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Verschmolzene Blickwinkel
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Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Verschmolzene Blickwinkel
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 27 Okt 2012 12:04    Titel: Verschmolzene Blickwinkel
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Und die Körner in der Sanduhr vollführen ein Menuett

Ein Waldsee - im Grunde ein freundliches und regelrecht romantisches Plätzchen mit sanft flüsterndem Binsensaum und blitzendem Spiegelwasser. Ein wahres Bild der Ruhe, des Sanftmuts und Idylle... bei Tag.
Doch jetzt blieb das Himmelsauge Sonne geschlossen und der knochenbleiche Bruder Mond warf sein spärliches, kaltes Licht dann und wann durch die schweren Herbstwolken. Von mystisch-ergreifendem Silberglanz konnte nicht die Rede sein. Es schien vielmehr als würde der schleichende, dunstige Nebel der eisigen Morgenstunden weit vor der Dämmerung dieses letzte Licht auch noch schlucken. Damit war der Weg frei für dräuende Schatten und heimlich-lauernde Schemen in der Nacht. Nichts, absolut nichts der Dinge tief im Wald schien je an Schlaf zu denken.
Es knackte, knisterte, rannte und wisperte.
Diese Unruhe, wirr und nervenaufreibend, sowie die klamme, erdrückende Kälte hatten die abgerissene Gestalt aus dem Waldinneren hin zur kleinen Feuerstelle im Norden des Sees getrieben. Obwohl die Böschungen seit vielen Stunden menschenleer und das erste Morgengrauen noch weit entfernt war, kauerte das schmale Wesen, dessen zerlumptes Äußeres ein wenig an eine Vogelscheuche erinnerte, noch geraume Zeit bibbernd im Unterholz am Waldesrand.
Dunkle Augen, unter welchen noch dunklere Schatten lagen, lenkten den glasigen Blick unstet zwischen der Feuerstelle und dem nebeligen Schattensee hin und her. Mal panisch, dann wieder voller Sehnsucht. Der Wunsch das Grundbedürfnis an Wärme zu stillen siegte über Vorsicht und Furcht. Mit geschwinden, doch ungelenk steif wirkenden Bewegungen stackste die Gestalt zur schwach glimmenden Glut und machte sich hastig ans Werk. Reisig, Zweiglein und morsche Baumrindenreste rauchten und qualmten mehr, als dass sie brannten und doch langte die schwache Hitze, um ein dünnes Lächeln auf spröde Lippen zu malen. Die kleinen Flammen erhellten ein junges, käsiges und augenscheinlich weibliches Gesicht. Obwohl die Kleidung hier und dort Risse und Schmutzflecken aufwies, war dieses Gesicht sauber und der fiebrige Glanz auf Wangen und Stirn ließ sich nicht verbergen. Er hatte sich in den letzten, kalten Stunden nach und nach auf die Züge gestohlen und brannte im Körper... brannte lichterloh!

Sie hatte seit gestern morgen nichts mehr gegessen und die Zeit des stetig knurrenden Magens war bereits vorbei. Stattdessen glomm ein dumpfer Schmerz in den Eingeweiden und jener wechselte sich gerne mit dem flauen Schwindeltaumel ab. Der Waldmann Victor, der ihr zuletzt etwas von seinem Essen abgegeben hatte, hatte ihr geraten die Stadt aufzusuchen. Adoran, so nannte sie sich und allein das Wort klang irgendwie groß - zu groß. Städte hatte sie seit gut sechs Mondläufen gemieden. Zum einen, weil sie sich ihrer schmuddeligen Erscheinung durchaus bewusst war und dann, weil sie irgendwo noch immer fürchtete, dass die Vergangenheit sie in den menschenvollen Gassen rasch einholen könnte. Dann wiederum war sie doch so weit gekommen und die ungeliebte Heimat lang in beachtlicher Ferne. Über kurz oder lang würde sie würde sie über ihren eigenen Schatten springen und sich zum Stadttor wagen müssen, denn wenn sie nicht bald der Kälte erlag, würde sie wohl verhungern. Den nagenden Schmerz tief im Bauch und den Gedärmen konnte sie schon kaum mehr ertragen. Voller Sehnsucht dachte sie an den Abend zurück, als Victor ihr Äpfel und allen voran Fleisch von dem frisch gebratenen Truthahn abgegeben hatte. Fleisch! So saftig, fettig und warm-würzig. Die Sinne spielten bei der Erinnerung verrückt und just in diesem Moment überlagerten sich Wahn und Realität - gewürzt mit frischem Fieber.

Schleckende Flammen grinsten und flüsterten von Verrat, von Gräueltaten und Pein. Sie schnellten hoch und das Knacken des zischelnden Feuerholzes formte Worte:
"Ssssüßessss Fleischhh! Duftendessss Fleischhh! Lassss dich kossssten!"
Sie spürte wie der Frost sich ihrer bemächtigte und über den Rücken kroch, Glied für Glied gefrierend bis zum Nacken. Schließlich erreichte er den Hinterkopf. Dunkle Augen weiteten sich mit jähem Schrecken, als sie realisierte, dass sie sich keinen Deut mehr bewegen konnte. Ein gellender Schrei stieg in ihrer Kehle auf und doch kam nur ein kurzes, gedämpftes Wimmern ersterbend leise über ihre Lippen... danach versagte die Stimme gänzlich.
Unfähig sich zu regen oder um Hilfe zu ruften, musste sie stumm mitansehen, wie die Flammen ihren mörderischen Plan in die Tat umsetzten. Gierig wucherten sie zu mannshohen, grellen Stichflammen, loderten triumphierend auf und beugten sich tosend zu ihr herüber. Schneller, höher, heller und lauter. Ein Jubelbrüllen und sie fielen über das Fleisch ihrer nackten Arme her, wie eine Bande ausgehungerter Straßenköter über ein verschrecktes, lahmes Kaninchen. Beute!
Seltsamerweise spürte sie keinerlei Schmerzen, doch die restlichen Sinneseindrücke blieben ihr nicht erspart. Sie musste mitansehen wie die eigene Haut Blasen warf, schließlich aufsprang und hörte wie sie zischend Feuchtigkeit verlor. Sie roch den brandigen Gestank von schwelendem Haar und kokelndem Horn, als die ersten Stellen sich schwarz verfärbten. Dann aber veränderte sich der Geruch und das scharfe Odeur verwandelte sich in einen köstlichen Duft, welcher an den frischen, warmen Truthahn vor einigen Tagen erinnerte. Das blanke Fleisch unter der schwarzverbrannten Haut wurde weiß und löste sich vom Knochen, wie schwere reife Frucht von einem Ast. Als sie realisierte, dass ihr das Wasser im Mund zusammenlief, während sich dieses Grauen abspielte, brachen die Emotionen durch den Frost und obwohl sich ein dünnes Lächeln auf die Lippen gemalt hatte, flossen ihre Tränen in kleinen Rinnsalen über die Wangen. Das aufkeimende Schluchzen brach den Bann des vermeintlichen Eises und bibbernd zog sie die knöchernen, verbrannten Arme an sich, als wolle sie hineinbeissen und das Fleisch kosten, nur um dann die stummeligen Reste ihrer Hände flach aufeinander zu pressen und tonlos, doch innig zu beten... zu flehen, zu geloben und zu beteuern.


Als die ersten trüben Strahlen des Morgengrauens sich durch den Dunst bohrten, war der Spuk vorbei. Die Arme unversehrt wie eh und je, die Vogelscheuchengestalt schwach, doch noch lebend und so erhob sie sich strauchelnd, um wankend den Weg gen Stadt einzuschlagen. Es galt einige Versprechen einzuhalten!
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 07 Nov 2012 16:27    Titel:
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Augen in den Mauerritzen – sehend, gierend, gaffend, stierend

Dünn und brüchig steif, leicht und warm fühlte sich der kleine Strohhalm zwischen Daumen und Zeigefinger an. Sie begann ihn zu drehen und jede winzige Bewegung dieser augenscheinlichen Kleinigkeit hinterließ ein leichtes Kitzeln, Streicheln auf der Haut an den Fingerspitzen. Kleiner Halm an kleiner Stelle und doch ein Meer an Sinneseindrücken. Es versuchte den bizarr gestrickten Geist der jungen Frau mit warmen Wogen und schäumenden Krönchen auf den Wellen zu überfluten und brandete doch nur gegen eine wirre Anzahl an in sich verdrehten Strudeln. Hier herrschten bereits alle Sinne im johlenden Chaos, wozu brauchte es ein weiteres Meer?
Obwohl sie zusammengekauert im selbstaufgetürmten Berg an Heu, Stroh und Weizenresten saß, überlief sie ein Schauer nach dem Nächsten. Die Gänsehaut auf dem bleichen Gewebe war ein stetiger Begleiter und die Lippen schienen noch immer etwas bläulich verfärbt. Am schlimmsten waren die Füße dran. Zwar hatten sich noch keine Blasen an den Zehen gebildet, dann schmerzte die Wärme wie Feuer und drängte die Kraft der leichten Erfrierungen mit brutaler Gewalt zurück.
Dennoch war das beständige Zittern nur zur Hälfte ein Kind der Kälte und des herabgerauchten Fiebers. Der eigentliche Vater des Ganzen wohnte in den Strudeln der Gedankenwelt und den Irrgärten der geistigen Verzweigungen. Wieder einmal hatten sie sich vermischt, Kopf und Realität, wieder einmal war der Nebel über das Bewusstsein geglitten und hatte einen dünnen Film voller Illusionen hinterlassen. Doch wie erklärt man das einer, für die Realität und Traum Hand in Hand über fließende Grenzen gehen?
Richtig – gar nicht!

Sie hatte sie schon gespürt bevor sie diese wuchtigen, grauen Steinmauern überhaupt wirklich zu Gesicht bekam. Noch weit bevor das Auge vorsichtig die Masse der Stadt abtasten konnte, hatte irgendetwas tief in ihr die Blicke der Gegenseite gespürt. Brennend und stechend, glotzend und gaffend, als wäre sie eine lebende Kuriosität, frisch aus dem Kabinett entwischt. Sie blinzelten nicht, wandten sich nicht ab, sondern starrten ohne je das Lid zu schließen. Gierten sich an dem mickrigen, abgerissenen Menschenwesen auf und ließen nicht von ihr ab.
Es brauchte Überwindung, um sich dem Ganzen zu stellen, um die Augen in den Mauerritzen zu ertragen. Viermal war sie geflüchtet und wieder zurück in den Wald gestolpert, nur um sich dann mit einem martend schlechten Gewissen an ihr Versprechen zu erinnern und wieder den Weg zurück zum grauen, kalten Trutztier namens Adoran zu wagen. Erst das fünfte Mal siegte der Überlebenswille und der Wunsch viele, viele Versprechen nach und nach einzulösen über den drohenden Kältetod und Schritt für Schritt erduldete sie die Mauerritzenaugen, bis sie plötzlich in der Stadt und schon mitten auf der ersten Brücke stand. Dass die Torwächter ihr mit offenem Mitleid nachgesehen hatten, hatte sie nicht einmal bemerkt – es waren nur weitere Augen unter vielen. Doch waren es die Pupillen der Stadt, die sich stierend weiteten, als sie auf der Brücke ins Straucheln geriet und die Knie weich wurden. Da brach der Wille und sie stürmte blindlings los. Manchmal mehr fallend als rennend, bis sie sich auf der kleinen Insel fand und das Bild des Richtblocks sich gewaltig, mächtig, drohend in ihren Geist brannte.
Da erst stockte die Hast und machte einem eisigen Klumpen in der Brustgegend Platz.
DAS war das wahre Bild der Stadt, hier stand die Drohung direkt und obwohl kein Lachen zu hören war, spürte sie das Schimmern in den höhnenden Augen. In diesem rauschte der Himmel und als wäre sie eine Marionette, hob sich ihr Kinn ganz wie von selbst, legte sich der Kopf in den Nacken und ihre dunklen Augen blickten gen Wolkenzelt. Sie sah die Schwingen der Vögel und ein befreites Aufatmen drang von der gequälten Brust, der Eisblock schmolz.
Schieferfarbene Augen bohrten sich in die unzähligen, lidlosen Glotzer der Stadt, welche erstaunt in die Mauerritzen zurückwichen.

„Ich bin noch nicht am Ende!“

… hatte sie geflüstert, selbst wenn es in ihrem Kopf wie das majestätische Grollen des Donners hallte.
Dann war der Spuk vorbei, sie hatte sich umgedreht und die letzten, müden Schritte hatten sie in diese verlassene Stroh-Hafer-Weizen-Scheune gebracht, wohl eigentlich eine Mühle. Selbst unter dem Berg an feinen, dünnen und wärmenden Halmen war es noch kühl und der Winter war so nicht zu überstehen.

„Ein Bad wäre sicher nicht schlecht. Ein paar neue Schuhe ...und vielleicht ein mhh neues Kleid?“


Da war sie wieder diese feine, angenehme Stimme, die nicht ihr gehörte, doch das aussprach, was das Herz sehnsüchtig begehrte. Diese Stimme, die sie seit Stunden beschäftigte.

„Überlegt Ihr Euch mein Angebot?“

Ja, und ja... und ja... und ja...
Oh du Helfer in der Not, Stimme meiner Gedanken, Wesen des Verstehens, du bist zur rechten Zeit geschickt worden und ich wäre eine Närrin, wenn ich nicht nach dieser kleinen, ausgestreckten Hand greifen würde.

Danke... mögen Schwingen über dich wachen!


Zuletzt bearbeitet von Morra Thuati am 12 Nov 2012 14:33, insgesamt einmal bearbeitet
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 12 Nov 2012 16:18    Titel:
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Die Zeit vor und nach dem Schlaflied

Außen und innen. Gegensätze!
Als solche ist es doch auch legitim, wenn sie ganz und gar nicht gleich sind, oder?
Ist es nicht dann irgendwie normal, dass man beinahe immer versucht, das was innen wütet, schreit und brüllend tobt, nicht nach außen zu lassen? Dort sollen eiserne Beherrschung und sanfte Ruhe walten, während im Inneren das Tier rumort oder das Herz unruhig klagt.
Außen war außen und innen blieb innen.
Sie kannte sich mit Gegensätzen aus, hatte sie perfektioniert und lebte strikt nach dieser abgrenzenden Teilung. Anders könnte sie auch nicht bestehen, denn wenn sich beide Welten vermischten, würde man sie – dann wohl eher ein kreischendes, panisches Etwas - in kürzester Zeit wegsperren. Wegsperren, ja... zumindest würde sich der Kreis damit wieder schließen, doch allein der Gedanke an die Vergangenheit ließ sie innerlich und äußerlich erzittern.
So war es auch heute gewesen, ganz genau so.
Dabei hatte der Abend wirklich gut angefangen.
Schöner, guter Abend.

