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Lichtblitze im Nebelmeer
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Arjuna Marell





 Beitrag Verfasst am: 08 Apr 2023 20:07    Titel: Lichtblitze im Nebelmeer
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Ich blick' umher, Gedankenschwer;
ein tiefer Schmerz durchbebt mein Herz.
Ich schau' hinab, auf Grab an Grab,
Wo schmerzensvoll, die Träne quoll,
wo auch die Mutter und ihr Kind
in kühler Gruft vereinigt sind.

Und weiter, weiter geht mein Schritt,
mir ist's, als wogt ein Meer von Tränen,
in meiner schmerzbewegten Brust,
als fühlt' ich all', das Leid und Sehnen
den schweren Kampf nach dem Verlust.




    Die letzten meiner Friedhofsbesuche lagen schon mehrere Monde hinter mir. Die kleine, durch Steinmauern abgesteckte Ruhestätte in der Nähe des Hafens hatte allerdings neben der aufkommenden Trauer auch etwas friedliches an sich gehabt, das Rauschen des Wassers, das Kreischen der Möwen und die seichte Brise des Meeres. Ich war kein besonders großer Liebhaber von diesen Orten, hatte die frühe Beerdigung meines Vaters mich schon auf Kindesbeinen erschüttert und unverständlich zurückgelassen, während ich meine Mutter erst garnicht kennengelernt hatte, da sie ihr Leben bei meiner Geburt verloren hatte. Dennoch teilten sie sich eines dieser Familiengräber, bei denen man auch nach dem Tode den Bund für's Leben einhalten konnte, so man dazu in der Lage war. Meine Ziele hier auf Gerimor waren ursprünglich andere gewesen. Ich wollte meiner Schwester nicht länger vermitteln, dass sie verpflichtet war sich um mich zu kümmern, auf eigenen Beinen stehen und mir etwas ganz eigenes aufbauen, aus eigenem Willen und mit eigenen Händen. Ohne ihren Ruf, ihre Vergangenheit und ohne dass man von mir Gleiches verlangte wie von ihr. Doch nun war mein Weg scheinbar ein anderer, ein unvorhergesehener und unwirklicher Weg, vielleicht auch ein ziemlich absurder, den ich weder herbeigesehnt oder dem ich zugestimmt hatte. Ich hatte eine Aufgabe erhalten, die ich im besten Fall allein lösen sollte, um mich zu beweisen, mich als würdig auszuzeichnen und auch wenn das alles sich aktuell wie ein kranker Traum anfühlte, hatte ich das Bedürfnis meinen Wert unter Beweis zu stellen. Vielleicht war es meine Vergangenheit, die mich an diese Orte geführt und sie für die Lösung gehalten hatte, doch die Wahl meiner Ziele ergab Sinn, zumindest in meinem Kopf.

    "Wenn der Tod schon längst übergegangen ist und sich wie der Sand der Zeit an den verdorrten Körpern ernährt, wird es Jene sein, welche die letzte Stätte des Seins und Nichtseins darstellt. Suche sie."

    Ich fühlte mich mies, schwach und eigentlich war mir eher danach den ganzen Tag im Bett herumzuliegen um mich auszukurieren, doch ich ahnte, dass es nicht von alleine verschwinden würde und so hatte ich mich am gestrigen Nachmittag aufgemacht die verschiedenen Friedhöfe Rahals abzugehen. Wie eine verrückte Alte, die nichts besseres zutun hatte, als ihre Nachbarn zu belauschen oder zu beobachten, hatte ich mir sogar die Grabinschriften angesehen und mir Notizen gemacht, über die Größe und die Besonderheiten dieser Ruhestätten. Wahrscheinlich war es nicht einmal wichtig, doch ich wollte es richtig machen. Begonnen hatte ich in Rahal, ehrlich gesagt war ich überrascht gewesen, dass sie ihren Toten nur so wenig Platz zur Verfügung stellten, wo sie sich doch immer als so große Hauptstadt anpriesen. Ich ging davon aus, dass Rahal eine größere Gruft besaß, zumindest für die Familien, die es sich leisten konnten. Die meisten der Inschriften waren über die Jahre unkenntlich geworden oder nur noch zu Teilen zu entziffern, doch einige scheinbar wichtige Persönlichkeiten hatten an diesem, wie auch den kommenden Friedhöfen, besondere Pflege erhalten. Savar Arlenn, laut Grabstein Scharfrichter des Reiches, ein Prätorianer, ein bereits in die Jahre gekommenes Grab. Außerdem Anara von Hohenfels, ein Name den man auch in Cantir schon gehört hatte. Sie hatte sogar ein Abbild ihrer Selbst erhalten, welches ich unter einem kleinen Vordach entdeckt hatte. In Düstersee lag der Friedhof vor den Toren. Dieser hier wirkte etwas heller und freundlicher, schien auch mehr Zuwendung von Bürgern oder Verwandten zu erhalten, denn selbst im Schnee waren manche Gräber mit getrockneten Sträußen oder Andenken versehen worden. Neben Namen wie Goldblum oder Sturmklang fand ich noch einige andere Namen, die nach alten Alatargläubigen Häusern klangen. Ich war mir recht sicher, dass es bei meiner Aufgabe um keinen ganz bestimmten dieser Plätze ging, sondern hauptsächlich um den Gedanken dahinter und die Lösung, doch ich wollte es mir nicht nehmen lassen, auch den alten, zerfallenen Friedhof Varunas anzusehen, von dem man mir berichtet hatte.

    Diesen Ort pflegte niemand mehr. Die brüchigen Steinmauern und Grabzierden bröckelten unter den Jahren dahin, doch noch immer waren einige wenige Namen zu erkennen. Jethron Damontus, einstiger Bürgermeister Varunas, Lindira Waydenhaf, Laienschwester, was auch immer das heißen mochte und Theodred von Ebersfelde, einstig Ritter seiner Majestät Brendan dem Zweiten. Nicht dass ich mich groß für die östlichen Gebräuche interessierte, aber alte Geschichte zu alten Namen hatte mich schon immer fasziniert. Hier brachte niemand mehr Blumen oder Andenken, schon garnicht kam jemand um zu Gedenken, vermutlich waren alle Verwandten und Nachkommen ebenfalls tot. Man konnte das Knarzen und Stöhnen der alten Gemäuer hören, zumindest waren es im besten Fall nur die losen Ziegel oder Steine. Ein seichter Nebel kroch über den von Moos bedeckten Boden und gab der Szenerie einen morbiden Eindruck. Was kam auf mich zu, wenn ich meine Aufgabe abgeben sollte, was würde es heißen Ihm zu dienen, dem der schützend seine Schwingen über seine Anhänger hielt. Und was würde ich sagen, wenn ich gefragt würde, wie ich meine Aufgabe gelöst hatte, wie ich darauf gekommen war?

    Wenn es soweit kam und man sich von geliebten Menschen verabschieden musste, gleich ob an fortgeschrittenem Alter, einer Wunde, dem Krieg oder dem Feind verstorben, so endete man früher oder später an eben diesen Orten, Friedhöfen, letzten Ruhestätten, manche Gräber nannten es liebevoll Leichenacker, denn hier endeten sie alle, die von denen genug übrig blieb, um es zu verbuddeln. Und während Jahre vergingen, in denen die Würmer sich am Leibe der Menschen satt aßen, die Körper mehr und mehr dahin verschwanden, trauerten manche von uns noch immer oder vermissten. Doch im Sarge, weit unter der Erde, war nichts außer die leere Hülle unserer Verschiedenen während ihre Seele sie längst verlassen hatte. Ein Ort des Seins, solange der leblose Leichnam noch eine greifbare Form besaß und wir ihm die Macht zusprachen an diesem Ort der Erinnerung Ursprung zu sein. Ein Ort des Nichtseins, denn keiner von den Betrauerten war noch ansatzweise an diesem Platz, nie wieder. Zu welchem Gott, welchen Göttern oder an welcher Stelle ihre Seelen enden würden war wohl von Mal zu Mal unterschiedlich, doch es machte den Eindruck, als sollte es zukünftig nicht mehr vollkommen belanglos für mich sein.




