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Die Eigenheiten von Landgängen
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Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Allgemeines Rollenspiel » Die Eigenheiten von Landgängen
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 03 Feb 2011 17:08    Titel: Episode 27 – Brennen und Rennen Teil 2 & 3
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Episode 27 – Brennen und Rennen Teil 2: Schall und Rauch

31. Hartung 254
Auf La Cabeza und in Bajard



Der Vulkan war ein Fluch und ein Segen zugleich! Seit dem vergangenen Ausbruch hatten wir Karren voll Asche auf die Wildkraut- und Tabak-Plantagen im Osten der Insel gekarrt und auf die Felder ausgebracht. Erfahrungsgemäß zeigte solche Behandlung rasche und sprossreiche Wirkung und so war es nicht verwunderlich, dass wir momentan schon die erste Ernte einfahren konnten, kaum, dass das neue Jahr in voller Blüte stand! In den letzten Tagen hatten sich so Zentner und Zentner in den Lagerräumen gestapelt und warteten nur darauf, von eifrigen Händen zum Trocknen in der warmen cabezianischen Sonne ausgelegt zu werden, ehe sie in handlichen, unzenweise abgewogenen Päckchen in den Bäuchen unserer Schmugglerschiffe verschwinden würden. Von dort aus würden sie eine weite Reise an Stützpunkte der Bruderschaft entlang der Küsten dieser Meere machen, bevor sie endlich an Land über Hehler an den Mann, respektive Frau oder Kind, gebracht werden sollten. Neben dem Schmuggel von cabezianischem Rum machte der Krauthandel einen guten Teil unserer Einnahmen aus, nur mit dem Waffenhandel machte die Bruderschaft in manchen Quartalen mehr Gewinn.
Nach einem arbeitsreichen Vormittag auf der Plantage machte ich mich auf den Heimweg und fand ein leeres Krähennest vor. Der kleine Esteban würde wahrscheinlich, wie häufig am frühen Nachmittag, bei Minfay sein, während Jacky die Welt unsicher machte. Bürgersfrauen würden jetzt aufschreien, aye? Ihr könnt schreien, so laut ihr wollt, meine Damen – dem Jungen schadet es nicht, wenn er mal nicht ständig die Eltern um sich hat; und überhaupt – ein Bordell wie jenes von der Madame Minfay… das war nun wirklich kein schädliches Umfeld! Die Madame war nämlich eine sehr umgängliche und warmherzige Frau, nur manchmal etwas stürmisch.
An jenem Tage zum Beispiel, denn da Jacky ohnehin wer weriß wo war, nahm ich mir ein Herz und ging zum Badehaus Minfays, um nach dem Kleinen zu sehen. Meine Gefährtin hatte mir schon Warnungen kundgegeben, Esteban hätte ordentliches Rumoren im Bauch und die so duldsame Minfay wäre an ihren Grenzen. Wie prophezeit, war sie also bei meiner Ankunft sehr stürmisch: Eine deftige Backpfeife begrüßte mich, begleitet von einem unglaublichen Wust an Flüchen, dass ich sie nicht vermag, hier wiederzugeben. Ein Teppich hatte offenbar schwer unter den Verdauungsproblemen unseres Jungen gelitten – Jacky hatte leider Recht behalten – und so sah ich mich unter den Augen der strengen Madame genötigt, diesen Lapsus zu beheben. Wer ein echter Seemann war, der verzagte bei einem Teppich nicht mit dem Schrubben, wenn er schon ein Leben lang mit Schiffsdecks fertig geworden ist! Eine Ablehnung wäre mir auch nicht möglich gewesen, der ich mitten in der Höhle der Löwin war, die jederzeit dutzende nicht weniger gefährliche Wildkatzen herbeirufen konnte! Lebensmüde war ich nicht, also schluckte ich den Unmut und das Brnenen auf meiner Wange hinunter und machte mich schnell ans Werk.
Gut eine Stunde später – verdammt, konnte der kleine Esteban viel… - war ich endlich wieder draußen, hatte meinen Sohn ein wenig zum Angeln mitgenommen und erneut bei Minfay abgeliefert, die schon wieder ganz die alte, warmherzige Frau war. Bis heute Abend, so sagte ich ihr zu, dann würden Jack und ich ihn abholen.
Den restlichen Nachmittag wollte ich nämlich noch nach Bajard fahren, denn Gracia hatte mich wissen lassen, dass sie etwas vorhabe. Nach einer kurzen Zecherei mit Jacky und Vasco, die ich im Fischerdorf traf, ging es weiter, um noch eine kleine Lieferung an einen Hehler zu übergeben.
Zu unserem Coup kam es jedoch nicht, denn als ich meinen kleinen Kutter wieder sicher vertäut und an Land gegangen war, empfing mich nicht nur der Maat. Neben ihr standen mein Landsmann Vasco und die völlig in Morast eingedeckte Jacky. Letzteres, den Umstand mit dem Morast, nahm ich zuerst gar nicht wahr, indem ich alle Anwesenden grüßte und kurz mit Gracia sprach. Erst, als mir Jacky ihre völlig genesene Hand zeigte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Mensch, die war beim Sumpf! Und.. voller Morast, von oben bis unten, was zum..?!
Wie sich herausstellte, war sie zusammen mit Vasco zum Sumpf gestiefelt und wäre halb ersoffen, nur dem beherzten Eingreifen des Burschen hatte sie zu verdanken, noch am Leben zu sein. Das war allerhand und schlägt den Bogen zurück zu meiner Aussage, dass jener Vasco ein sehr wackerer Kamerad wäre. Um genau zu sein: Es schrie förmlich nach „Enterkommando!“. Und so machte ich eine stille Notiz in meinem Kopf, den Jungen bei der nächsten Kaperung an vorderster Front mitzunehmen, er würde unserer Sache gut dienen können!
Im Zuge dieser Überlegungen fiel mir plötzlich auf, dass Jacky bewusst ohne mich zum Sumpf gegangen war, obwohl ich sie doch zu begleiten gewünscht hatte. Denn das Ritual an jenem vermeintlich Heilungskraft besitzenden Sumpf sah vor, drei persönliche Wahrheiten im gesprochenen Wort preiszugeben: Der erste leibliche Schmerz, den man ertragen musste; wann man aufgrund einer ernsten Sache bitterlich geweint hat.. und schließlich die erste Person, mit der man schlief. Treue Leser werden sich erinnern – diese äußerst delikaten Fragen habe ich selbst einmal durchlaufen, als ich mir eine Beinwunde zugezogen hatte. So wird der geneigte Leser auch verstehen, dass es mir nicht wirklich Recht war, dass es der Matrose Vasco war, der meine Gefährtin begleitet hatte und nicht ich. Um mit offenen Karten zu spielen: Es traf mich ziemlich.
Mit einem unmerklichen Kopfschütteln warf ich mich zurück in die Gegenwart und entsagte mir das schwermütige Mahlen. War ich nun Bootsmann auf dem gefährlichsten Schiff der Meere, oder ein närrisches Waschweib?! Also zog ich meine dicke Jacke aus und packte die von Morast und Wasser triefende, in der Kälte schlotternde Jacky darin ein, ehe sie sich noch eine Erkältung holte. Es war sonnenklar, dass ich mich nun erst einmal um sie kümmern müsste, so ließen wir unseren Coup-Plan fallen und fuhren alle vier gemeinsam zurück nach La Cabeza.
Als wir am frühen Abend heil angekommen waren, ging Jacky unseren Kleinen von Minfay abholen, während der Rest zum Krähennest zog. Im Raucherzimmer, das Jackys Baderaum vorgelagert war, machten wir es uns auf den Kissen gemütlich, wahrlich – wie in einem menekanischen Diwan! Um das Flair perfekt zu machen, schraubte ich den Wassertopf von der in der Mitte vom Sitzkreis stehenden Wasserpfeife und schlurfte ins Bad, um frisches Wasser nachzufüllen. Währenddessen kümmerte sich Vasco schon einmal auf meine Bitte hin um das Anzünden der Kohlen, denn die brauchten ihre Zeit, bis sie richtig durchgeglüht waren.
Nachdem frisches Wasser und Kohlen bereit waren, stopfte ich noch den Pfeifenkopf mit reichlich von frischem Kraut aus meinen Privatbeständen, ehe als letzte Handlung die Schläuche auf Durchlässigkeit geprüft wurden. Derer waren es genau drei, so dass wir gemeinsam die ersten Züge nahmen. Nach einer Weile des Rauchens und Plauderns vernahm ich das Knarzen der Stufen im Treppenhaus: Jacky kam mit Esteban heim. Sie hatte sich wohl umgezogen, denn nach einer ganzen Weile – das Kraut zeigte bei unseren Gästen schon ordentlich Wirkung, waren sie den Konsum doch weniger gewohnt, als Leute wie ich, die man mit Fug und Recht als Dauerkonsumenten bezeichnen konnte – kam sie in frischer Kleidung und gewaschen zu uns in den Raum. Mit Esteban auf dem Arm blieb sie nur wenige Augenblicke in der Tür stehen, ehe sie den von dicken Rauchschwaden belegten Raum durchmaß und die Türen zum Balkon aufriss, um frische Luft herein zu lassen. Es schade nur dem Kleinen, so meinte sie.. und klang dabei schon fast beschwipst, als wäre ihr der Rauch schon zu viel gewesen. Und ich musste mir eingestehen, dass meine Kameraden und Familie heute tatsächlich etwas anders aussahen, als sonst… beim Barte vom Klabautermann, ich sage euch: Das Zeug war wirklich gut! Binnen kurzem hatte meine Gefährtin unseren Sohn rüber in unsere Wohnstube und zu Bett gebracht, ehe sie zurückkam und eine völlig benebelte Truppe vorfand – wenn es denn noch benebelter, als zuvor ging. Unvergesslich blieb mir Vasco, dem die Augen halb ausfielen bei den Trugbildern, die er gesehen haben muss, war das doch völlig neu für ihn! Ich war es zufrieden, denn das war mir Beweis, dass unser neu angesätes Kraut immer noch so vorzüglich war, wie ehedem.
Etwas später, als sich die Runde auflöste, begab ich mich schweren Kopfes in unser Schlaflager, das Kraut hatte meinen ohnehin von der Arbeit matten Leib vollends ausgelaugt. Den kleinen Esteban nahe bei schlief ich dementsprechend schon rasch wie ein Stein, noch ehe Jack sich im Verlauf der Nacht dazu gesellen konnte.










Episode 27 – Brennen und Rennen Teil 3: Glücksbringer

02. Eisbruch 254
Auf La Cabeza und in Adoran



Der gestrige Tag war vergleichswiese ereignislos. Wieder das übliche Tingeln zwischen Werft, Kraut-Plantagen und Krähennest. Der kleine Esteban entwickelte sich prächtig – er konnte zwar immer noch nicht richtig laufen, es glich mehr dem Krabbeln und Stolpern einer unbeholfenen Geis; das Reden war ihm dagegen nicht mehr völlig fremd, er brabbelte nämlich streng genommen IMMER. Abgesehen von den Momenten, an denen er schlief oder aß. Freilich ergaben seine Töne noch keine Worte mit Sinngehalt, doch lange würde das auch nicht mehr auf sich warten lassen.
Ich hatte meinen Sohn mit in die Werft genommen, das erste Mal für ihn und so war er aufgedreht, als stünde der Klabautermann höchst selbst vor ihm. Es war zu bezweifeln, dass er verstand, wovon ich sprach, als ich ihm ausgiebig alle Werkzeuge und –stücke zeigte, ihm die Werftarbeiter vorstellte und das in Entstehung befindliche Schiff näherbrachte. Nichtsdestotrotz klebte er an allem Neuen, wenn es in Reichweite kam, sogar wortwörtlich. In Momenten wie diesen erwischte ich mich sogar dabei, etwas, das einem Stoßgebet gefährlich nahe kam, an all das, was höher war als wir Menschen – seien es nun Götter, der Klabautermann, das Schicksal… die See. Ich dankte ihnen, dass ich Jacky seinerzeit kennen- und liebegelernt hatte, wodurch mein Leben eine so fundamentale Wendung genommen hatte, wie es nur Menschen bewirken konnten, die einem teurer als man selbst sind. Ich schollt mich einen Narren für den Schwermut, der mich vorgestern ergriffen hatte! Jacky würde ihre Gründe dafür haben, dass sie es gedeichselt hatte, ohne mich zum heilenden Sumpf zu gehen, ich vertraute ihr, wenn sie etwas tat, dann zumeist aus gutem Grund. Stille Zweifel daran, ob es ihr an Vertrauen mangelte, bleiben indes, auch wenn sie mittlerweile nur noch ein ferner Schatten waren. Zu viel Gefühlsduselei macht einen blind für die Realität – bist du derart blind, läufst du auf ein Riff. Diesen Merksatz widerholte ich dieser Tage häufig in meinem Geiste, um mich selbst auf meine Blödsinnigkeit hinzuweisen und gleichsam zu maßregeln.

Am zweiten Eisbruch wachte ich sehr spät auf. Die Kühle neben mir in unserer Schlafstätte aus Fellen und Kissen ließ mich noch vor dem Aufschlagen der Augen wissen, dass meine Gefährtin bereits vor einiger Zeit aufgestanden war. Verdammt, wie spät musste es sein? Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als ich mich wusch und von Pedro rasieren ließ, da meine Rasierklinge abgestumpft war; das war der angenehme Nebeneffekt, den Barbier der Insel als Untermieter zu haben. Wenig später stand ich angezogen, frisch rasiert und fidel, wie man es kurz nach dem Aufstehen nur war, in der Gosse und wägte ab, was ich tun sollte. Heute hatte ich einen freien Tag… manchmal war das ein Fluch. Andererseits würde ich so mehr Zeit mit Jacky und Esteban verbringen können, die ich etwas hinten hatte anstellen müssen. Als ich so durch die Gosse unserer kleinen cabezianischen Hafenstadt schlenderte und rauchte, vernahm ich ein klares Lachen, leise, wie von Wänden abgedämpft. Es war mir allzu geläufig: Das konnte nur meine bessere Hälfte sein. Deswegen bog ich in das Haus ab und ging die Treppen zu Vascos Wohnung hinauf, die ich als Quelle vermutete. Nach dem üblichen dreimaligen Klopfen öffnete mir der Wohnungseigner auch schon und bat mich direkt herein.
Wamm.
Leere.
Spätestens jetzt zeigte sich, dass Vasco tatsächlich Pech bei der Tischler-Suche hatte. Seit Tagen war er schon ergebnislos herum gereist, denn unsere Schiffszimmerleute konnten weder Zeit noch Holz für derartige „Bequemlichkeiten“, wie sie es nannten, entbehren… oder wollten es nicht.
Abgesehen von einem durch Vorhänge vom restlichen Raum abgetrennten Schlafbereich, „die Bärenhöhle“ wie Jack es vorstellte (in der Tat stammten sämtliche Felle, die den Bodenbelag bildeten vom Bären) war die Wohnung komplett bar von Einrichtung. Mir war es kaum möglich, Jacky ein warmes Lächeln zur Begrüßung zu entsenden, ehe ich schon in die Einrichtungsplanung miteingebunden wurde. Solle der Tisch dorthin oder hierhin…? Vasco schien sich ernsthaft Gedanken zu machen, dabei war es doch gehupft wie gesprungen! Pflichtschuldigst gab ich jedoch meine Einschätzung dazu ab, um meinen Teil zur Lösung beizutragen. Rasch kam man zu dem Konsens, dass es erst einmal Möbel bräuchte, ehe man weiter ins Detail gehen könne, selbstredend hatte Vasco bereits beschlossen, wieder auf die Suche zu gehen.
Da Jacky und ich jeweils einer Pfeife bedürften, schlossen wir uns direkt an – mit den Worten, dass ich uns Glück brächte, folgte ich Jack hinaus, die schon einmal vorging, um Esteban zu holen.
Am Pier angekommen unterhielten Vasco und ich uns ein wenig, um die Wartezeit zu überbrücken. Bei der Gelegenheit sprach ich ihm meinen innigsten Dank dafür aus, dass er meine Gefährtin vor dem Ersaufen bewahrt hatte und stellte ihm in Aussicht, ihn beim nächsten Entern an meiner Seite sehen zu wollen. Mein Landsmann wirkte ehrlich überrascht, doch, so meinte ich wahrzunehmen, auch sichtlich zufrieden. Ich hatte mich nicht in ihm getäuscht, wie es schien. Kurz darauf gesellte sich Jacky mit dem kleinen Esteban zu uns, so dass wir gemeinsam an Bord gehen und die Segel setzen konnten – in Richtung Adoran.



Dieses Mal fuhren wir als Passagiere auf einem Schmugglerschiff der Bruderschaft mit, das in jenen Teil Gerimors musste, den auch wir ansteuerten. Ein kleiner Schoner, der durch die Takelung mit Bermuda- und Stagsegel besonders hart am Wind segeln und so den vermeintlichen Häschern stets überlegen war. Der Skipper ließ uns in Adoran von einer Jolle an Land bringen, denn Anlegen hätte ihn zu viel Zeit gekostet.
An Land angekommen gab Jacky unseren Sohn meiner Obhut, oder besser gesagt der meiner Umhängetasche. Seit der Brösel nämlich etwas älter war, war er ein häufiger Begleiter, wenn wir „privat“ unterwegs waren und hatte seinen Stammplatz in der großen Tasche bekommen, ganz oben auf, in Wolldecken gehüllt, warm, sicher und zugleich alles im Blick! Und heute sollte er etwas zu sehen bekommen, wir nahmen nämlich Kurs auf den Handelskontor der Zwerge. Einen der Mitarbeiter dort kannte ich und hatte ohnehin schon Krautgeschäfte mit einem der kurzbeinigen Inhaber gemacht, also hegte ich die Hoffnung, dass wir dort nicht nur Erfolg haben würden, sondern auch vergleichsweise billig wegkämen. Zwerge waren eifrige Geschäftsleute, doch selten wirkliche Wucherer. Auf halbem Wege machten wir einen Zwischenstopp beim Barbier, denn Vasco war schon auf der ganzen Reise unleidlich wegen seines „nicht vorzeigbaren“ Äußeren gewesen. Mit der Hoffnung, dass er zufrieden zurückkehren möge, standen wir da also vor dem Barbier und harrten seiner. Da schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, en ich schon einmalgewälzt hatte und nun mit Jack teilen wollte, was sie denn dazu zu sagen habe: Wie wäre es mit Vasco als Paten für unseren Sohn? Noch ehe sie etwas darauf sagen konnte, setzte ich ihr die Fakten auseinander: Vasco war ein drachenfelser Landsmann, hieß mit zweitem Vornamen Esteban, hatte ihr, Jacky jüngst das Leben gerettet und wurde eher zufällig von einem unserer kleineren Kaperschiffe von einer einsamen Insel gerettet, auf der er ausgesetzt worden war! So viele Zufälle konnte es einfach nicht geben! Abergläubisch, wie ich nun einmal war, musste, ja... konnte ich bloß an Fügung glauben. Die überrumpelte Jacky wollte gerade wissen, ob ich den Kerl denn möge, da kam Vasco aus dem Haus. Ich schloss meinen zur Antwort geöffneten Mund rasch wieder und blieb die Antwort schuldig, das musste ich ja nun nicht vor dem Jungen herausposaunen. Lob stieg schnell zu Kopf.
Wenigstens schien unser junger Matrose nun leidlich zufrieden mit seinem gestutzten Bart und Haupthaar und ich bemühte mich, keine Stichelei bezüglich dieser Schöngeisterei abzulassen, während wir weiter gingen. Nur eine kurze Unterbrechung fand auf unserem Weg noch statt, konnte aber durch eine geschwenkte und Jacky versprochene Rumflasche rasch bewältigt werden.
Bald schon kamen wir vor dem Kontor an und Jacky läutete die halb Nachbarschaft heraus. Es war der zuvor erwähnte Mitarbeiter, der uns öffnete. Eric, vertraulich (ich hatte schwören müssen, es nicht weiterzuerzählen!) „mit den Feuermessern“. Der junge Herr aus dem edlen Geschlecht derer von Elebenau-Hohenfels, jener „Feind“, auf den ich doch viel baute. Wenn die Saat der Freiheit in einen jungen Geist behutsam eingebracht wurde, vielleicht konnte dieser zum Mann gereifte Geist einmal etwas Gutes tun? Es wäre vermessen, das System von Herr und Vasall zu brechen zu versuchen, freilich, aber immerhin könnte man Besserung für das Volk erreichen. Der junge Eric wirkte jedenfalls wachen und intelligenten Geistes, es ließ hoffen.
Eben jener junge Herr bat uns also herein und so traten wir ein, dem anwesenden Zwergen grüßend, wie es bei einem Kind des Cirmias angebracht war, wenn man sich Ärger ersparen wollte. Auf die Frage, was wir denn wünschen würden, kamen wir direkt zur Sache. Drei Pfeifen, eine pro Nase und Vasco benötigte einige Fässer. Zuerst sah es so aus, als wären wir umsonst gekommen, denn der anwesende Zwerg hatte keinen Zugriff auf das Zentrallager und gewünschte Ware war nicht im Präsenzbestand vorhanden. Wir wähnten die Sache schon verloren, da kam der Zwerg Artox durch die Tür, einer jener Kurzbeine, die Lagerzugriff hatten – Glück gehabt. Wenig später hatten wir unsere Tabakspfeifen und Fässer und wären gegangen, hätte sich nicht ein Gespräch mit Eric entwickelt. Der Junge war von zu Hause abgehauen und hatte im Laden übernachtet, so zerknittert wie er aussah, konnte man ihm das abnehmen. Wie alle Jungen seines Standes musste er mehr lernen und pauken, als er Freizeit hatte… Zeit, Kind zu sein. Gerade meine Gefährtin zeigte sich äußerst schockiert darüber, war ihr all dieses bürgerlich-adelige Korsett von Pflichten und Verboten doch ein Übel sondergleichen. Als wir auf unseren Kahn (ich ließ Eric in dem Glauben, wir wären Walfänger) zu sprechen kamen, erinnerte der Junge mich daran, dass wir ihm einmal das Schiff zeigen wollten. So wiederholte ich mein Versprechen, mit der Einschränkung, dass wir natürlich erst einmal wieder in Adoran einlaufen müssten, ehe das möglich wäre. Ich gedachte, ihm eins unserer als Walfänger getarnten Schmuggler zu zeigen, das würde unser Possenspiel nicht gefährden. Nach der Zusage, dass wir in Betracht ziehen würden, seinen Freund Tjark auch mitzunehmen, denn danach hatte er uns noch gefragt, zogen wir von dannen.
Mit einem breiten, zufriedenen Grinsen stellte ich gegenüber dem mit seinen Fässern beladenen Vasco fest:
„Na, hab’ick Jlück jebracht oder nich?“

_________________
Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

"Krieg, Handel und Piraterie,/Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
Mephistopheles, Faust II


Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 03 Feb 2011 17:25, insgesamt 3-mal bearbeitet
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 07 Feb 2011 16:51    Titel: Episode 28 – Mi shíorgrádhaich a mo críde
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Episode 28 – Mi shíorgrádhaich a mo críde

