FAQ Login
Suchen Profil
Mitgliederliste Benutzergruppen
Einloggen, um private Nachrichten zu lesen
        Login
Ein verlorenes Auge ist wie ein verschlossenes Buch
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Ein verlorenes Auge ist wie ein verschlossenes Buch
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
Mychael Dalvon





 Beitrag Verfasst am: 14 Jan 2024 00:53    Titel: Ein verlorenes Auge ist wie ein verschlossenes Buch
Antworten mit Zitat

...nur der Besitzer kennt die wahre Geschichte.





Der Stuhl knarrte leicht, als er sich hineinsinken ließ und die Beine nach vorne ausstreckte, um sie auf dem Balkongelände abzulegen. Er trug keinen Mantel und atmete tief die kalte Winterluft ein, während seine Hand in der Tasche nach einem Glimmstängel suchte, den er sich direkt zwischen die Lippen schob und anzündete.
Sein Auge ruhte ein wenig auf der Aussicht, die sich ihm bot.
Die Dächer von Düstersee, blauer Winterhimmel, der bereits ein wenig verdunkelte. Der Geruch vom Meer, der in der Luft lag.
Unten hörte er Roderik irgendetwas sägen und musste kurz grinsen.





Er erinnerte sich noch, wie verzweifelt, aber auch wütend er damals gewesen war. Er hatte sich von der Hand seiner Mutter losgerissen in dem Moment, als das Schiff abgelegt hatte. Das Schiff mit seinem großen Bruder an Bord. Den Rest des Tages hatte er sich im Baumhaus versteckt.
Der Vater hatte es mit ihnen gemeinsam gebaut. Als Schreiner war es ein Leichtes für ihn gewesen und Rod war ihm zur Hand gegangen.
Dort oben hatten die beiden Burschen eine Menge Zeit verbracht, den ein oder anderen Blödsinn ausgeheckt, oder sich auch mal vor der Hausarbeit versteckt. Normal ließ die Mutter ihn nicht davon kommen, aber an dem Tag hatte sie wohl Mitleid. Sie wusste, wie sehr Mychael an dem großen Bruder hing und wie hart ihn sein Fortgehen traf.
Sein großer Bruder war sein Vorbild gewesen. Wahrscheinlich hatte Roderik ihn mehr als einmal verflucht, weil er ihm als Kind ständig hinterherrannte. 6 ganze Jahre älter war er und eröffnete Mychael damals Einblicke in eine Welt, die ihn mehr reizte als lediglich das kleine Haus und der Garten. Und er brach aus, wann immer es ihm irgendwie möglich war.

Bis zu dem Moment, wo der Idiot von einem Bruder sich entschied, ihn im Stich zu lassen.

Der Abschied von Roderik war lange mit Wut verbunden gewesen, selbst die ersten Nachrichten hatte er eher mit kindischer Wut ignoriert, bis er endlich nach einem Brief dann doch selbst zum Griffel griff, um zu Antworten. Danach brach der Kontakt zwischen den Brüdern niemals ganz ab.

Wo er sonst meist zu Hause oder beim benachbarten Schmied ausgeholfen hatte, verbrachte er in den folgenden Jahren mehr Zeit als je zuvor am Hafen.
Neben der Ausbildung zum Feinschmied und seinen Pflichten zuhause, saß er dort jede freie Minute bei dem alten Hafenmeister. Dank der Mutter konnten beide Bruder lesen und schreiben und ja, rein theoretisch hatte sie ihnen auch einige ziemlich gute und sinnvolle Manieren beigebracht, aber beim alten Erwin lernte er auch das Lesen der Seekarten, den Umgang mit einem Sextant, lernte was der Himmel einem so alles verraten konnte und war innerhalb von kurzer Zeit ein guter Ersatz für das Rechenbrett. Der Alte brachte ihm einiges bei. Auch das Fluchen und manch andere Dinge, die das Ende der Zeit bedeuten würden, wenn die Mutter davon Wind bekommen hätte.