Zuletzt bearbeitet von Arjuna Marell am 27 Feb 2024 11:07, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Arjuna Marell





 Beitrag Verfasst am: 24 Apr 2023 10:37    Titel: Gewitter über Grabeshügeln
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Ich trat ins Heiligtum einstigen Friedens,
ein trüber Schauer in meiner Brust.
Denn rings, wohin mein Blick und Schritt sich wandte,
reihte Hügel sich an Hügel, halb versunken.

Bedeckt mit etlichen von Steinen und Inschriften,
längst verwittert,
umhüllt von Moos und Trauerweiden,
mit taugeschmückten, neuen Zweigen,
die gleich welch Tränen und welch Leiden,
den Kopfe auf das Plätzchen neigten.

Friedensgarten, Grabesstätte, Pforte zu anderen Welten,
auch wenn in einigen Herzen Sehnsüchte schwellten,
von manch einer Illusion oder Täuschung dorthin getrieben,
es ist Nichts als ein Grabeshügel von ihnen geblieben.




    Der Tod meines Vaters war viel schneller und plötzlicher gekommen als wir es für möglich gehalten hatten. Die Kanonen des alumenischen Schiffes reichten bis an die Küste Cantirs heran und nahmen sich einiger Wehrmauern an, die sprengend brachen und dabei eher wie ein Kartenhaus, als wie ein wiederstandsfähiger Wall auseinander gefallen waren. Ich erinnere mich daran wie meine Schwester mich am Kragen gepackt und aus dem Hafenhäuschen geschleppt hatte, während das Chaos über uns hereinbrach. Krachend und zerschlagene Hütten, der unnachgiebige Regen, der uns die Kleider an den Leib presste, das Schreien von Kindern und auch das der Männer auf den Schiffen, das Rufen von Befehlen der Legion und zwischen all dem Gewusel um mich herum, ich. Ein traumatisches Erlebnis, das mich und meine Schwester noch viele viele Jahre in all seiner Härte verfolgen sollte. Ein Grund mehr, wieso ich mir über die Jahre verschiedenes Wissen über verschiedene Pflanzen und ihrer Wirkungen angeeignet hatte. Zuerst nur damit ich in den blitzlichthellen, grummelnden Nächten nicht völlig den Verstand verlor, dann um mich eine Weile vom damit verbundenen Schmerz zu betäuben. Niemand, und am wenigsten Ich, hatten damit gerechnet dass diese "Begabung" meine Schwester dem Grabe näherbringen würde und vermutlich würde auch niemand je erfahren, dass ich insgeheim so dachte. Während sie damit zugebracht hatte unser täglich Brot zu verdienen, in dem sie im Freudenhaus ihre Gesellschaft anbot, war sie mehr und mehr daran zerbrochen und hatte sich für den Rausch meiner Kräuter geöffnet. Zuerst nur ein wenig um dem Tage zu entfliehen, sowie ich es tat, doch schon bald erzählten die dunklen Ränder unter ihren Augen und die zitternden Hände eine ganz andere Geschichte. Sie war es, sie hatte die dunkle Seite in meinem Inneren entfacht, denn ich wusste, dass sie auf mich und mein Wissen angewiesen war und nutzte diese Abhängigkeit nicht selten genug um sie zu beeinflussen, meine Kräutermischungen und Tinkturen an ihren Freiern zu testen, mit jeder möglichen Konsequenz, nur um mich weiter zu schulen. Ob es zu meinem oder zu ihrem Glück war, dass niemand zu Tode fand, zumindest keiner von dem ich wusste, lasse ich in diesem Falle dahingestellt, doch schlussendlich war es besser zu gehen, mich von ihr zu entfernen und sie keiner weiteren Gefahr auszusetzen. Ich hatte bewusst vermieden, dass sie meine Angst sah, wollte unbedingt immer die willensstärkere von uns beiden sein und lieber meine Hände blutig an Kräutern sammeln, als auch nur einen Fuß auf den Pfad meiner Schwester zu setzen.

    Doch hier, hier hatte ich an meiner Stärke gezweifelt. Denn hier sah man alles von mir, ob ich es wollte oder nicht, zumindest an dieser einen Stelle. Als das Grollen sich im Hintergrund manifestierte, hatte ich bereits schlimmes erahnt und die aufkommende Angst begann an meinem Nervenkleid zu zupfen, das ich über die Jahre so gut es geht verborgen gehalten hatte. All diese fremden Menschen, unbekannte und hinter Masken versteckte Fratzen oder verhöhnend erhobene Mundwinkel mancher Schaulustiger. Wollten sie dass wir hier waren oder hofften sie insgeheim auf neue Wegzehrung für ihren Herrn? - Nein, nicht nur ihrer, nun war Er auch der Meine, denn ich hatte es tief in meinem Inneren gespürt, dort wo ich seit Wochen überlegt hatte, weswegen Er jemand Alatargläubigen ausgewählt hatte. Wie lächerlich war es wohl, Vertrauen in einzelne Gesten zu legen? Ein nervöses Kneten der Hände, ein vertrauensvolles Wort und einen Deut, um einen Fehler zu vermeiden oder ein zufriedenes, gar wohlwollendes Lächeln. Instinkt oder völlige Verzweiflung?

    Dieser Kreis hatte mich an Ort und Stelle gehalten, gefangen, während ein tobendes Gewitter über mich und meine Sinne hereingebrochen war, all meine schlimmsten Albträume für mich geborgen hielt und sie über mir ausgoss, als hätte ich am Seil eines Duschzubers gezogen. Ich konnte sie hören, all die Kanonenkugeln und Schmerzensschreie, hörte im Knacken und Brechen des Blitzes mein Leben bröckeln, die Erinnerung an all die verlorenen Leben die ich mit angesehen hatte. Und kurz, während die Tränen in meine Augen stiegen sah ich auch meinen Vater, doch es war kein liebevoller Blick sondern ein enttäuschtes Kopfschütteln über das Verhalten meiner Schwester gegenüber. Reiner Trotz und die Jahrelang vorgegaukelte Willenskraft hatten mich erst reagieren lassen, als ich bereits zusammengesunken am Boden saß und schluchzte. Klein und hilflos, bis ich die Stimme Floras und auch die Wulfs vernahm, der um einen Wegweiser für mich bat. Verschwommene Worte und längst verblasste Wärme, die eine Handvoll Vertrauen in die Waagschale der Beiden legte, doch erst als ich eine andere Stimme in meinem Kopf vernahm, fühlte es sich wie eine dargebotene Hand, mir aufzuhelfen.
    "Wenn du ihm dienen willst, musst du dich überwinden! Beweg dich nicht, bete!" Ich sprach mein Gebet und umso mehr Worte über meine Lippen rieselten, umso stärker empfand ich, was ich sagte und umso leiser wurde das Donnergrollen über meinem Kopf. Ich fühlte mich eingehüllt, am richtigen Ort und als ich Seinen Namen erst einmal ausgesprochen hatte, trat Stille an den Platz des Unbehagens, ehe ein letzter, knackender Blitz sich entlud und ein Armband an der Stelle des Einschlages hinterlies.