Guten Abend, gute Nacht
mit Rosen bedacht...


Sie hatte sich im Laufe der letzten Woche eigentlich recht gut in Adoran eingelebt und obwohl sie den Kopf noch nicht hob, wenn sie es wagte im Zwielicht auch einmal alleine durch die Gassen und Straßen zu huschen, so traute sie sich nun wenigstens aus ihrem Versteck in der alten Mühle heraus. Ja, sogar etwas Arbeit bei der alten Fischerin an der Brücke schien in Aussicht und all das nur, weil Nyome und Amelie ihr die Kleidung und damit einen Hauch neues Selbstbewusstsein spendiert hatten. Der Wunsch diesen beiden zu danken lenkte ihre Füße nach Berchgard – weil und obwohl sie wusste, dass dort ein Herbstfest in vollem Gange war. Ihr Begriff des Terminus' „Fest“ war zudem schwammig und naiv: viele, viele Leute , Tanz-Gesang-Mahlzeiten.
Ersteres schreckte sie ab, doch der Rest wusste sehr zu gefallen und lockte sie regelrecht an.
Wie eine Motte dem Licht entgegen, flatterte sie näher und näher an das Handelshaus heran, wo man das Spektakel von weitem sehen, riechen und hören konnte. Es war, so befand sie, Zeit über den eigenen Schatten zu springen, statt sich nur verloren in diesem zu drehen. Außerdem waren die Chancen groß, Nyome und Frau Amelie dort zu finden.
Doch dieser einfache Wunsch wandelte sich zu einer wahren Herausforderung!
Bald schwamm sie am Rande des wilden Strudels voller menschlicher, elfischer und zwergischer (alles scheinbar doch eben keine Märchenfiguren!) Wesen, hatte zwar einen Krug Zwergenbier und ein Küchlein in den Händen (Präsente der besagten „Märchenfiguren“), fühlte sich wirr und verloren, doch weder Nyome noch Amelie waren irgendwo zu sehen. Der Strudel zog sie mit und trieb sie, wie altes Strandgut, an den Rand eines weißen, kleinen Zeltes und dort, wo sie kurz davor war, die Nerven zu verlieren und allem den Rücken zu kehren, vernahm sie eine bekannte Mädchenstimme.

„Und einen Drachen gibt es da... einen Silberdrachen!“

Nyome – in einem Zelt voller Menschen. Unbekannte Körper dicht gedrängt, ein widerlicher Gedanke und dennoch zog sie nicht nur der Gedanke an die Freundin, sondern auch der Inhalt ihrer Worte regelrecht magisch an, denn er klang nach Geschichten, nach Büchern, nach all den fernen Orten, die so lange ihre geheime und einzige Zuflucht gewesen waren.

„Zweimal in der Woche werde ich die Türe zum Studierzimmer aufsperren, mein Schatz und dann darfst du dich gerne mit allerlei Lesestoff eindecken. Klingt das nach einer Abmachung, die dich brav im Zimmer hält?“

Die einzige Zuflucht, so nah und inmitten drängender, ungewohnter Menschenleiber. Ein Biss in den sauren Apfel für ein wenig Zauber und Segen, so war es doch stets gewesen. Später sollte sie sich nicht mehr vollends bewusst daran erinnern, wie sie zunächst stocksteif und versteckt hinter Nyome gekauert hatte oder dass sie dann und wann von der ganz eigenen Magie der Worte Lhyams uns Maires Untermalungen diverse Ausrufe und Nachfragen getätigt hatte. Doch alle Geschichten blieben ihr im Kopf, alle – und eine stach mitten ins Herz.

„Er sperrte Eryana in seinen Turm und bereitete seine unheilvolle Vermählung mit ihr vor.
Er wollte ihren Geist mit Magie brechen und sie so zu seiner Frau nehmen...“


Eingesperrt in einen goldenen Käfig, bis der Tag reif und die „Ernte“ gekommen war.
Welch ein Glück, dass nicht nur Geschichten eine positive Wendung erfahren konnten und doch blieb die Angst, welche sie beinahe mitten im Zelt hätte aufschreien lassen und welche sie bis nach Adoran, gut versteckt unter einer Decke aus aufgesetzter Ruhe, begleitete.
Die Decke war für Nyome gestrickt und die Abschiedsworte, sowie das gemeinsam gesummte Schlaflied trennten die hübschen Maschen nach und nach auf.

„Gute Nacht Lydia, träum etwas Schönes!“

… mit Nelklein besteckt, schlüpf' unter die Deck!


Nebelflirren – Turm – Rabenrufe – schwach, schwach, schwach!
Gesichtlose Gestalten – lockender Hall – Stärke, Stärke, Stärke!
Vater – Meister – Herr – morgen, morgen, morgen!
Soooo rrrrooooot!


Welch seltsame Welt ist das nur, in welcher Schreckgeschichten wahr werden und liebevolle Wünsche unerfüllt bleiben? Ein fiebriger Traum, ein kalter Traum, doch tief darin keimte die Saat Hoffnung und so ließ sie zu, dass innen und außen verschmolz. Wozu trennen, wenn es keine Trennlinie gab? Zumal sie hier, in der verlassenen Mühle unter all dem Stroh niemand hörte, als sie leise, verzweifelt zu kichern begann. Sie hatte begriffen, dass Wunschtraum und Geschichtenrealität mit dem Erwachen lange nicht enden mussten.

Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.
Morgen früh, wenn Gott will...
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 22 Nov 2012 15:39    Titel:
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Ein erster Schritt hinein in schneeweißes Grauen

http://forum.alathair.de/viewtopic.php?p=455743#455743
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 25 Feb 2013 21:10    Titel:
Antworten mit Zitat

Vor Abscheu ge-Irrlicht

„Aber was ist mit der Zeit? Wie vergehen hier Tage, Wochen, Jahre? Da ist doch ein Unterschied zwischen gestern, heute und morgen – oder etwa nicht?“
„Die Zeit? Hm... auch sie vergisst an diesem Ort.“

Und diese Aussage alleine hätte besagten Ort nicht einmal zu dem besonderen Raum gemacht, der er in Wirklichkeit war. Plätze, an denen die Zeit wahlweise vollkommen eigenen, chaotischen oder aber auch gar keinen Regeln unterlag, gab es doch zuhauf und einen solchen besuchte sie ohne rechtes Zutun jede Nacht oder auch mal am Tage, wenn die Blutarmut sie mit Schwäche und Müdigkeit unglaublich großzügig überschüttete. Vermutlich waren der Ort, in welchen sie dann hilflos hineinstolperte und der Ort, welchen sie so verzweifelt zu greifen versucht hatte, eng miteinander verwandt. Ein Kinderreim lispelte sich artig aufsagend in ihren Kopf, als sie sich diesen Überlegungen hingab.

„Der Schlaf und der Tod sind zwei lockende Brüder.
Nach dem einen erwachst du, nach dem andren nie wieder.“


Seufzend ertappte sie sich im nächsten Moment bei dem Gedanken, dass dieser nette Vers nur so bedauerlich kurz und knapp war. Gerne hätte sie der süßen Flüsterstimme noch ein bisschen länger gelauscht. Nicht einmal, weil sie so herzerweichend-rührselig klang oder der Inhalt mit seinem schiefen Reim besonders tiefgründig war, sondern einfach um damit die anderen Ververschandler auszublenden, welche nimmermüde mit ihren dürren Steckenbeinchen um sie herumsprangen. Am Ende der Stecken saß ein knödelartiger Schemenklops, in welchem vage Fratzen zu erkennen waren – ganz so, als habe ihnen die Gesichtszüge ein Riesenkind vor lauter Langeweile mit einem Messerchen unsauber hineingeschnitten. Fern fühlte sie sich an die Zeit erinnert, in welcher ihr eine vertraute Stimme anweisend und belehrend erklärte, wie man Seifenpüppchen schnitzt. Beinahe hätte sie bei der Erinnerung zu lächeln begonnen, doch schienen die unwirklich-wirklichen Fratzentierchen genau dies mit feinem Instinkt zu riechen und begannen erneut plärrend und jubilierend um sie herum zu springen, die verzerrten Meckerstimmen zum gemeinsamen Hohnchorus erhoben:

Eins, zwei, drei, vier ABSCHEU -
ich trenn' den Weizen von der Spreu,
die misch ich in den Brei dir dann,
weil ich dich nicht leiden kann!


Mit einem resignierendem Ächzen gab sie nach, sank ein wenig in sich zusammen und nahm schließlich auf dem Hosenboden Platz, die Knie eng an den Oberkörper gezogen. Blicklich pendelnd folgten die schiefergrauen Augen dem irrsinnigen Kreistanz, jedem noch so dämlichen Sprung, jeder Posse. Die Ohrspitzen, welche unter dem weißen Wirrwarr an Haar hervorlugten stellten sich schon auf eine Endlosschleife des spottreichen Auszählreimes ein und versuchten ihn im Gehörgang zu undefinierbarer Lautgrütze zu vermischen – schließlich wollte man die Nerven so lange wie nur möglich schonen. Fakt war, dass sie dem bizarren Kriegstanz wohl als Mittelpunkt-Marterpfahl diente, egal ob sitzend oder stehend. Natürlich hatte sie zuvor schon etliche Male versucht die Klopskobolde abzuschütteln und doch waren ihr die Fratzen immer einen Schritt voraus, konnten sich nicht nur blitzschnell bewegen, sondern auch jeden ihrer Schachzüge vorhersehen. Was blieb ihr da nun noch übrig? Genau: NICHTS, Resignation, Abwarten und Tee trinken... nur eben ohne Tee oder ein anderes Heißgetränk.
Klugerweise stellte sie sich in diesem Fall auch nicht die Frage, wie lange sie denn wohl warten müsse, denn die Antwort hierzu war wohl bekannt: Bis du dann wieder aufwachst, Morra!
Tja und nachdem die Zeit hier so fassbar wie Stück Mondlicht war (und im Übrigen mindestens genauso diffus), opferte sie ihre Königin und schob sich selbst ins Schachmatt.

Eins, zwei, drei, vier ABSCHEU -
ich trenn' den Weizen von der Spreu,
die misch ich in den Brei dir dann,
weil ich dich nicht leiden kann!

Nachdem das tumbe Lied weder interessanter noch gesanglich annehmbarer wurde, ignorierte sie die schrillen Ohrenschmaußtöne des Grauens und versuchte sich eher an diese eine Situation zu erinnern, in welcher sie es selbst damals lernte. Nur wenig wirklich Unbekanntes schlich sich des Nachts in die eigenen Träume, das dort Erlebte war meist ein verzerrte Wiedergabe einer schon erlebten Momentaufnahme, welche zumindest in einem der Sinne noch immer fest gespeichert wurde. Der Hänselvers gehörte da auch nicht zu den Ausnahmen und sie brauchte nicht einmal lange zu überlegen, wann sie ihn zuletzt gehört hatte.
„Das war an dem Tag, als die Käfigtüre zuschnappte, nicht?“
Es störte sie nicht, dass sie mit sich selbst redete und schenkte ihrem Monologpartner ein freundliches, doch bestätigendes Nicken, ehe sie hinzufügte:
„Die Kinder haben es gesungen und ich glaube es wühlte ihn recht auf.“
„Dich denn nicht auch ein wenig... hör nur hin. Ist schon gemein, oder?“

Eins, zwei, drei, vier ABSCHEU -
ich trenn' den Weizen von der Spreu,
die misch ich in den Brei dir dann,
weil ich dich nicht leiden kann!


Sie gönnte sich ein überzogen laffes Schulterzucken und erklärte nüchtern:
„Um ehrlich zu sein, fand ich es schon damals eher hirnlos statt geistreich. Sollen sie es mir also ruhig noch ein wenig singen – es kränkt mich nicht.“
Letzteres galt den Seifenfratzenknödeln, welche in just diesem Augenblick angefangen hatten, eine Polonaise um sie herum zu bilden. Einer der klumpigen Schemen allerdings löste sich aus der beschwingten Reihe und stackste mit wenigen Steckenschritten zu ihr in die Mitte. Ein Schatten schien über seine groben Züge zu gleiten und dennoch wurde der Mund breiter, grinsender.
„Duuuu findest das hirrrrrnlos, ja ja? Waaaarum singst du es denn dann andauuuuuernd?“, krähte er neckend. Nach einem perplexen Blinzeln wählte sie ihre Worte langsam aber bestimmt.
„Ich singe es nicht. Ihr singt, nein plärrt und offenbar gilt das Ganze mir... oder?“
Unsicherheit hatte sich zuletzt in ihre Stimme gemischt und der Schemenklops sog es auf wie süße Lenzenluft.
„Uuuuuh, du bist nicht nurrrr blöd, sonderrrn auch noch blind! Daa hast du dich aber sowas von ge-Irrlicht!“, begann er meckernd und vollendete die Ausführung dann triumphierend. „Wiiiiirrrr sind nurrr der Choooooor deines stummen Gesangs und deine Aaaarie gilt – ihm da!“
Nachdem ihm wohl der Arm zum weisen fehlte, streckte der Klumpen ein Steckenbeinchen spreizend ab und deutete damit in Richtung eines Wesens, welches ihr vorher keinen Deut aufgefallen war. Nur wenige Schritte hinter der bescheuerten Klopsreigenrunde saß ein rabenschwarzer Streunerkater, welcher der Truppe beinahe schon betont keine Aufmerksamkeit schenkte und sich stattdessen aalglatt die Pfoten putzte. Etwas überrumpelt von dieser Geschichtswendung blickte sie dem Tier, welches sie und ihre gröhlenden Anhängsel weiterhin mit Nichtachtung strafte, verdattert entgegen und verlor sich in diesem Moment des Stillstands, aus welchem sie ein neuer Jubelchor der Klumpenschemen riss.

„Ge-Irrlicht, ge-Irrlicht,
Schmach und Wut vergisst man nicht!“


Erst als die Verskünstler ihr Werk mehrfach wiederholt und sie sich dennoch keinen Reim auf den Unfug machen konnte, drehte der Kater den Kopf und aus dem schwarz blickten ihr blaue Augen abfällig-höhnend entgegen. Er öffnete den Kiefer etwas, entblößte spitze Zähne und kurz wirkte es, als würde das Katzengetier grinsen. Doch dann erhob es sich, noch ehe sie etwas sagen konnte und spazierte so lässig davon, als würde sie gar nicht existieren.

