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[Q] Von den kleinen Ängsten
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Der Erzähler





 Beitrag Verfasst am: 24 Mai 2021 20:37    Titel: [Q] Von den kleinen Ängsten
Antworten mit Zitat

Von den kleinen Ängsten…

***

Schlafe ein, oh Kindlein mein!
Schließ‘ die Augen fest und öffne sie nicht,
denn das was da im Dunklen haust
verschlingt dein Lachen, Lieb und Licht
bis deine Knochen zittern und es dir graust.

Schlafe ein, oh Kindlein mein!
Zieh die Deck‘ weit über den kleinen Kopf
lausche ihren Worten nicht, halte dir die Ohren zu
pack die einz’ge Gelegenheit am Schopf
und finde deine Seelenruh‘.

Schlafe ein, oh Kindlein mein!
Doch glaube auch jetzt nicht an Sicherheit
wandle im Nebel und träume fein
und bist du wach, sind sie bereit
wandern aus der Nacht in den Tag hinein.

***



Wie fein gesponnene, silberweiße Fäden zog sich der Nebel über die nächtlichen Felder und verdichtete sich zu einem zarten Vorhang, der die Realität vom Traum zu trennen schien. Vor dem Schleier aus knochenartig bleichem Gewebe entfaltete sich die bekannte, geliebte und herrlich normale Welt. So vertraut und heimelig-idyllisch, dass man auch über die ein oder andere Unannehmlichkeit hinwegsehen konnte, wusste man doch schlichtweg, was man daran hatte. Hier kannte der Fuchs noch den Hasen, den er als lebloses Bündel im Maul zufrieden gen Bau schleppte und hier fürchtete man den Osten oder den Westen oder sonst irgendeine Gesinnung, die eben anders war als die, die man schon mit der Muttermilch aufgesogen hatte.

Wobei selbst da das Wort „Furcht“ nicht ganz passen wollte. Man lehnte ab, hasste vielleicht sogar, doch der Kern des Wortes „Furcht“ oder besser „Grauen“ lag hinter den weich wabernden Nebelschlieren.

Durchschritt man die gespenstische Barriere, so befand man sich bereits mitten in einer uralten Welt, die zwei Seiten hatte und hier zumindest waren die Übergänge so fließend, dass man von dem Part, der bunte, angenehme Traumbilder der Fantasie wob mit nur einer einzigen Bewegung in jenen kommen konnte, der jeden schwarzen Seelenabgrund übertreffen konnte. Dort schienen die Bilder düster, verdreht und in sich so grotesk verzerrt, dass aus dem Traum der Albdruck wurde.

Nicht weiter verwunderlich, dass die Monstren, Unwesen und Gespinste dieser Ebene in erster Linie von den Ängsten lebten, welche die gesegneten Geister mit genug Vorstellungskraft durch ihr Dasein durchlitten. Vor allem eine Sorte hatte es ihnen dabei angetan, denn nur selten war Furcht ähnlich süß und das Grauen erschlagend, dass es dicke, sichtbare Abdrücke auf der Seele hinterließ:

Kinder…

Die Köpfe waren so voller fantastischer Idee, dass hier die Grenzen quasi nicht erreichbar schienen und das Grauen schlich in ähnlich unzähligen Gewändern immer wieder um die kleinen Wesen herum. Mal trug es der Kelos in sich, ein Schrecken aus den Tiefen der Alben und dunklen Mären, dann wieder jene, die der Albtraumwolf unter seinem Szepter dirigierte, doch das größte Grauen entstand dann, wenn der Nebelvorhang durchlässig wurde, wenn Realität und Traumfantasien zu einem einzigen, garstigen Klumpen verschmolzen und dieser einen glühenden Abdruck auf den Seelen hinterließ, den nur wenige Augen sehen und auch nutzen konnten.

Diesmal aber lag der Fokus der dunklen Seelenspiegeln nicht auf kindlichen Gestalten, sondern auf all denen, die erwählt worden waren und so selig in ihren Betten, Pritschen oder gar im Heu schlummerten… nichtsahnend, dass das feine Trenngewebe gelüftet werden würde, um vergessene, verdrängte Kinderängste wie schwarzen Honig langsam in die Geister der nunmehr Erwachsenen sickern zu lassen.
Oh ja, köstlich süßer, klebriger Honig... und wo wir schon dabei sind:


Träumt süß!


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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 26 Mai 2021 14:47    Titel:
Antworten mit Zitat

Nebelkind

Sie spürte es, wenn er aufzog.
Nicht wie die alten Weiber, die Kälte oder den Wetterumschwung in den Knochen fühlten oder wie die feinen Damen dräuende Gewitter mit schmerzhaftem Kopfdruck hervorsagen konnten, nein. Wenn der Nebel, unter dem die fleischgewordenen Erinnerungen und Urängste sich ekelhaft eckig und abgehackt zeitversetzt aber so unglaublich lautlos bewegen konnten, in der Welt der Albträume aufzog und langsam, aber sicher ins Diesseits suppte, dann pochte es tief im Inneren, dort wo die Seele saß und sich nun zitternd krümmte. All die Begegnungen mit dem, was darunter oder dahinter geduldig wartete, hatten sie gezeichnet und die Berührungen resultierten in einer Verschiebung der beiden, sonst so vortrefflich klar getrennten, Welten.

(Alb-)Traum und Realität verschmolzen längst nicht mehr nur bei Kindern, sondern wussten auch jene zu erreichen, die in einigen Belangen diese Zeit noch nicht abgestreift hatten. Ah, bei ihr lag es sicherlich nicht am Faktor der Unschuld. Auch wenn sie noch nie bei irgendeinem Manne gelegen und die „Jungfräulichkeit“ daher auch nicht verloren hatte und Nähe, bis auf wenige Ausnahmen, scheute, so wusste sie nur zu genau, dass die Dinge, die in anderen Betten geschahen und das Wort „Unschuld“ nur wenig miteinander zu tun hatten. Ein schönes Bild, sicherlich, doch vollkommen fern von dem, was sich hinter der Bezeichnung verbarg.

Der Verlust der Unschuld geschah nicht in dem Moment, in dem man sich irgendwem mit dem Körper hingab, ihr Ende war auch nicht der erste Tote auf dem blutigen Pfad eines Kriegers oder der Beginn einer hinterhältigen Tat oder dem Schwinden der Gewissensbisse.
Die Unschuld verlor man, wenn man aus der heilen Welt kindlicher Zuversicht, aus dem Glauben, dass alles gut, wohl und behütet war, jäh erwachte und diesen Glauben wiederum hatte sie nie besessen. So war es nur richtig, dass der Nebel mit all seinen grausigen Aspekten nie verblasst war, sondern, ganz im Gegenteil dazu, kräftiger wurde und das Grauen auch tagsüber dann und wann, vollkommen unmittelbar, ihr entgegenspuckte.

Mal kam sie noch recht glimpflich davon und musste mit den ungemein irritierenden aber nicht wirklich furchterregenden Speckstein-Steckenbeinchen-Klopsen diskutieren, dann wiederum sah sie sich mit finsteren Schatten und Schemen in den Ecken der Räume konfrontiert, die stetig zu wachsen und zu wuchern schienen, bis sie umzingelt war. Doch all das, selbst die Augen in den Mauerritzen Adorans, war noch zu ertragen, bis der Nebel all das ausspie, was irgendwo in ihren Ängsten gut verschlossen in einem einzigen Raum steckte. Diesmal hatte sie den Schlüssel dazu und sorgte wachsam dafür, dass es möglichst nicht entkam… die Rollen waren jetzt vertauscht und doch konnte es jederzeit für einige Momente aus dem Käfig ausbrechen und statt zu fliehen, fiel es über sie her.
Mal war es der Geruch warmer Honigmilch, der Anblick eines edlen, dunkelblauen Samtbandes, eine gewisse Tonlage, die tiefer als nur bis ins Ohr drang und, nunja, Nähe.
Und da war es, das eigene Grauen, das nicht nur sie kannte.

Zitat:
„Irgendwann?“
„Ja.“
„Warum nicht jetzt? Irgendwann heißt, dass noch mehr kommen wird.“
„Richtig und das Grauen heißt nicht immer Ende. Das Grauen hat viele Gesichter, es wäre sinnvoll, wenn du einige davon kennen und lieben lernst.“
„Viele Gesichter? Was bedeutet das?“
„Ah, so neugierig... bist du dir sicher, dass du es denn wirklich wissen willst?“
„Ja.“
„Dann sieh her, auch wenn du es bereits kennst. Dies ist dein Grauen...“

EIN LÄCHELNDES GESICHT!


Die weißen Schwingen hatten ihr die Augen geöffnet und das Haupt gezeichnet und doch wusste sie lange nicht, auf welche Gabe und welche Art des Kennenlernens er angespielt hatte. Oder vielmehr weigerte sie sich lange zu verstehen, was dahinter verborgen war:
Die Umarmung des Nebels und die Verteilung seiner Geschenke.
Nun aber war die Zeit gekommen und sie spürte, wie er aufzog.


_________________
"I, myself, am strange and unusual."
Beetlejuice...Beetlejuice... Beetlejuice!
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Der Erzähler





 Beitrag Verfasst am: 27 Mai 2021 19:49    Titel:
Antworten mit Zitat


***
Nachtmahr, Nachtmahr, Nachtmahr
Golden schimmerndes Mondlicht im Mädchenhaar...
Nachtmahr, Nachtmahr, Nachtmahr
Sendet Botschaften, dass sie unachtsam war...
Nachtmahr, Nachtmahr, Nachtmahr
Kuscheltierchen ruht selig im Schaukelstuhl da...
Nachtmahr, Nachtmahr, Nachtmahr
Silbernebel durchfluten die Nachtluft klar...
***



Mit dem seltsam krächzigen, doch hellem Kinderkichern stieg der Rauch in die Höhe und trug so viele Gaben in sich, die reichhaltig im Dampf enthalten waren. Die einen kündeten von bitterer Hungersnot, vom boshaften Lachen Erwachsener, von Verachtung, Gewalt und verwehrter Zuneigung oder dem absoluten Gegenteil. Die Anderen wiederum flüsterten von Urängsten, der Dunkelheit, dem Eingesperrtsein und den düsteren Flecken im Inneren der eigenen Seele oder schlichtweg von Spinnenkrabbeleien und einem Klecks Blut. Vereint zogen sie mit den Wolken, getrieben von der kleinen Gestalt mit rauchigen Krallenhänden und diese auch befahlen sie hinab, als sie sich mit dem ersten Nebel des neuen Morgens über die Städte ergossen und zielsicher die Fluchgebundenen suchten. Sie fanden sie noch im Schlummer und legten sich über sie wie eine Decke aus weicher, anschmiegsamer Seide, mit einem feinen Duft von Baldrian und Rosenwasser.