    Als ich das schmale Band aus blassen Knochen über mein Handgelenk schob und den Widerhall brennend durch meine Adern pulsieren spürte, veränderte sich etwas im Raum. Unbekannte Gesichter bekamen einen Namen und veränderte Stimmfarben, Süffisanz wurde zu etwas wie Freundlichkeit und hier.. hier gehörte ich nun hin, nun war ich eine von ihnen.





Zuletzt bearbeitet von Arjuna Marell am 27 Feb 2024 11:11, insgesamt 3-mal bearbeitet
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Arjuna Marell





 Beitrag Verfasst am: 21 Dez 2023 10:38    Titel: Vom Tod und Schlangensteinen
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Kennst Du die Sage wohl von jener Schlange,
Der sichrer Tod im Blick des Auges liegt!
Der Vogel, der sie ansieht, wirr und bange,
Fällt starr vom Zweig, auf dem er sich gewiegt.

Sie aber glänzt in bunten Farbenringen,
Und achtet nicht der Beute, die sie hält,
Die Macht nur ist's, der Sieg und das Gelingen,
Es ist das grause Spiel, das ihr gefällt. –

So ist auch Diese, Ihr Bild ist's, das ich male,
Der dunkeln Sterne unglücksel'ge Pracht;
Mit ihrem Glanz, mit ihrem Zauberstrahle,
Mit ihrem Reiz, mit ihrer Todesmacht!




    Hier saß ich nun, die nackten Füße im lauwarmen Wasser baumelnd, das dem Winter am Festland trotzte. Irgendwie zog es mich schon näher an eben diese Insel, doch die tristen und steinernen Häuser besah ich nur mit wenig Sympathie. Wenn mir die Gemäuer auch nicht behagten, so vermisste ich zusehends ein paar menschliche Kontakte, außerhalb meiner nicht mehr ganz so neu gewonnenen Geschwister. Normalität, die ich auch zwischen Opfern und gefühlter Mordeslust einiger Diener ersehnte, tiefgründige Gespräche die nichts mit Seelen oder Blut zutun hatten. Ich hatte keineswegs vergessen wohin mich meine Aufgabe führen sollte und wem mein Dienst galt, aus einstiger Unsicherheit war etwas viel tieferliegendes geworden, Ehrerbietung, Verständnis und auch eine gewisse Form von Hingabe. Ich hatte einen Pakt mit einer Hexe geschlossen, die vermutlich ein viel viel mächtigeres Wesen war, als wir alle nur vermuten konnten, die blitzförmige Brandnarbe in meiner Handfläche erinnerte mich täglich daran, dass Mahu schon bald etwas von mir verlangen konnte. Ob sie es war, die diese Hinterlassenschaft erinnernd zum Brennen brachte, oder ob es lediglich die Nähe der mittlerweile anschmiegsamen Giftschlange war, wusste ich nicht, sicher war jedoch, dass Mahu irgendwie in dieses Konstrukt verstrickt war. Als hätte meine Begleitung meine Gedanken erhört, konnte ich spüren dass Regung in den schimmernden Leib der Schlange kam. Trug ich meine Robe, so bevorzugte sie es sich zumeist um meinen Nacken zu liegen, während der lange und windige Körper sich meinen Robenärmel entlang tastete, bis die züngelnde Spitze ihrer Zunge erste Anzeichen ihrer Anwesenheit gab. Doch hier, am Strand sitzend, ein Buch aufgeschlagen, lag sie schlichtweg im Schatten des Buches auf dem Stoff meines Wollrockes und ruhte. Sie sah unwirklich und erträumt aus, das Schuppenkleid ganz anders als das der üblichen Dschungelreptilien, dunkelblau und irgendwie.. als würde sich unter den festen Schüppchen ein seichtes Gewitter abspielen, sie tanzten im Licht und schienen vereinzelte Punkte immer wieder zu erhellen, hervorzuheben und zu beleben, selbst wenn sie schlief.

    Sollte ich ihr einen Namen geben? - war es angebracht ein solches Tier zu benennen und irgendwie zu.. vermenschlichen? Wenn man es genau betrachtete, so hatte sie mich bereits einmal das Leben gekostet, etwas das mir schlagartig erst richtig bewusst wurde. Für einige Momente und ich wusste nicht wieviele von ihnen es waren, war ich tot gewesen. Das Gift hatte sich langsam durch meine Adern gefressen, wie ein Stück Stoff, dessen Ende einen Tropfen Blut abbekommen hatte, war die Substanz weiter und weiter durch die "Fasern" meines Körpers gewandert und hatte mir schlussendlich nicht nur das Bewusstsein, sondern auch mein Leben genommen. Tot. Ruhe. Ende. Wieso fühlten sich diese Gedanke so beruhigend und erleichternd an, wenn man eine solche Aufgabe wie Diese auf seinen Schultern trug? Während meine sterblichen Überreste leblos zu Boden gesunken zurückgeblieben waren, der Täter noch verkrampft und fest in meinen Arm verbissen, erinnere ich mich lediglich an irgendetwas dazwischen. Etwas das einem Traum glich, die Geisterwelt, verschwommen und trist, grau und farblos, bis auf wenige Ausnahmen, die in Form von kleinen Lichtern umherschwirrten. Auch wenn ich am Ende noch einmal glimpflich davongekommen war, verdiente sie jetzt, wo ihr Gift dank Krathor keinerlei Einfluss mehr auf meinen Körper hatte, wohl tatsächlich einen Namen. Vielleicht Serpentin, wie die Schlangensteine.. doch ich würde noch eine Weile darüber nachsinnen während sie und ich hier am Strand in der Sonne saßen und am Festland dicke Schneeschichten den Boden bedeckten. Ich hatte mir einige Häuser angesehen, sowohl in Rahal als auch in Düstersee und sogar am gestrigen Abend noch eine interessante Begegnung gehabt, doch wollte ich mein feines Heim auf Cabeza wirklich aufgeben um in den Trubel dieser Städte zu ziehen? Gewiss, auf der Insel war es viel ruhiger als ich vermutet hatte, nur selten machte sich wirklich jemand die Mühe hierher zu kommen, wenn er nicht ohnehin hier lebte. Manchmal bildete ich mir ein, dass man den Leuchtturm Cantirs von hier aus erblicken konnte, vielleicht war er es sogar wirklich und ich war meiner alten Heimat näher als ich ahnte, die Frage war allerdings, ob es klug war überhaupt noch über mein altes Leben nachzudenken, wenn Krathor mich in eine so düstere Richtung zog. Noch spürte ich diesen Sog nicht, doch ich war mir beinahe sicher, früher oder später würden die dunklen Schwingen sich auch um meinen Geist legen. Mein Ziel war es jedoch nicht allzu viel von meiner eigenen Persönlichkeit zu verlieren, ich war zwar schon zu früherer Zeit mutig auf dem Rand dieser Klippe entlang balanciert, aber am Ende, würde ich fallen oder das Gleichgewicht halten, andere Optionen gab es wohl nicht.




Zuletzt bearbeitet von Arjuna Marell am 27 Feb 2024 11:08, insgesamt einmal bearbeitet
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Arjuna Marell





 Beitrag Verfasst am: 29 Jan 2024 10:11    Titel: Von Zeit, Entscheidungen und Zusammenhalt.
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Aus "Die wilde Jagd!"




Leis tickt die Uhr, das Pendel schwingt,
die zarte Heimchenstimme klingt.
Der Zeiger rückt von Ort zu Ort,
so geht es heut', so geht es fort.

