FAQ Login
Suchen Profil
Mitgliederliste Benutzergruppen
Einloggen, um private Nachrichten zu lesen
        Login
Von pechschwarzer Rabenfeder und farbenfrohem Kolibri
Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3, 4, 5, 6  Weiter
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Von pechschwarzer Rabenfeder und farbenfrohem Kolibri
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 26 Sep 2023 04:53    Titel: Kapitel 31 - Das Flammenspiel
Antworten mit Zitat



Kapitel 31 - Das Flammenspiel


Meergrün vermischte sich mit Flammenrot, Wasser traf auf Feuer, Kälte auf Hitze. Sie lag auf dem Bauch auf dem Bett in ihrer Schlafkammer und starrte mit seitlich gedrehtem Kopf leblos auf die züngelnden Flammen im Kamin. Da brannte gerade lichterloh der meergrüne Vorhang, in dem sie vor nicht weniger als eine Stunde noch eingewickelt war. An dem ihr Blut von der frischen Schnittwunde klebte, sie hatte es nicht aus dem Stoff gewaschen bekommen. Wie auch, sie war viel zu weit weg mit ihren Gedanken, um den Vorhang ordentlich zu säubern. Neu nähen war einfacher, oder? Aber es gab etwas, das man nicht neu nähen konnte, wenn gewisse Dinge passierten. Das eigene Seelenkostüm. Wer bin ich überhaupt, vor seinem Antlitz… und vor ihm? Da war nichts mehr, kein Vincent, kein Aleksi, keine Tetrarchen, einfach nichts. Sie war gebrochen, ein für alle mal. Die volle Härte von Alatars Zorn hatte sie getroffen und es schmerzte so bitterböse, dass weder ihr Körper noch ihr Herz gerade dazu im Stande waren sich zu bewegen, zu schlagen und sie auf irgendeine Art und Weise wieder lebendig zu machen. Der Herbst hielt Einzug und damit auch die dunkleren Nächte, die ihre Kälte unbarmherzig aufziehen ließen. Diese Kälte kroch auch in Tanai, der Sonnenschein verblasste immer mehr (oder hatte er sich nur in das allertiefste Kaninchenloch zurückgezogen, um zu überwintern in diesem warmen Bau?). Den Lichtfunken am Horizont, den Till ihr während des gemeinsamen Gesprächs eingepflanzt hatte, der glimmte gerade gleißend in den Flammen auf und erstarb. Sie lag noch Stunden so auf dem Bett, wagte es nicht sich zu rühren und schlief irgendwann einfach ein. Ihre Träume waren verzerrt, dunkle Schatten griffen nach ihr, rissen unbarmherzig an der aufgeschnittenen Schulter, schlugen ihr körperlos in die alte Wunde am Rücken, gruben sich schmerzvoll in ihren Po und ihren Schoss. Und hinter den grotesken Schatten zeichnete sich die Silhouette eines Raben ab, blutrot mit aufstrebenden Funken wie Asche und Glut. Der leblose Blick starrte sie an, und sie starrte leblos zurück. Ein Krächzen ertönte, und dann war ein tiefer Schrei zu hören, der Mark und Bein erschütterte. Es war ihr eigener.

Als wenn sie im Schlaf angegriffen wurde, sprang sie wie von einer Cabezianischen Giftspinne gestochen aus dem Bett und atmete so heftig, dass ihre Lungen nicht mehr mitkamen und zu stolpern begannen. Sie rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht, wischte sich die schiere Panik heraus und starrte zu den Flammen im Kamin, die langsam erloschen. Sie wollte sich auf das Bett setzen, doch da merkte sie das brennende Gefühl auf ihrem Po und entschied sich kein Fleckchen zu rühren, einfach nur vor dem Kamin stehend. Gehorchen und vertrauen. Es war unmöglich, doch in diesem Moment schmeckte sie das Blut auf ihrer Zunge erneut, das dort am Abend zuvor noch von ihm verteilt worden war. Unmöglich, das kann nicht… ganz ausgeschlossen! Vorsichtig rieb sie an ihrer Unterlippe und bemerkte, dass sie sich im Schlaf selbst gebissen haben musste. Vorsichtig wischte sie sich die blutigen Finger an ihrem alten Fischerkleid ab und blickte nochmal zum Feuer. Der blutige Vorhang war verschluckt und mit ihm ein Teil von Tanai, der sich als ungebetener Gast aus Cantir mit hier her geschlichen hatte. Mochte Alatar selbst wissen, was nun noch von ihr übrig geblieben war. Der Blick auf die Flammen zeigte ihr noch etwas anderes, über das sie mit TikRassKrun gesprochen hatte. Da war nichts, was ihr den nächsten Monden in irgendeiner Form Sorgen bereiten würde, kein OshraLo wie er es genannt hatte. In gewisser Weise war sie froh darum, dann gerade war es wichtiger sich selbst zu sortieren, statt… Hm, nein nein nein, denk nicht drüber nach, es ist nicht mehr wichtig. Es war bereits Sonnenaufgang als Tanai sich vom Kamin entfernte und mit leerem Blick an die Arbeit machte. Die Waren für den Herbstmarkt wollten vorbereitet werden. Sie richtete sich an ihrem Schneidertisch ein und stand während der Arbeit, denn an sitzen war nicht zu denken im Augenblick. Den gesamten Tag verbrachte sie in der Schneiderei, und sie war froh darum allein zu sein. Im Moment, da… keine Ahnung, was war da in ihr, war da noch irgendwas? “Ich bin gehorsam und mache was du mir sagst. Ich vertraue dir uneingeschränkt.“ Sie zuckte zusammen und stach sich so unkonzentriert in ihren Finger mit der Sticknadel. Dann wieder Stille in ihrem Kopf, bis auf eines, aber es glitt in diesem Moment schmerzhaft an ihr ab wie der blutige Vorhang. Sei gehorsam und vertraue, Sonnenschein.


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:52, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 28 Sep 2023 12:23    Titel: Kapitel 32 - Der Alte Tempel
Antworten mit Zitat



Kapitel 32 - Der Alte Tempel


Drei lange Tage, drei noch längere Nächte. Das Fazit dieser Zurückgezogenheit präsentierte sich an Tanais zerstochenen Händen. Nadelstiche über und über, die viele Stickarbeit für den Herbstmarkt zollte Tribut. Während sie vor sich hingearbeitet hatte, waren ihre Gedanken immer wieder auf den schicksalhaften Abend mit Vincent zugesteuert. “Ich bin gehorsam und mache was du mir sagst. Ich vertraue dir uneingeschränkt.“ Der Aufprall dieser gedanklichen Kaperfahrt war heftig, sie konnte dem nicht ausweichen. Sie hatte auch an Till gedacht, der ihr diesen kleinen Funken eingepflanzt hatte, als sie über die Sache mit dem Schritthalten gesprochen hatten. Sie konnte nicht an seiner Seite sein, doch diese eine Sache mit der Tempelwache konnte das Blatt wenden, oder? War sie überhaupt dafür gemacht, konnte sie daran weiterwachsen, hatte sie die notwendige Stärke in sich? Ihre Selbstzweifel hatten sich seit dem Verlobungsgespräch mit Tetrarch Vindheim so tief in ihre Seele hineingefressen, dass sie nicht mehr in Stande war sich selbst zu erkennen. Und nun hatte sie den Salat, sie war eine kleine zurückgezogene Maus, aus der Vincent auch noch den allerletzten Funken Selbstbewusstsein herausgeholt hatte. Seufzend setzte sie die letzten Stiche auf dem Wandgobelin und streckte den Rücken durch, das andauernde Stehen wurde langsam anstrengend. Aber sie wollte nicht sitzen, und sie wollte das Alles auch nicht aussitzen. Am Ende blieb die Entscheidung, ob sie sich unterordnen konnte, und Till hatte in einer Sache harte aber wahre Worte gesprochen. Wenn man dafür nicht gemacht war, dann war es umso schwerer. Es war eine zermürbende Prüfung, doch sie wusste auch, dass sie sich dieses Leben so ausgesucht hatte und ihr altes rebellisches Ich aus Cantir ein für alle Mal begraben werden musste, wenn sie den Geboten des All-Einen folgen wollte. Der meergrüne Blick besah sich nachdenklich den gruseligen Wandgobelin aus schwerem Brokat. Darauf war ein Blutmond am sternenlosen Nachthimmel zu sehen, der infernalisch auf den Alten Tempel vor Rahal herableuchtete. Der rabenschwarze Kopf wurde geschüttelt, dann drehte sie sich zu ihrem Schneidertisch und stürzte sich auf die noch anstehende Arbeit. Werd deine Gedanken los, sortier dich endlich... Alatar noch eins!