Garonius:
Die erfüllte Einsamkeit der Mine, so sakral und gewaltig. Hier ruhen Edelmetalle und glitzernde Steine seit der Zeit in der Eluive das Lied erdachte und sang. Immer wieder beeindruckt dieses Wissen das Gemüt und formt die Handwerker da unten in den dunklen Schächten, die mit Ehrfurcht diese uralten Geschenke dem Boden entnehmen. Bekannt ist dem Schmied und Bergarbeiter diese Umwelt und zufrieden schwenkt der Blick umher, als sich plötzlich etwas zu verschieben scheint. Ein Geruch dringt an die Nase, der nicht hierhergehört und warm, sanft, aber auch seltsam vertraut erinnert er an einige Momente der Kindheit und schnell spulen sich diese Bilder vor dem inneren Auge ab.
Kindheit, da war doch noch mehr… da war doch…
Der Kopf versucht zu begreifen, zu verarbeiten, doch das Herz klopft bereits schneller, lässt das Blut im Ohr rauschen. Kindheit und diese Höhlen, die Dunkelheit darin und das Wissen, dass man eben nicht allein mit der Finsternis ist. Es beginnt im Stollen zu knarren, zu kratzen und zu klackern. Die Gänsehaut breitet sich rasant auf den Armen aus, klettert die Wirbelsäule hinauf und lässt die Haare im Nacken zu Berge stehen. Nicht allein, es ist hier, im Berg, in diesem Stollen und lauert nur in der Schwärze hinter dem Licht der Laterne. Zittrig hebt die Hand die Stollenlampe, die in just diesem Augenblick panisch zu flackern beginnt und langsam, doch stetig stirbt der Funke Licht.
SCHWÄRZE.
Es kriecht näher!


Maeva:
Der Bogen wird geschultert und ein feines Grinsen macht sich auf den jungen Zügen breit. Erwartet hatte sie eine kleine Wachtel, erhofft einen dickeren Hasen und erwischt einen fetten Truthahn, der nun in einigen Metern Entfernung auf dem Boden lag und sich nicht mehr rührte. Allein bei dem Gedanken an den saftigen Braten und das helle Fleisch des Getiers lief ihr das Wasser im Mund zusammen und mit schnellen Schritten ging sie der Beute lautlos entgegen. Sie beugte sich herab und berührte in stiller Begeisterung das prächtige Gefieder, nur um rasch die Hand wieder zu heben. Da hatte sich doch etwas unter dem ausgebreiteten Flügel bewegt, oder? Behutsam hob sie ihn mit zwei Fingerspitzen an und zuckte rasch zurück, als sie die rasch krabbelnden Spinnenbeinchen schnell aufgescheucht umhertrippeln sah. Angewidert verzog sie das Gesicht und machte unweigerlich in der Hocke einen kleinen Satz nach hinten. Spinnen, gerade Spinnen. Vorsichtig tastete sie nach dem Kragen der erlegten Beute und erstarrte, als der Schnabel des toten Vogels noch einmal zuckte, sich zu bewegen schien. Unfähig auch nur einen Muskel zu rühren, beobachtete sie mit weit aufgerissenen Augen, wie der Hals des Truthahns zu pulsieren begann, sich knödelartige Klopse darin bildeten, an- und abschwollen. Dann klappte der Schnabel auf und eine wimmelige Wuselflut an schwarzen, dicken, haarigen Spinnenbeinen sprengte hinaus, ihr entgegen… und noch immer konnte sie sich nicht rühren!


Charica:
Es klappert das Rad des Wägeleins, klipp-klapp, rattatapp, so munter so frei!
Wohin geht diese Reise kleiner Tross, hipp-hopp, troppelropp, ist vollkommen einerlei!
Weit ist die Welt und wem sie gefällt, der wird überall Zuhause sein.

Es regnet das Wasser vom Himmel herab, plitsch-platsch, padderadsch, den Bindfäden gleich!
Der Magen der knurrt und die Kälte die zieht, brrr-brrr, eieiei, die Gesichtlein sind bleich!
Weit ist die Welt und wer hat kein Geld, der schaut in den leeren Teller hinein.

Es rasseln die Säbel im Blitzgewitter, sirr-kling, plingedring, so tödlich und schnell!
Gemischt mit den Schreien der Sterbenden dann, oh-nein, bitte nicht, verzerrt und so hell!
Weit ist die Welt, doch der Tod hat bestellt, die Felder auf denen das fahrend‘ Volk ist daheim.


Bertram:
Die Gassen des Hafens kannte er in- und auswendig, jeder Stein war im gewitzten Köpfchen abgespeichert, vom Pier bis zu dem Haus, in welchem sein Herz Zuhause war. Man hätte ihm die Augen verbinden und blind loslaufen lassen können, er hätte immer und immer wieder zu ihr gefunden. Ein weiches Lächeln machte sich auf seinen Zügen breit, denn es erstaunte ihn wie ein einfacher Gedanke an das, was ihn im Heim erwartete alte und hässliche Erinnerungen an eine Umgebung wie diese wieder ausmerzen konnte. Als habe man einen Schwamm über eine grausig beschmierte Schultafel gewischt.
„Aaaah, mein Junge, aber siehst du, die Kreidespuren bleiben, setzen sich nach und nach im Stein ab und kein Wasser, kein Fingernagel der Welt kann sie je wieder entfernen, ehehehehe.“
Rasch fuhr er herum und die Hand suchte zielsicher den Griff des kunstvoll gefertigten Dolches an seiner Gurtseite.
„Wer spricht da, zeig dich du feiges Stück…“
„Oh, mein Junge, hast du mich wohl doch schon vergessen? Muss ich deiner Schwester erst näherrücken, damit ihr Weinen dich wieder an mich erinnert?!“
Er spürte förmlich wie die Farbe aus seinem Gesicht wich und der Schweiß, der zurückblieb seltsam kalt und bitter schmeckte. Eine Weile kämpfte er, suchte nach Worten und brachte sie nur erstickt und langsam hervor:
„Aber… du bist...“
„Tot?“, in die Stille hinein merkte er, wie er nickte, unfähig eine Antwort zu geben. „Sieht nicht danach aus, hm, mein Junge? Nun schau nicht so fahl, ich werde deinem Schwesterlein nichts tun. Sie ist doch auch viel zu weit weg, nicht wahr? Nehmen wir Etwas, was näher liegt, wie war der Name des hübschen, kleinen Schneidermägdelein, das so brav auf dich wartet?“
„Nein…. Nein… NEIN!“
Doch der Aufschrei vermischte sich mit dem ekalhaft hallenden Lachen des Alten.


Jadia:
Sie wusste nicht, wieso sie hier saß, nicht wann es geschehen war und doch klebte die Erinnerung noch so frisch, wie eben verkippter Likör an ihr, haftete auch mit einem ähnlich süßlich-benebelndem Geruch an diesem Ort. Eng und zu stickig, die Luft holzig und trocken, Staub an den Lippen, aber Husten durfte sie nicht, auf gar keinen Fall. Nicht auszudenken was dann geschehen würde. Gekniffen hatte sie ihren Oberarm zuvor, fest und mit Nachdruck.
„Nur ein Mucks und du wirst es bitter bereuen!“
Daher schwieg sie, biss sich auf die Lippen, bis diese aufplatzten und das Blut in einem dünnen Rinnsal in den Mund sickerte. Es schmeckte nach Eisen und Staub, übertünchte nur schlecht den Geruch des Kistenholzes oder den Duft des billigen Rosenwassers und half auch nicht gegen die emsig stechenden Splitterfasern, die sich seitlich in die Schulter bohrten. Vor allem aber blendete nichts von alledem die Geräusche aus, die durchs Holz gedämpft gespenstisch dumpf und grollend tiefer wirkten. Dieses ewige Grunzen, Schnauben und Ächzen, gemischt mit Schreien, die wimmernd erklangen. Sie kniff die Augen zusammen und schluckte Tränen herab, versuchte die Hände zu heben und über die Ohren zu legen, doch es blieb beim Versuch, die Kiste war zu eng, zu erdrückend.
Warum verdammt noch einmal saß sie auf einmal wieder hier?!


Elaine:
Still, Körper, still.
Die Augen aber wollen nicht gehören, heben die Lider und sehen, während der Rest noch ruht.
Still, Körper, still.
Es ist nur das Zimmerlein, es ist der Hafen, der ist bekannt, oder? Nichts kann geschehen.
Still, Körper, still.
Was bewegt sich da in der Ecke? Was hebt die Gliedmaßen so eckig an? Was kommt näher heran?
Still, Körper, still.
Die Fratze einer lebensgroßen Puppe trägt es und die Arme, Beine sind Zweige, sind Rauch, sie haschen nach mir!
Still, Körper, still.
Es beugt sich tiefer, setzt sich herab und der Schrei ist nicht bereit, nur der Atem pumpt, schnauft.
Still, Körper, still.
Näher und näher, kann meine stummen Schreie niemand hören? WO SEID IHR ALLE?
Elaine… du bist allein.
Ganz allein.


