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Man erzählt sich am Feuerschein...
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Der Erzähler





 Beitrag Verfasst am: 25 Nov 2007 17:24    Titel: Man erzählt sich am Feuerschein...
Antworten mit Zitat

Ein leises Knistern ging von der Feuerstelle aus. Obwohl der Raum von angenehmer Wärme erfüllt war, zog die alte Frau ihr wollendes Tuch ein wenig fester um die Schulter. Sie tat dies mehr aus Gewohnheit, denn um Kälte abzuwehren. Ihr Blick glitt durch den Raum. Hinten spülte ihre Schwiegertochter die Suppenschalen, ihr Sohn saß auf seinem Schemel und schnitzte an einer der Figuren, die er auf den Märkten des Landes feilbot. Zu ihren Füßen hatten die Kinder sich in einem Halbkreis niedergelassen und schauten erwartungsvoll zu ihr auf.

"Eine Geschichte also?" fragte sie sachte lächelnd. Natürlich war ihr die Antwort bekannt, doch leitete diese Frage ein allabendliches Ritual ein, das der ganzen Familie ein wohliges Gefühl des Miteinanders vermittelte.
Schon nickten die Kinder eifrig und auch ihr Sohn -Vater von drei Mädchen und vier Buben und doch selber immer Kind geblieben- legte sein Schnitzwerk beiseite.
"Und welche wollt ihr hören?"
Ihr Blick glitt über die Gesichter und bei ihrem zweitjüngsten Enkel blieb er schließlich haften. Der unausgesprochenen Aufforderung sofort folgend, platzte er förmlich heraus: "Erzähl uns von Marie!"
Sofort nickten wieder sieben kleine und ein großer Kopf.
"Von Marie also. Nun gut. So hört, was ihr geschah..."

Die Alte zog das Tuch noch ein wenig fester und begann ihre Geschichte:

Einst, vor langer langer Zeit, lebte nicht weit von hier ein Mädchen. Ihr Name war Marie. Ihre Eltern waren früh von einer Krankheit dahingerafft worden und so kam es, dass Marie auf einem Bauernhof als Magd dienen musste, um ihr täglich Brot zu verdienen. Sie war recht zufrieden mit ihrer Anstellung, hatte sie doch einen vernünftigen Lohn und durfte zudem in einer kleinen Kammer wohnen, die sie stolz ihr Reich nannte.
Trotz ihres Verlustes hatte sie ein sonniges Gemüt, lachte oft und hatte für jeden Menschen ein freundliches Wort.

Doch eines Tages veränderte sie sich. Ihr Lächeln verschwandt und die sonst so lebenslustige Marie und wurde still und menschenscheu. Immer wieder fragten die guten Bauersleute, was denn mit ihr sei, doch sie wich Fragen geschickt aus, verweigerte jede Antwort. Die Leute wussten sich keinen Rat und so ließ man sie schließlich einfach in Ruhe. Wahrscheinlich war es das Alter. Diese jungen Leute werden immer seltsamer, dachten sie die Bauersleut.

Doch niemand ahnte die Wahrheit. Niemand konnte die Verzweiflung in Maries Augen erkennen. Und wenn Marie es ihnen verraten hätte, ihren Worten hätte niemand glauben geschenkt. Das wusste sie und so schwieg sie.

Die Großmutter machte eine bedeutungsvolle Pause. Alle Augenpaare waren gebannt zu ihr gerichtet, auch ihre Schwiegertochter hatte mittlerweile ihr Nähzeug genommen und sich niedergelassen. Wenn man sie alle so sah, hätte man denken können, sie hörten etwas vollkommen Neues und keine Geschichte, die der Volksmund wieder und wieder erzählte. Ein Schlückchen Wasser, dann fuhr sie fort.

Am Ende der Straße, in einem der wenigen Steinhäuser des Dorfes, lebte der Kaufmann. Ein reicher Mann, immer in teure Pelze gewandet, an seinem Hals hing eine Goldkette und er trug sogar einen Ring mit einem echten Edelstein! Jede Woche ließ er sich vom Bauernhof Waren liefern: Eier und Gemüse, hin und wieder ein paar Sack Mehl.

Wie so oft war Marie mit ihrem Weidekorb zu seinem Anwesen gegangen. Doch an jenem Tag hatte er sie nicht gleich wieder weggeschickt. Unter einem Vorwand hatte er sie in die Stube gelockt. Dort hatte er erst versucht ihre Gunst zu erwerben, doch als die scheiterte... nun, da hat er ihr weh getan. Anschließend drohte er unserer Marie. So sie auch nur ein Wort sagen würde, käme sie das teuer zu stehen. Als er dies aussprach, wusste Marie bereits, dass er recht hatte.

Die junge Frau litt fürchterlich. Des Nachts sah sie immer wieder das Gesicht des Kaufmannes und wenn sie ihm auf der Straße begegnete, gefrohr ihr das Blut in den Adern.
Eines Nachts, als der Mond hell ihre Kammer erleuchtete und Marie wieder kein Auge zutun konnte, schlich sie sich in den Wald. Sie wanderte zu dem kleinen Bach und ließ sich dort ins Gras sinken. Das leise Plätschern des Wassers und das sanfte Rascheln der Baumkronen wirkte wie eine wohltuende Melodie. Es war, als säße ihre Mutter bei ihr, als warte sie leise summend darauf, dass Marie ihren Kummer berichten würde. Ohne wirklich darüber nachzudenken, begann Marie zu sprechen. Leise, kaum mehr als ein Flüstern. Sie erzählte, fasste Schmerz und Kummer in Worte, sprach ihre Angst aus. Nachdem sie geendet hatte, war ihr ein wenig leichter ums Herz, doch Marie wusste, dies würde nicht von Dauer sein. Schon begannen die Grübeleien auf ein Neues.