Es sah die Uhr schon manche Zeit,
sie tickte Glück, sie tickte Leid!
Und endet' sie des Tages Lauf,
dann zog der Mensch sie wieder auf.

Es starb der Mensch und ward geborn,
die alte Uhr gib nicht verlorn.
Sie schlug den sanften Silberschlag,
sie schlägt ihn heute, Tag um Tag!

Jüngst zog sie auf ein junger Mann,
heute rührt ein Greis den Pendel an!
Wie bald tut er den letzten Schnauf –
dann zieht der Tod das Uhrwerk auf!




    Bald ein Jahr war ins Land gezogen, ein Abschnitt, dessen Ränder verschwommen ineinander übergegangen waren. Zuerst hatten sich papierscharfe Kanten meines verlorenen Lebensweges gezeichnet, mancherorts komplette Risse, Löcher gar, als hätte man mit dem Finger durch das weiße Blatt gebohrt, doch dann waren sie verwachsen. Fremde Gesichter waren zu vertrauteren geworden, einstiges Unbehagen zu einem verdrehten, aber heimeligen Gefühl von Zuhause, irgendwie. Dort, wo ich zuerst nicht gewusst hatte wieso und weshalb die Veränderung gekommen waren, wohin mit mir und all den neuen Bedeutungen, wann ich mich in dieses neue Gefüge einreihen würde und wie ich mich unter den erfahrenen Geschwistern eingliedern konnte, fühlte ich mich mittlerweile schon sicherer, aufgenommen, akzeptiert und auch bestärkt. Irgendwie hatte ich mir zwischen all den verkorksten Seelen einen Platz geschaffen, der nun meiner war. Alatar, in dessen Glauben ich mein Leben lang aufgezogen worden war, war fast automatisch in den Hintergrund gerückt und der freigewordene Platz war durch ein schwarzes und benebelndes Rauschen gefüllt worden. Kein unangenehmes, sondern ein leises, nur im Hintergrund, als würde man dem Tanz eines riesigen Vogelschwarmes zusehen, einer Wolke schwarzbeflügelter Stare die in seichter Woge dem Feinde trotzten. Zwar handelte es sich um das Gefieder eines Raben, des -einen- Raben, doch der Schwarm in dieser Metapher spielte, zumindest für mich, keine wesentlich geringere Rolle. Geschwister suchte man sich nicht aus, zumindest in der Regel nicht. Man wurde in solche Verhältnisse hineingeboren, bekam ein, zwei oder auch fünf dieser Geschöpfe an seine Seite gestellt, alleinbestimmt durch die Entscheidung der Eltern und dann ja,.. dann lebte man damit. Man zog seinen Vorteil daraus, genoss es vielleicht sogar, man liebte oder hasste sich. Nachdem ich meine leibliche Schwester ganz bewusst zurückgelassen hatte, dafür aber unfreiwillig in mein neues Leben gefallen war, keimte die Symbolik einmal mehr auf. Denn all die Jünger und Diener, die dem Glauben Kra'thors bereits folgten und in Seinem Sinne handelten, würden für den Rest meines Lebens meine Geschwister sein, ein wichtiger Bestandteil meines künftigen Pfades. Hier, zwischen zerfallenen und moosbewachsenen Gemäuern, inmitten alter Steine die viele Jahre Geschichte in sich beherbergten, hier waren wir eine Einheit, die das gleiche Ziel verfolgte. Vielleicht unterschieden sie sich in ihrer Ausführung, folgten am Ende jedoch dem gleichen Zweck. Hingegen mancher Vorstellung sah ich in den meisten von uns nicht einmal schlechte Menschen, wenn man genauer hinsah konnte man auch in ihnen Zuneigung, Unsicherheit, Ungewissheit oder auch Verhalten des Selbstschutzes entdecken, auf verschiedene Arten hochgezogene Wände die das Innere schützen sollten, solange es denn währte.


    Als hätte ich die stille Belohnung meines Interesses erhalten, sollte ich in der Nacht nach unserer Unterhaltung keines ruhigen Schlafes bedacht werden. Die Vision und die Bilder, die in unser aller Köpfe Einzug gehalten hatten spiegelten sich nun auch in meinem Unterbewusstsein wieder. Die flimmernde Erscheinung des Greifen, die davonirrenden und panischen Gestalten und auch der Rüstungsträger in Farben der Temorakirche. Die Augen des Schlafes entrissen starrte ich an die dunkle Decke des Zimmers empor, nur das vage Licht der Straßenlaterne fiel über den Balkon hinein, während ich mir das Geräusch der Taschenuhr ins Bewusstsein rief. "Tick-Tack-Tick-Tack" - ein hastiges Geräusch, schneller als der eigentliche Rhythmus einer an der Wand hängenden Uhr. Das Geräusch verursachte mir innere Unruhe obwohl es mich, wie die Schwester sagte, nicht direkt betraf. Soviele Eindrücke waren an diesem Abend auf mich eingeprasselt, neue Namen und wieder neue Bedrohungen und auch wenn ich mir eingestehen musste Angst zu verspüren, Furcht um ein zu schnell vergehendes Leben, musste ich gleichsam zugeben, dass meine Seele früher oder später ohnehin zu Kra'thor ziehen würde. Ich kam also nicht umhin mich zu fragen, ob an der Seite unserer Schwester zu stehen nicht gleichsam ein Ziel zu Gunsten Vaters war, eine Prüfung unseres Geistes. Vielleicht war es unser aller Aufgabe uns für die richtige Seite zu entscheiden, die Einheit. Abzuwägen, ob wir bereit waren für das vermeindlich Richtige unser Leben zu beenden und alles aufs Spiel zu setzen um am Ende möglicherweise Oberhand zu gewinnen, oder unbeteiligt um die Gefahr zu wissen und eine erfahrene Dienerin um der falschen Gründe zu opfern. Ich war nicht bereit zu sterben, ich war nicht einmal sicher ob man je bereit sein würde und hingegen all meiner Behauptungen fürchtete ich mich vor dem Ende, da niemand sagen konnte was danach passierte. Zu lang über das eigene Hinscheiden nachzudenken zog mich in einen ungesunden Strudel der Panik, der mich noch schlimmer für sich beanspruchte als ein herannahendes Gewitter, das mich noch immer an den Tod meines Vaters und das beängstigende Chaos des Krieges erinnerte. Nein, ich wollte noch nicht sterben, doch wie sollte ich den Klang des Wortes "Schwester" auch nur noch einen Moment länger ertragen oder heuchlerisch über meine eigenen Lippen bringen, wenn ich nicht auch in Zeiten der Not an ihrer Seite stehen würde. Das Blatt konnte sich jederzeit wenden. Und sollte es eines fernen Tages so kommen, würde ich mir ihrer aller Beistand ebenso erhoffen.


    Ich hatte keinerlei Ahnung wie genau ich helfen würde können, nicht den blassesten Schimmer was ich brauchen würde, wie ich mich vorbereiten konnte, doch einige, verschiedene Utensilien hatte ich bereits in unterschiedliche Gläser oder Phiolen gefüllt. Reagenzien, die ich zuvor noch nicht in Bezug zu irgendwelchen Ritualen verwendet hatte, die aber scheinbar eine verstärkende Wirkung haben konnten. Eine leise Hoffnung von Hilfe reichte mir, wir sollten alles was uns gegeben war nutzen. Eine ansehnliche Blütensammlung von meinem Cabeza-Garten, Fingerhut, Oleander, blauer Eisenhut und auch Schierling, genauso etwas herkömmliches wie Nachtschatten und Efeu, nicht zu vergessen einige Schlangenschuppen und Schlangengift, das ich Serpentin in mühevoller Geduld abgerungen hatte. Eine neue Idee um einen geschlossenen Kreis zu ziehen. "Tick-Tack" - floss es am Morgen erneut durch meine Gedanken während ich mit verschiedenen Kräutern herumhantierte. Noch hatten wir Zeit, ein bisschen vielleicht, oder auch ein bisschen mehr. Um zu üben, vielleicht auch Gebete zu Papier zu bringen um sie in gleicher Geschwindigkeit mit den Geschwistern zu sprechen, Zeit sich aufeinander abzustimmen und neue Methoden zu probieren. Und bald schon, bald, würde ich Mahu schreiben müssen.