Auch wenn er wusste, dass er seiner Mutter das Herz brach, sobald er endlich 15 war, heuerte er auf einem der Handelsschiffe als Schiffsjunge an. Den Arbeitsort wechselte er noch ein paar Mal, bis er mit Schiff und Crew zufrieden war. Da er nicht nur sein Handwerk recht gut verstand, sondern auch fleißig war und sich nicht scheute anzupacken, egal was anstand, nahm man ihn gerne auf.
Jahrelang hatte er sich eingeredet, dass er auf ein Schiff wollte. Genauso sein wie sein großer Bruder und durch die Welt reisen.
Genau das hatte er nun getan, aber da er sich selbst selten etwas vormachte, musste er sich bald eingestehen, dass dieses Leben nichts für ihn war.
Nicht auf Dauer zumindest.
An Bord lernte er, dass er ein Talent für eine schnelle Waffe hatte und auch den Bogen recht gut beherrschen konnte, und er lernte, dass man ab und an Menschen traf, mit denen man so eng verbunden sein konnte, wie mit seiner eigenen Familie.
Alec war nur ein Jahr jünger als er und der Sohn vom Schiffskoch. Gemeinsam merkten sie schnell, dass die Zeit an Land in den Hafenstädten sehr viel reizvoller war, als die Zeit auf dem Schiff. Beide hatten eine Vorliebe für Wetten und Herausforderungen, vor allem aber auch für hübsche Frauen und er genoss diese Zeit ein wenig zu sehr.
Viel sparen konnten die beiden nicht, das wenige Gold, welches sie verdienten, gaben sie meistens direkt wieder aus.
Bis zu diesem einen Abend.




Bei den Erinnerungen breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht auf, als würde er noch einmal das Gefühl dieser Nacht nachempfinden und er wechselte kurz den einen Fuß auf den anderen, während er zu dem Krug griff, um einen tiefen Schluck vom herben Bier zu nehmen.




Sie waren beide gute Spieler gewesen. Der alte Erwin hatte eine ungesunde Vorliebe für Schach gehabt, die Mychael des öfteren in den Wahnsinn getrieben hatte, aber zum Glück konnte er ebenso beinahe jedes Kartenspiel. Auch auf dem Schiff wurde bei jeder Gelegenheit gespielt und gewettet.
Allerdings waren sie beide nicht einfach nur geübt, sie hatten etwas, das manch anderem fehlte: Talent

Ob nun fürs Kartenspiel oder vielleicht sogar schlicht fürs Betrügen, darüber ließen sie sich nicht groß aus. Am Ende mussten sie einfach nur gewinnen.

Aber Talent war nur das eine, manchmal musste man einfach auch schlicht Glück haben. Und an diesem Abend hatten sie nicht nur ein wenig Glück, sondern richtig Schwein. Fortuna meinte es nicht nur gut mit ihnen, sie saß breit grinsend mit ausgebreiteten Armen da und ließ die beiden gewinnen.
Glück hatten sie am Ende auch, weil sie schlicht den Abend überlebten, trotz der Wut einiger Verlierer.

Das Gefühl von dieser Nacht war ziemlich unbeschreiblich gewesen, als sie wirklich mit den Taschen voll Gold abgehauen waren.

Und dieses Mal war es anders gelaufen.
Sie hielten ihren Mund und gingen direkt am nächsten Hafen von Bord, reisten eine Weile an der Westküste von Cantir entlang, bis sie in der kleinen Hafenstadt genau das fanden, was sie gesucht hatten.


Schon am nächsten Abend hatte es sich wie ein Lauffeuer verbreitet:

Die Taverne im Ort hatte zwei neue Wirte.




Sie hatten sich schnell eingelebt und das Geschäft lief gut und mit den Jahren sogar besser.
Der schattige Krug lag am Fuß eines eher felsigen Hügels, der ins Meer mündete und hinter dem bereits der dichte Wald begann. Die Stadt war selbst zu Fuß schnell zu erreichen und dort befand sich ein eher kleiner Hafen. Da sie somit etwas abseits lagen, wurden sie nicht überlaufen wie die großen Tavernen in Trigolsburg und mussten ununterbrochen ihr Inventar erneuern, wenn mal wieder ein Haufen betrunkener Seeleute den Schankraum zerlegte.