Dann, ein leises Knacken, das Brechen eines Zweiges unter einem Fuß.
Marie wirbelte herum und starrte auf die dunkle Wand aus Bäumen und Strauchwerk, suchte nach dem Auslöser, auf den Lippen ein stummes Gebet, einen Hirsch zu erblicken.
Ihre Augen richteten sich auf einen Busch, der sich unter leisem Rascheln teilte, dann trat eine alte Frau in das silberne Mondlicht. Marie schnappte nach Luft, starrte die Alte an, unfähig ein Wort zu sagen. Panik presste ihr die Kehle zu. Die Frau hob beruhigend die Hände und machte einen langsamen Schritt auf Marie zu.
"Ruhig, Kind. Hab keine Angst." Trotz der sanften Stimme, dem milden Tonfall wich Marie ein wenig nach hinten.
"Sieh mich an, Mädchen. Ich bin alt, ich bin dürr. Glaubst du wirklich, ich sei eine Gefahr. Komm, setz dich wieder."
Marie musterte die Frau unsicher. Sie war von dürrer Gestalt, der Rücken von den Jahren bereits gebeugt. Unter dem dunklen Tuch hatten sich ein paar silberweiße Haarsträhnen gelöst und fielen wirr an ihrem Gesicht entlang auf die Schultern. Die Haut war faltig, doch trotz allem strahlten ihre Augen, wie einst die von Marie. Nun stellte die Alte ihren Korb ab, in dem Marie ein paar Wurzeln und Pflanzen erkennen konnte und ließ sich auf einem Baumstumpf nieder.
Zögerlich sank Marie wieder in das Gras. Schweigend blickten die beiden Frauen auf den kleinen Bach, beobachteten, wie das Wasser seinen Weg ging.

Die Stimme der Frau war leise und doch war es Marie, als würden sie ihren ganzen Kopf erfüllen, als diese schließlich die Stille durchschnitt: "Geh nun Heim, Marie. Du musst schlafen Kind. Deine ganze Energie wirst du brauchen. Morgen, wenn der erste Strahl der Sonne den Tag ankündigt, nimm dir einen Besen. Kehre deine Stube und mit dem Staub kehre deinen Kummer hinaus. Über deine Türe hänge einen Zweig weißen Flieders. Sein Duft wird dir neuen Auftrieb schenken. Aber verliere zu niemandem ein Wort. Dies hier hat nie stattgefunden, hörst du?"
Bei ihren letzten Worten löste die Alte schließlich ihren Blick von dem Bach und starrte Marie eindringlich an. Irgend etwas in diesen Augen ließ Marie wortlos aufstehen und nach einem kurzen Nicken ihren Heimweg antreten. Woher die Frau ihren Namen kannte, was diese seltsamen Worte zu bedeuten hatten... all das war auf einmal unwichtig.

Erneut unterbrach die Großmutter ihre Erzählung, um ihre Kehle ein wenig zu befeuchten.

Marie tat, wie ihr geheißen. Als sie aber den Zweig aufhing und der Duft des Flieders in ihre Nase stieg, war es, als könnte sie das erste Mal wieder richtig amten. Zwar lag ihre Sorge immer noch schwer auf ihren Schultern, doch nahm sie das erste Mal wieder das leise Zwitschern der Vögel war. Der Tag verging und auch der nächste war nicht erwähnenswert. Dann aber, zwei Nächte nach dem sonderbaren Treffen, bei dem Marie schon dachte, es sei ein Traum, gellte in den frühen Morgenstunden ein markerschütternder Schrei durch die Straße. Einen Moment herrschte Stille, dann rannte die alte Haushälterin des Kaufmannes hysterisch kreischend auf der Straße entlang. Sofort stürmten Männer herbei, hielten sie und verzweifelten fast daran, aus ihr ein vernünftiges Wort heraus zu bekommen. Immer wieder stammelte sie wirres Zeug. Marie verstand nur "der Herr" und "Schemel". Der Rest ging in dem Geschluchze der Frau unter. Der Schmied schließlich stappfte in das Haus, um den Auslöser herauszufinden. Als er heraus kam, war er kreidebleich im Gesicht, dann schob die Bäuerin Marie in die Küche zurück.
Am Abend wurde die Leiche des Kaufmannes zur Feuerstelle getragen, um seine Seele dem Feuer zu übergeben. Er hatte ein Buch aus dem obersten Regal ziehen wollen und war auf einen Schemel gestiegen. Dieser hatte das gewaltige Gewicht nicht tragen können. Bei dem Sturz hatte er sich das Genick gebrochen.
Marie stand mit allen anderen Dorfbewohnern am Straßenrand. Einen letzten Blick wollte sie noch auf ihren Peiniger werfen. Dann, als man ihn an ihr vorbeitrug, stockte ihr einen Moment der Atem. Auf seiner Brust, zwischen die starren Finger geklemmt, ruhte ein Zweig weißen Flieders.

Kaum war der Mond am Himmel erschienen, huschte Marie aus ihrer Stube und machte sich auf den Weg in den Wald. Sie blieb, bis fast die Sonne aufging, doch nichts geschah. Auch in den folgenden Nächten tat sich nichts. Einige Nächte blieb Marie im Bett, doch als der Mond wieder eine volle Kugel war, versuchte sie es erneut. Die Lichtung war in silbernes Licht getaucht, so konnte Marie auf den ersten Blick sehen, dass sie alleine war. Leise seufzend wollte sie sich schon abwenden, als sie den Zweig erblickte. Weißer Flieder. Das konnte kein Zufall sein. Behutsam nahm sie ihn an sich, drückte ihn an die Nase und genoß den Duft der Blüten. Dann erst sah sie die kleine Pergamentrolle, kaum länger als ihr Daumen. Behutsam rollte sie es auf und las die Zeilen. Kaum damit fertig, zerfiel das Schreiben zu Staub. Kein großer Knall, kein Rauch, kein Funkeln. Es zerbröstelte einfach in ihren Fingern.