04. Eisbruch 254
Auf La Cabeza



Den frühen Morgen hatte ich heute mit Fischen verbracht.
In den Wassern der Bucht pflegten wir über Nacht unzählige Reusen zu legen, um uns einen Teil vom reichen Artenspektrum der See für die Pfanne zu sichern. So war ich zusammen mit dem kleinen Esteban in einer Jolle hinausgerudert und hatte einige Reusen abgeklappert: Neben einigem Schalengetier befanden sich auch reichlich Fische in ihnen; was erstere anging, so landeten diese bei Ambrosio, der sie im Austausch für einige Dublonen gerne für seine Kombüse übernahm. Die Fische wiederum nahm ich mit nach Hause, fein säuberlich durch die Kiemen an einem dünnen Tau aufgereiht. Esteban, der durch die Bootsfahrt richtig wach geworden war, hatten es besonders die Saiblinge angetan – weiß der Klabautermann, warum ausgerechnet die Viecher – und plapperte ständig sinnlos vor sich hin, lachte und spielte mit einem dieser Fische. Es gelang ihm sogar fast, den Namen der Fischsorte nachzusprechen, auch wenn es sich eher wie eine Mundkrankheit anhörte, als eine Fischart. Vielleicht würde der kleine Mann bald seine ersten richtigen Worte sprechen? Ich nahm mir vor, Jacky diesbezüglich zu fragen, die bewies da meist mehr Fingerspitzengefühl in solchen Dingen. Vorausgesetzt, sie würde heute heimkommen, denn ich hatte sie schon seit gestern Abend nicht mehr gesehen. Freilich war das nicht das erste Mal, wenn sie ihre Angelrute dabei hatte, dann konnte man fast mit absoluter Sicherheit sagen, dass sie für eine gewisse Zeit lang wie vom Erdboden verschluckt sein konnte. Nichtsdestotrotz vermisste ich sie jedes Mal, wenn ich allein liegen musste.
Der Vormittag war schon fast mit dem Braten der gefangenen Fische vorübergezogen, als ich leises Treppenknarzen vernahm. Die kurz darauf scheppernde Tür erhärtete meinen Verdacht: Jacky, die wie meistens die Tür mit einem mehr oder weniger sanften Tritt öffnete. Deswegen hatte ich es mir schon lange abgewöhnt, den Riegel vorzuschieben, wenn sie noch nicht da war.. das sparte viel Ärger. Im Schneidersitz vor dem Feuer, darob die aufgespießten Fische, neben mir die angefachte Wasserpfeife und der spielende Esteban, empfing ich sie mit einem gleichmütigen Gruß. Wie sie da so bedeppert stand, konnte ich mir allerdings einen Jux nicht verkneifen und stellte einen einschlägigen Vergleich mit Elefanten und Leisetretern her. Für jene Leser, die solch Getier nicht kennen: Es sind sehr merkwürdige (Sagen?)Wesen, die auf vier Beinen laufen und eine Nase besitzen, die einem Schlauch nicht unähnlich ist. Man erzählt sich merkwürdige Dinge über sie, etwa, dass sie „Friedhöfe“ hätten. Alles Seemannsgarn, wenn ihr mich fragt.
Bei Jacky jedenfalls zündete der Klamauk nicht Recht, sah sie doch vielmehr schuldbewusst drein – obwegen der Tür oder ihrer Absenz… womöglich auch wegen beidem. Ich rief mich innerlich zur Ordnung, indem ich auf das Feuer zurückstierte und es mit dem Schürhaken anfachte, reichlich energischer, als meine ruhige Stimme. Auf die ausgesprochene Frage, ob sie denn die See verschluckt habe, erhielt ich abgesehen von einem unbestimmten Herumdrucksen keine Antwort. Blubbernd zog ich an der mit Kraut gestopften Wasserpfeife; manchmal konnte die Frau einen wirklich die Decke hochtreiben. Währenddessen schloss Jacky zu dem spielenden Esteban auf, um ihn warmherzig zu begrüßen, mir schien es fast, als wäre ihr das ein gelungener Rettungsanker vor der Fragerei. Was sollte es, sie brauchte ihre Freiheit – und die hieß nun mal, sämtliche Küstengewässer der Gestade nach Fischen zu durchkämmen, und wenn es eine ganze Nacht dauerte. Klirren von Glas an Glas drang von hinten an meine Ohren und als sie sich neben mich setzte, hatte sie die zu erwartende Rum-Flasche in der Hand, die sie vor sich abstellte, ehe sie meinen vorigen Gruß endlich erwiderte. Ein bescheidenes Lächeln traf mich, als ich zu ihr herüber sah, doch der Blickkontakt wurde rasch dadurch unterbrochen, dass sie ihre eng anliegenden Handschuhe umständlich auszog. Aye, ich war ein wenig angefressen, was meine Gefährtin allerdings durch so milde Gesten, wie den folgenden raschen Kuss beinahe fortzuwischen vermochte. Denn da stahl sich schon die leiseste Nuance eines Lächelns auf meine Lippen – beim Barte des Klabautermanns, mir war wirklich nicht mehr zu helfen… da waren wir schon so lang zusammen und ich ließ mich immer noch so leicht verzaubern! Jacky hatte sich endlich von den engen Handschuhen lossagen können und sich Esteban zugewandt, der zu uns gerobbt kam, als ich die Fische wieder einmal wendete. Wie es mein Glück, oder Pech, nun einmal war, verbrannte ich Trottel mich natürlich an einer der Eisenstangen. War ja so was von klar! Fluchen half bei solchen Ärgernissen bekanntlich, weswegen ich das auch kräftig verfolgte: Póg mo thóin! – Die Zunge der Leute im Westen, auf die wir immer wieder auf unseren Fahrten trafen, erwies sich neben Liebkosungen eben auch als sehr passend zum Fluchen! Meine Gefährtin ließ sich davon nicht stören und hauchte mir einen Kuss auf die Hand, ihre Art eben, mit meiner Schusseligkeit umzugehen, die mich selbst an Bord manchmal einholte. Sie hatte mich in dem Zusammenhang immerhin schon mal einen kleinen Finger gekostet.
Wir unterhielten uns ein wenig über unseren Sohn, wie er sich denn gemacht habe? Ob wir Spaß gehabt hätten oder er sogar nervig gewesen wäre? So erzählte ich ihr von dem Werftbesuch, den wir gemacht hatten, wie neugierig der Kleine doch gewesen wäre – und wortwörtlich an dem klebte, dessen er habhaft werden konnte! Der besagte Neugierige hatte sich zwischenzeitlich zu uns gesellt, eine Muschel im Mund, mit der er schon den ganzen Vormittag gespielt hatte – Kinder konnten sich wirklich für alles begeistern. Jacky ließ ihre Hand in die meine gleiten, indem unsere Blicke sich in einem milden Lächeln trafen, ehe sie sich an mich lehnte; der kleine Esteban fröhlich plappernd zwischen uns. Mein leiser Groll war in dem Moment eigentlich schon wieder verflogen und so fiel mein „Tadel“ reichlich lasch aus: Meine Liebe, Jack, hätte sich etwas rar gemacht, mh? Jacky hatte es bejaht und damit begründet, dass sie habe nachdenken müssen. In leisen Worten kam auch der Grund dazu: Die Festländer, auf die ihr Hass immer mehr wuchs, seit sie hier bei uns auf der Insel leben konnte. Selbstredend ging es da um die reichen Blaublüter und „Gepuderten“, nicht den gemeinen Tagelöhner oder Bauern. Meine Jacky entwickelte sich zu einer richtigen Idealistin, die unsere Botschaft von Freiheit und Selbstbestimmung sehr wörtlich nahm. Eine Zeit lang saßen wir, mittlerweile Arm in Arm, nebeneinander am Feuer und hingen unseren Gedanken nach. Schließlich nahm ich einen der Fische, die fertig schienen, vom Feuer und zerlegte ihn mit spitzen Fingern in mundgerechte Happen. Meine Gefährtin ließ mich schmunzeln, als sie nun den Kopf vorreckte, Mund geöffnet, um einen der Happen zu erhaschen. Das Schmunzeln legte sich auf mein ganzes Gesicht, als ich ihr solch ein Stück in den Mund schob. Meine miese Stimmung war spätestens jetzt vollends beseitigt und dem Gemütszustand gewichen, der einen das Leben stets leichter sehen ließ – nämlich mit reichlich Schalk im Nacken. Abwartend erfolgte ich ihr Pusten und Kauen des heißen Fischstücks, bis sie, das ihre Lippen hinab laufende Fischöl nicht beachtend, zu meiner Zufriedenheit kundgab, dass der Fisch lecker sei. Ein Bild für Götter. Nach einem Augenblick musste ich es leider zerstören, indem meine Rechte dem Drang, das Öl sanft fortzuwischen, nicht mehr widerstehen konnte und meinem Hirn damit ein Schnippchen schlug. Fast schon, um davon abzulenken – wie ein frisch Verliebter, Jaron, Mensch! – schlug ich vor, dass wir Esteban doch auch etwas probieren lassen könnten. Auf Jackys Anweisungen hin entfernte ich sorgfältig alle Gräten aus einem der Happen und zerlegte es noch weiter in kleine Filetfasern. Während ich mir selbst ein Stück in den Mund schob, bot ich unserem Sohn eines an, als würde es helfen, wenn er mich den Fisch auch essen sah. Vielleicht hatte es das, denn der Kleine nahm es sich und aß den Fisch, wobei er es immer noch schaffte, einen Gutteil davon über sein Gesicht, Kleidung und Boden zu verteilen. Ein warmes Lächeln lag auf meinen Zügen, während ich zusah und Jacky sich wieder an mich schmiegte. Sie erzählte mir in leisem Säuseln davon, dass sie dem Vasco unser altes Krhäennest gezeigt habe. Das alte Krähennest im Hafenviertel von Rahal! Mir wurde fast schon schwermütig, als mir Jack zusagte, dass es noch so stand, wie wir es verlassen hatten.. gleichsam, als würde es noch von alten Zeiten erzählen – den Schwestern Iriel und Ionna, dem Kamin-Geist… bei diesen schweren Gedanken an das Vergangene suchte ich ihren Blick und gab ihr einen langen Kuss. Mir ging auf, wie sehr ich sie da doch letzte Nacht vermisst hatte – Jacky war, wie sie, zugegebenermaßen leicht nervös, erzählt hatte, auf ihrer Reise in einen Sturm geraten und hatte in einer Hütte übernachtet. Das war wie auf See – wir waren Spielbälle des Wetters. Als wäre ihr das Thema nicht angenehm, löste sie sich und wandte sich Esteban zu, um ihn unter Liebkosungen auf den Schoß zu nehmen. Mit der Geste waren ihre Muttergefühle wohl auch wieder erwacht, denn sie wies mich sogleich, der ich soeben die Wasserpfeife nachstopfte, darauf hin, dass es mit einer Pfeife im Raum in Ordnung wäre – waren es mehr, dann wäre es nicht gut für unseren Sohn. Falten stahlen sich auf meine Stirn, mir schien das nicht gerade stichhaltig, doch beschloss ich im Stillen, darauf zu achten, Jacky war keine Frau, die man provozierte. Ihr zu Liebe würde ich dem Rat folgen.

Das war allerdings nur das Vorspiel, so schien es mir im Nachhinein, wenn ich daran zurückdenke, als wollte sie Mut sammeln. Denn gleich darauf sprach sie mich mit meinem wahren Namen an: Ein klares Zeichen dafür, dass das, was nun folgte, ihr sehr ernst war.
Aye, sie war glücklich, so wie sie nun hier auf Cabeza lebten, fernab der bürgerlich-pompösen Lebenswelt. Nichtsdestotrotz hatte sie ein Anliegen, wovon sie offenbar glaubte, dass es mich treffen könne, fragte sie mich doch, ob ich wisse, dass sie mich nie verletzen wolle (ganz Jacky: „zumindest nicht sehr“) – was hinlänglich bekannt war, also bestärkte ich sie darin, fortzufahren. Da kam sie mit der Sache endlich heraus, sie wollte nicht solch ein spießbürgerliches Zeremoniell, wie es eine Hochzeit nun mal auch war, mochte sie noch so seemännisch und wild sein, wie sie beim Pack üblich war. Sie wollte aus freien Stücken mit mir zusammen bleiben, ohne bindende Eide und Schwüre, ohne all dieses unnötige Zeremoniell und Getue. Ihre ganze Aufmachung wirkte, als würde sie vor Aufregung schier platzen, ihre Hand drückte fest die meine. Ehrlich gesagt war ich nahezu erleichtert, als das gesagt war, denn ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass etwas ernstes passiert war, wenn sie schon Jaron statt Lissy sagte! Dabei war es nur etwas, was ich mir schon geraume Zeit gedacht, geahnt hatte! Somit versicherte ich ihr, dass es mir völlig gleich war, ob wir uns nun vom Käptn trauen ließen oder nicht, denn wahr gesprochen war mir das ebenso egal, wie ihr. Die sichtlich erleichterte Jacky, hatte sie doch befürchtet, ich könne ernstlich enttäuscht sein, schmiegte sich wieder an mich. Ich nutzte den Moment der Eintracht, um noch einen kleinen Punkt anzubringen, der mir auf dem Herzen lag: Die Ringe. Sie gehörten nicht genuin zum Bürgerlichen, waren in vielen Gesellschaften, die wir auf den Meeren bereist hatten verbreitet; Jacky nickte lächelnd zu dem Vorschlag. Also war das erledigt. Wie sich unsere Blicke trafen, mussten wir beide auf einmal breit grinsen und Jacky sprach den Gedanken aus, den wir offenkundig im selben Moment hatten: Mein kleiner Bruder Ilbert würde schön blöde aus der Wäsche schauen!
Nach einem weiteren warmen Kuss hieß ich sie zu warten, während ich mich erhob und den Raum rasch durchmaß. Unter einem der Fässer im Eingangsbereich hatte ich in den Dielen nämlich etwas versteckt, wofür es nun an der rechten Zeit war und kehrte mit einem in Tuch eingehüllten kleinen Paket zurück. Ich schlug das Tuch mit einem breiten, freudigen Lächeln auf und präsentierte das ehedem Verborgene der sichtlich verwirrten Jacky.
Es waren die beiden silbernen Ringe, die ich über meinen Bruder in Alumenas von einem fähigen Goldschmied hatte anfertigen und gravieren lassen, für eben jenen Moment, der soeben hereingebrochen war. Die eingravierten Texte ergaben zusammen erst den Sin: „Ein sicherer Hafen“ – „In stürmischer See“ und dazu den Namen des jeweils anderen. Sie sollten nicht Band von Eiden und Zwängen sein, sondern ein Zeichen der Zuneigung und des Vertrauens, verhießen sie vereint doch, dass man sich stets auf den anderen würde verlassen können.
Jacky schien ehrlich überrascht und rasch sah man Tränen der Rührung in ihren Augen aufschimmern, als ich den für sie bestimmten Ring aufnahm und ihre Hand in die meine legte. Mein Herz schlug mir weißgott nicht weniger bis zum Hals, als ich ihr den Ring sanft auf den Finger schob und ihre Hand in die Meinen schloss. Jacky war sichtlich durch den Wind, eine Spur blass sogar. Gleichermaßen um mir, wie auch ihr die Aufregung etwas zu nehmen, gab ich da die Anekdote zum Besten, wie ich die Ringe apotropäisch gemacht hatte: An Neujahr hatte ich sie über Nacht auf den Teller in der Messe an Bord gelegt, der immer für den Klabautermann gedeckt wurde, wie es alte Seemannstraditionen befahlen und am nächsten Tag wieder an mich genommen. Meine Gefährtin hatte mich angelächelt und die Idee als ganz schön irre bezeichnet, doch nichts war mir irre genug für sie! Mit einem Schmunzeln nahm sie den für mich bestimmten Ring und schob ihn mir auf den Finger, nachdem sie ihm einen Kuss auf gehaucht hatte. Eine Geste, die mir einen wohligen Schauer verschaffte, einen Umstand, den ich freilich leugnen würde, wann immer mich danach fragte. Ebenso, wie die plötzliche Unschärfe (ich hatte sicher nur etwas vom Krautrauch im Auge!), mit der ich da meine Jacky gesehen hatte, wie sie die Distanz zwischen unseren Gesichtern überbrückte. Ein langer, inniger Kuss und mehrere, gegenseitige Liebesbekundungen besiegelte die vollzogene Geste, bis wir endlich, eng aneinander geschmiegt beisammen saßen und Jack die Vorteile aufzeigte, die wir hätten. Sie könnte jetzt, da wir ja von Bürgersseite her betrachtet nicht verheiratet wären, reiche Schnösel problemlos ausnehmen. Etwa einen Emir „heiraten“ und alle Teppiche der Welt einkassieren, um so rasch, wie gekommen wieder Land zu gewinnen. Ihr schäbig-amüsiertes Grinsen bei dem Schabernack steckte mich an, über den schwindsüchtigen Adeligen Montesaviere, den sie hatte „beerben“ wollen kamen wir schließlich zu der Frage, ob ich da denn eigentlich gar nicht eifersüchtig wäre? Ich bejahte es: Na, und wie ich es wäre! Der Klamauk hatte ein baldiges Ende, indem wir nämlich in die uns umgebende Welt zurückfanden… und damit das Chaos, das Esteban, der sich vernachlässigt gefühlt hatte, aus Langeweile angerichtet hatte. Er hatte einen guten Teil von Sand- und Erdreich aus einem der Pflanzentöpfe auf den Boden und sich selbst verfrachtet, dieses „Sandmonster“, wie Jacky ihn liebevoll lachend nannte. Er kam eindeutig nach mir… während ich halbherzig mit dem Fuß das Zeug zusammenkehrte und händisch in den Topf zurückverfrachtete, nahm Jacky den Kleinen hoch. Sie würde ihn zu Minfay hinüber bringen, sie und ihre Mädels wollten den Kleinen nämlich noch bekochen und baden!
Nach einem innigen Abschiedskuss, der auf mehr hoffen ließ, verließ sie zusammen mit Esteban die Bude, nicht ohne mit verabschiedenden Worten durchblicken zu lassen, dass wir die Nacht ohne Esteban reichlich nutzen würden.



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 Beitrag Verfasst am: 08 Feb 2011 04:54    Titel: Episode 29 – Weh‘, ein Wehr!
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Episode 29 – Weh‘, ein Wehr!

07. Eisbruch 254
Auf La Cabeza, in Berchgard und dem Umland



Unser gemeinsames Frühstück war heute von besonderer Güte gewesen. Neben dem üblichen Sammelsurium von Brot, Fisch aller Couleur, Wasser, Zwieback, Käse, Bananensuppe, Obst aller Art, Met, Rum… allein das eigentlich schon eine beachtliche Vielfalt, gesellte sich heute noch feines, saftiges Rindfleisch aus alumener Beständen dazu. Aus Alumenas? Richtig gehört. Wie es dazu kam, dass ich Jacky solch ein ausgezeichnetes Stück Fleisch mitbringen konnte – nicht zu vergessen die süßen Törtchen, die es zum Nachtisch gab – hatte mehr mit Zufall und Glück, als mit Planung und Berechnung zu tun.
Nachdem Jacky, Vasco und ich gestern in Düstersee auf der Lauer gelegen waren, hatten wir Männer einen Abstecher nach Berchgard gemacht.
In Düstersee gab es nämlich einen Teppich in einem Anwesen, von dem ich vor langem einmal berichtet hatte. Ein menekanisches Machwerk, auf das besonders Jacky schon seit langer Zeit spekulierte, ja manches Mal hatten wir ihn schon stehlen wollen. Bislang war es aber nie zur Ausführung gekommen. Gestern hatten wir uns im jungen Frühling des Festlandes wieder daran gemacht, alte Vorhaben auszugraben, so auch den Teppich in Düstersee. So waren wir an der Küste unweit Düstersees angelandet und durch ein in frischem Grün erstrahlendes Grasland zum befestigten Dorf gezogen. Der Schnee war hier schon gänzlich verschwunden und der Frühling ließ die Gegend förmlich aufblühen – selbst die Spuren der Söldnermeute, die hier lange Monate gehaust hatte, waren beinahe verschwunden. Eine der wenigen Hinweise auf diese skrupellose Truppe, mit der wir insgeheim paktiert hatten, waren die zahlreichen verlassenen Höfe und das nahezu komplette Fehlen von Vieh. Größere Söldner- oder Heerhaufen erwiesen sich als sehr effektiv in der Bereinigung eines Landstrichs von Bauern, Vieh, Getreide und jungfräulichen Weibern, hier war es nicht anders gewesen. Ich konnte nur hoffen, dass die düsterseer Schneiderin Nedleyne heil über die Runden gekommen war…
Eine Weile sind wir durch das teils verlassene, teils neu bewohnte Dorf gewandert, bis wir endlich bei dem Anwesen ankamen. Dort wohnten nun neue Herren, die Familie Drugar. Wenn ich mich Recht entsann, waren darunter auch Rittersleut‘… niederer Schwertadel von außerhalb Gerimors, Verteidiger des rahalischen Reiches an seinen südlichsten Grenzen. Sollte Düstersee zu einem Bollwerk werden, dieses Lehen, das einer Mark glich?



Das sollte nicht mein Problem sein, interessierte mich auch nicht wirklich, also schloss ich zu meiner besseren Hälfte auf, die an das vordere Fenster getreten war. Da es recht hoch gelegen war, bat sie uns, sie hochzuheben; Jacky war nicht so schwer, auch wenn sie manches Mal mit sich und ihrem Körper haderte, wie es Frauen nun einmal taten. Trotzdem ging mir Vasco zur Hand und ich war dankbar dafür, da ich mir meines linken Arms, vor ein paar Wochen noch in der Schlinge, nicht absolut sicher war. Jacky erspähte durch das vergitterte Fenster unseren heiß geliebten Teppich! Es war schier unglaublich – er hatte nicht nur seine alten Herrn überlebt, sondern auch Plünderung, Söldner und neue Herren, gerade so wie ein Fels in der Brandung. Die helle Freude und Aufregung meiner Gefährtin steckte mich an, noch bevor wir sie abgesetzt und zur Türe geeilt waren. Dort spähten nacheinander Jack, meine Wenigkeit und Vasco durch das Schlüsselloch, um einen weiteren Blick zu erhaschen. Der Flur hatte sich wirklich kaum verändert. Das Haus selbst schon, gerade außen. Da war zum einen die Türe: massives Eichenholz bildete den Korpus, der durch sicherlich gut krautstängeldicken Stahlbeschläge und –strebe verstärkt war. Selbst die Angeln schienen bei näherer Betrachtung tief ins Mauerwerk eingelassen zu sein, als wollten die neuen Besitzer vermeiden, dass man sie aushebelte. Zum anderen waren da die Fenster: Sämtliche Fenster im Erdgeschoss waren durch dicke, engmaschige Eisengitter versperrt, nicht weniger tief ins Mauerwerk eingelassen, wie die Türangeln. Während wir so das Haus umrundeten, begann ich mich zu ärgern, dass wir es nicht früher in Angriff genommen hatten. Jetzt war das Eindringen in das Anwesen extrem erschwert worden. Wir meinten zwar, im Verlauf der Inspektion eine Schwachstelle entdeckt zu haben, bei der Vasco noch eine wichtige Rolle spielen würde, doch als wir uns auf zum Haus von Nedleyne machten, war uns allen klar: Das würde eine harte Nuss werden. Da die junge Schneiderin nicht zu Hause war, zogen wir weiter in eins der verlassenen Häuser, in dessen 1. Stock es sich Jacky und ich gemütlich machten, währen Vasco ein… Geschäft zu erledigen hatte. Wir besprachen noch dieses und jenes zum geplanten Einbruch, bis Vasco dazu kam und meine Gefährtin sich entschloss, noch Besorgungen zu machen. Zurück bleiben Vasco und ich, die wir nach Berchgard zogen.