Tasgall:
Augen zu, stell dich schlafen, die Schritte nahen schon heran. Wie konnte er dich hier überhaupt finden? Du bist so weit gereist, so unsagbar weit, dass es den Blick gebrochen und die Knochen müde gemacht hat. Doch du weißt schon lange, dass der Dreck überall haften kann und Ungeziefer findet immer einen Platz, an dem es sich festsetzt. Wenn es nicht er wäre, dann mit Sicherheit jemand anderes. Monster gibt es so unendlich viele wie Kakerlaken und Silberfischchen in den schmuddeligen Kaschemmen der Armenviertel aller Städte zusammen. Was also soll die Frage?
Diese schlurfenden Hinkeschritte und das Pfeifen aber, das ist einzigartig. Es mag an der Melodie liegen, ein bisschen wehmütig, lockend und weich aber zugleich unsagbar unheilvoll, dass es das Herz in der Brust sachte drückt, bis es schmerzt. Augen weiterhin zu und so tun, als würde man schlafen, während das Stiefelleder knarzt, als er sich neben der Pritsche herabbeugt.
Fast väterlich schwer und wärmend ist die Berührung der großen Hand am Schopf. Einmal durchatmen nur, dann greifen die Finger ins blonde Haar und reißen den Kopf unsanft in die Höhe.
„Aufgewacht, Goldkind, es gibt Arbeit!“


Arija:
Trippelnde Schritte von kleinen Füßen führen durch ein nächtliches Feld. Die Wiesen sind gemäht und der Duft von frischem Heu reichert die laue Spätsommernachtluft auf wundersame Weise mit würzigem Aroma an. Die Kindernase zuckt ein bisschen, die Nasenflügel schnuppern und ein wohliges Glucksen entweicht der Kehle. Tapfer wagt sie sich weiter auf die stoppeligen Wiesen und Weiden hinaus, ein Füßchen vor das andere setzend. Zu spät erst stockt der kleine Körper, als das Köpfchen unsicher und zittrig Gefahr meldet. Große Kinderaugen blicken sich nervös um und weiten sich noch mehr, als das ihr vermittelte Bild in seiner Gänze erfasst wird:
Nebelschlieren, weiß, wabernd und unglaublich dicht ziehen sich in seltsamen Reigen über das Feld, scheinen von allen Seiten auf einmal hereinzuschwappen und bedecken den Boden mit ungewöhnlich dichtem Dunst. Zuerst verlagert sie das Gewicht nur unstet von einem Fuß auf den anderen und ein kurzes Wimmern kommt über die Lippen. Doch dann presst sie tapfer die Lippen zusammen und wagt weitere Schritte, hält den Atem an, als der Nebel die Knöchel umfängt und die Knie zu schlottern beginnen. „Pitsch, pitsch, pitsch, pitsch…“ Jetzt werden die Schritte schneller, in dem verzweifelten Versuch den Bodendunst dabei aufzuwirbeln oder einfach das Ende des Feldes und das geliebte Heim wieder zu erreichen. „Pitsch, pitsch, pitsch, pitsch…PLATSCH!“ Ein Aufquieken, doch wieder zu spät, der Fuß steckt im Morast fest und obwohl sie zappelt und zerrt gibt der schmatzig feuchte Boden keinen Zoll Fleisch frei, sondern scheint sie weiter einzusaugen. Bald ist es der Unterschenkel, dann das Knie und heulend fällt das Kind unter den Nebel, spürt greifende Schlingen darin, knorrige Finger und Krallen, die sie mit hinabnehmen in die Schwärze.


Viktoria:
Im ersten Moment konnte sie gar nicht recht sagen, was sie geweckt hatte. Die Apotheke liegt so friedlich, idyllisch und vollkommen still im weißgüldenen Licht der Sterne. Stille! Mit einem Ruck setzt sie sich auf und lauscht angestrengt, während die Fingerspitzen klammer werden. Ja, es ist unsagbar still. Kein Rufen der Nachtwächter, kein Gröhlen eines Betrunkenen und kein nächtiger Vogelruf. Nicht einmal das obligatorische Dielenknarzen oder leises Rascheln der Vorhänge. Mit Vernunft wird die Panik wieder herabgedrückt, die Unsicherheit, wie auch die Bettdecke, beiseitegeschoben, ehe sie die Füße die Treppe hinab und in die Küche tragen. Ein kleiner Becher Wasser, um das Gemüt und die Nerven zu beruhigen. Vielleicht ein Tropfen Baldrian?
Kaum ist der Gedanke erfasst, da mischt sich endlich wieder ein Geräusch in die Totenstille. Hell, kreischend und scharf, wie Fingernägel über Glas – das Fenster! Der Kopf ruckt herum und fixiert das Fensterlein, dann scheint das Blut wortwörtlich in den Adern zu gefrieren. Ein metallischer Haken an einem verstümmelten Handstumpf kratzt schabend und suchend beharrlich über das milchige Butzenglas und eine schnarrende Stimme dringt untermalend zum grausigen Crescendo an die blassen Ohren:
„Viktooooriaaaaa, du warst ein unartiges Kind!“


Tamsin:
Das Zucken in den Schatten veränderte sich schon wieder, ein Winden und Schlingern, bis die endlos langen Glieder groteske Verrenkungen durchführten. Bekannt, gesehen und die Frage darin blieb doch die gleiche:
„Warum jetzt?“
Das Dunkel hatte sie umringt und mit einem Hauch von aberwitzigem Anflug siedenheißem Galgenhumor stellte sie fest, dass sie selbst jetzt, im Traum, noch das hölzerne Kochpaddel in der Hand hielt, mit der sie bis vor wenigen Stunden noch den Fisch gewendet hatte. Eine jämmerliche Waffe und doch war es der Instinkt, der sie auch hier, im Land des Schlafes, das hölzerne Handwerksutensil vor den Körper halten lies, als könne sie eine ganze Armee dieser zuckenden Schatten in der Rabenschwärze vernichten. Konnte sie nicht, doch die Frage verweilte im Raume:
„Warum jetzt?“
Und die Antwort half nicht weiter:
„Weil du weißt, dass es ein Traum ist, Tamssssssin und du weißt, wohin dein Weg dich führen muss!“


Clara:
Die Freundinnen zogen sie mit sich, kichernd und giggelnd wie ein ganzer Schwarm kleiner Gänse huschten sie näher an den Buchenhain heran.
„Ein Labyrinth ist’s…“, jauchzte die Erste.
„Darin findet man die große Liebe!“, flüsterte die Zweite.
„Oh, das wollen wir herausfinden.“, beschloss die Dritte.
Und alle waren dabei.
Johlend sprangen die Mädchen in den schmalen Weg in der Hecke und bahnten sich begeistert den Pfad um die vielen Kurven, beschimpften die Sackgassen und wurden emsiger, wie aufgeregte Bienen.
„Ich glaube wir sollten in den Osten gehen!“, entschied die Erste.
„Nein, daher kommen wir doch, in den Westen müssten wir nun.“, bemerkte die Zweite.
„Unsinn, im Norden hab ich Männerstimmen gehört!“, meinte die Dritte.
Und alle stoben davon.
Nach einer Weile aber verklangen die Stimmchen, männlich wie auch weiblich und das Heckenrascheln schien ungleich lauter ans Ohr zu dringen. Trödelschritte wurden zum sanften Trab, zum Galopp, zum Hasten, doch die Hecken wunden sich weiter.
„Wo seid ihr?!“, rief Clara.
„Bitte, das ist nicht lustig!“, rief Clara.
„HILFE!“, rief Clara.
Und niemand antwortete.


Einar:
Komm, komm kleiner Einar, lausche dem Wiegenlied.
Schau, schau kleiner Einar, wie der Nebel über’n Boden zieht.
Da draußen im Ginster warten sie finster:
die Toten, drum ist der Friedhof verboten.

Still, still kleiner Einar, husch unter die Decke
Bleib, bleib kleiner Einar, bis ich dich dann wecke.
Sie klappern übers Pflaster, das knöcherne Desaster:
die Toten, auf fleischlosen, knirschenden Pfoten.

Schrei, schrei kleiner Einar, wenn sie dich dann doch haben.
Laut, laut kleiner Einar, an deinem Fleische sich laben.
Du entkommst ihnen nicht, sieh das Grinsegesicht:
der Toten, des Raben schaurige Boten.


Welch nette Rauchgeschenke!




Zuletzt bearbeitet von Der Erzähler am 27 Mai 2021 23:11, insgesamt einmal bearbeitet
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Viktoria Hamberg





 Beitrag Verfasst am: 28 Mai 2021 09:39    Titel:
Antworten mit Zitat

Zitat:
Viktoria:
Im ersten Moment konnte sie gar nicht recht sagen, was sie geweckt hatte. Die Apotheke liegt so friedlich, idyllisch und vollkommen still im weißgüldenen Licht der Sterne. Stille! Mit einem Ruck setzt sie sich auf und lauscht angestrengt, während die Fingerspitzen klammer werden. Ja, es ist unsagbar still. Kein Rufen der Nachtwächter, kein Gröhlen eines Betrunkenen und kein nächtiger Vogelruf. Nicht einmal das obligatorische Dielenknarzen oder leises Rascheln der Vorhänge. Mit Vernunft wird die Panik wieder herabgedrückt, die Unsicherheit, wie auch die Bettdecke, beiseitegeschoben, ehe sie die Füße die Treppe hinab und in die Küche tragen. Ein kleiner Becher Wasser, um das Gemüt und die Nerven zu beruhigen. Vielleicht ein Tropfen Baldrian?
Kaum ist der Gedanke erfasst, da mischt sich endlich wieder ein Geräusch in die Totenstille. Hell, kreischend und scharf, wie Fingernägel über Glas – das Fenster! Der Kopf ruckt herum und fixiert das Fensterlein, dann scheint das Blut wortwörtlich in den Adern zu gefrieren. Ein metallischer Haken an einem verstümmelten Handstumpf kratzt schabend und suchend beharrlich über das milchige Butzenglas und eine schnarrende Stimme dringt untermalend zum grausigen Crescendo an die blassen Ohren:
„Viktooooriaaaaa, du warst ein unartiges Kind!“



Die kleine Heilerin war blass wie Schnee. Die Luft vor Schreck angehalten, hörte sie das Blut in ihren Ohren rauschen. „Graubart...." keuchte sie ausatmend und sog die Luft schneidend wieder ein. Nun war sie wie versteinert. Sie starrte das Fenster an. Sie erinnerte sich mit einem Mal, wie der alte Seemann mit dem toten Auge und seinem Haken statt Hand am Hafen stand und die Bewohner des Fischerdorfes Beobachtet hatte. Die Alten hatten sich einen Spaß daraus gemacht, den Kinder zu erzählen, dass Graubart unartige Kinder des Nachts aus ihren Betten holte, um sie mit auf sein Schiff der Toten zu nehmen. Natürlich hatte auch Viktoria daran geglaubt, denn ihr Vater hatte es ihr ebenfalls erzählt, wenn sie mal wieder bockig oder eigensinnig war. So wie viele Kindheitsängste verloren gingen, war auch diese Angst vor Graubart verblasst.