Die Jahre vergingen. Marie lernte wieder zu lachen. Ein junger Mann trat in ihr Leben, schenkte ihr viele glückliche und wenig traurige Stunden. Die Krönung ihrer Liebe war eine kleine Tochter, die unter der liebevollen Führung ihrer Eltern zu einer schmucken jungen Frau heranwuchs.
Marie wurde Großmutter und schließlich Witwe.
Irgendwann war dann auch ihre Zeit auf dieser Welt dem Ende nahe gekommen. Sie versammelte ihre Lieben und nahm einzeln Abschied. Dann schickte sie alle hinaus. Nur ihre Tochter wollte sie bei sich haben.
"Nimm dir einen Stuhl, mein Kind", flüsterte Marie.
"Bitte, Mutter, nicht sprechen, du musst dich schonen..."
Marie schnaubte ärgerlich. "Still, Kind. Meine Zeit ist gekommen. Ich brauche mich nicht zu schonen. Aber ich muss dir noch etwas sagen..."
Und so berichtete sie ihrer Tochter, was zuvor nie ein Mensch erfahren hatte. Als sie geendet hatte, sah sie ihrem einzigen Kind fest ins Gesicht. Ein Atemzug und noch einer, dann fuhr sie fort.

So du jemals in Not bist, so großer Not, dass nichts und niemand auf dieser Welt dich mehr retten kann, wenn dein Herz zugeschnürt ist vor Sorge und Kummer, gehe im Morgengrauen in den Sumpf und schneide mit einem Dolch eine Blume der Dotterblume. Trockne sie behutsam, sie darf nicht beschädigt werden. Am nächsten Vollmond nimm einen Spiegel und lege einen Bogen Pergament darauf. Mit dunkler Tinte schreibe deine Sorgen auf. Unterschreibe mit deinem vollen Namen und träufle einen Tropfen Blut aus deinem linken Ringfinger darauf. Lasse alles trocken, dann rolle das Pergament und stecke es in einen Beutel aus Ziegenleder. Schnüre diesen mit einer blauen Kordel. Dann nimm eine Kerze aus Bienenwachs und zünde sie an. Gib etwas Wachs davon auf die Stelle, wo die Enden der Kordel zusammentreffen. Nun drücke die Blüte der getrockneten Blume in den Wachs. Dann schließe die Augen und sage folgenden Spruch:

Mit dem Schnitt der Dotterblume
schon erwacht die Hexenmuhme.
Dunkle Schrift auf spiegelnd Grund
tut der Alten Sorge kund.
Tropft darauf dein frisches Blut,
weckst du alter Mächte Glut.
Wenn das Bienenwachs heiß siegelt,
sie ihr Hexenross frisch strigelt.
Ist das Band noch angebracht,
fliegt die Hexe durch die Nacht.
Im vollen Mond die Eiche knarrt
donnernd, wenn die Hexe naht.
Mit dem nächsten Hahnenschrei
ist der ganze Spuk vorbei.
Doch, wenn du die Zeichen liest
und befolgst, du Wirkung siehst...


Nun mache dich schweigend auf den Weg. Suche die Donnereiche und binde an ihre Äste den Beutel. Dazu musst du ein Band aus rotem Leinen nehmen. Dann drehe dich um und und gehe schweigend nach Hause. Sieh nicht zurück, egal, was geschieht.
Daheim zünde die Kerze an und lege dich schlafen.

Doch sei gewarnt. Tue es niemals leichtfertig. Die Mächte, die du um Hilfe bittest sind stark. Sie sind grausam und wenn du sie missbrauchen willst, werden sie dich hart strafen....

Ein heftiger Hustenanfall ließ Marie unterbrechen. Ihre Tochter hielt ihre Hand, doch als Marie wieder zu Atem kam, konnte sie noch immer das Erstaunen ihrer Tochter in deren Augen lesen. Sie versuchte noch etwas zu sagen, doch diese Kraft fehlte. So begnügte sie sich, ihre Tochter aus liebevollen Augen anzusehen, ehe sie die Augen für immer schloss.

Die Großmutter atmete tief durch. Diese Geschichte wurde allmählich zu lang für sie. Aber dieses ergriffene Funkeln in den Augen ihrer Enkel war die Anstrengung wert. Aus dem Augenwinkel erkannte sie, dass ihre Schwiegertochter sich eine Träne fortwischte.
"Sag Großmutter, gibt es wirklich Hexen?" Es war ihre jüngste Enkeltochter. Ein mildes Lächeln umspielte die Lippen der Alten.
"Wer weiß? Ich habe es nie gewagt, es zu versuchen. Doch munkelt man von einem Freund meines Vetters, der... aber das ist eine andere Geschichte...."
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Der Erzähler





 Beitrag Verfasst am: 03 Aug 2008 21:13    Titel:
Antworten mit Zitat

„Großmutter, du hattest uns doch noch eine Geschichte versprochen!“ Fünf paar große, neugierige Kinderaugen blickten zu der alten Dame auf. Mit einem gutmütigen Lächeln glitten ihre Augen über die Runde. „Eine Geschichte? Ja, da fällt mir etwas ein. Sie ist aber ein wenig gruselig.“ Man konnte die Neugierde förmlich anfassen, die sich nunmehr in den Kinderaugen ausbreitete. „Lasst uns hinausgehen.“ Langsam und gebeugt schritt die Alte in den Garten. Es war ein eher ländliches Anwesen, an dessen Rand einige alte Bäume standen. Hier hatte sie sich schon öfters an lauen Sommerabenden wie diesem mit ihren Enkeln zum Geschichten erzählen hergesetzt. Einige Fackeln standen schon bereit. Im Abendwind rauschten leise die Blätter der alten Buchen und Linden, als sie zu erzählen begann.

