Wolfstraum

[Viror]

Endlich hatte der junge Bauersknecht sich in den Wald gewagt, seine Angst vor den wilden Tieren überwunden. Genießerisch sog er die süßen Düfte der Blüten und aromatischen Gerüche der Nadelbäume ein. Langsam ging er durch das Unterholz, undgeschickt blieb er an vielen Sträuchern hängen, seine Haare und seine Kleidung finden viele Äste, Stacheln und Dornen ein. Er genoss den Gesang der Vögel über ihm. Auf seinem Weg scheuchte er ein junges Reh auf und erschreckte sich. Beim zweiten Mal schaute er dem flüchtenden Tier nur noch hinterher. Er wurde etwas müde und setzte sich auf einen kleinen Fels, um sich auszuruhen. Als er ein Stück gebratenes Fleisch hervorholte und aß, sah er sie .
Wölfe!
Zum ersten Mal in seinem Leben sah er einen lebendigen Wolf. Er hatte eine durchunddurch braune Färbung, die in 3 Farben geteilt war. Seine Ohren und das Deckfell waren von einem dunklen Haselnussbraun. Hals, Augenpartie, Flanken und der mittlere Teil seiner Rute hatten einen etwas helleren Ton, das weiche Bauchfell, die unterseite des Gesichtes sowie der Rute hatten einen cremigen, hellen braunton. Er beobachtete, wie der Wolf seine Nase zu ihm reckte. Dann drehte er eines seiner Ohren nach hinten, wandte sich um und lief davon. Viror blieb noch einige Minuten sitzen, ging dann aber auch davon um auf dem Hof zu arbeiten.

[Viror]

Nach getaner Arbeit schlich er wieder in den Wald. Auf den Baum, an dem er zwei Tag zuvor gegessen hatte, legte ein ein Stückchen Fleisch. Wie gewünscht kam auch der braune Wolf, schnüffelte prüfend am Fleisch und sah dann mit einem vorwurfsvollen Blick zu Viror. Dann nahm er das Fleisch ins Maul und lief los. Kurz bevor Viror ihn aus den augen verlor drehte sich der Wolf um, sah Viror mit seinen stechend gelben Augen an und wedelte mit seiner Rute. Viror deutete das Verhalten und folgte ihm. Nachdem sich Viror etwa eine halbe Stunde durch das dichte Unterholz geschlagen hatte, legte der Wolf, der vor ihm lief seine Ohren nach hinten und knurrte kurz. Da Viror selbst einen Hund hatte, wusste er, was dieses Zeichen hieß: "Bis hier hin und keinen Schritt weiter!"
Gehorsam setzte Viror sich auf einen Baumstumof und schaute dem Braunen hinterher, wie er mit einem schnalzenden Ton eine Wölfin zwischen den Bäumen hervorrief. Das Weibchen, eine kleinere, schwarze Wölfin mit grün-gelben augen sah zuerst zu Viror und erblickte dann das Stück Fleisch im Maul des Braunen. Tänzelnd lief sie zu ihm und schnupperte daran. Ihre zierliche Nase zuckte, als sie den Duft des Fleisches aufnahm. Dann sog sie etwas Luft ein. Der Wind bließ Virors Geruch zu den Wölfen und die Wölfin erkannte seinen Geruch auf dem Fleisch. Sie zögerte - einen Augenblick. Dann nahm sie vor dem Braunen eine demütige Haltung an, legte die Ohren an, senkte das Hinterteil und zog ihren Schwanz zwischen die Beine. Mit der zunge führ sie zärtlich am Kiefer ihres Gefährten entlang, worauf er das Stück Fleisch ablegte. Mit einer flinken Bewegung nahm das Weibchen das Fleisch ins Maul und trabte vergnügt davon. Viror konnte ein Lächeln nicht unterdrücken: "Frauen!" dachte er. Der Braune sah Viror noch einmal grimmig an, dann rannte er hinter seinem Weibchen her.

[Viror]

Einige Tage war er nun nicht mehr im Wald südöstlich des Hofes gewesen. Die Ernte brauchte viel Zeit, in der Hitze der Tage waren viele Pflanzen gewachsen, und auch die Tiere mussten versorgt werden. Nebenbei angelte er nun fleißig, da auch die Fische das warme Wasser an der Oberfläche nutzten.
Nun aber, als er über die geernteten Felder sah, die Pferde betrachtete, wollte er die Wölfe wiedersehen.
Er ging in den Wald, diesmal hatte er gleich zwei Stücke Fleisch eingepackt. Diesmal jedoch behielt er sie in der Hand, als er den Wald betrat. Er setzte sich wieder auf den Baumstamm, bald schon kam der Braune. Schnuppernd kam er zum Stamm, wo Viror das letzte Mal das Fleisch ließ. Als er kein Fleisch fand, verschwand er wieder im Dickicht. Als er auch nach mehreren Minuten nicht wieder auftauchte, ging Viror zurück zum Hof.