Aber sie hatte den Haken doch gerade gesehen?
Seine schnarrende, alte Stimme gehört?
Viktoria kniff sich in den Oberarm um zu prüfen, ob sie wach war.
Es tat weh.
Die Augen in voller Panik aufgerissen, drückte sie sich an die Küchenzeile und starrte keuchend das Fenster an.

„Viktooooriaaaaa, du warst ein unartiges Kind!“ ertönte es erneut.

„Nein... nein... nein... Du bist nicht echt, Du bist tot! Du bist vor Jahren gestorben, Graubart!“

Die Worte kamen nur flüsternd, keuchend aus dem Mund der kleinen Frau. In dem blassen Mondlicht wirkte sie noch kleiner als sonst. So blass und zerbrechlich, wie eine Porzellanpuppe. Das kreischende Geräusch der Fensterscheibe erklang wieder, der Haken blitzte auf und pochte gegen die Scheibe.

„Viktooooriaaaaa!“ Pock … pock … pock …

Wie ein schweres Pendel einer Standuhr pochte es an die Scheibe. Mit lautem Krachen schlug der Haken das kleine Fenster ein und gierte nach der Frau, verletzte ihren Unterarm und zog einen blutigen Kratzer darüber. Ein schnarrendes lachen erklang und Viktoria schreckte auf.

Sie keuchte schwer, als sei sie die Kellertreppe mehrfach rauf und runter geeilt. Sie saß an ihrem Schreibtisch, über Bücher und Abschriften eingeschlafen. Nach einem Moment des Orientierens schob sie hastig ihren Ärmel hoch und sah nach ihrem Arm.

Nichts.

Der Arm war unverletzt.
Es war auch nicht still im Haus, sondern ein leises Klacken drang vom Untergeschoss zu ihr rauf. Die kleine Frau zog sich einen Morgenmantel über und stieg die Treppen zum Untergeschoss hinab.
Das Fenster.
Das Fenster in der Küche war nicht zerbrochen, aber es zog sich ein langer Kratzer darüber. Viktoria erschauderte.


Zuletzt bearbeitet von Viktoria Hamberg am 28 Mai 2021 09:41, insgesamt einmal bearbeitet
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Arija Dormuth





 Beitrag Verfasst am: 28 Mai 2021 09:59    Titel:
Antworten mit Zitat

Sie drehte sich in ihren Laken und vergrub das Gesicht in ihrem weichen Kissen.
Ein Lächeln umspielte die Lippen Arijas, während sie immer tiefer in die Traumwelt glitt.
Die Bilder der kindlichen Erinnerung an die saftigen Wiesen umhüllten sie mit Wärme und Freude.
Erneut knisterte die Decke leise, während sich die junge Frau auf den Rücken zurück rollte und
die rechte Hand unterm Kissen vergrub. Sie spürte die warmen Sonnenstrahlen ihr Gesicht kitzeln,
als sie sich der Sonne entgegen streckte und der feine Wind wehte ihr die langen Haare um die kleine Stubsnase.
Ein leises Kichern entsprang ihrer Kehle und die Nase sog den milden Duft von Heu und …
Kräutern die sie nicht näher erfassen konnte auf.

Sie flitzte über das feine Gras und erfreute sich an der Freiheit und Unbeschwertheit ihrer Kindheit!

Doch als der Nebel sie erfasste und stetig weiter umschlang, schauderte der Körper Arijas im hier und jetzt.
Eine deutliche Gänsehaut bildete sich und während die Augen fest geschlossen davon zeugten,
wie sie in ihrem Traum gefangen schien, beschleunigte sich ihre Atmung rapide.

Die Nebelschwaden … sie kommen … sie holen mich …
Velkas hatte es gesagt … ihr Bruder hatte sie gewarnt …
sie holen die kleinen Mädchen und haschen sie ins Nichts …
weg … sie musste hier weg … nach Hause …
wo musste sie hin … welche Richtung musste sie gehen …


Ihre Hände griffen nach Stoff und versuchten Halt zu finden, während der Kopf wild hin und her geworfen wurde.
Feine Schweißperlen der Angst bildeten sich auf der glatten Stirn
und die ersten Strähnen klebten feucht daran wie Algen an einem zarten Bein.

Sie rannte los und versuchte panisch einen Ausweg aus diesem Nebel zu finden.
Sie trat und wedelte so schnell sie nur konnte, doch der Grund unter ihr wurde weich …
weicher …
morastig …
und PLATSCH!

Ein Aufquieken entwich den zarten Lippen und das Laken zog sich nun immer fester um die strampelnden Beine der Träumenden.
Sie schwitzte und wimmerte und als der Nebel sie in ihren Träumen verschluckte, packten zwei Hände ihre Oberarme und
schüttelten sie unter einem lauten Aufschrei ins hier und jetzt!
Velkas umschlang seine Schwester und sie sog den schützenden, tröstlichen Halt auf wie den nun langsam wiederkehrenden ruhigeren Atem.

Eine Kerze wurde entzündet und auch wenn Velkas für diese Nacht nicht von ihrer Seite wich, an Schlaf war für jetzt nicht mehr zu denken…


Zuletzt bearbeitet von Arija Dormuth am 28 Mai 2021 10:02, insgesamt einmal bearbeitet
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Maeva Suna Schnellbach





 Beitrag Verfasst am: 28 Mai 2021 11:01    Titel:
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Der Bogen wird geschultert und ein feines Grinsen macht sich auf den jungen Zügen breit. Erwartet hatte sie eine kleine Wachtel, erhofft einen dickeren Hasen und erwischt einen fetten Truthahn, der nun in einigen Metern Entfernung auf dem Boden lag und sich nicht mehr rührte. Allein bei dem Gedanken an den saftigen Braten und das helle Fleisch des Getiers lief ihr das Wasser im Mund zusammen und mit schnellen Schritten ging sie der Beute lautlos entgegen. Sie beugte sich herab und berührte in stiller Begeisterung das prächtige Gefieder, nur um rasch die Hand wieder zu heben. Da hatte sich doch etwas unter dem ausgebreiteten Flügel bewegt, oder? Behutsam hob sie ihn mit zwei Fingerspitzen an und zuckte rasch zurück, als sie die rasch krabbelnden Spinnenbeinchen schnell aufgescheucht umhertrippeln sah. Angewidert verzog sie das Gesicht und machte unweigerlich in der Hocke einen kleinen Satz nach hinten. Spinnen, gerade Spinnen. Vorsichtig tastete sie nach dem Kragen der erlegten Beute und erstarrte, als der Schnabel des toten Vogels noch einmal zuckte, sich zu bewegen schien. Unfähig auch nur einen Muskel zu rühren, beobachtete sie mit weit aufgerissenen Augen, wie der Hals des Truthahns zu pulsieren begann, sich knödelartige Klopse darin bildeten, an- und abschwollen. Dann klappte der Schnabel auf und eine wimmelige Wuselflut an schwarzen, dicken, haarigen Spinnenbeinen sprengte hinaus, ihr entgegen… und noch immer konnte sie sich nicht rühren!

Eine Mischung aus furchtbarem Ekel, Entsetzen und Panik stieg in ihr auf, als der Truthahn sich als nicht so appetitlich entpuppte, wie sie zuerst dachte und darüber frohlockte. Sie wollte so unbedingt aufstehen, wegrennen, diese widerwärtig krabbeligen Getiere hinter sich lassen, die da auf sie zukamen. Das Schlimme daran war nicht nur sie zu sehen, sie konnte das Geraschel ihrer unzähligen Beinchen und Füßchen auf dem Boden tatsächlich hören!

Bei den Göttern, sie hasste Spinnen so sehr! Und nun sah sie sich einer regelrechten Meute davon ausgesetzt und schaffte es nicht, die Beine zu begradigen, aus der Hocke hochzukommen und wegzulaufen, dabei wäre es doch ein Leichtes, oder?
Natürlich schrie das Bewusstsein, dass es sich um einen Traum handelt, sie nur aufwachen müsste, aber das geschah nicht. Erst, als die ersten Spinnen sie fast erreicht hatten, schaffte sie es diese Lähmung, aus Panik geboren, abzuwerfen und nicht weniger panisch aufzuspringen und loszurennen.

Immer wieder warf sie einen Blick zurück, immer wieder musste sie feststellen, dass sie nicht in der Lage war sie abzuschütteln. Fast, als liefe sie auf der Stelle. Ihr Blick suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Ein Fluss! Sie hielt auf das Wasser zu, hörte es schon jetzt rauschen. Es musste eine ungeheure Strömung sein. Selbstmörderisch da rein zu springen oder? Spinnen oder Wasser? Sie dachte nach, während sie rannte, bis ihr die Lungen brannte. Wasser! Sie traf die Entscheidung nicht wirklich bewusst. Es schien ihr einfach die weniger schreckliche Sache zu sein.

Die Spinnen holten auf, sie hatte noch ein gutes Stück zu rennen, bis sie den Fluss erreichte. Also legte sie sich ins Zeug, versuchte das Letzte aus sich herauszuholen, spürte aber schon die Erschöpfung über sie hinwegschwappen. Und die ersten Spinnen schafften es sie einzuholen, erklommen ihr Stiefelwerk. Es wurden mehr und mehr. Sie schrie wie am Spieß, versuchte sie weg zu schlagen, taumelte weiter gen Fluss. Fast hatten sie ihre Brust erreicht, da ließ sie sich in die eiskalten Fluten fallen..