Aber es sprach sich bald herum, dass es im “Schattigen Krug” gutes Bier und noch besseren Whiskey gab. Alec war ein guter Partner und verbrachte die meiste Zeit hinterm Tresen und in der Küche, was ihm selbst wiederum Zeit gab, sich um den Warenbestand, das Finanzielle und die Geschäfte im Hinterzimmer zu kümmern. Jeder hatte seine Rolle und sie spielten sie meistens perfekt.

Aber sie hatten die Taverne nicht nur wegen ihrer Lage gewählt, sondern auch weil sie ungewöhnlich groß und gut durchdacht gebaut worden war.
Ziemlich sicher war hier früher eine Menge Schmuggelei betrieben worden, denn bei genauerem Hinsehen hatten sie neben zwei großzügigen Hinterzimmern und einem gut ausgebauten Felsenkeller eher durch Zufall einen weiteren Zugang gefunden.
In einem kleinen Raum hinter der Schenke, in dem an sich lediglich Krüge und Fässer gelagert wurden, fand sich hinter einem der Regale ein einfacher Mechanismus im Stein, durch den sich ein kleiner Zugang zu einer in den Fels geschlagenen Treppe öffnen ließ.
Dort unten war seine Welt. Ein kleines Arbeitszimmer mit genügend Platz, um ihre wertvollsten Flaschen aufzubewahren und um sich zurückzuziehen. Aber was noch besser war, vermutlich über Jahre war der Fels bearbeitet worden und endete schließlich in einem schmalen Durchgang nahe des Strandes. Ein geheimer Gang und als wäre das nicht schon perfekt, befand sich in der kleinen, aber schweren Tür, die ihn verbarg, eine Öffnung mit einer Arretierung für eine Armbrust.
Irgendjemand hatte sich hier verflucht viele Gedanken gemacht und mit ein wenig Arbeit, hatten sie alles nach ihren Vorstellungen perfektioniert.

Neben dem normalen Geschäft hatten sie mit der Zeit einen Kundenstamm für Kartenspiele im Hinterzimmer. Selten wechselte er und wenn, dann nur, wenn die Einsätze auch wirklich hoch genug waren. Noch immer hatten sie aus ihrer ehemaligen Crew einen Partner, der ihnen aus den anderen Häfen Kunden vermittelte und mit dem er sich ab und an traf.
Ein Boxring in einem der Räume im Felsenkeller war ebenso gut besucht, vor allem für Leute mit gefüllter Geldkatze waren die Kämpfe, die ab und an stattfanden durchaus ein Spektakel und meistens für die beiden Wirte eine lukrative Angelegenheit.
Alec war zum Glück weiterhin in der Rolle als Wirt zufrieden, was ihm die Möglichkeit gab, sich um alles andere zu kümmern und den Rest der Zeit mit der Jagd zu verbringen.

Im Ort waren sie bald bekannt, nicht immer im guten Sinn, aber man hatte die Taverne am Waldrand akzeptiert und die Töchter vor den beiden jungen Wirten gewarnt, die den Ruf hatten, ob er nun gerechtfertigt war oder nicht, selten eine Nacht alleine zu verbringen.
Mindestens einmal im Jahr kam Roderik vorbei und verbrachte einige Tage bei ihnen. Dieses Versprechen gaben sie sich vor Jahren in einer Hafentaverne, als sie sich durch Zufall über den Weg gelaufen waren.

Das Leben war nicht schlecht, hatte nur wenige Tiefen und wahrscheinlich wäre es einfach so weitergelaufen.
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Mychael Dalvon





 Beitrag Verfasst am: 26 Apr 2024 10:11    Titel:
Antworten mit Zitat

"Narben sind wie die Zwischenkapitel
im eigenen Abenteuerroman -
sie zeigen Wendepunkte
und unerwartete Wendungen,
welche die eigene Geschichte prägen.

Sie sind die Erinnerungen,
die man nicht vergessen kann,
die Geschichten, die von der Haut erzählt werden.

Narben sind die Zeichen,
die daran erinnern, dass man überlebt hat."



Mit gemächlichen Schritten wanderte er durch das noch recht leere Haus. Ein wenig musste er doch Grinsen, als er an Roderik dachte. So ganz war sein Bruder die Unruhe nicht losgeworden. Zwar zog es ihn nicht mehr so auf die See, aber eine gewisse Rastlosigkeit war nicht zu verleugnen.

