FAQ Login
Suchen Profil
Mitgliederliste Benutzergruppen
Einloggen, um private Nachrichten zu lesen
        Login
~•°•~ Von Gischt und stürmischen Wellen ~•°•~
Gehe zu Seite Zurück  1, 2
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » ~•°•~ Von Gischt und stürmischen Wellen ~•°•~
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
Drystan Verano





 Beitrag Verfasst am: 04 Mai 2022 23:53    Titel:
Antworten mit Zitat

~•°•~

» Viento del Sur «

Zwei Mondläufe verbrachte ich auf dem Schiff, das sich als Nahrungstransporter ausgab aber in wirklichkeit Waren für gut betuchte Händler von einem zum anderen Ort schmuggelte. Wir haben gutes Gold damit verdient und so konnte ich auch bald schon wieder das gewohnte Gewicht an meiner Hüfte mittragen, als ich mein Vermögen in eine Steinschlosspistole investiert hatte. Es fühlte sich gut an, die Pistole wieder an meiner Seite zu wissen. Darauf vertrauen zu können, dass ein Griff zu dieser Probleme lösen aber genauso bereiten könnte, wie sie es so oft in der Vergangenheit tat. Si, es war, als wäre ein Teil meiner Selbst zu mir zurückgekehrt, welches damals mit unserem Schiff auf den Grund des Meeres gezerrt wurde, als die Intrasigente ihrem Schicksal erlag.
Wirklich ereignisvoll war die Zeit auf der La Golondrina nicht, aber sie half mir dabei, wieder in das Leben auf der hohen See zurückzufinden. In Momenten wie diesen war ich froh, dass die Routine noch immer in meinem Kopf verankert war und ich dadurch ohne grosse Mühen eine helfende Hand im Alltag des Schiffes werden konnte. Und damit merkte ich wieder, wie das Verlangen nach mehr langsam wuchs. Es reichte nicht mehr, nur Teil eines Schmuggelschiffs zu sein. No, ich brauchte das, was das Leben eines Piraten ausmachte. Raubzüge, Schlachten auf den Meeren dieser Welt, das Bereisen der Welt! So entschied ich mich wenige Zeit später das Schiff zu verlassen und auf einem Dreimaster anzuheuern. Meine Erwartungen waren hoch, wurden aber nur teilweise erfüllt. Aus diesem Grund verblieb ich auch nur einen halben Jahreslauf auf dem Schiff, bevor ich die Crew verliess, als wir in meiner Heimat Anker legten.

Aus weiter Ferne konnte ich bereits die Insel in all seiner Pracht erkennen. Imposant ragten die mit grün überwucherten Berge in die Höhe, die in ihrem Dschungel tausende von exotischen Pflanzen und Tiere beherbergte. Inmitten der vielen Spitzen thronte der König mit seinem schwarzen Gewand aus verbrannter Erde und geschmolzenem Stein, der sich bis zu seinen Füssen erstreckte. Einst noch erfüllt von Wut, die viele Opfer forderte und gar eine lebendige und florierende Stadt mit seinem Feuer und flüssigem Gestein verschlang, spürte man nur noch selten das Knurren des »Boca de Dragón«, dem Drachenmaul. Man munkelt, dass es die Rache der damals ansässigen Inselhexe war, die in ihrem Ärger über die vielen neuen Städte, die errichtet wurden, dem Gebirge den Samen des Zornes einhauchte, um alles zu vernichten, was lebte. Doch mit dem Tod durch die Hände der verängstigten Bürger beruhigte sich der Drache und gebar damit die Legende der »mujer maldita«.
Gegenüber der Hauptinsel befand sich »Cuenco de la Fortuna«, die Schale der Fortuna. Umgeben von kleineren Gebirgen, sammelte sich in deren Mitte Wasser zu einem grossen See an, das regelrecht von Leben erfüllt war und dazu beitrug, dass sich so manche Fischer dort ansiedelten, um aus dem Fischfang und der Suche nach kostbaren Perlen Profit zu schlagen. Daher auch der Name »Perla Magnifica«, die man den Dörfern gab. Dörfer, die durch ihre Bauweise von den stürmischen Winden, die der Insel den Namen »Viento del Sur« - Südwind - gaben, regelmässig zerstört und teils auch davon geschwemmt wurden.
An den Seiten der Eingänge zur Bucht der Insel befanden sich die Wachtürme, jeweils zwei pro Insel. Durch die vielen, gefährlichen Riffe und Felsen, die vor den Eingängen der beiden Buchten darauf lauerten, den Rumpf von Schiffen aufzureissen, stellten sie eine nicht zu unterschätzende Defensive dar. Denn jedes Schiff, dass passieren wollte, war gezwungen sich dem Wohlwollen der Wachhabenden hinzugeben, die über Leben und Tod entschieden, während sie durch die Felsen hindurch navigierten. Gerade die Todesbucht, vor Ort »Bahía de la muerte« genannt, war von den Inselbewohnern aufgrund der dort lauernden Gefahren gefürchtet und oft gemieden, was viele dazu zwang die natürliche Kette aus scharfen Felsen und die dritte, von Vulkanen überwucherte, Insel zu umschiffen, um den südlichen Eingang zu nehmen, der wesentlich gnädiger war.

Wir befanden uns nach dem Landgang in der nördlichen Siedlung, »Nuevo Refugio«, die erbaut wurde, nachdem das Drachenmaul sich die alte Siedlung unter die Krallen riss.
Ein tiefer Atemzug liess den Geruch des Hafens in meine Nase aufsteigen. Die meisten hätten in diesem Moment ihr Gesicht verzogen, denn die Luft war geschwängert durch den Gestank von Fisch und Abfall. Ich aber fühlte mich wieder zuhause. Zurück in der Heimat, die mir vor nun bald einem Jahrzehnt von einem auf den nächsten Moment entrissen wurde.
Der Hafen war überfüllt von Tagelöhnern, die für einen kleinen Obolus die vielen Kisten auf die Schiffe brachten, um weiter verfrachtet zu werden. Hier und da wurde gesungen und getanzt, gefeiert um das Leben in vollen Zügen zu geniessen. Meist angespornt durch reichlich Alkohol. Alles fühlte sich so lebendig an und ich liebte jeden einzelnen Moment davon.
Mein Weg führte mich an dem Freudenhaus vorbei, dass sich nicht unweit des Hafens befand, wo die meisten Seemänner verkehrten. Man konnte von Glück sprechen, wenn man eines der Weiber länger für sich beanspruchen konnte, denn deren Zeitplan war eng gestrickt. Entsprechend teuer waren längere Aufenthalte. Doch für die Siedlung selbst bedeutete dies eine gesunde Wirtschaft. Denn das Gold fand meist zurück zu den vielen Bauern, die am Rande der Stadt hausten und ihre Plantagen pflegten, wofür sie wiederum das Gold an andere Handwerker abgeben mussten. Bananen, Tabak, kostbarer Rum - alles boten sie nach entsprechender Verarbeitung an. Bei dem Gedanken erfasste mich der Hunger und Durst und ich glaubte für den Moment mein geliebtes Getränk und Essen im Mund zu schmecken. Im Eichenholzfass gereifter brauner Rum mit rauchigem Akzent und gut gewürztes Tapirspeck. In dem Moment war mir klar, dass ich später danach suchen würde.

Nachdem ich mich über einen weiteren, halben Stundenlauf von diversen Dingen habe aufhalten lassen, kam ich schliesslich an meinem Ziel an. Eine zerstörtes Haus, eine Ruine bei der kaum noch ein Stein auf dem anderen lag, nicht weit vom Ufer entfernt. Einst die vier Wände, in denen ich mit meiner Familie lebte. Wenige Schritte weiter befanden sich die Gräber meiner Mutter Alexandra und Schwester Haley, die während dem Kampf ihr Leben verloren. Aus den schweren Steinen geborgen, die sie zerquetschten, als eine Kanonenkugel das Haus erwischte und zum einstürzen brachte.
Während ich da stand und das Stück gravierte Stein betrachtete, dass von ihnen übrig blieb, fiel mir auf, dass ich nie richtig um sie getrauert hatte. Indem mich Mutter damals als Strafe wegschickte, schob sich ein Keil zwischen mir und meiner Familie, die ich nur noch in seltenen Fällen sah und mir nur missbilligende Blicke zuwarfen, als sie erfuhren, was aus mir geworden war. Die Bindung zu ihnen dünnte aus und ich suchte mir eine neue Familie, die sie ersetzten. Und doch verspürte ich das Verlangen, meine Schwester ein letztes mal in die Arme zu nehmen und zu drücken. Sie war die einzige, die sich noch freute mich zu sehen und mich herzlich umarmte, wenn sich die Gelegenheit ergab. Sie allein gab mir das Gefühl willkommen zu sein, auch wenn ich ihr das Leben schwer machte, als ich erfuhr, dass sie mit dem kleinen Venicia, Nelio, anbändelte. Etwas, dass mir missfiel. Sie war stets eine willkommene Abwechslung für einen Kerl wie mich, dessen Seele in kleine Einzelteile gespaltet wurde und trotz allem zwischendurch der Einsamkeit entkommen musste, indem er diejenigen aufsuchte, die ihm nahestanden und Halt gaben. Doch dafür war es zu spät. Ich bedauerte dies, schob den Gedanken dann aber in mein Inneres, wo es wieder für die nächste Zeit in einer Zelle verbrachte, bis zu dem Tag, an dem mich die Vergangenheit wieder einholen würde.





~•°•~


Für eine detailiertere und scharfe Variante der Karte, bitte das Bild rechtsklicken und im neuen Tab/Fenster öffnen.


Zuletzt bearbeitet von Drystan Verano am 05 Mai 2022 06:45, insgesamt 2-mal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Nelio Venicia





 Beitrag Verfasst am: 06 Mai 2022 08:11    Titel:
Antworten mit Zitat

~~ Einen Schritt voran … zwei zurück ~~


Wieder bäumte sich sein Körper auf und er schaffte es gerade noch so den Kopf in irgendeine Richtung zu drehen, damit er sich nicht wieder selbst mit seinem Erbrochenen schmückte. Die wochenlange Dunkelheit hatte ihm bisher große Schwierigkeiten bereitet. Nelio litt unter dauerhaftem Schwindel und konnte sich nicht in dem Raum orientieren in welchem man ihn untergebracht hatte.

Trotz des Brechens zeichnete sich ein triumphierendes Lächeln auf seinen Lippen ab. Mit einem erleichternden Stöhnen ließ er sich wieder zurück in den Stoff sinken. Obwohl alle Versuche zu Gehen bisher gescheitert waren, hatten sie ihm die Füße aneinandergefesselt – sie mussten wirklich eine abscheuliche Kreatur in ihm vermuten.

Kaum das sich der Brechreiz gelegt hatte, hörte er die herannahenden Stimmen der Temora Priester. Die schwere Metalltüre scharrte über den Steinboden.

>>Ach Jungchen. Wie soll das was werden, wenn du den guten Saft immer wieder brichst?<<

Weitere Schritte näherten sich und der missbilligende Ton eines weiteren Mannes erklang:

>>Bruder Benjen! Wie viel des Mohnblumensafts möchtet ihr noch an ihn verschwenden? Der Mann hat sich Schicksal selbst gewählt. Niemand bricht so oft einen Saft der einen selbst im Liegen von den Füßen holt. Und selbst wenn er es spürt wird er es euch doch eh nicht mitteilen können. Denkt an eure Studien<< der mahnende Ton schwoll deutlich an:

>>Diese verdammte Seele ist nicht mehr zu retten. Nehmt euch was Temora euch gab und nutzt es.<<

Tatsächlich hatte ihn dieser andere mierda Bastard durchschaut. Er konnte weder sprechen noch ließen seine Gliedmaßen zu, dass er seine Hände gestikulierend bewegte. Doch nachdem er herausgefunden hatte das dieser Priester Benjen sein Heiler und gleichzeitig Schlächter war, hatte er damit begonnen sobald er alleine war sich zu bewegen bis der Schwindel überhand nahm und er schließlich das Ganze erbrach und der Saft nicht angemessen wirkte. Bruder Benjen begann nie seine Arbeit bevor er sich nicht sicher war das Nelio nicht gänzlich schmerzfrei war. Erst dann drangen wieder die Eisenstäbe in seine Kopfhaut ein, verbrannten die wenigen inzwischen gewachsenen Haare und trieben die gerade verheilten Hautschichten ein weiteres Mal auseinander.

>>Pirat!<<, spuckte Bruder Benjen das Wort abfällig aus und verließ den Raum.

Dieser Tag war der letzte an dem der Bruder auf die Wirkung des Mittels wartete. Es war auch der letzte an dem er sich selbst dazu brachte es zu erbrechen.


~~



Tick. Tick. Tick.

Die Uhr seines Vaters. Er war also wieder wach.