Mit einem Keuchen wachte sie auf aus ihrem Albtraum, sprang regelrecht aus der Schlafstatt und schlug sich blindlings über den ganzen Leib, als müsste sie auch im Hier und Jetzt das Krabbelgetier verscheuchen. Hastig bemühte sie sich ein Licht zu entzünden, was dank ihrer Panik drei Anläufe brauchte. Erst als das ihr noch immer fremde Zimmer sich ins warme Licht tauchte, sie keine Spinnen sah, ihr Geist begriff, dass es nur ein Traum war, atmete sie tief durch und ließ sich auf die Bettstatt sinken, noch immer zitternd und das Herz wollte sich auch nur langsam beruhigen.
„Sei nicht albern, du bist kein Kind mehr, das war nur ein Traum“, murmelte sie fast wie ein Mantra vor sich hin.
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Elaine Ilios





 Beitrag Verfasst am: 28 Mai 2021 13:59    Titel:
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Zitat:
Elaine:
Still, Körper, still.
Die Augen aber wollen nicht gehören, heben die Lider und sehen, während der Rest noch ruht.
Still, Körper, still.
Es ist nur das Zimmerlein, es ist der Hafen, der ist bekannt, oder? Nichts kann geschehen.
Still, Körper, still.
Was bewegt sich da in der Ecke? Was hebt die Gliedmaßen so eckig an? Was kommt näher heran?
Still, Körper, still.
Die Fratze einer lebensgroßen Puppe trägt es und die Arme, Beine sind Zweige, sind Rauch, sie haschen nach mir!
Still, Körper, still.
Es beugt sich tiefer, setzt sich herab und der Schrei ist nicht bereit, nur der Atem pumpt, schnauft.
Still, Körper, still.
Näher und näher, kann meine stummen Schreie niemand hören? WO SEID IHR ALLE?
Elaine… du bist allein.
Ganz allein.


Ein Auszug aus Elaines Tagebuch:

Ich lag still. Der Rücken auf weicher Matratze gebettet, der Kopf genoss die Ruhe auf einem fluffigen Kissen. Endlich, nach Wochen, hatte ich etwas Bequemes unter dem Leib, Fero sei dank. Auf den provisorisch gestapelten Fellen hatte ich lange genug geschlafen. Mein Rücken machte mich unlängst darauf aufmerksam. Jedoch kann das Schicksal schnell zum Unliebsamen mutieren. Kaum das wohlige Gefühl genießend, wie auf Wolken zu nächtigen, begannen sie: Die Albträume. Ganz ehrlich: Normalerweise träume ich nicht. Nie. Oder, sagen wir: Selten. Und dann so etwas Verrücktes, wie in letzter Zeit, das kam, soweit ich mich erinnern kann, nicht vor.

Also, wie anfangs erwähnt: Ich lag still. Die Augen waren geöffnet. Klingt nach nichts Ungewöhnlichem, oder? Doch jetzt kommt's: Ich konnte meine Stimme nicht hören, meine Arme und Beine nicht bewegen. Außerdem war ich auch nicht richtig wach - schwer, zu erklären! Kennst du das Gefühl, einen sich unheimlich echt anfühlenden Albtraum zu haben? So ungefähr kann man's beschreiben. In der Regel ist der Traum auch vorbei, sobald man die Augen geöffnet hat, aber ich war mittendrin, trotz aufgerissener Lider, hörte Stimmen, und sah sie: Diese riesigen Puppengesichter um mich herum, wie sie in der Dunkelheit immer näher kamen. Ich hasse - hasse! - Puppen! Vor allem, wenn sie so echt aussehen, wie menschliche Hüllen. Nicht umsonst habe ich die Dinger als Kind immer umgedreht, wenn ich ins Bett stieg, ohne ihre Grimassen zu sehen. Ansonsten befürchtete ich, sie würden mit ihren starren Blicken auf mich zu schweben. Stell' dir vor, du wachst auf, und hast plötzlich diese gruselige Fratze vor Augen!

Das Merkwürdige ist - als wären diese Szenen nicht schon seltsam genug: Ich träume seit Tagen das Gleiche. Großzügig geschätzt, bekomme ich eine, oder zwei Stündchen Schlaf am Tag; die restliche Nacht fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Wenn ich in dem paralysierten Zustand wenigstens schreien, mich wehren könnte, aber es ist so, als hätte ich Arme und Beine ans Bett gefesselt. Hinzu kommt die Angst, zu ersticken, ohnmächtig zu werden; ich atme schwer, schwitze, fühle mich allein' gelassen. Dieses Bewusstsein verspürte ich in Winterfall, meiner alten Heimat, oft, wenn ich ins Gesicht meines Vaters sah. Vor dem Schlafengehen sollte ich mir einen Kamillentee aufkochen, mit einem ordentlichen Schuss Rum - dann hat die Träumerei endlich ein Ende. Hoffentlich.
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Charica Laudel





 Beitrag Verfasst am: 28 Mai 2021 18:01    Titel:
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Das Rauchmädchen hat Folgendes geschrieben:
Es klappert das Rad des Wägeleins, klipp-klapp, rattatapp, so munter so frei!
Wohin geht diese Reise kleiner Tross, hipp-hopp, troppelropp, ist vollkommen einerlei!
Weit ist die Welt und wem sie gefällt, der wird überall Zuhause sein.

Es regnet das Wasser vom Himmel herab, plitsch-platsch, padderadsch, den Bindfäden gleich!
Der Magen der knurrt und die Kälte die zieht, brrr-brrr, eieiei, die Gesichtlein sind bleich!
Weit ist die Welt und wer hat kein Geld, der schaut in den leeren Teller hinein.

Es rasseln die Säbel im Blitzgewitter, sirr-kling, plingedring, so tödlich und schnell!
Gemischt mit den Schreien der Sterbenden dann, oh-nein, bitte nicht, verzerrt und so hell!
Weit ist die Welt, doch der Tod hat bestellt, die Felder auf denen das fahrend‘ Volk ist daheim.


Müde vom Frühlingstag im Blütenmeer von Argantfels schlummert die bunte Gesellin friedlich im Nordquartier, ein stillstehendes Haus ohne Räder, viele Mondenläufe schon etwas, das sie eine Heimat nennt. Doch es gibt so manches, was sie als heimelig bezeichnet, bescheiden und treu hängt sich das Herz an jene, die ihr Sicherheit und Freundlichkeit und Brot geben (und Honigkekse!). Eine Gemeinschaft mit tollenden Kindern, die ihre Reihen immer wieder öffnet, wenn helle Silberglöckchen sich mit heiterem Schellen nähern. Frohlockend singt die Seele, wenn ihre Schritte sie in den taubedeckten Wald, auf die duftenden Höhen, an die brausende Küste bringen. Jetzt liegen die schwarzen Locken Charicas gemütlich gebettet auf Kissen und Fellen, während leise kichernd die Rauchfingerchen durchs Schlüsselloch hereinsippern, tanzend, lockend, träumelich, heimelich... das Zimmer durchziehen und sich sanft auf die gestrandete Fahrende legen.
Mit einem kleinen Lächeln empfängt sie den Traum.


"Jahiii! Reisen ist schön!"
Eine kindliche Charica sitzt hoch am hölzernen Wagen und streckt die Arme in die Luft.
Mit Jauchzen und Gelächter wird jede neue Gegend begrüßt, jeder neue Frühling, jedes neue Gesicht.
Rädergeklapper begleitet ihr Leben, Veränderung ist eine Konstante.
Ein neues Dorf. Die Eltern, die Verwandten sorgen für alle, arbeiten, wenn sie dürfen und können. Großmutter bereitet die Hausmittel, die Kinder sammeln, was man noch essen und brauchen kann. Die schwarzlockige Kleine bindet Blumenkränze für die Dörfler.

Das Bild verschwimmt kurz. Ganz plötzlich sind Gewitterwolken da und Blitze fächern sich über den Himmel. Als die ersten Tropfen fallen, verlassen die Einwohner und potenzielle Kunden den Tross.
Die Mutter klagt. Der Vater hebt die schaufelartige Hand an die Stirn und späht nach dem wenigsten schlammigen Plätzchen im Dorf.
Die Kinder klammern sich an Röcke und Balken oder krabbeln in die Wägen.
Die Dörfler beäugen von unterdachs die Fahrenden, als wäre der Straßenstaub an ihren Kleidern ihr ganzes Wesen und sonst nichts.
"Hier könnt ihr nicht bleiben."
"Nur ein halbwegs trockener Ort, mein Herr..."
"Kein Hausiererpack im Dorf!"keift's.
"... Mutter behüte euch."
Der Wagen wird in den nahen Wald gelenkt. Ein grüner Baldachin mit dichten Säulen, ein wenig Schutz für Tier und Mensch.
Geplättete, durchnässte schwarze Locken graben nach Wurzeln und ziehen an Pilzen. Die Wagentüren bleiben zu und die Mägen knurrend.

Wieder wechselt das Bild. Ein schnaubendes Pferd prescht in den vollen Galopp, trotz Zaum und Kummet.
Der Tross jagt dahin, sucht sein Heil in der Flucht vor kriegerischen Horden, vor Brand und Raub.
Klagen, Wimmern, Ächzen... der Blumenschmuck segelt in den Schlamm. Eine ausgewachsene, aber dünne Charica wirft panisch einen Blick nach hinten. Da bricht splitternd ein Rad, der hinterste Wagen, deutlich abgeschlagen, knickt ein und strandet direkt vor den Plünderern. Schreie und Wehklagen erfüllen die Luft. Schwarze Locken verbergen sich jammernd an Großmutters Schulter. Peitschend jagt der Vater das Zugtier in die Ferne. Mutter gebe, dass es woanders besser sei.


