, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist?“

„Bald. Du wirst es zuallererst merken.“

„Aber ‚bald‘ ist kein besonders genauer Begriff, wenn die Zeit stillgestanden ist, nicht wahr?“

„Das ist richtig, jedoch ist es nur deine Sanduhr, die angehalten wurde. Nicht die Zeit allgemein.“

„Ich kann mit ‚bald‘ dennoch nicht anfangen… und woran erkenne ich, wenn dieser baldige Zeitpunkt dann erreicht ist?“

Der Fährmann hatte ihr auch auf diese Frage keine Antwort gegeben, sondern das Ruder tiefer in die Flut gleiten lassen und sie beide begannen vollends zu schweigen, sobald der Nebel erreicht war.
Stumm und lauschend, die Sinne ganz eins mit der dunklen Flut, die Traum- und Wachrealität von einander trennte, hatten sie diesen Abschnitt der Fahrt immer gemeinsam bestritten und sich auch davor oder danach nie langen Plaudereien hingegeben. Wozu auch? Es handelte sich um eine Unterweisung in Dingen die über die Belange eines normal Sterblichen weit hinausschossen und obendrein… wer plauderte schon mit einem Herold des Herren?

„Nur Narren, mein Liebes und du bist keine Närrin, nicht wahr?“

Der alte Schauer des Grauens huschte heißkalt über die Wirbel vom Nacken herab und streifte den Rücken bis zum Becken hin. Zarte Härchen stellten sich an den Armen auf und die Zähne klapperten kurz. Sie hatte geahnt, dass sie genau jetzt die Stimme aus den Nebeltiefen vernehmen würde und sich innerlich darauf vorbereitet, dennoch hatte sie ihre Wirkung nicht verloren und den Funken Angst gezündet, der hier mehr als fehl am Platze war. Schon merkte sie, wie das Boot zu kippeln begann und die Albträume, die hinter ihr im Kahn saßen gierig etwas näher heranrückten.

„Keine Sorge, sie werden dich nicht fressen…“, begann die Stimme süßlich säuselnd, „… sondern zu mir herabstoßen. Weißt du eigentlich, wie lange ich darauf gewartet habe? Wieder vereint, endlich… wieder…“

Sie holte Luft, straffte die Haltung und drückte die Schulterblätter ein klein wenig näher aneinander, dann hob sie den Blick endlich aus dem schimmernden Nebel und zog das Ruder kurz ins Boot, um rasch mit der freien Hand nach einer fast zierlichen Laterne in dunkel glimmenden Farben. Ein blassblaues Licht fand seinen Weg durch den Traumnebel und vom nahen Ufer antwortete ein rötlicher Schimmer eines Leuchtturms. Bald waren sie und die Fracht am Ziel – gerettet.

„Diesmal ja, mein Püppchen, doch wirst du diese Fahrt in Zukunft noch oft alleine machen müssen. Wie gut, dass du nie wirklich alleine bist. Ich bin da, ich kann warten.“

Die Nebel öffneten sich wie ein seidiger, dunkler Vorhang voller schillernder, dunkler Sterne und gaben den Blick auf die Küste der Welt aller Träume preis. Dort am Ufer stand unbewegt und starr, wie ein seltsamer, schwarzer Fels in der Brandung, der Fährmann und wartete. Er machte keine Anstalten ihr zu helfen, die Nusschale ans Ufer zu zerren und rührte sich auch nicht, als die Ängste und Albträume an Land krochen, um tiefer in die Lande zu wandern, auf der Suche nach der passenden Beute.
Erst als sich das Mädchen, über die viel zu große Dienerrobe stolpernd, auf den Weg zu ihm hinauf machte, sprach er mit ruhiger Stimme vollkommen emotionsfrei zu ihr hinab.

„Du hast die Fahrt alleine bestanden und doch werde ich dich gleich hier und jetzt erneut hinaussenden. Es ist an der Zeit, dass du deine Gewänder in den Traumnebel tauchst und so Farbe bekennst zu deinem Pfad, deiner Ausbildung und Bestimmung.“

Nun war es an ihr zu verharren und mit offenem Mund starrte sie zur dunklen Gestalt hinauf, die dort die Klippe überragte. Langsam nur fand sie einen klaren Gedanken, den sie auch wagte zu äußern, selbst wenn er vor Irritation nur so troff.