Wie lange war er wieder in dem tiefen Schlummer des Trankes gelegen? Er spürte das er wieder auf der Liege und nicht mehr auf dem Steintisch lag, wo man ihn stets untersuchte.

>>Jungchen. Ich weiß das du wach bist. Dein Atem verrät dich<<

Und nun war es auch das schreckhafte Zucken seines Körpers, da er nicht damit gerechnet hatte das jemand bei ihm war. Nelio hatte schon so lange nichts außer Schwärze gesehen, dass er es auch nicht mehr versucht hatte seine Augen zu öffnen.

>>Ich vermute das wir Erfolg hatten. Diesmal habe ich die Schwellung verhindert und der Druck sollte nachgelassen haben. Mach deine Augen auf und gib mir zu verstehen was sich verändert hat.<<

Nelios Mundwinkel zuckten. Er wusste das er erst gar nicht versuchen sollte etwas zu verschweigen. Das nächste Mal würde der Saft wieder ausbleiben, wenn er ihm seine Ergebnisse verschwieg.

Er atmete tief durch und bereitete sich auf die Schwärze vor, die ihm schon Vertraut geworden war. Doch als seine Lider sich flatternd bewegten, kniff er sie sofort wieder zu. Da war Licht!

Ein zufriedener Laut des Priesters war zu hören, ehe er ihn aufforderte es nochmals zu versuchen.

Seine Augen brannten fürchterlich als er es endlich schaffte sie offen zu halten. Da saß er, Bruder Benjen in seiner hellblauen Robe und einer Art Schürze vor dem Leib gebunden. Er hatte ihn sich immer ganz anders vorgestellt. Einen derben alten Drecksack, der Freude daran hatte ihn zu quälen nur um sich an seinem Heilungsprozess zu bereichern. Er hatte sich schon so viele Male lieber den Tod gewünscht, als dass er diesem Mann Erfolg wünschte.
Doch jedes Mal, wenn er sich wieder wehrte, blieb der Saft aus und alle Untersuchungen und Operationen fanden ohne ihn statt. Der Tod wäre noch gnädig gewesen gegen das was er dort gespürt hatte.

Und so gab er sich seinem Schicksal hin. Nie hatten die Operationen bisher Erfolg gezeigt. Schwindel, Schwärze und sprachlos. Das war er die letzten Monde nach dem Schlag auf seinem Schädel gewesen. Keine Spur von dem gerissenen Mann mit dem charmanten Schmunzeln.
War es nun endlich vorbei? Würde er ihn nun endlich einfach verrecken lassen?

Der junge Priester lächelte freundlich zu ihm herab, erwiderte seinen Blick und legte seine Hand auf seine nackte Schulter:

>>Jetzt beginnt meine eigentliche Arbeit. Ich lasse dir einen Moment deine Eindrücke zu verarbeiten. Diakon Nermes wird sich freuen von weiteren operativen Erfolgen zu hören.<<



Etwas nasses rann seine Wangen hinab. Würde es denn nie aufhören?


~~
 Nach oben »
Shinaa Dedalera





 Beitrag Verfasst am: 06 Mai 2022 12:43    Titel:
Antworten mit Zitat

~•~

» Monotonie «


Die ersten Monde die ich auf der Isla La Cabeza verbrachte sind verschwommen, überdeckt von einem dichten, schummrigen Mantel, der konstant und voller Sorgfalt aus Alkohol und Wildkraut, geflochten wurde. Ich hatte gehofft der Anblick der Isla und die damit verbandelten positiven Erinnerungen würden den Schmerz in meinem Herz lindern, doch es war mehr der gegenteilige Fall.

    Ich erinnerte mich, wie ich mit Nelio bei Minfays saß, die Spielkarten auf dem kleinen Tisch ausgebreitet – die Stimmung geschwängert von einem guten cabezianischen Rum und dem Tanz der Mädchen. Nelio, abgelenkt von eines der Mädchen, die sich mit betonten Bewegungen an einer Stange rieb, hatte an diesem Abend wesentlich mehr Glück mit seinen Karten als ich und immerhin spielten wir um die paar Münzen, die wir noch übrig hatten. Ich versuchte zu schummeln, hatte mich gerade vorgelehnt, um eine der Karten zu tauschen, in der Hoffnung sein männliches Gehirn wäre zu sehr auf das Mädchen fixiert. Er bemerkte mich jedoch und ich erntete eine Kopfnuss von ihm, die mir bei der Erinnerung noch heute im Schädel widerhallt. Wir lachten danach. Eine schöne Erinnerung.


Nun saß ich allein bei Minfays und fühlte mich taub.
Ich würde jederzeit wieder eine Kopfnuss von Nelio in Kauf nehmen, würde ihn das zurück unter die Lebenden bringen.

    Ich erinnerte mich wie Leon mich durch die engen Gassen der hohen Häuser zog, auf der Suche nach einem dunklen und stillen Plätzchen, wo wir dem nachgehen konnten, was auf der Dragao nicht so einfach zu bewerkstelligen war. Durch die Nähe zum Hafen lag der Geruch von Abfall und Fisch in der Luft, durchsetzt mit Wildkraut und Tabak – doch das, was andere als ekelig empfinden würden, schürte in mir das Gefühl von Heimat und Vertrautheit. Ich erinnere mich an die Berührungen seiner Hände und seiner Lippen, die so grob und gleichzeitig doch so sanft erschienen. Wie wir gemeinsam lachten, als die Ziege vom Betrunkenen uns in der Zweisamkeit störte und Leon erst einmal damit beschäftigt war das hartnäckige Tier zu vertreiben. Ich fühlte mich so herrlich frei und geborgen.


Nun ging ich allein durch die Gassen und fühlte mich verlassen.
Wäre ich doch nur im Kerker, dann wäre ich bei ihm.

Im Alkohol, egal wie billig er war, und dem wenigen Wildkraut was ich erbeuten konnte, sah ich die einzige Hoffnung die Gedanken und Gefühle wegschwemmen zu können. Ein Jahr verbrachte ich in diesem Zustand von Monotonie. Ich fühlte nichts, als hätten die Arme der See mich wieder empfangen und nur selten blitzte am Horizont ein Schimmern auf, wie ein ungeliebtes Gefühl, welches man loswerden wollte. Ich wollte nichts fühlen. Nichts denken. Mich an nichts erinnern.

Nach diesem Jahreslauf, über dem mir kaum noch etwas bekannt ist, wachte ich auf – zumindest in einem Ansatz, dass ich nicht mehr wie eine betrunkene Leiche in den dreckigen Ecken der Isla zu finden war. Der Grund hierfür hatte die Form und Gestalt eines Briefes von Leon, der es geschafft hatte aus dem Kerker eine Nachricht entkommen zu lassen. Es schmerzte seine Zeilen zu lesen, es schmerzte zu wissen, das weitere Mitglieder ihr Leben gelassen hatten, durch einen Oberst, der offenkundig zu interessiert an den Amuletten schien. Aber es rüttelte mich auch wach. Es schenkte mir Lebenskraft. Leon lebte, also musste auch ich leben.

Zwar war da weiterhin die Decke aus Taubheit die ich um meinen Körper geschlungen hatte, in der Hoffnung den Schmerz über den Verlust nicht mehr zu empfinden, doch fing ich an nach neuen Möglichkeiten und Aufgaben zu suchen. Ich heuerte vereinzelt auf Schiffen an, in der Hoffnung das Meer würde mich wieder zusammenflicken, ich half in der Werft aus, brachte das zum Einsatz was Alejandro mich auf der Dragao gelehrt hatte. Doch der Alkohol rief mich immer wieder zurück in seine betäubende Umarmung und ich hieß das Gefühl jeden Abend aufs neue Willkommen. Es bedeutete auch nicht nachdenken zu müssen.

War ich auf der See und fühlte das Salz auf meiner Haut oder den Wind in meinem Haaren, war da der Funke von etwas, was ein wenig Trost in mein lebloses Inneres brachte. Der Funke, der mich wünschen ließ, mich einmal wieder gut zu fühlen. Ich suchte auch auf Land nach diesem Funken, suchte ihn in Männern, in Glücksspielen oder in der Arbeit. Nichts brachte jedoch den gewünschten Erfolg – da war noch immer die Taubheit. Es schien mir fast so, dass alles gestorben war, was ich jemals gefühlt hatte – schlechtes wie gutes - und irgendwann akzeptierte ich das einfach.

Nach insgesamt zwei Jahresläufen auf der Isla war da jedoch etwas, was sich in einem Aufblitzen durch die Dunkelheit kämpfte und für einem winzigen Moment fühlte ich etwas Warmes durch meine Adern flackern. Es war ein Gesprächsfetzen, den ich am Hafen aufschnappte und der mich erstarren ließ.


»Meins' den chico mit dem dick'n Drachenamulett bei Minfays?«

»Sí sí, 'n ganz schön fetter Klunker, ich wett' der is' ordentlich was wert.«


Ich fühlte das Brennen, ausgehend von meiner Magengrube, das Herz welches sich nun schmerzhaft in meiner Brustgegend bemerkbar machte – nachdem es zwei Jahresläufe betäubt ausgeharrt hatte. Ich fühlte etwas. Hoffnung? Krampfhaft schloss ich meine Finger um das Amulett, welches ich selber all die Jahre unter dem schnöden Hemdchen an meinem Leib versteckt gehalten hatte.

Und ich wusste, ich musste zu Minfays.


~•~
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Drystan Verano





 Beitrag Verfasst am: 06 Mai 2022 14:07    Titel:
Antworten mit Zitat

~•°•~

» Von Erinnerungen und Symbolen «

Mit jedem Stich bahnten sich die langen Nadeln begleitet von einem scharfen, stechenden Schmerz in meine Haut, um dort die aufgetragene Farbe zurückzulassen und meine Haut für die Ewigkeit zu einem Kunstwerk zu wandeln. Ihre Bewegungen waren geübt, Stiche präzise ausgeführt. Hier und da strich sie mit einem Tuch über die gerötete Haut, um die restliche Farbe wegzuwischen und im Anschluss die nächsten Stellen in Angriff zu nehmen. Camea war der Name des Weibes, die auf der ganzen Isla für ihr Talent bekannt war und sich vor Aufträgen kaum retten konnte.
Aufmerksam lag mein meergrünes Augenpaar auf dem Werk, dass unter ihrer Führung entstand. Sie war gerade dabei, stilisierte Symbole auf den Fingeransätzen meiner rechten Hand zu stechen, die jede für sich eine Bedeutung hatte. Sie standen alle mit Momenten meines Lebens in Verbindung, in denen ich dem Tod nur knapp entkam. Angefangen mit einem Krakenkopf umgeben von Tentakeln auf dem Daumen, folgte auf dem Zeigefinger ein Pantherkopf und final auf dem Mittelfinger eine Sonne, die umgeben war von Strahlen. Das letzte Symbol stand für ein ganz bestimmtes *Erlebnis während meiner Gefangenschaft* in der Wüste.
Über die nächsten Wochenläufe, gar Monde hinweg fanden immer mehr Hautbilder auf meinen Körper, die vor diesem Zeitpunkt nur einzelne Stücke aufwiesen. Geschichten, manche offen, andere wiederum verborgen vor der Öffentlichkeit und nur den engsten offenbart.
Das erste, grössere Hautbild widmete ich *dem Kraken*. Ein Ungetüm aus der Bahía de la muerte, das vor der Inselkette lauerte und nicht wenige Opfer in ihr Meeresgrab zerrte. Zu jener Zeit war ich zwölf, vielleicht dreizehn Sommer alt und wurde das erste mal von meinem Vater mitgezerrt, um mich auf der Jagd nach Walen nützlich zu machen. In früheren Jahren war ich schon auf Schiffen unterwegs, doch es war das erste mal, dass ich die Küste verlassen sollte. Eine gewisse Vorfreude erfasste mich, war mein Vater doch schon immer ein Vorbild für mich und sein Tageswerk das, was ich einst tun wollte. Draussen auf der hohen See auf der Suche nach unvorstellbar grossen Tieren, deren Ertrag uns das Jahr über die Runden bringen würde.