Aus dem Schlaf schreckt die bunte Gesellin mit Panik, das Lächeln ist fort und macht einer Maske des Entsetzens Platz... der Impuls lässt sie - noch vom Traume gebannt - barfuss über die Dielen eilen, von den Bildern wimmernd zu flüchten... ehe die Wärme und der sanfte Duft nach Kaminfeuer Charica in die Wirklichkeit zurückholt. Sie drückt die Hand aufs schwere Herz und holt sich schaudernd einen Honigkeks.
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Tasgall





 Beitrag Verfasst am: 29 Mai 2021 12:23    Titel:
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Zitat:
Augen zu, stell dich schlafen, die Schritte nahen schon heran. Wie konnte er dich hier überhaupt finden? Du bist so weit gereist, so unsagbar weit, dass es den Blick gebrochen und die Knochen müde gemacht hat. Doch du weißt schon lange, dass der Dreck überall haften kann und Ungeziefer findet immer einen Platz, an dem es sich festsetzt. Wenn es nicht er wäre, dann mit Sicherheit jemand anderes. Monster gibt es so unendlich viele wie Kakerlaken und Silberfischchen in den schmuddeligen Kaschemmen der Armenviertel aller Städte zusammen. Was also soll die Frage?
Diese schlurfenden Hinkeschritte und das Pfeifen aber, das ist einzigartig. Es mag an der Melodie liegen, ein bisschen wehmütig, lockend und weich aber zugleich unsagbar unheilvoll, dass es das Herz in der Brust sachte drückt, bis es schmerzt. Augen weiterhin zu und so tun, als würde man schlafen, während das Stiefelleder knarzt, als er sich neben der Pritsche herabbeugt.
Fast väterlich schwer und wärmend ist die Berührung der großen Hand am Schopf. Einmal durchatmen nur, dann greifen die Finger ins blonde Haar und reißen den Kopf unsanft in die Höhe.
„Aufgewacht, Goldkind, es gibt Arbeit!“


Und aufgewacht war er. Aber nicht in die scheinbare Freiheit eines kalten Morgens, begleitet von einem erstickten Keuchen und dem Pochen eines rasenden Herzens, das sich langsam doch der Wahrheit bewusst wurde, dass der Kopf nur geträumt hatte.

Etwas, das eigentlich nicht sein durfte. Träume wie dieser, so sehr sie einen auch plagen mochten, hatten aufzuhören. Sie hatten ein Ende, das man ersehnen und erwarten durfte, auch wenn sie im Gegenszug dafür immer wieder kamem.

Aber dieser Traum wollte nicht enden.

Er brachte ihn wieder zurück, an einen Ort der eine halbe Ewigkeit entfernt sein mochte. Zurück in ein Leben, das für manch einen nicht weiter dramatisch erscheinen durfte, für ihn aber die Hölle gewesen war.

Und da war es wieder, das Lächeln eines bärtigen Gesichtes, das Wohlwollen suggerieren sollte, die Augen aber leer ließ. Dieses Lächeln scherte sich nicht im Geringsten um ihn , oder um die anderen Kinder, die irgendwo in der Nähe in Fetzen oder Müll ein Nachtlager fanden.

Dieses Lächeln scherte sich nur um eines. Münzen. Geschmeide. Gold. Und dafür war jedes Opfer, jede kleine Grausamkeit , gefolgt von einer leeren Geste des Wohlmeines, recht.

Die Worte ebenso hohl wie das Lächeln. Die Aufforderung, etwas zu essen zu beschaffen, für die übrigen Kinder, verstand sich von selbst. Für die Schwester, die unschuldig und nichts böses ahnend, noch auf einem der Kleiderhaufen schlief. Eine Schwester, die im nächsten Moment schon nicht mehr da war, und auch die Gesichter der übrigen Kinder fort.

Sie alle waren verschwunden, eines um das andere. Aufgebraucht und aufgezehrt. Die einen gehascht, die anderen verkauft. Manche in das Lächeln aus anderen Gesichtern gelaufen.
Ein Lächeln, das niemals etwas gutes verhieß. Nicht, wenn man scheinbar allein und schutzlos in ein Leben wie dieses geboren war.

Echte Monster gab es, gibt es. Und sie tragen keine Felle, keine Klauen und scharfen Zähne. Echte Monster gab und gibt es. Und sie tragen zumeist ein Lächeln im Gesicht.

Der Traum wusste das auch, und ließ es ihn spüren. Durch Gassen und Straßen ziehen, die voll waren von den Erinnerungen an lächelnde Gesichter. Und die Grausamkeit, die damit einher gegangen war. Dinge, an die man sich als Kind nicht erinnern wollte, die besser vergessen und begraben waren. Aber fort waren sie nie.


"Lauf, mein Goldjunge, lauf weit weg. Soweit du willst. Aber entkommen wirst du nie"

Und entkommen war er auch nicht.

Auch wenn der Traum nunmehr doch ein Einsehen hatte und ein Ende fand. Wenn auch nicht aus Mitleid oder Nachsicht. Der Traum wusste, dass er nicht enden würde. Der Traum wusste, dass er kein Traum war, sondern das Leben. Und dass der Goldjunge nicht schlafen musste, um ihn zu sehen.


"Lauf, mein Goldjunge ......"

Da war es dann doch. Das erstickte Keuchen, das echtes Erwachen signalisierte. Der kalte Schweiss auf der Stirn und die Panik des ersten Momentes in der Brust, in welchem man nicht wusste, wo man eigentlich war.

Die Umgebung war grau. Klamm. Der Boden hart. Der Goldjunge allein. Von draußen spitzte das erste Licht des Tages. Die Verheissung von neuen Gelegenheiten und neuen Möglichkeiten.
Und das hohle Gelächter eines lächelnden Gesichtes, das nie ein Traum gewesen war.


"Lauf ..."
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Jadia Conandil





 Beitrag Verfasst am: 29 Mai 2021 16:58    Titel:
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Der zierliche Körper bog sich und wand sich, die Decke war schwer wie blei. Nein rau und fasrig wie Holz. Die Nase füllt sich mit jedem Atemzug mit diesem einen Geruch. Dem Geruch aus dem Holz der Kiste, dem Lavendel der Laken darin, der Rauch des Tabaks und das süße wiederliche Veilchen-Duftwässerchen der Damen.
Sie rochen alle gleich.
Sie hatten alle den gleichen Puder.
Sie waren alle gleich.
Beliebig. Austauschbar.
Mama, Tante, Tante, Mama.
Alle gleich.
Alle irgendwann fort.
Nur die Kiste blieb, nur die Männer blieben und waren doch so austauschbar. Eine gesichtslose Masse an Körpern.



Erdrückend und schwer wie blei,
oh Vogel Freiheit, komm bald herbei.
Das Dunkel weicht auch nicht am Tag,
macht aus meinem Versteck doch meinen Sarg.

Tanze, tanze du musst lachen, tanzen schlage Kapriolen,
sonst wird die dunkle Enge dich noch holen.
Du musst Lächeln, zeig dein fröhliches Gesicht,
Grummelliesen mögen die Freier nicht...



Nichts bleibt. Das zierliche Weib blieb auch nicht. Sie verschwamm, löste sich auf im Holz der Kiste, im Geruch aus süßen Weiberleibern und in der Masse der Männerkörper. Keine Grenze, kein Aufhalten. Ein fester Aufprall auf den Teppich vor ihrer Pritsche. Das Herz pochte wie das eines kleinen Raubtiers, das vor einem großeren geflohen war und es gerade noch so in seine Höhle geschafft hatte.
Teppich. Nicht die Kiste.
Die Hafengeräusche drangen an ihr Ohr und durch das nur spärlich mit einem Vorhang verhangene Fenster dran das schwammige Zwielicht eines neuen Morgens. Ein Strecken in alle Richtungen, ein Biegen und Dehnen des Körpers, dann ein tiefnotschweres Seufzen.
Es war ein Traum gewesen. Einer von vielen und keiner von denen, die sie nochmal träumen wollte. So viel stand fest.
Doch das Herz pochte immer noch.
Warum roch die Taverne plötzlich nach Lavendel und Veilchen?

Tanz. Püppchen. Tanz.
Lächel und mach ein schönes Gesicht.
Was du fühlst interessiert nicht mal dich.

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Sa'ga'trxran





 Beitrag Verfasst am: 30 Mai 2021 17:30    Titel:
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Zitat:
Clara:
Die Freundinnen zogen sie mit sich, kichernd und giggelnd wie ein ganzer Schwarm kleiner Gänse huschten sie näher an den Buchenhain heran.
„Ein Labyrinth ist’s…“, jauchzte die Erste.
„Darin findet man die große Liebe!“, flüsterte die Zweite.
„Oh, das wollen wir herausfinden.“, beschloss die Dritte.
Und alle waren dabei.
Johlend sprangen die Mädchen in den schmalen Weg in der Hecke und bahnten sich begeistert den Pfad um die vielen Kurven, beschimpften die Sackgassen und wurden emsiger, wie aufgeregte Bienen.
„Ich glaube wir sollten in den Osten gehen!“, entschied die Erste.
„Nein, daher kommen wir doch, in den Westen müssten wir nun.“, bemerkte die Zweite.
„Unsinn, im Norden hab ich Männerstimmen gehört!“, meinte die Dritte.
Und alle stoben davon.
Nach einer Weile aber verklangen die Stimmchen, männlich wie auch weiblich und das Heckenrascheln schien ungleich lauter ans Ohr zu dringen. Trödelschritte wurden zum sanften Trab, zum Galopp, zum Hasten, doch die Hecken wunden sich weiter.
„Wo seid ihr?!“, rief Clara.
„Bitte, das ist nicht lustig!“, rief Clara.
„HILFE!“, rief Clara.
Und niemand antwortete.



Der Traum riss sie aus dem Schlaf, bleierne Schwere auf ihrem Brustkorb, sie konnte kaum atmen. Sie spürte ihre Arme und Beine nicht mehr, im Grunde spürte sie nichts mehr, alles fühlte sich dumpf an, die Augen wanderten panisch durch das kleine Zimmer, in dem sie untergebracht war - und sie waren das einzige, das sie im Moment in der Lage war zu bewegen, sie versuchte sich mit ihnen ein Stück Kontrolle zu bewahren, zumindest zu sehen, was da war. Doch da war nichts. ‚HILFE‘ ...

...hallte es in ihrem Kopf nach, während die Hecken sich wanden, die Laute des Traumes nachhallten, das Lachen ihrer Freundinnen, doch in der Kälte der Einsamkeit lag sie allein im Bett und hatte panische Angst. Der Atem ging schnell, oberflächlich, sie wollte schreien, aber sie konnte nicht - minutenlang lag sie nur da, die Augen zwanghaft offen, um nicht wieder die Bilder des Traumes wahrzunehmen, der Körper zuckte, ein Zittern durchfuhr sie - die Stunden bis zum Morgengrauen waren eine Qual.