Zuletzt bearbeitet von Arjuna Marell am 27 Feb 2024 11:10, insgesamt 3-mal bearbeitet
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Arjuna Marell





 Beitrag Verfasst am: 21 Feb 2024 16:35    Titel: Von Reue und leeren Augen.
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Nun kenn ich Augen, so müd' und arm,
Dass es mich packt, wenn ich sie sehe.

Sie sehen nicht und sind doch nicht blind.
Sie schauen starr und stumm und leer ins Weite,
Als ob die Welt ganz fremd vorübergleite,
An ihnen, die nicht mehr empfänglich sind.

Die Freude rührt sie nicht und nicht der Schmerz,
Sie lächeln nicht und kennen keine Träne,
Sie wollen keine Zukunft, keine Pläne.
Aus toten Augen blickt ein lebloses Herz.

Sie sehen hart aus leblosem Gesicht
Und schauen starr und stumm ins leere Weite,
Als ob die Welt ganz fremd vorübergleite,
Sie sind entseelt – und wissen Nichts.




    Masken machen das Leben erträglich, Masken verbergen unsere Gesichter, Masken schützen uns, Masken machen unsere Tränen und Empfindungen unsichtbar.. und an manchen Orten gibt es mehr Masken als Gesichter. Mit der richtigen Aufmachung war auch ich in meine Rolle geschlüpft, eine Rolle aus zwei verschiedenen Geistern, dessen Ränder manchmal ineinander übergriffen. Arjuna, die junge Frau aus Cantir, dessen Ziele schon in der Vergangenheit nicht immer nur tugenhaft gewesen waren und Hidra, das giftmischende Geschöpft, in dessen Robenärmel eine Schlange auf ihren großen Auftritt wartete. Ich war sie beide und manches Mal war ich mir nicht sicher wo die Eine begann und die Andere endete. Dieser Name und die Brandnarbe in meiner Hand, das Zeichen meines Paktes mit Mahu, brachten auch andere Regungen in meinem Inneren mit sich. Vielleicht war es auch das Gift Serpentins, welches noch immer in meinem Blutkreislauf sein Unwesen trieb und dafür sorgte, dass ich nicht eines Tages bei meinen Forschungen starb. Seit meiner Begegnung mit der Geisterwelt waren diese Schlange und ich auf verdrehte Weise miteinander verbunden. Oder es war mein Versprechen an Kra'thor, das einstige Brennen in meinen Adern, mein Dienst. Was es auch war, irgendetwas zupfte an meinen Nervenbahnen, an meiner Zunge und manches Wort purzelte schneller zwischen meinen Lippen hindurch als ich darüber nachgedacht haben konnte. Tatsächlich war ich in erster Linie stolz gewesen, stolz und zufrieden über das dargebrachte Ergebnis meiner Aufgabe und die damit einhergegangene Durchtriebenheit, den kreativen Kopf und ja, wache und intelligente Geister hatten mich schon immer interessiert und in ihren Bann gezogen. Doch mit der Angst in seinen Augen, der regelrechten Furcht die auch seinen Körper in Form eines Erstarrens erfasst hatte, schlang sich auch Serpentin fester um meinen Oberarm. Ich musste ihn triezen, sowie es auch mir wiederfahren war, ihn herausfordern, zusammen mit Brand bis zum bitteren Ende testen, das war schlichtweg meine Aufgaben bei diesem Schauspiel.
    "Stell dich dem Gefühl.. oder sei schwach, zu schwach", hatte ich vorgelehnt in seine Richtung geraunt. Beinahe war ich selbst über meine Worte gestolpert, weil sie sich so selbstverständlich und dumpf aus meinem Mund gelöst hatten. Doch kaum Zeit darüber nachzusinnen, denn wieder hatte etwas anderes mich dazu berufen mich vorzulehnen und den Mann in der Mitte des Kreises genau zu beobachten, seine Schwäche zu ergründen, diese eine Angst die uns alle an den Abgrund trieb, so lächerlich sie anderen auch erschien, niemand konnte sie uns absprechen. Er litt darunter und mit dem Verdichten des brummenden und summenden Schwarmes erstarb etwas in seinen Augen, ich konnte es nicht nur sehen sondern auch fühlen. Gerade als etwas wie Mitgefühl in mir keimte öffneten sich meine Lippen erneut: "Sei kein Feigling und kämpfe gegen die verdammte Angst an, du bist doch kein Schwächling!" Ich taumelte irgendwo zwischen Mitgefühl und wirklichem Ärger, ich wollte dass er obsiegte und ein weiterer, kluger Kopf sich in unseren Reihen einfand. Ich wollte dass er Ihm diente und ich wollte keinesfalls, dass ausgerechnet mein 'Schützling' schon jetzt dem Tode ins Auge blicken musste, so dass auch ich versagt hätte. Irgendwann, zwischen dem lauten Summen des fliegenden Unglücks, konnte man seine Stimme vernehmen, er hatte den einzigen Ausweg, das Schlupfloch, gefunden. Mit jedem ausgesprochenen Wort rückte mein ungehaltenes Empfinden in den Hintergrund als würde es abklingen, vielleicht sogar von etwas anderem verdrängt und auch der Schlangengriff um meinen Arm lockerte sich spürbar. Ob sie nun mich oder ich sie beeinflusste blieb erst einmal dahin gestellt, denn die fast verzweifelten Fragen des gequälten Mannes krochen mir unangenehm vertraut den Nacken empor.

    "Ich kann deine Schwingen nicht sehen und doch weiß ich, dass du dort bist. Warst du es immer schon, und ich habe dich nur nicht wahrgenommen? Was bedeutet all das, was ich ohne diese Kenntnis lebte? Was lebte ich? Lebte ich überhaupt?" Sein leerer, hoffnungsloser Blick und seine Worte schmerzten mich seltsam. Ich fühlte jede dieser Fragen so tief in meinem Inneren, dass ich andächtig meinen Blick senkte. Ich fühlte mich selbst wieder in diesem Kreis knien, das Knacken des Donners über mir einbrechen. Ich fühlte wie mein bisheriges Leben sich in Rauch aufgelöst hatte, mein Vater war mir entrissen worden, mein bisheriger Glaube war in Flammen aufgegangen und meine Seele gehörte nun Ihm allein. Ich fühlte Mitleid, Bedauern, Mitgefühl, Verbundenheit, etwas das wir vielleicht alle miteinander teilten ohne es jemals auszusprechen oder einzugestehen, der Eine mehr, der Andere weniger. Am meisten aber fühlte ich Reue, darüber wie ich auf ihn eingeredet hatte, obwohl er sich mit seiner schlimmsten Angst konfrontiert sah. In diesem Moment war ich ausschließlich ich, die junge Frau aus Cantir, die allein nach Gerimor gekommen war um der übrig gebliebenen Schwester endlich zu entfliehen und die sich nun trotzdem im Kreise einer Art Familie wiederfand. "Wenn du mich erwählst, bekommst du einen wachen Verstand, einen an Erfahrungen reichen Kopf, eine zuweilen zynische Zunge, und eine Beharrlichkeit, die manchen Greis in den Schatten stellt. Ich biete meinen unbeugsamen Willen, dir zu dienen, bis du es für recht und billig befindest, dass meine Zeit verronnen ist. Meine Seele soll dir gehören und viele Weitere.. mögen folgen", endete er und auch das Summen erstarb mehr und mehr.