Meine Freude nahm ein jähes Ende, als ich das Gespräch des Navigators überhörte, der erwähnte, dass wir auf die Bahía de la muerte zu segelten. In meinem Magen breitete sich ein mulmiges Gefühl aus. Eine Vorahnung, dass etwas Schlimmes geschehen würde. Vielleicht war es auch nur Angst, wirklich unterscheiden konnte ich es nicht - zu abgelenkt war ich mit meinen Gedanken. Ich wollte nicht Teil einer weiteren Geschichte sein, die man sich auf der Isla erzählte. Doch mein Vater wies mich nur zurück und sagte, ich solle den Mund halten, als ich ihn anflehte den Navigator zu bitten, den Kurs zu wechseln. Enttäuscht und verletzt, so behandelt zu werden, schob ich mich durch die vielen Kerle und Weiber hindurch, die über das Deck huschten und mich dabei nicht selten anrempelten. Am Bug angekommen begab ich mich zur Spitze und überblickte die Reling.
Wir hatten die ersten Felsen, die den Ring der ‘Bucht’ bildeten, gerade passiert, wie nur schwer im Dunkeln erkennen konnten. Das andere Ende war, anders wie zur Tageszeit, nicht zu sehen. Lediglich eine unendliche, ungewisse Dunkelheit, die sich vor uns erstreckte. Man merkte, wie es hörbar leiser auf dem Schiff wurde. Stimmen, die zuvor noch über das Deck brüllten, flüsterten nur noch. Andere verstummten gänzlich. Nur das Knarzen des hölzernen Korpus unserer Schiffes und die Wellen, die gegen die Flanken preschten, war zu hören. Es half dabei nicht, dass es Nacht war und einzig eine kleine Öllaterne das Deck beleuchtete, dass von Nebelschwaben umgeben war. Mit jedem kleinen Ruck, der durch kraftvollere Wellen durch die Holzschale ging, spürte ich, wie mein Herz einen Schlag aussetzte, nur um dann wieder wie wild zu pochen.
Kerle und Weiber harrten still auf ihren Plätzen aus. Niemand wagte es, sich unnötig zu bewegen und Lärm zu machen, welches Nixen oder andere Lebewesen auf uns aufmerksam hätte machen können - so glaubten wir. Unser Capitano, der von sich behauptete schon unzählige male durch diese Bucht gesegelt zu sein, verlor im Angesichts seiner ängstlichen Crew langsam die Geduld. Mit einem verärgerten Laut nahm er seine Muskete von der Schulter und zielte mit dem Lauf in die Luft, um die Kugel die im Lauf steckte, abzufeuern. Weisser, dichter Qualm schoss zu den Seiten hinweg, begleitet von einem lauten Knall, der einen Schauder durch meinen Körper jagte. Der Geruch von Schwebel breitete sich aus, stieg in unsere Nasen. Eine Hand voll Mann warfen dem Capitano an den Kopf, wie er nur so dumm sein könnte, für Lärm zu sorgen, doch dieser winkte nur ab und deutete um sich, als er meinte, es wäre nichts geschehen und man solle sich zusammenreissen. Tatsächlich hatte er Recht. Es war still. Noch immer war nur der Wellengang zu vernehmen. Die Crew schien sich wieder zu beruhigen. Bis ein deutlicherer Ruck durch das Schiff schoss.
Männer und Frauen zugleich wurden von den Füssen gerissen. Panik breitete sich aus. Der Capitano setzte gerade an, Befehle über das Deck zu schreien, als ein gewaltiger Tentakel die Wasseroberfläche durchbrach und mit einer Wucht, die ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nirgends beobachtet hatte, das komplette Achterdeck zerbersten liess. Man hörte nur noch wie die Schreie der Männer verstummten, die wenige Herzschläge zuvor noch über uns auf ihren Plätzen thronten, als sie ihr Ende in der Dunkelheit des Meeres nahmen.
Ich erstarrte vor Schreck. Um mich herum blitzte Licht, durch Explosionen der Musketen und Steinschlosspistolen, auf, die abgefeuert wurden und mir durch die Nähe das Gehör nahmen. Einzig ein Ringen vernahm ich noch und dumpfe Geräusche, als mein Vater mich an der Schulter packte und auf mich einredete. Er merkte, dass ich nicht reagierte und hob mich hoch, um mich in eines der beiden Beiboote zu werfen. Ein weiterer Mann stiess dazu, kletterte in das Boot, während mein Vater mit panischem Ausdruck das Beiboot hinunter liess. Ich selbst war noch immer betäubt von dem Schock und realisierte nicht, dass es das letzte mal war, dass ich ihn sehen würde. Getrieben durch die Wellen und den beiden Kerlen, die auf dem Boot mit mir verblieben und um ihr Leben ruderten, wurden wir immer weiter davon getrieben. Mir blieb einzig dabei zuzusehen, wie der Kampf auf dem Schiff mit dem Kraken fortgesetzt wurde. Dessen Tentakel hielten die Holzschale bereits in einer Umarmung umschlossen. Takelage und Mast wurden zusammengedrückt, bis zu dem Punkt, an dem der Druck zu gross war und sie zusammenbrachen. Das Schiff selbst hielt dem Kraken noch einige Momente stand. Doch dann, als die Schwelle überschritten war, stöhnte der Zweimaster ein letztes mal auf, bevor es der gewaltigen Kraft der Bestie unterlag und mittig entzwei brach. Das letzte Bild, dass ich vor Augen hatte war, wie das Monstrum die Reste des Schiffes tief in die Meere zog. Ein Bild, dass sich fortan auf meiner Haut widerspiegelte.

Dessen Erscheinen, was ich zu der Zeit noch nicht wusste, hatte eine Kette an Ereignissen in Bewegung gesetzt, die mein Leben bestimmen würden und das aus mir machten, was ich war.
Da war beispielsweise ein Abbild eines Kelpies an meinem rechten Oberarm, der knapp über dem Hautbild des Krakens begann und dessen Kopf auf Höhe meines Schulterdaches endete. Es stand in direkter Verbindung mit diesem Ereignis. Albträume, die daraus gebaren. Kein Tentakel zeigte sich mir, aber ein Kelpie. Ein Wesen, dass zur Hälfte aus dem Körper eines Pferdes entstand und in einem Fischschwanz endete, ähnlich wie es bei Nixen der Fall war.
Immer wieder verfolgten die Bilder mich im Schlaf. Träume, in denen ich mich vor einem Fluss auf der Isla wiederfand, das ich aus eigener Kraft nicht passieren konnte. Und dann die Erscheinung des Kelpies, dass mir auf vertrauensvolle Art versicherte, mich auf die andere Seite des Ufers führen zu können. Und auch wenn ich immer wusste, dass es eine Lüge war, gelang es mir nicht, das Angebot abzulehnen. Stattdessen bestieg ich durch eine unsichtbare Kraft, die mich dazu drängte, den Rücken des Wesens, dass mich - erst einmal aufgestiegen - schliesslich doch in die Tiefe des Gewässers zog, um mich darin zu ertränken.

Erinnerungen wie diese war es, die auf meinem Körper verewigt wurden. Doch auch Symbole, die für mein Wesen standen. Drei goldene Münzen mit dem Abbild einer stilisierten Frau, die für Fortuna standen, die Macht, an der ich glaubte.
Eine nackte Sirene mit prallen Brüsten, die sich über die komplette Aussenseite meines Beines erstreckte und an die erste Begegnung mit diesen fürchterlichen Wesen erinnerte, aber gleichermassen ein Symbol für den Glauben an ‘Seemannsgarn’ darstellte - oder ‘Aberglauben’, wie die Landratten dazu sagten.
Eine Schlange, die sich gegenüber des Piratenbrandmals an meinem Hals entlang schlängelte und die Giftzähne in diesen hinein gedrückt hält. Stellvertretend für mein Lebensstil, der so tödlich wie das Gift einer Schlange ist.
Gebrochene Kettenglieder an beiden Handgelenken, die mich an meine Gefangenschaft erinnerten, si gar der Schriftzug "Venicia" prangte unterhalb meines Herzens auf der Brust.
Viele weitere Hautbilder fanden dazu, wandelten mich zu einem lebenden Kunstwerk und zwangen mich dazu, auf der Isla zu verweilen, bis ich endlich auch das letzte Schmuckstück fertigen liess und, nach einer Zeit der Genesung, den Weg nach La Cabeza angetreten hatte.


~•°•~
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Rhena Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 07 Mai 2022 10:04    Titel:
Antworten mit Zitat

löschen

Zuletzt bearbeitet von Rhena Barasthan am 07 Mai 2022 10:05, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Shinaa Dedalera





 Beitrag Verfasst am: 08 Mai 2022 09:31    Titel:
Antworten mit Zitat

~•~

» Keiner der "Fünf" «


Recht zügig hatten meine Füße mich zu Minfays gebracht, angetrieben vom schmerzhaft pochendem Muskel in meiner Brust. Vielleicht war die Tatsache, dass ich zwei Jahre in Monotonie verbracht hatte der Grund dafür, das es sich so viel überwältigender anfühlte. Als würde mit jedem Schlag ein wenig mehr des hartnäckigen und doch so tröstenden Rost von ihm abfallen und die Umarmung der Taubheit sich langsam lösen.
Ich betrat Minfays und ließ meinen Blick fast ein wenig gehetzt direkt durch den Schankraum gleiten, obwohl ich mich bemühte äußerlich ruhig zu bleiben, um keinen unnötigen Verdacht zu erregen. Ich suchte nach einem Hinweis und ich fand ihn schließlich.

Der Kerl der dort an der Bar saß, wurde geradezu von den Mädchen umschwärmt, als erhofften sie sich alle ein paar Münzen aus seiner Tasche ziehen zu können und das Schimmern der goldenen Kette, welche im schummrigen Kerzenlicht, in seinem Nacken zu erkennen war, war wie eine unheilvolle Bestätigung für mich. Das war keiner der Fünf. Er musste sich nicht zu mir drehen, damit ich das erkennen konnte. Vom Körperbau, bis zur Haltung und letztendlich das Haar und die Körperbilder auf den Armen – nein, keinen den ich kannte.

Enttäuschung rauschte im ersten Moment wie ein Eimer eiskaltes Wasser über meinen Nacken und den Rücken hinab und ließ mich verharren. Erstarrt verweilte ich im Eingangsbereich, ehe ich diesen Funken an Emotionen wieder hinunter gekämpft hatte, um meine Handlung unter Kontrolle zu bringen. In einer raschen Bewegung löste ich mein eigenes Amulett, verstaute es in meiner Tasche, damit ich schließlich auf ihn zuhalten konnte.
Er trug eines dieser typischen cremefarbenen, alten Segeltuchhemden, welches selbst jetzt in der frühen Abendstunde noch halb am Körper klebte und nicht mehr viel der kräftigen Statur der Illusion überließ. Ein Stirnband hielt die teilweise strähnigen, dunkelbraunen Haare zusammen und soweit ich erkennen konnte, formte ein mehr ungepflegter Vollbart das Gesicht. Es brauchte keinen zweiten Blick um zu wissen, dass das kein Händler oder dergleichen war, sondern der Kerl sein Gold mit umtriebigeren Methoden verdiente.

Beim Tresen angekommen, ließ ich mich langsam neben ihm auf einem der Hocker nieder - ich wollte jedoch vorerst keine Aufmerksamkeit erregen und so wandte ich mich auch schlicht dem Mädchen hinter diesem zu, damit sie mir einen Rum geben konnte. Aus den Augenwinkeln nahm ich jedoch den Fremden weiter wahr und es fühlte sich sich an, als würde mit jedem Moment mir der Hals schmerzhaft zugezogen werden. Er hatte einen Glimmstängel zwischen seine Lippen geklemmt und in seiner linken Hand ruhte eine Rumflasche – doch das was mich interessierte hing um seinen Hals. Das altgoldene, antike Amulett mit dem schimmernden, gravierten Smaragd in der Mitte, welcher vom Wasserdrachen Vincenzos umrundet wurde. Francescos Amulett. Der Quartiermeister.

Wut schwappte in mir herauf, brannte sich durch meine Adern und die Muskeln, brachten meine Hände kurz zum Krampfen – es war schwer mit diesen Gefühlen umzugehen, die ich normalerweise all die Zeit mit Alkohol betäubt gehalten hatte. Es gab nicht viele Möglichkeiten wie dieser Fremde an das Amulett gekommen war und jeder dieser Möglichkeiten machte ihm zum Feind. Ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, wurde ich durch das Geräusch der Rumflasche aus den Gedanken gerissen, welche mir das Mädchen hinstellte.


» Gracias «

Nuschelte ich aus den Gedanken gerissen und nun, da mein Fokus nicht mehr auf der Brust des Kerles klebte, merkte ich auch, dass er mich registriert hatte. Ich nahm den Blickkontakt auf und bereute es sofort, denn ich fühlte das Zucken in den mittlerweile wieder entspannten Händen – ich hätte ihm am liebsten direkt in seine breit grinsende Mimik geschlagen.
Seine Augen erinnerten mich an das unnatürlich wirkende Grün tropischer Meere und die Gischt, die an deren Riffen zu finden war - eine merkwürdige Farbe, die ich nicht zuordnen konnte. Schwerfällig schaffte ich es den Blick kommentarlos von ihm zu lösen und mein Inneres zu besänftigen, ich musste die inneren Wellen erst unter Kontrolle bringen, ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, wie ich vorgehen würde. Es war zwei Jahre her, dass ich meine Crew... meine Familie verloren hatte und es fühlte sich an, als wäre seither kaum ein Wochenlauf vergangen. Als hätte der Anblick des Amuletts die alten Wunden wieder aufgerissen und den Damm durchbrochen, der all die Gefühle versiegelt hatte.