Da waren wir nun also im Zentralort der Grafschaft Tiefenberg und wussten nicht recht, was wir mit unserer freien Zeit anfangen sollten. Vasco führte mich schließlich zu einem hiesigen „Edelschuppen“, die Taverne „Zur Drachenhöhle“. Jacky hätte niemals einen Fuß über die Schwelle gesetzt, allein schon aus Prinzip, wir beiden durstigen Seeleute waren da schon weniger engstirnig. Kaum waren wir eingetreten, war mir klar, warum das ein Schuppen für Gepuderte sein sollte, denn es schrie förmlich danach. Edle Hölzer, Teppiche, Tischdecken und Sauberkeit, wohin man blickte. Wenigstens hatten sie eine Bar mit Hockern, stellte ich erleichtert fest und steuerte mit Vasco im Schlepptau darauf zu. Wir hatten es uns gerade bequem gemacht und waren von der Wirtin Amary begrüßt worden, da trat ein bewaffneter Edelmann ein, der seiner Heraldik wegen nur Rafael von Arganta sein konnte, Herr der Allianz und Graf von Tiefenberg. Der Mann suchte Helfer zum Abriss einer Barrikade im Fluss etwas nördlich von der Stadt. Sämtliche Männer im Raum erhoben sich auf seinen Aufruf widerstandslos und traten hinaus, nicht verwunderlich, denn wahrscheinlich war er für die meisten der Anwesend auch Lehensherr. Nur wir zwei Seeleute blieben sitzen und steckten die Köpfe zusammen, um die Situation zu besprechen. Die Alumener waren unsere Feinde und würden uns aufknüpfen, wüssten sie, wer wir wirklich waren. Wieso sollten wir dem Geschmeiß, dieser Seuche, helfen? Andererseits hatte die Wirtin uns einige Flaschen Brandy pro Mann versprochen, wenn wir uns auch zur Hilfe bereiterklären würden. Zuerst waren wir noch unschlüssig, doch als das Brandy-Angebot um eine Flasche erhöht und eine warme Mahlzeit oben drauf gepackt wurde, kamen wir überein. Wie ein Mann rutschten wir von den Hockern und schlossen uns der Gruppe vor der Taverne an, die schon aus einer beachtlichen Menge bestand. Ich war heilfroh, dass wir unsere Waffen an Bord meines Kahns gelassen hatten, ehe wir an Land gegangen waren – wenn man einmal von unseren Messern und Werkzeugen absah. Nicht nur einer der Helfer hatte noch seine Waffen ablegen müssen, ehe der Graf zufrieden war und voran ritt. Selbst in solchen Momenten mussten die Schnösel ihre verdammten Gesetze durchdrücken, als wären sie etwas Heiliges…
Während unserem Marsch zum Zielort, die meisten Leute zu Fuß, einige Höhergestellten zu Pferde, konnte ich mir ein Bild von der Mannschaft machen. Adelige und Ritter, darunter etwa der einstige Lehrmeister von dem Ordensmann Alessandro, Mandred, Männer und Frauen aus dem Kriegshandwerk, Schankdamen und Wirtsleute… und eben wir zwei Seeleute. Kein einziger Seiler oder Sattler! Wie hatten die Landratten sich das nur vorgestellt? Eine Barrikade oder Wehr ließ sich nicht von einem Haufen Laien aus dem Fluss befördern, ohne unnötige Mühen und Gefahren. Der Graf konnte von Glück reden, dass er uns in der Taverne aufgegabelt hatte. Mochten sie auch Feinde sein, es war nicht im Interesse unserer Schmuggler, wenn der nördliche Flusszugang behindert wurde. Also würden wir ihnen ausnahmsweise mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Als wir bei dem Ort des Geschehens ankamen, dort waren bereits einige Helfer anwesend, die Taue ordneten und Flaschenzüge an kräftigen Bäumen fixierten, hatte ich Gewissheit. Sie wollten offenbar die in den Flussboden gerammten Holzpfähle, die das Wehr bildeten mit Hilfe von über Flaschenzüge laufenden Seilen heraus reißen. Ich konnte Brief und Siegel darauf geben, dass kein einziger von den Anwesenden mit der Mechanik klar kam, was durch die Ansprache vom Grafen bestätigt wurde, dass ein Handwerker namens Bospa die Flaschenzüge zur Verfügung gestellt habe. Jener schien allerdings nicht anwesend zu sein. Mensch, ihr Temora-Speichellecker, wer hätte gedacht, dass ihr mal von dem Können von Piraten abhängen würdet? Es war ein heftiger innerer Kampf, dass ich nicht lauthals loslachte, während die Einweisung der Helfer lief. Mir blutete das Herz, als ich zusah, wie die Taue ausgeschossen und in Position gebracht wurden, bis ich selber mit einstieg.



Schwere, mehrere Daumen dicke Taue waren nun einmal nicht leicht zu handhaben!
Als soweit alles in Position lag und von den Männern und Frauen gehalten wurde, löste ich mich aus den Reihen und eilte zu den Flaschenzügen. Jetzt war es an der Zeit, die Taue in den Mechanismus einzufädeln und zu fixieren. Während ich dort hantierte und werkelte, kümmerte sich Vasco (unter den Festländern „Holm“ gerufen) um das ordentliche Auslaufen der Taue, war helfende Hand wo immer man seiner bedurfte. Da es für uns kein Neuland war, gingen die Arbeitsschritte routiniert und zügig vonstatten, so dass schon bald sämtliche Überlaufrollen der beiden Flaschenzüge mit dem Tau-System verbunden waren. Damit war der leichte Teil der bevorstehenden Plackerei erledigt. Nach nochmaligem Überprüfen meiner Arbeit gesellte ich mich zusammen mit Vasco wieder zu der Mannschaft, die sich nun um die in den Flaschenzügen eingebrachten Tauenden positionierte. Nach einem allgemeinen Kommando zog die ganze Mannschaft an, begann einen langen Kampf gegen die Barrikade. Seile und Flaschenzüge krachten und knarrten unter den immensen Kräften, die auf sie wirkten, doch die Pfähle gaben kein Stück weit nach. Nach mehreren Anläufen waren die Hände vieler Helfer wund und zerschunden, einige hatten vorsorglich Handschuhe angezogen, nur war offen, ob ihnen das helfen würde. Vasco und ich konnten nur darüber lächeln, unseren vom Teer schwarzen und von der harten Seemannschaft verhornten Händen war das eine allzu alltägliche Übung.
Da schienen die anwesenden gepuderten Blaublüter wohl endlich so weit, ihre ach so teuren Mistviecher (bösartige, fiese, niederträchtige….) mit anzuspannen, wodurch wir immens an Zugkraft gewannen! Kleine Erfolge stellten sich ein, hier und da zeigten sich Lockerungserscheinungen. Mir wurde jedoch rasch klar, dass man mit der gegenwärtigen Technik keinen Preis gewinnen würde: Das immerzu gleichmäßige Ziehen war nicht optimal – ein ständiger Wechsel zwischen Zug und Entlastung mochte da mehr helfen, die mit Sicherheit konisch angespitzten Pfähle aus dem Grund zu hebeln. Hier folgte ich den Beobachtungen auf See, die an Takelage im Sturm zu verfolgen war – ständig wechselnde Böen zehrten mehr an der Substanz des Tauwerks und der Segel, als gleichmäßiger und richtungskonstanter Strom. Zumal es mit mehr Flaschenzügen um Längen leichter gewesen wäre. Aber nein, die verdammten Landratten mussten ja auch nur kreuzmistverdammte ZWEI Flaschenzüge für eine quer über den GANZEN verfluchten Fluss gehende Barrikade abstellen. ZWEI! Da bekam der Klabautermann doch Flöhe!
Der Vorschlag, anstatt an zwei Stellen mit jeweils einem Flaschenzug lieber an einer Stelle mit den beiden, hintereinander gekoppelten Flaschenzügen zu arbeiten, wurde beflissentlich überhört. Dass die Landratten nicht hören wollten, wenn man es nur gut meinte, war ja nichts Neues und verwunderte mich nicht weiter. Ich nahm mir einfach Vasco und begann mit ihm, den zweiten Flaschenzug eigenmächtig aus dem System zu nehmen, um ihn an den ersten koppeln zu können. Dazu kamen wir aber nicht mehr, denn was dann erfolgte, ließ mir halb die Augen ausfallen.
Die Männer und Frauen begannen damit, Knoten und Laschen in das Tau zu binden, hier und da musste dafür der Seil-Korpus auf gesplisst werden. Wäre das an Bord passiert, ich hätte sie an Ort und Stelle mit der Neunschwänzigen in Grund und Boden gepeitscht. Diese Vergewaltigung von Tauwerk war einfach nur abscheulich! Und die Folgen.. die daraus resultierenden Gefahren noch weit mehr als das! An jeder einzelnen Stelle, da diese armen Seelen Knoten und Laschen knüpften würden Schwachstellen für den Seilkorpus entstehen, potentielle Stellen, an denen das Tau unter dem Zug nachgeben könnte. Wenn es riss, würde es nicht bei Fingern bleiben, die jene Unseligen verlieren würden, die in der Flugbahn standen. Das konnte tödlich enden – ich hatte schon Unglückliche wegen derartigem Irrsinn sterben sehen. Welch verfluchter Leichtsinn! Ich wurde im Wechsel fahl und rot, ließ den zweiten Flaschenzug fahren und begab mich zähneknirschend zurück zur Mannschaft. Vasco und ich positionierten uns ganz vorne am Ufer, denn wenn das eintreten sollte, was nun schlimmstenfalls passieren könnte, waren wir in sicherer Distanz. Sollte es die Landratten treffen, wenn sie schon solchen Wahnsinn fabrizierten.
Dieser letzte Anlauf ging wider Erwarten gut und hatte sogar Erfolg, sogar eine kleine Aufheiterung war mir vergönnt: Vasco rutschte zwischendurch einmal die Böschung hinab ins Wasser und kam pitschnass wieder heraus!
Insgesamt gut zwei Stunden hatte es gebraucht, die Barrikade heraus zu bekommen. Das war für solch eine Arbeit eine fast schon phänomenale Zeit, gerade wegen der mangelhaften Durchführung, doch das war letztlich der sehr provisorischen Anlage dieser Barrikaden zu Schulden. Wäre es eine Barrikade oder Wehr gewesen, bei dessen Bau mehrere Wochen zur Verfügung gestanden hätten, es wäre eine Heidenarbeit gewesen, das herauszubekommen. Jenes Sperrwerk, dessen war ich mir sicher, konnte nur die Arbeit von vielleicht einer Nacht sein. Das konnte mir aber auch egal sein.
Nachdem wir Atem geschöpft und uns etwas erholt hatten, verließen wir die Arbeitsstelle – Aufräumen und Fortschaffen des Holzes konnten die Landratten ruhig gepflegt selbst erledigen – schnurstracks Richtung Amarys Taverne. Man hatte uns einige Flaschen Brandy und eine warme Mahlzeit versprochen, die wollten wir nun einfordern.
Gut eine halbe Stunde und eine unliebsame Begegnung mit Anele später befanden wir uns wieder an Bord meines Kutters, Kurs in Richtung La Cabeza, das wir gegen Mitternacht erreichen würden. Im Gepäck jeweils einige Flaschen Brandy und die Mägen gut gefüllt mit vorzüglichem Braten und Törtchen, von all dem hatte ich mir allerdings etwas aufgehoben, um es Jack mitzubringen. Sie sollte auch etwas davon haben – und für Esteban war eines der Törtchen selbstredend auch vorgesehen.
So war es denn gekommen, dass ein besonderes Frühstück mit einem Gefallen seitens des Feindes seinen Ursprung nahm. Da sage noch jemand, Verschlagenheit würde keine Früchte tragen!

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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 08 Feb 2011 14:02, insgesamt 2-mal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 12 Feb 2011 16:29    Titel: Episode 30 – Was haben Drachen und Veilchen gemein?
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Episode 30 – Was haben Drachen und Veilchen gemein?

10. Eisbruch 254
Auf La Cabeza



Es war lange her, dass ich in Minfays Etablissement am westlichen Kai genächtigt hatte. Um genau zu sein waren es mit Sicherheit gut sechs oder sieben Jahre her, da ich dort auf Javiera getroffen bin. Damals war ich noch frisch bei Pereras Pack dabei und fristete mein Leben als einfacher Matrose, dem dieses cabezianische Dasein so völlig neu war, dass einem schier schwindeln konnte. Schwindel ganz anderer Art hatte mir in jenen Tagen die junge, feurige und dunkelhaarige Hure Javiera verschafft, eines der Mädchen der Madame Minfay. Ihr Bordell, oder, wie sie es selbst nannte – ihr Badehaus besand damals noch gestampften Lehmböden, Flechtwerkwänden und Schilfdächern, manche Gebäudeteile waren auf Stelzen errichtet gewesen. Eine Architekturform, die schnell und auch mit ungelernten Arbeitern leicht zu erbauen und den Einheimischen La Cabezas abgeschaut worden war. Wie sehr hatte sich die Insel doch in den wenigen Jahren, die seitdem vergangen sind, verändert! Waren es zu Beginn noch feste Stege und Piers, die selten waren, so traf dies nun auf unbefestigte Küstenabschnitte in der großen Bucht zu. Unser Stützüunkt hatte den fortifikatorischen Stand erreicht, der einem nur die Brust vor Stolz schwellen lassen konnte.
Doch zurück zu Minfays Etablissement. Das Mädchen Javiera und sie allein war es also gewesen, das mich seinerzeit oft in dieses Haus gelockt hatte. Nach einiger Zeit verlor ich aber das Interesse daran und erkannte auch, dass es hinausgeschmissenenes Geld war: Zu diesen Tagen hatte ich nämlich noch im Sinn gehabt, so viel Geld wie nur möglich zusammenzukratzen und mein Piraten-Dasein sodann an den Nagel zu hängen. Selbstredend bin ich gut drei Jahre später ganz anderer Meinung gewesen, sonst würde ich ehedem nicht diese Zeilen schreiben.
Nach sechs bis sieben Jahren hatte ich nun wieder eine Nacht hier verbracht. Es war ein besonderer Moment, denn man erlebte es schon selten, dass in einem Bordell zwei Menschen einander beilagen, die es aus echter Liebe taten, nicht des Geldes wegen oder zur blanken Stillung von Trieben. Jacky hatte sichtliches Gefallen an dem Himmelbett gefunden, das uns Minfay freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte – es war ihr eigenes.
Auf leisen Sohlen war ich heute aufgestanden, um die schlafende Jacky nicht zu wecken. Nachdem ich schlaftrunken in meine Kleidung gefunden hatte, ging es auf den Markt, um Frühstückstaugliches zu erwerben. Etwas später, die Sonne war schon lange aufgegangen – Hand aufs Herz, als ich aufgestanden bin, war es bereits früher Nachmittag gewesen – kehrte ich mit einem Packen zurück. Nicht weniger leise, als wie ich gegangen, begab ich mich zurück ans Bett und setzte mich an dessen Rand, um das Graffl abstellen zu können. Neben einer Flasche Brandy, und einem gut gefüllten Wasserschlauch reichlich Bratfisch. Auf meinem rechten Auge trug ich ein Stück rohes Fleisch geklatscht, das ich abnahm, als Jacks Konterfei in mein eingeschränktes Sichtfeld kam. Sie zog mich schläfrig grüßend zu sich heran, um sich anzuschmiegen. Ein gänzlich anderes Bild, als gesern Nachmittag: Friedlich, schläfrig und in sich selbst ruhend. Gestern hatte es tatsächlich schon mal ander ausgesehen, woher mein blaues Auge und die zahlreichen kleineren Blessuren in Gesicht, Hals, Oberkörper herrührten.
Wie so vieles in der Welt begann auch all das mit einer wichtigen, nicht zu leugnenden Sache: Kraut.
Es war kurz nach Mittag, als ich mit leicht brummendem Kopf im Krähennest erwacht war und es leer vorfand. Nachdem die Morgentoilette erledigt war, beschloss ich, mich auf ein Pfeifferl zu Vasco hinüberzubegeben und riss dementsprechend schon das zu seiner Bude hingewandte Fenster auf. Mit lauter Stimme rief ich ihn an, ob er denn daheim wäre und erhielt prompt Antwort. Wenig später stand ich mit einigen Unzen Kraut auf der Matte. Drinnen traf ich Jacky an, die reichlich erhitzt wirkte, als wäre sie mitten in einer ihr wichtigen Diskussion. Es schien in der Tat so, denn es lagen einige Karten aufgerollt oder gschlossen herum und Jacky sabbelte irgendetwas davon, dass meine Mannschaft „studiert“ hätte, während ich bis Mittag gepennt habe. Studiert, soso. Zum Nachfragen kam es vorerst nicht, denn Jackys rigorose Ablehnung des dargebrachten Krauts machte mich stutzig. Schließlich setze man mir auseinander, dass sie am Tag zuvor offenbar zu viel Kraut erwischt habe (jedenfalls war das der Konsens, den Vasco und ich fanden) und äußerst krasse Trugbilder gesehen haben musste. Im Speziellen einen Drachen, dessen Erinnerung sie immer noch auf Trab hielt. Für mich war die Sache klar: Eindeutig zu viel Kraut auf einmal, das konnte zu sehr realitätsnahen Trugbildern führen, weit einnehmender als sonst... und wenn man pech hatte, waren es eben nicht gerade erfreuliche. Drachen gehörten jedenfalls sicherlich zu den furchteinflössensten.
Kurzum: Jacky wollte momentan nicht auf die Straße hinaus, geschweige denn Vascos Bude verlassen, da sie felsenfest davon überzeugt war, dass der Drache, den sie gesehen zu haben glaubte, immer noch draußen herumtigere und auf sie lauere. Das war natürlich blanker Humbug, das wusste ich aus eigenen Erfahrungen mit solchen „Kraut-Alps“. Wie es bei Jacky nuneinmal gerne vorkam, wurde sie rasch bockig, als es daran ging, sie von der Existenz des Drachens abzubringen; auf La Cabeza gab es erwiesenermaßen keine so großen Schuppentiere, hatte es nie und würde es wahrscheinlich auch nie. So weit inden Süden hatte zmindest noch niemand Drachen fliegen sehen. Das Arugmentieren machte sie natürlich nur noch sturer, so beschloss sie, dass sie in der Bude bleiben würde und Vasco ja bei uns im Krähennest pennen könne. Ein Vorschlag, der von uns Männern einstimmig abgewiesen wurde. Selbst die gutgemeinten Vorschläge rundum Eiswasser, rohen Eiern und massig Kraut zur Beseitigung möglicher Nachwirkungen des übermäßigen Konsums fruchteten bei ihr nicht. Sie blieb stur. Es waren schließlich die Karten, die uns von dem Thema unvehrofft abbrachten, was mir gelegen kam, denn da ließ sich vorerst ohnehin nichts bewegen.
Jacky erläuterte auf Vascos Bitte hin mit einem Wink zu den Karten die Problematik: Sie waren letztens im Krähnnest auf dem Balkon gestanden und hatten mit Kiekern aufs Südmeer hinaus gespäht. Das war an sich ja völlig unspektakulär, doch offenkundig waren sie in Sachen Weltanschauung dabei heftig aneinander geraten und waren es zu dem Zeitpunkt immer noch. Vasco habe nämlich ihre Worte abgewiesen, dass am Horizont das Wasser hinabfiele, denn die Welt wäre ja flach. Unser Kamerad und frischgebackener Pate unseres Sohnes war hingegen der Ansicht, dass da nichts herabfiele, sondern es rundherumfließe, da die Welt wie ein Apfel geformt wäre. Als sich bei der Nacherzählung wieder Spannung zwischen beiden aufbaute und in einem erneuten Streit zu münden drohte, zückte ich mein Zinnetiu und steckte mir erst einmal einen Krautstängel an. Hätte ich mich nicht beherrscht, auf meinem Lippen hätte sich ein breites Grinsen offenbart. Die beiden streitten um ein Thema, das gerade die Seeleute seit vielen Generationen umtrieb. An sich konnte es uns ja egal sein, wie die Götter die Welt geschaffen hatten, denn das hatten sie unumstößlich ja getan. Das war selbst uns im Pack klar, so wenig wir im Allgemeinen auch von der Glaubenswelt der Reiche hielten. Dessen zum trotz gab es immer wieder Navigatoren oder Kapitäne, die sich ausgiebig mit dem Thema befasst hatten: Flach, Rund.. oder keins von beidem?
Mir war die Dikussion gut bekannt, hatte ich sie ja schon in der Handelsmarine von den Offizieren mitbekommen und später, als ich zum Bootsmann auf der Toro de Muerte ernannt wurde, selbst intensiv aufgegriffen. Während sich meine gefährtin und Vasco noch kabbelten, begab ich mich an den rückwärtigen Tisch und suchte eine Karte aus dem dortigen Stoß heraus, die die Gefilde südlich Menek'urs aufzeigte. Sauber entrollt und glatt gestrichen, die Enden mit Gewichten beschwert auf dass sie nicht zurückrollten, stützte ich mich auf den Tisch, bis die beiden sich zu mir gesellt hatten.
Ich rauchte eine Weile mein kraut, bis mir die Kabbelei zu blöde wurde und ich kurzangebunden darauf hinwies, ob wir denn mit dem Thema fortfahren könnten. Wenn sie es schon klären wollten, dann richtig, da konnte man ihre Sticheleien gegeneinander nicht brauchen – das war einfach nur unprofessionell. Keiner von ihnen hatte eine nautische Ausbildung erhalten, wie also konnten sie Gewissheit haben?
Nach einem kurzen Plausch über die cabezianische Geschichte, die den gewollten Effekt erzielt hatte, nämlich dass Ruhe herrschte, legten wir los. Jacky dürfte die Diskussion eröffnen. Wenn vasco Recht mit seiner annahme habe, so argmentierte sie, msüsten wir ja sowohl auf der Ober- wie Unterseite der Welt herumstiefeln. Aber wieso fielen wir denn dann nicht herunter? Zur Veranschaulichung nahm sie sich einen Apfel vom Tisch und ließ eine ihrer aus dem Haar geflochtenen Perlen darauf zur Ruhe kommen: Oben blieb sie liegen, ansonsten fiel sie natürlich herunter. Vasco erbat sich unbeeindruckt den Apfel und stak kleine Fähnchen vom Kartentisch hinein, oben („Norden“) und unten („Süden“), indem er auf die Karte verwies. Jacky ließ ihn aber gar nicht erst den gedanken ausführen und wies darauf hin, dass man sie ja wohl kaum irgendwo hineinstecken könne, damit sie nicht herunterfiele. Langsam wurde es mir toll, so beschloss ich meine Beobachterposition aufzugeben und das aufgeflammte süffisante Lächeln aus meinem gesicht zu wischen. Es war schon schlimm genug, dass ich den oberlehrermäßigen Gesichtsausdruck nicht verbannen konnte. Das allein würde mir Jacky schon vorhalten. Damit wir nicht herunterfielen, gmeäß dem Fall, die Welt sei wie ein Apfel, dafür brauche es nicht unbedingt Magie, wie sie soeben vorgeschlagen hatten. Freilich war es nicht abwegig, bei all den unglaublichen Dingen, die Liedwirker Kraft des Lieds der Eluive hervorbrachten. Nichtsdestotrotz wollte ich es anders aufdröseln.