„Ge-Irrlicht, ge-Irrlicht,
Schmach und Wut vergisst man nicht!“


„MIST.....KERL!“ und im Augenblick des Ausrufs erwachte sie fröstelnd.

Das kleine Feuer war beinahe herab gebrannt und draußen vor dem Fenster schwirrten dicke Flocken herab, um die Welt noch dichter in trügerisch-flauschiges Weiß zu hüllen. Schön und verflucht kalt. Ächzend rappelte sie sich halbwegs im Bett sitzend auf, zog die Decke über die Schultern und versuchte sich mit kindlicher Geste sowohl den Schlaf, als auch den Traum aus den Gedanken zu reiben. Er war so verdammt unbedeutend, dass sie ihn die ganzen letzten Wochen vergessen und nach dem Wiedersehen am Tor sogar gehofft hatte, dass ihm der Name und das Gesicht entschwunden waren. Ge-Irrlicht! Es stellte sich erst am gestrigen Abend raus, dass er wohl doch kein allzu schlechtes Gedächtnis sein Eigen nennen konnte. Zudem hatte er ein Talent dummen kleinen Spatzenhirnen, wie er sie offenbar sah, dann und wann auf den Geist zu gehen – ganz wie ein verdammter Kater!
Nochmals entwich ein gequält-murriges Aufstöhnen ihrer Brust. Er schien keinen zweiten Gedanken (wenn überhaupt einen ersten?) an seine Spielverderberhaltung zu verschwenden, also musste sie dafür sorgen, dass er verschwand und dank Mia hatte sich das Samenkörnchen eines Planes in das noch immer verschlafene Hirn gelegt.

„Möchtest du mehr Ruhe, sei nett zu ihm und kindlich. Er hasst junge, aufdringliche Mädchen – fast als hätte er Angst.“

Ein weiteres Mal wischte sie sich fahrig schlaftrunken durchs bleiche Gesicht. Noch zweifelte sie diese Gänschenrechnung an aber noch hatte sie auch einfach nichts Besseres griffbereit. Noch...kommt Zeit, kommt Rat.
Wenn der affektierte Stenz dachte die Oberhand zu haben und ihr die Blöße zuschieben wollte , hatte er sich ganz gewaltig ge-Irrlicht!

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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 24 März 2020 15:09    Titel:
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Zuhause ist...

Die Zeit der letzten Jahre verbleibt im Nebel. Verschleiert, sanft und gut, gnädige Schlieren der Erinnerung. Irgendwo im feinen Gespinst aus watteweichen Rauchschleiern sprangen zwei junge Frauen lachend über eine farbenprächtige Wiese voller Wildblumen, sammelten Vergissmeinnicht, Schleierkraut und Primeln, banden sich Kränze daraus, waren gemeinsam glücklich.

Leise Tappgeräusche der Schritte, als sie durch die Straßen lief - zerstörte Dächer, umgefallene Zäune, hier und dort sammelte sich der Unrat im Graben oder schwappte im gemächlichen Takt der Gezeiten im Hafenbecken. So alt und neu zugleich, Veränderungen die unter der Haut kribbelten und tippelnd den Weg zum Hirn antraten, wo sie zum Trommelorkan heranwuchsen und die zarte Ordnung noch weiter durcheinanderschüttelten. Mittendrin wummerte die garstige Stimme der Verdammnis lautstart ihre Schreckensbotschaft:

"Zu spääät, du bist zu spääät, sie ist tot! Gefressen vom Himmelsmaul, nyamnyamnyam... zarte kleine Nyome!"

"Halt die Klappe!"

Schneller tappelten die Füße und ließen den matschigen Lenzingboden hinter sich. Sie war noch nicht zu spät, sie war dem Ruf gefolgt. Sie konnte nicht zu spät sein, sie hatte sich doch so beeilt!
Nur wenige Stunden später würde die Seele Balsam erfahren, wenn ihr die Stimme des Tillingers Ruhe zusprechen und die Frau Oberst von Wipfeln, Zipfeln und Gipfeln (welche zwar die verfluchte Rüstung trug, die allen Trägern Abscheu gegenüber dem schneeweißen, kalkblassen Fräulein einpflanzte aber immerhin zum Reagieren animierte) ihr bestätigte, dass der Name "Nyome" noch ein Begriff und eben nicht verschlungen war... dennoch stimmte just mit diesem Namen etwas nicht.

"Oh den Namen hörte ich auch schon lange nicht mehr. Fräulein Belfa ist inzwischen Ihre Hochgeboren Nyome von Thronwall, Freiherrin von Thronwall und Vogtin Adorans."

Zum Seelenbalsam mischte sich Verwirrung, verzerrte das Bild des Mädchens Nyome und schmierte über die kindlichen Züge, bis das Gesicht der Freundin in der Erinnerung vollends unkenntlich war.

Tage später erst fand sie jene wieder.
Sie waren verborgen im Antlitz einer wunderschönen, jungen Frau und erstrahlten in derem Lächeln.

Nyome...

Die Zeit kannte kein gestern oder heute, sondern drehte sich im Kreise. Im Einklang mit zwei jungen Mädchen, als goldene Locken und schneefarbene Strähnen sich vermischten. Selbst als sie beide lachend ins güldene Feld des späten Sommers fielen, hatten sie die Hände nicht gelöst, spürten die Nähe der jeweils Anderen. Blinzelnd und träge lugten sie in den kornblumenblauen Himmel, sammelten Wärme und Licht, banden Freundschaft daraus, die jeden Strahl der Sonnenuhr überdauern würde.

Warm und wohlriechend umschmiegte sie das weiche Schultertuch. Es roch nach dem Lied des Vollmonds, nach silbrigem Zauber und einem verschmitzten Zwinkern aus nussbraunen Augen. Karawyn, auch sie hatte sich verändert aber im Kern strahlte das gleiche Zentrum des Firmaments, wie damals. Zeit... was war das schon? Schall und Rauch, Kreislauf, Reigen, endlose Spirale.

"Und am Ende kommst du Nachhause zurück, liebes Kind. Bist den schimmernden Lichtern am Himmel, dem Ruf der Krähengetiere und Rausch der dunklen Schwingen gefolgt. Zuhause, das ist..."

Die Schritte wurden langsamer, als sie die alte Kate betrat, mit traumwandlerischer Sicherheit den geheimen Weg hinab fand und die Fingerspitzen zärtlich über den kalten, klammen Stein fuhren. Die Luft hier unten barg keinen fauligen Moderduft, sondern den kühlen sakralen Hauch des uralten Wissens und emfing sie wie eine liebevolle Umarmung. Im Kerzenschimmer tanzten Bilder aus dem Familienleben in all den wuseligen Schatten an den Wänden. Sie zeigten ihr Szenen aus der Vergangenheit, Namen die nur noch selten in diesen Hallen gewispert wurden. Sie offenbarten ihr die Gegenwart, viele junge Geschwister in einer geselligen Runde. Sie hauchten über die Zukunft, versprachen den Spiralendreh weiter fortzuführen.

"Zuhause."

Die Zeit zerbarst wie eine überreife Pusteblumenkrone nach einem Windstoß, breitete sich im gesamten Raum aus, nur um dann, zusammen mit zwei jungen Frauen den Atem anzuhalten. Schwarz die Nacht, kein Stern am Himmel doch der Dolch, geführt von zwei Händen, die Finger ineinander verwoben, verströmte dennoch sein kaltes Licht. So lange kalt nur, bis er auf Wärme traf und sich einhüllen ließ. Seelenfreiheit für einen Moment, endlose Weite, bis sie der Vater fand und sicher an den rechten Ort führte. Wohl geborgen, für immer. Im Kern der Zeit würde es ewig so bleiben - zwei junge Frauen, gemeinsam und glücklich, trugen bunte Blumen und Bänder im Haar, sammelten Seelen und aßen Eichkatzenpastete.
_________________
"I, myself, am strange and unusual."
Beetlejuice...Beetlejuice... Beetlejuice!
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 04 Apr 2020 20:49    Titel:
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Waschweibergedanken

Als sich die Zähne durch das angeschnullte Ende des Federkiels bohrten und vorsichtig bewegten, da drang ein leises knirschendes Quietschen vom gedemütigten Kielende durch die Knochen des Kiefers und zeichnete damit eine rasch erblühende Gänsehaut auf die Haut der Arme und Beine des Fräuleins am Wasser. Wie ein Waschweib saß sie da, neben dem Feuerchen und schrieb das ein oder andere Worte gemächlich auf einen halbwegs sauberen Briefbogen. Nun ja, wenn sie nicht gerade am Kiel herumnagte.
Oder aber den Funken nachblickte, die das Feuer dann und wann knackend ausspuckte und in den Nachthimmel hinaufpustete. Kurzlebige Glühwürmchen, kaum mehr als einen Lidschlag Feuer und Flamme für die Welt, ehe ihr Licht schwand und nichts blieb als eine Ascheflocke, die taumelnd wieder hinabtrudelte. So ähnlich, philosophierte sie, war es doch mit dem Leben und langsam sank die Hand mit dem Federkiel tiefer, als sie sich gänzlich verzaubert im Strudel der eigenen Gedanken verlor.

"Halt dich fest, ich erleuchte einen der Momente, die du in den letzten Tagen erlebt hast und die nicht im Waschwasser des Alltags weggespült worden sind, ja?", flüsterte einer der Funken und sprang ins schwarze Zelt des Nachthimmels hinauf. Sie antwortete nicht, sondern verfolgte ihn stumm staunend blicklich. Am Höhepunkt des Firmaments angekommen blitzte ein Bild auf. Nur kurz, nur das Flattern eines Mottenflügels, bevor sich das Tierchen an der Kerze verbrannte und verendete.

Ein Fliederstrauß am Hutband einer Lilie. So lilablassblau wie der reine Frühling selbst, gesegnet mit dem Duft vom neuen, jungen Morgen. Frischer als die erquickendste Quelle und doch so zart und weich wie es nicht einmal eine Daunenfeder sein konnte.

Sie streckte sich dem Strauß entgegen, denn er wuchs aus echter Freundschaft und doch blieb nicht als Asche und ein kleiner Schmerz an den Fingerspitzen zurück, als sie den Erinnerungsfunken zu fassen bekam.
Doch wenige Momente später, als sie den Kummer darüber gerade überwunden hatte, glomm ein weiteres Bild im Himmel auf und strahlte ihr lockend entgegen.

Schnee auf warmer Haut. Schnee, der sich wallend über den Rücken eines Menschenkindes ergoß. Kleine kristalline Schneesplitter, die wie winzige Strähnen die Wangen kitzelten, die Stirn umrahmten. Mehr und mehr davon, wuchsen sie zum Schneegestöber an und drohten, einer Lawine gleich, auf sie hinab zu stürzen. Da breiteten sich Flügel im Hintergrund aus, deren Weiß noch reiner und klarer als die Flocken selbst schimmerten. Der geborene Schnee schmolz und zurück blieben sie beide, der mit den weißen Schwingen und sie, die seine Farbe auf dem Haupt trug. Fluch oder Segen? Beides.

Erneut blieb nur die Asche und schwärzte die Finger, als sie auch diesen Hauch der zeitlichen Irritation langsam in der Hand zerrieb. Dann war eine ganze Weile nichts am Sternenzelt zu sehen. Nachtblau, weich und samtig wie eine gigantische Decke nur hauchte ihr Müdigkeit entgegen. Blinzelnd wollte sie das Brieflein auf den Knien beenden und hielt doch noch einmal inne, als ein vielversprechendes Knacksen erneuten Funkenflug ankündigte.

Perlengewebe, das sich, hübsch aufgereiht an einer Schnur, wie eine Schlange mal vor und mal hinter den Fingern einer Männerhand hindurch wand. Leises Klicken, wenn die wohlgeformten, runden Perlchen wieder zueinander fanden und mit jedem Klickgeräusch sickerte die Zeit in der Sanduhr rückwärts. Sie spürte, wie es ihr die großen Worte raubte und sie zu einem tumben, hilflosen Gör verkam.

ZUM MÄDCHEN IM ZIMMER! DENKST DU ES HAT DICH VERGESSEN, MORRA?! NEIN, ES LAUERT, WARTET UND WIRD DICH HOLEN... DANN GIBT ES NUR NOCH UNS DREI. ER WARTET AUCH, MORRA... WARTET GEDULDIG! GOLDENER KÄFIG, MEIN SCHATZ!

Mit einem gellenden Aufschrei war sie aufgesprungen, hatte Erde und Sand nach dem Feuer getreten und sich doch nicht annähernd schnell genug beruhigt, um das hysterische Schluchzen zu unterbinden, das blubbernd aus den Tiefen ihrer Seele hinaus wollte, zur Oberfläche drang, um in Stürzbächen über ihr Gesicht zu fließen.

Es brauchte Zeit und eine ruhige, geduldige Hand, um den Riss im Nervenkostüm zu flicken aber irgendwann, als das Feuer nichts mehr war, als schwelende Glut in Kohleresten, da hatte sie sich wieder beisammen. Leise schniefend wischte sie die ekelhafte Mischung aus Rotz und Salzwasser vom Kinn, blickte sich dann suchend nach ihrem Brief und dem Federkiel um. Letzterer ward rasch gefunden, doch vom Briefbogen war nicht mehr viel übrig. Die letzte Ecke verband sich gerade mit dem sterbenden Gluthauch und schenkten dem jämmerlichen Häufchen Elend einen Abschiedsfunken, der hinauftaumelte und ein kurzes, doch wunderschönes Bild in den Himmel malte.

Am klappernden Rad einer schneeweißen Mühle saß ein schneeweißes Waschweib, erhellt im Licht einer schneeweißen Kerze und wusch ihre Wäsche... schneeweiß.
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 08 Apr 2020 03:40    Titel:
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Weißt du, dass das Gras nicht einfach nur kalt ist, wenn man im Wechselwind des Nachts durch die Wiesen wandert? Es ist klamm und geht gierig auf Tuchfühlung. Klingt lustiger, als es eigentlich ist, wenn es sich dann um die blanken Knöchel schlingt und das Leder der Schuhe binnen weniger Momente so mit Wasser füttert, dass jeder Schritt leise, matschige Quietschgeräusche von sich gibt. Ekelhaft aber doch der einzige, konstante Begleiter durch die späten Stunden in Richtung Morgen. Ich lausche ihrem quieksenden Gequietsche und höre das Lachen darin.

