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Gedanken eines Mörders
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Bartos Arcoza





 Beitrag Verfasst am: 22 Mai 2023 11:35    Titel: Gedanken eines Mörders
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Das „Weib“.

Und nicht eigentlich das Weib selbst, sondern das Wort und seine beschreibende Bezeichnung, die seit langer Zeit, Urzeiten und Urgesteinzeiten vom Pöbel geformt und verwendet wurde; dass diese eigentlich formlose und zufällige Aneinanderreihung unscheinbarer, harmlos warmer Klangfarben sich in den letzten Jahren, im Rahmen einer einzigen Generation, von breiter gesellschaftlicher Akzeptanz zu einer Verachtung signalisierenden, asifizierten Bemerkung transformiert haben sollte, das war dem alten Bartos am heutigen Abend - nicht zum ersten Mal - ein Dorn im Auge und legte sich ihm schwer auf Gemüt und Magen.

Für gewöhnlich machte man sich weder etwas aus den konnotativen Veränderungen eines Wortes, noch aus den Empörungen der Intellektuellen, dieser sippen- und sektenartigen Minderheit, aus satter tranig-erschlaffter Mittel- und Oberschicht, die offenbar ihr von vergeistigtem Konfliktdrang getriebenes Wesen nur dann in Höchstform halten konnten, indem sie alles gemeinhin Normale umkrempelten und widerwärtig verzerrten, bis es unkenntlich und neu gemacht war, zuvörderst allerdings den Pöbel verwirrten und die Welt in ganz unnötiges Chaos stürzten.

Und Chaos war es! Chaos insofern, als dass man ganz plötzlich beobachten konnte, wie der Bäcker an der Ecke, der feine und eigentlich liebenswürdig dümmliche, aber nie freche Assistenzhelfer oder der zwar etwas brummige aber immer warme und hilfsbereite Typus Mann - und eigentlich alles ungebildete aber wohl erzogene Männervolk - regelrechter Verurteilung und öffentlicher Denunziation zum Opfer fiel, weil man sich nicht an die hausgemachte Konvention erneuerter Redensart, namentlich des Wortes „Weib“, hielt.

Während der einfache Mann unter dem gesellschaftlichen Meinungsdruck, der für ihn selten relevanter Schöngeister und progressiver Schnösel, zu leiden hatte, wurde jeder Versuch der Selbstverteidigung zu einem öffentlichen Spektakel. In solchen Fällen sah man nun ganz besonders deutlich, dass die Bringschuld immer zu Lasten des Angeklagten, nie aber des Klägers fiel.
Der Angeklagte, oft irritierten aber gesetzten und ruhigen Gemütes, versuchte meist den Umstand und sich zu erklären, besonders, dass man doch mit „Weib“ nichts Böses meine, weil man ja nichts Böses denke, sondern einfach spräche, wie man zu sprechen gelehrt worden sei; die Absicht also, meist im Falle eines Grußes, nichts weiter an sich hatte, als auf ein „weibliches Wesen“ zu verweisen, deren Name ihm, dem Angeklagten, nicht Geläufig gewesen sei.
Der Kläger, meist jung - aber interessanterweise männlich, wie weiblich in gleicher Verteilung, wo man meinen möchte, es wäre dem Weibe vorbehalten sich seiner Bezeichnung zu entledigen und zu erneuern - brauchte nichts weiter zu tun, als krakeelend auf unsittlichste Weise den ganz unscheinbaren Fehltritt in den Vordergrund zu rücken. Besonders dann, wenn der Angeklagte wenig Verständnis für eine kriecherische Entschuldigung aufbrachte, fühlte man sich dann herausgefordert und holte zum schamhaft einfachen aber nichtsdestotrotz gefährlichen Intermezzo aus und machte sich daran auf Grundlage irgendwelcher Annahmen und haltloser, meist erdichteter Ungereimtheiten, den gesamten Charakter des Angeklagten, in aller Öffentlichkeit, in Frage zu stellen und zu rupfen.
Im Schlusstakt galt es dann häufig alle stummen Gaffer auf die Klägerseite zu konvertieren, die allerdings meist ganz einfach froh waren sich nicht selbst in die Misere gebracht zu haben und sich für die Zukunft vornahmen das Wort einfach zu meiden; da wäre ja nichts bei - brauchen täte man’s ohnehin nicht - es würde auch ohne gehen.
Andere wiederum, bestenfalls eine Hand voll pro sozialer Hinrichtung, glaubten sich erleuchtet und erkannten ganz plötzlich, nach kurzer In-sich-Gekehrtheit, den Fehler ihrer eigenen Existenz und erniedrigten sich im Sinne der Selbstgeißelung zu den Verfechtern dieser und anderer ganz nötiger Umdenkereien.
Besonders unter den Blöden kam der Trend besonders gut an, denn es war diesem Menschenschlag häufiger als dem Moderaten wichtig der Bourgeoisie wenigstens im Geiste näher zu kommen und wenn nicht das, dann doch sich als Teil einer unsichtbaren und namenlosen aber rechtschaffenen Gruppierung zugehörig zu fühlen - das fand man chic.