Noch den ganzen Vormittag über fühlte sie sich, als würde sie sich in einem Kokon befinden, die Geräusche der Umgebung, als sie durch die Straßen Adorans spazierte, drangen wie aus weiter Ferne, wie in einem Traum, an ihr Ohr, sie spürte ihre Beine kaum, als sie durch die Gassen in Richtung Hafen schlenderte. Die Menschen, die ihr begegneten, blickte sie gar nicht wirklich an - vor dem Hafenviertel hielt sie inne, als Flötenmusik an ihr Ohr drang, etwas, worauf sie sich für kurze Zeit fokussieren konnte.
Sie ließ sich am Steg nieder, die Füße baumelten etwas in der Luft, während die Flötenklänge leise an ihr Ohr drangen… ‚HILFE‘, drang es an ihr Ohr, ihre eigene Stimme, dumpf, aus dem Inneren… ‚Unsinn, im Norden hab ich Männerstimmen gehört‘… ‚Wo seid ihr?‘… die Hecken wanden sich, alle Geräusche um sie herum erstarben, sie war taub, nur das Ohr nach Innen brachte ihre tiefsten Ängste zum Vorschein, ihr Körper begann leicht zu zittern, das Bild vor ihren Augen verschwamm, um sie herum wurde es blau, halb verschwommen der Kiel des Schiffes sichtbar. Es wurde dunkler… es fühlte sich plötzlich kalt an, unangenehm, der Druck in ihrem Kopf wurde größer…

Druck auf ihrer Brust, sie würgte Salzwasser aus ihren Lungen, es war laut um sie herum, Meeresrauschen, reges Treiben, eine Traube Menschen um sie herum. Nicht lange und alles um sie herum wurde wieder dumpfer… in einem raschen Wechsel veränderte sich ihre Wahrnehmung, verlangsamt, weit von sich selbst getrennt… Helena… Elaine… sie folgte in eine warme Stube - und erst langsam fand sie wieder in ihren Körper zurück - die besorgen Gesichter um sie herum, die einfühlsamen Gesten, boten dem gepeinigten Geist genug Sicherheit, um sich aus dem Kokon zu schälen und es auszusprechen…

Sie würde einen Priester aufsuchen, das hatten sie ihr empfohlen… wollte sie das wirklich? Sie wusste nicht, was sie wollte… sie würde ihrer Arbeit nachgehen, für den Jungen sorgen, dafür bezahlte die Edle sie. Es war nicht so wichtig, wie es ihr selbst ging… sie wollte nichts fühlen… das Labyrinth… war mehr als nur ein Traum. Es war ihr ganzes Leben, und sie hatte sich verlaufen. Wann hatte es begonnen... womit. Sie wusste es - und schloss die Augen. Vergessen. Vergessen. Vergessen.

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Einar Kerndahl





 Beitrag Verfasst am: 31 Mai 2021 00:04    Titel:
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Der Erzähler hat Folgendes geschrieben:

Einar:
Komm, komm kleiner Einar, lausche dem Wiegenlied.
Schau, schau kleiner Einar, wie der Nebel über’n Boden zieht.
Da draußen im Ginster warten sie finster:
die Toten, drum ist der Friedhof verboten.

Still, still kleiner Einar, husch unter die Decke
Bleib, bleib kleiner Einar, bis ich dich dann wecke.
Sie klappern übers Pflaster, das knöcherne Desaster:
die Toten, auf fleischlosen, knirschenden Pfoten.

Schrei, schrei kleiner Einar, wenn sie dich dann doch haben.
Laut, laut kleiner Einar, an deinem Fleische sich laben.
Du entkommst ihnen nicht, sieh das Grinsegesicht:
der Toten, des Raben schaurige Boten.


Die Tür des Handelskontos schloss sich hinter Einar nach kurzem Knarren mit einem dumpfen Knall. Der Himmel war schon dunkel, ein trüber Schleier verdeckte die Sterne. War er so lange im Kontor gewesen?
Heim - nach Hause in seine kleine Wohnung in der
"Schlummernden Jungfrau" mit dem Ofen und der Öllampe. Er musste doch dringend nachhause und es war schon so spät!

Er lenkte seine Schritte den gewohnten Weg zwischen den niedrigen Hütten des Fischerdorfes hindurch. Gewohnt und dennoch anders, vernebelt.
Über ihm, das Ächzen des alten Birnbaumes; da wußte er: er durchquerte gerade den bajarder Totenanger. Dieses Ächzen - war es tatsächlich der Birnbaum? Brach da Holz? Ächzte nicht gar jemand, eine Person?
Im Augenwinkel eine Bewegung. Ein Zweig? Einar wagte es nicht, sich umzuwenden und nachzusehen. Schneller, er musste doch heim.
Wieder ein Geräusch, ein Knacken, ein Scharren.
Seine Nackenhaare stellten sich auf. Er wollte weiter, fort. Seine Beine schmerzten, es war anstrengend. Wieso kam er nicht vorwärts? Der Friedhof erstreckte sich vor ihm und hinter ihm ungewohnt lang. Der hölzerne Zaun, der eigentlich in Griffreichweite sein sollte, entzog sich ihm. Und in seinem Rücken immerwieder die Geräusche. Es war nun wie ein Stapfen auf der Erde, oder war es eher das Brechen von Holz? Von Särgen?

Sie mussten sich erhoben haben aus den Gräbern, die Toten!
Er mühte und plagte sich, versuchte sich Schritt für Schritt voran zu kämpfen. Er konnte es nicht schaffen, sie mußten schneller sein als er, mußten ihn unweigerlich einholen!

Vor ihm, durch dunstige Schleier, sah er schon die rettungverheißenden Laternen des
"Torkelnden Ogers". Ein Griff nach dem Zaunpfahl am Ausgang des Totenackers, er zog sich vorwärts, bot all seine Kräfte auf, um fort zu kommen. Seine andere Hand streckte sich nach der Taverne, in der noch eine lustige Runde hinter erleuchteten Fenstern Feierabend hielt und ein scheppernder Tusch gar von einer Musikkapelle kündete.
Die Nebel umgaben ihn...



Scheppern neben ihm - blinzelnd blickte er sich um.
Nebel umgab ihn. Etwas hielt ihn fest, er strampelte verzweifelt. Da löste sich die Decke, in die er halb eingewickelt war, auf der er halb lag, und seine Glieder waren wieder frei. Das unablässige Scheppern neben ihm: das Fenster an seinem Bett, das nicht richtig verschlossen war und vom Wind auf und zu geschlagen wurde und das nun den klammen Nebel aus der Bucht hinein in seine Kammer ließ.

Mit einem mürrischen, heiseren Fluch rappelte er sich auf und drückte das Fenster zu, das sich erst bei einem zweiten Versuch widerwillig verriegeln ließ.
Keuchend, fröstelnd griff er nach der verstoßenen Decke, wickelte sich wieder fest ein.

Dann lag er da, mit großen Augen in die ihn umgebende Finsternis der Schlafkammer starrend. So bald würde er nicht wieder einschlafen. Wollte er es denn überhaupt...?


Zuletzt bearbeitet von Einar Kerndahl am 31 Mai 2021 08:40, insgesamt einmal bearbeitet
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Morra Thuati





 Beitrag Verfasst am: 01 Jun 2021 16:55    Titel:
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Der Schleier zwischen den Welten

Mit dem Anbruch der neuen Woche und den letzten der drei verbleibenden Tage war es auch über sie hereingebrochen wie eine plötzliche Blitzentladung in einem Himmel, der sich nach und nach mit blauschwarzen Wolken gefüllt hatte. Mit einer Mischung aus Spannung und Entsetzen musste sie beobachten, wie sich die Trennwand nach und nach lichtete und zuletzt gänzlich hob. Zuerst waren die Nebelschwaden dünner geworden, nur noch ein zarter Hauch, unter dem die zuckenden Bewegungen der Albwesen nach und nach so klar zu erahnen waren, wie die Mimik einer Braut unter ihrem dünnen Spitzenschleier.

Und wie sie wimmelten!

Jedes „Ding“ in dieser wirren Masse gierte nur darauf endlich aus dem wohl behüteten Gehege auszubrechen, dass der Schlaf vorgab, und in die Domäne des Tages und der Realität einzudringen. Viele kleine, spitze Schrauben, die sich in den Geist winden würden, sobald die Nebel gefallen waren, wäre da nicht noch eine andere Gewalt am Werk.

Vor den Nebel hatte sich eine ähnlich zarte und schlierenartige Macht wie ein neuer Weltenvorhang ausgebreitet, doch wo die Nebelfingerchen weiß und rein wie Schnee wirkten, glänzte hier im pechschwarzen Rauch die Essenz des Rabengefieders und die kleine, kindliche Gestalt darin ließ wieder dieses helle, erschauderungswürdige Lachen durch das klerikale Gefüge hallen.
Eine Unzahl an winzigen Steinchen in einem vernetzten Teich und diese wiederum zogen Kreise, die sich ausdehnten. Die meisten Unholde aus den Tiefen des Traumes prallten an dieser neuen Barriere ab und scharrten jaulend daran, nur einige Wenige ließ sie passieren und bugsierte sie eher unsanft in die Tageswelt hinein.