Was sah man, wenn man auf die See hinausblicke? Hinter dieser simplen Frage verbargen sich nicht alle, wenn auch viele Antworten, die ich in der Folge auseinandersetzte. Zu allererst war die Linie, die die Kimm bildete nicht gerade, sondern verlief in einem Bogen – jedem Menschen mit halbwegs Verstand war dadurch klar, dass die Welt schon einmal nicht flach wie eine Flunder war. Ferner konnte man, gerade als Seemann, noch eine lehrreiche Beobachtung anstellen: Nahten Schiffe in der Ferne, so sah man stets zuerst die Masten sich hinter der Kimm hervorschälen, bis zuletzt die ganzen Schiffe zum Vorschein kamen, je näher sie waren. Das implizierte folgerichtig, dass sie von ihrer Position aus niedriger lagen, als das eigene Schiff, was wiederum nur heißen konnte, dass wir auf keiner flachen Oberfläche lebten. Selbes Spiel mit Sonnenaufgang und -untergang.
Es war also, so fasste ich zusammen, allgemein sicher, dass die Welt keienswegs flach war, sondern mindestens gewölbt. Ob sie nun wirklich rund war oder nicht, war schwierig bis gar nicht zu beweisen, nichtsdestotrotz ar man schon vor langem dazu übergegangen, Karten auf dem runden Globus aufzubringen. Den letzten, definitiven Beweis gab es nicht. Nur eines war klar: Flach war sie nicht, die Welt. Wir beschlossen zum Abschluss der dikussion auf Vascos Vorschlag hin, das Gebiet nördlich der Insel Fuachtero einmal zu bereisen, dort gab es schier unendlich wirkendes, dickes Eis, einer Landschaft gleich. Vielleicht fanden sich dort Antworten.
Daraufhin wollte Vasco uns hinauskomplimenteren, das er noch Besorgungen auf dem Festland zu machen hatte. Jacky besann sich des „Drachen“ und schaltete postendend wieder auf stur; als wir mehr feixend als ernst meinten, dass wir sie an Händen und Füßen hinaustragen würden, war sie wie der Blitz vollgekleidet in Vascos großem Badezuber verschwunden. Mit schlimmen Vorahnungen folgte ich ihr zügig und fand sie schmollend und nur noch sturer vor. Das würde eine schwere Geburt werden. Jacky wies mich warnend darauf hin, mich zu unterstehen, ihr näher zu kommen; hätte sie mich dabei nicht „Jaron“ genannt, hätte ich gelacht und sie mir direkt aus dem Wasser gefischt. So zögerte ich jedoch erst einmal und verharrte an der obersten Stufe des Beckens. Jacky hatte soeben ihr Messer gezückt, jene diamantene Klinge, die ich ihr einmal geschenkt hatte – es erschien mir, als wäre es schon Äonen her. Eindeutig, sie meinte es ernst. Zwar war ich mir sicher, dass sie mich nicht verletzen würde, doch die Geste für sich alein reichte schon, um Vorsicht anzumahnen. Allzu schnell konnte versehentlich ein Schnitt oder Stich geschehen und hernach wäre das Geheule groß. Indem ich mich an der Mauer festhielt, lehnte ich mich mit ausgestrecktem Arm vor, Jacky meine hand anzubieten. Sie wich jedoch an die rückwärtige Wand zurück und zeigte sich nicht geneigt, einfach nachzugeben. Also doch schleppen. Nachdem ich mich versichert hatte, das vasco damit leben konte, dass seine Bude etwas nass werden könnte, hob ich meinen linken Fuss bis kurz über der Wasseroberfläche, nicht ohne vorher mein Zinntiu mit den Krautstängeln und alles andere, was wasserempfindlich war, aus der Hose genommen und zur Seite gelegt zu haben. So verharrte ich mit Blick auf Jacky, die mich eindringlich warten, es ja nicht zu wagen – mit Worten versuchte ich sie davon zu überzeugen, dass es sinnvoller wäre, mich nicht dazu zu zwingen. Meine Jacky wäre nicht meine Jacky gewesen, wenn es ihr nicht nur noch mehr Schimpfereien und Trotz entlockt hätte. Zielstrebig glitt ich ins Wasser und zum der Gasse zugewandten Fenster, um es ruckartig aufzureißen und Jacky zu fragen, wo denn da draußen bitte ein riesiger Drache Platz haben würde. Die gassen waren eng, die Hausschluchten tief. Da es nicht fruchtete, zog ich resigniert die Läden wieder zu und setzte Jacky, die mit dem Meser herumfuchtelte, als wolle sie Fliegen vertreiben, auseinander, dass es auf La Cabeza kein Drache ungeachtet aushalten würde. Wäre einer hier, hätte es schon längst Alarm gegeben, auf so einer kleien Insel fiel alles auf, was größer als eine Ratte war, doch nichts dergleichen war der Fall. Je weiter die irrige Diskussion lief, desto mehr verlor ich die mir sonst so eigene gleichmütige Ruhe, erste Anzeichen bemerkte ich bereits: Ich begann vermehrt zu fluchen und meine Stimme geriet in Unruhe.
Für Vasco war es jedenfalls wohl an der Zeit, seine Geschäfte zu erledigen und die Spaßecken hier hinter sich zu lassen, so gab er kund, dass er die Tür offen ließe, damit wir hinaus könnten. Dann ging er und ließ eine sture Jacky und einen zunehmend resignierten Jaron zurück. Als Vasco gegangen war, hielt ich Jacky eine kleine Standpauke, was ihr denn eigentlich einfiele, solch ein Theater in der Bude eines Kameraden? Jacky indes sprach mir von Drachen, meeresungeheuern und Äpfeln, von denen wir bald purzeln würden! Das Weib konnte einen manchmal wirklich marode machen. Seufzend zog ich eine Flasche Rum aus der durchweichten Umhängetasche und entkorkte sie, um einen tiefen chluck zu nehmen. Wenn etwas half, Ruhe zu bewahren und Kraut versagte, dann Rum. Erwartungsgemäß verloren Jacks Augen den panischen Glanz und machten etwas bekanntem Platz: Rumlust. Demzufolge streckte sie schon die Hand aus, nach der Rumflasche gierend. Das war ein Anfang, ich stierte von der Flasche zu ihr und dann einfach auf ihr Messer. Nach einigen Augenblicken hatte sie verstanden, worauf ich hinaus wollte, willfährig wurde sie jdoch nicht. Erst nach einem weiteren, extra langen und genüsslichen Schluck zeigte die „Folter“ endlich Wirkung. Sie ließ zumindest mit sich reden. Dass ich zu befürchten schien, dass sie mich abstehcen könne, überraschte sie ofrfenkundig ehrlich. Natürlich wusste ich, dass sie s nicht tun würde, doch da ging es ums Prinzip. Mit Messer fuchtelte man nicht vor er Nase anderer herum, wenn man ihnen nichts Böses wollte, es konnte mit Pech schief gehen - Messer waren scharf. Wir wurden jetzt lauter, ja, schrien schon beinahe. Während ich sie auf die Messerfuchtelei hinwies, machte sie mir klar, dass ich ihr meinen Willen nicht aufzwingen könne. Kurz darauf steckte Jacky das Messer von selbst weg und ich hielt ihr die Flasche hin, die sie aber abwies. Sie habe das Messer nicht deswegen weggesteckt, was mich beruhigte – schon hatten wir eine beinah leise Tonart angeschlagen, wohingegen von Einvernehmlichkeit bei Weitem noch nicht die Rede war. Gehen wollte sie immer noch nicht. Als Jacky erwähnte, dass sie nur gehen würde, wenn wir ihr den Kopf des Drachens lieferten, platze mir langsam der Kragen: Zum unzähligsten Male setze ich ihr auseinander, dass es auf Cabeza keine Drachen gebe und begann dazu lauthals und reichlich zu fluchen und wild herumzugestikulieren. Dún do bheal! Wie ich da im Becken hitzig auf und ab watete, sah ich Jacky aus dem Augenwinkel zusammenzucken. Es war, so glaube ich, dass erste Mal, dass ich sie wirklich anschrie und lauthals fluchte. Zugegeben: In dem Moment war ich auch so grantig, wie selten, so stur, wie sie war... es machte mich wahnsinnig. Rasch waren wir es beide, die wir uns gegenseitig förmlich niederbrüllten, rückten uns dabei so nah auf die Pelle, dass ich insgeheim doch froh war, dass sich das Messer in der Scheide befand. Unser beider Gesichter hatten im Streit eine gesunde rote Farbe bekommen, wie man sie von einschlägigem Geflügel kannte, und ich kam nicht umhin, trotz all der esignation obwegen ihrer Sturheit meine Gefährtin in ihrer Rage anziehend zu finden. Ich packte sie fest an den Schultern, was ihr ein kühles Zischen entrag, ich solle es ja nicht wagen, sie aus der Bude zu tragen! Da kletterte mit der Schalk schon wieder in den Nacken und verdrängte den Zorn. Mein Mund auf Höhe eines ihrer Ohren flüsterte ich, dass es mich nicht gräme, uns würde schon nicht der Himmel auf den Kopf fallen und ich geneigt wäre, es darauf ankommen zu lassen. An dieser Stelle lächelte ich in mich hinein, bis sich ein lautes Lachen meiner Kehle entrang, das gleichsam heiter, wie schadenfroh klang. Eine eigentümliche Vorfreude packte mich und durchfloss meine Adern siedend heiß, als ich die an der Wand in die Enge getriebene jacky um die Taille umfasste und hoch hob. Wie einen Seesack über die Schulter gelegt, eine Hand zur Stabilisation fest um ihre Kniebeugen gelegt, fand sie sich auf mir wieder. Ehe sie sich recht gefasst hatte. Ab da brach die Hölle über mich herein.
Lauthals kreischend und wie eine Furie herumzappelnd, in dem Bestreben, loszukommen, brachte sie mich auf dem Weg aus dem Becken nicht nur einmal beinahe zu Fall. Das war jedoch noch harmloses Vorspiel, denn noch ehe wir die Beckentreppe ganz hinter uns gelassen hatte, traf sie mich an der Nase und es sollten noch so manche Treffer im Gesicht, Hals und Oberkörper folgen. Als wir den Boden, der Schlaf- und Wohnbereich von vascos Bude trennte passierten, spielte ich kurzzeitig mit dem Gedanken, ihr einen Zusammenstoß mit dem Deckenblaken zu ermöglichen. Das erschien mir aber dann doch zu fies und so kamen wir gebeugt darunter hindurch – Jacky heil und kräftig wehrend, ich schon leidlich von Zähnen, Fingernägeln und Fäusten traktiert. Zu allem Übel kreischte sie oft genug direkt in meine Ohren, das war fast schlimmer, als das ohrenbetäubende Dröhnen in den unteren Kanonendecks während Feuergefechten. Auf dem rechten Ohr würde ich morgen wahrscheinlich eine Zeit lang taub sein! Endlich erreichten wir die Türe. Hier und da waren gegenstände von den Tischen oder Regalen geflalen, Hocker umgekippt... und eine lange Wasserspur ließ unseren Weg durch das Zimmer nachverfolgen. Meine Erleichterung, aus der Wohnung draußen zu sein, erhielt einen Dämpfer, als es mitten in der Tür nicht weiterging. Jacky hatte sich mit den Beinen an den Türrahmen gestemmt und versuchte mit aller Macht, mich zu stoppen. Nur mit Mühe gelang es mir, der mir mein Gesicht von all den Kratzern wie Feuer brannte, ihre Beine zu lösen und ins Treppenhaus hinaus zu kommen. Die Treppen waren das nächste Hindernis. Wir wären manches Mal beinahe gestürzt, als Jacky sich an den Geländern festkrallte oder zappelnd und kreischend verlangte, heruntergelassen zu werden. Und überhaupt, der Drache sei doch da draußen! Die Obstauslagen von Carletta im Erdgeschoss hatten noch unter uns zu leiden, ehe wir an der Eingangstür des Hauses ankamen. Jacky verließ der Mut und die Gegenwehr verstummte für den Augenblick, nur um umso hitziger aufzuflammen, als wir draußen in der Gosse waren. Der Barbier Pedro, der seinen Laden im Erdgeschoss unseres Hauses hatte, sah uns reichlich befremdlich an, als wir so hereinkamen und die Treppen hinauf stiefelten. Sei's drum, was der Kerl sich dachte, ich wollte nur noch so schnell wie möglich ins Krähennest, damit die Tortur ein Ende hatte. Oben angekommen, stieß ich die Tür ganz nach Manier Jackys mit dem Fuß auf und lud meine geliebte Furie auf unserer Schlafstätte vorm Kamin ab, nur, um selbst wie ein nasser Sack hineinzufallen, kaum dass ich von der Last befreit war. Nicht, dass Jacky besonders schwer gewesen wäre, der Klabauermann bewahre, doch mein Leib fühlte sich wie gerädert an. Mein Hemd hing in Fetzen herunter und von den Schmerzen im gesicht her schien es mir, als würde das auf meine Visage auch zutreffen. Aufgesetzt fing ich abrup an zu lachen – ein befreiendes, ehrliches Lachen, so dass aller Rest von Wut und Zorn von mir abfielen. Vielleicht war das ein Fehler gewesen, denn ich hatte kaum aufgehört damit, als Jacky wie eine Furie auf mich zugestürmt war und mir einen kräftigen Fausthieb aufs rechte auge verpsst hatte. So überraschend kam er, dass ich nicht einmal die Hände wehrend heben konnte und mein Kopf wie von einem Troll getroffen nach hinten klappte. KLATSCH! Das klang schon so vertraut ekelhaft, dass mir klar war, in nächster Zeit erst einmal einäugig heurmlaufen zu dürfen. Da hatte ich meinen Himmel, der über mir zusammenbrach, sozusagen. Einige Male schüttelte ich dne Kopf, um meine Sinne zu klären und betastete dann immer noch überrascht mit spitzen Fingern mein Auge, es wurde schon dick – das ging fix! Jacky indes war wohl von sich selbst ziemlich überrascht und lächelte mich schief an. Unvermittelt griff ich nach ihren Handgelenken und zog sie neben mich auf die Kissen, nur um die Distanz zwischen uns zu überbrücken ihr einen wilden, langen Kuss zu geben. Das Feuer, das mir durch die Adern geflossen war, als ich sie in Vascos Bude hochgehoben hatte, war jetzt umso brodelnder. Wen interessierten die Kratzer, blauen Flecken und das Veilchen schon? Zuerst war Jack noch daran gelegen, mir weitere Knuffe und meinem Hemd weitere Risse zu verpassen, bis sie sich in die Liebkosungen einfand und erwiderte. Plötzlich kam Jacky der kleine Esteban in den Sinn, wo er denn wäre? Zugegeben, ich hatte eigentlich anderes im Sinn gehabt, als unseren Sohn abzuholen, aber ich wusste schon in dem Moment, da Jacky regelrecht panisch aufsrpang, dass ich das Kapitel wohl vorerst schließen müsste. Blut abkühlen, Junge... So erhob ich mich desgleichen und folgte ihr, die sie schon losstürmte, hinaus vor die Türe. Wir shclugen den Weg in Richtung Minfays Bordell ein, denn dort hatten wir Esteban wieder mal für den Nachmittag Minfay zum Aufpassen überlassen. Der kleine Mann wurde dort von Minfay und ihren Mädchen wie ein Prinz umsorgt und gehätschelt. Irgendein kluger Kopf hatte das mal „Kindchenschema“ gerufen – absurd.
Wir fanden Esteban in minfays Gemach vor, in dem wir auf Jacks Bitten und Minfays Erlaubnis hin letztlich auch übernachten dürften. Jacky wollte nicht mehr hinaus, da es schon dunkel wurde und das Schreckgespenst Drache noch nicht ganz aus ihrem Kopf verbannt war. Nachdem für Esteban gesorgt und der Brösel eingeschlafen war, hatten wir es uns auf dem Bett gemütlich gemacht und quatschen bis tief in die Nacht über alles und nichts. Das meiste davon irrsinniges Zeug, besonders eines blieb mir im Gedächtnis: Wir waren ins gespräch drüber gekommen, weshalb manche männer keine Brustbehaarung hatten und anere dagegen schon. Mir war das an sich gleichgültig... es war halt so, wie es die Götter schufen, nicht? Ob da nun Haare sprießen oder nicht, was solls? Jacky dagegen hatte mal von einem neunmalklugen Bücherwurm, der sicher schon längst wegen Blasphemie verbrannt worden ist, aufgeschnappt, dass solche Dinge verirgendwas würden. Eine absurde Theorie, die auch sie nicht wirklich erklären konnte, außer damit, dass man oft so aussah wie der Vater und der wie dessen vater und so weiter. War halt so, wen interessierte das? Jedem war bekannt, dass es Eluives Lied war, das Leben verhieß. Jedenfalls fand ich diese ganze Vererbsungstheorie, denn irgendwas mit Erbsen war da auch in der Luft, reichlich spektakulär und ziemlich blödsinnig. Als würden aus einer Erbse andere herausspringen, die auf einmal rot statt grün wären und rufen „Hey, hier bin ich!“. Lächerlich.
Später kuschelten wir uns eng aneinander und wussten den tiefschlafenden Esteban zu schätzen.
Mir war es nur recht, denn das reich ausgestattete Zimmer Minfays hatte das richtige Flair – ganz besonders das große Himmelbett. Dass es bei jeder noch so kleinen Bewegung queitschte, tat da keinen Abbruch, eher im Gegenteil.



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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

"Krieg, Handel und Piraterie,/Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
Mephistopheles, Faust II
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 19 März 2011 16:24    Titel: Episode 31 – mo shíorghrá...
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Episode 31 – mo shíorghrá...

19. Lenzing 254
Auf La Cabeza



Der Tag nach dem Nebelfest war emsig und arbeitsreich. Es mussten nicht nur unzählige, überall herumliegende Masken eingesammelt werden, die die Landratten achtlos hatten liegen lassen. Besonders die Bühne nahm den ganzen Vormittag in Anspruch, musste sie doch sorgfältig abgebaut und die Bauteile eingelagert werden – für das nächste Jahr. So ging es Jahrein, Jahraus. Und trotzallem wurde es nie langweilig, denn das Theaterstück zu „Ehren“ des Schamanen, der uns den Nebelfluch gebracht hatte, war stets auf's Neue spannend und fesselnd. Auf feste Drehbücher pfiffen wir nämlich und hielten die Fahne der Improvisation aufrecht in die Welt. Das begeisterte Publikum gab uns – dieses Jahr waren es Roberto als Perera, Jane als Statistin, meine Wenigkeit als Maat und zuletzt, wie jedes Jahr der Affe als Schamane – auch dieses Mal Recht.
Ich musste bei der Erinnerung an gestern lächeln, Jacky war bei dem Stück regelrecht aufgegangen. Wenn sie sich freute, war sie umso hübscher, wenn dies denn überhaupt ging...
Im Laufe des Nachmittags waren sämtliche Aufrämarbeiten erledigt und ich sah mich nach meiner Gefährtin um, die ich bei der Schufterei vermisst hatte. Auf dem Rundgang über die Insel begab ich mich zu all jenen Plätzen, die wir gerne mochten – die Leuchttürme, den Strand mit dem kristallklaren Wasser... ja, selbst im Krähennest oder bei Ambrosio traf ich sie nicht an. Sie war wohl wieder auf einer ihrer Wanderschaften, sagte ich mir und zählte innerlich bis zehn, um den leis' aufkeimenden Zweifel niederzukämpfen. Das hatten wir doch schon vor einigen Monden durchgekaut.. so kam es, dass ich den restlichen Tagzusmamen mit unserem Sohn Esteban am Strand zubrachte: Während er planschte und mit Krabben spielte, genoß ich die warme cabezianische Sonne und die gleungene Ablenkung von meinen Zweifeln.

Als die untergehende Sonne die Kimm in Purpur einfärbte, gingen wir nach Hause, ins Krähennest. Die väterlichen Pflichten riefen, indem ich den Kleinen fütterte und wusch, ehe ich ihn, der er schon totmüde war, zu Bett brachte. Lange noch saß ich im Schneidersitz neben ihm und betrachtete ihn, auch noch, als er längst schlief. In ihm floß das Blut von Jacky und mir, was auch immer sein würde... in ihm lebten wir fort. Irgendwann, es mochte sich schon zwei Glasen der Hundswache nähern, setzte ich mich vors knisternde Kaminfeuer und ließ mir meinen Rücken davon wärmen. Die Wasserpfeife, die wir neben dem Kamin aufgestellt hatten, war bald gestopft und angezündet und so rauchte ich den Abend über ein Gemisch aus Tabak und Kraut, während ich meinen Gedanken nachhing. Später, ich weiß nicht genau, wann, vernahm ich das Knarzen der Bodendielen im Eingangsbereich. Als ich den Blick dorthin hob, sah ich meine Gefährtin an der Säule im Raum lehnen und begrüßte sie mit einem sachten Kopftippen und warmem Lächeln. Freilichwar ich, wie so oft, wenn sie mich regelrecht zu meiden schien, as in den letzten Wochen omnipräsent geworden, reichlich missgestimmt. Nur.. man muss ja nicht alles auf der Zunge tragen, nicht wahr? Also taxierte ich die so ungewöhnlich leise eingetretene, etwas bleiche Jacky und schluckte meine zynische Bemerkung ihres späten Heimkommens wegen hinunter, lud sie vielmehr zu einer Runde Wasserpfeife ein. Erwartungsgemäß lehnte sie ab, denn die Drachen (der geneigte Leser wird sich ihrer noch erinnern) spuckten ihr noch immer im Kopf herum. Nachdem sie ihren Umhang hatte eifnach zu Boden fallen lassen, gesellte sie sich zu mir in die Kisen und ich begrüßte sie mit ausgestreckter Hand. Sie ließ die ihre in die meine gleiten, ja, presste sie so fest an sich, dass ihr Gesichtsausdruck, der Sorge und irgendwie.. Schuld in sich trug, mein Herz einmal aussetzen ließ.

Ich wandte mich ihr gänzlich zu, rückte näher auf zu ihr, so dass wir uns direkt gegenüber saßen, Aug in Aug. Ob alles in Ordnung wäre, wäre gar etwas passiert? So fragte ich... und da begann sie zu erzählen. Sie war heute beim Fischen gewesen – das war jetzt wirklich nicht ungewähnlich – und hatte dabei eine Kiste herausgezogen, in der ein merkwürdiger Ring gewesen war. Sie hob ihre rechte Hand und ließ mich den Ring sehen, er war von schöner, ja nahezu verführerischer Machart und trug eine Gravur in alatarischer Umschrift, welche mir nicht geläufig war. Sie hätte ihn verkaufen, doch zuvor selber ausprobieren wollen, erzählte Jacky weiter, doch als sie ihn angelegt hatte, wäre er nicht mehr vom Finger gegangen. Er wäre verflucht, meinte sie.. und als sie ihn angelegt habe, wäre der Ring, den ich ihr einst geschenkt hatte, zu Boden gefallen. Als ich das Wort „verflucht“ überrissen hatte, zog ich meinen Kopf abrupt zurück und zog mein Amulettgehänge unterm Hemd hervor. Verdammte Scheiße! Jacky hatte auch immer etwas übrig für besondere Auftritte! Wie zur Demonstration zog sie „unseren“ Ring aus der Tasche und versuchte ihn aufzustecken, doch er wurde wie von Zauberhand fort und zu Boden geschleudert, von wo sie ihn hastig wieder aufhob. Jetzt wurde Jacky umso nervöser und niedergeschlagener, als zuvor ohnehin schon und die Sorge wischte miene kuriose Neugier des Rings wegen wieder fort. Irgendetwas war los... nur was?