Stunden später (waren es überhaupt Stunden? - sie hatte jedes Zeitgefühl verloren) starrte sie auf einen Stapel bestickter Kleidung. Sie säuberte die Fäden aus und machte sich direkt danach über den nächsten Mantel aus waldgrünem Walkloden her. In ihrem Unterbewusstsein vernahm sie leise Schritte, doch erst diese ruhige und warme Stimme holte sie aus ihrer Gedankenwelt. Als sie aufblickte, erstarrte sie beinahe und sah in seine braunen Augen. Es brauchte keine drei Atemzüge, da stand er nah neben ihr, legte seine Hände an ihre Wangen und seine reine Nähe ließ sie endlich entspannen. Drei Küsse auf Wange, Kopf und Lippen von ihm, und drei sehnende Worte von ihr (Jaaaa, sie hatte ihn vermisst, endlich gab sie ihre Gefühle zu). Sie standen lange aneinander, die Wärme des anderen spürend, bis sie wieder zueinander fanden. Da gab es so vieles, was sie zu besprechen hatten. Die Wunden, die sie einander zugefügt hatten, oder die Sache mit der Kleidung, die zu viel Haut zeigte, ganz zu schweigen von der Sache mit dem Schritthalten… Oh Alatar, es purzelte geradezu aus ihr heraus. Er würde eines Tages vielleicht ein Würdenträger sein, während sie nur eine olle Schneiderin war. Hallo Selbstbewusstsein, wo bist du? Hallo Stärke, gibt es dich eigentlich auch noch? Hallo dummer Guppy, wach endlich auf und schwimm deiner Zukunft entgegen! Seine einfühlsamen Worten kamen unerwartet, sie würden es schaffen und gemeinsam an dieser Aufgabe wachsen? Sie war viel stärker als sie es selbst für möglich hielt? War er etwa stolz auf sie? Absolute Zuversicht, dass sie mithalten konnte neben ihm, ganz eindeutig. Sie würde seine Ehefrau sein, stark in Wille und Glauben. Sein Zuspruch gab ihr die Kraft ihm von dem Funken zu erzählen, den Till ihr gegeben hatte und sie hörte sich seinen Rat dazu mit sehr ernster Miene an. Bei seinen Erklärungen kam deutlich zum Vorschein, dass er ihr diese Welt ersparen wollte und nur das Beste für sie im Sinn hatte. Die Tempelwache war keine Welt für sie… doch es änderte nichts an der Sache, die sie mit Alina besprochen hatte vor einigen Tagen. Sie wollte sich weiter im Kampf schulen. Und nun, da sie Aleksi für immer verloren hatte, wer war da besser geeignet als die Oberste Tempelwache? Während des Gesprächs mit Vincent war für Tanai noch etwas anderes klar geworden, der Wandgobelin mit dem Alten Tempel war entstanden als sie über ihn nachgedacht hatte. Er sollte ihm gehören, dem Familienhaus der Ravnseels ein Stück Seele geben. Er würde seinen Platz finden, doch für den Moment gehörten sie beide ins Bett nach Stunden des vertrauensvollen Redens. Auch wenn sie in zwei getrennten Betten zu schlafen hatten, sie waren sich näher wie schon lange nicht mehr, vielleicht sogar wie noch nie zuvor. Mochte Alatar ihren Bund weiter stärken.


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:52, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 05 Okt 2023 12:15    Titel: Kapitel 33 - Die Probezeit
Antworten mit Zitat



Kapitel 33 - Die Probezeit


Arbeiten, Kämpfen. Arbeiten, Kämpfen. Arbeiten… eh… ach ja, und dann noch ziemlich gefährlichen Versuchen widerstehen! Es wurde immer schlimmer, und umso mehr sie versuchte sich dem zu entziehen, umso stärker wurden diese Empfindungen. Schon wieder diese Gefühle! Alatar noch eins, wann hört das endlich auf? Grummelnd zog sich Tanai ihre schwarze Drachenlederrüstung an und rüstete sich für den Kampf. Sie wusste, dass sie sich dem stellen musste… aber sie konnte doch nicht in einem Bett mit ihm liegen! Nicht so, nicht jetzt! Und doch wollte er es, mit einer riesigen Kissenburg zwischen ihnen (war er eigentlich wahnsinnig?). Der erste Versuch war kläglich gescheitert, sie hatte widerstanden. Aber konnte sie das auch auf Dauer? Jede Berührung, jeder Kuss, gar jeder Blick wurde immer kraftzehrender. Und Alatar allein wusste, wann das endlich aufhören würde. Fluchend ging Tanai an ihre Truhe mit der Kampfausrüstung und zog ihre Waffen hervor. Dabei blickte sie auch auf ein Bündel aus altem Baumwollstoff, in dem etwas eingewickelt war. Mit zusammengepietzten Augen nahm sie es aus der Truhe, schlug den Stoff beiseite und lächelte fast etwas wehmütig. Da lagen sie vor ihr auf ihren Händen, klein und alt, etwas abgenutzt aber immer noch wahnsinnig scharf. Die drei Wurfdolche besaß sie bereits sehr lange, schon als Elfjährige hatte sie angefangen damit zu üben. Und da kam ihr die Idee, die sie wenig später bereits in die Tat umsetzte. Das Zimmer, dass Vincent in ihrem Haus hatte, wurde umgestaltet und zu einer kleinen Kampfarena umfunktioniert. Die Übungspuppe und die Zielscheibe hatte sie bereits, die Stange für die Klimmzüge würde noch beschafft werden. Und wie das Zimmer so umgestaltet war, da machte sie sich bereits daran ihre lieben Freunde auf die Zielscheibe zu werfen. Ablenkung war gut, und sie war erstaunt wie gut sie noch treffen konnte. Manche Dinge verlernte man eben nie.

Tage später war sie mit Vincent wieder in den Katakomben, Kampfübungen waren Ablenkung. Und Ablenkung war gut gegen Versuche! Natürlich wurde sie mit jedem Streifzug durch die Katakomben stärker, übte sich mehr, lernte dazu und folgte dem 8. Gebot. Doch so ganz würde es ohne Lehrer nicht gehen. Sie musste unbedingt mit Alina sprechen, denn es wurde Zeit dafür. Nach dem letzten Streifzug waren Vincent und sie in das Haus der Ravnseels eingekehrt, hatten über die weitere Einrichtung gesprochen und da war etwas passiert, dass sie nicht für möglich gehalten hatte. Sie wollte es nicht, sie wollte einfach überhaupt nicht! Doch da stand er, und brachte wieder alles durcheinander. Wie konnte er nur die Dreistigkeit besitzen wieder aufzutauchen? Selbstgefällig wie ein Pfau, aber was waren seine Intentionen? Sie glaubte es noch immer nicht, das Angebot sie weiter zu schulen war selbst nach Tagen noch immer so weltfremd. Da war keinerlei Vertrauen mehr, keine Ambition das Angebot anzunehmen. Doch da war noch immer die Frage, was ihr sogenannter Bruder sich davon erhoffte. Was, wenn sie wieder in ihre alten Muster zurückfiel, wenn sie wieder ihr altes Ich herausholte und damit begann, ihrem Verlobten zu schaden? Sie konnte es nicht, und sie wollte es nicht. Sie gehörte ihm, und nichts würde jemals wieder dafür sorgen, dass sie sich so verhielt wie es in der Vergangenheit bereits geschehen war. Tanai rieb sich über die Stirn und ging wieder in das Kampfzimmer. Dort besah sie sich alles und die Mundwinkel zuckten empor. Ein ewiger Kampf gegen die Versuchung, vielleicht hier drin noch mehr als anderswo. Sie griff nach den Wurfdolchen, begann wieder zu üben, und überlegte weiter, wie sie sich ablenken konnte. Schach, Ausreiten, Picknicken, Kämpfen, Arbeiten… ach ja, wie bittersüß war das Leben doch im Moment!


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:52, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 11 Okt 2023 18:07    Titel: Kapitel 34 - Von Dämonen und Krabben
Antworten mit Zitat



Kapitel 34 - Von Dämonen und Krabben


Krabben... Krabben, viele kleine Scheren... Krabben. Glitschige, widerliche Krabben... Immer wieder sagte sich Tanai das still im Geist auf. Immer und immer wieder, doch es half nichts mehr. Die Versuche waren unerträglich geworden, und sie hatte das Gefühl bald verrückt zu werden. Nicht mal die Jagden nach Dämonen mit der Familie Ravnseel (sie betete zu Alatar, dass nach Rückkehr aus Shevanor mit Corvin und Serena andere Dinge endlich geklärt werden konnten) halfen jetzt, um sie abzulenken. “Weiche von mir, Dämon! Du wolltest mich betören mit deiner Erscheinung, deiner Anwesenheit, deiner Schönheit. Gehe zurück in deine Dämonenhöhle und komme erst zur Hochzeit wieder heraus!“ Wer jagte hier eigentlich wen?! Na wenigstens ging es Vincent genauso… oder noch schlimmer? Schnaufend zerrte Tanai an der Reuse, die am Hafen von Rahal im Wasser hing und zog sie heraus. Sie hatte nicht mehr gefischt, seitdem sie aus Cantir abgereist war, doch als Fischertochter lernte man dieses Handwerk von Kindesbeinen an und verlernte es dann auch nicht mehr. Und die Idee, die ihr gekommen war, um sich von ihren Gefühlen abzulenken, die würde grandios werden! Dafür brauchte sie aber erstmal eine Krabbe und die war ihr Alatar sei Dank nun in die Reuse gegangen. Eine weiße, glitschige Krabbe mit widerlichen Scheren… würg, allein der Anblick ließ sie an nichts anderes mehr denken! Guuuttt, sehr gut! Das bemitleidenswerte Wesen wurde aus der Reuse herausgeholt und der restliche Beifang fand seinen Weg zurück ins Hafenbecken. Elanvoll machte sich Tanai auf den Weg zu ihrem Haus und zerlegte dort angekommen in der Küche die Krabbe sehr vorsichtig. Den glitschige Krabbenpanzer und die Scheren würde sie für ihr Vorhaben brauchen. Nach dem Auseinandernehmen wurde das Krabbenfleisch den Schafen im Garten zum Fraß vorgeworfen und sie lief mit Panzer und Scheren hinauf ins Dach, um sich an die Arbeit zu machen. Irgendwie war es schon ein wenig erheiternd, sie hatte nie ein Kuscheltier in ihrem ganzen Leben besessen und nun würde sie sich ihr Erstes selbst nähen, das aber in keinster Weise den Zweck erfüllen sollte in irgendeiner Form niedlich zu sein, ganz in Gegenteil! Es sollte ihre Gefühle so richtig schön nüchtern machen (ja, sogar angewidert), damit sie nicht mehr daran dachte wie… Arrr Grr!