--> das Dunkel der Höhlen, die erstickende Stille der Minengruben und die gewaltige Urgewalt alten, toten Gesteins, das an den Schmied Garonius gekoppelt war…
--> der kribbelige Schatten eines übergroßen, haarigen Spinnenmonstrums mit viel zu vielen Facettenaugen, das die Spur Maevas gewittert hatte…
--> einzelne Fratzen des Krieges, nagender Hunger und ein Schwallgetöse der Schreie Sterbender, die wohl alsbald Charicas Ohr ereilen sollten…
--> die knöcherne Hand und entstellte Mimik eines Mannes, den sie nicht kannte, doch der aus Bertrams Albträumen entsprungen war…
--> eine enge, schwarze Kiste an der der süßliche Geruch Rosenöls klebte und das beengende Gefühl der Kinderseele Jadias ungewollt und vergessen zu sein…
--> ein lebensgroße Marionettenpuppe mit hässlich verzerrter Fratze, die auf der Suche nach Elaine zu sein schien…
--> dumpfer Brodem alten Kautabaks an einem noch älteren, dunklen Mantel und ein gerauntes „Goldjunge…“, das Tasgall heimsuchen würde…
--> ein Sumpf voller gierig grabschender Hände, die in Bälde die zarte Gestalt Arijas am helllichten Tage Stück für Stück in des Albtraums Tiefe zerren wollten…
--> Baldrianduft gepaart mit dem milchäugigen Scheusal, samt Hakenhand und den schnarrenden Rufen, die nach Viktoria gellten…
--> verworren nur erschien die Flut aus schwarzen, für sie unverständlichen Schatten, die Tamsin heimsuchten…
--> und mit Panik erfüllte auch sie diese Woge der Einsamkeit, die aus dem Rauch sprudelte, um sich wie eine Kuppel alsbald über Clara zu stülpen…
--> zuletzt hinkten und knackten wandelnde Tote aus dem Rauchgewebe, aus leeren Augenhöhlen nach Einar spürend, mit abgefaulten Nasen witternd…


Als jedoch auch sie in das weiche Sonnenlicht des Tages gekrabbelt waren, um dort im Zwielicht der tieferstehenden Schatten voran zu wandern, das Ziel stets im Fokus, da war dort noch etwas hinter dem schwarzen Rauch und es wartete mit aller nur erdenklicher Seelenruhe.
Hochgewachsen, die Gestalt, nahezu anmutig und still stand sie dort, zu Salzsäule erstarrt, wissen, dass sie diese Barriere nicht passieren würde, zumindest nicht jetzt, nicht heute. Auch sie gefror in der Bewegung, unfähig auch nur die Finger zu rühren und fixierte die Silhouette mit schreckensgeweiteten Augen.

„Lass ihn nicht durch, bitte… bitte, lass ihn nicht durch, BITTE!“

Es hätte ein Rufen sein sollen, jedoch wurde nicht viel mehr als ein krächziges Wispern daraus und auch das wurde vom schallenden Lachen des Rauchmädchens hinweggespült.
Mir, der Rauch.
Dir, der Nebel.


Ja, da stand sie nun, im Nebel, ein Teil des Schleiers zwischen zwei Welten, zumindest für diesen Moment… und hoffte innig auf die Erlösung durch schneeweiße Schwingen, wie auch die letzten beiden Male.


_________________
"I, myself, am strange and unusual."
Beetlejuice...Beetlejuice... Beetlejuice!


Zuletzt bearbeitet von Morra Thuati am 01 Jun 2021 16:57, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Maeva Suna Schnellbach





 Beitrag Verfasst am: 03 Jun 2021 14:28    Titel:
Antworten mit Zitat

Es war einer der gewöhnlicheren Tage, aber das machte ihr überhaupt nichts bei den ganzen ungewöhnlich miesen Nächten, die sie nun hatte. Der Schlaf war auch diese Nacht kurz gewesen, dank der Albträume, die sie seit ein paar Nächten verfolgten. Sie fühlte sich erschöpft, ausgelaugt, und darüber hinaus so ungeduldig und aufgerieben, dass schon ein Wort reichte, um sie buchstäblich auf den Mahagonibaum zu bringen. Die waren sehr hoch, höher als jede Palme.

In dem Bemühen den Kopf frei zu bekommen, hatte sie ihren Bogen genommen, ein paar Pfeile und war in den Wald gegangen, barfuß, im Sommerkleid, weil sie zu faul war sich in andere Sachen zu zwängen, die allzu sehr Arbeit kosteten, sie anzuziehen. Für ein zwei Hasen würde das so schon reichen, fand sie, ganz untypisch und gereizt.
An einem Bachlauf machte sie das erste Mal Rast, um den Kopf ins eiskalte Wasser zu tauchen und mehrfach zu blinzeln. Für einen winzigen Bruchteil eines Augenblicks fühlte sie sich wacher, dann drängte sich ein heftiges Gähnen empor und ihr Geist begann auch direkt abzudriften.

Sie sah sich um, der Platz war wirklich hübsch, das fiel ihr jetzt erst auf. Nicht weit entfernt plätscherte der Bach in einem kleinen Wasserfall weiter hinab, es gab eine kleine Lichtung direkt nebendran und ansonsten viel Wald, Grün, Sommerblumen spitzten hier und da hervor, wo sie genug Licht fanden, aber auch Pilze hier und dort, die sich hartnäckig in den schattigen Plätzen an die Bäume klammerten und hofften bis zum Herbst hin genug zu wachsen, um sich zu ihrer Zeit zu vermehren.
Eine Weile blieb der Blick an einem etwas größeren Stein hängen, der mit Moos bedeckt war. Irgendetwas schien darauf zu liegen und zu schlummern, aber so ganz konnte sie dank der Baumschatten nicht erkennen was. Irgendwann aber bewegte es sich. Was war das? Ein Auge? Zwei?
Sie runzelte die Stirn, nahm den Bogen zur Hand, einen Pfeil dazu, sicher war sicher. Irgendwie beschlich sie ein ganz mieses und ungutes Gefühl, genau das Gefühl, das sie in den Albträumen verfolgte. Sie spürte, wie ihre Hand am Bogen feucht wurde, die andere ebenso, was gleichsam dafür sorgte, dass jede Wärme aus ihnen wich und die Fingerspitzen am Ende sogar leicht bläulich anlaufen wollten. Ein leichtes Zittern erfasste sie, dennoch zwang sie sich ruhig zu atmen und legte den Pfeil an. Das war kein Stein, stellte sie wenig später fest, sehr zu ihrem absoluten Entsetzen.

Der Stein drückte sich hoch, acht haarige große lange Spinnenbeine streckten sich von dem Körper ab und unzählige Augen, tiefschwarz, nur dann glänzend, wenn Licht auf sie fielen, starrten ihr entgegen. Die Taster zuckten aufgeregt voran und bewegten sich auf und ab, hin und her, suchend, tastend. Bei den Göttern, sie sah sogar wie die Chelizeren sich bewegten, als träume das Riesenviech schon von ihrem Frühstück!

Sie sprang auf, hob den Bogen, zog die Sehne zurück, samt dem angelegten Pfeil und ließ ihn mit einem Schrei losschnellen. Dann rannte sie, rannte, rannte, rannte, bis sie über eine Wurzel stürzte und lang hinschlug.


Mit einem weiteren Schrei schreckte sie zusammen und blinzelte. Sie saß noch immer am Bach, ihre Haare tropften noch immer vor Nässe. Ihr Blick zuckte sofort zum Wald hinüber, an die Stelle, wo die Spinne ihr aufgelauert hatte. Nichts. Sie hatte geträumt! Mitten am Tag!
Götter, sie war so fertig, sie schlief einfach im Sitzen, Stehen und Liegen ein. Das musste aufhören, irgendwie! Und zwar zügig. Mit einem ärgerlichen Zischen packte sie ihre Sachen zusammen und stapfte los. Fort von dem Bach und Wald, den Weg entlang, bis sie das Kloster schon sehen konnte. Aber sie suchte nicht das riesige Gemäuer und dessen Priester auf, sondern verzog sie sich in den kleinen Schrein davor, legte sich dort einfach auf die Bank, und so unbequem es war, sie schlief direkt wieder ein. Traumlos.
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Elaine Ilios





 Beitrag Verfasst am: 03 Jun 2021 15:29    Titel:
Antworten mit Zitat

Zitat:
--> ein lebensgroße Marionettenpuppe mit hässlich verzerrter Fratze, die auf der Suche nach Elaine zu sein schien…


Ein weiterer Auszug aus Elaines Tagebuch:

Ach, du heiliges Kanonenröhrchen! Die Albträume haben Form angenommen! Zumindest denke ich das.

An einem ruhigen Abend in der Hafentaverne "Freigut" zu Adoran sitz' ich da. Auf einem Barhocker. Und warte, dass Gäste vorbeikommen. Eigentlich nichts Besonderes. Mache ich fast jeden Tag, während ich nebenbei ein wenig Flöte spiele. Aber dieser Nachteinbruch ist furchtbar! Die Übungstöne, die ich auf dem länglichen Instrumentchen erklingen lasse, sind wahrlich nicht komplex. Aneinanderreihungen von Melodien, die selbst Kinder problemlos nachahmen können. Bin halt mehr die Lautenspielerin. Plötzlich hallen die Klänge jedoch verzerrt nach, wie eine Kakofonie. Dann wirken sie dumpf, als hätte jemand eine riesige Käseglocke um mich und die Kneipe gelegt.

Ich schüttele die Flöte, denke mir: "Was'n jetz' kaputt?" Aber mit dem durchlöcherten Stäbchen ist alles in Ordnung. Meine Schultern zucken und es wird eifrig weitermusiziert. Bis ich aus dem Augenwinkel einen Schatten sehe. Das Flötchen fällt mir auf den Boden, das hölzerne Poltern lässt mich zucken und ich richte mich mit aufgerissenen Augen auf. "Ein Einbrecher!?" Vorsichtig sehe ich mich um, schaue hinter der Bar nach. Viele Verstecke gibt's in dem kleinen Häuschen nicht. Als ich mir der Vermutung bewusst werde, dass es Einbildung sein könnte, spüre ich eine kalte Hand auf meiner Schulter. Hart. Definitiv nicht menschlich. Jedoch: Ich drehe mich herum, ersticke einen Schrei, niemand steht hinter mir. "Jaxx", zittere ich. "Das is' echt nimmer witzig! Ich hab' Angst!" Allerdings ist auch mein Auftraggeber nicht da. Verrückter wird es, als mir die hölzerne Hand, die ich eben noch auf der Schulter gespürt habe, durch das Haar fährt und nebenbei ein kindliches, unheimliches Lachen erklingt, das einem die Knochen gefrieren.

Ich laufe hinaus, bitte einen Wachmann in der Nähe, sich in der Kneipe nach Einbrechern umzusehen. Auch seine Bemühungen bleiben ohne Erfolg. Ist es der mangelnde Schlaf, der mich halluzinieren lässt? Auf jeden Fall bin ich nun umso mehr über Gäste froh, statt stundenlang in der Einsamkeit gruseligen Hirngespinsten zu erliegen. Na ja, wenn's denn wirklich bloß Einbildungen sind und hier nicht tatsächlich irgendwas Seltsames vor sich geht. Schließlich geht es ums Hafenviertel.
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