Weißt du, wem das Lachen gehört? Nein? Ich bin mir auch nicht sicher, doch einige der vielen Stimmen erkenne ich darin. Es sind jene, die ich hinter mir gelassen habe, denen ich manchmal entflohen bin, die ich vielleicht verleugnet habe und auch jene, deren Geschichtsende meine Feder schrieb. Am schlimmsten aber sind zwei besondere Exemplare:

Die Eine ist sehr alt und leise, sie ist zärtlich und dunkel. Manchmal singt sie mich in den Schlaf und verspricht mir allerlei, was ich nie wollte. Das aber, was diese Stimme so schrecklich macht, ist dieser warme Unterton darin, der sich wohl Liebe nennt. Wenn ich mich nicht wehren kann, dann findet sie mich manchmal – wenn ich alleine bin mit meinen Gedanken, wenn andere Seelen und deren Licht so weit weg ist, wenn ich schlafe und mich die Fäden des Traumes in die Tiefe zerren.
Grauen ist ihr Name.

Die Andere ist jünger und direkt, trieft vor Spott und Dreistigkeit. Wenn ich mich ärgere, dann schlendert sie heran, wie eine elendigliche Katze, nein, ein Sarkasmuskater. Sie beschnuppert mich und sieht all meine Fehler, äußerlich... innerlich, es sind so viele, dass sie nie müde wird, neue zu entdecken. Dann beginnt sie aufzuzählen und erinnert mich daran, dass es mannigfaltige Szenarien gibt, in denen ich als Wesen keinen Platz habe. Das geschieht dann nüchtern, rasch und so bissig heiter, dass ich die bizarre Neckerei darin aber noch kurz wahrnehmen kann. Dann schlendert sie davon und ich beginne mich zu ärgern. Warum? Weil mich das neugierig gemacht hat. Weil ich es gehört habe, das schwache Interesse und ich wäre ihr damals beinahe auf den Leim gegangen. Dem lockenden Kater nachgefolgt, als er eine feine Note Honig in der Stimme hatte.

Es ist leicht die beiden in den Lachern zu hören, sie zu isolieren und zu begreifen. Die Eine klingt verzweifelt, mit einem Hauch Wahn untersetzt, die Andere hat Triumph und Süffisanz für sich beansprucht. Ich frage mich, ob du auch gerade lachst...

Weißt du, dass der rote Mantel seltsam warm ist. Oh nein, nicht unangenehm, ganz und gar nicht. Nur frage ich mich, warum er seinen Sinn und Zweck so stoisch und tapfer verfolgt, wo doch die Kälte von innen kommt, sich durch die Brust knabbert und schmerzhaft an den Rippen nagt. Meinst du er ist verzaubert? Ich will dir hoffen, dass er nicht verflucht ist – aber nein, du siehst deinen Ängsten auch nicht gern ins Gesicht, hm?

Weißt du, dass es solche Momente selten gibt, in denen ich glaube zu verstehen, wie der berühmte Hase läuft? Er läuft über Wiesen, dem Mondlicht nach und ich weiß vor allem, dass er wegläuft. Ich bin nicht glücklich mit dem verdammten Hoppelvieh, denn gestern hat es dich kurz zur Schlange gemacht, um wegzulaufen. Heute war keine Schlange nötig, nur der Hase, der Angsthase.

Weißt du, dass ich nicht weiß, warum Angst angebracht ist? Wir sind doch keine Feinde, wir haben den Friedensfisch geteilt und ich glaube fest an diese Geste. Sie ist so aberwitzig und skurril, dass sie einfach durch und durch wahr sein muss. Vergessen, sagst du, aber das ist dann nicht der Pfad den ich gehen kann, denn er führt immer wieder in diese Sackgasse, in welcher der Brunnen mit all den begrabenen Leichen der Erinnerungen liegt und es ist die erste Stimme, die hier singt. Lieder, die nur ich höre, die zwischen den Steinen des Brunnens hin- und herhallen. Eines Tages wird’s passieren... eines Tages findet sie mich und dann schließt der Käfig, der goldene hinter mir.
Dann brauche ich keine Schlüssel mehr finden, denn da gibt es keinen. Ein Schlüsselloch? Ja, das ist vorhanden und jede Bewegung meines Körpers wird gesehen. Das ist nicht ganz so schlimm, wie es klingt, denn solange beobachtet werden muss, ist Distanz da. Ich habe Angst vor dem Moment, in dem sie überwunden wird.

Weißt du, dass ich es nicht gemerkt habe, wann du sie überwunden hast? Die Furcht kam erst, als ich realisiert habe, dass du nahe bist. Du hast dich auch erschrocken, ich hab's gesehen. Spiegelbilder hätten wir spielen können. Mein Entsetzen auf deinem Gesicht. „Warum“, fragst du und „wie“ oder „was“. Närrische Fragen, denn ich habe keine Antwort. Das ist mir alles alles fremd. Ich habe dich gefragt, ob du wie der Kater bist aber du bist, so deine Aussage, ein Hund. Mit diesen kenne ich mich noch weniger aus. Das einzige Tier, dass man mir je gab, war ein Teil meiner Flucht, der Moment in dem die Nebelkrähe ihre Schwingen fand und davonfliegen konnte. Weit, weit weg.

Weißt du, dass es schwer ist, dich anzusehen?

Weißt du, dass ich deine Masken nicht lesen kann? Wann sind die mit dir verschmolzen, alle ein Teil des Gesamtbildes und doch abwechslungsreicher als die Stimmen. „Kleider machen Leute“, Blödsinn, Leute machen Leute und wir passen die Masken dann an.

Weißt du, dass es gut ist, dass dein Haar nicht blond ist? Leider ist es meines auch nicht. Leider, ja...

Weißt du, dass meine Füße nicht den Weg Nachhause gefunden haben? Nicht nach Bajard in den Schlafsaal, nicht zu Nyomes Anwesen, nicht in die hübsche Kammer der Valkenbergs und leider auch nicht zur Mühle. Es muss am klammernden Gras und dem Mondlicht gelegen haben, doch ich kam nicht so weit, wie gehofft. Schmerzen, viele leichte Stiche, als die Silhouette des Klosters den Mond ein wenig dämmte. Schwingenstein bereitet mir Unbehagen, selbst wenn Magnus sagte, dass es der einzige Ort wäre, an dem man wirklich sicher sei, unter dem Adlerschnabel versteckt. Ein Irrglauben und ich meide das Städtchen, wo es nur geht aber heute Nacht kann ich nicht alleine sein. Heute würden sie mich finden, spätestens in den Träumen, weil sich die Gedanken drehen. Wenn ich selbst jetzt, zu so später Stunde, beim Hause des menschlichen Vollmondes klingle, dann weiß ich, dass dieser nicht fragen wird, sondern mich in den Arm nimmt, mich in eine Decke hüllt und eine Geschichte – vielleicht die vom Mondbären wieder? - erzählt und wenn ich dann schlafe, wird der Vollmond bei mir bleiben und mich beschützen. Nur für diese Nacht, denn es ist Schwingenstein und meine Flügel sind schwarz, nicht golden. Nur für diese Nacht...

Weißt du, dass ich es jetzt gerade, wo der helle Klang der Glocke die Stille am Platz zerbricht, bereue, dass ich nicht geblieben bin? Für einen Moment, einen verwirrenden, fremden Moment.


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Zuletzt bearbeitet von Morra Thuati am 08 Apr 2020 20:01, insgesamt einmal bearbeitet
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 09 Apr 2020 17:38    Titel:
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"Wir können uns auch an den Tisch setzen. Ich wollte nur die.. mhhrm.. Fische ansehen."
"Wie es dir lieber ist, ich sehe dich auch so und du könntest mit ihnen um die Wette starren."
"Das kann ich mit dir auch, Morra."

... mit dir, Morra. Dir, Morra. Dir.

"Das ist neu."

Neu, wie ein unbeschriebenes Blatt Papier, das noch holzig weich duftet und so zart zwischen den Fingerspitzen wirkt. Das Licht strahlt durch diese Art der Seiten auf eine ganz ähnliche Art und Weise, wie es beim plötzlichen Bruch durch Wolken den Himmel erhellt - der Moment in dem die Seele einmal erstaunt und befreit aufatmet. Es raschelt leise flüsternd, wenn man derart frische Seiten umblättert und wer weiß, wie man zu lauschen hat, der hört die Geschichte darin. Noch ungeschrieben, noch versteckt und scheu und wer dann einen beherzten Schritt nach vorne wagt, den Federkiel in sternenblaue Tinte taucht und dem Gewisper eine Stimme gibt, der weiß, was es wirklich bedeutet, Leben zu erwecken.

Es war einmal...

... denn so fangen zwar nicht alle Geschichten an, sehr wohl aber jene, die im Reich der Mären, ganz gleich ob hell und heiter oder düster und schaurig, ihren Ursprung finden. Du fragst, welche Natur unserer nun aufkeimender Mär innewohnt? Beide. Seltsam? Ja und selten aber vielleicht macht sie das gerade so spannend, hm? Also...
Es war einmal eine schneefarbene Motte, Nachtschwärmerin und Traumwandlerin, deren schwarze Mottenaugen eine andere Welt sahen, als ich oder du. In den Deckenfalten der Dunkelheit stecken Schatten, musst du wissen und wir Menschen sind sehr gut darin, sie zu übersehen. Vielleicht, weil wir verlernt haben, sie als solche zu erkennen und zu beobachten oder aber auch, weil es grässliche Fratzenschatten sind, deren Blick wir nicht lange standhalten und in ihrer Nähe verwelken würden. Manchmal ist es ein Segen etwas nicht wahrnehmen zu können, das kannst du mir glauben. Doch die kleine Motte sah die Schatten nicht nur, sie versteckte sich dann und wann in ihrer Mitte, ließ zu, dass sie an ihr hafteten, wie der Tau an morgenfrischen Halmen. Für gewöhnlich hätte die Geschichte hier schon ein jähes Ende gefunden und auch wenn ich die berühmte Mären-Schlussfloskel um ein Wort berauben müsste, könnte 'Und sie lebte bis an ihr Lebensende', durchaus gepasst haben.
Ja, ich verstehe warum du unzufrieden und befremdet die Stirn in Falten legst, die Nase kraus ziehst. Das ist keine Geschichte, die man aufschreibt, sondern ein kurzes, düsteres Intermezzo, das man bestenfalls als Moral oder Parabel irgendwo anbringt, wenn man einen sehr speziellen Standpunkt verdeutlichen will. Nein, das ist nicht meine Intention - mir geht es um das, was nun kommt:

Es begab sich eines besonderen Abends, dass die Schneemotte auf ihren Reisen über das Himmelszelt an einer höchst interessanten Szene vorbeiflatterte. Umringt von vielen adretten, hochgewachsenen Blumen, deren Farbenpracht auch im ersten Licht der Sterne noch seltsam strahlte, stand ein kohlrabenschwarzes Streichholzmännchen und lauschte dem Wind, der durch die Pflanzen glitt und Neuigkeiten mit sich brachte. Es muss das schwach glimmende Licht des Hölzchens gewesen sein, welches die Motte magisch anzog und so flatterte sie näher, beobachtete und als sie glaubte, dass ihre Zeit gekommen war, da versuchte sie dem hauchenden Wind ihre eigenen verworrenen Botschaften mitzugeben, aufdass jene das Streichholzmännchen erreichen sollten. Doch dieses hörte zwar, verstand das Mottengemurmel aber nicht und enttäuscht flatterte sie wieder in die Schatten. Vielleicht hätten die beiden diese bizarre Begegnung bald vergessen, hätte nicht irgendwer in der großen Geschichtsweberei seinen Spaß daran gefunden, die Erzählstränge der beiden grundverschiedenen Gestalten miteinander zu verweben. Schau mich nicht so an, hierbei bin ich noch ganz und gar unschuldig!
Nun gut, so kam es also, dass sich die Wege der beiden einige Zeit später erneut, in einem pechfarbenen, kahlen Wald aus Stein, kreuzten. Diesmal war das Streichholzmännlein umgeben von einem Schwarm Raben, die der Motte freundlich zunickten und sie in ihrer Mitte akzeptierten. Doch das Hölzchen war erfüllt von Irritation und befremdet beobachtete es die flattrige, unstete Art des schneefarbenen Wesens. Interesse, weißt du, ist nicht schwarz wie unser Streichholzmännchen oder weiß, wie die Schneemotte, sondern trägt unendlich viele Nuancen der Farbe Grau in sich. Eine Wahrheit, die weder das Hölzlein, noch die Motte begriffen, denn sie wandelten durch verschieden graufarbene Schleier und sahen nicht, was der Grund für die Neugierde war. Das klingt kryptisch, ich bin mir dessen bewusst aber vielleicht verstehst du es, wenn ich dir berichte, wo die beiden zuletzt aufeinander trafen.
Winter war's, als sie einander wieder sahen, bitterer, eisiger Winter. Er brachte den schneidenden Wind mit sich und die klamme Kälte, die sich bis zur Seele hineinschleicht, um dort in Eiskristallen zu zeichnen. Die kleine Motte flog nur noch sehr langsam und schwankend, den dunklen Blick auf ein unbeflecktes Schneefeld hoch im Gebirge gerichtet, als sie das Streichholzmännlein dort unten kauern sah. Behutsam flatterte sie näher und stellte erschrocken fest, dass die schwache Glut, die ihm innewohnte nur noch dann und wann glimmte. Es war sicher nicht nur Sorge und Interesse, was sie zu ihm zog, sondern die Suche nach dem Licht, welche in der Mottennatur nun einmal festen Bestand hat. So schwirrte die Schwärmerin und Träumerin eine ganze Weile mal näher an das Hölzlein heran, nur um dann wieder in der Nacht zu verschwinden, bis jenes knackend darum bat, dem Tanze endlich ein Ende zu bereiten. Verwirrt hielt die Motte inne und stand eine zeitlang vorsichtig flatternd vor dem Streichholzmännchen. Fragendes Mottenwispern verschmolz mit den treibenden Flocken im Wind und das Hölzlein streckte wortlos das Ärmchen aus und deutete auf einen Felsvorsprung, in dessen steinigen Übergang, abgeschirmt von Wind und Kälte, ein kleines Feuerchen munter und einladend knisterte...


"Es ist wie, wenn du in einem Gebirge wanderst: Eisiger Wind, der dir unter die Haut fährt, deine Haare gefrieren lässt - und dann ist da so ein kleiner Funke, ein kleines Feuer. Es muss gar nicht viel sein, gerade so viel, dass du weißt, dass da irgendwo noch Wärme ist, in all der Kälte."