    Der Weg nach Hause bereitete mir kaum Schwierigkeiten, mittlerweile würde ich ihn im Schlafe finden. Byuli hatte gut daran getan mich zu überzeugen nach Rahal zu kommen und Cabeza hinter mir zu lassen. Ich gab es zu, die Wärme des Strandes und des Wassers, selbst am Abend noch, fehlten mir, aber ich mochte mein neues Haus und auch die Gesellschaft der rationalen Kriegerin. Wenn man sie nur ein paar Tage länger kannte, entdeckte man auch andere Facetten an ihr und je mehr ich davon entdecken konnte, desto mehr erfreute ich mich daran. Nur wegen des Klimas auf einer beinahe unbewohnten Insel zu bleiben hätte mir auch keinen Vorteil gebracht. Hier war nun mein Zuhause, ich hatte in manchen Gesichtern bereits Vertraute gefunden, auch wenn Vertrauen manchmal ein fragiles Konstrukt war, das viele Menschen zu leichtsinnig brachen, so wie ich es einst getan hatte. Es spielte keine Rolle ob ich hier oder dort war, die Brandnarbe in meiner Handfläche war bindend, Mahu würde mich mit Leichtigkeit finden, ganz gleich wo ich mich herumtrieb. Erst als ich meine Robe über die Kommode vor meinem Bett gelegt und die grüne Farbe aus meinem hellen Haar und die Schminke von Hals und Gesicht gewaschen hatte, ließ ich mich nur im Handtuch aufs Bett fallen und zog die schwere Decke über meinen Körper. Heute war ich der Welten müde, nicht schläfrig müde sondern einfach geschafft. Der nichtssagende und völlig gleichgültige Blick mit dem ich nach der Prüfung besehen worden war, hatte mich irgendwie getroffen, doch mein widerliches Verhalten hatte es vermutlich verdient. War das wirklich ich gewesen? Meine Augen brannten, vielleicht war ich doch müde.. mein Körper war schwer, zu schwer um jetzt noch einmal aufzustehen, heute würde ich in meinem Handtuch schlafen.



Zuletzt bearbeitet von Arjuna Marell am 27 Feb 2024 11:09, insgesamt einmal bearbeitet
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Arjuna Marell





 Beitrag Verfasst am: 12 März 2024 13:37    Titel: Von Alben, Selbstzweifeln und traumloser Sicherheit.
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Es sind mitunter nur Gedanken,
die uns blockieren, kränklich machen.
Die sich im Geiste ständig drehen,
uns lähmen bei den Kummersachen.

Die tief in uns Gefühle regen,
auf die wir gern verzichten würden.
Wie kompliziert ist doch das Leben,
mit seinen frei erdachten Hürden.

Doch wächst in uns erst die Erfahrung,
dann finden wir schnell aus dem Sog.
Oft stehen wir uns selbst im Wege,
weil manche Angst uns schlicht belog.

Die Ehrlichkeit hegt keinen Zweifel,
nicht alles kommt wie es erdacht.
Nicht alles wird so heiß gegessen,
wie wir's erträumen in der Nacht.




    In welch träger Blase ich auf Cabeza gelebt hatte, einer Traumesblase, die gefüllt mit duftender Sommerluft und warmem Strandsand dazu eingeladen hatte innezuhalten, nichts zu tun und still zu verharren. Im Nachhinein war ich mir nicht einmal sicher wieso ich beinahe ein volles Jahr dort zugebracht hatte, vielleicht war es eben diese gefühllose Reglosigkeit gewesen, die ich nach den ereignisreichen Veränderungen in meinem Leben gebraucht hatte. War es richtig gewesen nach Gerimor zu kommen und meine Schwester allein zurückzulassen? Ob sie nach all den Geschehnissen noch lebte? Wieso hatte Kra'thor mich gezeichnet, was sah er nur in mir? Gehörte ich wirklich hierher oder war es mir vorherbestimmt zu versagen? Würde ich je einen Platz in den Reihen unserer Geschwister finden? Wann würden die verschiedenen Augenpaare mich nicht mehr irritiert ansehen, wenn ich eine Nachfrage stellte? War ich irgendwann nicht mehr das "junge Schwesterlein"? Oder waren all diese Gedanken, Überlegungen und Zweifel nur in meinem eigenen Kopf und ich hatte diesen Platz eigentlich längst gefunden?

    Ich war mir nach dem letzten Abend in der Grabkammer nicht mehr vollends sicher, was der Wahrheit entsprach und was nicht. Einer der Alben hatte sich an meinem Kopf zu schaffen gemacht, meine Ängste, Zweifel und auch Sehnsüchte gepackt und sie wie einen einlullenden Sog in meinen Schädel gepflanzt, quälend und lockend zugleich.
    "Schau an, kleines kleines Mädchen, wie wenig du doch kannst und wie viel weniger du wert bist. Sei was du sein solltest und flüchte dich zu anderen, schwachen Menschlingen hin. Sie alle werden sterben und du kannst rein garnichts dagegen tun!" Ich konnte die düster klingende Stimme noch immer in meinem Ohr flüstern hören, sah die vieltentakelige, glitschig grüne Gestalt des Schrates vor meinem inneren Auge und kämpfe einmal mehr gegen eine sich aufbäumende Gänsehaut an. An diesem Abend hatte ich mit Ärger und tiefer Wut geantwortet, hatte mir davon einen Funken mehr Kraft und Durchhaltevermögen versprochen, statt mich von den greifenden Zweifeln ablenken zu lassen. "Ja, kleines Mädchen, gib dich deiner Wut hin, du bist völlig falsch hier. Vernichte und verrate sie alle, erst dann wirst du wirklichen Frieden und dein wahres Heil in der Innigkeit eines anderen Menschen, eines Vertrauten finden!" Zuhause war mir klargeworden, dass die meisten der anwesenden Geschwister mir großteilig fremd waren, auch jetzt noch. Ich kannte ihre Gesichter und die dazugehörige Stimme, hatte mittlerweile auch ein paar Beobachtungen zu ihrer Körpersprache oder ihrem Verhalten anstellen können, doch statt einer wahren Persönlichkeit oder auch nur eines Teiles dessen, kannte ich lediglich das Gefühl ihrer klerikalen Zeichnung. Wie waren sie wirklich? Was waren ihre Ängste und Zweifel? - denn alle von ihnen hatten meine bereits erblickt. Wie lebten sie außerhalb der dunklen Stoffrobe, die unser aller Schicksal miteinander verband und uns unser restliches Leben begleiten würde? Sicher war, dass ich niemanden von ihnen verraten würde, ganz gleich ob ich mich nun für sie interessierte oder sie mir völlig egal waren, der Widerhall, den ich ob ihres Wirkens spürte, war mir vorerst Bestätigung genug, dass unsere Schicksale miteinander verknüpft waren. Nichts desto weniger hatte ich eine Verletzung davon getragen, die ich als Zeichen meiner Loyalität gerne trug und, wenn man der Apothecaria Glauben schenkte, auch noch weiterhin tragen würde. Ich konnte nicht aus meiner Haut, denn die Schwester, welche ihr Versprechen über ein Jahrzehnt eisern zu halten gewusst hatte, war neben dem sanftmütigen Bruder aus dem Osten, die Einzige der älteren Diener, die etwas in mir geregt hatte. Mitgefühl und Zuneigung, eine gewisse Form von Vertrauen, welches ich so ungern zugestand und neben empfundener Dankbarkeit hatte sie auch bleierne Betrübtheit von mir erhalten, wenn sie selbst auch viel beherrschter und geordneter damit umging, als ich es je vermocht hätte. Wenn ich, bei allem was ich nun über ihr Schicksal erfahren hatte, also dazu bestimmt war ein paar Narben davon zu tragen, würde ich diese Lapalie mit Freuden auf mich nehmen, auch wenn graue Argusaugen diese Ansicht vermutlich nicht teilen würden.