Panzer wie Scheren wurden auf den Tisch gelegt, dann suchte sich Tanai den lumpigsten Baumwollstoff, den sie finden konnte. Da kam ihr ein altes grobes Fischerhemd aus Cantir gerade recht. Sie zerschnitt es und begann dann viele kleine Einzelteile daraus zu fertigen, während sie ihren Gedanken nachhing. Kürzlich hatte sie im Hort des Wissens mit Nobilia Treuwind einen sehr langen Abend hinter sich gebracht, um Schneidermuster zu erwerben, doch sie hatte dabei auch ein Los dafür gewonnen, sich im Wort zu schulen. Tanai wusste, wie schlecht sie im 7. Gebot war, und ein Blick auf die Krabbenteile ließ sie kurzzeitig wünschen, dass sie selbst eines dieser Tiere wäre… die mussten wenigstens nicht reden! Sorgsam wurde eine Nadel ergriffen, dann nähte sie die ersten Stoffteile zusammen und zog die Fäden fest an. Hübsch würde diese Stoffkrabbe definitiv nicht werden, das stand außer Frage. Nach und nach entstanden die Körperteile und kurz darauf wurden diese mit viel Schafwolle ausgestopft und zusammengenäht. Der schwierigste Teil kam erst noch… der Panzer musste irgendwie angenäht werden und auch die Scheren. Sie tüffelte ziemlich lange daran. Es vergingen Stunden, bis sie einen Weg gefunden hatte. Kleine Löcher in den Krabbenteilen, die sie mit viel Sorgfalt hineinbohrte, würden als Nahtlöcher dienen. Während des Annähens piekte sie sich in den Finger, als sie etwas unachtsamer ihren Gedanken nachhing. Das Blut, was aus der Fingerkuppe perlte, wurde wie paralysiert von ihr angestarrt, dann dachte sie an die Hauseinrichtung der Ravnseels und sie schluckte schwer. Vincents Zimmer… oh Alatar, bloß nicht dran denken, nein nein nein! Das Blut wurde in den Mund gesaugt, dann suchte sie kleine schwarze Cabeza-Perlen aus ihrer Schneiderkiste heraus und fügte diese als Augen an die Krabbe an. Hier und da zupfte sie an den Scherenärmchen und prüfte, ob die Nähe gut halten würden. Sie mussten es! Wer wusste schon, wie oft sie dieses ekelhafte Kuscheltier in den Händen kneten würde. Es konnte noch ziemlich lange dauern bis… sie schüttelte sich, als die Finger über den glitschigen Krabbenpanzer tippten. Das Gefühl war widerlich und viel stärker als die Gedanken an Krabben, die sie sich bisher gemacht hatte, um ihre Gefühle abzustreifen. „Guuttt, mein kleiner Freund… wir werden keinen Spaß miteinander haben! Fortan heißt du Crumpi, und wehe du zwickst mir in die Finger.“


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:52, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 18 Okt 2023 19:25    Titel: Kapitel 35 - Der Sand zwischen den Zehen
Antworten mit Zitat



Kapitel 35 - Der Sand zwischen den Zehen


Phheewww… der Herbstmarkt war vorüber. So lange wie sie dafür vorbereitet hatte, so schnell war der Abend vergangen. Ihr erster Markt, das war schon irgendwie etwas Besonderes. Und wenn sie ehrlich war, die Arbeit hatte sich mehr als gelohnt. Offenbar war sie wirklich mit Talent gesegnet, hmm hmm… in jedem Fall hatte die Goldkatze lautstark geklingelt, was sehr gut war. Und da war noch etwas, die Ravnseels waren ebenfalls am Markt gewesen. Zu ihrer großen Überraschung hatte der kleine Schmetterling ihr zwei Küsse gegeben, ihr ein Kompliment zu ihrem roten Kleid gemacht (oh Alatar, sie wurde doch nicht etwa weich von dieser Schmeichelei?) und das Verrückteste… sie hatte sie sogar Schwesterchen genannt. Echt jetzt, und dass nach ihrem holprigen Start als sie damals von der Verlobung erfahren hatte? Es war irgendwie unwahr, und Tanai war für den Moment noch vorsichtig. Alles in allem freute sie sich aber auch Serena mit neuer Kleidung auszustatten und so langsam ihren Geschmack zu verinnerlichen. Mal sehen, was aus ihrem Bund noch werden konnte, das blieb in der Zukunft verborgen. Tanai war neugierig, aber das war sie immer und Vincent tadelte sie regelmäßig dafür. Sie konnte Dinge selten abwarten, die Geduld ging ihr einfach ab (hatte sie überhaupt jemals eine besessen?). Nachdenklich und in ihren Gedanken gefangen, tippte sie sich mit den Fingern gegen die Lippe und zuckte zusammen, als sie an die Schnittwunde an der Unterlippe kam. Autsch! Sie hatte nicht mehr daran gedacht, aber es war ebenfalls ein Andenken an den Herbstmarkt. Zumindest war es ihre einzige Wunde im Moment, denn im Kampf wurde sie nicht mehr so oft verletzt, was für eine Verbesserung ihrer Fähigkeiten sprach. Sie lernte so vieles in letzter Zeit, vor allem aber über sich selbst. Und dann war da noch der Ausflug nach K‘awi.

Angenehmes Wetter trotz Herbstzeit. Das Wellenrauschen vom Meer. Das Zwitschern der bunten Vogelwelt. Der Wind in den Haaren. Und der Sand zwischen den Zehen… hmmmmm. Sie war noch nie auf K’awi gewesen, Vincent hatte sie erst kürzlich dorthin entführt. Ein kleines Picknick, ein wenig Ruhe… der Lohn für die zurückliegende harte Arbeit am Herbstmarkt? Oder doch eher Zeit für ihren Catulus und sich selbst? Dort im Sand zu liegen, die meergrünen Augen zum Himmel gerichtet (oh Alatar, Sonnenuntergang… echt jetzt? Sowas Kitschiges!)… es hatte so gutgetan und das Gespräch mit Vincent hatte ihr auf mehrere Weisen so einige Dinge klar gemacht. Zum einen war da die Sache mit dem in sich selbst hineinhören. Es sollte Kraft geben, die Gedanken ordnen, mental stärken? Hmm… allein die Vorstellung sich ihren wirren Gedanken zu stellen, jagte ihr einen riesigen Schauer in den Nacken. Damals in Cantir hatte man ihr das Meditieren einmal aufgezwungen, mehr als Strafe für eine weitere Ungehorsamkeit, die sie sich da geleistet hatte. Und schon da war es ihr zu viel gewesen, und auch jetzt war es ihr das noch. Zu viele Gedanken in ihrem Kopf, die wie Tausend Stimmen auf sie einredeten und sie schier wahnsinnig machten. Dabei war ihr klar geworden, dass dies auch der Grund war, wieso sie sich mit dem Beten so schwertat. Wie oft war sie im Tempel gewesen seit ihrer Ankunft auf Gerimor? Sie konnte es an einer Hand abzählen. Beten zum Herren stand nicht unbedingt auf ihrer Liste der Lieblingsbeschäftigungen ganz oben. Hm… sie würden es üben, na gut! Was es noch zu üben galt, war indessen ziemlich gefährlich, für sie beide. Doch irgendwann mussten sie anfangen, sonst würde es zur Hochzeit wohlmöglich noch hässlich werden. Andererseits… so viele Wunden, wie sie sich schon im Kampf zugezogen hatte, was machte da ein Schnitt für den Schwur noch aus? Blieb nur die Frage nach dem ‚Wo‘. Vorsichtig tippte sich Tanai wieder an den Schnitt an der Lippe und schüttelte dezent grinsend den Kopf. Er war einfach unverbesserlich, aber sie liebte ihn und das war alles, was sie für die Zukunft wissen musste.


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:53, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 23 Okt 2023 16:15    Titel: Kapitel 36 - Von Erdbeermilch und Blumenzauber
Antworten mit Zitat



Kapitel 36 - Von Erdbeermilch und Blumenzauber


Vorsichtig rieb sich Tanai die Stirn und blickte blinzelnd zum Kaminfeuer. Sie drehte in den Fingern der anderen Hand die kleine Schachfigur des schwarzen Pferdes herum und überlegte. Hmmm… denk nach, was kann der nächste Schritt sein. Es ist doch eigentlich wie beim Schach, oder? Tanai seufzte und tippte die Schachfigur auf ihre Unterlippe, direkt auf den Schnitt. Er heilte langsam, was gut war, es warf nur Fragen auf. Fragen, die sie nicht beantworten wollte. Und nicht konnte, das war aber eine andere Sache. Das Pferd wurde auf das Schachbrett zurückgesetzt und sie zog fröstelnd ihre Wolldecke etwas enger um die Schultern. Wieso fror sie am Kamin? Sie war eine Cantirerin… die froren nicht! Na gut, momentan schon, das Klima hier auf Gerimor war anders… Warme Arme vermisste sie an diesem Abend indessen schon, das konnte sie nicht verleumden. Vorsichtig rieb sich Tanai nochmal über die Wange, wo hin und wieder der Wangenkuss von Serena sie jagte wie ein Geist. Schwesterchen, wirklich? Hmm… sie hatte ihr schon angedroht, dass es bei 10 Küssen eine Umarmung umsonst gab, egal wie sehr sie sich wehren würde. Aber der kleine Schmetterling war eben auch ein Sturkopf, und in der Hinsicht waren alle Ravnseels gleich. Schwer auch nur ansatzweise dagegen anzukommen hmm… Seufzend stand Tanai vom Boden auf und ging mit der um sie gezogenen Wolldecke in die Küche. Da starrte sie auf den Tisch und der Anblick ließ sie gleich in zweierlei Hinsicht paralysiert zurück. Tische… die konnten schon auf viele Arten hergestellt werden. Einrichtungen von Häusern waren speziell, sie brauchten Zeit aber auch… keine Ahnung… Verständnis, Einfühlvermögen? Wenn man so direkt mit Wünschen konfrontiert wurde, fiel es schwer sich darauf einzulassen, oder?

Vorsichtig griff Tanai nach der schlichten Vase am Küchentisch, in der eine kleine und mild duftende rote Zwergrose sowie eine dunkle rosafarbene Malvenblüte im Wasser standen. Vincent hatte sie ihr zusammen mit den Krügen Erdbeermilch in den Briefkasten gelegt ohne ein Wort und das machte Tanai schier wahnsinnig. Sie hatte ihm doch gesagt, dass sie Erdbeermilch hasste, und trotzdem hatte sie das Rezept für ihn zubereitet, nur für ihn. Und nun stand die Hälfte der Erdbeermilch in der Küche und ließ sie die Nase rümpfen. Was aber hatte es mit den Blumen auf sich, Alatar noch eins! Vor allem die duftende Zwergrose war ein Rätsel hmm… Kopfschüttelnd ging Tanai an das Küchenregal und nahm die Teekräuter aus dem Schrank. Dabei sah sie den Rum von Aleksi und schnaufte etwas. Auch der Kerl machte sie gerade wieder verrückt, tauchte einfach auf und wollte reden… jaaaaa genau, und sie war der Alka. Am Ende dieser Unterredung hatte er sie schon wieder gefragt, ob er sie das Kämpfen weiterlehren sollte, so wie schon damals im Ravnseel Haus. Hmm… und weil das noch nicht reichte, hatte er ihr angeboten sie zum Glaubensunterricht zu begleiten, ihr sozusagen aufgelauert und es ihr aufgezwängt. Was sollte das, was erhoffte er sich davon? Seufzend ging Tanai nach dem Teekochen zurück in ihre Gedankenkammer, setzte sich an den Kamin und tat etwas, das sie jahrelang nicht mehr getan hatte. Beten war nichts für sie, damals nicht und auch heute noch nicht. Aber vielleicht konnte sie ihre Gedanken damit ins Reine bringen, klarer Denken und letztendlich fokussierter Handeln. Ein Versuch war es wert und so wurde ein ziemlich holpriges Abendgebet gesprochen, bevor sie sich fröstelnd in ihr kleines Bett legte. Wenn diese Herbstnächte schon so kalt waren, wie musste dann erst der Winter auf Gerimor werden? Brrrrrr!


