FAQ Login
Suchen Profil
Mitgliederliste Benutzergruppen
Einloggen, um private Nachrichten zu lesen
        Login
Von Blutungen und Brüchen und wo sie zu finden sind
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Von Blutungen und Brüchen und wo sie zu finden sind
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
Anna Starrenberg





 Beitrag Verfasst am: 31 Jan 2022 18:45    Titel: Von Blutungen und Brüchen und wo sie zu finden sind
Antworten mit Zitat

Irgendwann, irgendwo, woanders, nicht hier
Ein paar Jahre zurück

Dieser Ort war alles Andere als eine Zuflucht. Es war nicht einmal ein Platz, an welchem man sich wärmen konnte. Es gab keine Liebe hier, kein Wohlwollen. Keinen guten Geruch, keinen Sonnenschein. Es war alles überzogen von dünnen Schwaden, die an Nebel erinnerten und die doch weniger frisch waren. Alles war zerfallen, alles alt, alles schon so oft verwendet, dass man es als verbraucht betiteln müsste. Und doch wurde hier Mist zu Gold gemacht. Es war wie ein schimmliges Stück Brot, dessen pelziges Grün man abschnitt um sagen zu können: Das ist noch gut, das kann man essen. Aber an und für sich versprach jeder weitere Bissen nur Magenkrämpfe und Schlimmeres. Aber man biss trotzdem ab, wieder und dann übergab man sich eben. Das war das Leben, das war das, was sie dachte verdient zu haben oder aber das, was sie annahm, was der Normalität entsprach.

Die Stimmen, die immer wieder an ihr Ohr drangen, während sie auf einem alten Schemel saß, welcher sicher schon drei mal gerichtet wurde, waren für sie nicht deutlich. Sie hatte sich auf irgendeinen irrelevanten Punkt konzentriert, der weiter hinten in diesen vier Wänden ruhte. Morsches Holz, welches einst eine stabile Wand dargestellt hatte. Ein gefundenes Fressen für ihre Augen: Eine willkommene Ablenkung von der täglichen Realität. Und zumeist verging diese Tageszeit recht gut mit dieser Art von Bewältigung. Man saß da, hörte sich die Stimmen an, die man irgendwie doch nicht hörte, ließ die Wut über sich ergehen, ertrug das Geschrei und irgendwann war es vorbei. Die Schreier waren müde, der Tag wurde zur Nacht und jeder ging wieder anderen Dinge nach. Und wenn man eine Nacht darüber geschlafen hatte, der alte Karren ein Dorf oder eine Stadt weiter zog, war für gewöhnlich alles vergessen.

Anna saß also auf diesem Schemel, in einem viel zu löchrigen Karren, der aus zwei Räumen bestand. Der eine Raum war bestückt mit einer alten Liege, ein paar Kisten und Fässern, die als Tische fungierten und ein, zwei Sitzmöglichkeiten, die nicht einmal mehr die Holzwürmer interessant fanden. Es roch nach schimmligen Balken, Eisen und verbranntem, fauligem Fleisch. Die Leinentücher, die vor den Türen und Fenstern hingen trugen Flecken, die man auf mehrere Jahre zurückverfolgen konnte. Viele Flecken kannte sie gut. Sie wusste wo sie her waren und konnte zu jedem eine kleine Geschichte erzählen.
Der zweite Raum, deutlich kleiner und zumeist abgeschlossen, war das private Reich des Baders. Wobei Reich viel zu hoch gesteckt war. Anna hatte einmal hinein gesehen und war regelrecht enttäuscht, da ihre Fantasie das Ganze deutlich höher hob, als es am Ende wirklich der Realität entsprach. Ein Raum, ein Bett - belegt mit Leinen, die auch Flecken aufwiesen. Flecken, zu denen sie, den Göttern sei Dank, keine Geschichte erzählen konnte. Der Geruch war ähnlich, nur mischte sich ein wenig Männerschweiß dazu und das, was sie freundlicherweise Schlafmuff nannte.