Ich vernahm das amüsierte Schnaufen des Kerles, offenbar hatte er mein Starren anders interpretiert und nach einem erneuten Seitenblick nahm ich den Ausdruck in seinem Gesicht wahr, welches viele Männer ihr eigen nannten, wenn sie glaubten eine schöne Nacht verbringen zu können.
Nachdenklich starrte ich auf meine Rumflasche, schwenkte jene ein wenig hin und her, ehe ich zu seiner blickte, die so ziemlich leer wirkte. Es war die einfachste Methode um ihn das Amulett abzunehmen und eine Methode, die ich schon unzählige Male angewandt hatte. Die Fingerhutblüten unter meiner Brust waren ein stummer Nachweis für meine Handlungen.
Ein Opfer. Eine Blüte.
Es wäre lediglich eine weitere Blüte und das Amulett würde in meiner Verwahrung sein. Das ist vielleicht Informationen aus ihn herausbekommen könnte, daran dachte ich in diesem Moment nicht - alles was ich wollte, war das Amulett und den Tod des Kerles.

Erneut lenkte ich meinen Blick zur Seite, um ihn zu betrachten und mir einen Bild davon zu machen, was auf mich zukommen würde. Auch wenn er saß, so kam er mir riesig vor, ein Bär von einem Mann und so wie ich seine Brust und seine Arme einschätzte, hätte er mich vermutlich mit einer bloßen Umarmung zerquetschen können. Nichts, was ein wenig Gift nicht erledigen könnte und so war der Entschluss gefasst. Ich drehte mich auf dem Hocker leicht in seine Richtung, um ihn nochmal genauer, gespielt interessiert, in Augenschein zu nehmen. Er registrierte das und ahmte meine Haltung nach. Da schwappte ein Fünkchen alter, fast vergessener Routine in meinem Inneren herauf und für einen winzigen Moment fühlte ich mich wieder verloren.


»Anstreng'nden Tag gehabt, chica?«

Seine Stimme hatte diesen tiefen rauchigen, fast kratzigen Unterton, den man von jemanden erwarten würde, der öfters Mal zu einem Glimmstängel und reichlich Alkohol griff. Es erinnerte mich aber irgendwie auch an das Dröhnen eines Tropensturmes, es erinnerte mich an Gefahr und ließ mir die Nackenhaare zu Berge stehen – der lauernde Blick seinerseits verstärkte dieses ungute Gefühl, doch es ließ mich auch irgendwie lebendig fühlen... im Angesicht der Gefahr.
Ich spielte ein schiefes Grinsen auf mein Gesicht und widmete dem Kerl einen amüsierten Blick – die Aufregung konnte ich nicht gänzlich verbergen, doch woher sollte er wissen, dass jene einen gänzlich anderen Ursprung hatte, als das, was er sich vermutlich dachte?


»No, 's gab heut' kaum Arbeit. Bin frisch und munter.«

Ich zwinkerte ihm entgegen und vollführte einen kleinen Biss auf meine Unterlippe - seine Augen klebten auf dieser Geste, ehe ich die Rumflasche wieder anhob und die andere Schulter so hängen ließ, dass das lockere Hemdchen ungehindert über die Schulter hinabrutschen konnte. Auch dort schlenkerte sein Blick hin – so berechenbar. Einen Schluck vom Rum später und ich stellte die Flasche wieder ab, während mein Sturmgrau mit gespielter Interesse an seinen Bewegungen klebte. Ein kleines, verschmitztes Grinsen formte sich auf den Lippen des Kerles, welches ich unter anderen Umständen vermutlich sogar gemocht hätte – etwas von Freiheit klebte daran. Er neigte seinen Körper ein wenig in meine Richtung und wieder vernahm ich die sturmgleiche Stimme.

»'S könnt' ich ändern.«

Oh por favor. Das war zu einfach. Ich musste mir verkneifen ihm einen vorwurfsvollen Blick zu widmen, stattdessen Biss ich mir wie ein kleines Mädchen wieder auf die Unterlippe um kurz darauf wieder, als würde ich versuchen etwas zu verstecken, vom Rum trank. Ich versuchte es noch einen Moment hinauszuzögern, ich wollte kein Misstrauen schüren, aber vermutlich hielt er sich sowieso für einen tollen Kerl, dem die Weiber zu Füßen lagen. Unausstehlich, es schürte ein Gefühl von Ablehnung in meinem Inneren... diese Selbstverliebtheit. Es machte mich wütend. Er machte mich wütend.

»Bien... geh hoch' auf ein's der Zimmer und ich komm mit'n bissch'n mehr Rum nach, mhm?«

Ein kleines Klimpern mit dem Wimpern, während das Sturmgrau meiner Augen auf ihm ruhte – ich sah das triumphale Flackern in seinen sonderbaren Augen. Mit einem Lachen, welches seine breite Brust zum Vibrieren brachte drückte er sich auf und machte mir nochmal deutlich WIE groß er eigentlich war – unter anderen Umständen wäre es einschüchtern gewesen. Ich schenkte ihm ein verheißungsvolles Lächeln und sah ihm nach, wie er mit Minfays redete – diese widmete mir einen etwas längeren, mehr unbegeisterten Blick und ich gab nur ein Nicken von mir. Das würde mich wieder kosten. Der Kerl verschwand schließlich in das obere Stockwerk und ich vernahm das Knarzen des Holzes unter seinem Gewicht. Ein kleiner Schauer jagte über meinen Rücken, als das Adrenalin sich nach und nach bemerkbarer machte.

Ich ließ mir vom Mädchen hinterm Tresen noch eine Rumflasche geben und drückte ich mich auf um ebenso in das Obergeschoss zu verschwinden. Ich hielt jedoch im Flur inne und öffnete die Flasche, stellte sie auf einem kleinen Schränkchen ab und kramte in meiner Tasche nach etwas, was mich schon seit Jahren begleitete. Ein schlanke Phiole mit dem Bild einer Fingerhutblüte auf dem Glas, deren Inhalt ich in seine zukünftige Flasche goss. Ich hatte keinerlei Zweifel, über das, was ich im Begriff war zu tun.
Nur ein weiteres Opfer von Dedalera.
Nur eine weitere Blüte auf meiner Haut.
Der Kerl hatte es verdient.

Ich betrat das Zimmer und geriet für einen kleinen Moment ins Stocken. Der Kerl stand am geöffnete Fenster, den Rest des Glimmstängels noch rauchend zwischen den Lippen, das Hemd und die Stiefel bereits ausgezogen. Es war schummrig im Räumchen, welches nur durch eine kleine Öllampe erhellt wurde und dennoch konnte ich die Konturen seines Körpers deutlich erkennen. Jeden einzelnen Muskelstrang, der durch das schattenhafte Licht hervorgehoben wurde und auch jede Narbe die seinen Rücken zierte und davon erzählte, dass er einiges erlebt haben musste.
Als er sich mir zudrehte und ich das Amulett im Licht schimmern sah, welches nach wie vor um seinen Hals baumelte, erwachte mein Körper jedoch wieder und erneut fühlte ich das drückende Gefühl in meiner Herzgegend, geboren aus Zorn und Verachtung.
Wieder zeichnete sich ein breites, schelmisches Grinsen auf seinem Gesicht ab, vermutlich nahm er mein Stocken war und so warf ich ihm nur ein schiefes Lächeln zu.


»Hat's dir die Sprache verschlag'n chica?«

Mir fielen in dem Moment zahlreiche Beleidigungen ein, die ich ihm am liebsten an den Kopf geworfen hätte, doch beließ ich es bei einem breiter werdenden Lächeln, während ich DIE Rumflasche seines Schicksals anhob.

»No, aber darf ich nich' ein wenig den Anblick genieß'n, ehe wir uns zwisch'n den Lak'n verirr'n?«

Das raue Lachen entwich wieder seiner Kehle während er den Rest vom Glimmstängel aus dem Fenster schnippte und schließlich die Hand in einer auffordernden Geste gleich in meine Richtung ausstreckte. Ich musste mir einen innerlichen Arschtritt geben um mich in Bewegung zu setzen, als müsste ich mich erst selber überreden. Es war die einfachste Methode, der Kerl war ein Bär und ohne Zweifel weitaus stärker als ich, selbst dann, wenn ich nicht zwei Jahre vegetiert hätte.
So ging ich schließlich auf ihn zu und überreichte ihm die verhängnisvolle Rumflasche, doch schlang er seinen anderen Arm direkt um meine Taille und nun, da ich so vor ihm stand, wurde mir erneut bewusst, wie klein ich eigentlich war. Ich musste den Kopf in meinen Nacken legen, um hinauf zu seiner Mimik schauen zu können, während er die ersten Schlücke vom vergifteten Rum nahm.

Gut so. Trink schön aus.

Ich selber stellte meine Rumflasche ab um mit den Fingern über seine Brust zu streichen – vielleicht war das eine Geste geboren aus einem unterbewussten Drang, vielleicht nur um keinen Verdacht zu erregen – nach den Jahren redete ich mir ein, es war Letzteres. Abgelenkt blieb mein Blick am Brandmal auf dem Hals hängen, was meine Vermutung über seine Herkunft bestätigt. Einer von 'uns' und doch der Feind. Das machte es nicht unbedingt leichter und ließ kurz etwas wie Melancholie in mir aufflackern... aber spätestens der Anblick des Amuletts wischte die Zweifel wieder hinweg. Er war eindeutig der Feind.

Ich spürte wie die rauen Hände sich unter mein Hemd schummelten und über die nackte Haut dort strichen, teilweise drängten die Finger sich unter den Hosenbund. Ein Gefühl welches ich unter anderen Umständen genossen hätte, doch das Amulett vor meinen Augen erinnerte mich stets daran, wer dort seine Hände hatte und für den Moment eines Herzschlages war da das Bedürfnis ihn von mir zu drücken – ich widerstand jedoch und hielt mir meinen Plan vor Augen.
Bei seiner Größe würde es ein wenig dauern bis das Gift anschlagen würde, doch ehe ich mir weiter darüber Gedanken machen konnte, spürte ich die Bewegung seines Körpers, als er mich mit sich zog. Es steckte eine Bestimmtheit in seinen Bewegungen, etwas was keinen Zweifel aufkommen ließ, dass er genau wusste, was er wollte und doch war da auch eine gewisse unterschwellige Sanftheit dahinter. Das irritierte mich ehrlicherweise, ich hatte mit mehr Grobheit und Stumpfsinn gerechnet.

Wir kamen am Bett an und ich bugsierte ihn entsprechend, dass ich mich auf ihn setzen konnte – das war einfacher, wenn er umkippen würde, am Ende würde ich Opfer eines Fleischberges werden.
Wir saßen aufrecht, seine Hände hatten sich derweil deutlicher in die Haut an meiner Taille gedrückt, erweckten gar den Eindruck, als hätte er nicht vor, mich so schnell wieder gehen zu lassen und ich spürte die Lippen an meinem Hals – rau und doch weich. Wild und doch sanft. Die Nähe brachte den Geruch von Salz, Schießpulver und Tabak in meine Nase, gepaart mit dem Rum. Ich konnte den kleinen Schauer nicht unterdrücken, was mir bewusst machte, das es mir gefiel, auch wenn mich das zeitgleich wieder wütend machte. Meine Brust zog sich schmerzhaft zusammen, ein drückendes Gefühl machte sich in meiner Kehle breit und es machte mich noch zorniger, dass ich nicht gänzlich bei der Sache bleiben konnte. Meine Hände hatten sich derweil in das dichte Haar gegraben, als hätte ich für einen kurzen Moment die Kontrolle verloren oder als hätte ich ein Ventil für diesen Zorn gebraucht – er interpretierte es vermutlich anders. Wieder wallten die Wellen hinauf und ließen in mir das Verlangen aufkommen ihn von mir zu weisen.

Kontrolle.
Das Gift würde bald wirken.
Hoffentlich.


Die Nähe seines Körpers machte mich nervös, brachte meine Gedanken durcheinander, verdrängten die Taubheit der letzten zwei Jahresläufe. Da war wieder der Funke von Lebendigkeit. Die groben Hände des Kerles wanderten höher, strichen mir das Hemd über den Kopf und den Moment nutzte er um mir ein breites, verschmitztes Grinsen zu widmen – ich konnte nicht anders als es zu erwidern... und mich dafür zu hassen. Da keimte eine gewisse Übelkeit in meiner Magengegend heraus, gepaart mit diesem Funken von Leben und Freiheit, den ich lang nicht gefühlt hatte. Als würde mein Körper sich weigern, wieder so zu empfinden. Nicht bei ihm.

Bald würde es vorbei sein.
Das Gift würde wirken.