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:53, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 30 Okt 2023 15:30    Titel: Kapitel 37 - Die dunkelste Stunde
Antworten mit Zitat



Kapitel 37 - Die dunkelste Stunde


Das Beten war wohl nach hinten losgegangen, oder? Als wäre es Alatars morbide Strafe, war etwas passiert, mit dem sie nicht im Entferntesten gerechnet hatte. Strategie wie beim Schach, zweifelsfrei. Erstaunen über diese Form von Dreistigkeit, definitiv. Wut über dieses infiltrierende Manöver, unsagbar! Eigentlich hatte sie an diesem speziellen Abend nur eine Runde durch die Höhlen mit Corvin und Vincent drehen wollen. Doch da war Serena an die Tür des Ravnseel Hauses gekommen und hatte sie ziemlich direkt abgewiesen. Verwundert darüber war ein Versuch erfolgt sie zu überreden, doch dann war aus den Schatten des Hauses hinter sie Aleksi getreten. Nah bei ihr und nicht wenig unvertraut. Ein Schlag ins Gesicht, er hatte gewonnen. Tanai wusste genau, wann sie sich geschlagen geben musste, es war wie bei einem vernichtenden Schachzug. Und dieser eine Schachzug riss eine tiefe Wunde in Tanais Beziehung zum Familiengefüge der Ravnseels. Es war der letzte Abend, an dem sie einen von ihnen gesehen hatte. Seitdem war Stille eingekehrt in dieser für sie dunkelsten Stunde, sie hatte sich vollkommen zurückgezogen und nicht mehr gewagt das Ravnseel Haus aufzusuchen. Was erwartete sich dieser Mistkerl eigentlich von seiner Infiltration? Zu allem Überfluss hatte er ihr Tage später noch eine kurze Notiz in den Briefkasten geworfen, die vor Dreistigkeit nur so triefte. Sie war im Feuer gelandet, bevor Tanai sich dazu entschlossen hatte für längere Zeit durch die Wildnis zu streifen, und es wusste auch niemand, wo sie sich herumtrieb. Ihr Ziel waren die Höhlen Gerimors und der Sumpf von Dunkelmoor, sie brauchte Zeit für sich, Zeit zum Denken. Und außerdem konnte sie ihre Kampffähigkeit weiter ausbauen, ganz in Alatars Sinne. Der einzige Wehmutstropfen an dieser Situation war, dass sie Vincent nicht mehr sehen würde und außerdem war die Kälte des Herbstes eine ziemlich fiese Herausforderung für sie… brrrr.

Der vertraute Geruch von Sumpf und modrigem Holz, gepaart mit den unheimlichen Geräuschen von blubberndem Wasser und von so manchen Wesen, ließ Tanai auf seltsame Art entspannen. Sie kannte solche Sümpfe aus Cantir, in ihrer Heimat waren sie weit verbreitet. Und zugegeben… war sie früher gerne durch diese Sümpfe gezogen. Es hatte immer eine Form von Abenteuer in ihrem tristen Leben als Fischertochter bedeutet. Jahre später nun suchte sie die Sümpfe von Dunkelmoor auf, um sich hier hmm... was eigentlich… auszutoben? Ihre Wut loszuwerden? Nachzudenken? Irgendwie sowas, Hauptsache Beschäftigung und weit weg sein von ihrem Heim in Rahal. Jaaaa… Heim, das war ihre Schneiderei und die Menschen um sie herum geworden. Kaum zu glauben, dass sie erst jetzt erkannte, wie sich alles dorthin entwickelt hatte, ihrem Heim Seele eingehaucht worden war… oh, und wie sie Vincent vermisste, es war für sie nur schwer zu ertragen. Und statt in seinen Armen wohlige Wärme zu finden, stand sie nun knietief im nasskalten Sumpf, kämpfte sich mit dem Morgenstern gegen schlingende Sumpfmäuler und andere widerliche Wesen durch und verausgabte sich, weil sie es schlichtweg brauchte. Nur selten, meistens dann, wenn sie etwas zu Essen benötigte oder neue Heiltränke, kam sie nach Rahal zurück, um sich heimlich in ihr Haus zu schleichen wie ein dunkler Schatten. Die Nacht war in dieser Hinsicht ihr Verbündeter und schützte sie vor neugierigen Blicken. Doch auch die wich nach der dunkelsten Stunde und wurde jedes Mal aufs Neue zum Morgen. Immer, wenn das geschah, saß sie am Strand neben dem Sumpf und sah still dabei zu wie die Sonne im Osten aufging. Ein einmaliges Schauspiel, das man nur einmal am Tag sehen konnte. Kaum, dass es hell wurde, verzog sich Tanai irgendwo in eine Höhle oder einen schwer einsehbaren Ort, versteckte sich zugegeben und schlief aller meistens erschöpft ein. Sie würde in diesem Sumpf nicht untergehen, nein. Sie lernte nur dagegen anzukämpfen, und das machte sie am Ende wieder ein bisschen stärker.


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:53, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 02 Nov 2023 09:06    Titel: Kapitel 38 - Vom Vergessen und Vergeben
Antworten mit Zitat



Kapitel 38 - Vom Vergessen und Vergeben


Kampf, unaufhörlich und immerzu. Keine Zeit für Verschnaufpausen, denn sonst wartete der Tod in dieser vergessenen Ebene, die sowohl Traum als auch Wirklichkeit war. Unruhig wälzte sich Tanai im Schlaf an der Wand ihres Übungszimmers hin und her. Sie war im Sitzen eingeschlafen, als sie nach über einem Wochenlauf endlich wieder heimgekehrt war und die Waffen dort ablegen wollte. Nur ganz kurz mal sitzen und die Erschöpfung sacken lassen, aber da war sie einfach ausgezehrt eingeschlafen. Und jetzt suchten sie unruhige Träume heim als würde sie das Erlebte damit verarbeiten müssen. Ein tiefes Gröhlen, infernalische Flammen, atemberaubendes Rennen. Ganz eindeutig verarbeitete sie die kürzliche Begegnung mit dem Balron, ihre Augenlider zuckten im Schlaf wild. Das infernalische Flammenmeer ging nahtlos über in blutrote Kleidung, und das auftauchende Gesicht wurde wie gelähmt angestarrt. Worte folgten, viele Worte. War das die einschmeichelnde Taktik dieses Balrons, sie Illusionen sehen zu lassen? Oder war das wirklich passiert, und nicht Teil des konfusen Traumes? Erstickende Nähe und dann doch wieder wohliges Umfangen, ein wahres Wechselbad der Gefühle. Mit Worten konnte man einen Balron nicht vernichten, der Traum glitt in flammenfunkende Wut über und ließ Tanai weiterkämpfen. Tief im letzten Winkel ihres Herzens wusste sie, dass sie es zulassen musste, dass es gefährlich war stand außer Frage. Kämpfe, Tayris! Alatar noch eins, jetzt kämpfe! Wieder wälzte sie sich an der Wand hin und her, ihr rabenschwarzer Kopf bearbeitete die Holzwand, bis er schließlich gegen die Übungspuppe daneben sackte und dieser Fall sie abrupt aus ihren wirren Träumen riss. Blinzelnd rieb sie Tanai mit der rechten Hand an der Stirn (warum tat ihre Hand so weh beim Bewegen?), orientierte sich danach im Raum und atmete tief durch, um sich wieder zu fangen. Sie erinnerte sich an den Traum, der irgendwie doch keiner war, oder? Schwer beherrscht schob sie sich auf die Beine, streckte sich langsam durch und ging dann hinunter in die Küche.

Kalter Kaffee stand in zwei Bechern auf der Küchentheke. Da zuckten die Mundwinkel, es war kein Traum gewesen. Die Realität hatte sie eingeholt und dann (vielleicht sogar sorgenvoll… oder nicht nur vielleicht, ganz sicher sogar)… ja, was eigentlich? Ach verdammt nochmal, wie sollte es nun weitergehen! Mit vorsichtigen Fingerspitzen griff Tanai nach der Kanne für den Kaffee und füllte Wasser hinein, um es am Feuer aufzukochen. Die Kaffeemühle wurde wieder betätigt, doch dieses Mal von ihr selbst… hmm… sie seufzte als sie das monotone Quietschen des Mahlwerkes in ihren Ohren vernahm, dann schloss sie die Augen. Sie hätte schreien sollen, laut und ohne jede Zügelung, doch genau wie beim Kampf hatte sie auch beim Wort dazu gelernt. Sie wuchs weiter, so wie es auch andere taten und der Gedanke daran ließ sie zumindest ganz kurz und verstohlen Lächeln. Sie konnte nicht vergessen, was geschehen war, denn die Konsequenzen daraus waren langanhaltend und hatten sich tief in ihr Leben gegraben. Doch im hintersten Eck ihres Herzens konnte sie vielleicht irgendwann vergeben, nun da sie die Entschuldigung für all das zurückliegende Übel mit ihren eigenen Ohren gehört hatte. Es war ein Anfang, zart wie eine Blume. Der meergrüne Blick fiel auf die Blumen am Küchentisch, die durch das fehlende Wasser vertrocknet waren. Dennoch waren sie wunderschön, und sie erinnerten Tanai an Vincent. Sie musste dringend zu ihm, doch noch immer traute sie sich nicht zum Ravnseel Haus, selbst jetzt nicht, nachdem dieser spezielle Abend sich aufgeklärt hatte (Alatar noch eins, was für eine fiese Prüfung war das nur gewesen?). Seufzend wurde der Kaffee mit heißem Wasser aufgegossen und dann in einen Becher gefüllt. Sie umgriff diese Wärmequelle und sog den Geruch in ihre Nase ein. Es tat so unendlich gut und sie dachte an die Wärme seiner Arme und an seinen Geruch. Jaaaaa, jetzt trau dich schon, er wird dich nicht fressen, oder? Der lebensspendende Kaffee wurde getrunken, dann straffte sie die Schultern und machte sich auf den Weg zum Ravnseel Haus. Noch immer war sie in ihre Rüstung gehüllt, noch immer roch sie nach Sumpf und Moder, noch immer war sie erschöpft von der zurückliegenden Woche ihrer Flucht und dem Gespräch mit anschließender Balronbekämpfung… doch eine Sache gab ihr Kraft und in dem Moment war es nicht der Kaffee. Sie wusste, dass er immer bei ihr war, wo immer sie auch war. Und jetzt, da sie begann an anderer Stelle zu vergeben, da war ihr rabenschwarzer Kopf auf irgendeine Weise so leicht geworden und sie konnte sich endlich wieder frei machen von all diesen negativen Gedanken, um die zu sein, die sie wirklich sein wollte.