Der Ring, so sprach sie mit zitternder Stimme, wäre nur das Tüpfelchen auf dem Kirschkuchen, während sie meine Hand, in der immer noch die ihre fest umschlungen lag, an ihr Herz presste. Das meine setzte wieder einmal aus, doch ich schaffte es, nach außen hin ein aufmunterndes Lächeln zu zeigen, aus dem ich eine Spur Irritation aber nicht zu bannen vermochte. Sie rückte zu mir auf und schmiegte sich an mich, so dass ich sie fest in die Arme schloß und beruhigende Worte in ihr Ohr flüsterte. In leisen, zaghaften Worten fragte sie mich, ob ich denn wisse, dass ich ihr viel bedeute, dass es nie aufhören werde – mein Herz schlug mir plötzlich bis zum Hals, als ich ihr ebenso leise antworte, dass ich ihr natürlich glaubte. Und überhaupt, was sollte diese Frage? Tief in meinem Inneren wußte ich es zu dem Zeitpunkt schon, ja... Hand aufs Herz, ich hatte schon seit langer Zeit gefürchtet, dass es so kommen würde. An jenem Abend aber wollte, konnte ich es mir noch nicht eingestehen. Jacky sah zu mir auf, ihr Antlitz ein Spiegel von Sorge, in ihren Augen schillerndes Schimmern aufkeimender Tränen. Meine stille Frage wurde beantwortet, denn sie stellte mir in Aussicht, dass ich es nur wissen solle, da ich sie in den nächsten Augenblicken wohl hassen würde.
Umso dichter schmiegte sie sich jetzt an mich, ein heftiges Zittern ging jetzt durch ihren Leib, was mich sie nur umso protektorischer in den Armen halten ließ. Ich war ein Narr, klammerte mich zu dme Zeitpunkt noch an die leieste Spur von Hoffnung – dabei war es doch schon verloren. Blind.. oder mehr gewollt blind dafür raunte ihr ihr stattdessen die Versicherung ins Ohr, dass ich sie nie hassen könne. Jacky zog eine neben uns stehende Rumflasche zu sich und trank tiefe Schlucke davon, ehe sie sich an mich weiterreichte, mit der Bitte, es ihr gleichzutun. Diese Geste hatte etwas feierliches, offizielles. An jenem Abend wollte ich es zu dem Zeitpunkt noch nicht wahrhaben... doch das sollte sich rasch ändern.
Sie liebe mich, doch es wäre etwas geschehen.. hauchte sie mit mehrmals fast versagender Stimme, wie wir uns da in den Armen lagen. Das Lächeln, das sich bei der ersten Satzhälfte auf meine Lippen gestohlen hatte, gefor bei der zweiten. Ich sah sie mit in stiller Frage gehobenen Augenbrauen an, in meinen Augen mischte sich zu der ehedemen Zuneigung ein Anflug leiser Ahnung. Jacky konnte mir nur kurz in die Augen blicken, ehe sie verschämt dne Kopf abwandte und fortfuhr, dass sie nicht wisse, wie sie es mir sagen solle, indem sie sich nahezu verzweifelt an mich schmiegte. Sanft und mit einer Ruhe, die ich so gar nich in mir verspürte, stahl sich doch ein latenter dumpfer Schmerz in meine Brust, berührte ich ihr Kinn mit meiner Rechten, um sie dazu zu bewegen, mich wieder anzublicken. Was ich da in ihren tränenreichen Augen und ihrem ebenmäßigen, von Trauer bleichen Gesicht erkannte, ließ mich die von Vorahnung schwangeren Worte hauchen... nur zwei Stück, deren ich so viel Bedeutung beimaß: „Mo críde?“

Sie erwiderte meinen still fragenden Blick und nickte langsam, unfähig zu Worten. Worte brauchte es auch nicht.
Da war es mir, als griffe eine kalte Klauenhand nach meinem Herzen und presse es zusammen, der dumpfe Schmerz in meiner Brust nahm überhand. Ich bemerkte, wie es in meiner Mimik unruhig wurde, heiß.. und so legte ich meinen Kopf mit der Wange an den ihren, da ich nicht wollte, dass sie es sah. Es sei, als wäre er Herz gespalten.. raunte sie heiser.. ein zitterndes, weinendes Bündel in meinen Armen. Und weiß der Klabautermann... mir ging es wahrhaftig nicht besser.. plötzlich war alles reichlich unscharf in der Umgebung des Zimmers.. wie glühende Dolche schoß es mir in die Brust.
Wir hielten uns eng umschlossen, als wüßten wir, dass es vielleicht das letzte Mal sein würde.. und Jackys Worte, ich möge sie noch etwas länger halten, machten es nicht besser. Ungehindert floßen uns die Tränen die Wangen hinab, begossen die an uns nagende Verzweiflung reichlich. Ich wollte ihr versichern, ihr sagen, dass ich es ewig würde, wenn sie es nur wolle... doch schon nach dem ersten Wort versagte mir die Stimme. Da vergrub Jacky ihre Rechte in meinem Haar und brachte mich mit asanfter Gewalt dazu, sie anzusehen. Unser beider Augen mochten einen ziemlich verquollenen Eindruck machen: Von den vielen Tränen gerötet und schimmernd, in sich Verzweiflung und Trauer tragend. Als sie jetzt mit ihren Fingern die Konturen meines Gesichts nachfuhr, mochte ich einen liebevollen Ausdruck in ihren Augen erkennen und konnte dem Drang nicht widerstehen, mich in ihre Hand hineinzulehnen. Der dumpfe Schmerz in meiner Brust wurde davon nur verstärkt..doch ich konnte nicht anders. Suchte, ja sehnte mich nach dieser Berührung. Mehr, als je zuvor. Sie verfluchte unser Geschick... denn sie habe es nie so gewollt, ihre Stimme bröckelte dabei und ich schenkte ihr den kläglisten Versuch eines einsilbigen Lachens, in das ich nur Leid und Freudlosigkeit bringen konnte. Ich sah ihr forschend in die Augen, während sie mir gestand, dass sie mich wirklich, wahrhaftig mit all ihrer Seele liebe, doch... - mehr konnte sie nicht aussprechen, und das brauchte sie auch nicht. Denn mittlerweile hatte ich mir eingestanden, was ich schon seit so langer Zeit geahnt hatte. Vasco.

Jacky versenkte ihre eine Hand in meinem Haar, während sie weiter mit der anderen mein Gesicht liebkoste. Jetzt, da ich mir die Erkenntnis eingestanden hatte, die ich schon so lange in mir verschlossen getragen, wogte das Leid durch meinen Leib wie glühendes Feuer. Fahrig suchte ich eine von Jackys beperlten Haarsträhnen und spielte damit, so wie ich es oft getan hatte... und es schenkte mir die Spur von Courage und Mut, die ich für die nächsten Worte brauchte. Sie kämpfe schon lange damit, fragte ich sie mit leiser, so ungewöhnlich brüchiger Stimme und sie bestätigte es mir, indem sie direkt im Anschluss fragte, woher ich es wisse. Ich schluckte schwer und sah Jacky, die den Blick nicht von mir nehmen konnte, in die Augen. Unwillkürlich fasste ich mir an die Nase, eine Macke, die ich gerade in solchen Momenten wie jenen nicht ablegen konnte, ehe ich mir ein Herz nahm: Ich wäre nicht blind, dazu sprach ich sie mit ihrem Kosenamen an.. „mo críde – mein Herz“... und lächelte ich ein trauriges Lächeln. Sie sank noch mehr in sich zusammen, als sie mich leise fragte, ob ich ihn – gemeint ist also Vasco – denn nun umbringen wolle. Sanft drückte ich ihre Hand fester, als könne sie damit beruhigen, während ich einen heftigen inneren Kampf mit mir focht. Ich würde ihn kaum dafür umbringen, dass er eine so liebenswerte Frau wie sie, Jacky, ins Herz geschlossen habe. Und das stimmte.. ich liebte meine Gefährtin, ja.. war ihr verfallen.. wie hätte ich da verneinen sollen, dass auch andere ihr verfallen könnten? So sehr es mein Innerstes auch umdrehte..
Vielmehr, so sprach ich mit festerer Stimme als zuvor, in der Wut und Enttäuschung mitschwang, dass ich ihn allein deswegen umbringen wolle, weil er mich, seinen Bootsmann und Vater seines Patenkindes, so einfach hintergangen habe. Jacky verneinte es zwar und beschwor mich, dass sie es mir jetzt sage, damit es eben nicht hinter meinem Rücken geschehe, doch für mich stand es fest. Ich hatte Wochen, ja Monate zugesehen, wie sie und Vasco immer öfter beismamenhingen, ja, ich konnte nur ahnen, dass sie auch viele Nächte zusmamen unterwegs gewesen waren. Liebe entstand nicht von einem Tag auf den anderen... das konnten sie mir nicht weißmachen. Wahrlich, ich fühlte mich hintergangen und es schmerzte beinah noch mehr, als alles andere. Jacky gegenüber sagte ich freilich nichts dergleichen, in dem Moment nicht fähig zu Worten, die auszusprechen mir der glühende Schmerz in meiner Brust verwehrte. Stille Tränen rannen mir die Wangen hinab und ich hasste es, hasste in dem Moment mich selbst, Vasco und sogar Jacky, verfluchte den Tag, an dem wir uns vor Tirell trafen. Alles im Stillen, während ich mich dem über mich flutenden Schmerz und Leid überließ. Schnell kämpfte ich den Sinneswandel nieder, denn beim Klabautermann... wie sollte ich meine Jacky je hassen können? Es war eine verfluchte Krux, aus der ich nicht herauskam. Am liebsten wäre ich wohl damals, an jenem Abend vom Blitz getroffen worden. Doch das wäre selbstsüchtig gewesen... besonders unserem gemeinsamen Sohn gegenüber. So fand ich schließlich, wie wir uns da in den Armen lagen den Weg fort vom zerfressenden Hass hin zur Schwermut.
„Is glas na cnoic i bhfad uait.. mo críde..“ („Die Berge in der Ferne sind stets grüner.. mein Herz..“)
Jene Worten in der melodischen Sprache des Westens, die ich häufig im Zusammenhang mit Jacky benutzte, kamen mir leise, von Schwermut gezeichnet über die Lippen.. und indes drückte ich Jacky sanft an mich, als würde ich ihr dadurch näher sein können, als ohnehin schon. Als Jacky fragte, was das heiße eröffnete ich es ihr mit einem flüchtigen, traurigen Lächeln. Daraufhin sah sie mich auf eine Weise an, dass mein Herz einen Sprung tat und legte ihren Lippen zu einem zarten, süßen Kuss auf die meinen. Im ersten Moment kam ich nicht umhin, steif und abweisend zu sein, doch dann konnte ich nicht mehr an mir halten und lehnte mich wohlig, fordernd in den innigen Kuss hinein. Wir liebkosten uns gerade sanft dazu, eng aneinander geschmiegt, als ein leises Aufjammern des nahebei schlafenden Esteban uns den Kuss lösen ließ. Bedauernd stach in meine Brust, so sahen wir zu unserem Sohn hinüber, der aber wohlig weiterschlief – er träumte wohl. Das war gut.. denn er sollte von all dem nichts mitbekommen. Ich dankte den Wassergeistern im stillen, dass er noch zu jung war, um es zu verstehen. Wieder die Blicke voneinander gesucht, streichelte Jacky mir erneut zart über das Gesicht und sah mich dabei an, als wolle sie sich alles einprügen. Ich schluckte schwer, als ich mich mit geschlossenen Augen in diese Berührung hineinlehnte. Mochte es die letzte Liebkosung sein, die wir in unserme Leben austauschen würden? Allein der Gedanke daran schnürte mir die Kehle zu.
Plötzlich schlug ich meine Augen auf und ergriff ihre Hand, an der das kalte Metall des Rings jetzt fehlte, wie mir erst nach einer Weile aufgegangen war. Und tatsächlich, der vermeintlich verfluchte Ring stak nicht mehr auf ihrem Finger, sondern lag auf den Fellen. War es ein Zeichen.. und wenn ja, was bedeute es? Das war mir, der ich zu Anfang noch Neugier verspürte, allzu rasch gleichgültig, denn Jacky rappelte sich unvermittelt auf, nachdem ich sie, die sie es negiert hatte, als meinen „sicheren Hafen“ bezeichnet hatte... in Anspielung auf unser beider Ringe. Es hatte sie nur zum Weinen gebracht, ja.. sie wand sich schwer, das sah ich. Und weißgott.. es war mir, als risse man mir ein Teil meiner selbst heraus, als sie jetzt aufsprang. So griff ich nach ihren Händen, hielt sie zurück und rief flehentlich und laut ein „Nein!“ in den Raum hinein. Leiser, aber nicht weniger flehentlich bat ich sie dann darum, mich nicht allein zu lassen, ja.. in meinen geröteten Augen stand pure Furcht, Flehen, Klagen. Ich wollte von unserer gemeinsamen Zukunft auf La Cabeza sprechen, die wir uns doch so bunt und paradiesisch damals im Rahaler Hafenviertel ausgemalt hatten, von unserem Sohn Esteban... dem Krähennest.. doch vergebens. Sie müsse das einfach tun, raunte sie mir ins Ohr, als sie mich umarmte, eine Geste, die ich umso fester erwiderte, als mir das Absolute an ihren Worten aufging. Wir versichertne uns in leisen, tränenreichen Worten, dass wir uns stets den Hals retten würden, egal, was jetzt war und sein würde... die Angst, der unbändige Schmerz, sie zu verlieren, wurde davon jedoch nicht besser. Kurz keimte eine ferne Hoffnung in mir auf, als sie mich fragte, was wäre, wenn sie einen Fehler beging. Unter gegenseitigen Liebesbekundungen versicherte ich ihr.. wenn es dazu käme... ich würde auf sie warten, mich nicht vor ihr verschließen.
Was, so wird der mitfühlende Leser vielleicht ahnen, sich nicht auf Vasco bezog, mit dem ich noch ein Hühnchen rumpfen würde.
Jacky zeigte sich überrascht, dass ich sie nicht hasste – nein, wahrlich.. hassen? Nein... enttäuscht traf es besser -, sie nicht verstieß und sank noch eine Spur mehr in sich zusammen. Denn jetzt kam es zu einem neuralgischen Punkt: Unserem Sohn Esteban. Wir beschlossen sofort und einhellig, dass wir ihn zusammen großziehen würden, dass wir beiden seine Eltern bleiben würden. All das hatte mit ihm nichts zu tun... es wäre nicht rechtens gewesen, ihn darunter leiden zu lassen.
So beschlossen wir, es wie bisher laufen zu lassen... mit der Änderung eben, dass wir nun getrennt wären. Ich weigerte mich zu dem Zeitpunkt noch immer, das Wort auszusprechen, konnte es nicht. Doch es entsprach der Tatsache.
Auf ihr flehentliches Bitten hin küssten wir uns noch ein letztes Mal, ehe sie das problematische beim Namen nannte: Sie liebte uns beide. Vasco wie auch mich - doch mich...ewig. Das erklärte einiges...und machte es gleichermaßen nur umso schwerer. Dann stand sie auf, mit den Worten, sie wolle sich besaufen. Da stand sie unschlüssig, wie wir noch wenige Worte tauschen.. nur, um sich erneut zu setzen, ihr fiel es sichtlich nicht gerade leichter als mir: Ob sie denn heute Nacht noch einmal bleiben könne.. nur noch heute. Mir brach die Stimme, als ich das begrüßte und so betteten wir uns nahe bei unserem Sohn Esteban, eng aneinander geschmiegt, die Felle über uns gezogen – wie früher. Im Westen sagen sie „Liebe, als ob du nie verletzt würdest.“ Und so war es auch, ich liebte Jacky aus vollem Herzen... und würde es wohl mein Leben lang. Wir scherzten, traurig und froh, einander nahe zu sein, darüber... ob ich der einzige wäre, der sie wahrhaftig und wirklich liebe.. und sie, die irre Jacky, sei so idiotisch mich zu verlassen..
Als wir da beisammen lagen, sang Jacky beinah flüsternd ein Lied:

„Du träumst mich, ich Dich, keine Angst,
ich weck dich nicht,
bevor du nicht von selbst erwachst.

Wir haben uns im Traum verpasst,
bitte, bitte weck mich nicht,
solang ich träum nur gibt es dich.

Am Halbschlaffittchen pack ich dich und ziehe dich zu mir,
denn du träumst mich ich dich, ich träum dich, du mich.
Wir träumen uns beide wach...

Vergiss nie .. ich finde dich wieder... oder du mich“


Leise Worte und Küsse im Dunkel der Nacht.



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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

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 Beitrag Verfasst am: 25 März 2011 19:34    Titel: Episode 32 - Musik der Seele
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Episode 32 – Musik der Seele

24. Lenzing 254
Auf La Cabeza



Saufabende hatten ja üblicherweise eine sehr derbe und … alkohollastige Note.
Wenn ich ehrlich bin, hatte ich damit beim Weinkeller-Abend, den meine Cousine Noemi an jenem 24. Lenzing zu veranstalten gedachte nicht gerechnet. So war ich mit geringen Erwartungen die Treppe in diese sich so sehr von der üblichen cabezianischen Nachtwelt unterscheidende Einrichtung hinabstiegen.
Waren Ambrosios Spelunke und all die kleinen ''privaten'' Raucher- und Glücksspielzimmer, die es an jeder Ecke im Hafen gab wunderbar rauchig, dreckig und duster – kurzum: Gemütlich – so war der Weinkeller Noemis das genaue Gegenteil davon. Sauber bis aufs letzte Staubkorn, edle Teppiche allenthalben, stets gut gepflegtes Mobiliar samt Blumen und dem ganzen Schnickschnack. Und es gab eine einzige person, die sich dafür verantwortlich zeigte: Meine Cousine. Dass ich mir manchmal wünschte, sie wäre etwas mehr... nun ja, wie wir eben, wie das verfluchte Pack des Käptns eben! Jedoch hatte ich insgeheim schon damit abgeschlossen und schob meinem Onkel die Schuld in die Schuhe... sie war zu lange unter dessen Knute, da war es nicht verwunderlich, dass sie Ilbert ein wenig ähnelte.
Jener Weinkeller-Abend ließ sich nach einigen Stunden des Zechens von verschiedenen Rum-Sorten und Obstlern, die Noemi auf's Haus gehen ließ (Ambrosio würde kochen vor Wut!) als angenehm, ohne größere Überraschungen zusammenfassen. Man hatte die künstlerische Befähigung eines Mitglieds der Elstern, Suesann, begutachten dürfen und beim Klabautermann: Ich glaube, dieses Fräulein hat es mir abgekauft, dass ich ihr Bild tatsächlich gut gefunden hätte. Als ob ICH Ahnung von Kunst hätte! Ha! Gerechterweise muss man hier anfügen, dass Noemi äußerst zufrieden mit dem in Auftrag gegebenen Selbstportrait war. Eine gewisse Ähnlichkeit hatte es auch, zugegeben. Angenehm war auch Diegos Anfrage, ob er denn grundsätzlich bei uns an Bord anheuern könne. Der Junge war beim fahrenden Volk aufgewachsen und dahingehend jemand von uns: Ein durchtriebener, spitzfindiger Gesetzloser, der bei uns sicher Fuß fassen konnte. Allerdings wollte ich darüber noch mit dem Kätpn sprechen, zur Zeit hatten wir eine gute Mannschaftsbilanz, da lag es mir fern, auf eigene Initiative Mannschaften zu shanghaien, wie ich es sonst tat.
Indes weniger angenehm war das Aufkreuzen von Vasco. Fürwahr, Jack war wieder zu mir zurückgekehrt, kaum dass wir uns dessen, was die Trennung bedeutete, wirklich bewusst geworden waren. Ihr machte ich auch keine Vorwürfe – trotz des Eids, den ich geleistet hatte, sah das bei Vasco hingegen anders aus. An jenem Abend kam er bereits angetrunken an, hatte offensichtlich vorgeglüht und ich musste mit dem Schlimmsten rechnen. Ein offener Zusammenstoß blieb überraschenderweise aus: Nie hätte ich von mir aus damit begonnen, hätte ich doch sonst den Schwur gefährdet, ihn nicht zu töten... nur, wenn er mich einmal angriff..? Dann war es ja Verteidigung...
Wie schon gesagt – es blieb ruhig. Aus einer Laune heraus hatte ich dem Vasco sogar Tags zuvor, als ich ihn in seiner neuen Bude beim Zollmeister aufgesucht hatte – auf La Cabeza srach sich alles herum – das Angebot gemacht, ihm das Schießen beizubringen. Friedensangebot oder Irrsinn? Zu dem Zeitpunkt erschien mir beides gleichermaßen denkbar.
Der Grund, weshalb wir beiden uns immer noch wie blutdürstende Hunde umschlichen, lag ein paar Tage zurück am 21. Lenzing und begann mit einer Mehlwolke.