Schon wieder ein neues Heim.

Ihn störte das nicht.
Arbeit war Arbeit und wo er sie verrichtete, war nicht unbedingt wichtig. Das neue Haus gefiel ihm, er hatte etwas mehr Platz, was ihm zuGute kam, wenn er nun mit den Arbeiten an der Statue beginnen würde. Auf dem Weg nahm er sich eine Bierflasche aus dem noch einsamen Regal in der Küche und wanderte auf den Balkon hinaus. Die Dunkelheit schlich sich langsam durch die Gassen von Düstersee. Der Ausblick war nicht schlecht, er konnte bis zum Meer blicken. Die Flasche abgestellt stützte er sich mit beiden Händen auf die Brüstung. In immer mehr Häusern wurden Kerzen angezündet. Obwohl es immer noch verflucht kalt war, stand er weiter mit hochgekrempelten Ärmeln draußen. Sein Auge glitt über den noch leeren Balkon und er spürte den deutlichen Druck auf der Brust.
Das waren die Momente, in denen ihm Alec fehlte.





Damals hatte sich irgendwann eine gewisse Routine eingestellt im Leben der beiden Kerle.
Alec war für ihn der zweite Bruder geworden, nicht durch das Blutsband der Geburt verbunden, sondern durch die Erlebnisse und Erinnerungen, die Höhen und Tiefen, die sie gemeinsam durchlebt hatten. Mit Alec war es auf den ersten Blick richtig gewesen. Sie hatten sich ohne Worte verstanden und mit den Jahren auf dem Schiff war daraus eine tiefe Freundschaft entstanden.
Gemeinsam hatten sie Pläne geschmiedet und auf diese Pläne hingearbeitet.
Gemeinsam hatten sie das Schiff verlassen, um dann zusammen etwas Neues aufzubauen.

Und seitdem ergänzten sie sich einfach.

Wenn es krachte, dann richtig und man konnte noch immer an Alecs Nase sehen, wie weit so eine Auseinandersetzung gehen konnte. Aber danach war es genauso schnell wieder in Ordnung.

Oft saßen sie am Ende des "Tages", meistens war es wohl eher das Ende der Nacht oder sogar schon der Morgen, noch bei einem Glas Whiskey oder Rum zusammen und redeten.
Mit Alec konnte er, wenn er wollte, reden.
Über alles.
Aber noch besser konnte er zuhören.

Für Alec war die Routine etwas Gutes. Nach einem langen unsteten Leben war er endlich angekommen und Mychael konnte sehen, wie wohl und zuhause er sich hier fühlte. Dazu kam, dass sein Freund ein Auge auf die Bäckerstochter geworfen hatte, was Mychael regelmäßig nutzte, um ihn aufzuziehen. Der Lebensstil seines Freundes hatte sich deutlich geändert und er konnte verstehen, dass eAlec das Leben, so wie es war, genoss.

Ihm allerdings fehlte etwas.

Vielleicht war das der Grund, weswegen er immer wieder nach neuen Geschäftsideen suchte.
An diesem Abend war wieder einmal ein junger Kerl vom Hafen in der Taverne gelandet und hatte die Trophäe über den Kamin bewundert und gefragt, wo sie den Hirsch erlegt hatten. In jenem Augenblick war die Idee gekommen und in den kommenden Tagen gewachsen.

Hinter der Taverne erstreckte sich der Wald kilometerweit bis hin zu den Bergen. Ein Gebiet, so weitläufig und an vielen Stellen undurchdringlich, dass man sich selbst nach Jahren nicht wirklich zurechtfinden konnte.
So viel Zeit er auch auf der Jagd verbrachte, er hatte bisher nur einen kleinen Teil erforschen können. Für einen Jäger war es ein Paradies. Neben Hirschen und einigen stattlichen Ebern waren sogar Bären und Wölfe unterwegs.
Die Aussicht auf ein Bärenfell oder einen Wolfspelz war ein großer Reiz für Jäger. Aber die wenigstens, welche im Hafen nur für einige Zeit verblieben, um dann weiter zu den großen Städten zu reisen, kannten sich gut genug aus, um das zu finden, was sie finden wollten.