Beide starrten eine Weile schweigend auf die tänzelnden Flammen, staunten sprachlos über das winzige Wunder und obwohl sich der helle Schein in ihren Augen warm und verheißungsvoll spiegelte, bewegten sie sich nicht. Die Motte schauderte fröstelnd, die letzte Glut des Hölzchens zischte traurig. Warum konnten sie diesen Schritt nicht endlich gehen, fragst du? Ah, dann wäre die Geschichte bestimmt zu einfach und das ist es im Leben selten, weil wir es uns schlichtweg gerne schwer machen. Hinzu kommt, dass sowohl die Motte, als auch das Streichholzmännchen begründete Ängste im Bezug auf das Feuer mit sich trugen.


"Seyar?"
"Hmm?"
"H... hast du Angst?"
Ich hab Angst, denn wenn das Feuerchen ausgeht... ist da nichts mehr, außer dieser ewigen Kälte.
"Und ich hab Angst mich zu verbrennen, wie eine Motte am Licht."
"Erfrieren oder verbrennen... eine schwierige Entscheidung."

Nein, keine Angst, sie erfroren beide nicht in dieser Nacht oder verglühten in einem letzten knisternden Spektakel. Sie nahmen beide ihren Mut zusammen und wagten sich in diesen ersten, vorsichtigen Schritten näher an die frischgeborenen Flammen heran. Nur so nahe, dass die Motte die Wärme wieder in den Fingern spürte und das Eis um das Hölzchen ein wenig schmolz. Für diese Nacht vertrieb der reine Schein des Feuers die Schatten und löste die grauen Schleier der Verwirrung.

Auf was wartest du? Ach, der berühmte Schlussfloskelsatz? Nun, der ist auch hier nicht angebracht, tut mir leid, denn das ist nicht das Ende der Geschichte dieser beiden, sondern nur die erste, frischgeschriebene Seite einer gar wundersamen Mär.

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Zuletzt bearbeitet von Morra Thuati am 09 Apr 2020 17:40, insgesamt einmal bearbeitet
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 15 Apr 2020 15:32    Titel:
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Träume... sie wollte sich nicht weiter darin verfangen, aber sie musste den Pfaden folgen, die sich zwischen den farbenprächtigen Bäumen der Erinnerungen auftaten. „Folgen... folgen... folgen, Morra.“ So löste sich die kleine Gestalt am Waldesrand und ließ zu, dass die Füße sie einmal wieder tiefer trugen, bis sie vom Weg abgekommen war, wie immer. Nicht jede Routine wird leichter, nur weil sie sich windet, in einem wirbelnden Achterschlenker wiederholt und manche Worte werden nicht leichter, selbst wenn man sie auswendig mitsprechen kann. So ließ sie zu, dass das Rascheln der Äste eine eigene Schneemädchen-Mär mit sich trug, deren Geschichte sie bereits kannte:

Von Sehnsucht...
Es lebte ein junger Mann in einem güldenen Haus und alles, was er berührte verwandelte sich ebenfalls in das wertvolle, strahlende, doch so kalte Metall. Da er ein wacher, gescheiter Geist war, erkannte er sehr bald, dass ihm sein Reichtum kein Glück bescheren würde und so begab er sich auf die Suche nach dem warmen Funken namens Glückseligkeit. Durch viele Lande musste er streifen und seine Sehnsucht erdulden, ehe er dieses seltene Feuer nicht in prächtigen Schlössern, edlen Gewändern oder Geschmeide, aber in dem liebreizenden Gesicht eines Mädchens fand. Ein Waldkind, Kräuterfräulein, Blumenmädchen nur, doch wohnte ihr die Schönheit eines jungen, blassen Morgens inne. Aus den ersten Sonnenstrahlen gesponnen das Haar, die Haut von der Farbe der weißen Lilien im Taukranz, die Augen das sanfte Licht der Veilchen im Körblein. Als sie zu ihm aufsah und lächelte, da wusste er, dass er gefunden hatte, was die Sehnsucht in der Brust aufheulen ließ.

Von Verblendung...
Mit Edelmut und prinzenhaftem Charme wollte er das Waldkind bezirzen, doch ihr Herz hing an den Wäldern, dem kleinen Weiler der Familie und dem geheimen Blumenmeer darin und so wich sie ihm aus wie ein junges Reh und lief, durch des Waldes Flur, Unterholz und Wiesen, ehe er sie einholte und eines der Blümlein aus dem Korb ergriff. Zwischen seinen Fingern erstrahlte es in neuem Glanze und das gleißende Licht des Goldes blendete die unschuldigen Veilchenaugen. Verzaubert und vom kräftigen Schimmer gefesselt verharrte das Mädchen, ließ zu, dass er sich ihr näherte und einfing, wie einen unvorsichtigen Schmetterling. Sie sah nicht, dass er sie mit sich zog und der Familie entführte, sprach kein Wort, als er für sie mit Vater, Mutter und den kleinen Geschwistern im Hüttchen auf immer brach, nahm den Blick nicht vom Gold, als er mit ihr durch all die Lande ritt, weit weit fort bis ans Ende ihrer Welt, wo sie im goldenen Haus sein größter Schatz werden sollte.

Von Verführung...
Was aber geschieht mit dem Glanz des Goldes, wenn die Nacht hereinbricht? Welche Farbe trägt es noch, wenn es kein Tageslicht mehr widerspiegeln kann? Es wird stumpf, brüchig und kalt. So ward es wohl der Nacht geschuldet, dass die Augen des Blumenmädchen zu spät wieder sehen konnten und entsetzt fand sie sich allleine in der Dunkelheit. Verzweiflung überkam sie, wie die Flut den zuvor friedlichen Strand mit aller Kraft umspülen kann, als sie erkannte, dass der silbrige Hauch des Mondes in der Freiheit so viel schöner strahlte. Sie floh dem kalten, goldenen Haus für einige Momente, beklagte die verlorenen Bande zur Familie, dem Wald und ihren Blumen. Ihre Tränen, vom Mondlicht zärtlich illuminiert, glitzerten noch auf den Wangen, als sie auf das Kind der Nacht traf, welche ihn geschickt hatte, um dem armen Mädchen Trost zu sein. Weich wie der Abendwind seine Berührung, silbriger Sternenschimmer auf der Haut, das dunkle Haar erzählte vom Gefieder der Nachtvögel und in den kohlefarbenen Augen spiegelte sich das ewige Licht der Sterne. Ja, Trost sollte er spenden und so breitete er die Decke des Firmaments über ihrer beider Köpfe, um sie für diese eine Nacht mit sich zu nehmen.

Von Verlust...
Auch in der Nacht wachsen Blumen, leise und still. Sie baden im Mondlicht, lauschen in die Stille hinein und gedeihen durch im Verborgenen. Heimlich entfaltete sich ein solch kleines und noch schwaches Pflänzchen im Schatten des Morgens, wo die Nacht das Samenkörnchen versteckt hatte. Glück sollte es zurückbringen, ein noch verschlossener Blütenkelch, in dem ein kostbares Nachtgeschenk für das Blumenmädchen still schlief. Als dieses jene Blüte entdeckte, da war die Freude zunächst so groß, denn sie glaubte darin etwas zu finden, was sie endlich wieder mit dem verschwundenen Zauber des Goldes vereinte und so wartete sie geduldig, glücklich und in seliger Vorfreude.
Doch als die Nacht kam, in der die Mondblüte den Kelch öffnete, da saß ein kleines Mädchen aus Schnee darin, unberührt vom Goldglanz und in ihren kohlefarbenen Augen spiegelte sich das ewige Licht der Sterne. Als der junge Mann aus dem goldenen Haus das kleine Schneemädchen sah, verstand er, dass sie nicht Teil deiner Welt, sondern in heimlicher Gunst mit der Nacht erworben war und glühender Zorn, sowie bittere Enttäuschung formten giftige Stacheln aus seinen Worten, die er nun dem Blumenmädchen schenkte.
Als die Verzweiflung sie ein weiteres Mal umspülte, da breitete sie die Arme aus, rannte nicht mehr und ließ sich mit der Flut treiben. Fort vom verwirrenden Goldglanz, fort vom Kuss der Nacht, fort von kohlefarbenen Augen. So weit, weit fort... verloren für die Welt der Sterblichen.

Von Angst...
Zu spät begriff der goldene Mann den Verlust und spürte, wie die gefundene Glückswärme zu schwinden drohte, nichts als Kälte zurücklassen würde. Angst umklammerte sein Herz mit eisernem Griff und berührte den Geist gewaltsam. Als er wieder glaubte klarer denken zu können, da waren einige Jahre vergangen und er saß noch immer in dem goldenen Haus, doch er war nicht alleine. Neben ihm durchs Zimmer lief auf Eiskristallen das Schneemädchen und in ihren blassen Zügen erkannte er das, was er verloren hatte. Da glaubte er, dass das Schicksal ihm eine zweite Chance zugestanden hatte und er schwor sich, diesen Schatz niemals mehr zu verlieren. Rasch griffen schwere Hände nach dem Schneemädchen, brannten Wunden in die unversehrte Firnhaut und rissen sie mit sich. Er spürte ihr Aufbegehren nicht, als er den Käfig, den goldenen, baute, er hörte ihr Schreien und Flehen nicht, als er sie hineinschob und er sah die Tränen nicht, als er den Schlüssel im Schloss herumdrehte. Schweigend setze er sich vor seinen Käfig, in dem er ein Schneemädchen gefangen hatte, glaubte an sein Glück, beobachtete und wartete... wartete... wartete...


Als sie an der Lichtung angekommen war, ignorierte sie den Brunnen in dem die alten Leichen ruhten und mit hässlich amüsierten Stimmen aus halbverwesten Kehlen diese Geschichte nur zu gerne weiterspinnen wollten. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah in das Firmament der Nacht über dem Walde hinauf. Sie badete im Mondlicht und ließ zu, dass es ihre Hände, die berührt hatten, erleuchtete. Sie lauschte in die Stille und hörte Worte, die selbst die grausigsten Erinnerungen für einen Moment zum Schweigen brachten. Sie gedieh im Verborgenen, weil dort der Pechbub wohnte... und in ihren kohlefarbenen Augen spiegelte sich das ewige Licht der Sterne.
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 19 Apr 2020 20:10    Titel:
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Wir Menschen sind Wesen des Tages, der uns mit all seiner Kraft, dem wärmenden Brennen der Sonne und voller Macht Leben einhaucht. Gierig saugen die Sinne genau diese wohligen Wogen auf und wirbeln munter im anhaltenden Rausch. Es ist der Sonnenkuss, der den Funken tief im Inneren weckt und ihn mit stetigem Puls durch die Adern fluten lässt. Wir leben im Angesicht des Tages und ruhen besänftigt im süßen Arm der Nacht... für gewöhnlich.
Während die jubilierende, laute Lebensfreude im Sonnenlicht jauchzt, so erwachen andere Aspekte des Nachts. Leiser sind sie, doch so schrecklich tief - stille Wasser in versteckten Fluren des Wesens. Manche davon kann man leicht benennen: Melancholie, Feingeist, Sehnsucht, Tiefsinn und manch Andere tragen keinen Namen und schwingen ungreifbar in der Mystik der weichen Dunkelheit mit. Jene bringen unsterbliche, uralte Lichter tief in der Seele zum leuchten, lassen sie nach einem passenden Gegenstück suchen.
Funkenschlag der Nacht, gespiegelt am Firmament, dessen Sterne die wahren Aschefunkenglut brennen lassen. Verbrennen lassen...


„Du weißt, dass ich da bin, bereits bevor es geschieht, nicht wahr?“
„Ja, ich höre es nicht aber ich spüre die Präsenz...“
„Präsenz?“ - Ironie? Amüsement? Mahnung? So schwer zu deuten.
„In Ermangelung eines passenden Wortes...“
„Soso. Nun, dann sei dir das gestattet. Du weißt auch, was mich geweckt hat?“
„Der Funkenschlag?“
„Ja und nein, eher die Gedanken übers Verbrennen.“ Stille, was soll man auch dazu sagen? „Möchtest du es denn? Brennen? Dich verbrennen? Ich nutze deine Worte, wenn ich anmerke, dass das neu ist. Es widerspricht deinem Wesen, widerspricht den Regeln, die du für dich aufgestellt und den Grenzen die du gezogen, den Mauern die du aufgebaut hast. Aber dann wiederum hat dein Bursche mit den Pechhaaren jene doch längst überwunden, nicht wahr? Ich fürchte es wird ein Gespräch über die Unschuld, hm?“
„Nein.“ Zu schnell die Antwort aber sie kam entschieden, deutlich, mit Nachdruck. „Das ist nicht geschehen, das ist ferner als die Sternschnuppen am Himmel...“
„Das? Hmmmnnm, was lässt dich dann brennen und Eis schmelzen, Morra Thuati? Du brauchst nicht darüber zu sprechen, es langt, wenn du es mir zeigst.“
Ja, das war möglich. Irgendwo in all den Zeichnungen und Schattengeweben fanden sich die richtigen Bilder, um das zu offenbaren, was sie ein ganz klein wenig versengt hatte:

Weißt du, dass wir die Rollen in dieser Nacht mehrfach getauscht haben?
Natürlich, du warst dabei aber es ist jener Wechsel, der ein leises Auflachen irgendwo unter dem Brustbein weckt und damit es nicht hinaus dringt und den Moment zerbricht, halte ich es darin verborgen und spüre stattdessen, wie es sich warm ausbreitet und im Brustkorb prickelt. Wer hat die Scheu in den Sinnen gefangen? Wessen Hände zittern zuerst? Wer wagt sich einen Schritt nach vorne und wer weicht ein klein wenig zurück? Keine klare Antwort möglich, nicht wahr? Diese Rollen werden ständig neu ausgewürfelt und verteilt, mal sitze ich auf deinem Platz und dann du auf meinem. Das ist gut so, finde ich. Es ist wie das Auf und Ab einer unsichtbaren, großen Waage, welche den Ausgleich sucht und so lange schwingt, bis sich das rechte Maß eingependelt hat.

Weißt du, dass ich genau das gemeint habe, als wir in der Mühle darüber sprachen?
Es war, als die Schatten herabsanken und sich schleichend näherten. Hast du ihr leises Rascheln gehört, die Bewegungen in den Ecken und Nischen der Schwärze? Aus jenen kamen sie gekrochen und die aufkeimende Angst würgte die Kehle langsam aber sicher - eine schwere Hand, die langsam zudrückte, bis...