Ich spürte den Blick seiner merkwürdigen Augen an meinem Körper entlang streichen, bis er seinen, in Vergleich zu meinem, massigen Körper vorlehnte um mit den Lippen die meinen zu suchen. Dieser so leidenschaftliche Kuss löste erneut unruhige Wellen in meinem Inneren aus, die begleitet wurden von Verwirrung und Sehnsucht. Erneut verspürte ich den Muskel in meiner Brust in schmerzhafter Natur, als wäre jedes Gefühl in meinem Inneren, ein Gefühl zu viel. Während die Körper sich aneinander drückten, als wäre da eine surreale Verbindung die keinen Abstand zuließ, spürte ich das Räkeln und Zappeln in seinen Leib, als er die Absicht hatte die Hose hinunter zu schieben. Die Hitze kroch durch meine Adern hinauf, aber diesmal war es keine Wut – nicht nur.

Das Gift würde bald wirken.
Hoffentlich... nicht zu bald.


Seiner Berührungen, egal ob jener dieser rauen Hände oder der verwirrenden Lippen, waren im Begriff mein eigenes Vorhaben aus meinen Gedanken zu drängen, ehe ich unter meinen Händen fühlte wie ein Zittern durch seinen Körper ging.
Das Zittern und das anschließende Krampfen brachte wieder Klarheit in meine Gedanken und rasch zog ich mich zurück, löste mich von diesem Tod geweihten Körper. Noch immer schlug mir das Herz schmerzhaft in der Brust, spülte die Lebendigkeit durch meine Adern und ich brauchte einen Moment um meine Gedanken zu klären.

Das Gift wirkte.
Es wirkte jedes mal.


Ich beobachtete den Vorgang seines Todeskampfes noch einen Augenblick mit einem aufgewühlten Inneren und die kühle Meeresbrise die durch das offene Fenster meine nackten Schultern strich brachte mich zum Zittern. Ich schnappte mir mein Hemd, warf es über und verschwendete keine Zeit mehr. Das Amulett nahm ich an mich und widmete seinem nackten und krampfenden Körper noch einen letzten Blick. Ich nahm den seinen war - Wut, rasende Wut, aber das würde ihm nicht mehr viel bringen.

Es war geschafft.
Kräftig schlossen meine Finger sich um das Smaragdamulett und ein tiefer Atemzug klärte meine Gedanken, damit ich mich auf den Weg zurück in die Werft machen konnte.


~•~
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Drystan Verano





 Beitrag Verfasst am: 08 Mai 2022 19:37    Titel:
Antworten mit Zitat

~•°•~

» Der Geschmack von Fingerhut auf den Lippen «

Endlich, nach einer Durststrecke von etwas über vier Wochenläufen war es uns gelungen, ein alumenisches Handelsschiff zu kapern. Wir hatten die Hoffnung schon fast verloren, als uns Fortuna mit ihrem Glück beschenkte und vom Ausguck herunter geschrien wurde, dass am Horizont Segeln zu sehen waren. Unser Capitano liess sich das nicht zwei mal sagen und binnen weniger Sekunden wurden Befehle über das Deck gerufen und die Mannschaft machte sich daran, Segeln zu setzen und den Kurs zu wechseln. Die Kerle rannten umher, kletterten an den Seilen hoch um die Knoten zu lösen und die Laken zu befreien, sodass wir wenige Augenblicke später mit voller Geschwindigkeit auf das Schiff hinzu segelten.
Wir hatten unsere Flagge zuvor abgenommen, um nicht erkannt zu werden. So konnten wir uns dem Handelsschiff nähern, ohne dass sie panisch den Kurs wechselten. Doch dann, kurz bevor der Punkt erreicht war, an dem die beiden Schiffe aneinander vorbeisegelten, hissten wir unsere Flagge. Ein Totenkopf mit gekreuzten Segeln, aus dessen Augenhöhlen Blut floss, auf schwarzem Grund. Dieser Überraschungsmoment reichte aus, um der Mannschaft des Handelsschiff Angst zu bereiten und das Schiff ohne Gegenwehr zu kapern. Oh, wie ich solche ereignislosen Momente hasste. Doch so sehr ich den Geruch von Schwefel in der Luft liebte und es genoss, meine Schiesskünste zu üben, musste man noch immer an die Ware denken. Denn was nützte uns ein Schiff voller Reichtümer, wenn es sank?
Mit diesem Fang hat die Crew jedenfalls allen Grund zu feiern. Denn das Gold aus dem Erlös des Verkaufs wurde gerecht unterhalb der Mannschaft verteilt. Naja, zumindest wurden wir ausreichend bezahlt, damit niemand einen Gedanken an eine Meuterei verschwand.

Wir ankerten in der Bucht einer bekannten Insel. ‘La Cabeza’ wurde sie genannt. Eine Insel südlich der Hauptstädte der beiden verfeindeten Grossmächte, die in einem ewig währendem Krieg um die Herrschaft kämpften. Es handelte sich um eine Tropeninsel, wie ich es aus meiner Heimat kannte. Das Wasser besass einem atemberaubendem pastellblauen Farbton und war so klar, dass man die kleinen Korallenriffe inmitten der Steine und Pflanzen erkennen konnte, ohne unter die Oberfläche tauchen zu müssen.
Da stand ich nun im Hafen der Insel La Cabeza. Dem Namen alle Ehre machend, erstreckte sich zu meinen Füssen das Bildnis eines Totenkopfes, das in das Holz der Hafenanlage eingebrannt wurde und jedem Besucher vor Augen führte, dass sie die Heimat vieler Gesetzloser und Freiheitssuchenden betreten hatten.
Mein Blick strich über den Platz, fixierte den Unterstand des Hafenmeisters und fuhr dann direkt weiter zu dem Freudenhaus von ‘Madame Minfay’, ein “Etablissement”, von dem viele Kerle aus meiner Crew schwärmten. Ich wusste, dass ich später dorthin gehen würde, nahm mir aber noch die Zeit, den Rest der Insel zu erkundigen.
Die vielen Arbeiter, die durch den Hafen schritten, Fracht von einem Punkt zum anderen verschoben, die Händler, die Interessenten Honigs ums Maul schmierten, um sie von den waren zu begeistern, die Musik, die aus der Taverne nach draussen floh - das alles erinnerte mich an meine Heimat, die ich vor wenigen Wochenläufen erst verliess. Hätte ich es nicht besser gewusst, wäre mir der Gedanke gekommen, dass ich Nuevo Refugio nie verliess.
Ich besuchte den Leuchtturm mit dem grünen Feuer, den ich das letzte mal nur aus der Ferne beobachten konnte und näherte mich, um einen besseren Blick darauf werfen zu können. Dabei stiefelte ich an einer Gruppe von Kerlen und Weibern vorbei, die an einer Art Strandbar rasteten und sich dem verführerischen Geschmack von Rum hingaben. Zwei, drei von ihnen blickten mich abschätzend ab, ignorierten mich darüber hinaus aber - so, wie ich es mit ihnen tat.
Nach einem letzten Spaziergang durch das Dickicht des Dschungels in Begleitung eines Farmers, der mich zu den Tabak- und Wildkrautplantagen führte, um mich den örtlichen Luxusgütern näherzubringen, trat ich den Weg zu Minfays an.

Mit Vorfreude betrat ich Minfays Taverne und wurde direkt von lasziv tanzenden Weibern begrüsst, die meine Aufmerksamkeit erhaschten. Ein Biss auf die Unterlippe hier, ein gekonntes Kreisen der Hüfte und Räkeln des Körpers da und einem Blick, dem selbst Götter nicht widerstehen konnten und schon fühlte ich mich wie zuhause. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Weiber mich, in der Hoffnung, mein ehrlich verdientes Gold aus den Taschen zu ziehen, umkreisten und umgarnten. Sanfte Berührungen derer Hände, die sich einladend über meine Schultern, Arme, Rücken und gar den Oberschenkel bewegten und ein Kribbeln hervorrufte, dass mir wieder in Erinnerung brachte, wie lange ich doch auf der See war. Fernab von Weibern, die mein Bedürfnis nach körperlicher Nähe hätten stillen können.
Schwermütig löste ich meinen Blick von den Tänzerinnen und begab mich zum Tresen. Mein Hals brannte wie verrückt und es war Zeit, meine Sehnsucht mit einer überteuerten Flasche Rum zu stillen. Eines der Mädchen, die mich belagerte, Monique lautete ihr Name, trat näher an mich heran und liess ihre feingliedrigen Finger in einer hauchzarten Berührung über das Brandmal an meinem Hals streichen. Eine kleine Gänsehaut breitete sich auf der Haut aus und ich erkannte in ihrem Blick, dass sie dies registriert hatte. Sie schenkte mir ein verschmitztes Lächeln und lehnte sich wissentlich so vor, dass sich ihr üppiges Dekolletee mir aus nächster Nähe präsentieren konnte. Ein wohlwollender Laut entwich mir und damit erntete sie für den Moment meine volle Aufmerksamkeit, während ich ihre weiblichen Rundungen bewunderte. Mit ihrer süsslichen, doch weiblichen Stimme fuhr sie mit ihren Lippen zu meinem Ohr und berührte dabei flüchtig das Ohrläppchen, als sie raunend ihre Stimme erhob, die mich gar kurz vergessen liess, wie absurd ihr Spruch eigentlich war.

»Na Süsser, für ein paar Münzen kann ich dir den Himmel zeigen«
Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass sich trotz allem da nicht etwas geregt hätte. Voller Erheiterung, die mich aber aus dem Konzept riss und jegliches Verlangen für den Moment erstickte, widmete ich ihr ein schiefes Grinsen und vertröstete sie mit einem »Später, Chica«, der begleitet wurde von einem ordentlichen Griff an ihrem Hintern. Man sah die Flammen ihres cabezianischen Blutes förmlich in den Iriden der augenscheinlich temperamentvollen Inselbewohnerin aufflackern, als ich mich ohne dafür zu bezahlen an ihr vergriff. Doch ihre Arbeit wies sie dazu an, mir ein Lächeln zu schenken, bevor sie sich mit einem Schnaufen abwandte.

Die nächste Stunde verbrachte ich dabei, eine Hand voll Köstlichkeiten zu verspeisen, meine Geschmacksbänder durch den rauchigen Rum, den man mir gab, voll Freude erquicken zu lassen, den Anblick, der sich mir durch die Mädchen bot, zu geniessen und meinen Körper mit einem richtigen, cabezianischen Glimmstängel zu beruhigen. Hier und da widmete ich den Mädchen noch ein paar Worte, tauschte Küsse aus oder winkte lediglich ab, wenn die Weiber nich meinem Geschmack entsprachen.
Meine Ruhe wurde dann jedoch jäh unterbrochen, als mich das Knarzen des Stuhles zu meiner Linken aus den Gedanken riss.
Ein wallendes Meer aus silbernen Strähnen empfing meine Iriden bis zu dem Moment, wo mein Meeresgrün ihr Antlitz flüchtig ausfindig gemacht hatten. Zu meinem Pech wandte sie sich jedoch in dem Augenblick dem Barmädchen zu und bestellte sich einen Rum. Doch diese Gelegenheit nutzte ich, um sie genauer zu inspizieren - nicht, dass es mich gestört hätte, wenn sie mich dabei erwischt hätte.
Zugegebenermassen sprach mich ihr schlanker Körperbau mit den eher mageren Rundungen im ersten Moment wenig an, mag ich es doch, wenn meine Hände etwas zu packen haben. Dann wandte sie ihr Gesicht wieder meinem zu. Diese geschwungenen Lippen, die Art wie sie mich anstarrte. Ihr Haar, dass sie mit einer raschen Handgeste hinter ihre Ohren schob. Si, mir gefiel, was meine Augen da sahen. Sehr. Und so, wie sie mich mit ihren gewittergrauen Augen - die mich regelrecht wie von Magie erfasst in den Bann zogen - auszog, musste sie gleiches von mir gedacht haben. Ich konnte nicht anders, als bei diesem Anblick zu grinsen und beobachtete sie mit einem erheiterten Laut dabei, wie sie ihre Rumflasche nachdenklich betrachtete.

»Anstreng’nden Tag gehabt, chica?« Erhob ich meine rauchige und kratzige Stimme, die im gleichen Moment den Qualm über die Lippen gleiten liess, der zuvor noch durch einen Zug von meinem Glimmstängel in der Lunge zirkulierte.

»No, ‘s gab heut’ kaum Arbeit. Bin frisch und munter« erwiderte sie mit einem Zwinkern und bis sich im Anschluss auf ihre Unterlippen.

Der unerwartete Biss auf ihrer Unterlippe brachte mich aus dem Konzept. Eine Geste, die meine Augen direkt auffingen und mich instinktiv die Luft scharf durch die Lippen einziehen liess. Oh, dios mio, wie ich es liebe, wenn Weiber das tun.