Und damit war die Idee geboren.

Nach einigen Diskussionen und dem Verbreiten von gezielt gestreuten Gerüchten dauerte es nicht lange, bis sie die ersten organisierten Jagden anbieten konnten. Sie hatten schon immer ein paar Zimmer zu vermieten gehabt, nun ergänzten sie ihr Angebot. Man konnte bei ihnen unterkommen und bekam ein anständiges Essen. Seine Aufgabe bestand nur darin, die Leute zu begleiten und auf die richtige Fährte zu bringen. Es war wenig Aufwand und gutes Geld, das sie zusätzlich einnahmen. Denn mit den richtig platzierten Wetten im Hintergrund konnte man dank so einer Jagd und ein paar reichen Schnöseln innerhalb weniger Tage verflucht gutes Gold machen.


An diesem einen Abend hatte er eine Gruppe von gut betuchten Idioten begleitet, die sich einbildeten, gut genug zu sein, um einen wilden Eber zu erlegen. Er hätte einiges drauf gewettet, dass mindestens einer von ihnen die Jagd nicht überleben würde. Um genau zu sein, hatte er die Gruppe sogar deutlich gewarnt. Mit einem Eber war nicht zu spaßen und wenn man keine anständige Waffe nutzte, nicht geschickt genug war, konnte sowas schnell tödlich enden.
Mit dieser Art von Selbstüberschätzung hatte er allerdings wenig Mitleid, die Naivität der Kerle amüsierte ihn eher.
Einen Keiler mit einem Dolch erledigen. Irrsinn. Aber sie wollten unbedingt wetten, dass es ein Leichtes wäre, und Wette war nun mal Wette. Er hatte vor, sie zu gewinnen, ob er dabei richtig oder falsch spielte, ob jemand zu Schaden kam oder nicht, das war ihm damals reichlich egal gewesen.

An einen Baum gelehnt, wartete er auf die Rückkehr der Jäger. Irgendwann wurde sein Blick allerdings ungeduldig. Es wurde Zeit für ein Ende der Jagd, egal wie es nun ausging und er hatte keine Lust noch Stunden damit zu verbringen, die Kerle zu suchen und am Ende Verletzte nach Hause zu bringen.


Der Wald lag in tiefer Stille, als die Sonne langsam hinter den Baumkronen versank und lange Schatten über den moosbedeckten Boden warf. Den Weg kannte er, die Spuren der Gruppe so deutlich, dass es ihm wenig Probleme bereitete, ihnen zu folgen.
Doch trotz der scheinbaren Ruhe lag eine nicht wirklich greifbare Spannung in der Luft, welche die eigentlich friedliche Szenerie in etwas Beunruhigendes verwandelte. Seine Schultern spannten sich etwas an, als er inne hielt und sich für einen Moment umsah.
Zwischen den Bäumen schienen die Schatten Gestalt anzunehmen, ihre Formen verzerrt in der nun einfallenden Dunkelheit.


Auf einmal wurde die Stille durch Gebrüll zerrissen. Panische Schreie in der Ferne, deren Echo bis zu ihm drang und kurz anhielt. Die Vögel verstummten plötzlich, als würden sie die Bedrohung ebenso spüren.

In dem Moment begann er loszurennen.

Er war gut trainiert und kannte den Teil des Waldes, aber das Gebrüll der Idioten hatte ihn noch unruhiger werden lassen, es war kein albernes Gebrüll, kein erschrockenes. Hier brüllten Männer in Todesangst.

Die Bäume ragten mittlerweile eher düster und bedrohlich in den Himmel, ihre Äste wie Finger, die nach etwas Unbekanntem griffen, während die Schatten der Nacht sich unaufhaltsam über den Wald ausbreiteten und ihn auf dem Weg durch das Dickicht verfolgten
Sein Atem ging keuchend als sich die Lichtung vor ihm auftat. Mit vielem hatte er gerechnet, aber nicht mit dem letztendlichen Anblick, der sich ihm bot. Den Geruch von frisch aufgebrochenem Blut kannte er gut genug, um sofort zu wissen, dass hier einiges vergossen worden war. Metallisch und süß mitten in den klaren Gerüchen des Waldes, zwischen den Leichen der Kerle im Waldboden versickert.