An jenem Tag hatte ich mich dazu durchringen müssen, aufzustehen. Der Grund dafür hieß Jacky und hatte mir eine Sturmfahrt von Tief- und Hochgefühlen verpasst, seitdem wir uns kannten... doch besonders in den letzten Tagen. Trennung. Das Wort schwebte dieser Tage wie ein Beil ständig über meinem Nacken. Ausgesprochen und gedacht, doch zur Gänze in die Tat umsetzen? Das hatten wir nur kaum ein, zwei Tage geschafft. Waren unsere beider Schicksale so eng verwoben? Gab es Fügung? Seeleute wie ich wussten natürlich, das nichts ohne Sinn und Zweck geschah. Alles hatte einen tieferen Sinn. Auch, wenn man ihn manchmal ernstlich suchen musste.
Ein ausgiebiger Aufenthalt auf den cabezianischen Plantagen, der mit reichlich Bananen-Ausbeute von den Feldarbeitern gedankt wurde, kehrte ich am späten Nachmittag zurück ins Krähennest. Ich war guter Dinge und so trällerte ich ein Seemannslied, als ich die Eingangschwelle überschritt und die Tür hinter mir ins Schloss fallen ließ. Jack begrüßte mich mit leiser Skepsis meiner zur Schau getragenen guten Laune wegen in der Stimme. Also berichtete ich ihr von der guten Ernte unserer Arbeiter und begann demonstrativ, die große Staude, die ich abgestaubt hatte, von ihren Früchten zu befreien. Für Estebans Rumsuppe, bestätigte ich Jacks Frage hierzu. Die abgepflückte Staude flog in hohem Bogen aus dem Fenster in die Gosse, was meiner Gaunerin eine süffisante Bemerkung bezüglich unseres Nachbarn entlockte.
Im Folgenden entspann sich ein Gespräch über den damaligen wunden Punkt: Vasco und der Umstand, dass ich ihn noch nicht umgebracht hätte. Überhaupt... das Gespräch, das sich zuerst in eine Richtung entwickelte, die mir nicht gefiel (den Matrosen Vasco bestmöglich zu meiden, war in der Tat für den Bootsmann unsinnig, wenn nicht gar unmöglich), änderte sich das schlagartig und... mit eingangs erwähnter Mehlwolke. Jack hatte gerade einen Mehlsack aus einem der Lagerfässer schwungvoll zu Boden befördert und eine große Mehlwolke in den Raum entsandt, die mir reizvoll in die Nase stieg, als sie mich leise und beinah wie nebenher fragte. Fragte, ob ich es mich besänftigen würde, wenn sie mich heiraten würde, mit allem, was dazu gehörte.
Am liebsten wäre ich in dem Moment aus meiner Haut gefahrne und hätte mich selbst betrachtet, wie ich da stand. Reichlich belämmert muss ich dreingesehen haben, wußte doch jeder, der Jacky kannte, wie renitent abweisend sie gegneübr all den bürgerlich-gepuderten Riten war. Und irgendwo zählte die Hochzeit ja auch dazu, das Thema hatten wir schon einmal durchgekaut und uns für den Ringtausch unter vier Augen entschieden (der geneigte Leser wird sich dessen entsinnen). Die letzten Tage emotionaler irrfahrt hatte wohl ihre Spuren bei uns beiden hinterlassen!
Jacky war derweil weitergewandert, geschäftig in den Fässern wühlend und war schließlich beim Topf mit der köchelnden Rumsuppe stehen geblieben, sie zu kosten. Endlcih hatte ich da meine Stimme wieder gefunden und druckste herum, indem ich obiges auszuformulieren versuchte. Sie ließ das nicht gelten und wollte stattdessen eine Antwort haben, die ich ihr auch gab – mit der Einschränkung, dass ich ihr nicht Traditionen aufzwängen wolle, die ihren idealen widersprachen. Da überraschte sie mich erneut, indem sie frei heraus sprach, dass sie am Morgen jenes 21. Lenzing gewollt hatte, dass ich um ihre Hand anhielte... und jetzt schon wieder Muffensausen hätte. Das ließ mir ein warmes Lächeln ins Gesicht steigen und mein Herz flog ihr nur so zu... mehr noch, als sie gleich darauf einräumte, dass ich sie ja ohnehin „nach allem“ nicht mehr wolle. Jetzt war es an mir, das nicht gelten zu lassen und so trat ich vor sie hin und beschwor erneut meine standhafte Liebe zu ihr - „mo shíorghra.. un'daran wird'sick nichs ändern.“ Meine ausgestreckte Rechte empfing die ihre, sie zu umschließen. Wir beschlossen, zum Nachdenken in das abendliche La Cabeza hinauszugehen. Es gab viel zu besprechen.

Jener 21. Lenzing endete unter klarem, cabezianischem Sternenhimmel mit einer Aussprache, in deren Verlauf Jack mir alles erzählte. Welchen inneren Kampf sie unseretwegen hatte ausfechten müssen. Und – dass wir nun einmal nicht ohne den anderen konnten. So begab es sich, dass ein cabezianischer Nachtschwärmer an einem der vielen Stege in der Bucht ein sonderbar wirkendes Pärchen zur Mitternachtszeit beobachten hätte können, für Piraten, jedenfalls: Der eine auf Knien vor der anderen, ihre Hand umschlossen und ihren Blick suchend. Ein Gestus, den wir alle zu gut kennen und der auch in diesem Fall von den bekannten Phrasen begleitet wurde, die so unabdingbar damit verbunden waren.
„Jacky – will'se meene Frouwe wer'n?“ – „Aye, ich will. Und ob ich will!“

Nun lag es in den Händen des Käptns Perera, uns einander zu versprechen. Nicht, dass wir es schon vor langen mit unseren Ringen und Taten, unseren Herzen getan – doch Tradition war Tradition. Und Seeleute, gerade Piraten, waren nuneinmal sehr traditionsbewusst und abergläubisch.



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 Beitrag Verfasst am: 02 Sep 2011 15:07    Titel: Episode 33 – Rückkehr: Das Fischweib
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Episode 33 – Rückkehr: Das Fischweib

30. Ashatar 254
Auf La Cabeza



Die Heimat ist ein Ort, den man verlassen will, wenn man jung ist... und an den es einen zurückzieht, wenn man alt geworden. So oder so ähnlich hatte ein alter Seebär in einer der Hafenspelunken philosophiert, in denen ich auf meiner langen Schmuggelfahrt eingekehrt war. Und beim Barte des Klabautermanns – er hatte einfach Recht!
Eigentlich hatte ich die Fahrt nur auf wenige Wochen kalkuliert – Schmuggelplätze abfahren, die Einnahmen für die Bruderschaft kassieren, neue Agenten werben, Verstecke prüfen... der Zufall oder vielleicht vielmehr die Fügung hatte jedoch andere Pläne mit mir. Ich hatte noch nicht einmal das zweite Schmugglernest an der alumenischen Küste ansteuern können, da hatte mich ein dummer Zufall in den Knast eines Provinznests gebracht: Der tiefe Einschnitt in meine linke Ohrmuschel, Brandmarkung für einen Mundraub, den ich als Halbstarker begangen, hatte mir die Unbill des Dorfbüttel eingebracht. Da ich an Land so gut es ging vermied, Aufsehen zu erregen, ergab ich mich kampflos – dieser Bauerntölpel wäre geflalen, wie ein Halm unter der Sense.. doch unnötige Tote waren nicht in meinem Interesse. Das Aufsehen, das die Gefällten mit meinem Aussehen verknüpfte hätten wäre nur ein Störfaktor für meine Geschäfte gewesen. So hatte ich die zweifelhafte Ehre, mich in einem Provinzknast wiederzufinden, die nicht einmal Gitterstäbe aus Metall besaß – sondern aus Hartholz! Hand auf's Herz: Für ein kleines Nest auf dem Lande war das sogar schon Luxus, ein paar meiner Agenten hatten schon von Fällen berichtet, da hatte man sie in einer Hütte einfach nur unter eine schwere Kuhhaut gespannt, so dass sie sich nicht rühren konnten. Mehr nicht. Einfach, aber effektiv.
Jedenfalls hatte ich die volle Zeit meiner eigentlichen Fahrt-Planung in diesem Knast zugebracht; hier und da kleine Geschäfte mit den Insassen getätigt, sogar neue Spione gewonnen... immerhin war der Aufenthalt dadurch nützlich für unsere Sache. Als ich nach drei Wochen endlich wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, ging es im Eiltempo wieder auf See: Und, wie ich nun weiß, ins Unglück.
Jacky würde sicher schon aus der Haut gefahren sein vor Sorge und mir ein gehöriges Donnerwetter bereiten, wenn ich erst heim käme... schließlich hatten wir uns vom Käptn oder Vallas trauen lassen wollen.. nicht auszudenken, wenn ich noch mehr Zeit verplempert hätte! Aber es kam wie gewohnt dicke... die drei Wochen waren noch rein gar nichts zu dem, was nun kommen sollte.
Ich befand mich kaum drei Strich westlich des Kaffs, in dem ich ehedem inhaftiert gewesen war, als ein Riff in Sicht kam, das ich schon auf der Hinfahrt weiträumig umfahren hatte. Die lokalen Fischer erzählten sich Geschichten darüber, wie dort Sirenen hausten... Sirenen! Ich kannte zwei „bezaubernde Schwestern“ (jene aus der Grünen Grotte, der geneigte Leser wird sich vielleicht ihrer erinnern), die dieser Wassergeist-Gattung angehörten, sehr liebenswürdige Zeitgenossen..auf ihre bissige, menschenfressende Art. Es musste Fügung gewesen sein, jedenfalls befand ich mich auf der Rückfahrt vielleicht 40 Faden zu nah am Riff, denn augenblicklich wallte ein Gesang an mein Ohr, wie ich ihn noch nie zuvor gehört. Eine Stimme voller wonniger, seliger Verheißungen, einer Seraphin gleich. Ich konnte nicht anders: Ich folgte ihr...

...Und der nächste Augenblick, an den ich mich erinnerte, war der Anblick La Cabezas an der Kimm. Die Heimat, nach der ich mich so sehr gesehnt hatte.
Das Donnerwetter, das mich an diesem 30. Ashatar empfing, fiel mörderisch aus, was auch nicht verwunderlich war, wenn man bedachte, dass ich an einem 25. Lenzing abgefahren war – vor fünf Monden!! Diese Erkenntnis traf mich genauso wie ein Schlag ins Gesicht, wie Jackys Vorwürfe, sie tobte und hieß mich, als ich ihr von meinen Erlebnissen rundum Kerker und...Meerjungfrau.. berichtete einen Mistkerl und Fischliebhaber! Wer konnte es ihr verübeln? Wir hatten uns trauen lassen wollen, endlich, nach so vielen Querelen.. und ich hatte sie und unseren Sohn fünf Monate lang im Ungewissen sitzen lassen. So flogen die Worte, Tiraden und sogar Rumflaschen, nur Fäuste und Messer hätten noch gefehlt – kurzum: Es flogen die Fetzen im Krähennest!
Im Verlauf unseres Streits, den ich auf eine gewisse Art auch genoss, konnte ich auf die Art nach so langer Abwesenheit das Temperament meiner Gefährtin doch in vollem Zuge auf mich einstürmen sehen, erkannte ich letztlich den Fehler der Fischer von der Küste. Wäre diese Wesen im Riff eine Sirene gewesen, wäre ich nicht mehr am Leben. Sie hatte einen betörenden, magischen Gesang...lebte bei einem Riff... war ein Wasserwesen, halb Mensch halb Fisch, so viel konnte ich aus den tranceartigen, verschwommenen Erinnerungen rekonstruieren. Sie konnte nur eine Meerjungfrau gewesen sein. Scheiße, diese Erkenntnis mit Jacky zu teilen – denn genau das tat ich an jenem Abend meiner Heimkehr, hatte das Fass zum Überlaufen gebracht!
Weshalb? Das liegt in der Mär um die Meerjungfrauen begründet. Wasserwesen, die verdammt und verflucht seelenlos auf Erlösung hoffen. Eine Erlösung, die sie nur durch die echte Zuneigung und Ehelichung eines Menschen erzielen können, nur so erlangen sie ihre Seele zurück. Jacky hatte dementsprechend eins und eins zusammengezählt: Ihr Lissy allein mit einer Meerjungfrau, betört von ihrem magischen Gesang und dem Ziel unterworfen, verführt zu werden. Natürlich fuhr sie da aus ihrer Haut und befürchtete das Schlimmste! Ich sah das freilich anders: Meine Seele war bereits an die Toro de Muerte gebunden, auf dem Wege hätte mich die Meerjungfrau nicht binden können... und was mein Herz, meine Liebe anging? Das wusste Jacky eigentlich selbst am besten, wie es darum stand! Doch ihr reichte es nicht.. Magie war schließlich Magie! Ich solle ihr beweisen, dass mich dieser Wassergeist nicht bezirzt habe! Als ob das so leicht wäre, ohne eine Erinnerung daran!!

Wie sich der geneigte Leser denken kann, insbesondere jener, der in Ehe oder Partnerschaft lebt:
Die Nacht dürfte ich keineswegs daheim verbringen, sondern bei einem Kameraden.
Heim.. geliebtes Heim... ich war heilfroh, wieder zurück zu sein.
Auf La Cabeza - bei meinen Männern - bei meiner Familie. Da würde mir so ein elendiges Fischweib nicht die Freude verderben!



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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 15 Nov 2011 01:12, insgesamt 2-mal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 12 Okt 2011 18:54    Titel: Episode 34 – Kollateralschäden
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Episode 34 – Kollateralschäden

12. Goldblatt 254
Auf La Cabeza und in Berchgard



“Go mheadh cosa gloine fút agus go mhrise an ghloine!”
Derlei Flüche in der Zunge eines Volks aus dem Westen, das Schmuggel und Whisky genauso liebte, wie sich untereinander zu bekriegen, wollten mir in letzter Zeit häufig über die Lippen.
Innerhalb weniger Wochen hatte Cabeza zwei seiner Einwohner beziehungsweise Parteigänger verloren. An sich kein schlimmer Verlust, denn es waren keine Mannschaftsmitglieder der Enterkommandos – eine Insulanerin ohne Heuer und ein berchgarder Agent. Verluste, die wenig Wert besaßen. Zumindest für die Bruderschaft und Perera.
Anders gestaltete es sich bei dreien meiner Leute: Meiner Gefährtin Jacky, zugleich Vertraute in dr Bruderschaft... und meinen Baronen Vasco und Alessio. Das war auch der Grund für meine Neigung zum Fluchen.
Denn sie machten es zu etwas Persönlichem, ob sie wollten oder nicht: Der erste Kollateralschaden hieß Ivy, war Alessios Gespielin und wurde fachgerecht durch Blauhäute zerstückelt. Und was Helmgart anging, so war er einem bedauerlichen „Unfall“ zum Opfer gefallen – als von meiner Frau angeheuerter Agent empfand gerade sie für seinen Tod nagende Verantwortung. Sie war ja sozusagen eine Vorgesetzte für ihn gewesen, mit einem Makel, den ich einigen meiner Leute noch austreiben musste – sie ließen die Agenten zu nah an sich heran. Agenten geben Informationen, unterstützen Aktionen der Bruderschaft und – sterben hin und wieder durch die Hand des Feindes. Das gehört zum Geschäft.. irgendwann würden sie es auch verstehen.
Meine Gefährtin war jedoch schon immer ein mitfühlender Mensch gewesen, hatte ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und Freiheit... sie würde sich wahrscheinlich nie ändern; das war mir offen gestanden sehr lieb, denn so würde sie stets mein Gewissen sein, wenn ich es einmal verlieren sollte.

Jedenfalls.. die Bruderschaft hatte eine Gegenmaßnahme autorisiert. Der Übergriffe auf Insulaner und deren Sympathisanten hatten zugenommen, die jüngsten Todesfälle gaben letztlich den Ausschlag. Man musste ein Zeichen setzen – und es sollte sich auf einen Offizier des alumenischen Militärs beziehen.
Ich saß an diesem Abend im Krähennest und zählte den Gewinn, den ich gestern beim Würfelspiel auf dem Markt von La Cabeza gemacht hatte. Die zwei Kronen waren besser als nichts.. mehr hatte man von Halbstarken auch nicht zu erwarten, die man im Glücksspiel abzog. Die Schutzbefohlene von Alessio, Hannah und ein Junge von vielleicht sechzehn, siebzehn Jahren... sie hatten sich tapfer geschlagen und hatten ihr Gesicht trotz Niederlage gewahrt – und mich ein wenig reicher gemacht. Was Hannah anging, so harrte ich sogar des nächsten Wettkampfs im Messerwerfen, denn dort war dieses Mädchen ausgemacht gut gewesen. Ich mutmaßte, dass Alessio sie unterwiesen hatte..
Wenn wir den Plan umsetzten, der in meinem Kopf an diesem Abend zu reifen begann, würden wir jeden guten Mann.. jede gute Frau brauchen können. Ein Ritter des Reiches war nicht mit Links zu erwischen.
Zuallererst würden wir uns auf ein Vorgehen einigen müssen.

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 Beitrag Verfasst am: 15 Nov 2011 01:12    Titel: Episode 35 – Der Seemann und das Mädchen Teil 1
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Episode 35 – Der Seemann und das Mädchen Teil 1: Die Insel hinter dem Nebel

14. auf 15. Rabenmond 254
Auf La Cabeza und in Berchgard



Das Lichterfest in Adoran war schon lange vorüber und das feine, gebratene ganze Schwein samt gutem Whisky einer gerimorischen Hausmarke (die überraschend gut schmeckte!), beides Erwerbungen von dort, längst verzehrt. Zumindest die Sau. Eigentlich hatte ich beides als kleines Präsent für Jacky gedacht, wusste ich doch, dass sie nach großer Zecherei ebenso sehr kräftig zulangte. Die Wochen liefen ins Land, seit meine Gefährtin mich mit unserem kleinen Sohn Esteban im Schlepptau mit unbekanntem Ziel verlassen hatte – alles nur wegen einer falsch verstandenen Situation in Minfays Bordell! Dabei war der Besuch des Alka so formidabel gelaufen. Mich als Letharenfreund – LetharenFREUND – zu bezeichnen! Da blieb kein Auge trocken..doch beim Barte des Klabautermanns, so war's! Vasco hatte es mir brühwarm berichtet, wie Jacky mich derart geschimpft hatte bevor sie auf Nimmerwiedersehen auf einem Kahn verschwand. Weg von La Cabeza.
Seitdem hatte ich nichts Neues mehr von ihr gehört. Agenten er Bruderschaft hatte ich ausgeschickt, sich nach ihr in sämtlichen Häfen umzuhören, so manchen Wachdienst dem 1. Maat überlassen, nur um selbst mit meinem Kutter die Küstn abzufahren. Doch keine Spur. Meine Liebe wußte sich zu verbergen, wenn sie es wollte – nur war es das erste Mal, dass sie es vor mir tat.
So bürgerte sich ein, dass ich häufiger in den Spelunken war, als sonst. Alkohol gab der Hoffnungslosigkeit einen Dämpfer und ließ selbst miese Orkane wie Sonnenschein wirken.
Alzu rasch suchte ich Abwechslung – und landete nach Abstechern nach Bajard (Plörre im Ausschank!) und Adoran (zu herausgeputzt!) schließlich in Berchgard. Die Taverne „Zum Zinnkrug“ wurde meine Anlaufstelle zum Besäufnis und Grübeln.
Manchem unscheinbaren Abend oder jenen, an denen ich mit ein paar Bälgern namens Niclas, Yuni und Ella Kontakte knüpfte – der Geschäftssinn trieb mich dazu, gaben Kinder doch vorzügliche „Kuriere“ ab – folgte schließlich einer, der mir als singulär im Gedächtnis blieb. Denn an jenem Abend bewies ich, dass ich wahrhaftig ein Weichei in Sachen Kindern geworden war.

Der drohende Schatten des Winters lag an jenem 14. Rabenmond über Gerimor und den umliegenden Gewässern. Nasskalte Stürme wechselten sich mit Regenschauern und Graupel ab, es wurde zunehmend eisig. So kam ich an jenem Abend in meiner dick gefütterten Dienstjacke in die Spelunke, dickes Wolltuch umgab meinen Hals und das rote Baumwolltuch auf dem Kopf war durch ein ebenso rotes Wolltuch ersetzt worden.
Vor mir öffnete sich der Schankraum gleichsam eines warmen Paradieses voller Verheißungen: Im Ofen bollerte ein wärmendes Feuer, der Geruch von Eintopf lag in der Luft und die Aussicht auf Alkohol weckten Frohsinn in meinen kalten Gliedern. Die Freigiebigkeit der bereits erwähnten Bälger Niclas und Yuni, oder nennen wir es mehr Trotz, verschafften mir schon bald einen vollen Magen: Erbsen- und Kartoffeleintopf war nicht nach ihren Geschmack, so ließen sie ihn mir. Zusammen gemischt und mit Rum abgeschmeckt ergab er ein Gedicht von Fraß! Verstehe einer die wählerischen Kinder! Der Abend fing gut an, wenn man einmal von der Maulerei von Amandas Wachhund absah, dass ich in Anwesenheit der Kinder nicht rauchen solle. Lächerlich! Spelunke war Spelunke, oder etwa nicht? Seit wann verbat ein Wirt schon das Rauchen!
Später, als Lucien und sein Kumpel aus der Allianz dazu gestoßen, der Wachhund mit den Kindern nach draußen gegangen war rauchte ich schon wieder wie ein Schlot. Als hätte mir das irgendjemand verbieten können, noch dazu eine verdammte Landratte! Wenn man von dem Allianzler absah, so schien der Rest meiner Meinung zu sein. So auch eine Aushilfe des Wirts, die die ganze Zeit über schon in meinem Rücken herumgelungert war und sich schließlich in ein Eck des Schankraums verzogen hatte. Lucien schien sie zu kennen, dieses Mädchen von vielleicht dreizehn, vierzehn Jahren, das „Missy“ hieß. Die meiste Zeit über blieb sie still an diesem Abend, lauschte von ihrer Ecke den Gesprächen, bis Lucien sie schließlich zu uns an den Tisch bat. Eine Geste, die ich prompt mit einem Krautstängel aus meinem Etui versüßte, war mir doch nicht entfallen, wie das Mädchen den süßlich-schweren Geruch des Rauchs als wohlempfindend aufgenommen hatte. Wenigstens ein Kind mit Geschmack. Womöglich günstig für das Geschäft? An Kurieren konnte man nie genug haben, das wird der geneigte Leser gewiss verstehen. Ausfälle waren häufig, Rückfälle durch Sucht nicht minder. Frischfleisch hieß da die Devise.
Als ich dann sah, wie das Mädchen den Krautstängel mit meiner Zunderdose nicht nur gekonnt anzündete, sondern auch rauchte ohne zu husten, wollte ich lauthals auflachen! Das Miststück_kannte_cabezianisches Kraut. War daran gewöhnt, wie sonst hätte sie damit hantiert und es eingesogen, als wäre es nichts Besonderes?
Vielleicht doch kein Kurier.
Ich wollte tiefer horchen. Luciens Anspielungen bezüglich der „Insel“ taten ihr übriges. Der fähige Spion wusste Missy einzuordnen und gab mir einen bewussten Wink, dem ich bereitwillig folgte, war mein Misstrauen doch erweckt. Sie hatte einen Onkel Sal und eine Tante Nel als Verwandtschaft gehabt, denn ihre Art darüber zu reden und sich zu geben verriet, dass sie wohl längst tot waren. Konkreter wurde das Ganze, nachdem ich mich im fortgeschrittenen Abend und einige Krautstängel später im Schneidersitz neben das Mädchen auf die Bank gesetzt und im leisen Flüstern unter tragender Beteiligung einer cabezianischen Florin-Münze nachgebohrt hatte: Missy wollte nach La Cabeza, auf die „Insel hinter dem Nebel“ wie ich mich nebulös (Achtung, Wortwitz, lieber Leser!) ausdrückte. Wir waren ja immerhin mitten in Reichsgebiet.
Jedenfalls war ihr Onkel ein Schmuggler oder Pirat gewesen und war umgekommen, mutmaßte ich im Stillen. Da sie La Cabeza nicht kannte, folgerte ich weiter, musste dieser Sal ein Angehöriger einer fernen Außenstelle der Bruderschaft gewesen sein, wenn er überhaupt mit ihr assoziiert gewesen war. Sei's wie es sei... mit Kraut berauchten und mit Rum begossen wir die Übereinkunft:
Ich würde ihr die Insel zeigen, die hinter dem Nebel lag.

Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass Missy mein erstes Angebot, in einigen Tagen wiederzukommen wahrnahm, um ihre Geschäfte an Land zu regeln. Arbeitgeber im Zinnkrug und so weiter..Landratten-Mist eben. Doch weit gefehlt! Der zweite Vorschlag, sie direkt auf der Heimfahrt mitzunehmen, wurde von ihr mit Handschlag akzeptiert. Ein cabezianischer Florin wechselte bei der Gelegenheit den Besitzer, mochte er ihr Amulett und Hoffnung sein. Und meine erste Investition.