»Bien… geh hoch auf ein’s der Zimmer und ich komm mit’n bissch’n mehr Rum nach, mhm?« Sie klimperte mit den Wimpern und widmete mir ein verheissungsvolles Lächeln, dass mich davon überzeugte, was für ein mierda Glückspilz ich war. Denn sie schien wie ich direkt zur Sache gehen zu wollen und wusste offenbar, wie sie Kerle wie mich um den Finger wickeln konnte. Ich spürte bereits die Hitze in meinem Körper vor Vorfreude steigen und drückte mich von meinem Sitzplatz hoch, um der Dame des Hauses einige Münzen zu reichen und Worte mit ihr auszutauschen, bevor mein Weg mich in das obere Stockweg führte.

Die Zimmer in Minfays Freudenhaus waren eher zweckmässig. Man merkte sofort, dass sie nur für eine Runde Spass gedacht waren und nicht den Gedanken oder Wunsch wecken sollten, die Nacht dort zu verbringen. Das war mir aber recht, für mehr war ich ohnehin nicht da. Während die Silberhaarige noch den versprochenen Rum besorgte, nutzte ich die Zeit, mich auf sie vorzubereiten… und noch wichtiger, den Glimmstängel zu Ende zu rauchen. Der Blick meiner meergrünen Augen schweifte hinaus auf den Marktplatz neben dem Freudenhaus, wo sich die Weiber um das billigste Obst stritten und ihre Hände fliegen liessen. Die meisten hätten solch einen Ort als primitiv und wild bezeichnet, ich aber liebte es. Nirgendswo spürte man die Freiheit besser, wie auf solchen Inseln.

Die Schritte des silberhaarigen Leichtgewichts waren kaum zu hören, als sie das Zimmer betracht. Abgelenkt löste ich den Blick von der Aussenwelt und wandte mich dem Weib zu, mit dem ich die nächsten Stunden verbringen wollte. Meine Fingerspitzen kribbelten bereits, verlangten nach der fleischlichen Berührung.

»Hat’s dir die Sprache verschlag’n, chica?« Sie stand im ersten Moment beinahe regungslos da und starrte mich an, als habe sie das Ganze nochmal überdenken wollen. Doch ich war ehrgeizig und hatte mir ein Ziel gesetzt, dass ich nun nicht mehr loslassen wollte.

»No, aber darf ich nich’ ein wenig den Anblick geniess’n, ehe wir uns zwisch’n den Lak’n verirr’n?« Ihre Worte entlockten mir ein Lachen, war es doch nicht das erste mal, dass ich das gefragt wurde. Ich schnippte meinen Glimmstängel achtlos aus dem Fenster und streckte dann meine Pranken nach ihr aus.
Meinen Plan vereitelnd, drückte sie mir aber die versprochene Rumflasche in die Rechte. Doch ich wollte ihr zeigen, dass sie es war, nach der ich mich sehnte und schlang den freien kräftigen Arm um ihre Hüfte, um die Nähe zu ihrem Leib aufzubauen. Kein Abstand sollte unsere Leiber trennen.
Einen Schluck - gut, es waren mehrere - genehmigte ich mich noch aus der Flasche, ehe ich diese beiseite stellte, um dem Weib meine volle Aufmerksamkeit zu widmen. Langsam begann ich damit ihren Körper mit meinen Pranken auszukundschaften. Die Berührungen waren bestimmt, doch steckte eine gewisse Sanftheit dahinter, geboren aus dem Wissen, dass ich ein weibliches Geschöpf vor mir stehen hatte. Die rauen Fingerkuppen strichen über die Haut an ihrem Lendenwirbel, als ich diese unter das Hemd führte. Sie folgten den natürlichen Muskelverläufen und schummelten sich in einer ungeduldigen Geste teilweise in ihren Hosenbund.

Mit einem geniesserischen Laut schmiegte ich mich ihren Berührungen an meiner Brust an, während ich meinen Plan änderte und sie ruckartig und doch vorsichtig mit mir zum Bett zog. Das Klopfen in meiner Brust wurde immer deutlicher, schneller und ich spürte, wie die Hitze sich in all den Fasern meines Körpers ausbreitete. Ihr Duft drang in meine Nase, eine Mischung aus verschiedenen Hölzern und Harzen, der Geruch der Insel, benebelnd.
Ehe ich meinen nächsten Zug in den Gedanken planen konnte, bugsierte sie mich bereits auf das Bett und setzte sich auf mich. Auch wenn ich über eine dominante Ader verfügte, wuchs mein Begehren durch ihre Handlung weiter an, die mir aufzeigte, dass sie es genauso wollte, wie ich es tat. Ich spürte, wie ihre Geste und das Wissen, dass damit in Verbindung stand, mein Schritt erregte und Wohlwollen in mir aufkommen liess.
Meine Finger krallten sich mit spürbarem Druck in die Haut an ihrer Hüfte. Sie sollte sich nicht mehr entfernen. In meiner Vorstellung sah ich sie bereits, wie sie sich stöhnend und seufzend auf meinem Schoss räkelte und dafür sorgte, dass mein Verstand verschwomm und der Instinkt die Kontrolle über unsere Leiber übernahm. Angetrieben durch diesen Gedanken, richtete ich meinen Kopf auf, um meine warmen Lippen zu ihrem Hals zu führen. Rau und doch weich begann ich die Stelle mit leidenschaftlichen Küssen zu erforschen und erlaubte es mir zwischendurch, die Zähne sanft in die Haut zu drücken. Zärtliche, fast hauchzarte Küsse sollten die Bisse im Anschluss wiedergutmachen, die eine deutliche Gänsehaut hinterliessen und sicherlich auch ihren Leib markiert hätten, hätte ich mich nicht ein Stück weit zurückgehalten.

Die Finger der rechten Pranke fühlten den Schauer, der einer Welle gleich über ihren Körper glitt und erneut eine Gänsehaut abbildete, als ich sie kurz über ihren Rücken hinauf gleiten liess. Ein weiteres Zeichen, dass sie mindestens genauso viel Gefallen daran haben musste. Ihre Finger gruben sich derweil in mein dichtes, dunkles Haar und sie machte den Eindruck, als hätte der Moment der Zweisamkeit sie bereits so übernommen, dass sie sich mitreissen liess.
Mir ging es nicht anders. Mein Begehren erreichte den Punkt, an dem ich nicht weiter warten wollte. Die Pranken griffen nach ihrem Hemdsaum und zogen es in einer fliessenden Bewegung über ihren Kopf und entblössten damit ihre Brüste. Sie waren nicht sonderlich gross, aber auch nicht als klein zu bezeichnen und verfügten über feste Spitzen, die ich am liebsten direkt liebkost hätte. Für einen kurzen Moment liess ich mich von dem Hautbild eines Fingerhuts ablenken, dass unterhalb der linken Brust ihre Haut verzierte und sich in Verbindung mit diesem Abend in mein Gedächtnis einbrennen würde.
Sie erkannte in meiner Mimik, dass ich Gefallen daran haben musste und so verzogen sich unsere beiden Münder angesteckt zu einem kleinen Grinsen. Ich fühlte mich dadurch in meinem Tun bestätigt.

Seit ich sie zuvor das erste mal sah, wollte ich wissen, wie ihre Lippen schmecken. Unsere Gesichter näherten sich langsam, Stück für Stück. Die sexuelle Spannung konnte man in diesem Augenblick förmlich greifen, als die Lippen endlich zueinander gefunden hatten und sich in einem leidenschaftlichen Kuss miteinander versiegelten. Si, sie schmeckten süss und mit einer Note von Rum, den sie zuvor trank, ganz wie ich es mir vorgestellt hatte. Das entfachte das Feuer in meinem Inneren nur noch mehr, denn mein Verlangen nach ihrem Körper spiegelte sich in meinem gänzlich wieder, doch dann...stiess ein unvorstellbarer Schmerz durch meinen Magen. Unter Schmerzen ballten sich die Hände zu Fäusten. Meine Sicht verschwamm, die Geräusche gingen unter. Es ging alles so schnell, dass ich kaum begriff, was geschah. Das letzte, an dass ich mich erinnerte, bevor mein Bewusstsein sich verabschiedete war, wie diese mierda puta ihre Hand nach meinem Medallion ausgestreckt hatte und mich sterbend mit Halbmast auf dem Bett zurück liess.


~•°•~


Zuletzt bearbeitet von Drystan Verano am 09 Mai 2022 05:43, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Drystan Verano





 Beitrag Verfasst am: 09 Mai 2022 11:11    Titel:
Antworten mit Zitat

» Qualvolle Zeiten «

»Drystan, hör auf damit! Das kannst du hier nicht tun!« Die Worte hallten in einem missmutigen Ton in meinem Kopf wieder und doch war da ein erheiterter Klang, der in der sanften, weiblichen Stimme mit dem südländischen Akzent mitschwang. Der vorwurfsvolle Blick und das kleine Schmunzeln auf ihren Lippen, dass den Ausdruck entschärfte, brannte sich in mein Gedächtnis ein. Sie mochte es nicht, wenn ich in der Öffentlichkeit versuchte sie zu küssen, was dazu führte, dass ich mir nicht selten das Spässchen erlaubte, eben dies zu tun.
Ich ging in die Hocke, schlang meine Arme um ihren Hintern und hob sie mit einem Ruck hoch. Ein überraschter Laut entwich ihr, dicht gefolgt von einer sanften Ohrfeige, die sie mir als Reaktion darauf widmete. Doch wirklich sauer konnte sie mir nicht sein und so schob sie ihre Finger in mein ohnehin bereits zerzausten Schopf, um spielerisch an meinem Haar zu zupfen.

»Versuch mich doch davon abzuhalt’n, mi amor.« Der Schalk blitzte zusammen mit der Gischt in meinen meergrünen Iriden auf, während ich mich erdreistete, die Lippen nochmal zärtlich auf ihren Mundwinkel zu drücken. Sie blinzelte und sah sich in der näheren Umgebung nach den Menschen um, die an uns vorbeiliefen und uns flüchtig beobachteten. Ihre Wangen färbten sich in ein seichtes rot und sie hob die Hand erneut, um mir eine Ohrfeige zu verpassen, die ich mit einem schiefen Grinsen breitwillig empfing.

»Lass mich wieder runter, bevor ich dich noch erstech!« Ihr Blick glitt hinab zu ihrem Brustkorb, an dem ein Dolchhalter an einem ledernen Gurt befestigt war, bevor sie mir einen vielsagenden Blick widmete. Meine Mundwinkel zuckten in die Höhe, bildeten das matte Schmunzeln, dass ich mein Eigen nannte. Langsam führten uns meine Füsse einige Schritt weiter, wo ich sie auf einem kleinen Mauerwerk ablegte, welches zwei Plantagen voneinander trennte.

»Stell dich mal nich’ so an, Estrella. Wenn du mein bis’, will ich auch ‘was davon hab’n.« Sie kniff ihre Augen zusammen und starrte mich böse an, was nur wieder dazu führte, dass mein Brustkorb unter einem stummen Lachen zu vibrieren begann.
Ich betrachtete sie einen Augenblick abgelenkt, wie sie da auf der Mauer sass. Aschblondes, wallendes Haar, das ihr bis zum Lendenwirbel reichte und ihre Gesichtszüge umrahmte. Auch wenn ihr hübsches Antlitz eher rundlich war, verfügte sie doch über hohe Wangenknochen, die ihr etwas aristokratisches verliehen und von einem wachsamen, taubenblauem Augenpaar ergänzt wurde, dass einem freundlich entgegen blickte. Blasse Sommersprossen umgaben zudem die kleine Stupsnase, die über dem vollen und geschwungenen Lippenpaar thronten, nach denen ich mich so oft sehnte.
Ihr Körperwuchs war als eher klein zu bezeichnen, die Taille schmal. Dafür besass sie weibliche Rundungen und dazu figurbetonte, eng anliegende Kleidung, die diese nochmal deutlich hervorhoben. Die geschmeidigen Bewegungen rundeten das Bild des femininen und eleganten Weibes ab, die als »Schönste Perle der Isla« bekannt war. Eine junge Frau, die von Frauen beneidet und von Kerlen umgarnt wurde, die hofften mich verdrängen zu können.

»Si, ich bin dein und du bist mein.« Pflichtete sie mir mit einem kleinen, glücklichen Lächeln zu und streckte den Arm mit den gespreizten Finger ihrer rechten Hand aus, an dem der goldene Ring mit einem eingelassenen Diamanten am Ringfinger ruhte. Der Anblick liess mich kurz die Wangen aufblähen, doch zierte mein Lippenpaar dann doch angesteckt von ihrem Lächeln ein kleines Schmunzeln.
»Der Klunker da hat nichts an dem geändert, was wir schon hatt’n, Weib. Dass du den immer so anstarr’n musst.« Innerlich seufzte ich resignierend. Ich hatte nur wenig übrig für diesen symbolischen Ring und doch wusste ich um ihren Wunsch eines solchen Schmuckstückes, was mich dazu brachte, erspartes Gold zusammenzukratzen, um ihr einen Ring zu besorgen.