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:53, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 07 Nov 2023 18:00    Titel: Kapitel 39 - Der Ritualdolch
Antworten mit Zitat



Kapitel 39 - Der Ritualdolch


Sumpfmoder, Krötenschleim und Geblubber. Irghs. Zu lange war Tanai im Sumpf gewesen, selbst nach mehrmaligem Waschen hatte sie noch immer das widerliche Gefühl, dass ihr ganzer Körper klebte. Und es juckte, krabbelte überall… ja, es juckte richtig fies. Erstaunlicherweise war das ihrem Catulus egal gewesen, als sie sich (für Tanai nach einer gefühlten Ewigkeit) wiedergesehen hatten. Ihm war der Sumpfmoder gleich, der Dreck und all das… oh, wie hatte sie seine Wärme vermisst, seine Stimme, seine Arme… hmm, ja es tat gut. Ihnen beiden. Sie sprachen über so einiges, und wieder einmal auch über ihr Brüderchen, natürlich. Nur Alatar allein wusste, wie sich die Zukunft entwickeln würde, es blieb eine offene Flanke, an der vor allem Tanai sehr verletzlich war. Und wo sie gedanklich schon beim Verletzen war… hm, sie tippte sich wenig begeistert an die Lippe, wieder eine offene Wunde. Wieso hatte sie Vincent nur den Dolch gezeigt, eindeutig ein Fehler. Das wird mir nicht nochmal passieren, forscher Ravnseel. Immerhin… der Dolch war wunderschön, sie hatte ihn vor einiger Zeit bei Herrn Dalvon in Düstersee erworben. Umwickelt mit schwarzem Drachenleder am Griff und mit einer feinen Gravur auf der Klinge versehen, war er wirklich ein Meisterwerk. Blut bindet uns für immer. Hmmhhhhm. Irgendwann würde es das, wenn die Zeit gekommen war. Bis dahin hoffte Tanai, dass der Dolch nicht zu oft an ihrer Lippe… ehhh, ja! Denk nicht dran, einfach so tun als wäre nichts. Seufzend flickte Tanai an ihrem Bustier aus schwarzem Drachenleder weiter und verfluchte es, dass der Ring im vorderen Brustbereich abgerissen war. Keine Materialschwäche, das war klar… rohe Gewalt, schon eher. Auch wenn sie nun seit kurzem Besitzerin einer wertvollen Balronrüstung war, sie reparierte ihre alte Drachenlederrüstung mit Sorgfalt. Sie erinnerte sie daran, wer sie in der Vergangenheit war und wer sie nun geworden war. Hmmm…

Der meergrüne Blick sah sich in dem großen Dachboden um, in dem sie sich befand. Sie saß im Schneidersitz auf einem roten Sofa, nur schwaches Licht vom Alchemietisch flackerte herüber. Wie lange hatten sie eigentlich hier eingerichtet? Eine gefühlte Ewigkeit, doch nun war das Haus der Ravnseels ein gemütlicher Ort geworden, an dem man verweilen konnte. Ein Heim mit Seele, und eines, in dem sie nun erstmalig übernachtet hatte. Es war so angenehm gewesen, nach ihrer Abwesenheit neben Vincent einzuschlafen, und auch wieder neben ihm aufzuwachen. Während er schon früh morgens zum Tempel gegangen war, hatte Tanai sich dazu entschlossen einen regelrechten Gammeltag einzulegen (jaaa, auch sie konnte Ruhe mal vertragen). Das Ganze fand im Nachthemd statt, aus dem sie den ganzen Tag nicht entfloh und so bis zum Abend ihren Gedanken nachhing. Auch den Catulus Maunz (wie war Corvin nur auf diesen Namen gekommen… hmm) verwöhnte sie mit sanft wiegenden Geräuschen vom Schellenkranz die Öhrchen. Hin und wieder stahl sie sich in die ravnseelsche Küche und schnappte sich etwas zu Essen (von wegen zu dünn, sie aß wie ein Nimmersatt). Insgesamt ein entspannter Tag, eindeutig. Und dann war später am Abend der kleine Schmetterling aufgetaucht und sie hatten lange miteinander geredet. Klärende Worte, Übung im 7. Gebot für sie beide… denn wohlgeformte Worte konnten Wälle einreißen, nicht wahr? Vielleicht konnten sie das Vergangene gemeinsam bewältigen, es war echte Beziehungsarbeit. Unkonzentriert stach sich Tanai mit der Ledernadel in die Finger und betrachtete das hinausperlende Blut nachdenklich, ehe sie den Finger in den Mund steckte und es abschleckte. Kopfschüttelnd über die dabei aufkommenden Gedanken stand sie auf, packte ihre Schneidersachen zusammen und verzog sich in Vincents Zimmer, um sich dort in das warme Bett einzulullen. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie nun zwei „Zuhause“ hatte… nein, sogar drei mit ihrem Heimatdorf in Cantir. Heimat war immer da, wo eine Geschichte begann.


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:53, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 23 Nov 2023 16:24    Titel: Kapitel 40 - Das tapfere Schneiderlein
Antworten mit Zitat



Kapitel 40 - Das tapfere Schneiderlein


Mit einem leisen Seufzen rieb sich Tanai die Oberarme und schüttelte sich dabei fröstelnd. Es war arschkalt, wie konnte es auf Gerimor nur so unsagbar kalt werden? Dicht am Kamin war es etwas wärmer, aber trotzdem fror sie unaufhörlich. Jetzt reiß dich zusammen, Tayris. Leise begleitet von einem Zähneknirschen stellte sie weitere Flickwerkzeuge her und piekste sich dabei immer wieder in die Finger. Fast so, als wäre sie gerade erst für das Schneiderhandwerk in der Lehre, oder war es doch die Kälte (hmm… vielleicht auch was ganz anderes, Alatar allein wusste es)? Die Gedanken glitten davon, nach ihrem Sumpfaufenthalt war schon wieder so viel geschehen, es fiel schwer da noch alle Erfahrungen zu sortieren und in Schubladen zu stopfen! Manche davon sollten voller sein als andere, aber diese spezielle eine… die klemmte und war so widerspenstig, dass Tanai regelrecht angespannt wurde. Mehr noch, es waren reine Aggressionen, die auch noch zu der ein oder anderen Handgreiflichkeit geführt hatten. Sie musste sich zügeln, doch ihre Willenskraft litt seit Wochen und es war immer schwerer dem standzuhalten. Sicher war das eine Art ihre Stärke zu prüfen, aber sie konnte sich angenehmeres vorstellen. Wenn das so weiter ging, würde sie zu einem Häufchen Asche werden, die Skala war schon weit überschritten. Knurrend wie ein in die Ecke gedrängtes Tier stand sie auf und legte das Schneiderzeug beiseite. Es war Zeit zu kämpfen… dass merkte sie immer dann, wenn ihre Konzentration rapide nachließ. Sie war so drüber, ein pfeifendes Kesselchen war ein Scheiß dagegen.

Einen halben Stundenlauf später stand sie in einer schwülen Höhle, die sie neulich auf Cabeza entdeckt hatte, und kämpfe gegen diese silbrig kriechenden Echsenwesen. Hier war es wenigstens warm, sie bekam Leder und sie konnte kämpfen. Und nebenbei lenkte es sie auch noch ab, was wollte sie mehr? Umso länger sie zuschlug und die Wesen erlegte, umso klarer wurden ihre Gedanken wieder. Sie fragte sich heimlich, ob die Herausforderungen, die vor ihr lagen, nicht zu viel wurden. Doch dann erinnerte sie sich daran, wie der Unterricht für Tanara über das Schneiderhandwerk gelaufen war. Wie wichtig Schneider für das Reich waren, was sie alles Nützliches und Wichtiges herstellten… unentbehrlich also? Hmmm, du bist ein dummer Guppy, Tayris. Glaubst du etwa, du bist nichts wert? Vincent sagte ihr so oft wie viel sie wert war, doch es drang einfach nicht zu ihr durch. Sie hatte mit Till bereits begonnen über das in ihrer Vergangenheit zugrundeliegende Problem zu sprechen, doch der war nach neusten Erkenntnissen (nach einem interessanten Abend im Ordo Trinitatis) von Gerimor verschwunden. Vielleicht war es doch Zeit den kauzigen Weinheim… ehh Vindheim… zu sprechen. Traute sie sich (ja, er jagte ihr immer noch Angst ein)?! Vielleicht, wenn sie endlich weniger aggressiv war, jede falsche Bemerkung brachte das Kesselchen grad zum Pfeifen. Das konnte Tanai nicht riskieren, einen Tetrarch angehen war gefährlich, es konnte einen schnellen Tod bedeuten. Ihren Catulus angehen… das konnte auch ein Ende bedeuten, eines was sie auf gar keinen Fall erleben wollte. Reiß dich zusammen! Vielleicht weiß Minfay ja einen Rat, hmm… Schwer atmend ob der stickigen Luft in der Höhle erschlug sie die letzte Echse und schleppte das Leder dann heraus. Ein kurzer Blick zum Freudenhaus, sie schnaubte und ging schnurstracks zum Schiff nach Rahal. Auf gar keinen Fall! Auch sie hatte ihre Prinzipien.