Kaum eine Stunde später und Verabschiedung Luciens und seiner blinden Frau später befanden wir uns bereits auf See. Die Schonertakelung meines Kutters verschaffte uns die nötige Fahrt, um durch die kalte See in Richtung Cabeza zu pflügen, umweht von nicht weniger schneidend-kaltem Wind. Der verdammte Winter fand selbst seinen Weg in das Südmeer hinaus, zumindest bis zu einem bestimmten Breitengrad.
Der Mond hatte seinen Höchststand schon lange hinter sich gelassen, waren in den dichten Nebel eingetaucht, der meine Heimat ankündigte, als an der Kimm schwach die Lichter der cabezianischen Leuchttürme aufblitzten. Einrichtungen wahrer Bosheit unseres Kapitäns und „Königs“ Perera, denn sie führten in den sicheren Untergang, den Alptraum jedes Skippers: Tödliche Riffe, wie sie La Cabeza allenthalben umgaben. Als einer derer, die die sichere Route durch die Riffe kannten, war es mir ein leichtes, den Kahn schließlich am Pier zu vertäuen.
Missy, die mit ihren grünen Augen, die der See so glichen auf die See freudestrahlend hinaus gesehen hatte, den Wind eingefangen, als wäre er nicht klirrend kalt gewesen.. war irgendwann auf der Fahrt eingeschlafen und döste neben der Ruderpinne, an der ich gesessen.
Als ich auf das schlafende junge Ding hinab sah, legte ich die Stirn in Falten und scholt mich einen Narren, dass ich das Mädchen mitgenommen hatte. Kaum Vater, schon wurde ich Kindern gegenüber weich... dabei waren sie doch der Ärger in Person. Eigene ausgenommen. Letztlich seufzte ich und gestand mir ein, dass auch ein Bootsmann Jaron Sylva, genannt Lysander sich mit den Jahren änderte. Ja, ändern musste. Und hob Missy vorsichtig hoch, um sie mit von Bord zu tragen.
Das Mädchen ließ sich davon nicht beeindrucken und schlief den ganzen Weg bis zum Krähennest wie ein Stein in meinen Armen; selbes Spiel, als ich ihr eine Bettstatt aus Fellen, Decken und Kissen richtete, wie mein Sohn Esteban, Jacky und ich sie besaßen. Endlich, Missy lag in den Fellen und ich hatte Zeit, mich meinen Donnerbüchsen zu widmen. Deren Reinigung nahm noch wenigstens eine Stunde in Anspruch, während der ich über den Schlaf des Mädchens wachte.
In einem ungewohnt leeren Krähennest.
Vielleicht... war es doch keine Narretei, die mich leitete.



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 Beitrag Verfasst am: 10 Feb 2012 19:10    Titel: Episode 36 – Von Indio-Geistern und Bananen
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Episode 36 – Von Indio-Geistern und Bananen

08. Eisbruch 255
Auf La Cabeza



Einiges hatte sich auf dem Festland getan. Da waren etwa die Reformen im alatarischen Reich, die insbesondere das Militär betrafen, oder eine klare Unterstreichung der Bedeutung des Lehens Düstersee im Reich des Panthers… durch eine Errichtung einer Burganlage, bei deren Anblick es mich jedes Mal auf’s Neue reizte, sie mit unseren Drachenrohren dem Erdboden gleichzumachen. Wie die Bruderschaft es schon einmal getan hatte – mit der Adlerfestung.
Dem entgegen stand freilich die mehr oder weniger enge Zusammenarbeit mit Rahal, die nicht mit Vertrauen verwechselt werden darf. Im Moment war es sinnvoller und fürs Geschäft angenehmer, Rahal mehr als Geschäftspartner zu betrachten, denn als Beute. Eine Wahlcabezianerin hatte sich das zum Leitspruch gemacht und war direkt zu den Pantherdienern übergelaufen. Nicht, dass es mich weiter beunruhigt hätte. Gerade diese Dynamik war förderlich.
Auf La Cabeza verlief es, abgesehen von diesem Überläufer, vergleichsweise ruhig in diesem Winter. Rückblickend hatte es im zurückliegenden Jahr 254 nicht weniger oder mehr Morde gegeben, als in den Jahren davor; Diebstähle und Raubüberfälle waren nichts Neues… und wir Cabezianer konnten uns darob erfreuen, dass festländische Traditionen weiterhin keinen Einzug auf der Nebelinsel fanden.

Deswegen war es auch nicht überraschend, dass Jacky und ich uns am 08. Eisbruch des neuen Jahres weit im Westen der Insel einfanden.
An der westlichen Küste herrschten durchweg Steilklippen vor, die direkt in das vulkanische Gebirge übergingen, das von der Provenienz dieses Eilands zeugte. Einzig in einer kleinen, versteckt gelegenen Bucht gab es etwas begehbares Land. Oder besser gesagt, begehbare Holzböden – denn dieses ‚Land‘ bestand de facto aus einer Holz-Lianen-Konstruktion. Mehrstöckig und verwinkelt. Von Pflanzen bewuchert, zugestellt und –gehängt mit präparierten Tieren, Schädeln, alten Schriften in einer Sprache, die niemand von uns beherrschte und zahlreichen anderen Dingen. Es war das Refugium der letzten überlebenden Ureinwohner La Cabezas, die der Ausrottung durch den alten Perera entgangen und den heilsbringenden Fluch über das Eiland gesprochen hatten. Nun, viele, viele Jahre danach, unter dem Kommando des Raul V. Perera, hatte das Pack sich mit den Schamanen arrangiert. Sie dürften unangetastet in ihrem Refugium leben und ihren Kulten nachgehen, solange sie Perera zur Seite standen, wenn er sie brauchte. Da das eher selten der Fall war, sah kaum ein Cabezianer diese schaurig aussehenden Gestalten jemals in seinem Leben. Selbst ich hatte erst zwei oder drei Mal einer Schamanin Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden. So dürfte es nachvollziehbar sein, dass mir unser Plan einerseits sehr zusprach, andererseits nicht geheuer war.
Schon vor langem hatten meine Gefährtin und ich erkannt, dass wir unser zwielichtiges und kriminelles Leben nicht ohne den andern verbringen wollten. Sogar Ringe hatten wir getauscht und so manchen Liebesschwur, schließlich sogar ein gemeinsames Kind in die Welt gesetzt: Esteban.
Der geneigte Leser wird sich all der Querelen, Kehrtwenden und hirnrissigen Begebenheiten erinnern, denen wir auf diesem Weg zu begegnen hatten. An diesem Eisbruch-Tage wollten wir nun den Schlussstrich ziehen.
Da wir beide den festländischen Religionen weniger zugewandt waren, als den abergläubischen Konglomeraten, die sich auf La Cabeza und in den Bäuchen aller Schiffe dieser Meere sammelten und weitertradierten, hatten wir uns diesen Ort ausgesucht. Zentrum des alten cabezianischen Glaubens, den wir Piraten mit dem seemännischen Aberglauben vermischt und vertieft hatten. Seegeister, Totems, Sirenen, Meerjungfrauen, Narwale… um nur einige Elemente zu nennen. Um die Geister der Insel ging es uns in unserem geplanten Ritual.
Bevor wir zum Refugium gerudert waren, hatte Jacky noch ein paar Sachen geholt, die wir brauchen würden: Zwei Masken und zwei Bananen. Was mich anging, so hatte ich mein umfangreiches Amulett-Gehänge(darunter ein Silberamulett mit Smaragd, eine Hasenpfote, ein Holzspan vom Großmast der Toro de Muerte, ein Panther-Kopf und ein Temora-Amulett neben vielem anderem) gut sichtbar über der Weste platziert; nur für den Fall der Fälle!
Dann begann es.
Jeder von uns bekam eine Banane in die Hand, die Masken zogen wir uns übers Gesicht, ehe Jacky ihr Messer zog, auf dass wir uns in die Handinnenfläche schneiden könnten. Sie in ihre linke, ich in meine rechte. Daraufhin forderte sie mich auf, die Anrufung zu vollziehen.
Anrufung! Als ob ich ein verdammter Pfaffe oder Schamane wäre! Hatte so etwas noch nie gemacht… also faselte ich darauf los, rief diese namenlosen Geister an, preiste sie und spottete den Landratten-Göttern… wie mir eben der Schnabel gewachsen war. Als ich mir ihrer Aufmerksamkeit sicher war, leitete ich über auf unser Anliegen: Den Ehe-Schwur. Postwendend packte Jacky schon meine angeschnittene Hand mit ihrer, um unser Blut zu vermengen. Fest hielten wir einander, als ich um ein Zeichen des Wohlwollens der Geister flehte. Begleitet wurde all dies von intensivem Krautrauchen, um uns und das Umfeld in diesen süßlich-schweren Rauch zu hüllen – die Ureinwohner hatten es immer für solche Zeremonien verwendet. Also taten wir es auch, die Geister mochten es offenbar.
Dachte ich zumindest im Stillen, denn das erflehte Zeichen kam. Ein Windstoß, Rascheln im Blätterdach, ein Windjaulen, das verdächtig nach einer Stimme klang. Insgeheim muss ich zugeben, dass es sich nach Worten angehört hatte, die uns von ehren und lieben sprachen, ein Topos, bei dem ich mich beinah fragte, ob ich das nicht träumte. Zu ähnlich war es dem, was man sich gemeinhin unter solch einer Zeremonie vorstellte. Sei’s wie es sei, Jacky hatte es auch gehört. Und das war dann auch der Moment, an dem es mir lieblich erschien, das Refugium schnellst möglichst zu verlassen. Man musste sein Glück ja nicht herausfordern… Geister waren mir nie so recht geheuer gewesen! So ging es nach dem obligatorischen Verzehren der Banen zurück an die Ostküste, wobei ich Jacky – die sich fortan Jane ‘Jack‘‘ Sylva nennen würde - die paar Meter zum Boot trug, was sie zum Scherzen anregte – wenn sie gewusst hätte, dass ich das vor allem tat, damit sie ja nicht trödelte… Wie dem auch sei. Da standen wir schließlich am Strand und säuberten unsere Hände unter dem Mondschein vom Blute. Blut, das von Wunden herrührte, die bereits verheilt und vernarbt waren! Ich ließ mich von Jack schlagen – beim Klabautermann, hatte sie einen Haken drauf! – um mich zu vergewissern, dass das kein Traum war. Wieder einmal wirkte es allzu sehr danach; doch der Schmerz des Hiebs war echt, die Narbe auf der Handinnenfläche war echt, unser Gelöbnis war echt.
Cabeza und seine Geisterwelt – immer für Überraschungen zu haben!

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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

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 Beitrag Verfasst am: 26 Feb 2012 14:31    Titel: Episode 37 – Schwimmstunde
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Episode 37 – Schwimmstunde

18. Auf 19. Eisbruch 255
Auf La Cabeza



Der kleine Esteban wäre fast ersoffen! Damit hatte mich meine Gefährtin letztens begrüßt und wäre schier die Decke hochgelaufen, wenn eine in der Nähe gewesen wäre. Eine Brücke soll er beinahe heruntergefallen sein, hieß es… und schwimmen könne er immer noch nicht! Und dabei ist er schon vier. Oder fünf? Nicht, dass es ungewöhnlich wäre… In dem Alter vermochten die wenigsten von sich zu behaupten, dass sie schon schwimmen könnten... geschweige denn, frei durch die Gegend laufen und Schabernack treiben, so wie es Esteban tat. Es war schon erstaunlich, wie aufgeweckt der Junge für sein Alter war. Wenn ich das mit meiner Kindheit verglich… eijeh. Jacky, die sich vorgenommen hatte, ihn im Taschendiebstahl einige Kniffe beizubringen, war zwar sehr angetan davon, dass er so viele Frieheiten hatte; in solchen Momenten, wie jenem an der Brücke wiederum sah es aber anders aus… da sollte ich als sein Vater doch glatt den harschen Erzieher heraushängen lassen! Für eine ordentliche Tracht Prügel war er mir jedoch noch zu jung, ergo ließ ich es ruhig angehen. „Von Mann zu Mann“ bestand doch ohnehin ein klares Verständnis, eh? Die Straße war der beste Lehrer in dem Alter und ich wollte Schulze heißen, schränkte ich ihm seine Streifzüge irgendwie ein! Schließlich hat es mir damals auch gut getan, die Gossen zu erkunden, wenn man mich nicht im väterlichen Kontor einsperrte…
Indes war es notwendig, dass der kleine Esteban schwimmen lernte. Wir lebten auf einer Insel, fuhren zur See (oft genug hatte ich den Jungen schon mitgenommen) und lebten mit dem Meer. Das Element zu kennen und zu beherrschen war da unabdingbar. Ich spreche hier bei Beherrschung nicht von Magie, wie sich der Liedbegabte Leser vielleicht denken mag; nein! Einzig und allein davon, nicht in dem Element zu ersaufen, wenn man erst mal bis zum Hals darin steckt!
Alles weitere.. das Nautische, würde folgen, wenn der Junge alt genug war.

La Cabeza zeichnet sich durch viele Dinge aus, so auch die wunderschönen Sandstrände in der Bucht. Freilich sind sie nur noch im Süden der Bucht vorhanden, da der Hafen stark ausgebaut worden ist… doch das reichte immer noch bei Weitem. Ideale Plätze zum Schwimmen, versteckte kleine Buchtausläufer… Dort ging die Familie Sylva – Jacky, Esteban und ich – zusammen mit Estebans Taufpaten Vasco, um zu früher Abendstunde die erste Lektion im Schwimmen abzuhalten.
Dabei hielt ich mich ganz an die Grundregel, die schon der damalige Waffenmeister an Bord der Thiele gehabt hatte: „Trockenübungen sin’wat für Landradden!“
Ergo ging es direkt ins warme, kristallklare Wasser, wobei ich Esteban zuerst hieß, sich auf meinem Rücken festzuhalten. Auf die Weise schwammen wir zusammen ein paar Züge, damit er ein erstes Gefühl für die See bekäme. Jacky machte es sich unterdessen am Strand gemütlich und sah uns zu, Vasco hatte sich eine Felsformation zum Ausspannen gesucht.
Nach einigen Zügen nahm ich Esteban vom Rücken und trat mit ihm auf der Stelle, eine Schwimmtechnik, die er später einmal lernen würde. Zuerst ging es aber um das Grundsätzliche.
Während ich ihn an den kleinen Beinen und am Bauch über Wasser hielt, sollte er die ersten Übungen mit den Armen machen, die ich ihm davor noch gezeigt hatte. Nachdem er ein paar Armzüge auf der Stelle gemacht hatte, begann ich, mit ihm herumzuschwimmen, auf dass er es in Bewegung übe. Immer wieder hielten wir an, mal mitten im Wasser, mal an einem Felsen, an dem er sich festhalten konnte, zeigte ihm Fehler auf und lobte Gutes. Schließlich hatte er die Arm-Bewegungen, die für das Brustschwimmen notwendig waren so weit auf dem Kasten, dass ich zufrieden war und mit ihm an Land ging. Dort trafen wir auf eine alte Bekannte, die sich gerade in dem Moment aus dem Dunkel der Nacht schälte.
Elfriede Schweissgut. Die Bäuerin und mütterliche Freundin, die den Bund der Elstern angeführt hatte. Jacky und ich begrüßten sie herzlich und sie zeigte sich entzückt vom Esteban, den sie ja noch als kleines Baby kannte.
Man verlagerte sich in die Rauchstube des Krähennests und erzählte sich Geschichten über vergangene Tage: Die Schwestern Iriel und Ionna, das alt Krähennest im Hafenviertel von Rahal, die Bande Kimroths und die Querelen zwischen Kim und Elfriede, die ersten Tage ihres Hofes…
Selbst die Zeit, als Elfie und ihre Leute als Orks verkleidet Reisende überfielen wurde memoriert… Jacky hatte nie erfahren, dass ich bei diesem Possenspiel anfangs auch mitgemacht hatte. Ehrlich gesagt war es mir ganz Recht.

Der Mond stand bereits hoch, als Elfriede sich verabschiedete und wir unseren Sohn zu Bett brachten. Eine Zeit lang wachten wir an seiner Bettstatt, ehe wir uns in unsere Felle stahlen…

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 Beitrag Verfasst am: 05 Apr 2012 15:17    Titel: Episode 38 – Alltägliches
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Episode 38 – Alltag

Zwischen Lenzing und Wechselwind 255
Auf La Cabeza und Lameriast



Der Winter auf Gerimor und dem Festland neigte sich langsam dem Ende zu und gab den Frühjahrsstürmen freie Bahn, die von Westen her die See zu erobern begannen.
Von all dem war auf La Cabeza freilich noch nichts zu spüren und das Leben ging seinen gewohnten Gang. In den Spelunken wurde gesoffen, als gäbe es keinen Morgen und es wunderte niemanden, im grauenden Tag danach ein paar arme Kerle mit aufgeschlitzter Kehle in den Gassen des Hafens vorzufinden.
Es kamen und gingen allerlei Gesindel und Gauner, die der Bruderschaft so lieb waren: Kriminelle, die dieselben Ziele hatten oder dafür verwendbar waren, wie wir Cabezianer. So manch eine frische Seele fand sich da auch für die Mannschaft der Toro de Muerte.
Unterdessen stieg der Anteil der ungewünschten Fremden bedauerlicherweise ebenso. Viele Landratten nahmen sich heraus, sich wie die Könige der Insel zu geben, den einheimischen Fischern die Fischgründe streitig zu machen oder sich ob der lokalen Sitten offen zu beschweren.
Tatsächlich war das Pack Pereras und die übrigen Cabezianer während der Wintermonate sehr gemäßigt im Betragen. Die Zahl der Ermordeten war spürbar gesunken und mehr und mehr Rum war an Fremde ausgeschenkt worden, hatte sogar zu einer regelrechten Trinkkultur von Landratten auf der Insel geführt. Das mochte den von Ambrosio geduldeten zweiten Wirt auf La Cabeza, Alessio, freuen, der den Weinkeller Sylva neu hatte aufleben lassen, führte allerdings auch dazu, dass diese Gäste vergaßen, wo sie sich befanden.
An diesem Punkt musste man angreifen, ohne die Einnahmen durch die Landratten spürbar zu mindern, versteht sich.

Was Landratten anging, so hatte sich mein Sohn Esteban mittlerweile wieder etwas zurückgefunden. Durch den Kontakt mit vielen Kindern und Menschen vom Festland hatte es eine Zeit lang so gewirkt, als würde er zunehmend die verkommenen Werte der Adoraner übernehmen wollen. Hirngespinste, natürlich. Mit dem regelmäßigen Schwimmunterricht und Umgang mit der Kameradin Florentina, die viel für den Jungen übrig hatte und auf ihn aufpasste, wenn Jacky und ich es nicht konnten, wurde das Ruder wieder herumgerissen. Wenn es denn jemals wirklich auf falschem Kurs gewesen war… schließlich war allenthalben zu spüren, dass der Junge seinem Herrn Vater unbedingt einmal nacheifern wollte. Grund genug, die Schwimmfähigkeit des Jungen nach den Frühjahrsstürmen auf Herz und Nieren zu prüfen. Es mochten noch viele Jahre vergehen, bis er als Schiffsjunge an Bord anfangen konnte, aber je eher er die Grundlagen lernte, desto besser. Schwimmen war in seinem zarten Alter durchaus machbar. Alles andere, was den Geist stark einband… dazu war er noch zu jung. Schreiben, Lesen, Rechnen, Seemannschaft, Nautik… Waffentraining.. wenn der Sohnemann erst einmal alt genug war, würde ich ihm mehr Zeit widmen können. Denn so sehr ich gegenüber Kindern auch aufgetaut war, ganz wohl fühlte ich mich bei ihnen erst, wenn sie mit zehn... zwölf Jahren geistig richtig lernfähig und aufnahmebereit wurden.

Ein wenig Abwechslung bot mir der Schmied Aki, der zuerst in Alumenas lebte und nun nach Westen strebte. Der Mann hatte meinem Sohn eine Ladung Wildkraut verpasst, die dem Kleinen eine üble Zeit und Jacky und mir viel Sorgen bereitet hatte. Kraut war in seinem Alter unter Umständen verheerend. So war der Beschluss rasch gefasst, dem Schmied einen Denkzettel zu verpassen.
Die Gelegenheit bot sich ein paar Wochen später auf Lameriast. Die bislang freien erzführenden Gebirgszüge in dessen Norden (jüngst hatte das Alatarische Reich Interesse angemeldet) waren ein regelmäßiges Ziel unserer Hehler, um Edelsteine und Edelmetalle ohne Zoll auszuführen und auf den Schwarzmarkt zu werfen. Zwecks einer Kontrolle war ich mit meinem Kutter dorthin gefahren und traf dort eben jenen vermaledeiten Aki an.
Die Sache war klar und wurde rasch mit Fäusten, Knien und Ellenbogen geklärt. Eine gebrochene Nase später konnte ich mich zufrieden wieder auf die Heimfahrt begeben und einen versehrten Aki zurücklassen. Manchmal tat eine Prügelei gut, besonders, wenn sie Genugtuung verschaffte.


So drehte sich der Alltag auf der Insel für mich um die Familie und die Beobachtung der Veränderungen im Kreise der Bewohner. Veränderungen, die mir nicht immer gefielen.

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 Beitrag Verfasst am: 19 Dez 2012 12:42    Titel: Episode 39 - Oben angekommen
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Episode 39 – Oben angekommen

18. Alatner 255
Auf La Cabeza



Wieder einmal nahte der Winter unaufhaltsam. Schnee lag noch nicht auf Gerimor und die Landratten registrierten vor allen Dingen einen krassen Temperaturabfall.
Auf See traten indes erste Stürme auf, die seit dem Herbst zunehmend heftiger wurden und die Seefahrt erschwerten; an eine Kaperfahrt würde bald nicht mehr zu denken sein, jedenfalls nicht mehr mit Schiffen der Ordnung einer Toro de Muerte. Perera, war zwar der Ansicht, dass ein verfluchtes Schiff, das dem Seelenfresser Krathor gestohlen worden war gegen jeden Sturm gefeit war – doch zumeist hatten wir uns dann doch dazu entschieden, den Kahn einzumotten.
Der alte Perera, mein Käptn, mein Herr, der Anführer der cabezianischen Piraten hatte mich erst gestern mit einem seiner neuen perfiden Pläne überrumpelt.
Dem Alten sagte man ja so einiges nach: Von unsäglichen Brutalitäten, wie dem Häuten seiner Feinde bis zu seiner nicht weniger berüchtigten Grausamkeit zu den eigenen Leuten, sollten sie seinen Willen und seine Sache (die meist gleichbedeutend mit der cabezianischen Sache war, und das empfand ich als recht und billig) hintergehen.
Seit langem war ich auf See nun schon sein Stellvertreter, sein erster Offizier (oder wie es in der cabezianischen Tradition genannt wurde: 1. Maat). Eine Position, die ich mir hart erarbeitet hatte, vom gemeinen Matrosen unter so vielen anderen hinauf, zuerst Topgast, dann Bootsmann und nach langer Schufterei endlich 1. Maat! Als waschechter Seemann hatte mir dies höchstes Glück beschert, denn es kam der Position eines Kapitäns so nah, wie man ihr auf der Toro nur hätte kommen können. Papierkram und das Herumschlagen mit allen Belangen, die Schiff und Kapergeschäfte angingen waren freilich die Folge, weit mehr noch, da ich auch in der Bruderschaft über die Belange zur See waltete. Ein Wust von Aufgaben und Verantwortung, den ich gerne in Kauf genommen habe und bis heute nicht bereue. Mit fähigen Kameraden als meine Offiziere war das nie ein Problem.