„I… ich soll eine Gewandung aus dem Traumnebel fertigen?“

„Exakt.“

„Aber ich äh… ich kann nicht wirklich nähen. Meine Handarbeit lässt zu wünschen übrig und Zierstiche… also es ist lange her, dass ich die einmal versucht habe mir selber beizubringen. Generell bin ich da auf verlorenem Boden, Ihr solltet meine Häkelsachen sehen…“

„Gut, dass es kein Boden, sondern eine Flut ist, in die ich dich zurücksende und du keine Nadel oder Faden, sondern die Kraft die in deinem Blute pocht und deinen Geist.“

Seufzend wagte sie ein letztes Mal zu widersprechen und merkte fast etwas jammernd an:

„Ich hatte gehofft, dass ich einen so wunderschönen Mantel, der schwärzer als die Nacht selbst ist, bekommen würde, wie… wie Ihr den tragt.“

Zum ersten Mal kam da Regung in die Gestalt des Fährmanns und er dreht den Kopf vogelartig etwas ein und sah auf sie hinab. Rasch wich sie dem Blick aus und als er da oben kurz rau zu Lachen begann, da klang es wie eine Mischung aus grollendem Donner und klirrender Glassplitter zugleich, so dass sie sich schleunig umwandte, die Fähre wieder ins dunkle Wasser stieß und hineinkletterte.
Die Sorge aber um Nadel, Faden, Handwerkskunst oder nicht war unbegründet, denn das Traumgewebe des Nebels schien zu wissen, weshalb sie zurückkam und driftete dichter heran, umgarnte sie kurz wie eine frische Spule, hüllte sie ein, bis ihr der Atem schwer wurde und die Welt in Dunkelheit versank.

Als sie erwachte waren die alten Gewänder verschwunden. Zitternd und nackend stand sie selbst in den schwarzen Sternenfluten und vor ihr, vom Wasser sanft durchdrungen und milde darin schwebegleich wabernd, lag die Robe in den Farben der Träume.

Wartend.
Auf sie.



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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 06 Jan 2024 01:35    Titel:
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Von den Risiken und Nebenwirkungen

Ein leises, jammerndes Ächzen hauchte durch den Raum und kurz bewegte sich die schwere, weiche Baumwolldecke, doch dauerte es noch fast eine weitere Stunde, bis sich das Etwas darunter aufsetzen wollte und die bleiche Nase vorsichtig heraussteckte.
Sie fühlte sich wirklich elend und fremder als sonst im Diesseits.
Seit sie vor mehr als einem Jahr den allerletzten Schritt gewagt und abgelegt hatte, was eigentlich schon lange nicht mehr Teil ihrer Selbst schien, machten die Dinge wieder Sinn... zumindest wenn sie Zuhause war.
Dort waren die Farben, die Nebel, die Träume und jede Berührung, jeder Blick, jeder Moment weckte die pulsierende Kraft in ihr. Sie brauchte keine Heimatluft zu atmen um mit allem, was sie nun war, zu fühlen, dass sie kein Kind zweier Welten mehr sein konnte, sondern in der einen ein Heim gefunden hatte, während die Andere ihr mit jedem Tag surrealer erschien.

So viele sind fort, verloren und verschwunden.

Allein das Wort "Tag", es war gebunden an Zeit, die auf der anderen Seite nicht existierte und es bedeutete Grenzen, Limitationen, welche keinen Halt hatten, wo sie sich heimisch fühlte.

Aber dann und wann gab es verschiedene Arten von Anker, die ihr nur allzu bewusst machten, dass der "Tag" noch kein Traum war, so seltsam wirr und grotesk verzerrt er auch anmutete.
Einige Wenige davon waren wie Balsam und rückten das Bild ein klein wenig gerader, erdeten sie noch irgendwo und gaben dem ganzen Wirrwarr zumindest einen Pfad, einen Grund. Diejenigen, die sie offen und ehrlich Freunde nannte und sich auf lange Sicht auch nicht wirklich geändert hatten, geblieben sind.

So viele sind fort, verloren und verschwunden.
Aber...


Karawyn und mit ihr das Nachtvolk, selbst wenn die Geschichten nun kaum noch sprudelten, war es eine Konstante, die wie ein Zelthering den Stürmen des in sich verdrehten Konstrukts "Tag" trotzte.
Dann war da das Regiment mitsamt den Kameraden, welches ebenfalls auf erfrischende Art und Weise immer wieder für einen Fokuspunkt sorgte, selbst wenn sie hier und dort plötzlich Mühe hatte, die klaren Richtlinien zu erkennen, die Licht von Dunkel unterschieden, sie begannen auf einmal zu verschwimmen und sich zu verbiegen.
Was das Hospital, und damit verbunden - Esther -, betraf, war sie sich selber nicht mehr ganz sicher was davon noch real und was Teil der anderen Welt sein musste und sie vermisste Esther, denn auch ihre wirre Geschichte war eine verlorene Masche in einem Gebilde, das Andere zusammenhielten

So viele sind fort, verloren und verschwunden.
Aber du...