„Es ist schon einige Jahrzehnte her, als Baldwin seinen kleinen Holzwarenladen vor Bajard eröffnete. Er war jung und voller Tatendrang, ehrgeizig. Er war gleichermaßen charmant und redegewandt wie auch ein geschickter Handwerker, und so kam es, dass sein Geschäft schon bald florierte. Die Kunden gingen ein und aus und kurz darauf gab es kaum einen Haushalt in ganz Bajard, der nicht einen Stuhl, einen Tisch oder ein Schränkchen aus Baldwins Händen besaß. Eines Abends jedoch, Baldwin wollte seinen Laden gerade schließen, da kam ein ungewöhnlicher Kunde in sein Geschäft. Er war dunkel gekleidet und etwas Kaltes ging von ihm aus. Seine Haut war blässlich und die stahlblauen Augen durchbohrten den jungen Kaufmann geradezu. „Man sagt, hier würde der beste Schreiner der Region wohnen?“ fragte jener. „Ich versuche zumindest, stets die Wünsche meiner Kunden zu ihrer vollsten Zufriedenheit zu erfüllen.“ Entgegnete Baldwin bescheiden. Der Fremde nickte. „Ich wünsche, dass ihr mir ein kleines Beistelltischchen fertigt. Nehmt dafür das dunkelste Holz, was ihr finden könnt. Es soll ein echtes Unikat sein.“ Baldwin nickte langsam. „Ich würde Mahagoni empfehlen.“ Sagte er schließlich. „Mahagoni? Das ist mir zu rot. In einer Woche werde ich wiederkommen. Lasst euch etwas einfallen. Eure Bezahlung wird reichlich sein. Wenn nicht...“ er ließ die Worte bedeutungsschwanger im Raum stehen. Baldwin schluckte und nickte eilig. „Ich werde mein bestes tun.“ „Das würde ich euch auch raten.“ Sagte der Fremde und wandte sich ab. „Auf bald.“ „Auf bald der Herr.“

Die Großmutter machte eine kurze Pause und trank einen Schluck aus der mitgebrachten Tasse Hagebuttentee. „Und was passierte dann?“ drängelte ein kleiner Bub mit blonden Krauslocken. Die alte Dame setzte eine geheimnisvolle Miene auf und begann eindringlich und gestenreich weiter zu erzählen.

Baldwin haderte. Woher so ein dunkles Holz bekommen? Doch was würde passieren, wenn der Kunde wiederkam und er nichts in den Händen hatte? In jener Nacht schlief er nur unruhig und so machte er sich gleich im Morgengrauen auf, um nach geeigneten Bäumen zu suchen. Eine ganze Weile war er schon durch die Wälder gestreift, als er schließlich vor einem großen, uralten Baum inne hielt. Sein Stamm war viel dunkler als die Umliegenden, auch das Blattwerk düster. Die Form der Blätter deutete auf eine Eiche hin, doch ein solches Exemplar hatte er noch nie zuvor erblickt. Eine seltsame Stimmung ging von dem Baum aus, er konnte es nicht so recht beschreiben. Irgendwie widerstrebte es ihm, jenen Baum mit der Axt zu Leibe zu rücken... doch geeigneteres Holz würde er kaum finden. Gerade wollte er die Axt zum Schlag heben – da trat eine junge Frau hinter dem Baum hervor. Sie war vielleicht um die zwanzig Sommer alt, das schwarze, gewellte Haar fiel ihr seidig über die Schultern bis zu den Hüften. Die Züge waren markant, doch gleichermaßen auch von einer natürlichen Schönheit. Ihre Kleidung war einfach, doch Baldwin verschwendete keinen Blick an jene, als ihn große, rehbraune Augen anblickten und eine sanfte Stimme sorgenvoll fragte: „Ihr wollt doch nicht etwa jenem wundervollen Baum seine Äste rauben, mein Herr?“ Ihm stockte der Atem und er wünschte sich, statt der Axt einen Strauß Blumen in den Händen zu halten. Wer war diese fremde Schönheit? Kaum war er zu einem klaren Gedanken fähig. „Nein, nein“ stotterte er und kam sich vor wie ein ungeschickter Tölpel. Ein zartes Lächeln huschte über ihre Lippen. „Versuche niemals, diese Bäume anzurühren. Die Donnereichen stehen unter dem Schutz der Götter. Wer sie anrührt, zieht ihren Zorn auf sich.“ Nur mit Mühe konnte er sich auf das Gespräch konzentrieren, gänzlich hatte er sich in diesen sanftmütigen Augen verloren. Stumm und wie in Trance nickte er. „Doch nun muss ich fortgehen. Gehabt euch wohl.“ Abermals huschte ein Lächeln über die Züge des Mädchens, ehe sie im Wald verschwand. Einige Momente stand Baldwin wie versteinert dort, doch dann besann er sich. „Wartet!“ Doch zu spät – keine Spur mehr von der jungen Frau.

Einige Zeit lang verharrte Baldwin dort – und entsann sich, was ihn eigentlich zu diesem Baume getrieben hatte. Jener Auftrag, er würde sich nicht von selbst erledigen. So viel Holz wäre es ja nicht... er zögerte, doch dann blickte er sich mehrfach um und vergewisserte sich, dass kein Mensch in der Nähe war. Aber außer ein paar Vögeln konnte er partout niemanden ausmachen. „Wenn ich nur einen Seitenast fälle, sollte das der Holden doch kaum auffallen. Vielleicht war es gar ein stürmischer Wind...“ und so hob er entschlossen das Beil und schlug zu. Der gellende Schrei eines Adlers ließ ihn zusammenfahren und sein Beil sprang von dem Holz ab, dass er durch den Stoß rückwärts taumelte und im Gras landete. Die Schneide hatte eine dicke Kerbe – der Baum jedoch stand dort, als habe er ihn niemals versucht anzurühren. Über seinen Kopf hinweg flog der Adler fort – nicht ohne erneut gellend zu schreien. Baldwin wurde es unheimlich zu Mute und er rannte fort von diesem seltsamen Baume in seine Werkstatt. An diesem Abend würde er nichts mehr machen.