Und während sie so über diesen Raum und die Gerüche sinnierte, dabei den Punkt weiter hinten fokussierend, wie ihren kleinen sicheren Hort, der sich nur für sie auf dieser Wand abzeichnete, griff eine Hand an ihren Kragen und zog sie in die Höhe. Der Schemel fiel, das bereits wacklige Bein brach - niemand war überrascht. Anna blinzelte und versuchte ihre Aufmerksamkeit umzulenken, das Interesse an der Realität wieder zu finden und zu visieren. Vor ihr war ein Mann, sicherlich zwei Köpfe größer als sie und doppelt so breit. Er trug Leder am Leib und vermutlich hatte er mehr als zwei Hände, mit denen er Schaden anrichten konnte. Sein Geruch war ein Anderer. Es war etwas neues: Er roch ebenfalls nach Schweiß, aber es war nicht der, den der Bader mit sich trug. Es war die Erschöpfung des Tages, die auf seinen Schultern ruhte. Und noch schlimmer als das, war die Emotion in seinen Augen: Trauer. Widerlich. Sie hasste es, wenn die Leute sie so ansahen. Denn das bedeutete zumeist, dass Schreien nicht das war, was sie müde machte. Sie waren getrieben von anderen Dingen, die nicht mit einem Tag vergangen waren. Verluste konnten über Jahre schwer wiegen, das wusste sie.


"Verzeiht."
"Wofür entschuldigst du dich, Mädchen, weißt du es überhaupt?!"


Nein, sie wusste es nicht. Und das automatisierte Schürzen der Lippen machte es dem Peiniger recht schnell klar. Seine freie Hand, mit der er sie nicht hielt, ging hinauf und gab ihr eine Schelle. Ja, dieser Mann war eindeutig mehr als nur wütend.

"Hol den Bader. Er soll sich dafür rechtfertigen, wie meine Frau an einem entzündeten Finger sterben konnte!"

Anna spuckte einmal zur Seite aus und versuchte den aufkeimenden Schmerz in der Wange zu überspielen, der sich gefühlt bis in den Kopf zog. Die Brauen zogen sich zusammen und sie versuchte den Blick des Gegenübers nicht zu verlieren. Was vermutlich nicht die beste Methode war, um derlei zu bewältigen. Aber sie hatte es nicht anders gelernt. - Eine gute Ausrede. Und der Bader, der Bader würde nicht kommen. Er wusste ganz genau ab wann seine Kunden zurückkamen und sich beschwerten. Er würde sie nun besser bezahlen, dass wusste sie. Derlei Kundschaft führte zu besseren Lohn, weil sie es ertragen hatte. Aber die, die aus Verlust Rache formten, waren gefährlich. Tod brachte der beste Lohn rein gar nichts.

Also schwieg sie und er wusste genau, was das bedeutete. Also warf er sie mit einem Ruck gegen eine der Kistenstapel, die ebenfalls damit an ihre Grenzen der Haltbarkeit stießen und setzte einige Schritte voran.

Sie erinnerte sich: Das war das, was sie diesen Menschen geben konnte. Sie trauerte nicht mit ihnen und sie konnte auch keine Toten zurückholen. Aber sie erinnerte sich an die betroffenen Personen und machte sie damit besonders.


"Eure Frau war blond. Sie hat sich den Finger beim Kochen verletzt. Ein tiefer Schnitt. Sie lachte, als sie davon erzählte. Sie sagte, sie würde sich immer schneiden und das Ihr sie immer aufziehen würdet. Sie sollte eher mit Löffeln arbeiten, als mit Messern. Aber sie konnte es nicht lassen, weil mit Löffeln könne man ja nicht schneiden. Ihre Name war..."

Ja, wie war ihr Name. Das war immer noch so ein kleines Problem. Es waren zumeist nicht Petra, Paula und Heinrich, die hier auf dem Tisch lagen oder auf einem Hocker saßen. Es war zumeist: Der Fingerschnitt, der gebrochene Unterarm, die geschwollene Wange. Wie war also ihr Name.

"Leonora."
"Leonore..."
Kam es nun gebrochen über seine Lippen und seine Knie wurden weich. Die Trauer besiegte die Wut.

Glück gehabt.


Zuletzt bearbeitet von Anna Starrenberg am 31 Jan 2022 19:01, insgesamt einmal bearbeitet
 Nach oben »
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Von Blutungen und Brüchen und wo sie zu finden sind
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.




phpBB theme/template by Tobias Braun
Copyright © Alathair



Powered by phpBB © 2001, 2002 phpBB Group
Deutsche Übersetzung von phpBB.de