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:54, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 29 Nov 2023 19:52    Titel: Kapitel 41 - Der Kern der Wahrheit
Antworten mit Zitat



Kapitel 41 – Der Kern der Wahrheit


Ängste waren dafür da, um überwunden zu werden. So war es doch, oder? Bereits am frühen Morgen hatte sich Tanai auf den Weg zum Tempel von Rahal begeben. Als sie dort ankam, war sie durchgefroren, es war klirrend kalt! Ein kurzer Blick schweifte zum Haus der Ravnseels, dort entdeckte sie den angebissenen Apfel, den Vincent am Vorabend im Garten abgeladen hatte. Die Augenbrauen zuckten empor, ein vager Gedanke schweifte durch Tanais Geist. Schnurstracks rückte sie dem Tempel zu Leibe, trat ein und stellte fest, dass es auch dort nicht unbedingt wärmer war. Sie ging vor zum Altar und kniete dort auf beiden Beinen nieder, der rabenschwarze Kopf wurde ehrfürchtig abgesenkt. Während sie in ein Gebet versank (jaaaa, wirklich und endlich begann sie täglich zum All-Einen zu beten, manchmal geschahen doch noch Wunder), huschten durch ihre Gedanken schemenhafte Schatten, zogen an ihr und ließen sie noch tiefer vor dem Altar sinken. Sie hatte ihre Angst überwunden und war vor Tetrarch Vindheim getreten, mit dem letzten Quäntchen an Mut, das sie noch übrig hatte. Die Frage nach dem Schritthalten war vor den kauzigen Templer herausgepurzelt, es hatte kein Zurück mehr gegeben. Wenn sie ihre Selbstzweifel nicht endlich loswurde, dann würden die keimenden Aggressionen sie in den Wahninn treiben. Konnte sie als Frau an der Seite eines Templers würdig werden? Stück für Stück war sie mit dem Tetrarch durch das Gespräch zum Kern der Wahrheit vorgedrungen. Klar war, dass sie nicht mit ihrer Berufung als Schneiderin haderte. Vielmehr war es das, was man ihr anerzogen hatte… Jeder Alatari war laut dem Tetrarch eine Ansammlung von Möglichkeiten, eine Verheißung von Potential? Man hatte ihr in Cantir eingetrichtert sich als Frau unterzuordnen, zu gehorchen, gar unsichtbar zu sein, um am Ende nur die Frau eines hoffentlich gut situierten Mannes werden zu können. Doch wo war da die Erfüllung im Glauben? Kein Streben? Keine Enttäuschung? Keine Verunsicherung? Auf gar keinen Fal! Sie musste nach einer Aufgabe streben, nach Höherem… und sie musste aus den Schatten treten, die über sie fielen. Am Ende galt es dem All-Einen würdig zu werden und nicht anderen gefällig zu sein, das schloss auch ihren Verlobten mit ein. Sie sollte das machen, was sie gut konnte und sie erfüllte… und das musste sie so gut machen wie es ihr eben gelang. Sei beharrlich, Sonnenschein!

Am Ende musste sie selbst Möglichkeiten nutzen und Aufgaben für sich finden, um sich damit im Reich nützlich zu machen und etwas zu gestalten, mit dem sie sich hervorhob. Schon lange waren ihren Gedanken nicht mehr so klar gewesen, der Blick auf den Weg, der vor ihr lag, so deutlich. Und mit diesem neuen Mut hatte sie endlich Vincent gegenüber gewagt anzusprechen, was in ihr vorging… eine weitere Angst wurde damit bezwungen. Natürlich hatte er es gespürt (nicht zuletzt durch ihre Aggressionen), doch sie hatte die Wahrheit nie herausgerückt. So verloren und durcheinander, wie sie seit dem Verlobungsgespräch war (als der Tetrarch dieses Geheimnis unwissentlich in ihr angebuddelt hatte), war sie nie in ihrem Leben gewesen. Geschlagen, gepeinigt, ihres freien Willens beraubt und am Ende mit der Peitsche gezüchtigt. Sie war fast ertrunken an den Worten, die endlich aus ihr herauskamen, sich ihren Weg an die Oberfläche suchten. In ihrer Erziehung war einiges falsch gelaufen, das wusste Tanai nun mit ziemlicher Sicherheit. Statt sie darin zu bestärken den 10 Geboten im eigenen Willen zu folgen und dem All-Einen gefällig zu werden, hatte man ihr den Willen von anderen aufgezwungen, in dem Glauben sie würde sich dadurch zu einer guten Alatari entwickeln. Wie das ausgegangen war, hatte sich in purer Rebellion gezeigt und am Ende zu ihrer Entscheidung geführt Cantir zu verlassen. Und nun kniete sie heute im Tempel von Rahal, betete in stiller Einkehr und wusste, dass die Begegnung mit ihrem Catulus das Beste war, das Alatar ihr geschenkt hatte. Es war ein steiniger Weg bis hier her, das wusste Tanai, Vincent hatte an ihr ordentlich zu knabbern. Doch er machte am Ende auch eine bessere Alatari aus ihr, sie musste dafür aber Ihm gefällig werden und nicht Vincent. Der Blickwinkel verschob sich und plötzlich wirkte alles so leicht, so… anders. Sie hatte sogar das Abendgebet gesprochen, als sie ihren Catulus am letzten Abend gesehen hatte. “Alatar, unser All-Einer... gib uns die Klarheit zu sehen, welche Wege Du uns aufzeigst und lass uns die Kraft in uns selbst finden mit freiem Willen Deinen Geboten zu folgen, auf dass wir uns würdig erweisen und Dein Werk vollbringen. Und wenn wir einmal... zögern, dann gib uns Deinen Antrieb... deinen Zorn, damit wir uns wieder bewegen, wohin Du uns den Weg weist. Und lass uns die Personen stärken, die uns selbst Stärke geben, damit wir einander eine Stütze in Deinem Reich sein können. In Deinem Namen, für Stärke und Macht... und Deinen Zorn.“ Was auch immer in Vincent in jenem Moment vorgegangen war, er sagte ihr sehr deutlich, dass er stolz auf sie war. Konnte sie am Ende doch würdig werden, für den All-Einen und damit auch für ihn? Es würde sich zeigen, was ihre neue Einstellung ihr noch einbrachte. Mehr Klarheit und Ruhe in jedem Fall, dass wusste Tanai in dem Moment, da sie sich vor dem Altar voller Stärke anmutig wieder erhob und ein letztes Mal mit willensstarkem Blick dorthin sah, ehe sie den Tempel zu Rahal verließ, um nach mehr zu streben.


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:54, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 14 Dez 2023 11:49    Titel: Kapitel 42 - Vom Verwirren und Verirren
Antworten mit Zitat



Kapitel 42 - Vom Verwirren und Verirren


Kälte umfing sie. Schatten rissen zornig an ihr. Flackernde Lichter im Tempel leckten über ihre blasse Haut und dann doch wieder ein vager Schimmer von Zuversicht in ihrem Leib. Bis die Wucht eines wohl bekannten Dämons sie mit voller Härte traf und ihr sämtliche Luft aus den Lungen presste. Es war so unsagbar heiß, und in ihr tanzten klammernde Kälte und sengender Zorn ein lustiges Tänzchen. Sie hörte ein grollendes Stöhnen, dann fiel sie in schwarze Tiefe hinab… immer weiter und weiter, tief hinab in einen Kaninchenbau. Mit schwer pochendem Herzen erwachte Tanai aus ihrem Albtraum und fand sich verschwitzt in ihrem zerwühlten Bett vor. Sie war allein… und sie fühlte das Wechselbad aus Kälte und Hitze noch immer. Einen Moment pietzte sie die Äuglein zusammen, dann wurde ihr bewusst, dass ihr Albtraum gar kein Albtraum gewesen war. Vollkommen verwirrt schob sie sich im Bett etwas höher zum Sitzen und begann damit ihre wirren Gedanken zu sortieren. Das Streben nach Höherem zollte seinen Tribut, das war zweifelsfrei. Sie dachte an ihren vermissten Catulus, starrte dabei an die Ostwand ihres Schlafzimmers als gäbe es dort eine Antwort. Die zurückliegende Nachricht aus Shevanor kam überraschend, die damit zusammenhängende ziemlich schmerzhafte Wahrheit umso heftiger. Seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und ihre pulsierende Energie stattdessen in die Umsetzung ihrer Idee des Rahaler Marktabends gelenkt (zu ihrem Wohlwollen mit Erfolg, und nebenbei bekam sie auch noch Unterstützung der Nobilia rund um das Thema der Wortwahl und des Verhaltens). Auch ihre Kampfkunst hatte sie unaufhörlich weiter geschult, doch die forderte ebenso ihren Tribut. Sie war seit ein paar Tagen angeschlagen und erkältet, während die Entbehrung ihren Körper zusätzlich schwächte und regelrecht auszehrte. Dennoch hatte sie sich nach ihrem überraschenden Besuch aus K’awi entschieden die Nobilia aufzusuchen, um die Ausformulierung ihres Aushanges zu besprechen und danach mit ihr zum Tempel für die Messe nach Rahal einzukehren. Natürlich musste die Nobilia den Fußweg wählen… es war ja Zeit der Entbehrung (und so kam sie zusätzlich geschwächt am Tempel an).