Vor allem aber war da Nyome.
Immer.
Nyome.
Nyo...

Schüttelfrost vollführte das, was der Name schon andeutete und ihr Körper wurde geschüttelt, als der heißkalte Frost sie durchfuhr.
Ja, es gab noch andere Anker, die unfreiwillig und auf eine weniger angenehme Art und Weise plötzlich so heftig und schmerzhaft an ihr zerrten, dass die Traumnebel zerrissen wurden.
Berenguer...
und Raia!
Aber vor allem Berenguer und ein wenig zu viel Nähe auf zu vielen Ebenen, was auf allen nun auch nicht wirklich schwer war und es damit wohl über kurz oder lang so kommen musste, dass der Schutz der Schwertmaid sie weckte.
Plötzlich, schnell, KREISCHEND!
Sie erwachte alleine.

So viele sind fort, verloren und verschwunden.
Aber du bist...


Was gestern noch mit Schmerzen und Übelkeit begann, war nun eine Schwäche, die sie erst in den Abendstunden wieder aus dem Bett entließ und statt einem Wachritt meldete sie sich für den Dienst am Tor, um einfach nur dort zu stehen, zu verweilen und die Zeit verstreichen zu lassen. Jedoch hatte sie mit dem regen Treiben nicht gerechnet, das zwar angenehm, wie ein erquickendes, junges Bächlein, plätscherte und erfrischte, doch wanderte derweil der Schmerz zwischen den Ebenen.
Das Wummern hinter den Schläfen wurde zu einem sachten, schneidenden Stechen im Herzen - oder dem Etwas, das vermisste, immer noch ersehnte, wie ein Kleinkind brüllte, heulte und wimmerte.
Wieder ein Rabenmond vergangen, der Duft der Blumen war verflogen, die Blüten vertrocknet und selbst das Ringlein aus Haar fühlte sich brüchig und unecht an aber die Erinnerung blieb stechend scharf.
WO?!

So viele sind fort, verloren und verschwunden.
Aber du bist nicht...


Als sie nach dem Dienst die Mühlentür wieder ins Schloss fallen ließ fühlte sie sich leer und sehnte sich nach dem Zuhause.
Sie kletterte die Leiter zum Boden hinauf und erstarrte, als sie die Gestalt am Teetisch sah, die sich über ein Buch gebeugt hatte und nun aber Anstalten machte, sich zu ihr umzudrehen.

"Hab gedacht ich komm' vorbei... nur kein Schach, bitte."

Die Tränen liefen aus so unendlich vielen Gründen.

So viele sind fort, verloren und verschwunden.
Aber du bist nicht alleine.



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Zuletzt bearbeitet von Morra Thuati am 07 Jan 2024 10:47, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 16 März 2024 22:32    Titel:
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Von Zeit und Ewigkeit


Eine Gestalt am Rande des Nebels, halb herausgetreten aus dem Grau, das Farben verschluckt und Funken erstickt. Eine Gestalt am Rande hin zur Ebene der Norm, der bunten, lebendigen Welt, in welcher Zeit einen mehr oder minder klaren Wert hat und nicht, wie im Grau, unter all den Nebeln diffus zerfasert, bis nichts mehr davon übrigbleibt.

Ewigkeit, ein Wort das ohne Zeit auch nicht mehr oder weniger als eine lose Zusammensetzung aus Buchstaben ist.
Oder? Es gibt eine Ausnahme, nicht wahr?


Doch so lange die Zeit spürbar war, konnte sich der Blick an ihr ergötzen, konnte sie in ihrem Spiel im Farbenlicht beobachtet werden. So lange es „Zeit“ gab, so klammerte sich der Geist an dieses Konzept und vergaß. Vergaß, das Grau, vergaß die Träume.

Und wie lange hast du geglaubt, dass du dich dem entziehen kannst? Wie lange, bis es dich einholt? Bis es sich wieder in deine Seele krallt und daran in das Grau zurückzieht? Die Frage muss nicht lauten, was real ist, sondern wann dich die andere Realität ganz verschlungen hat.
Du wirst sicher noch ein wenig aushalten können, bist stärker als erwartet.
Aber irgendwann…


… irgendwann löst sich die Gestalt im Grau auf?

Nein, irgendwann verstehst du, dass du nur ein Gast in dieser vorbeiziehenden, zeitblühenden, hellen Welt bist und nicht dorthin gehörst. Nie ein Teil davon warst, immer wieder unter die Nebelschleier tauchst.

Dort werde ich auf dich warten.
Bis in alle Ewigkeit.

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Zuletzt bearbeitet von Morra Thuati am 16 März 2024 23:41, insgesamt einmal bearbeitet
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