„Du verlierst dich, dreh dich um, der Pfad ist woanders. Hierher, nicht tiefer in den Wald hinein, Morra. Nicht heute und jetzt, du wolltest mir etwas zeigen und hier auf der Lichtung scheinen die Sterne mit dem Mondlicht um die Wette.“

… das Mondlicht, ja. Es brach sich silbrig in fahlen Strahlen durch die kleinen Fenster und illuminierte dich. Da wurde aus einem diffusen Gefühl ein Wunsch, den ich nicht wirklich aussprechen konnte. Eine Andeutung nur und zuletzt hast du ihn auch nur im Ansatz begriffen, nicht den tieferen Klang darin. Wunsch nach Berührung ja, doch nicht die Hände waren es, die meine Finger in genau diesem Moment fassen wollten, sondern dein Antlitz, deinen Blick, dich.

Weißt du, dass die Empfindsamkeit in den Fingerspitzen so viel weiter, größer und endloser scheint, als es die Haut einem sonst glauben lassen mag?

„Weißt du, dass das nicht nur im Bezug auf die Fingerspitzen gilt? Nein, weißt du nicht und das ist gut so für den Moment.“

Weißt du, dass es deine Berührung war, die mich an den Rand des Nebelfeldes gebracht haben? Ich habe es selbst gewirkt, vieles darin unter dieser rauchschwadenartigen Schlierendecke versteckt und gehofft, dass es entweder in Vergessenheit gerät oder aber sich verändert, wie eine Raupe im Schutze des Kokons. Meinst du, dass sich etwas Wunderschönes daraus entfalten kann oder wird es mich einsaugen und im Morast der Vergangenheit ersticken. Angst, ja – aber nicht vor dir, nicht vor der Hand an meiner Wange, dem Griff nach meinem Haar.
Funkenschlag, das Feuer sprang über und versengte die ersten Spinnenfäden des Nebelfeldes und ich spürte wie etwas zu schmelzen begann... aber es tat nicht weh.

„Eine Berührung also...“
„Ja, nicht mehr.“
„Und nicht weniger.“ Neue Stille, denn auch hier gab es nichts, was einer Antwort bedurfte. „Hmmmnnn, ich danke dir für die Bilder. Es ist nicht an mir sie zu bewerten und einen Richtspruch zu äußern, das obliegt dir selbst. Doch... Morra?“
„Ja?“
„Irgendwann wirst du begreifen, dass es letztendlich doch ein Gespräch über die Unschuld war. Für den Augenblick aber lass den Blick ruhig im Sternenmeer versinken. Funkenschlag, sagtest du, nicht wahr? Würdest du diesen einen, besonderen Funken selbst in einem solchen gewaltigen Band der Unendlichkeit erkennen?“
„Immer...“

Weißt du, dass ich nun sicher weiß, dass ich dich liebe?



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 Beitrag Verfasst am: 27 Apr 2020 01:40    Titel:
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Eine Geschichte von dunklen Wassern

Komm, setz dich ruhig, ich beiße nicht. Zumindest nicht heute und wenn, dann wäre es schon um dich geschehen, mein Freund. Ah, das hast du nicht erwartet, hm? Du bist an das Feuerlein geschlichen, weil es so warm und herzlich gewirkt hat. Das leise Knacken der Äste, die darin verglühen und springen – wieder einmal reden wir zuletzt über Funken, die sich kräftig und tapfer zum Sternenebenbild aufmachen, um dann als Ascheflocken, geschlagen und besiegt, wieder zu Boden zu segeln. Das Licht haben sie verloren und ebenso den trotzigen Mut, der sie erst dazu angespornt hat, aufzusteigen und den Sternen entgegen zu knistern. Manches... Vieles brennt so herzerwärmend, den Umständen trotzend und nur Weniges schafft es dann doch, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, erreicht den fernen Glanz eines besonderen Sterns.
Ja, dafür bist du hergekommen, nicht wahr? Für Geschichten, denn es gibt so viel mehr zu erzählen, richtig? Sicher, gibt es und daher werde ich weder beißen, noch beenden, sondern etwas beginnen. Den Funken einer Geschichte in deinem Kopf und deinem Herzen zünden, der möglichst lange brennen soll, dich erinnern möge, dass immer irgendwo eine Geschichte entsteht und diese, je nachdem wer sie betrachtet, von einer Komödie zur Tragödie oder von einer Romanze zu einer Moritat schwanken kann. Heute bin ich der Erzähler und damit ist es meine Färbung die das Ganze in dunkle Töne taucht: ein bisschen Anthrazit, gemischt mit wenigen Schlieren Schwarz, hier und dort ein Schwall Nachtblau und irgendwo darin ein einzelner Klecks Weiß.
Was? Das erinnert dich nicht unbedingt an flirrende Flämmchen und an ein Funkenmeer?
Nun, Funken vielleicht nicht – Meer aber war schon gar nicht so falsch...


***


„Helinna...“
Sie wusste, dass das Flüstern für niemanden außer für sie hörbar war. Zum einen war einfach niemand außer ihr am Zwielichtstrand, der in Grau gebettet von den dunklen Wellen liebkost wurde und dann wiederum gehörte es ihr auch alleine. Einfühlsam, zärtlich und lockend, erinnerte es sie an den Grund, weshalb sie hier barfuß stand und zwar die kalten Wellen an den Zehen längst nicht mehr spürte, wohl aber die seltsame Wärme in der Brust.
„Helinna...“
Hinter ihr lang ein Weg, der vergleichsweise kurz und bis zu einem bestimmten Punkt sicherlich auch simpel, ja öde war. Doch irgendwo an einer der Gabelungen hatte sie diesen langweiligen Pfad für einen Besonderen eingetauscht und zu spät bemerkt, dass er nicht nur schmerzhaft steinig, sondern vor allem kalt und dunkel geworden war. So dunkel wie seine, nein, ihre Augen.
„Kleines Leben, mir gegeben und doch ist es dein Haar, das mich lässt erröten und dein Blick, der vermag mein Licht zu töten.“ Sie musste es geflüstert haben, denn die Lippen hatten sich doch bewegt und der Reim klang noch eine Weile im Kopf nach, wie eines dieser Kinderlieder, die man nicht mehr loswerden konnte, wie sehr man auch ganz Anderes dagegen ansang.
„Helinna...“
Ein weiterer Schritt nur, noch einer und die Kleider wurden so schwer, sogen sich mit Wasser voll, drückten sie tiefer in den Sand, der unter ihren Fußspitzen im Salzwasser zu stauben begann. Grauer Strand, graues Meer und eine graue Frau. Einzig das Haar, das sich bei Kontakt mit der Urgewalt wie ein Fächer oder diese wunderbaren, feinen Seegräser weich schwebend entfaltete, strahlte noch immer wie das Licht der fernen Sonne selbst. Irgendwo da hinter ihr, da lag der Pfad auf welchem sie sich verloren hatte. Alleine, verlassen und verirrt. Alles sehnte sich nach einer rettenden Hand, nach Ruhe und Erlösung.
„Helinna...“
Sie verstand und nickte lächelnd, dann streckte sie die Arme aus und griff zu...

***


Schreie, hohe und schrille Mädchenschreie. Ein panisches Bündel, welches wild ziellos um sich schlug und trat und doch die ungleich größere Gestalt, deren Arme es, wie in einem Schraubstock geklemmt hielten, nicht einmal annähernd tangierte. Sorge und Nachsicht auf den Zügen des größeren Menschen, Hysterie und Angst auf denen des Kleineren.
„Atmen, tief durchatmen und dann werden wir gemeinsam in das Wasser gehen und ich werde dich halten und...“
„NEIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIN!“
„... bei dir sein, um...“
„NEIIII-HEIIIIIIIIIN!“
„... dir eine Stütze zu sein, meinen Arm bei dir...“
„NEIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIN... LASS LOOOOOOS!“
Die Engelsgeduld ist ein schönes Konzept, doch selten ist sie von Dauer und so erfolgte auch hier ein Bruch in der Tonlage, die Sorge wich der Verzweiflung und die Nachsicht der Wut. Der Schraubstock aber blieb und schüttelte das kleine Bündel wie eine Lumpenpuppe.
„Verdammt, Morra, du wirst schwimmen lernen. Das schwöre ich dir und wenn ich dich nun unter den Arm klemme und mit dir durchs Wasser gehe, du wirst es lernen!“
Das Bündel jappste erschrocken auf, nachdem die Schüttelpartie die Kiefer aufeinander gedonnert und ein Schneidezahn die Lippe dabei durchbohrt hatte. Eigenartig, der Geschmack des eigenen Blutes, etwas süßlich und doch mit diesem unverkennbar metallischen Nachklang, als habe man an einer Eisenmünze gelutscht. Während die kleine Gestalt stiller und ruhiger wurde, sprang der Funke Panik auf den ungleich größeren Gegenpart über und entsetzt zog er sie näher an sich.
„Herrjeh, du blutest ja! Mein armer kleiner Scha...“ die Luft blieb weg, als der schmale, bleiche Fuß nun so gut platziert den Magen traf und ächzend gab der Schraubstock das Mädchen frei. Er rang nach Luft und sah zu, wie rabenschwarzes Haar, vor seinem Gesicht, im Wind der eigenen Bewegung, einem Schleier gleich aufflatterte und dann dem zu späten Griff entschwand. Sie hingegen sah das Wasser am Felsen unter ihr und sprang.
Für wenige Momente nur war sie frei, fallend, dann schwerelos.
Sank tiefer und sah dem Lichtpunkt in der Ferne selig nach, ehe sich dieser verdunkelte und die Hände wieder nach ihr haschten.

***


„Hmn, deine Steingeschichte mit dem Meer war nicht falsch, nur am falschen Ort. Kein Meer, nein. Ein See, ein düsterer und stiller See und es war sicher nur ein Kieselchen. Ich könnte dich viel eher fragen, warum du den geworfen hast...“
„Wie könnte ich anders?“
„Wellen...“
„Aber ich glaube nicht, dass der kleine Kieselstein schon nahe dem Grund ist. Vielmehr wiegt er hin und her... viele Augen, die ihn beobachten.“
„Und die Wellen haben das Ufer noch nicht erreicht, ja.“
"Und so segelt er nach unten, in die Schwärze des Sees, mhm. Aber er musste geworfen werden, dafür sind Kieselsteine und Seen doch da. Ich bereue den Wurf nicht.“

Bei Seen geht es, umso stiller und dunkler sie vor einem liegen, umso besser weiß der Kiesel sich zu bewegen. Glatt geküsster Fels, viele viele Jahre einst in ähnlich schwarzen Wassern eingebettet, schlafend – nun ist es an dir zum neuen Sprung in die Tiefen anzusetzen und vermutlich wirst du auf deiner Reise staunen, erschrecken und vielleicht sehnst du dich nach der Zeit im Licht der Sonne, doch eine schmale, lilienweiße Mädchenhand hat dich am Ufer gefunden und springen lassen. Tänzelndes hüpfen über die Wasseroberfläche.
„Ditsch... ditsch... ditsch... ditsch... ditsch... ditsch... ditsch...plopp.“
Bei Seen geht es – nicht im wellenreichen Meer, das lediglich verschlingt.

***


Da liegt er, der schwärzeste aller Seen, den die Fische nicht bewohnen und die Kiesel meiden. Still und lauernd ruht er unter einer einer Decke aus bläulichem Eis, verziert mit einer feinen Puderschicht Schnee, wie ein uraltes, mächtiges Tier, das so viel Zeit hat und warten kann, bis Unvorsichtige sich auf die köstlich knackende Oberfläche wagen. Auf dem blauweißen Spiegel aber steht ein Mädchen, so blass wie der Firn selbst und zögert ob der eigenen Schritte.
Hüpfen, hat ihr die Natur gesagt und vergnügt lachend hat sie die Hopser gewagt. Unsichtbaren Kinderhüpfspielen nach, tappedihepp, während das Eis leise krachte und Risse sich haarfein durch die Schneekristalle gruben. Verästelungen, die das bloße Auge nicht sehen kann, doch wer lauscht, der hört sie, wie sie sich wispernd ausbreiten.
Balancierend, hat er ihr gesagt und vorzeigend die ersten behutsamen Schritte abwägend getan. Langsam nur, doch stetig auf einander zu, tappdatapp, und dem warnenden Eisflüstern lauschend. Wenn es doch knackte, dann war es nur ein kurzer Schrecken, ehe ein Lächeln sich in graublauen Augen, die Eis und Wind vereinen können, spiegelte.
Tanzen, hat sie sich gesagt und hat die Arme ausgebreitet, als das Lied der Freude ihr Herz erreichte und leichtfüßig, doch unvorsichtig, tippeditipptipp, begann sie sich zu drehen, bemerkte die neuen Risse nicht, sah seinen Schrecken nicht und fühlte nicht, dass irgendetwas sie weiter aufs Eis hinaus trug – Distanz. Die warnenden Rufe ereilten sie zu spät und als sie im Tanz innehielt, stand sie in der Mitte des Sees, in einem Meer aus Rissen und spürte Salzwasser auf den Wangen.

Da liegt er, der schwärzeste aller Seen und dunkle Wogen drücken sich suchend an die kristalline Schicht aus Eis, denn auf dieser steht ein Mädchen, so blass wie der Firn, das sich den Schatten im See zu lange entzogen hat. Sie zögert ob der eigenen Schritte...

Bis es ein letztes Mal kracht - und dann?
Dann ist es an ihr zu sinken, kein Schweben nun, kein sanftes Hinabgleiten.
Versinken, von all den Dingen herabgezogen, die gewartet haben.
Denn es ist ihr See und sie muss eines Tages darin ertrinken.



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Zuletzt bearbeitet von Morra Thuati am 27 Apr 2020 01:57, insgesamt 2-mal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 05 Mai 2020 18:46    Titel:
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Kohleglut und Schneefeuer

Es gibt zwei Arten des heißkalten Gefühls, das auch schon binnen eines Lidschlagbruchteils so kreischend in der Brust auflodern und, einer Stichflamme gleich, durch den Körper rauscht. Die erste Version davon nagt gierig Kraft, lässt eine Schwäche in den Knien und dezent gerötete Wangen zurück, bewegt einen dazu, den Blick verlegen abzuwenden, während das Pochen des Herzens einen schnelleren Rhythmus findet und sich bis zum Hals bemerkbar macht. So zart und süß, doch beständig zugleich ist diese Art graublauen Eisaugen vorbehalten, die dann und wann des Windes frische, sanfte Brise beschwören können, wenn sie auf Kohleglut treffen.

Was wollt Ihr schon wieder? Wir hatten das geklärt!
Ach so? Haben wir das?