»Ich lieb dich dennoch, mein Sommer« erwiderte sie mit einem zufriedenen Ausdruck und lehnte sich dann in einer ungewöhnlichen Geste zu mir hinüber, um mich ihrerseits in der Öffentlichkeit zu küssen. Ein kurzes Schaudern schoss, geboren aus einem Gefühl der Argwohn, durch meinen Körper, doch strecke ich meinen Hals aus, um mein Gesicht ihrem näherzubringen.
Just in dem Moment, in dem sich unsere Lippen miteinander in einen leidenschaftlichen Kuss versiegeln wollten, schlug ich meine Augenlider hoch und erstarrte ob des Anblicks, der sich mir bot. Leere, milchig weisse Iriden blickten mich an. Die gesunde Färbung war aus ihrem Gesicht gewichen und wurde ersetzt von einer Blässe, wie man sie nur bei Leichen sah. Das Leben schien aus ihr gewichen zu sein. Plötzlich erklang das Donnern eines Gewitters. Abgelenkt blickte ich hoch zum Himmelszelt, an dem aus dem Nichts heraus dunkle, unheilvolle Wolken gebaren, die der Sonne ihr Licht raubten. Als mein Blick sich wieder senkte, erschrak ich ein weiteres mal. Estralla lag in ihrer eigenen Blutlache auf dem Boden und als ich mich zu ihr hinab beugte erkannte ich, dass ihr Brustkorb aufgeschnitten und ihr Herz entnommen war. Verzweiflung und Wut kochte in meinem Inneren hoch und ich hörte hallende Schritte aus der Ferne, die näherzukommen schienen. Mein Blick fuhr in Richtung der Seite, aus der die Geräusche an mich drangen. Grelles Licht überkam mich, als der wütende Sturm seinen Zorn in Form von Blitzen entliess, die sich über das Wolkenbett ausbreiteten. Als da Licht jedoch abebbte und ich wieder erkennen konnte, was sich vor mir abspielte, sah ich ihn da stehen. Francesco Venicia. In der linken Hand ein Messer, in der rechten das Herz meiner Geliebten. Ein hämisches Grinsen zierte dessen Mimik, spottete stumm über mich. Doch als ich mich aufdrückte und auf ihn gerade am Hals packen wollte, verschwand er im Nichts.
Zwei Finger tippten mir auf die Schulter und ich drehte mich sofort um. Die Szenerie änderte sich schlagartig und ich fand mich in der Dunkelheit wieder. Langsam materialisierte sich eine weibliche Figur, die mir nicht unbekannt war. Ihr Leib war ummantelt von einem dichten Nebel, den sie wie einen Mantel schützend um sich geschlungen hielt. Mit langsamen Schritten, die mich denken liessen, dass die Zeit stehen blieb, näherte sie sich mir. Kleine Wellen breiteten sich unter den Schritten aus, als ginge sie auf Wasser. Das Unwetter, das eben noch wütete, spiegele sich nun in ihren sturmgrauen Augen wieder, in dem ein triumphierender Ausdruck lag.

»Schlaf tief, mein Hübscher. Wache nicht wieder auf, sorge dich nicht um die Zukunft.« Hörte ich ihre trügerisch sanfte Stimme noch hallen, ehe sie eine ihrer Hände hoch hob und mein Gesicht zur Hälfte umfasste. So zärtlich die Berührung auch wirkte, fühlte ich wie mein Körper nach hinten geschleudert wurde. Das Gefühl eines freien Falls nahm mich ein und damit schreckte ich aus dem Fiebertraum auf und mein Körper schoss in die Höhe. Verwirrt blickte ich mich im Inneren um, doch bevor ich genaueres feststellen konnte, überkam mich das Gefühl von Übelkeit.
»Aye, schön raus damit, Kerl« hörte ich die krächzende Stimme einer alten Frau, die mir im letzten Moment eine Schüssel vorhielt, in die ich mich übergab. »Ist’n Wunder, dass du überhaupt noch lebs’. Hätt’n dich Minfays Mädch’n nich’ her geschleppt, damit du ihn’n ‘s Gold für’s Zimmer zurückzahl’n kanns’, hätt’n sie dich im Hafenwasser entsorgt.« Mein Bauch wurde geplagt von unvorstellbarer Pein, geboren aus Krämpfen meines Magens. Ihre Worte interessierten mich nicht für den Moment, geschweige denn die Schulden bei Minfays.
Schweissgebadet lehnte ich mich zurück, versuche die Orientierung und vor allem das Bewusstsein beizubehalten, während ich die vergangenen Erinnerungen durch mein Kopf gehen liess. Es dauerte seine Zeit, bis es mir endlich dämmerte. Die Erinnerungen kamen verblasst zurück. Das weisshaarige Weib in der Taverne, das Amulett, dass sie mir entriss. Sie hatte das Ganze eingefädelt und mich mit dem Gift einer Fingerhut-Blüe, wie mir berichtet wurde, vergiftet. Es muss sich im Rum befunden haben, den sie mir in die Hand drückte. Voller Wut wollte ich mich aufdrücken, um Rache an dieser Frau zu nehmen und mein Amulett wieder zu besorgen, doch bevor ich mich in den Stand aufdrücken konnte, gaben meine Beine nach und die Dunkelheit hiess mich in seiner Umarmung willkommen.

Gut zwei Wochenläufe war ich in diesem Stadium gefangen, ans Bett gefesselt und unter fortwährenden Schmerzen, die ich verbissen zu unterdrücken versuchte - nicht immer erfolgreich. Die Erinnerungen aus alten Tagen, die jedes mal wieder in einem Albtraum endeten, besuchte mich in dieser Zeit immer wieder von neuem mit kleinen Variationen - andere Erinnerungen, die ich mit Estrella verband. Nach und nach schien alles Positive mit diesen negativen Erlebnissen beschmutzt zu werden und jedes mal zeigte sich Francesco erneut.
Dieser Bastard, der mir alles, was mir lieb war, aus Eifersucht nahm. Wir waren einst gut befreundet. Ich nannte ihn gar meinen Bruder und trage ein Hautbild mit dem Schriftzug seiner Familie auf meiner Brust, die ein Ersatz für mich bildete, nachdem ich verstossen wurde. Wir waren unzertrennlich, heuerten auf dem gleichen Schiff an. Kämpften Seite an Seite und erlebten Abenteuer, die ein festes Band der Freundschaft knüpften.
Doch das Seil, dass das Band knüpfte, begann zu reissen, als ich nach einer Folge von Fehlentscheidungen durch unseren Capitano das Schiff verliess und stattdessen auf der Intrasigente anheuerte. Ich vermute, dass er ein Verrat darin sah, dass ich ihn verliess, doch ich hatte keinen Grund zu bleiben. Ohne Gold lebte es sich schwer und auf Fortunas Gunst allein sollte man nicht vertrauen.
Wir sahen uns nur noch selten, wenn wir zufällig bei Landgängen aufeinander trafen und verloren schliesslich den Kontakt zueinander, als ich mein Weib kennenlernte und die restliche Zeit ihr allein widmete. Wie viele andere auch, erhoffe sich Francesco ihr Herz für sich gewinnen zu können, doch sie war mir bereits ergeben und wies ihn mehrmals ab. Damals war ich noch hoffnungsvoll und in den Augen von Landratten vermutlich ein Romantiker, der sich das gemeinsame Leben mit Estrella vorstellte und alles dafür tat, das auch in die Tat umzusetzen. Entsprechend überzeugend war ich und konnte so ihr Herz für mich gewinnen.

Lange Zeit hörte ich nichts mehr von meinem »Bruder«, von dem man behauptete, dass er vor Rage jemanden fast zu Tode geprügelt hatte, der es wagte, ihn auf seine Eifersucht anzusprechen. Zu jenem Moment dachte ich mir noch nicht viel dabei. Doch mit dem Erfolg der Intrasigente und der wachsenden Bekanntheit, wuchs aus dem keimendem Samen ein zerstörerisches Unkraut heran.
Es war während des Angriffs auf Viento del Sur durch eine alatarische Flotte , das ich ihn das letzte mal sah. Wir stiessen am Strand an einer Bucht aufeinander, nachdem sie sich aus ihrem Haus heraus kämpften. Er brüllte mich an, schob mir und meiner Crew die Schuld für den Angriff auf unsere Heimat zu. Wir hätten die Aufmerksamkeit durch unsere grausame Art und die vielen Überfälle auf die Isla gezogen. Eine gewisse Wahrheit lag sicherlich darin.
Die Spannung, die in der Luft lag, nahm deutlich zu, als unsere Säbel, begleitet von einem metallenen Klirren und Aufblitzen, durch die Sonne, die sich im Material spiegelte, aufeinander trafen und das Gespräch auf non-verbale Art fortführten. Viel hätte nicht gefehlt, um die Wut so weit zu schüren, dass wir erst mit dem Tod beendet hätten, was wir begannen. Doch ein Pfiff eines Kerles, der am Strand neben einem Boot verweilte, unterbrach unser Streitgespräch. Ich erinnere mich noch, wie er den kleinen Venicia am Kragen packte, mit sich zerrte und stumm die Worte »Das wirst du bereuen« formte, als er ein letztes mal über die Schulter zu mir sah.

Die Schlacht dauerte mehrere Stunden an, bis sich die alatarische Marine aus der Bucht zurückzog. Keine Gewinner, nur Verlierer. Auf beiden Seiten gab es unzähliges, unerbittliches Blutvergiessen.
Das Echo dieses Angriffs hielt bis in die heutige Zeit an und war das, was das Fass zum Überlaufen brachte und Fenicia - wie ich einige Jahre später in der Gefangenschaft erfahren würde - dazu animierte, die Intrasigente mithilfe der alumenischen Marine in eine Falle zu locken und uns auszuliefern. Mit Erfolg.
Während ich also auf dem Schiff angekettet war und darauf wartete, dass wir dem Gericht in Adoran überführt würden, erreichte mich die Kunde, dass Francesco mir seinen Gruss entsandte. Mir schnürte sich der Hals für einige Momente zu, als der Kerl vor mir eine Schatulle öffnete und den Klunker Estrellas offenbarte, daer darin verstaut wurde.

»Das wirst du bereuen« wiederholte ich zähneknirschend und stiess einen wutentbrannten Schrei aus, der in diesem Moment die Jagd nach Francesco eröffnet hatte.

~•°•~


Zuletzt bearbeitet von Drystan Verano am 09 Mai 2022 15:53, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Shinaa Dedalera





 Beitrag Verfasst am: 18 Mai 2022 12:00    Titel:
Antworten mit Zitat

~•~

» Flucht «


Ich brauchte zugegeben eine ganze Weile, bis ich mich wieder geordnet und beruhigt hatte. Mein sonst so tauber Körper war aufgewühlt, als hätte ein Meer, welches über Monde still ruhte, plötzlich einen Sturm erlebt und die Küsten der angrenzenden Ländereien verwüstet. Meine Finger, die sich jedoch voller Zufriedenheit um das Amulett des Seebärens schließen konnten, halfen dabei die Gedanken zu ordnen. Der Smaragd in der Mitte des altgoldenen Wasserdrachens schimmerte klar und prächtig, wie ich ihn all die Jahre um Francescos Hals gesehen hatte und er vermittelte mir das beruhigende Gefühl, dass nun zwei Amulette sicher waren.
Ich verstaute das Amulett zu seinem Bruder, tief in meiner Tasche und machte mich auf den Rückweg zur Werft, wo ich genau wusste, dass eine Flasche Rum auf mich wartete, die alle wirren und aufgewühlten Gedanken wieder bekämpften könnte. Was für eine wunderbare Nacht.

Der Nächste Tag fing außerordentlich friedlich an, die Rumflasche lächelte mir versonnen von der Bettkante zu, es fegte ein laues Lüftchen über die Isla, welche die drängende Hitze des Tages noch für ein paar Stunden in Schach halten würde - ehe man das Gefühl hatte auf den Docks wie ein Fisch auf dem Grill zu existieren. Ich hatte mich gerade der zweiten Flasche des Tages gewidmet, als ich das Gebrabbel im Hinterkopf wahrnahm.


» Has' gehört? Da wurd' einer versucht bei Minfays zu vergift'n. «

» Hah! War ein's der chicas nich' zufried'n mit ihr'n Lohn? «

» Keine Ahnung, aber sie hat off'nbar Mist gebaut, der Kerl lebt gerad noch so und is' bei der Wundflickerin. «

» Kommt er durch...? «

» Was weiß ich, aber du kenns' Sie ja... sie is' bien in ihrer Arbeit, er wird's bestimmt schaff'n. Kotzt sich wohl die Seele aus'n Leib. «


Ich erstarrte und plötzlich fühlte ich den kalten Schauer über meinen Nacken und Rücken hinunter krabbeln. Aufkeimende Panik, gepaart mit Adrenalin. Es war zu wenig gewesen. Er lebte. Ich sah vor meinem inneren Auge schon den riesigen, wütenden Kerl, wie er mich mit den bloßen Händen zerquetschte und ein nervöses Schlucken ging durch meine Kehle. Mein Mund war plötzlich gänzlich trocken und auch der Rum konnte das nicht ändern.