Die Kinder starrten mit großen Augen zur Großmutter, welche eine kurze Pause machte, um erneut an ihrem Teekrug zu nippen. „Großmutter?.“ Fragte ein kleines Mädchen schließlich. „Ja mein Kind?“ Ruhig wanderte ihr Blick zu der kleinen Schwarzhaarigen. „Wer war diese Frau?“ Die Großmutter antwortete nach einer Weile des Nachdenkens: „So genau weiß das keiner, aber ich denke es war eine Hexe.“ Doch dann mischte sich ungeduldig der kleine Blondschopf wieder ein: „Aber wie ging es denn nun weiter?“ Schmunzelnd setzte die alte Frau ihre Erzählung fort.

Am nächsten Morgen schließlich brach Baldwin wieder auf. Er suchte zweierlei Dinge: die geheimnisvolle Frau und das passende Holz für den Schrank. Bitter bereute er, dass er sein Versprechen ihr gegenüber gebrochen hatte und er wollte sich entschuldigen. Ein wenig ängstlich, doch auch voller Hoffnung, suchte er erneut jenen besonderen Baum auf, den sie als Donnereiche bezeichnet hatte. Doch so sehr er auch nach ihr suchte: Sie blieb verschwunden. Nicht das kleinste Zeichen war von ihr zu sehen, kein abgeknickter Halm. Gegen Mittag gab er die Suche auf und wendete sich den Bäumen zu, um schließlich einfache Stämme zu schlagen. Er würde sie mit einem dunklen Harz überstreichen, das sollte wohl auch die Wünsche seines Kunden befriedigen. Er hob die Axt und schlug zu, wie er es schon tausende Male zuvor getan hatte. Doch – das Holz war nur angeditscht, kein sauberer Einschlag wie sonst war zu sehen. Verwundert blickte er auf seine Axt. Sie war stumpf. Mit gerunzelter Stirn zog er seinen Schleifstein hervor, den er zur Sicherheit immer dabei hatte. Er hätte schwören können, sie wäre am Vortag noch scharf gewesen. Eifrig bearbeitete er also die Schneide. Doch als er einen prüfenden Blick auf sein Werk warf, war keine Änderung zu erkennen – nach wie vor war seine Axt stumpf wie ein Hammer. Erneut setzte er den Schleifstein an, doch gleich wie er sich bemühte, es änderte nichts. Nach einer Weile gab er es kopfschüttelnd auf und kehrte nach Hause zurück, um sich ein neues Beil zu besorgen. Doch dort dasselbe Bild – sein Werkzeug war stumpf und ließ sich nicht schleifen. Ratlos ging er zu seinem Stammschmied, um jenen um eine Ausbesserung zu bitten. Mit geübten Handgriffen schärfte er geschwind seine Beile und Äxte. Als Baldwin jene wieder in Empfang nahm, erbleichten die beiden Männer jedoch: Von einem Augenblick zum nächsten wurden die Schneiden erneut stumpf wie Hämmer. „Bei den Göttern, was hast du getan? Du bist verflucht!“ entfuhr es dem entsetzten Schmied. „Geh fort aus meinem Haus, bevor du Unheil auch über mich bringst!“ Eilig ging Baldwin zurück in seine Werkstatt und legte dort seine Werkzeuge ab. Mit leeren Händen ging er erneut in den Wald zu jenem Baume. Wie konnte er nur wieder gutmachen? Verzweifelt schrie er nach der unbekannten Frau, die ihn so eindringlich gewarnt hatte. Er litt Höllenqualen – sein Herz gehörte ihr, und doch stand er in ihrer Schuld und war verflucht – er fühlte sich verloren. Zudem würde er so seinen Auftrag nicht erfüllen können. Doch egal wie viel er rief, ob er um Verzeihung flehte, bat, bettelte – nichts rührte sich. Auch die nächsten Tage versuchte er es, doch immer ohne Erfolg. Er sah jene Schönheit nie wieder. Die Leute im Dorf begannen über ihn zu reden, hielten ihn für verrückt. Seinen inneren Schmerz nicht länger ertragen könnend, begann er zu trinken. Und so wurde aus dem erfolgreichen jungen Mann in nur wenigen Tagen und Monden ein Wrack. Ein gebrochener Mann mit verlorenem Herzen und verfluchter Seele. Sein geheimnisvoller Kunde kam nie, um das Tischchen abzuholen.

Die Großmutter verstummte und atmete tief durch. Eine Weile schwiegen die Kinder, der Erzählung noch nachhängend. Doch dann ergriff die Schwarzhaarige leise erneut das Wort: „Der arme Mann.“ Auch der Blondschopf fand seine Sprache wieder. „Gibt es solche Bäume wirklich?“ Die Großmutter nickte. „Ja, es gibt sie, diese Donnereichen. Sie sind groß und uralt. Ihr Holz und ihr Laub ist dunkel, sie strahlen etwas Unheimliches aus.“ Ein rothaariger Dreikäsehoch schaltete sich nunmehr ein. „Aber was wollte die Hexe denn bei dem Baum? Und warum wurde der Baldwin denn so verflucht?“ Die Großmutter überlegte einen Moment, ehe sie antwortete: Den Hexen sind diese Bäume scheinbar irgendwie heilig. Ich vermute, der Mann hat die Hexe erzürnt und deswegen hat sie sich gerecht. Man sagt, wenn man die Hilfe einer Hexe dringend braucht, muss man im Morgengrauen in den Sumpf gehen und eine Blüte der Dotterblume schneiden. Am nächsten Vollmond solle man einen Spiegel nehmen und einen Bogen Pergament darauf legen. Mit dunkler Tinte schreibe man seine Sorgen auf. Unterschrieben wird mit dem vollen Namen und einem Tropfen Blut aus dem linken Ringfinger. Wenn alles getrocknet ist, muss das Pergament zusammengerollt und in einen Beutel aus Ziegenleder gesteckt werden. Eine blaue Kordel diene als Verschluss. Mit einer Kerze aus Bienenwachs solle etwas Wachs davon auf die Stelle, wo die Enden der Kordel zusammentreffen, gegeben werden. Nachdem man die Blüte der getrockneten Dotterblume in den Wachs gedrückt hat, muss man mit geschlossenen Augen folgenden Spruch aufsagen:

Mit dem Schnitt der Dotterblume
schon erwacht die Hexenmuhme.
Dunkle Schrift auf spiegelnd Grund
tut der Alten Sorge kund.
Tropft darauf dein frisches Blut,
weckst du alter Mächte Glut.
Wenn das Bienenwachs heiß siegelt,
sie ihr Hexenross frisch strigelt.
Ist das Band noch angebracht,
fliegt die Hexe durch die Nacht.
Im vollen Mond die Eiche knarrt
donnernd, wenn die Hexe naht.
Mit dem nächsten Hahnenschrei
ist der ganze Spuk vorbei.
Doch, wenn du die Zeichen liest
und befolgst, du Wirkung siehst...


Schweigend soll man anschließend eine Donnereiche suchen und an ihre Äste den Beutel mit einem roten Leinenband binden. Dann muss man heimgehen, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzublicken. Daheim muss man die Kerze anzünden und sich schlafen legen.

Entrüstet schüttelte der kleine Blondschopf den Kopf. „Von so einer bösen Frau will ich mir niemals helfen lassen! Wer weiß, bevor sie mich stattdessen verhext!“ rief er entschlossen aus und ballte die kleinen Fäuste. Die Großmutter musterte ihren Enkel eine Weile und sagte dann leise: „Erinnerst du dich an die Geschichte von der Marie? Da haben die Hexen ihr geholfen. Und ich habe da noch etwas gehört... aber ein anderes Mal. Es wird Zeit für euch, schlafen zu gehen.“ Enttäuscht nickten die Kleinen nicht ohne die Großmutter mit Bitten und Betteln noch einmal umzustimmen zu versuchen. Doch sie schüttelte entschlossen den Kopf. „Ein anderes Mal... Geduld, Kinder.“
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 Beitrag Verfasst am: 15 März 2009 23:55    Titel:
Antworten mit Zitat

Energisch reckte sich eine kleine Kindernase in die Höhe und blickte zur Großmutter hinauf, in der Stimme lag Nachdruck. „Großmutter, du hast uns noch eine Geschichte versprochen. Was war denn nun mit den Hexen?“ Die Alte seufzte und lächelte gutmütig. „Ist ja gut, ist ja gut.“ Sie schenkte sich ein wenig Pfefferminztee aus der Kanne ein und setzte sich an den warmen Kamin. Sogleich scharrten sich die Kinder um sie und blickten sie mit erwartungsvollen Augen an.

„Ihr kennt doch diese große Stadt im Westen, Rahal?“ Ein vielfaches Nicken folgte. „Dort wohnte einmal ein Bub, etwa in eurem Alter. Jonas war sein Name. Sein Vater war sehr streng. Er führte dort eine Apotheke. Und er versuchte zu jederzeit, immer den größtmöglichen Profit herauszuschlagen. Dazu gehörte auch, dass er sich die Kosten sparen wollte, viele Reagenzien anzukaufen. Und so schickte er seinen Sohn immer wieder in die Wälder, um Efeu, Pilze, Kräuter und Seerosenblätter zu sammeln. Und wenn der Junge kaum etwas gefunden hatte, so wurde der Vater wütend und schlug ihn, bis sein Körper mit blauen Flecken übersät war. Seine Mutter wagte es nicht, ihn in Schutz zu nehmen, sie arbeitete selbst bis spät in die Nacht nach den Anweisungen des Vaters wie eine Sklavin und fürchtete seinen Zorn.“
Mitleidig blickte das schwarzhaarige Mädchen drein. „Der arme Jonas. Ich wär‘ davongerannt!“ Entrüstet ballte sie die Fäuste. „Wenn du dich so sehr vor deinem Vater fürchten würdest, dann wärest du auch lieber folgsam. Wer weiß, vielleicht hätte er dich totgeschlagen, wenn er es gemerkt und dich gefunden hätte.“ Wandte die Großmutter ein. Die Skepsis in den Augen des Mädchens blieb, aber sie nickte. Die Alte nahm noch einen Schluck Tee, ehe sie ihre Erzählung fortfuhr.