Verhältnismäßig still hatte sie der Messe verfolgt, dem Tetrarch Vindheim zugehört und aufmerksam vorgesehen (und sich dabei immer wieder gemaßregelt ja nicht zu husten). Als allerdings ihr Catulus da vorne auftauchte und sein Gebet zum Herren vor den Gläubigen gesprochen hatte, da war in ihr eine glimmende Wut erwacht, die ihr zumindest dabei half, die Eiseskälte im Tempel zu überstehen. Sie sah ihn nicht an, während er sprach, der rabenschwarze Kopf hatte sich nach unten gerichtet. Immer mal wieder schniefte sie, tat sonst aber nichts, bis das Gebet vorüber war und man im Tempel begann geweihte Dolche zu verteilen. Ein jeder Alatari sollte binnen einer Woche ein Opfer bringen, damit man es am Schrein bei Düstersee darbringen konnte. Als sie ihren Dolch erhalten hatte, war ein Kribbeln in ihre Finger gestiegen, und aus unkontrollierter Wut wurde gebündelter Zorn. Nach der Messe verschwand ihr Catulus direkt und auch sie machte sich beinahe kochend (das waren nicht nur Gefühle, sie war angeschlagen von der Grippe, zumindest redete sie sich das ein) auf den Weg zu den Alten Tunneln. Als sie dort auf ihr Brüderchen getroffen war, hatte die Jagd wie immer ein tödliche Effizienz mit sich gebracht und schon bald standen sie zur Aufteilung der Beute in Bajard. Und dann… sie hatte es nicht kommen sehen (wieso in Alatars Namen?!)… eine blonde Frau wurde plötzlich das Ziel der beiden und sie folgten ihr in den Schatten der Nacht bis vor Bajard. Sie wurde schneller festgesetzt, als sie gucken konnte, und es stellte sich heraus, dass die edle Vogtin von Adoran höchstselbst ihr Opfer war. Während Aleksi ihr unbarmherzig das Blut am Arm abzapfte, drängte sich Tanai von hinten an die grazile Blonde und schnupperte angeregt an ihrem Haar (der Rosenduft war so köstlich, die Vogtin roch unglaublich gut). “Schenkst du mir ein Löckchen, Liebes?“ Ihre samtigen Worte hallten noch immer in ihrem Ohr, und die gestohlene Goldlocke lag als Beweis für ihre Tat neben ihr auf dem Bett… nah bei dem Dolch aus dem Tempel, der ihr beim puren Anblick ein erhabenes Gefühl verlieh. Dieses Gefühl wurde lediglich unterbrochen von der unerfreulichen Beobachterin dieser Tat, denn Knappin Tanara war aufgetaucht und hatte Aleksi und sie mit Namen begrüßt. “Das werdet ihr bereuen.“ Ohhhh jaaaa… es würde sich zeigen, ob die Vogtin mit ihren Worten recht behielt. Es gab nichts zu bereuen, nicht mal jetzt, als Tanai über den Ausgang des Abends nachdachte. Wieder durchzog sie ein fiebriges Gefühl und sie schluckte schwer. Ihre Hand glitt zur Stirn und sie spürte sengende Hitze. Dass war nicht nur die Begleiterscheinung der letzten Nacht… nein, es war die Grippe, die sie fest in ihren Klauen umklammert hielt… oder?


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:54, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 16 Dez 2023 20:45    Titel: Kaputel 43 - Das Herz des Alatners
Antworten mit Zitat

Spoiler Warnung: Liebe Mitspieler, das Posting umfasst eine Beschreibung über das Töten des Gardisten Adalwolf nahe Junkersteyn. Wer schwache Nerven hat, sei hier gewarnt nicht weiterzulesen, da die Todesursache genau beschrieben wird. Herzliche Grüße im wahrsten Sinne des Wortes.





Kapitel 43 - Das Herz des Alatners


Rauschen, intensiv und verschlingend. Das stolpernde Schlagen eines Herzens, war es ihr eigenes? Das tiefe Einsaugen von frostiger Winterluft, dann... Stille. Das Pulsieren verglimmte, ein für alle Mal. Dann setzte ein forderndes Pochen gleich einer Trommel ein, dröhnte immer lauter und riss sie in die Tiefen, bis ein zorniges Grollen alles vereinnahmte und in einem endgültigen Knall explodierte. Sie schrie lauthals auf, zitterte mit einem Mal wie ein Aal (noch immer machte ihr die Grippe zu schaffen, aber es wurde langsam besser) und zog ihre Beine angewinkelt eng an sich. Wo war sie? Was war passiert? Woher kam diese innere Leere? "Ruhig... atme, Häschen. Es wird besser, der erste Blutrausch ist der intensivste." Sie hörte wie durch dicke Watte einige Möwenschreie und ferner auch Wellenrauschen, bis die beruhigende Stimme auch endlich in ihren Geist vordrang. Ein Drehen des geröteten Kopfes, ein intensiver Blick aus schattenverzerrten Augen, dann wieder das aufgeregte Pochen des eigenen Herzens. Dommmm dommmm, dommm dommm, domm... Ihr wurde übel als der letzte Herzschlag aussetzte und sie sprang wie von einer Spinne gebissen auf, um sich im Garten des Leuchtturms zu erleichtern. War das der Whisky oder die Nachwehen des Mordes der zurückliegenden Nacht? Mit hochroten Wangen wurde ihr klar, dass sie nicht geträumt hatte, wieder nicht. Es war die Verarbeitung dessen, was langsam Stück für Stück in ihren Geist vordrang, was so tief ging, dass es schneidend vor Schmerz durch jede Faser ihres Körpers glitt. Als der Blutrausch gestern Nacht bereits langsam abgeebbt war, hatte Tanai nicht die geringste Ahnung, was ihr noch bevorstand. Sie hatte noch nie so ein erhebendes Gefühl erlebt, und als sie Vicaria Velvyr'tae und Clericus Athes im Tempel trafen, da wurde ihr erklärt, was da gerade mit ihr passierte. Immerhin drangen bei jener Begegnung noch zwei Dinge zu ihr durch. Erstens die Aussage der Vicaria, dass die Worte von Tetrarchin Aliyahna offenbar ernst genommen wurden, nun da sie das Herz eines Ketzers besaß. Und zweitens, dass auch an Velvyr'tae Blut klebte und Tanai wusste ob der Peitsche an dessen Seite und der direkten Äußerung auf ihre Nachfrage ganz genau, zu wem dieses Blut gehörte. Leere hatte sich ihrer schleichend bemächtigt, als sie aus dem Tempel gegangen war, und sie wurde wenig später auf K'awi ersetzt durch betäubenden Alkohol (sie hatte ewig nicht mehr getrunken, kein Schlückchen und so brauchte es nicht viel) und die wärmenden Arme ihres Brüderchens. Mit fahrigen Schritten ging sie wieder hinein in den Leuchtturm und sah in Aleksis sturmgraue Augen. Sie spürte es am ganzen Körper, wie er sie von oben bis unten mit Blicken betrachtete, und da fing sie an erneut zu zittern. Mit einer schnellen Bewegung kam er zu ihr, griff mit den Armen um sie und sprach wieder sehr leise. Meeresrauschen und Möwenschreie... dann glitt ihr Geist wieder zurück zu der Mordnacht.

Es war alles genaustens geplant, jedes kleinste Detail war durchdacht. Von der Tarnung über die Wegroute bis hin zum Opfer und dem Zeitpunkt des Angriffes. Junkersteyn, eine Siedlung, die sie noch nie gesehen hatte. Ein einzelner Gardist, der Wache vor dem Privathaus der Freiherrin von Junkersteyn stand. Ein Wolf, der aufgestachelt wurde, damit er Angriff und ihr (natürlich schreiend, es musste ja echt wirken) auf den Fersen hing, um den Gardisten in seiner unendlich-klebrigen Güte dazu zu bewegen seinen Wachposten zu verlassen, um ihr zu helfen. Es war sein Todesurteil, denn wenig später im Wald schlug Aleksi zu und nachdem der Wolf von Tanai erschlagen war, griff auch sie mit an. Allein diese Situation hatte ihr den Herzschlag schon bis zum Hals getrieben, aber als der Gardist (dessen Name Adalwolf war) zu Boden fiel, setzte es Tanai nochmal ein Schippchen obendrauf. Sie wusste, was nun passieren würde… und sie tat es, in einem beginnenden Rausch, der nicht zu stoppen war. Der Dolch des Tempels, gesegnet zu Ehren Alatars, schlitzte die Lederrüstung des Gardisten auf. Dann… stach sie ein Loch in die Haut und begann, so wie sie es von früher bei der Wildzerlegung kannte, Stück für Stück die Haut und die Muskeln aufzutrennen. Es spritzte überall hin und einige Tropfen gelangten auch auf ihre Lippen. Der Moment, in dem sie ob des metallenen Blutgeschmackes alles vergass, denn es trieb sie zum kommenden Akt an. Als die Rippen freilagen, nutzte sie all ihr Körpergewicht und brach einen der Knochenbogen heraus. Es klang so hässlich, dass es sogar sie trotz ihres Blutrausches kurz zusammenzucken ließ. Natürlich war der letzte Akt der schwierigste… Das Herz herauszutrennen. Sie tat es, wie mechanisch, einfach nur Auseinanderlegen und nicht Nachdenken. Handeln in seinem Namen, und wie sie handelte. Das Blut spritzte wieder widerlich in ihr Gesicht als sie die Blutbahnen durchtrennte, es lief überall an ihrer Trolllederrobe herab, doch es kümmerte sie nicht. Wenig später wurde das Herz in ein großes Glasgefäß mit einer alkoholischen Lösung gesteckt und die Beute dann eingesteckt. Vollkommen verschmiert und auch am Ende ihrer Kräfte stand sie auf und ließ den Leichnam zurück, während sie mit Aleksi einen sicheren Weg zurück nach Rahal wählte, um als erstes den Tempel aufzusuchen und dort zu Alatar zu beten. Sie würde ihm würdig sein, egal wie viel Kraft es sie im Laufe ihres weiteren Lebens noch kosten würde.