    Wer hätte gedacht, dass "klein und schwach" nun einige Tage zum Titel meiner Gedanken verkommen würde, denn neben der eigentlichen Einflüsterung dass ich mich auf dem Holzweg befand und den damit einhergehenden Selbstzweifeln, gesellte sich auch ein immer stärker werdender innerer Widerstand, gegen alles das mich in meiner Integrität verletzte, hinzu. An welcher Stelle hatte ich diese Abzweigung verpasst? Wann hatte ich darum gebeten bevormundet und kleinkindlich gescholten zu werden? Hier ein strenger Blick oder ein machtdemonstrierender Griff an meinen Hals, dort eine ungefragt an die Wunde gedrückte Bandage. Ich wusste sowohl die eine, als auch die andere Sorge irgendwo zu schätzen und zu würdigen, auf ihre ganz eigene und persönliche Weise oder Begründung, ich selbst würde mir das Gleiche für sie erhoffen, doch der Kriegerin hatte ich bisher nichts von meiner festgesetzten Zukunft gesagt und der Sturkopf wäre nur noch ärgerlicher geworden, wenn ich ihm gesagt hätte, dass ich dem schwächlichen Zweifel der mir eingetrichtert worden war, mit dickköpfiger Selbstbestimmung entkommen wollte, indem ich meinen Willen mit aller Macht durchsetzte. Befehle weckten nun einmal Widerstand in mir, wohingegen Bitten immer eher mein Entgegenkommen erregte, was mich zu guter Letzt auch dazu angehalten hatte nach einem Heilkundigen zu suchen. Es wurde Zeit dass ich Byuli einmal gezielter auf den Zahn fühlte, denn ich brauchte auch außerhalb der Nimmerruh ganz dringend einen verlässlichen Vertrauten.

    Fernab dieser Gedanken und nach einigen, offen gesprochenen Worten gewöhnte ich mich aber langsam an all die umliegende Gesellschaft und auch die darin befindliche Besorgnis. Erstere genoss ich, wenn ich ehrlich war, sogar. Wo ich zuvor noch gern allein gewesen war, fühlte sich die Stille nun oftmals deutlich zu laut an und ließ nur noch mehr Gelegenheit, die Zahnräder in meinem Kopf wieder in Gang zu setzen. Ich träumte weiterhin schlecht, hörte die lang verklungenen Schreie und das Bersten der von Kanonenschlägen getroffenen Häuser, vernahm Regen, der unnachgiebig an die Fensterscheiben schlug und zuckte unter dem Knacken des nicht stattfindenden Donners zusammen, wodurch ich in den meisten Fällen dann wach wurde. Eine immer wiederkehrende Schleife meines persönlichen Albtraumes, der mich zwar nicht jede Nacht gleich heimsuchte, aber mich in regelmäßigen Abständen an das Erlebte erinnerte. Seit meiner Verwundung waren die nächtlichen Stunden jedoch etwas ruhiger und auch durchgängiger geworden, die Erschöpfung zog einige Tage unermüdlich an meinen Gliedern und ich hatte das erste Mal seit meiner Zeichnung durch Kra'thor wirklich erholsam geschlafen. Die dritte, ebenfalls versprochene Seele, die sich seit einigen Wochen neben Serpentin und mir immer wieder in unserem Heim einfand, hatte vermutlich nicht weniger dazu beigetragen. Obgleich er einige Abende in manierlichem Abstand über mich, die Wunde an meiner Stirn und vermutlich auch meinen Schlaf gewacht und mir sogar Abendessen ans Bett gebracht hatte, trat die merkliche Wirkung erst ein, als ich einige Tage später in beide seiner Arme gebettet, in einen traumlosen und behüteten Schlaf gesunken war. Sicherheit, die ich auf mich allein gestellt, schon einige Jahre nicht mehr verspürt hatte, obwohl ich sehr gut in der Lage gewesen war, auf mich aufzupassen. Was sollte dieses Gefühl mir also vermitteln? - Vielleicht aber, war genau das bereits der ausschlaggebende Punkt, ausnahmsweise musste ich einmal nicht auf mich selbst achten, konnte einen Augenblick lang loslassen, die schweren Gedanken ziehen lassen und einfach nur... ruhen. Geborgen in eine so reine und unschuldig ehrliche Geste, dass auch die Zweifel einen Augenblick lang schwiegen.



Zuletzt bearbeitet von Arjuna Marell am 12 März 2024 13:50, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Arjuna Marell





 Beitrag Verfasst am: 15 Apr 2024 10:42    Titel: Von Verbindungen, Vertrauen und Nähe.
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Ehe du in deinem Leben
fest auf einen Menschen baust,
geh mit Vorsicht ihm entgegen,
eh' du dich ihm anvertraust.

Schau ihm oft und fest ins Auge,
ob auch offen ist sein Blick,
denn des Menschen Worte lügen,
doch das Auge kann es nicht.




    Ein schwer zu greifender Tag lag hinter mir, nur einer mehr in meiner Ansammlung an seltsamen Erlebnissen auf Gerimor. Das Bett hieß mich sehnsuchtsvoll willkommen und auch wenn eine andere Umarmung spürbar fehlte, zog ich doch voller Dreistigkeit das anders beanspruchte Kissen an mich heran und atmete einen Moment den vertrauten Geruch nach Wald in meine Lungen. Mein Leben war nun ein gänzlich anderes als noch vor fünf Jahren und einerseits, zumindest was meinen Vater anging, war ich wehmütig wenn ich an Cantir zurückdachte. Davon abgesehen aber, passte es immer ein wenig besser. Auf Stolpern folgte Aufstehen, Unsicherheiten wurden immer öfter mit Ehrgeiz beantwortet und auf manche Fragen schlichen sich von Zeit zu Zeit auch Antworten ein. Mir war durchaus bewusst, dass ich erneut hadern würde, immer wieder einmal mit mir selbst, mit den Welten, vielleicht auch den Göttern und mit Sicherheit auch mit meinen Gegenübern, doch wo wäre der Lerneffekt und das Vorankommen wenn alles immer nur einer geraden Lebenslinie folgte?