Zurück zu dem perfiden Plan meines Käptns. Der Alte zeigte sich bekanntlich selten außerhalb seiner Kajüte, noch weit seltener an Land. Deswegen hatte er nicht nur einen Stellvertreter auf See, sondern seit ich auf La Cabeza bin auch an Land. Seinerzeit war es mein Kumpan Vallas, der mittlerweile als verschollen galt (entgegen der Ansicht vieler Cabezianer verbat ich mir, ihn tot zu nennen), nach ihm war es seine neue Gespielin Raissa gewesen. Dem Alten schien jedoch so manches übel aufgestoßen zu haben und so kam es, dass er einen neuen Gouverneur bestellte.
Jaron Sylva.
Im ersten Moment ließ das mein Herz sinken. Perera hasste es, wenn man seine Wünsche in den Wind schlug oder wenn man ihn enttäuschte; somit war eine Ablehnung ebenso nahe an einem Todesurteil, wie Verfehlungen als Gouverneur. Nachdem diese erste Welle abgeflaut war, überfiel mich aber ein Gefühl vollster Zufriedenheit. Denn wie ich erfuhr, war meine Vorgängerin Raissa damit einverstanden, hatte es sogar angeregt; man hatte erkannt, dass ein ruhiger, ausgeglichener Führungsstil auch an Land angemessen wäre. Ich hoffte inständig, diese innere Ausgeglichenheit auch beibehalten zu können im Angesicht so vieler Veränderungen, die mir nicht gefielen. Einige davon hatten wir ja bereits einen Riegel vorgeschoben: La Cabeza den Cabezianern.. und derlei mehr. Ein Prozess, den es fortzusetzen galt. Ebenso war die Bruderschaft reorganisiert worden und ihre Verbindung zur Insel und Perera gefestigt, zu den Piraten im Gesamten so weit losgelöst, wie es für das Geschäft nötig war.

Ich war gespannt, wie meine Frau darauf reagieren würde. Jacky war ein sehr freiheitsliebendes, eigenwilliges Frauenzimmer, eine Eigenschaft, für die ich sie liebte. Ganz unproblematisch war das natürlich nicht für mich, denn schon zu Zeiten, als ich „nur“ 1. Offizier und Stellvertretender Gouverneur war, hatte es mir schon manchmal Kopfschmerzen bereitet, wenn Jacky etwas – nennen wir es „vom Kurs abkam“. Andererseits war sie von tiefster, echter Freude erfüllt, als ich zum 1. Offizier befördert worden war. So würde es jetzt gewiss auch sein, ebenso wie ich mir sicher war, dass sie erneut fragen würde, ob sie sich nun ändern müsse. Ala „Frau Gouverneur hat sich zu benehmen“ und derlei Landratten-Scheiße. Hand auf’s Herz.. je weniger Mist sie baute und je mehr sie sich an die Regeln hier auf La Cabeza hielt, desto besser. Freigeist und Eigensinn wollte ich jedoch nicht unterbunden sehen. Ohnehin hatte ich nicht vor, mich selbst einen Faden weit von meinem jetzigen Kurs zu ändern: Autorität dort, wo es nötig, doch so selten, wie es möglich war.
Das Pack brauchte eine klare Führung, doch nur dann, wenn die Situation es bedurfte – im Allgemeinen wusste jeder gut genug, was er tat oder was er bleiben ließ. Wenn dem nicht der Fall war, konnte man immer noch Klarschiff machen. Und das war auch gut so.

Es war bedauerlich, dass mein Vater mich tot glaubte. Denn er wäre sicher überrascht, wo ich nun stand. An zweiter Stelle der größten kriminellen Organisation dieser Meere, der cabezianischen Piraten – dem Pack des Kapitäns Raul Vincente Perera.

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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 19 Dez 2012 12:43, insgesamt einmal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 27 Jan 2013 20:23    Titel: Episode 40 – Ordnung
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Episode 40 – Ordnung

Im Hartung 256
Auf La Cabeza und Gerimor



Die kriminelle Organisation, von der ich noch Ende letzten Jahres schrieb, hatte einige Reformation nötig. Das Pack Pereras war in alle Himmelsrichtungen zerstreut, einige, nicht viele.. aber doch genug, um dem Zusammenhalt der Mannschaft und der Cabezianer einen Dämpfer zu verpassen.
Jedenfalls war es mir ein Graus, an Organisation mangeln zu lassen, und in meinem Käptn und der ganzen Perera-Familie fand ich Zustimmung hierin. Der Alte hatte sich zunehmend auf sein Schiff zurückgezogen und schmiedete Pläne für weitere Kaperfahrten oder eine neuerliche Bosheit, die seine vergangenen noch übertrumpfen sollte. Sein Sohn Juan Aurelio Perera vertrat ihn mittlerweile zumeist bei den Tagesgeschäften. Der junge Perera war Anfang zwanzig und so nur bedingt jünger als ich, der ich die dreißig fast erreicht hatte. Ebenso ein junger Aufsteiger, wie ich selbst. Wer nun aber denkt, dass wir uns deswegen auf Anhieb verstanden hätten – der liegt eindeutig auf dem falschen Kurs.
Zu Anfangs hatte ich mir doch sehr schwer getan, mit Juan zu arbeiten, geschweige denn ihn als einen Perera und damit meinen Boss anzuerkennen. Ihm fehlte diese abgrundtief böse, wahnsinnige und grausame Aura, die seinen Vater umgab und einen Gutteil seines Mythos ausmachte. Aber der Apfel fiel bekanntlich nicht weit vom Stamm und somit hatte ich mich arrangiert, allein schon aus reinem Selbstschutz. Wenn der Alte einmal in Krathors Reich überging, würde Juan seine Position einnehmen.
Auch in Gracia, von der wir erst vor einigen Jahren herausfanden, dass sie tatsächlich von Pereras Blut war, ging mit mir darin konform, die zahlreichen Lockerungen und Entgegenkommen zu beseitigen.

Fortan sollte es wieder so gehandhabt werden, wie zu Zeiten des alten Perera.. und als Vallas noch mein Vorgänger als Gouverneur war.
Als der Stellvertreter des Käptns an Land wie auf See übernahm ich fortan wieder die Kontrolle über das gesamte Pack – Kapermannschaften, Inselbewohner, Brüder und Schwestern der Bruderschaft. Die Bruderschaft als ideologisches Werkzeug der Perera-Familie würde ihren Kurs beibehalten. Konfrontation unserer Feinde, in meinem Auftrag. Im Namen Pereras.
Dass ein Abweichen von der vorgegebenen Linie nicht geduldet wurde, war jedem Piraten klar – Abweichen kam Meuterei gleich. Und darauf stand der Strick.
Es war also notwendig geworden, Autorität zu zeigen und Klarschiff zu machen.
Zum Wohle des Pack, zum Wohle der Insel, zum Wohle Pereras.

Ich legte mir all dies immer wieder zurecht, um für die nächste Vollversammlung von Bruderschaft und Pack hinreichend vorbereitet zu sein. Wenn ich schon zweiter Mann nach Perera war, dann musste ich es auch richtig machen – gerade deshalb, da ich vergleichsweise jung für diese Position war. Gerade einmal kurz vor meinem 30. Sommer.
Der Eid, ein paar Worte zur Perera-Familie und der Geschichte der Insel – denn viele der jüngeren Kameraden oder jener, die erst seit kurzem dabei waren wußten reichlich wenig über unsere Geschichte – sollten es werden.



Ein alter Bekannter hatte Ende des Mondlaufs für eine Überraschung gesorgt und mir sogar Rückenwind für meine Pläne gegeben. Evelesco, der alte Schmied aus der Bandenzeit im Rahaler Hafenviertel.
Er hatte seine besten Jahre weit hinter sich gelassen, war alt, gebrechlich und sichtlich geschwächt in seiner Konstitution; abgesehen von seinem Schmiedearm, der ungebrochen stählern war. Natürlich lobte ich mir jede Kritik an seiner Gesundheit aus und wies nur auf das positive hin. Alte Leute wussten selbst, wie es um sie stand, man musste ihnen das nicht ständig vorhalten.
Jedenfalls bewies der „Opi“, wie er genannt wurde, dass er noch nicht ins Grab gehörte: Wir - meine Frau, Evelesco und ich - gingen dieser Tage eine Gruppe von Strauchdieben niedermachen, die Jacky angegangen waren und jetzt dafür bestraft werden mussten. Die Piraten ließen es sich nicht von dahergelaufenen Kriminellen gefallen, veräppelt zu werden. Also wurde der Denkzettel mit Blut geschrieben und unsere Entermesser und Pistolen ruhten erst, nachdem der letzte Bandit gemordet war. Der alte Schmied gab uns dabei Rückendeckung und schlug sich unerwartet gut… ehe er dann doch gegen Ende einmal zusammenbrach – ohne ernsthafte Folgen, zwar.. doch im ersten Moment waren wir doch reichlich erschrocken. ‚Doch weshalb nun Rückenwind?‘, wird sich der geneigte Leser nun fragen… ganz einfach. Wenn ein alter Mann jenseits der sechzig es noch vollbrachte, seinen faltigen Arsch hochzukriegen und sich zusammenreißen – dann konnte eine Meute von Piraten und Gaunern das erst Recht!

„Wir sind Kinder der See, Streiter der Vergessenen und Verteidiger der Freiheit….“

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 Beitrag Verfasst am: 02 Feb 2013 10:19    Titel: Episode 41 – Sakrale Oasen & profane Probleme
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Episode 41 – Sakrale Oasen & profane Probleme

Ende Hartung 256
Auf La Cabeza und Menek‘Ur



Das Leben gleicht nicht von ungefähr einem Meer: Mal fährt man auf der Strömung des Glücks auf höchste Wellenberge des Erfolgs, mal herrscht Flaute oder man fährt hinab in tiefste Wellentäler voll dusterer Unbill.
Derartig konträre Tage nahmen seit geraumer Zeit zu – und in den letzten Tagen dieses Mondlaufs floss das Fass über.

An sich begann es ja eines Freibeuters würdig, löblich und billig, auf so eine Art, wie viele Geschichten begannen; mit einem Schatz.
Hier ist freilich nicht die Rede von einem metaphorischen Hort, wie es etwa die Zuneigung oder Liebe zu einem anderen Menschen darstellt, gleichwohl wird uns dies noch zu beschäftigen haben.
Der besagte Schatz ist zu allererst ein ganz bodenständiger, aus Gold, Edelsteinen, Schmuck… all den weltlichen Gütern, aus denen ein Hort oder Schatz nun einmal zu bestehen pflegt. Das Thema der Hort- oder Schatzkunde ist, das will ich dem interessierten Leser nicht vorenthalten, ja ein ständiges Hauptthema innerhalb des Packs – einige der gebildeteren Kameraden, etwa Kaufmannsöhne, die der väterlichen Knute entflohen, hatten sich sogar immer wieder der wissenschaftlichen Erforschung des Themas gewidmet! So hatte etwa ein gewisser Erik Horlson das Standartwerk schlechthin dazu verfasst (E. Horlson, Hort und Schatz – Zwischen Ritual und Wertanlage. Methoden zur Auffindung und Bergung. In: Ergänzungsbände des ‚Codex Piratia‘ Bd. 3. La Cabeza 244.). Natürlich interessiert die wenigsten Kameraden solch eine vergeistigte Herangehensweise an das, wonach es den monitären Geist des Piraten am meisten trachtet: Reichtum.
Ich gebe indes zu, dass ich mich diesem Buch tatsächlich über einige Abende lang gewidmet habe; um es kurz zu machen: Es ist tatsächlich vergeistigt, doch durchaus lehrreich.
Wie dem auch sei – ein Schatz war es, mit dem es an sich gut begann.
Der Kamerad Cristobal Velasco hatte eine Schatzkarte aufgetrieben, deren Entschlüsselung wir uns zu viert widmeten – Bartos, Cristobal, Jacky und ich – und nach einigen Fehlschlägen des organisiert-ziellosen Herumschipperns entlang der Küsten Gerimors und Lameriasts auf Menek’Ur anlandeten. Bekanntlich sind die Sandfresser ein sehr traditionsbewusstes, zu sich selbst strenges und zu Ausländern misstrauisches Volk. So kam es nicht von ungefähr, dass wir an einem vor der Unbill der See, wie auch den Blicken von Land her geschützten Ort ankerten, den die Bruderschaft schon lange als Schmuggel-Umschlagplatz nutzte. Nachdem wir uns vorbereitet hatten du jede Körperöffnung und so viel des Gesichts wie möglich so gut als machbar abgedeckt hatten stießen wir vor in das sandige Wüstenmeer Menek’Urs.
Bereits nach den ersten hundert Schritten hasste ich diese Wüste wieder, wie ich sie schon immer seit meinem ersten Besuch gehasst habe.
Weshalb, wird man sich fragen? Sand, zum Ersten. Überall Sand! Egal, wie ordentlich man sich vermummt und klariert, der verdammte Sand dringt einem in jeden noch so kleinen Spalt, verstopft einem die Nasenlöcher und nimmt einem die Sicht. Die Hitze, zum Zweiten. Wir Cabezianer sind ja einiges gewohnt, warm und feucht wie es auf unserer Insel ist, doch diese trockene und ofenheiße Hitze? Das wurde jedem zu viel, der bei klarem Verstand!
Es kam demnach nicht von ungefähr, dass ich es eilig hatte, dieses Eiland schnell wieder zu verlassen. Zielstrebig folgten wir den Hinweisen, die uns die Karte gab – in meiner Frau wussten wir eine erfahrene Schatzsucherin zu haben – und hoben schließlich nach einigen Wirrungen und Irrungen den Hort. Die Beute war nicht ausufernd, doch zufriedenstellend; zur späteren Aufteilung unter den Kameraden verwahrte ich sie für’s Erste.
Auf dem Heimweg wuchs der Verdruss ob der Wüste noch um einige Faden weit und Bartos machte dem offenkundig Luft, als wir an der Oase vorbeikamen, die den Sandfressern als heilig galt.
Er pisste in das Wasser und war froh dabei.
Mir hatten sich in dem Moment die Nackenhaare aufgestellt und eines der menekanischen Amulette, die ich einem Sandfresser-Goldschmied abgekauft hatte, glitt wie von selbst zwischen meine Finger und an meine Lippen. Nicht, dass ich dem Glauben der Menekaner anhinge, doch wer war ich, dass ich die Existenz ihrer Göttin verleugnen könnte? Was war, das konnte nicht negiert werden. Also tat ich das meine, um Unbehagen fernzuhalten. Und ließ den Kameraden gewähren – wie auch Jacky, die ich wie so oft auch auf diesem Abenteuer Blicke zu Kameraden werfen sah, die mir nicht gefielen.
Danach ging es zügig zum Kutter zurück und auf See, heim nach La Cabeza, wo die Beute geteilt wurde.

Die angerissenen Blicke waren es denn einige Tage später auch, die mich die Contenance verlieren ließen.
Wie Eingangs schon angedeutet, nahmen die Tage der Wellentäler, um in dem Bild zu bleiben, zu. Sie waren eklatant mit meiner Frau verknüpft. Nachdem Jacky vor langem einmal mit dem Kameraden Vasco angebandelt und unsere Beziehung daran beinahe zerbrochen war, ertappte ich mich immer wieder, wie ich manche männlichen Kameraden mit Argus-Augen betrachtete. Immer wieder schien es mir da sogar, als tausche Jacky mir unliebsame Blicke mit solchen aus, oder teile eine Vertrautheit, die mir die Galle hochkommen ließe. Über viele Monde hinweg tat ich das stets als Unsinn ab, denn wir hatten doch wider zueinander gefunden und uns sogar unter gegenseitigen Schwüren die Ringe aufgeschoben. Doch dann traten die ersten Matrosen auf See an mich heran; mit heruntergenommenen Hüten, betretenem Blick und nur flüsternd. Sprachen mir von Gerüchten, die in den Decks umgehen würden, doch ‚‘keine Sorge, Skipper… de han’mer ordentlich die Köppe gerade gerückt!“ – immer wieder kamen vertraute Matrosen da also zu mir oder schlugen sich mit Kameraden, die sonst doch immer so pflichtbewusst waren.
Da mutmaßte ich wieder und war mir meiner und ihrer nicht mehr sicher. So kam es, dass ich jedes Mal, wenn ich auf See ging und mich von Jacky verabschiedete mir ihrer nicht sicher war, was sie tat, wenn ich fort war. Dass sie unglücklich wegen meiner häufigen Seegänge war, das wusste ich, auch wenn ich es lange nicht wahrhaben wollte. Also versuchte ich, häufiger an Land bei ihr zu sein. Im Durschnitt kam ich auf zwei, drei Tage an Land in ein bis zwei Wochen- aye, der Schnitt hätte besser sein können, doch als Bootsmann und später dann, seit ich erster Offizier war… mehr war nicht drin gewesen. Und allzu oft war Jacky selbst nicht im Krähennest, war saufen oder was auch immer über Nacht, irgendwo. So endeten für mich die Landgänge oft in der Spelunke oder im Flottenamt, um wenigstens etwas nützliches zu tun. Oder meine Gedankengänge zu betäuben.
Aber wer behauptete schon, dass Ehen zwischen Seeleuten einfach wären? Das war auf La Cabeza nicht anders, als auf Gerimor oder sonst irgendwo.
Der Orkan brach jedenfalls einige Tage nach der Schatzsuche los.
Auf dem Heimweg vom Gouverneurs-Büro hatte ich einen Abstecher zum Hafenkai gemacht, um noch ein wenig den Ausblick auf die Bucht zu genießen. Dort traf ich Jacky an, angelnd.
Ich weiß nicht mehr, was der genaue Auslöser war, doch meine Contenance ließ mich im Stich, was selten vorkam, und brandete in voller Wucht an Jacky. Ein waschechter Ehestreit war die Folge, während dem unsere Stimmen volumenreich aufeinander trafen und über den ganzen Kai schollen.
Da ging es nicht nur um uns beide, nein… auch unser Sohn Esteban war ein Thema, um das sich die Gemüter erhitzten – frei nach dem Motto: Wenn man schon stritt, dann allumfassend und richtig!
Während also Jacky mir Vorhaltungen machte, dass ich unseren Jungen auf See geschickt hatte und ich ihr, da sie unseren Sohn vierjährig schimpfte, obwohl er doch schon acht wäre… wir uns darüber in die Haare bekamen, ob dem Herrn Gouverneur (ich hasste es, wenn sie mich so nannte) denn nun Perera oder sie wichtiger wären… ich sie wissen ließ, dass mir die Blicke, die sie mit Kameraden tauschte durchaus auffielen und wer weiß, was sie während meiner Abwesenheit tat… und sie mit eben dieser häufigen Abwesenheit konterte, ohne darauf einzugehen (was mir mehr sagte, als alle Worte) - füllte sich das Fass des Zorns in mir Tropfen für Tropfen. Das eine gab das andere…. Und schließlich platzte die Bombe, metaphorisch gesprochen.
"Ick will damit sachen, dat et mir manchmal schwer fällt, dir zu trouen. Für mick zählen Eide un'Schwüre, Jacky. Vor Perera un'vor jedem anderen."
Das war‘s. Ich hatte ausgesprochen, was mich schon sehr lange beschäftigte und innerlich aufwühlte. Zugegeben, ich wollte Jacky trauen… war sie doch die Frau, die ich an meiner Seite wissen wollte, mit der viele gemeinsame Abenteuer verbunden waren. Doch das Vertrauen war, auch wenn ich mir das lange nicht hatte eingestehen wollen, schlichtweg aufgeweicht, seit sie in die Arme anderer flog.
Mit absoluter Sicherheit, in Gestalt von handfesten Beweisen wusste ich es nicht, doch ich hatte es im Gespür… und da waren schließlich noch die Gerüchte in den Decks, und die Beobachtungen. Ich traute meinem Instinkt und kannte Jacky zu gut, als dass ich es hätte übersehen können. Selbst, wenn ich es gewollt hätte. Doch was war nun wirklich dran? Das war mir in dem Moment einerlei, denn es ging um das Prinzip.
Schwüre, so hielt ich meiner Frau, die ich doch gerne mo chríde, mein Herz, nannte – während sie mit meinem spielte – vor, unterschieden uns von unseren Feinden, denn wir hielten sie. Mochte der Pirat auch noch so opportunistisch sein, mal für die eine Seite, mal die andere kämpfen… oder gegen beide. Geleistete Eide und Schwüre, vor Perera oder der Insel… oder sonst jemandem – sie galten. Denn das hielt uns zusammen, machte uns zu dem, was wir waren. Eine eingeschworene Gemeinschaft unter der Totenkopfflagge Pereras.
Jacky war von meinen harten Worten offenkundig reichlich erschüttert. Hart waren sie auch, keine Frage. Und ich hatte mir eine nicht weniger harte Mimik aufgezwungen, der Tonfall hätte meinem Käptn Perera alle Ehre getan… denn in dem Moment war ich von purem Zorn erfüllt – und Enttäuschung, oder vielleicht auch etwas Verwirrung… was ich mehr schlecht als recht aus meinem Blick bannen konnte. Zugleich schmerzte es mich freilich ungemein, so mit Jacky umzuspringen. Aber irgendwann war genug einfach genug. Wenn sie mich tatsächlich betrog, dann brach sie den Schwur, war nicht besser, als die, welche wir unsere Feinde nannten. Der Ideologe in mir brauste auf, wie der wildeste Orkan. Und der Ehemann in mir blutete innerlich – mehr noch, als sie mir ihren Ring mit den Worten in die Hand drückte, dass ich ihn ihr wiedergeben möge, wenn ich ihr wieder vertrauen könne.
Da verschloss ich mich so gut es ging vor ihr, wickelte den Ring in mein Halstuch ein und schob ihn in die Innentasche meines Uniformmantels. Weder wollte ich, dass sie das Bröckeln meiner Entschlossenheit wahrnahm, das mit dem Verebben des Zorns einherging… noch, dass ich mich wand, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Außerdem ging es nicht nur um mich, sondern weiters sogar um Perera – als dessen Stellvertreter wollte ich nicht als Gehörnter dastehen, das würde nur schlecht auf die Pereras zurückfallen. Auch, wenn mir das freilich in dem Moment reichlich egal war – in mir tobte ein ganz eigener Krieg.
So schloss ich mit den Worten, dass ich auf der Toro nächtigen würde. Der Einwand, sofern sie es anders sähe, war mehr rhetorischer Natur. Denn ich hatte in den Mondläufen die Ansicht bekommen, die jüngst gestärkt worden war, dass Jacky zwar einerseits darob brüskiert war, dass ich so selten an Land war – andererseits wenn ich an Land war oft selbst nicht im Krähennest war.. oder mich als störend empfand.
Mochte es vielleicht auch nur das sein, wofür ich es jetzt, da ich diese Zeilen niederschreibe halten könnte: Beiderseits verletzter Stolz… doch das war Augenwischerei. Mein Bauchgefühl täuschte mich nämlich in der Regel nicht – und Gerüchte auf den Decks der Matrosen hatten mit Seemannsgarn eines gemein: Sie hatten stets einen wahren Kern.
Das Wellental war mir dieser Tage echt zu tief und duster. Scheiße.

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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

"Krieg, Handel und Piraterie,/Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
Mephistopheles, Faust II
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