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:54, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 24 Dez 2023 08:05    Titel: Kapitel 44 - In der Traumwelt
Antworten mit Zitat



Kapitel 44 - In der Traumwelt


Ein leises doch drängendes Surren in weiter Ferne. Es war zutiefst dunkel und verschlang alles in seiner unmittelbaren Nähe. Und dann… jaaaa, dann kam es näher, langsam aber unaufhaltsam. Es surrte und drängte, schmiegte sich gar liebsam in den nichtsahnenden Geist hinein und kam immer näher und näher wie ein sinnlicher Liebhaber. Hinein in den Hasenbau, tief hinab bis in die allerdunkelste Finsternis. Bis in den letzten Winkel des Geistes hinein, in das Innerste der eigenen Seele. Ein erschütternder Schrei erklang und dann ruckte der rabenschwarze Kopf empor. Schweißgebadet starrte sie an die triste Wand des Schlafzimmers, blinzelte mehrfach und schluckte die Erfahrung des Traumes hinunter. War es ein Traum, war es das wirklich? Oder war es nicht eher die fade Erinnerung an das, was in letzter Zeit alles passiert war? Etwa an die Ermordung Adalwolfs… an sein Ableben. An die Art und Weise, wie er gegangen war? Es hatte sich mächtig angefühlt, rauschend und süß. Es war… köstlich gewesen, und der Moment als seine Seele gegangen war, der hatte etwas Erhabenes. Seine Seele würde nicht zu seiner verblendeten Göttin Temora gehen, nein auf gar keinen Fall. Kra’thor würde sie sich holen, denn nichts an seinem Leben war würdig gewesen. Er hatte sich nicht als nützlich erwiesen, er war ein Nichts gewesen und auch als solches gestorben. Doch er war dafür um so viel mehr für Tanai geworden. Ähnlich wie der Mord hatte es sich auch mit dem Entreißen des güldenen Haares gezeigt. Die liebliche Kathrina, ihr hinreißender Duft. Das verschlingende Flüstern an ihr Ohr, doch eigentlich… jaaaa, eigentlich hatte sie dem armen Schätzchen zutiefst verstörende Worte in ihre Gedanken gehaucht, vielleicht sogar in ihre Seele (wer wusste das schon so genau). Sie hoffte innerlich, dass die Vogtin von Adoran noch lange etwas von dieser Begegnung hatte und sie auskostete, solange es ihren Gedanken schmeckte. Sie selbst jedenfalls zehrte von dieser Erfahrung, diese Erhabenheit… diese Macht über den Geist des blonden Engels. Wie ihre flüsternden Gedanken gleich lüsterner Schatten ihre Seele erfüllten, sich ihrer bemächtigt und Angstschweiß auf der Stirn der Vogtin zurückgelassen hatten. Es war berauschend, so… unfassbar köstlich. Etwas in ihr war erwacht und wie Tanai so an die triste Holzwand ihres Schlafzimmers starrte, wurde ihr klar, was es war.

Ein sonderbares Spiel, eine Jagd, die nur von einer Seite gewonnen werden konnte. Eine Jagd, die nur einen Sieger kannte. Hinein in das tiefe Hasenloch, tief hinein und dann… der Moment, wo etwas nach ihr biss wie eine Schlange und das Gift in ihre Venen schoss. Schwer atmend erhob sich Tanai aus dem zerwühlten Bett und rieb sich über die Stirn, während sie begann durch das Schlafzimmer zu wandeln. Die Träume ließen nicht nach, aber das taten die Erfahrungen ebenso wenig. Die Entbehrung dessen, was zwischen ihnen nicht sein durfte bis Alatar ihren Bund für gut befand… das Sortieren ihrer Gedanken und die Opfer für Alatar… ein ziemlich hitziges Aufeinandertreffen von Gegensätzen… das Geständnis dessen an Vincent, der Abend auf Cabeza… und dann die Sache mit der Wunde, in die sie mit dem Dolch hineingestochen hatte. Da war es wieder über sie gekommen, finster und blutrünstig, und doch so unfassbar kalt, dass ihr selbst jetzt noch die Zähne davon klapperten. Sie war an diesem Abend dicht bei ihm eingeschlafen, nicht im Bett (es musste unbedingt weichen), sondern im warmen Bad, wo Cabeza so nah war und all die Gedanken so fern. Und doch… jetzt lief sie hier rum, war rastlos, gejagt von ihren Gedanken bis tief in ihre Träume hinein, denn ihr Geist verarbeitete all das. Mit einem Aufknurren ging sie in ihren Übungsraum und griff nach den Wurfmessern an der Scheibe. Tock. Tock. Tock. Jeder Dolch landete präzise in seinem Ziel, durchschnitt das Holz… Es war ein verschlingender Rausch, ein Gefühl wie nie zuvor. Mehr als Erhabenheit, mehr als Macht. Der meergrüne Blick sah verzehrend auf die Zielscheiben, auf dass, was sie darin erkannte. Ein Spiel, eine Jagd… oh ja, es war die Hetz auf etwas, das ein heimliches Begehren entfacht hatte. Sie leckte sich über ihre Unterlippe, schmeckte die Gier und das Verlangen. Sie schmeckte mehr. Und doch gab es da noch einen Rückhalt in ihr, dass sich dagegen sträubte. Dieses unbekannte Etwas zerrte wie ein seelenloser Schatten an ihr, flüsterte ihr Dinge zu, lockte nach ihr und drang gleichsam die Essenz dessen beiseite, was sie in ihrem Inneren war. Das Häschen tauschte den Platz mit der Schlange, es zischte panisch auf… dann hoppelte das Häschen aus seinem Bau und die Schlange sah züngelnd dabei zu. Ohhh jaaaa, die Zeit würde kommen, wenn sie sich in ihrer eigenen Essenz verlor. Wenn Alatar sie nicht schützte, dann galt es zuzuschlagen. Warten, warten auf den Moment… Bis dahin… Lauern auf seinem Thron, von dem er mit beinahe andächtig-gespanntem Blick herabsah auf sie.


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:55, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tanai Tayris





 Beitrag Verfasst am: 26 Dez 2023 11:52    Titel: Kapitel 45 - Der Seelenfürst
Antworten mit Zitat



Kapitel 45 - Der Seelenfürst


“Trink noch einen Schluck, nur noch einen letzten. Und dann... träum süß, Häschen.“ Tanai saß mit angezogenen Beinen am Boden ihres Badezimmers und blickte auf die Flasche neben sich. Flüsterte sie ihr etwa zu? Das musste sie sich einbilden, Flaschen konnten nicht reden. Unmöglich! Und doch... sie hörte die Stimme, nach Freiheit schmeckend und frohlockend, wahrhaftig verführerisch. Nur kurz senkten sich ihre Lider schwer ab, und da zog ein pechschwarzer Strudel sie hinab in die Traumwelt, ihr Körper war dabei wie gelähmt. Schatten waberten, körperlose Hände griffen nach ihr, Rabenflügel begannen wild zu schlagen. Sie rissen sie in die Tiefe hinab, ein Fall ohne Ende und dann ein harter Aufprall. Auf allen Vieren war sie gelandet, rappelte sich auf und suchte Orientierung. Da hörte sie es mehr als dass sie es sah. Sie spürte das intensive Surren, es drang durch ihren gesamten Körper und wie von selbst nährte sie sich der Quelle. Linien aus hellem Licht so hauchdünn wie Spinnenseide. Sie flackerten, waren wie Kristalle funkelnd und gleichsam sinnlich vibrierend, teilten sich oder führten wieder zusammen. Manche von ihnen verwoben sich zu einem festen Strang, andere rissen im Nichts auseinander. Sie waren wie Lebenslinien und bildeten ein faszinierendes Netz. Tanai griff instinktiv an ihre eigene Lebenslinie und die Resonanz bei ihrer Berührung war hell und klar, vielleicht sogar aufbegehrend und ein klein wenig widerspenstig. Fassungslos starrte sie darauf, fühlte Kälte in den Fingerspitzen kribbeln und doch auch die Hitze ihres eigenen Lebens, die wie ein Lauffeuer über sie hinweg rollte. Und dann sah sie ihn durch das Lebensnetz hindurch blicken, vielmehr nur seine Augen. Sie sahen finster drein, doch funkelten auch in einer gewissen Erwartungshaltung zu ihr herüber wie ein schwarzes seelenloses Feuer. Schemenhaft umspielte sein körperloser Leib in Schatten das Netz, und in nur einem aufgeregten Herzschlag stand er plötzlich vor ihr.

In der einen Hand lauerte ein Dolch, die andere „Hand“ glich der hässlichen Klaue eines Dämons. Er streckte sich nach ihr aus, die Klauen landeten sanft kratzend auf ihrem Gesicht, fuhren über ihre eine Wange, während sein Blick fasziniert auf ihrem Anlitz lag. Sein Kopf schob sich an ihr Ohr, und da begann er mit verschlingender Stimme zu wispern. "Du bist wunderschön geworden, zu schön für diese Welt." Er strich mit seiner schattenhaften Hand über ihr blass gewordenes Gesicht. "Du hättest mir gehört, hübsches Kind... Schon damals warst du für mich bestimmt, aber er hat dich vor mir bekommen. Solange er dich schützt, bist du vor mir sicher. Solange er bei dir ist, werde ich keine Hand an dich legen." Seine dämonenhafte Klaue strich erneut sehnsüchtig über ihre Wange, dann über ihre Unterlippe und löste sich schließlich in wirbelnden Schatten auf. Ein kalter Hauch umspielte Tanais ganzen Körper, dann war er mit einem Mal fort als wäre er nie dagewesen. Sie blieb in alles verschlingender Dunkelheit zurück und begann zu zittern wie Espenlaub. Erst als sie spürte, wie ein Schrei aus ihrer Kehle entwich, begann sie wieder zu fallen, zurück in diesen gefräßigen Strudel aus Schatten und jauchzenden Seelen. Der Schrei hielt an und da wachte sie mit weit aufgerissenen Augen auf. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und die meergrünen Augen waren seit langer Zeit erstmals wieder von Angst geweitet. Sie war eingeschlafen an der Wand und im Schlaf dann zur Seite auf den Boden gerutscht, sodass sie nun auf den Kolibri starrte, der dort an seinem Napf saß und leise zwitscherte. Schwer atmend wischte Tanai über die Augen, blieb liegen und fühlte in sich. Sie wusste, was der Traum bedeutete, sie wusste es ganz genau. Die Träume kamen wieder, nun da sie über die Schwelle getreten war. Ein Mord, der in ihrer Vergangenheit nie begangen worden war, hatte sie damals beinahe zu ihm geführt. Sie hatte mit 11 Jahren so kurz davorgestanden. Jetzt, 8 Jahre später, war sie zu weit gegangen, oder? Sie hatte Alatar dieses Opfer gebracht, und doch fühlte es sich an, als wenn der Seelenfresser lauerte… er wartete und sie musste widerstehen. Sie war eine Alatari, hatte Alatar zu dienen, und nicht anderes zählte.


Zuletzt bearbeitet von Tanai Tayris am 01 März 2024 18:55, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Von pechschwarzer Rabenfeder und farbenfrohem Kolibri
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3, 4, 5, 6  Weiter
Seite 3 von 6

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.




phpBB theme/template by Tobias Braun
Copyright © Alathair



Powered by phpBB © 2001, 2002 phpBB Group
Deutsche Übersetzung von phpBB.de