Und gerade dieses Gefühl der Rechtschaffenheit, das Weib vor der Bezeichnung ihrer Weiblichkeit retten zu müssen, war es, was den alten Bartos in inneren Tumult stürzte und sein langsam zu vertrocknen beginnendes Herz wieder erfrischte und das marode werdende Hirn in plötzlichem Ärger elektrisierte.
Angefangen hatte dieser bedauernswerte Wandel in den Köpfen der Menschen mit der Abschaffung der Sklaverei. Zu seiner Zeit, als er, Bartos, noch im Saft stand, war es ganz normal sich in ärmeren Ländern einen jungen kräftigen Burschen zu erstehen und zum Waschweib umzuerziehen, zum Botenjungen oder als schwarzes Schaf für allerlei fragwürdige Krämereien. Bis dass dem Menschlichen, ganz unerwartet, Gleichheit und das Recht auf Freiheit eingeräumt wurde, war alles gut gewesen in der Welt. Sie hatte ihre Ordnung gehabt.
Dann, von einem Tag auf den anderen, wurde es den Frauen gestattet zu reiten. Nicht auf einem Pony oder Esel, wenn sie auf der Wanderung ihre zarten Füßchen zermartert hatte, nicht auf einem Damensattel, in Würde und Anstand, wie es sich für ein Weib geziemte, sondern ganz maskulin, mit einladend gespreizten Beinen, sich so das Geschlecht reibend und massierend, wie sich ein Weib nur am Phallus zu reiben und selbst zu massieren hatte. Es war schrecklich - schrecklich anzusehen, wie sie sich dank ihrer verklärten neuen Freiheit, im Galopp, lachend und jauchzend, selbst erniedrigten.
Es dauerte nicht lange, bis sie dann auch in die Armee Einzug hielten. Mit ihren drahtigen Ärmchen, mit ihren schwammigen Beinchen und selbstgefälligem, selbstsicherem Geschwätz sich jeden noch so wuchtigen Kerl vornehmen zu können, weil sie starke und unabhängige Weiber waren. Eine Schande. Eine Schande für jeden Gefallenen, der von dem Weibe nicht vom Schlachtfeld gezogen und gerettet werden konnte und eine Schande auch für die Familie, deren Fortbestehen jetzt nicht mehr nur durch Tode der Männer aufs Spiel gesetzt wurde, sondern auch noch das natürliche Potential des Weibes leugnete und tötete - fürs Gefühl, um der Selbstbestimmung Willen, für die Freiheit.

Nun schien es, dass sich die Welt das Wort vornahm. Und wo ein Wort in Ungnade fällt, da fallen sie alle in Ungnade, dachte er.
Für einen Moment hatte diese Krankheit Zeit gehabt ihre Inkubation im Stillen vorzunehmen und entpuppte nun ihre ganze destruktive Macht über die Menschen und alles, was gut und recht war.
Jetzt denke doch einmal einer darüber nach, dachte er, wo die Welt nur hinkäme, wenn man plötzlich begänne das ganze Feld sich entwickelter Bezeichnungen als Verfehlungen abzustempeln, zu jäten und umzugraben, nur um beim buddeln nach neuen, bekömmlicheren Lautmalereien, gute Kerle und Weiber an den Pranger zu stellen.
Was soll’s als nächstes sein? Der „Herr“, weil es den Mann hierarchisch so irgendwie erhebt und über andere stellt? Es zu sehr nach ‚herrschen‘, ‚beherrschen‘ klingt und beherrscht zu werden ja nur den wahren Herren gestattet d.h. sich von ihnen ergattert und geschnappt oder besser: erzwungen wird?
„Bedienstete“? Weil es den Menschenschlag einfachster gesellschaftlicher Gattung in seiner finanziellen Abhängigkeit beschreibt und verbal entblößt?
„Mädchen“? Weil es zu sehr dem Gekrächze einer Ziege ähnelt? Mäh - Mäh!

Als er seinem Ärger Luft gemacht hatte und den Schreiner, welcher der Grund für seine mentalen Eskapaden gewesen war, noch einmal mächtig verflucht und gegen die Decke seines kleinen schmuddeligen Zimmers der Herberge in Wetterau geschimpft hatte, schlief er ein wenig erleichtert, aber mit gestärkter Überzeugung, dass man sich um diese Zerrüttung kümmern müsse, ein.


Zuletzt bearbeitet von Bartos Arcoza am 22 Mai 2023 20:41, insgesamt 5-mal bearbeitet
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