    Der Abend auf Cabeza hatte eine völlig andere Wirkung auf mich gehabt, als noch bei meinem letzten Besuch. Dort wo ich damals von furchteinflößendem Respekt, einer gewissen Angst und einer drohenden Ungewissheit begrüßt wurde, hatte ich dieses Mal etwas Vertrautes empfunden, etwas einladendes und willkommenes, dass sich unter den dunklen Geruch von Teekräutern und reifen Früchten mischte. Ich hatte mein Versprechen bereits gegeben und hier gab es lediglich Antworten zu finden, auf Fragen die mich schon viele viele Monde beschäftigten und über welche ich mit Niemandem hatte sprechen können, nicht einmal dürfen. Ich wusste nun, dass es sich bei Mahu um keinen Herold handelte und auch nicht um irgendeine Form von Dämon, damit war ich schon sehr viel klüger daraus hervorgegangen als ich geahnt hatte, jedoch wusste ich nun auch, dass ich vermutlich mein Leben lang hoffen würde, dass dieses Individuum, die Seele von La Cabeza, noch lange lange auf Erden wandelte, denn sie hatte mir versprochen dass ich spüren würde, wenn ihr Tag gekommen war.
    "Ich könnte fühlen, wenn dein Leben dich verlässt, denn die Kälte wäre dann auch für mich nahe. Du wirst im Gegenzug deutlich spüren, wenn ich vergehen müsste, allerdings wäre es nicht dein Untergang, meine kleine schillernde Natter, nur dein Schmerz." Mit meinem Handschlag war ich einen Bund eingegangen, dessen Bedeutung mir zwar grundlegend bewusst gewesen war, dessen Tragweite ich aber vorher nicht völlig offengelegt erkannt hatte. Vielleicht war es also meine Bestimmung "die Verbindung" bestimmter Dinge zu sein, eine Verbindung zum Leben für eine uralte Gestalt, gebunden an eine Insel, oder auch das Band zwischen zweier Glauben, zweier Wesen, der Verkörperung eines Leitgedankens, wenn man an eben Jenes dachte welches mir beschrieben worden war. Die Herrin des ewigen Hungers, die schöne und letzte Versuchung, nicht zuletzt aber die Mutter aller Spinnenwesen. Hinterlist, Intrigen und Schattenkünste. Ein Bindeglied zwischen dem alten, ewigen Raben und der alten, ewigen Spinne. Das hatte ich mir also eingebrockt bei meiner Suche nach einem weiteren Gefährten, sowohl einen steinigen Weg als auch ein neues, schwer zu erreichendes Ziel. Fragen über Fragen und nur drei, deren vage Antwort ich in Form mehrerer, kurzer Visionen erhalten hatte. Ein dunkelroter Robensaum und ein einzelner Handschuh, die schlanke und elegante Klinge eines Degens, wilde, dunkelrote Rosen und zu guter Letzt ein reifer und saftig verlockender Apfel.

    Verbindungen.. Gefüge, Loyalität, Einheit. Nähe, Sympathie, Bund. Irgendwann in dem Wirrwarr meiner Pläne und Gedankengänge war ich in einen tiefen, einlullenden Schlaf gesunken der mich wie eine Schlafwandelnde in seine Umarmung zog. Das Knistern von Tannennadeln ströhmte einen wohligen Geruch aus, der mir nur allzu bekannt geworden war und der sich liebevoll um meine Sinne legte. Warme Hände und ein großgewachsener Körper umfingen mich schützend, das sanfte Kratzen des Bartes an meinem Kiefer, ein nackter Oberkörper, der über mich gebäugt auf meine Haut traf. Finger, die an meinem Hals entlang in meinen Haaransatz tauchten um sich dort in den hellen Strähnen zu festigen und ein leises aber bestimmtes Raunen an meinem Ohr:
    "Ich mag besonders.." Auch als das Flüstern mich aus dem Traum riss, konnte ich die dagewesene Präsenz noch einen Augenblick lang prickelnd in meinem Nacken spüren, obwohl die dazugehörige Person augenblicklich fehlte. Eine Zeit lang lag ich einfach nur da, tastete nach den Perlen meiner Halskette und besah den Himmel meines Bettes nachdenklich. Loyalität, Nähe, Verbindungen, Vertrauen. Ich konnte nicht gänzlich fassen, was es mit dem Bedürfnis nach Vertrauen und Nähe eigentlich auf sich hatte, schließlich lief man bei jedem Bemühen darum Gefahr, enttäuscht, getäuscht, hintergangen oder auch verraten und wieder verlassen zu werden. Irgendwas in unserem Körper oder unserer Seele trieb uns allerdings immer wieder von Neuem dazu an, sich zu überwinden und den Sprung in kaltes, unbekanntes Gewässer zu wagen. Irgendwann würde es wärmer, angenehmer auf der Haut und zuletzt sehnte man sich womöglich erneut nach einem wohltuenden Bad. Als kleines Mädchen hatte ich stets jede Pfütze gemieden, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass unter einer dünnen Wasserschicht sofort wieder fester Boden war. Ich war der festen Überzeugung dass darunter eine unergründliche Tiefe wartete und dass ich, wenn ich hineinsteigen, verschwinden und ewig fallen würde. Noch heute lies der Anblick einer Pfütze mich manchmal schmunzelnd innehalten, meine Füße jedoch nicht, sie trugen mich stets voran. In all unserem Testen, Zwicken und Beobachten lag also insgeheim stille Hoffnung, ein oder auch ein paar mehr ausgewählte und passende Menschen zu erkennen, denen man gewillt war ein Stückchen seines eigenen Lebens anzuvertrauen, manches Mal auch erleichternd in ihre Hände zu legen, wenn auch nicht immer bis zum letzten Ende des Weges.

    Es waren viele Worte durch meine Schreibfeder geflossen, fließend und auch stockend, nachdenklich aber dafür immer bedacht. Ich hatte es getan, mich anvertraut. Manchen von ihnen ganz persönlich, durch eine Geste, eine Berührung, ein nächtliches zur Ruhe kommen oder überlegt gesprochene Worte. Anderen unter vorgehaltenem Pergament, dass mich in eine gewisse Anonymität hüllte, auch wenn ich dabei vieles aus meiner Zeit vor Gerimor preisgab. Es war immer leichter zu schreiben als etwas zu sagen, einfacher etwas Tinte auf ein Pergament zu kritzeln als in aufmerksame Augen zu blicken und es auszusprechen. Es bot einen gewissen Schutz der eigenen Fassung, die bei gewissen Themen aus dem Gleichgewicht geraten konnten. Und ich hatte durchaus erlebt wie es zuging, wenn zwei Sturköpfe aufeinandertrafen. Jede zu schnelle Regung legte eine kommende Ohrfeige nahe, Worte waren nicht mehr bedacht sondern lagen offen auf der Zunge, um beim nächsten Aufwallen des Blutes nur allzu leicht über die Lippen zu purzeln. Einmal ausgesprochen waren sie nicht rückgängig zu machen, schon garnicht zurückzunehmen, kein zu zerreißendes Papier, kein möglicherweise verkipptes Tintenglas und eine direkte, meist noch heftigere Reaktion war auf dem Fuße zu erwarten. Hier, dort wo ich das schlangenverzierte Briefpapier mit Buchstaben füllte war es hingegen ruhig, friedlich sogar, wenn ich des Abends vor einer Kerze saß und schrieb, all das was augenblicklich nicht über meine Lippen kommen konnte, was aber doch hinaus musste um mein Herz oder gar mein Gewissen zu erleichtern. Bald jedoch, wenn ich mir sicher war nach wem genau ich suchte, würde ich reden müssen, von Angesicht zu Angesicht. Einmal mehr würde ich einen nicht unwesentlichen Teil von mir preisgeben müssen, einen den ich, wenn man es ganz genau besah, auch zu keinem Moment durch eine Lüge verschwieg oder verschleierte, den ich lediglich nicht offen zur Schau trug - dass ich unter den Schwingen des Raben wandelte. Und wieder würde es auf die Reaktion meines Gegenübers ankommen, wie weit mich die Hinweise der Insel führen würden, doch ich war bereit ein Stückchen des Apfels zu probieren.



Zuletzt bearbeitet von Arjuna Marell am 15 Apr 2024 10:55, insgesamt 3-mal bearbeitet
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