„An einem Tag im Hartung, es war bitterkalt und der Schnee lag für den Jungen fast kniehoch, schickte ihn der Vater erneut in den Wald zum Pilze sammeln. „Die Fliegenpilze gehen uns zur Neige. Sieh zu, dass du bis heute Abend 50 davon hierherschaffst.“ „Aber Vater, wie soll ich denn unter dem tiefen Schnee Pilze finden?“ Erbost entgegnete er: „Jonas, wofür hast du deinen Kopf? Erinnerst du dich nicht, wo die Pilze im Sommer standen? Kein Wort mehr. Ab in den Wald mit dir!“ Eilig griff Jonas nach dem Sammelkorb, die Tränen standen ihm in den Augen. Er war noch nicht einmal im Wald angekommen, da waren ihm seine Zehen schon eingefroren, so bitterkalt war es. Zwei Stunden irrte er zwischen den Bäumen hin und her, seine Beine waren durchnässt vom Schnee, die Finger steif gefroren, und nicht einmal ein Dutzend Pilze hatte er gefunden. Vollkommen erschöpft ließ er sich auf einem umgekippten Baumstamm nieder und weinte bitterlich, den Korb achtlos hinter sich in den Schnee fallen lassend. Er wusste, was für eine Tracht Prügel ihm blühen würde, käme er so nach Hause... aber er war bereits halb erfroren, seine Füße weigerten sich langsam, ihn zu tragen. Da kam eine stattliche schwarze Katze aus dem Gebüsch, ihr Fell glänzte seidig. Es sah drollig aus, wie sie durch den für sie körperhohen Schnee hüpfte, um vorwärts zu kommen. Zutraulich schmiegte sie sich an die Beine des Jungen und sprang ihm schließlich auf den Schoß. Schnurrend kuschelte sie sich auf seine Hände und spendete ihm mit ihrem Körper ein wenig Wärme. Jonas schloss das Tier sogleich in sein Herz und seine Tränen hörten auf zu fließen, als er mit einem traurigen Lächeln sagte. „Du frierst bestimmt auch. Siehst aber nicht verhungert aus. Hast bestimmt ein nettes Herrchen oder ein nettes Frauchen. Nicht so wie mein Vater.“ Und so klagte Jonas dem zutraulichen Tier sein Leid. Jenes lauschte mit geschlossenen Augen und leisem, wohligen Schnurren.
Nach einer Weile schrak Jonas zusammen. „Oh nein, es wird ja schon dunkel. Dann kommen die Wölfe. Und mein Korb ist immer noch leer!“ Die Katze sprang von seinem Schoß und verschwand daraufhin wieder im Gebüsch. Doch als Jonas seinen Korb wieder aufnahm, staunte er nicht schlecht: Er war gefüllt mit Fliegenpilzen. Er blickte sich suchend um, doch niemand war zu sehen, auch keine Fußspuren außer die von ihm selbst und der Katze. Als er heimkehrte, hatte sein Vater jedoch kein Lob für ihn offen. „Wo bist du so lange gewesen? Es ist schon dunkel. Und mehr Arbeit als nötig hast du dir auch nicht gemacht. 50 Pilze genau, hattest wohl keine Lust mehr dich zu bücken und lieber in die Gegend geguckt?“
Der Blondschopf unter den Zuhörern unterbrach sie ärgerlich. „Das ist voll gemein! So ein Fiesling!“ Er bekam sogleich Unterstützung von einem rothaarigen Dreikäsehoch. „Der soll mal selber in den Wald gehen. Ein Blödmann.“ Die Großmutter nickte leicht, abermals an ihrem Tee nippend. „Aber das ist noch nicht alles.“
„Am nächsten Tag schickte der Vater Jonas erneut in den Wald. „Wir brauchen noch einmal so viele Fliegenpilze. Geh und sammel sie. Aber komm nicht wieder so spät heim wie gestern.“ „Aber... ich bin doch schon alle Stellen abgelaufen, die ich noch wusste.“ Sagte Jonas kläglich. Alleine der Gedanke daran, wieder stundenlang in der Kälte herumlaufen zu müssen, ließ ihn ganz elend werden. „Versuche dich nicht zu drücken. Und wage es nicht, mit einem leeren Korb heimzukehren!“ Mit diesen Worten schob der Vater ihn hinaus in die Kälte.

Abermals irrte Jonas eine ganze Weile durch den Wald, doch sein Korb wollte sich einfach nicht füllen. Unter der Schneedecke waren die Pilze einfach nicht auszumachen und die Stellen, an die er sich noch erinnern konnte, hatte er gestern erst abgegrast. Nach einer Stunde lagen gerademal drei mickrige Pilze in seinem Korb. Abermals gelangte er zu dem umgefallenen Baum, an dem er am Vortag gerastet hatte. Suchend blickte er sich nach der Katze um, als schließlich eine Frau mittleren Alters zwischen den kahlen Bäumen hervortrat. Sie trug einen schon leicht abgewetzten, braunen Wollmantel und ihr dickes, langes braunes Haar umrahmte das ein wenig blasse Gesicht. Auf dem Arm trug sie eine schwarze Katze – das Tier von gestern. Mit einem besorgten Lächeln blickte sie zu Jonas. „Guten Tag. Hab keine Angst, ich will dir nichts tun. Hat dich dein Vater mal wieder Pilze sammeln geschickt?“ Scheu und ein wenig überrascht blickte Jonas zu ihr hoch. „Hallo. Woher wisst Ihr das?“ Mit einem geheimnisvollen Lächeln blickte sie auf die Katze. Meine kleine Freundin hat es mir verraten.“ „Aber Katzen können doch gar nicht sprechen!“ protestierte Jonas. Die Frau schmunzelte. „Das glaubst du... genauso wenig wie Pilze fertig geerntet im Korb wachsen.“ Verdattert starrte Jonas die Frau an und wusste nicht so recht, was er dazu sagen sollte. „Komm mit, bevor du dir noch den Tod hier holst. Ich glaube wir haben noch heißen Kakao und ein paar Kekse.“ Jonas Augen wurden immer größer. Kekse und Kakao? Das gab es Zuhause wenn überhaupt an seinem Geburtstag. Er konnte einfach nicht nein sagen. „Lass uns tauschen. Ich nehme deinen Korb und du meine Katze.“ Unterbrach die Frau seine Grübeleien und reichte ihm auch schon vorsichtig das Tier herüber. Das ließ Jonas sich nicht zweimal sagen. Eng schmiegte er die Katze an seinen Körper, spürte die Wärme des weichen Fells. Schnurrend rieb die Katze ihr Köpfchen an seinem Gesicht.