Die andere Variante aber vereist für einen kurzen Augenblick die Brust von innen, macht das Atmen vor Schrecken schwer, nur um dann mit der Realisation dieser Situation hitzig zu explodieren. Völlig anders herum, als die zuvor erwähnte Heißkälte, frisst sich das Schneefeuer durch die Adern und es bleibt nichts als eisige Wut zurück. Die seltene, mächtige Art Zorn, die zwar frostige Worte auf die Lippen legt und die Mimik beinahe leer oder gar beherrscht eingefrieren lässt, doch als Zittern in der Stimme mitschwingt und die Seelenspiegel lodern lässt. So gewaltig und feurig, doch rapide umschwenkend zugleich ist diese Art graublauen Rauchaugen vorbehalten, die dann und wann des Eises distanzierte, reservierte Bitterkeit beschwören können, wenn sie auf Kohleglut treffen.


In welchem Bezug steht ihr zueinander? Warum sagt er, dass er dich verteidigt hat? Vor wem?
Das sind viele Fragen auf einmal, Nebelfehnrich, hmn? Ich weiß nicht einmal, wie ich alle auf einmal beantworten soll aber bin mir sicher, dass sie Euch nichts angehen.

Grässlich, wenn sich beide vermischen. Eines aus Sorge geboren, die in kurzer Panik die Kehle umgreift und die Laute im Keim erstickt. Das Andere wiederum steht nur wenige Schritt vom dunklen Bruder Hass entfernt und pumpt ungeahnte Kraft in die Muskeln, zwingt sie sich anzuspannen, schreit nach einer Entladung. Schlag zu, tritt um dich, Blut muss fließen!
Erwartet wird aber Räson, Vernunft und Verständnis, die sich alle drei schneller aus dem Staub gemacht haben, als entdeckte Lausebengel kurz vor dem großen Donnerwetter. Schlag zu, tritt um dich, Blut muss fließen! In der Hoffnung die Explosion zu verhindern oder die Drei wieder auf der Bildfläche erscheinen zu lassen, wird dann geblinzelt. Einige Male rasch hintereinander, sich der Bewegung bewusst werden, abzukühlen, doch erfolglos. Schlag zu, tritt um dich, Blut muss fließen!
Das Eiswasser, welches Schneefeuer und Kohleglut gleichermaßen grauenvoll unvorbereitet abduschte, kam aber von den Lippen des Gegenübers, der sich dessen nicht einmal bewusst war.


Und das, kleine Morra, ist ein Spitzname, den du nicht zuerst erfunden hast.

Sie fror und der Tritt, der folgen musste, verfehlte das zuvor angepeilte Ziel, traf ein Schienbein und selbst dies wurde nur benommen registriert, da das Verlangen davonzulaufen die Oberhand gewann. Fluchtinstinkte... wie eine dämliche Gans, ein verblödetes Häschen, eine schwächliche Maus.

ELENDIGLICHER KATER!

Es brauchte einige Stunden und die kühlen Gewölbe der Grabkammer, um in einem aberwitzigen Waagschalenspiel das Schneefeuer im Austausch gegen die geistige Schärfe neu auflodern zu lassen. Die Nähe des Pechbuben hatten die Gedankennebel vertrieben und behutsam den Schleier von der Realität gezogen, um ihre Sicht klarer und wacher zu gestalten, als je zuvor.
Die grauen Schlieren forderten unbeirrt und unermüdlich ein, was ihnen zu lange verwehrt geblieben war...



Sie quollen aus den Fugen und Ritzen des Gesteins, drängten sich blubbernd und zischelnd aneinander, verschmolzen zu einer grauschwarzen Ursuppe, die weder klare Gesichtszüge noch einen beständigen Körper nachzeichnen konnte. Alles was in ihrer Macht lag, war die Fähigkeit aufzunehmen und zu spiegeln. Dafür aber war es ihr durchaus möglich in die Vergangenheit zu greifen, darin herumzuwühlen, wie in einer Kiste volle Reminiszenzen und scheinbar wahllos Erinnerungen in der dunklen Brühe zu verwursten.
Suchend reckte es sich dem bleichen Gespenst entgegen, welches wie ein eingesperrtes Raubtier im Raum auf- und abging. Hin zur Türe, am Tisch vorbei bis zum Bücherregal mit der Schädelkerze, Kehrtwende auf dem Absatz und zurück! Die Katze hatte die Krallen ausgefahren und wollte sich nicht mit den Dingern im Nebel beschäftigen, versuchte deren Anwesenheit zu negieren.
~ Ein Mädchen spiegelte sich glitzernd in der brodelnden Oberfläche. Das Ebenbild des Gespenstleins, doch die Haare rabenschwarz und ein kränklicher Gelbstich schimmerte auf der blassen Haut... damals. Sie starrten einander kurz an, dann fiel das Mädchen im Blubberspiegel zu Boden, krümmte sich, die Hände pressten sich an die Ohren und obwohl der Schrei auf den Lippen lautlos schrillte, kannte sie ihn, war er doch einst ihrer eigenen Kehle entsprungen.~
„Sehr feinsinnig, wirklich. Also haben wir beide elaboriert, dass sie mich hier eingesperrt hatten. Drei Tage lang, ja. Angst? Tatsächlich aber ihr realisiert nicht, dass das Ganze ein paar Jahre... Jahrzehnte?- nein, Jahre her ist. Zeit, Zeit, lasst mich in Frieden, ich muss denken. Was hat der Dreckskerl gemacht und wie?“
Diesmal reagierte die Suppe rascher, schnitt ihr den Weg zur Türe hin ab und jetzt waren es andere Gesichter, die sich in der schlickartigen Flüssigkeit zeigten.
~ So schön und ebenmäßig, das fast aristokratische Männerantlitz. Glattrasiert, die Wimpern gülden und die goldgesponnenen Wellen, welche die anmutigen Züge umflossen, sauber im Nacken zusammengefasst. Sie wusste, dass es eine tiefblaue Samtschleife war, die sie hielt. Muster und Angewohnheiten hatte er nur schlecht abgelegt – ihr Pech. Als er den Blick hob und ihr die kühlen, blauen Augen entgegensahen, wich sie unweigerlich zurück. Das entstehende Lächeln auf den sinnlichen Lippen aber entstellte das Bild, verzerrte ihn zur grässlichen Fratze.~
Sie hörte sich nun laut aufächzen und die Stimme klang zu hoch, zu schrill, um die Emotionen zu vertuschen.
„Er ist nicht hier! Er ist weit weit weg! Ich bin hier Zuhause, ich bin frei wie es eine verdammte Nebelkrähe sein sollte, hörst du! Er hat nichts damit zu tu...n.“
Die Erkenntnis sickerte auf ekelerregende Art und Weise, wie Dreck und Gestank aus einer eiternden Wunde und ähnlich widerlich schlug sie ein, sorgte für einen Schwall Übelkeit, die sie bitter schlucken ließ. Sie musste den Blick abwenden, doch der Sinn des Bildes blieb ihr nicht länger verschleiert und langsam wich sie zurück, bis die Fersen dumpf gegen das Buchregal stießen.
„In die Enge gedrängt, ja? Oh, das hat er auch, natürlich. Den Weg versperrt und diese verdammte Nähe – unerwünscht! Doch er ist nicht mit ihm zu vergleichen, oder? Ich meine, er hat die Grenze überschritten, sicher aber ist nicht noch näher gekommen... äääch, Nähe und blondes Haar. Anderes Blond! Anderer Ton! Konzentriere dich, Morra!“
Sie schüttelte den Kopf derart heftig, dass das schneeweiße Haar nur so flog und ihr danach wirr im Gesicht klebte. Ein dummer, kurzer Fehler, denn die Nebeldinge hatten gewartet und das matschige Teerwesen streckte sich mit einem Satz, verzog sich wie tropfendes, grauschwarzes Baumharz. Die fädenartigen Gliedmaßen drückten sich links und rechts neben das Regal an die Wand, fanden schlabbernd den Kontakt zum kalten Gestein der Grabkammer und formten so den fast menschlichen Käfig, dem sie erst vor wenigen Stunden entkommen war. Es brodelte ein letztes Mal ,mit einem schmatzenden Geräusch, in der Ursuppe auf und eine Blase formte sich unmittelbar vor dem nun kalkweißen Antlitz. Das was sich darin spiegelte aber ließ die Kohlenglut erkalten, die Augen weiteten sich schlagartig.
~Dein Grauen, kleine Morra. Dein Grauen, erinnerst du dich? Schau her, das hier zeigte dir der weiße Rabenvogel, schenkte dir Schneehaar, löste das Teer darin. Hast du es wirklich so schnell vergessen? Wann hast du zuletzt ein Opfer gebracht, kleine Morra? Du weißt doch, was passiert, wenn du deinen Aufgaben nicht nachkommst. Du hast es gesehen – na komm, erinnere dich...~

Die nächsten Augenblicke brannten sich durch den Kopf und ließen doch nur Asche und Rauch zurück. Als sie wieder zu sich kam, hörte sie eine Stimme. So weich und kindlich jung, hell wie das Glöckchen an der roten Kapuze, ruhig sang sie in einem Auszählreim:
„Gab Fälle die waren schlimmer, sprach das Mädchen im goldenen Zimmer. Wo sind sie nur hin, ich finde sie nimmer? Im Rachen Vaters auf ewig und immer!“
Mit Entsetzen stellte sie fest, dass es die eigene Kehle war, die den Singsang angestimmt hatte und doch vollendete sie tapfer das bereits angedeutete Urteil.
„Wenn er denn möchte, dann kann er einen Platz in ihrer Runde einnehmen.“

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 Beitrag Verfasst am: 10 Mai 2020 19:41    Titel:
Antworten mit Zitat

Mondlicht, wieder einmal, das sie über die Schwelle begleitete und auch dort, wo die dunklen Wälder standen und viele Augen aus ihrem Schatten heraus heimlich beobachteten, schien es. Ein tröstlicher, silberner Pfad. Sanft und kühl genug für ein Schneemädchen, welches die Hitze der Sonne fürchtete und die Angst, sich in der unbekannten Glut zu verbrennen, kannte. Silbrig schien auch das Lächeln auf den blassen Zügen, als sie sich auf dem Pfade wieder einmal bewusst war, wie spiegelverkehrt und doch so ähnlich die dunklen Schatten waren, die sie beide verfolgten. Der Pechbube brauchte das wärmende Feuer, welches man ihm entzogen hatte, um den Klotz aus Eis, in dem er so bitterlich fror, zum schmelzen zu bringen. Das Schneemädchen hingegen sehnte sich nach der weichen, kühlen Berührung des Windes, der die gierig haschenden Flammen verscheuchte.
Bei der Brunnenlichtung aber blieb sie stehen, kauerte sich an den Rand der unseligen Zisterne, um stumm hinab zu starren und zu lauschen. Manche Märchen enden nie, nicht wahr....


Das Schneemädchen II


Vom Warten...
Langsam schleicht sie voran, die Zeit, jene eigensinnige Dame, die so schnell flieht, wenn man ihrer nicht ganz gewahr wird. Doch wenn man wartet, sie nahe bei sich weiß und ihr all die Aufmerksamkeit schenkt, die sie haben will, dann bewegt sie sich im Schneckentempo. So waren sie beide den Launen der Zeit ausgesetzt, der güldene Mann auf der einen Seite des Käfigs und das Schneemädchen auf der anderen. Er wollte sie wieder im Tanze beobachten, wollte ihr Silberglöckchenlachen hören, doch selbst als die Tränen auf dem Antlitz versiegt waren, bliebst sie still und stumm, schien seine Warterei zu imitieren. So harrten sie beide aus und folgten den Bewegungen der Dame Zeit. Er hoffte darauf zu entdecken, was ihm verloren gegangen war. Sie hoffte das zu gewinnen, was man ihr genommen hatte. Liebe und Freiheit, in Käfigen nicht miteinander kombinierbar.

Von Zuneigung...
Und doch erhaschte der einsame Mann in seinem goldenen Haus im Laufe der kommenden Jahre mehr und mehr kurze Blicke hinter den Vorhang aus Schnee und Kälte, erkannte trotz rabenschwarzem Nachthaar die feinen Wellen seiner entschwundenen Liebe darin. In den Kohleaugen des Schneemädchens glomm ein ungebrochenes Feuer und doch waren sie so groß und scheu, wie jene, deren Blick er einst im Wald eingefangen hatte. Die Züge waren ungleich blasser und die kleine Ewigkeit im goldenen Käfig hatten sie mit trüber Krankheit gezeichnet, doch folgten sie einem Ebenbildmuster, als habe der Maler die letzte Kopie eines vergangenen Portraits gefertigt. Die Farben mochten nicht stimmen, die Konturen aber waren richtig. Da spürte er sie wieder, diese weiche Wärme in seinem goldenen, kalten Herzen und er begann sie mit Gesten der Zuneigung zu überschütten. Prächtige Gewänder, der Garderobe einer jungen Prinzessin gleich, Geschmeide und Perlengestecke, ein Meer an Blumen und gar lebendigem Hausgetier. Doch nichts vermochte sie zu fesseln, nichts weckte die Sympathien, nichts fing das Schneemädchen weiter für ihn ein. Verzweifelt begann er einen Plan zu weben, der aus den Schatten heraus geboren wurde und in der Dunkelheit hätte vergessen werden sollen.

Vom Hass...
Wunden werden nicht immer sichtbar gerissen. Manche davon entstehen weit unter der Haut, weit hinter Knochen und Sehnen. Kein Auge wird sie je entdecken, doch das Herz vermag sie zu fühlen, zu benennen und zu verstehen. Nur ein solch mitfühlendes Herz einer verwandten Seele kann derartige Wunden nach und nach heilen und die schmerzenden Narben beruhigen. Wenn aber eine unsichtbare Seelenwunde nicht weiter behandelt wird, so beginnt sie sich zu entzünden und in schlimmen Fällen eitert sie ekelerregend, bringt neuen Schlick und Morast hervor, der aus den Tiefen der Seele tropft, sich im Körper und vor allem dem Geist verteilt und zu grässlichen Taten anspornt. Im goldenen Hause wucherten in die Wunden, die der Verlust des Blumenkindes mit sich gebracht hatte und eine davon trug den Namen Hass. Dieser schwärende, dumpfe Wundbrand fraß sich in den Kopf der einzigen Bediensteten und mit ihm kam die Furcht vor dunklem Schneemädchenhaar und Kohleaugen, in denen ein ewiges Feuer glomm.