Ein gigantischer Wolf, größer als alle, die ihm bis dahin begegnet waren, stand auf der Lichtung. Sein Fell glänzte silbrig im Dämmerlicht, und seine Augen leuchteten wie smaragdgrüne Laternen. Die Schnauze war dunkel und die Zähne blitzten hell.

Noch heute verfluchte er sich ab und an, dass er nicht einfach in die andere Richtung gegangen war.

Er war damals erstarrt stehen geblieben und selbst, wenn er gewollt hätte, seine Beine gehorchten ihm nicht mehr. In den ganzen Jahren hatte er schon einiges erlebt, gerade auf See auch grausame Dinge, die man nicht unbedingt sehen wollte, aber der Anblick vor ihm ließ ihn einfach erstarren.

Dank dem Mond hoch am Himmel, war die Nacht hell genug, um Details zu erkennen. Details, die er heute noch genauso abrufen konnte, die ihn noch immer manchmal verfolgten ob in seinen träumen oder manchmal einfach so aus dem Nichts heraus.

Das ganze Bild hingegen war ihm nicht geblieben, weil in dem Augenblick das Vieh den Kopf in seine Richtung gedreht hatte.
Es war kein Keiler gewesen, damit hätte er umgehen können. Die gelben Augen des Wolfs blickten ihn an, die Lefzen hochgezogen, zeigte das Vieh ihm mehr als deutlich seine Reißzähne. Das tiefe Grollen, das von dem riesigen Tier ausging, vibrierte in seinem eigenen Magen nach.

Er erinnerte sich noch gut an den Augenblick, als es ihm klar wurde: Diese Wette war so oder so verloren und ein Dolch würde ihn hier nicht mehr retten.

Also war er stehen geblieben. Das Tier starrte ihn an, er starrte zurück.

In dem Moment, als er seine Beine wieder spürte und sich wieder bewegen konnte, begann er rückwärts zu gehen, in dem Wissen, dass die Chance zu entkommen mehr als gering war. Dennoch war es sein Ziel, sich aus dem Blickfeld des Tieres zu entfernen. Zum Fressen hatte das Monster schließlich mehr als genug, vielleicht würde er davon kommen.

Er konnte noch das erneute Grollen hören, das Hämmern der Pfoten auf dem Boden, als der Wolf auf ihn zusetzte. Den Dolch hatte er noch in der Hand, die Finger fest um den Griff geschlossen, sogar erhoben, bereit zuzustechen, sich zu wehren, zu kämpfen.

Dann war da nichts mehr. Nur noch Dunkelheit. Schwärze.



Mit einem letzten Zug leerte er das Glas und rieb sich anschließend mit der Faust über die Narbe, die bei den Erinnerungen an damals sofort zu ziehen begann. Sicher war er nicht, ob da nicht noch mehr Erinnerungen waren, aber noch immer weigerte sich scheinbar sein Verstand tiefer zu graben. Es war ihm am Ende scheißegal ob er gekämpft hatte, ob er sich gewehrt hatte. Denn jedes Mal wenn er sich auch nur ansatzweise in seinen Erinnerungen in diese Richtung bewegte, kam der Schmerz. An der Stelle wollte er sich nicht aufhalten.

Sein fehlendes Auge war nicht einmal das Schlimmste des Abends, die anderen Narben noch tiefer, noch schlimmer.
Jede einzelne hatte ihn verändert. Auf die ein oder andere Art.
Sicher nicht alle zum Guten. Aber immerhin war er am Leben geblieben. Alleine das hatte ihn viel Kraft gekostet.
Noch einmal glitt sein Blick beinahe prüfend den Himmel entlang, auf der Suche vielleicht, vielleicht prüfend welche Stunde es war, bevor er dann doch im Inneren des Hauses verschwand.
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Ein verlorenes Auge ist wie ein verschlossenes Buch
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.




phpBB theme/template by Tobias Braun
Copyright © Alathair



Powered by phpBB © 2001, 2002 phpBB Group
Deutsche Übersetzung von phpBB.de