Seelig lächelte Jonas, als er in einer kleinen Holzfällerhütte am Waldesrand vor dem Herdfeuer saß, in eine Decke gehüllt, mit der Katze auf dem Schoß, einen Teller voller Gebäck vor sich und einen dampfenden heißen Kakao in der Hand. Hier war er vorher noch nie gewesen, da war er sich ganz sicher. Doch abermals wurde er unruhig, als er sah, dass es zu dämmern begann. „Ich muss nach Hause. Vater...“ Die Frau unterbrach ihn mit einer unwirschen Handbewegung. „Heute Nacht schläfst du hier. Mache dir keine Sorgen, wir regeln das.“ Draußen kündete das Hufgetrappel einiger Pferde einen weiteren Gast an. Kurze Zeit später ging die Türe auf und ein stämmiger Mann mit einem kräftigen Holzfällerbeil trat ein. „Guten Abend.“ Brummte er und rieb sich die Hände. „Schweinekalt ist’s, bei den Göttern.“ Da fiel sein Blick auf Jonas. Überrascht blickte er zur Frau. „Wir haben einen Gast?“ „Er bleibt über Nacht. Sein Vater hat ihn bis zum Erfrieren im Wald Pilze suchen lassen. Wir werden uns der Sache annehmen.“ Mit jenen Worten griff sie nach ihrem Mantel und ging zur Türe. „Alles Weitere erkläre ich dir morgen früh.“ Die Katze sprang vom Schoß des Jungen und verschwand mit der Frau aus der Tür. Kopfschüttelnd blickte der Mann den beiden nach. Erst spät in der Nacht kehrten sie wieder, und erst als die Katze sich auf Jonas Decke zusammengerollt hatte, fand auch er seinen Schlaf.“
Abermals unterbrach der kleine Blondschopf: „Aber was hat die Frau mit der Katze denn gemacht?“ Die Großmutter schmunzelte. „Das weiß keiner so genau. Aber ich bin mir sicher, dass das eine Hexe mit ihrer Hexenkatze war. Fest steht, dass der Vater des Jungen einen fürchterlichen Alptraum hatte und die nächsten Wochen über Rückenschmerzen und steif gefrorene Hände und Füße klagte. Keines seiner Mittel wollte ihm so recht helfen. Und als der Holzfäller den Jungen am nächsten Morgen dort ablieferte, gab es keine Schelte, der Vater schien geradezu erleichtert, ihn wiederzusehen. Seitdem musste Jonas auch viel weniger sammeln. Und ab und an hat er die Katze nochmal im Wald getroffen. Die Frau aber nie wieder. Aber erzählt hat er von der Begebenheit nichts.“
Mit Skepsis guckte der Rothaarige zu der Alten hinauf. „Und woher weißt du das dann alles?“ Die Großmutter schmunzelte. „Er erzählte nichts davon – bis zu seinem Sterbebett. Dieser Jonas war nämlich mein Urgroßvater. Und als ich als kleines Mädchen an seinem Bett stand, da hat er mir sogar noch mehr verraten. Er sagte, sein Baumstamm von damals hätte vor einer Donnereiche gelegen. Das ist ein besonders großer, finsterer Baum. Und die Frau hat ihm auch verraten, wie er die Hexen noch einmal benachrichtigen kann, wenn er noch einmal in Not geraten sollte. Man muss dann im Morgengrauen in den Sumpf gehen und eine Blüte der Dotterblume schneiden. Am nächsten Vollmond soll man einen Spiegel nehmen und einen Bogen Pergament darauf legen. Mit dunkler Tinte schreibt man seine Sorgen auf. Unterschrieben wird mit dem vollen Namen und einem Tropfen Blut aus dem linken Ringfinger. Wenn alles getrocknet ist, muss das Pergament zusammengerollt und in einen Beutel aus Ziegenleder gesteckt werden. Eine blaue Kordel dient als Verschluss. Mit einer Kerze aus Bienenwachs solle etwas Wachs davon auf die Stelle, wo die Enden der Kordel zusammentreffen, gegeben werden. Nachdem man die Blüte der getrockneten Dotterblume in den Wachs gedrückt hat, muss man mit geschlossenen Augen folgenden Spruch aufsagen:

Mit dem Schnitt der Dotterblume
schon erwacht die Hexenmuhme.
Dunkle Schrift auf spiegelnd Grund
tut der Alten Sorge kund.
Tropft darauf dein frisches Blut,
weckst du alter Mächte Glut.
Wenn das Bienenwachs heiß siegelt,
sie ihr Hexenross frisch striegelt.
Ist das Band noch angebracht,
fliegt die Hexe durch die Nacht.
Im vollen Mond die Eiche knarrt
donnernd, wenn die Hexe naht.
Mit dem nächsten Hahnenschrei
ist der ganze Spuk vorbei.
Doch, wenn du die Zeichen liest
und befolgst, du Wirkung siehst..."

„Ja, wissen wir doch.“ Unterbrach sie altklug das schwarzhaarige Mädchen. „Und dann soll man eine Donnereiche suchen ohne einen Mucks zu machen. Und an ihre Äste den Beutel mit einem roten Leinenband binden. Dann muss man heimgehen, ohne zurück zu gucken. Daheim muss man die Kerze anzünden und sich schlafen legen. Hast du doch alles schon erzählt, Oma.“ Ein warmes Lächeln bildete sich auf dem Gesicht der Alten. „Gut aufgepasst, Lenchen.“
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 Beitrag Verfasst am: 07 Dez 2016 16:32    Titel:
Antworten mit Zitat

Dieser Tage scheint die Schwesternschaft wieder präsenter zu werden.
Möglich, dass vor wärmenden Kaminfeuern wieder die alten Geschichten erzählt werden, vermutlich nicht mehr ganz wortgetreu, die von helfenden, aber auch strafenden Frauen berichten.

Gibt es da einen Zusammenhang?
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Anat Amaryll





 Beitrag Verfasst am: 07 Dez 2016 20:53    Titel:
Antworten mit Zitat

ab und an saß sie in einer Taverne... sie war eine alte Frau, wenn man sie fragte, stellte sie sich stets als "Anna" vor. Sie saß meistens nahe des Kamins, ihre altersfleckigen Händen um einen knochigen Stab gelegt... dort saß sie und sprach mit geübter Erzählstimme die alten Geschichten...
besonders die Geschichte vom Jonas und den Hexen, und dem Waisenmädchen Marie waren sehr beliebt...
Sollte die Alte jedoch gesucht werden, oder gar in erwartet, so würde sie an diesem Abend wohl nicht auftauchen...
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