Viele Möglichkeiten blieben mir in diesem Moment nicht, auf der Isla würde er mich schnell ausfindig machen können. Kurz kam mir der Gedanke, es zu beenden und ihm den Gnadenstoß zu verpassen, denn ich fühlte dieses schabende Kratzen an meinem verletzten Stolz, doch das war zu riskant, wenn er bei der Wundflickerin war. Ich packte also das wenige Hab und Gut was ich hatte zusammen und heuerte auf dem erstbesten Schiff an, welches bereit war mich zu nehmen. Die "Anochecer" war ein simples Schiff von mittlerer Größe, gefertigt aus dunklem Holz und ausgestattet mit ebenso dunklen Segeln. Ein Piratenschiff, besser hätte ich es vermutlich nicht erwischen können und sie waren wohl recht genügsam was ihre Crewmitglieder anging.

Ich würde eine ganze Weile auf diesem Schiff bleiben, das war mir bewusst, denn ich konnte und wollte es nicht riskieren diesen Seebären von Kerl noch einmal zu begegnen... und ich war mir sicher, er würde mich suchen.


~•~
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Shinaa Dedalera





 Beitrag Verfasst am: 25 Mai 2022 11:12    Titel:
Antworten mit Zitat

~•~

» Weitere Jahre auf See «


Die kommenden Jahre waren recht unspektakulär und fanden sich zum größten Teil wieder ein in den endlosen Reihen aus Monotonie und Alltag. Es war gewiss keine aufregende Flucht, denn ich war mir recht sicher, dass dieser Kerl mich nicht finden würde. Er könnte lediglich meinen Namen herausfinden, der genau so nichtssagend war, wie alles andere an mir. Ich hatte immerhin keine Zugehörigkeit, lediglich zur Isla La Cabeza und auf jener würde ich eine Weile nicht mehr sein. Selbst wenn er herausfinden sollte, dass ich auf der Anochecer angeheuert hatte, so wusste niemand deren Kurs, da sie schlicht keinen hatte. Soweit ich mitbekommen konnte, war der Capitano recht sprunghaft und entschloss Anhand von Aberglaube und den gelegten Karten seines Weibes, wo es hingehen sollte.

Sein Weib gruselte mich zugegeben, ihr starrender dunkelbrauner, fast schwarzer Blick, wann immer ich in ihr Blickfeld kam und entfernt erinnerte sie mich an Mahu. Gruselig. Wirklich gruselig und es gab nicht viele Dinge, die mich in diesem Ausmaß verunsichern konnten. Nebra schaffte es mit ihrer bloßen Anwesenheit. Noch heute stellen sich mir bei den Erinnerungen an ihr die Haare auf. Ich erinnere mich, wie sie mir eines Abends die Karten legen wollte und obwohl ich alles versuchte diesem zu entkommen, weil sich alles in meinem Inneren dagegen sträubte, brannte sich der gelegte „Turm“ tief in mein Gedächtnis ein. Ich schaffte es zu fliehen, ehe sie weitere Karten legte und nur die Worte „'S wird dich 'ne ganz Weile begleit'n niña, davonrenn'n wird dir nich's bring'n.“ hallten noch in meinem Kopf wieder.
Schwachsinn.

Von dem Abend an versuchte ich mich weitestgehend von Nebra fernzuhalten, was auf dem Schiff nicht sonderlich einfach war. Zumindest schaffte ich es ihren Karten aus den Weg zu gehen und so musste ich nur das gruselig-wissende Lächeln auf ihren Gesichtszügen erdulden.
„No no... niña, ich sagt' doch... wegrenn'n wir dir nich's bring'n niemals. 'S holt dich immer ein.“ Die schnarrenden Worte fraßen sich jedes mal in mein Gedächtnis und auch wenn ich damals glaubte, dass es vollkommener Schwachsinn war, so glaube ich heute zu wissen, was sie damit gemeint hatte.

Einige Monde war ich mit der Anochecer auf See, ich half dort wo ich konnte und tatsächlich bereitete es mir wieder so etwas wie Freude, wenn ich die Planken unter meinen Füßen spüren, der Wind sich im Haar verfing und ich die Möwen in Küstennähe schreien hören konnte. Der Schmerz, der dieser Monotonie gewichen war, wurde lediglich zu einer juckenden Narbe auf meinem Herzen – doch wie das eben so mit Narben war, sie blieben immer. Ich fühlte mich nach wie vor verlassen und unvollständig, auch wenn diese Gefühle nur noch im Hintergrund flackerten und grundlegend die Trägheit vorherrschte, die ab und an von so etwas wie Freude, einem Sonnenstrahl durch einer Wolkendecke gleich, durchbrochen wurde.

Nach den Monden auf See kamen wir wieder auf der Isla an und tatsächlich verspürte ich nicht den Drang mich in die Werft zu verkrümmeln und mich dort wieder dem Rum zu ergeben, sondern vielmehr hielt sich Ausschau nach etwas Neues, etwas, was mir vielleicht wieder ein Teil meiner Selbst zurückgeben konnte. Ich hörte von der „Magdalena“, ein neutrales Handelsschiff welches öfters Bajard anfuhr und obwohl dieses Schiff so gar nicht zu dem passte, was mich normalerweise interessierte, bot ich meine Hilfe an. Ich konnte anheuern und so verbrachte ich gut einen Jahreslauf auf diesem Handelsschiff. Eine ziemlich friedliche Zeit, manch anderer hätte sie vermutlich als langweilig bezeichnet, doch mir half es dabei die alten Wunden verheilen zu lassen und mich von dem zu lösen, was diesen Schmerz ausmachte. Ich half beim Be- und Entladen, ich begleitete die feste Crew bei ihrem Landgang, half als Matrose auf Deck und tat, wie immer, eben alles, wo man meine Hilfe gebrauchen konnte. Es war ein wenig merkwürdig, das erste Mal auf einem Schiff zu sein, welches keinen Gesellschaftlich betrachteten zweifelhaften Ursprung oder Hintergrund hatte und die Männer und Frauen auf Bord waren entsprechend anders im Umgang. Natürlich war da dieses typische raue Klima, wie man es von Seefahrern erwarten würde, aber es gab wesentlich weniger Auseinandersetzungen, wesentlich weniger Sauferei und dem Capitano fehlte es an roher Brutalität und Durchsetzungskraft, wie ich es von der Dragao oder der Anochecer gewöhnt war. Ich brauchte zugegeben ein wenig Zeit um mich an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen.

Nach einigen Jahresläufen als Mitglied auf der „Magdalena“ verspürte ich jedoch so etwas wie Heimweh und manchmal fehlte mir das „raue“ und auch das „brutale“ der Piraten, die mein gesamtes Leben bisher ausgemacht hatten. Es war wie ein endloser Erholungsurlaub, irgendwann wurde es langweilig und man verspürte den Drang nach dem, was man eigentlich machte und was einen auszeichnete. Ich verließ das Schiff beim nächsten Anlaufen der Hafenstadt Bajard und versuchte eine Verbindung zur Isla aufzubauen... und musste feststellen, dass es jene nicht mehr gab. Ein Schock, ein Eimer kaltes Wasser, etwas, was mir nach all der Zeit mal wieder die Luft zum Atem raubte und erstmals wieder Bewegung in das vernarbte Herz brachte. Die Isla war verschlungen, weg... nicht mehr bewohnt und ich stand hier nun in Bajard.


~•~


Zuletzt bearbeitet von Shinaa Dedalera am 16 Jun 2022 11:50, insgesamt 2-mal bearbeitet
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Drystan Verano





 Beitrag Verfasst am: 09 Jun 2022 13:41    Titel:
Antworten mit Zitat

~•°•~

» Neue Spuren «

Nachdenklich ruhte mein Blick auf dem Ringfinger der rechten Pranke, an dem eines der Künstlerweiber ein neues, kleines Hautbild am Ansatz des Fingers in die Haut stach. Das Motiv bildete die Rispe einer Fingerhut-Pflanze. Wie die anderen Hautbilder auch, die an den Fingeransätzen prangen, stand es für das Entkommen vor dem Tod. Die Schmerzen, die durch die Nadeln entstanden, waren nichts im Vergleich zu der Pein, die mich in den vergangenen Tagesläufen heimsuchte. In gewisser Weise war es ironisch, dass so eine kleine und unscheinbare Pflanze so gefährlich werden und nach meinem Leben trachten konnte, wie der Sturm es in Minfays Freudenhaus tat. In Momenten wie diesen erkannte ich, wie viel Glück ich in meinem Leben bereits hatte. Ich war mir sicher, dass Fortuna ihre schützende Hände über mich hielt und zu ihren Lieblingen zählte. Sonst wäre ich nicht so weit gekommen.
Das nur mit Kerzenlichtern beleuchtete und etwas heruntergekommene Haus, in dem wir befanden, weckte nicht sonderlich viel Vertrauen in ein sauberes Handwerk. Gebrauchte Handtücher lagen in einer Ecke übereinander, daneben ein Korb mit Kräutern, die nicht sortiert, sondern einfach hinein gekippt wurden. Die Nadeln die gebraucht wurden, lagen immerhin neben einer Flasche mit Alkohol, man konnte damit zumindest damit rechnen, dass dort auf Hygiene geachtet wurde. Das Bett war nicht sonderlich bequem und auch die Hocker wirkten eher so, als würden sie unter meinem Gewicht direkt nachgeben. Alles in allem schien sie nur auf das Notwendigste geachtet zu haben.
Nach zwei Wochenläufen in der Heilerstube blieb mir aber nichts anderes übrig. Das Gold, das ich besass, ging mit Zinsen an Madame Minfay und dem Heilerweib, die mir das Leben rettete. Entsprechend mager waren meine Kapazitäten. Den Wunsch, das Ereignis festzuhalten, wollte ich jedoch nicht verwerfen und nahm daher die Umstände hin.

Sonderlich lange nahm die Sitzung nicht in Anspruch und so konnte ich bereits in den frühen Nachmittagsstunden die Hütte wieder verlassen. Zugegeben fühlte ich mich in den ersten Tagen nach dem Vorfall etwas verloren. Von dem menschgewordenen *Sturm* war nichts sehr zu sehen. Mir kam zwar zu Ohren, dass sie ‘Nixe’ gerufen wurde und fand auch ihre Hütte mit der Hilfe einiger Einwohner, aber dort angekommen sah ich durch die Fenster nur, das Chaos, als habe sie schnell ihre Siebensachen gepackt und die Isla verlassen. Es war, als hatte sie sich in Luft aufgelöst, als hätten sich dunkle Regenwolken entleert und jede Spur verwaschen.
Die wenigen informationen stimmten mich unzufrieden. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich noch weiter gesucht, gar ausgeharrt und geprüft, ob sich das Weib wieder zeigte. Doch meine Crew setzte mich unter Druck, da sie nicht länger auf der Isla warten und dort versauern wollten. Unser Capitano soll nämlich einen lukrativen Auftrag an Land gezogen haben, der Gold versprach. Resigniert gab ich meine Suche damit auf, begab mich an Bord und war einen letzten Blick zurück auf den Hafenbereich La Cabezas, den ich vermutlich nie wieder zu sehen bekommen würde.

Jahre vergingen, die ich wieder auf hoher See verbrachte. Unserer Capitano hatte nicht zu viel versprochen und sorgte dafür, dass wir nach einem erfolgreichen Abschluss eines Schmuggelauftrags reichlich Gold in den Händen hielten, um es im nächsten Hafen in den Freudenhäusern und Tavernen zu vergeuden.
Das Leben war bien. Nicht selten vergass ich gar, dass ich mir vorgenommen hatte, *mein* Amulett wieder zu besorgen. Dass da noch dieses Gefühl einer nervigen Fliege, die nicht von einem ablassen wollte, umherschwirrte und nicht erlaubte, endlich Ruhe zu finden. Ein innerer Drang, der aber mit jedem vergangenen Tag immer blasser wurde und in den Hintergrund rückte. Bis zu dem Punkt, als wir nach ungefähr fünf weiteren Jahresläufen vor Bajard ankerten und der Name der Nixe fiel.
Wut kochte ich mir hinauf und ich wusste, dass ich diesmal die Crew verlassen würde, um mir das zu holen, dass mir zustand. Die Witterung war aufgenommen.


~•°•~
 Nach oben »
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » ~•°•~ Von Gischt und stürmischen Wellen ~•°•~
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Gehe zu Seite Zurück  1, 2
Seite 2 von 2

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.




phpBB theme/template by Tobias Braun
Copyright © Alathair



Powered by phpBB © 2001, 2002 phpBB Group
Deutsche Übersetzung von phpBB.de