Vom Grauen...
Es ist wahr, dass wir alle der Ängste zuhauf kennen und manche davon können wir durchaus aufzählen, während andere tief in uns verborgen bleiben, um uns vielleicht eines Tages vollkommen unvorbereitet zu überfallen. Unzählige Ängste, Furchtsplitter, Panikmomente – doch nur ein einziges, persönliches Grauen, das einen schwarzen Fingerabdruck auf der Seele hinterlässt und einen immer und immer wieder heimsucht.
Da sich das Schneemädchen ihm auch nach beinahe zwei Dekaden weiterhin entzog und er seinen dunklen Plan in die Realität umzusetzen gedachte, da schuf der goldene Mann, ohne dies je zu erahnen oder zu erfahren, ihr ganz persönliches Grauen und es sollte ihr folgen, auf leise Füßen, Schritt und Tritt, bis ans Ende der Welt.

Als sie sich nun hastig vom Brunnenanblick löste und zittrig nach Luft schnappte, da säuselten die Stimmen der Brunnenleichen leise hallend zu ihr empor, dass die Geschichte noch lange nicht auf der letzten Seite angekommen war und schaudernd wich sie weiter zurück. Sie alle stellten Besitzansprüche, hauchten zärtliche Koseworte, aus denen doch ein klebrig-schwarzes Gift troff. Doch Teer oder Pech, das wusste sie nun sicher, war es nicht. Denn das Pech fühlte sich weich und zart an, roch nach einer fernen Erinnerung an knisternde Lagerfeuer und einer winzigen Brise Spätsommerapfel. Ruhe umhüllte den Körper, trieb das Beben aus den Gliedern und strich dem klopfenden Herzen wärmenden Mut zu. Als sie sich vom Brunnen abwandte und weiter auf die Lichtung wanderte, da umgaben sie die Nebel, die in diesen dunklen Feldern Zuhause waren und doch ließ sie es geschehen, wartete ab, welche Bilder man ihr zeigen würde.



Sie befand sich in einem erdrückend großen Zimmer. Die Wände fern, genug Platz um darin zu tanzen und doch ein Ort, der das Leben erstickte und verneinte. Unter den vergitterten, großen Flügelfenstern ein prächtiges Himmelbett, mit Laken aus Seide und einer Matratze aus edler Lamawolle und Schwanenfedern. Daunenkissen zuhauf und dazu eine schwere Decke aus echtem Samt. Starr und leblos liegt sie da, scheint zu lauern und zu warten. Schränke voller vielschichtiger Kleidchen umkreisen dieses Zentrum, Regale aus poliertem Kirschholz, in welchem sich Briefbögen, Zeichenutensilien und vor allem Bücher ohne Ende stapeln. Licht hätte die hübsche Schattenspiellaterne am Himmel, in Form von tänzelnden Sternen- und Mondbildern, bringen können. Doch man hatte die Kerze im Inneren gelöscht und selbst der echte Silbermond im Freien schien sich hinter einer Decke aus grauen Wolken versteckt zu haben. Langsam schob sie den schwere Samt vom Körper und versuchte sich aufzusetzen.

„Willkommen zurück. Wohin möchtest du fliegen, kleiner Vogel? Hm, hast du gedacht, dass du nun wirklich schon frei bist? So viel hast du vor mir versteckt, geheim gehalten wie einen Schatz. Du musst doch wissen, dass ich mich gut um dich gekümmert hätte, nicht wahr? Das habe ich in all den Jahren getan, ohne auch nur irgendetwas für eine lange, lange Zeit zu verlangen. Kälte hast du mir dafür geschenkt und die Glut behütet... für was? Für ihn? Für einen Jungen, der genauso verloren durch die Welt der Schatten strauchelt, wie du selbst? Ist er das wirklich wert? Ihr werdet euch in den Nebeln verlieren. Angst, so viel süße Angst in der Liebe...“

„Du wagst es wirklich, dieses Gefühl auszusprechen, wo du es nach all den Jahren, die du mir voraus hast, nie auch nur im im Ansatz begreifen konntest? Aber ja, sie löst sich vom Makel der Angst, mit welcher du diesen Begriff verklebt hast. Über Wertigkeiten brauchen wir nicht reden, denn es ist der zarte Hauch des Windes der die verbrannten Stellen so zärtlich kühlt.“

„Wir reden von Berührungen, nicht wahr, kleiner Vogel? Von Haut, die Haut fühlt und du scheinst nicht zu verstehen, was damit in Gang gesetzt wurde und was alles folgen wird. Liebe, ja, der du geflohen bist, dich mir verweigert hast und... was ist das an deinen Lippen? Wie...? Wann...? Erzähle mir nicht, dass er ihn sich genommen hat? Die gleißende Kälte wird kommen, sie wird sich wie Gift durch deinen Körper winden, wird dich einfrieren – er hat dich also tatsächlich geküsst?!“

Nun war es an ihr den Blick zu heben und dem größten aller Schatten entgegen zu lächeln, ehe sie die Lippen einen Spalt öffnete. Genug um ihm die ganze Wahrheit entgegen zu hauchen:
„Ja und weißt du was? Auch ich habe ihn geküsst.“

Da saß sie nun, im Tanzsaal, mitten auf dem Prunkbett und starrte ihre Ängste in die Schwärze des Traumes – bis der aufgehende Morgen sie abholen würde.

Irgendwo auf einer Lichtung im dunklen Wald der Träume lernt man zwischen den Welten und Wegen zu wandeln, überschreitet Grenzen und wenn man nicht aufpasst, dann kommt man zu nah an den Leichenbrunnen oder findet sich schon mitten in den Nebelfeldern. Nur Wenige entkommen hier den Monstren und Ungeheuern darin, denn die Meisten stolpern, wenn die Dinge aus den Nebeln nach Schuhen, Röcken und Knöcheln greifen. Wer sich dann nicht schnell genug aufrappeln kann, sondern um sich tritt und schlägt, der kämpft auf verlorenem Boden und wird irgendwann zum Opfer der eigenen Albträume. Doch was, wenn man sich umsieht und feststellt, dass man diesen verzweifelten Kampf nicht alleine führt? Was, wenn sich zwei Hände im Nebel finden und einander nicht mehr loslassen? Was, wenn man Rücken an Rücken steht? Die Chance zur Flucht ergreift und gemeinsam losrennt... fliegt?
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 18 Mai 2020 16:38    Titel:
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Im Auge des Betrachters

Makellos.
Vollkommen glatt, zart und angenehm kühl die Berührung unter den Fingerspitzen. Trotz alledem eine seltsam weiche und fast tröstliche Empfindung. Milchig weiße Blässe, kurzum vollkommen.
Für einen zärtlichen Moment nur strichen die bleichen Hände über den zerbrechlichen Korpus, dann lernte der Porzellanteller das Fliegen.
Die rotierende Scheibe schnellte wie ein Blitz in der Farbe watteweicher Wolken leise sirrend durch die Luft und beschrieb einen emporsteigenden Bogen, ehe er jäh mit dem dunklen Mauerwerk kollidierte und das hässlich splitternde Krachen seinem kurzen Segeldasein ein Ende bereitete. Die Reste spritzten zu Boden und fanden dort inmitten all der anderen Scherben eine letzte Ruhestätte im weichen, moosigen Gras. Dann herrschte für die Dauer einiger weniger Lidschläge vollkommene Stille, nur unterbrochen von tiefen, mühsam beherrschten Atemzügen, die silberweiße Dampfschleier in die klamme, nebelige Morgenluft zeichneten. Noch während die Wesen des Zwielichts stumm dem verklungenen Echo nachlauschten, griffen die Finger, in ähnlich marmorhaften Hautfarbe, nach dem nächsten der kleinen Tellerchen, um es zu umfassen, wiegen, auszutarieren und zuletzt wieder gen Mauergiganten zu entsenden. Jedoch waren es nicht die schmalen Hände oder feingliedrigen Fingerchen welche die eigentliche Arbeit der bizarren Morgenertüchtigung übernahmen, nein, der Löwen... Pardon, Rabenanteil der Aufgabe kam den schwarzen Augen zuteil, in denen, kohleartig, ein unseliges, dunkles Feuer stetig glühte. Auf den ersten Blick hätte man es fiebrig und heiß benannt, doch brannte es mit der wütenden Kälte des schwelenden Schneefeuers. Gerechter Zorn? Mitnichten! Nichts davon war oder erschien gerecht und so schwer deutbar distanziert die Marionettenmimik auch Emotionsleere vorgaukeln wollte, so tobte es doch, einem kleinen Orkan gleich, im Inneren. Der nächste Teller trat den Freiflug an und zerschellte an nahezu der gleichen Stelle. Ja, sie zielte sehr genau, bedächtig und akkurat auf...


… Augen in den Mauerritzen – sehend, gierend, gaffend, stierend.
Es war eine Frage der Zeit gewesen, bis sie ihre grässlichen Steinlider wieder geöffnet hatten und sie konnte eine ganze Weile mit dem Wissen zu diesem Umstand leben. Dass es nun schrittweise geschehen musste, war beinahe auch irgendwo klar. Noch vor wenigen Stunden hatte sie über Höhenflüge und den berühmten Fall, der nach dem Hochmut kommen musste, philosophiert und doch war sie sich so sicher gewesen, das nichts davon in greifbarer Nähe war. Wie auch, wenn man für einen diffusen Moment, der alle Zeit der Welt und doch nur wenige Sandkörnchen des ewigen Stundenglases angedauert hatte, Vollkommenheit entdecken konnte.
Blaugrau wie der Sturm hätten sie sein sollen, die Augen, deren Blicke sich in das blasse Nebelgespenst bohrten. Blaugrau wie der wilde, ungezähmte Wind an der Küste oder der weiche Hauch auf sommerlichen Kornfeldern und Wiesen. Sie hätte auch das Eis darin erduldet, welches dann und wann den Wind hinter der kalten, starren Schicht versteckte. Um genau zu sein, wäre es sogar erträglich gewesen, wenn es sich gar nicht um dieses Blaugrau gehandelt hätte, sondern vielleicht um jenes, das noch unbefangen, vorwitzig und klug beobachtete und lernen wollte? Leider war auch nichts vom ozeanfarbenen Meeresblau der Freiheit oder dem zarten Grün eines wachen Frühlings zu finden. Für den Augenblick hätte sie sogar mit dem unbehaglichen Rauchblau vorlieb genommen, das in sich ein wenig mit undurchsichtigen Schwaden und der kalten See mischte oder dem strengen Smaragdgrün, das dann und wann trotz der Weisheit darin lebendig und bübisch munter funkeln konnte.
Doch nein, die Augen trugen allesamt eine einzige Farbe: loderndes, helles, orangegoldenes Bernsteinbraun. Stoisch ruhte das Interesse auf ihr und ließ sie keinen Bruchteil einer Sekunde nur aus dem Fokus, ganz wie damals, als die Mauerritzenaugen sie blicklich verschlangen und ihr den ersten Gang in die Stadt so unsagbar schwer machten. Aber im Gegensatz zum unangenehmen Déjà-vu wurde diesmal keine Kuriosität in ihr entdeckt, man interessierte sich nicht für ihre Gestalt, die Kleider und mögliche Fehler in der Körperhaltung. Es lag kein Urteil darin, sondern das lauernde, interessierte Warten eines... bekannten Wesens. Nur welches war es, dass ihr direkt in die Kohlenspiegel und dahinter versuchte zu starren?


KRE-CHINGKLRRING!

Der vorerst letzte Porzellanteller fand sein Ende im rapiden Kontakt mit der Mauer, doch die Augen hatte sie wieder nicht getroffen, nicht einmal geblinzelt wurde ob des Wurfes, machte ihre Anstrengungen vollkommen obsolet. Oh aber sie wusste, dass die Geste nichtig und wahnwitzig sinnbefreit war. So tief war sie diesmal nicht gefallen, um die Nebeldinger und Tagalben nicht mehr von der Realität teilen zu können. Beide waren sie im Augenblick präsent und greifbar, doch der Geist schien weiterhin kühl genug, um für sich Grenzen ziehen zu können und noch waren es ja keine hellblauen Seelenspiegel von der Farbe bläulichem Eis'.
Schaudernd wandte sie sich ab und wollte den Maueraugen die wortwörtlich kalte Schulter zeigen, sich mit Würde und Stolz zurückziehen, als sie aus den Augenwinkeln eine winzige, hampelige Bewegung am Boden bemerkte und das Kohlefunkeln in diese Richtung lenkte.


Klein war es nur und leicht wäre es zu übersehen gewesen, hätte es nicht angefangen sich zu rühren. Ein Kind musste den Körper des Wesens aus weicher Seife geschnitzt haben und jene lag dann doch zu lange in den unbarmherzigen Strahlen der Sommersonne. Verklumpt das ganze Klopstierchen, bis auf die Beine, die aus zwei dürren Stecken bestanden und das Etwas in groteskem Hopsetanz im Kreise trugen. Das Schlimmste aber war die grob geschnitzte Fratze inmitten des Schemenklops', welche grinsend zu ihr aufsah und dabei ein leises Kinderreim-Summen anstimmte.

„Nein... nein.... NEIN!“, hörte sie sich stammeln und doch ging selbst der Aufschrei im boshaften Kichern des Klopses unter, welches sie auch noch verfolgte, als sie zu rennen begann.

***


... rennen, rennen, rennen.
"Wohin des Weges, kleiner Vogel? Merkst du nicht, dass die Flucht das neue Hauptthema deiner Geschichte ist? Weshalb läufst du diesmal davon? Terror schmeckt anders, Panik trägt nicht dieses Gesicht und selbst Zorn glüht in anderen Farben. Also welchen Grund möchtest du benennen? Kannst du ihn überhaupt identifizieren? Tut es sehr weh... mein Püppchen?"

Keine Antwort nötig.
Eine Frage der Zeit, bis sich an diesem Tage auch die zweite Stimme melden würde. Gesetzt aber, man hätte überhaupt antworten wollen, so wäre man nicht drum herum gekommen, dieser zu erwidern, dass sie erneut nicht richtig gedeutet hatte und dieser "verdammte Funken" weiterhin glühte - egal, wie kalt die Nacht war.

***


NACHTWOGE

Laufen, rennen, erklimmen!
Gegen den Wind,
mit langem Schatten.
Gegen den Verstand,
gegen die Angst.

Mit eigenwilligem Stolz,
ungebrochenem Vertrauen.
Glimmend, lodernd
der Funke Hoffnung.

-Absurd?!-

_________________
"I, myself, am strange and unusual."
Beetlejuice...Beetlejuice... Beetlejuice!


Zuletzt bearbeitet von Morra Thuati am 19 Mai 2020 12:37, insgesamt einmal bearbeitet
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