Es erreicht etwas die Gräfin von Tiefenberg

[Orban Sirgen]

Es wird vermutlich irgendwann in den Morgenstunden sein, als ein junger, unscheinbarer Bursche vor den Toren der Burg der Ritterschaft auftaucht. Sein Gesicht ist von Sprossen akzentuiert, mit rehbraunen Augen, gerahmt von einem Topfhaarschnitt, der durch die Widrigkeiten des Wetters auf seiner Reise an diesen Ort in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Die Kleidung des jungen Mannes wirkt genauso mitgenommen wie dieser altmodische Schnitt, obgleich man ihn nicht als Bettler titulieren würde. - Und dann ist da dieser markante Duft an ihm, der vielleicht, ja vielleicht in einem entfernten Winkel des Unterbewusstseins nach einem Hauch von Erinnerung kündet - ein Duft von Pfeifenrauch und Zedernholz.

Wem dieser Knabe dort an der Burg gegenüberstehen wird, als sich die Tore öffnen, weiß er nicht. Doch sein Blick ist aufmerksam, aufgeweckt, ja beinahe ... spitzbübisch. Und so wird es auch sein Lächeln sein. Immer wieder scharrt er mit den Stiefelspitzen in der Erde, während seine Finger an einem glitzernden Goldstück nesteln. Den Kopf wiegt er auf eine Art und Weise, die auf Tiefgründigkeit und viele weitere Geheimnisse der Jugend schließen lassen.

Schließlich wird man von ihm wissen wollen, was der Grund seines Erscheinens ist, doch der Bursche antwortet gewieft. Will er die Burg ausrauben, etwa die clevere Ablenkung zu einem großangelegten Sturmangriff einer Horde Landstreicher sein, die vom Reichtum der Ritterschaft gehört haben? Oder passt ihm lediglich die Tatsache nicht, von einem Burgdiener abgepasst worden zu sein, statt von den Hohen Herren in ihren strahlenden Rüstungen Höchstselbst?

Er wird kichern, mit den Achseln zucken und nach einer Helisande von Gipfelsturm fragen, nein - Moment! Von Alsted. Aber das musste er dem Kautz mit dem eindrucksvollen militärischen Äußeren, jenem, der ihm diese hübsche Dublone im Hafen von Adoran gab, erst einmal verklickern. Ein Gesicht habe der gemacht wie ein Goblin!
Wie man das nicht wissen könne? Der junge Bursche wird die Nasenspitze rümpfen und gleichsam denselben verständnislosen Blick aufweisen, wie es der pflichtbewusste Diener am Tor schon seit Beginn dieser Konversation tut.
Zuschrift, Brief, Depesche? Nein, nein. So etwas habe der Knabe auf dem Weg hierher verloren. Er wird dem guten Mann am Tor in penibel akkurater Ausführung von den Gefahren berichten, die einem jungen Mann wie ihm allein auf der Reise nach Tiefenberg lauern. Da besäße er wahrlich nicht die Muße, auf Papierfetzen Acht zu geben, wenn sein Gedächtnis doch ein wesentlich verlässlicheres Mittel zum Transport von schlechten, ähm, guten! Nachrichten darstellt.

Erst als der leicht genervte Diener im Begriff ist, seine Drohung, den Knaben mit einem Hieb des Besenstiels bis nach Schwingenstein zu katapultieren wahr zu machen, wo er letzten Endes im Angesichte der Temora um Buße bitten dürfe, kommt der junge Bursche zum Punkt: Von einem Herrn Suglen soll die äußerst wichtige Botschaft stammen, Kurban Suglen, der sich gerne um eine Audienz mit der Gräfin bemühen möchte, denn die Hand der holden Erlauchtheit deuchte ihm so prächtig. Aber da wird der Knabe mit dem schelmischen Grinsen sich räuspern, nicht zuletzt aufgrund des entsetzten Gesichtsausdrucks des Kammerdieners.
Unsinn, Unsinn, einen Scherz habe er sich bloß erlaubt, wird er beteuern. Zumindest die Audienz entsprang der Wahrheit, und dass der alte Kämpfer etwas von Dienst für König und Herzogtum wiederaufnehmen gemeint habe.
Mit einem Seufzen wird der Diener die Nachricht zur Kenntnis nehmen, doch bevor er sich abwenden will - der Bursche hatte sich bereits auf den Weg zur Kutsche gemacht -, wird er ein letztes Mal von dem frechen Bengel aufgehalten werden.
Den Namen habe er wohl nicht mehr so gut in Erinnerung gehabt, aber jetzt sei es ihm, nachdem ihm der Wind eine kräftige Ohrfeige verpasste, wieder eingefallen.
Sirgen. Orban Sirgen. Aber ob das denn eine Rolle spiele? Schließlich gäbe es sicherlich Hunderte in den reichen Vierteln von Adoran mit diesem einzigartigen Klang.

Der Knabe wird glucksen und die goldene Münze in seinem Beutelchen verstauen, bevor er endgültig in die Heimat aufbricht. Wie man jenen Herren für eine Rückmeldung erreiche? In Adoran natürlich, wird die Antwort lauten. Oder über ihn. Sein eigener Name?
Selmisch.

[Helisande von Alsted]

Die Nachricht wird irgendwann mit der nötigen Würze und Ausschmückung dann auch die Gräfin erreichen. Die Hochgewachsene zieht die Augenbrauen leicht zusammen, dann erfolgt ein Nicken. Alsbald wird sie ein Antwortschreiben aufsetzen und einen eigenen Boten mit der Auslieferung beauftragen.


Ritterburg Adlerklamm
19. Alatner 266

Kron und Reich zur Ehr, Herr Sirgen,

ich erinnere mich tatsächlich an Euch, auch wenn unser letztes Gespräch schon einige Jahre zurückliegt. Leider kann ich Euch vor dem 28. Alatner keinen Termin einräumen.
So es Euch pässlich ist, kommt am Abend des 28. Alatner zur Burg, wir werden dann in einem Gespräch alles weitere klären.

Für Krone, Reich und Glauben!


Ritter der Krone Alumenas
Gräfin von Tiefenberg