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Lennart Fynn





 Beitrag Verfasst am: 10 Mai 2021 16:45    Titel: Spuren
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Regen floss in Strömen vom Himmel, erschwerte die Sicht und bot einen gefährlichen Schutzwall gegen die anderen Geräusche des Waldes. Nicht, dass es in den Wäldern Gerimors weit gefährlicher war als in anderen Wäldern, aber Lennart verließ sich gern auch auf sein gut ausgebildetes Gehör, das Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden konnte, und unterschätzte nie die Gefahr, die von der Natur ausging, die erbarmungslos sein konnte. Vermeintlich kleine Fehler könnten gravierende Folgen bis zum Tod bedeuten.

Was für andere nur ein zufälliges Waldgeräusch war, ließ in ihm bereits die Alarmglocken läuten, er kannte die Signale der Natur, wenn gefährliche Tiere oder gar Raubtiere in der Nähe waren, wenn Menschen durch die Wälder streiften, und reagierte in der Regel schnell, indem er sich eine gesicherte Position suchte, Ausschau hielt und sich bereit machte - er achtete intuitiv auf die Windrichtung, wusste immer, wo in der Umgebung man sich am besten verstecken konnte. Er war gut darin, sich zu tarnen, unauffällig Spuren zu folgen, er hatte keine Mühe damit, etwas vorzutäuschen oder sich als jemand Anderes auszugeben - es war nicht so, dass es ihm Spaß bereitete zu täuschen, aber er wusste es als Notwendigkeit zu nutzen, um im richtigen Moment doch Informationen zu erlangen oder schlichtweg zu überleben.

Die graue Kapuze ein Stück in die Stirn gezogen ging er in die Hocke, der Blick lag wachsam in die Richtung gerichtet, in die er vor dem Einsetzen des Regens die Spuren des Bären verfolgt hatte. Er wog ab, ob er die Spur weiterverfolgen wollte, und entschloss sich, für heute die Jagd zu beenden. Das Risiko war es nicht wert. Er hatte Verpflichtungen, die wichtiger waren als die Jagd nach wilden Tieren, und dennoch bedeutete eben jene Jagd für ihn seit seiner Jugend jedes Mal wieder eine Herausforderung, Anspannung, Adrenalin - sein Körper war von Kopf bis Fuß bereit für den Überlebenskampf - und die Erleichterung und Freude, wenn ein gefährliches Wildtier erlegt wurde, ließen ihn vergessen. Und zu vergessen gab es Vieles.

Er machte sich also auf den Weg nach Hause - anders als noch in Eisenau hatte er sich hier ein größeres Haus aus Stein zu seinem Zuhause gemacht, es mit Leben gefüllt, indem er sich einrichtete - nicht nur für sich. Er hielt das Kaminfeuer warm, wenn Thyra kam, und wollte, dass sie beide sich wohl fühlten hier.

Es fühlte sich ganz und gar vertraut an, aneinander geschmiegt vor eben jenem Kaminfeuer zu sitzen und sich zu unterhalten, eine wohlige Wärme erfüllte ihn allein schon beim Gedanken daran. Noch lebten sie in getrennten Häusern und übernachteten abwechselnd mal hier, mal da. Beide schätzten ihre Freiheit und ihren Raum und er war sich sicher, dass sie zur rechten Zeit auch in der Hinsicht die richtigen Entscheidungen treffen würden - er musste es nicht wissen, er lebte in einer Mischung aus dem Fokus auf Ziele, die er sich setzte, und dem spontanen Leben, das passierte, das nicht berechenbar war. Diese Mischung ließ ihn Ruhe finden in sich. Thyra und er waren sich in der Hinsicht sehr ähnlich, während sie in anderen Dingen gegensätzlich waren, was das Zusammensein nur umso spannender für ihn machte, und manchmal herausfordernd.

In Anbetracht seines eigenen Freiheitswunsches war es eine Entscheidung von großer Tragweite gewesen, einen Brief an die Bruderschaft zu entsenden und Interesse an der Ausbildung zum Scharfschützen zu bekunden, bedeutete es doch, dass ein Stück der Freiheit zugunsten der Verantwortungsübernahme für das Reich aufgegeben wurde - dennoch sagte ihm etwas in ihm, dass er bereit dazu war. So wie er eines Abends die Entscheidung getroffen hatte, nach Gerimor zu kommen und dem Reich hier zu dienen, so hatte er nun diese Entscheidung getroffen und fühlte sich bereit für was auch immer folgen würde.

Durchnässt vom Regen erreichte er schließlich die warme Hütte in Grenzwarth, der Umhang mitsamt Kapuze wurden vor dem Haus abgestreift, ausgeschüttelt, die Schuhe an der Tür im Inneren gelassen, ehe er sich trockene Kleider anzog und sich am Kaminfeuer wärmte. Diese Jagd war nicht von großen Erfolgen gekrönt, doch das war weniger wichtig als der Respekt vor seinem eigenen Leben. Er würde dem All-Einen, dem Reich und sich selbst nicht dienen, wenn er verletzt, an Tollwut erkrankt oder anderweitig außer Gefecht gesetzt wäre.

In zwei Stunden begann sein Dienst, den er heute in Rahal antrat. Davor wollte er noch einen Brief schreiben an seine Eltern. Immer wieder dachte er an die Zeit zurück, an den plötzlichen Abschied. Er wusste, dass es für seine Mutter schwierig gewesen war, den einzigen Sohn an die Ferne zu verlieren. Doch sie hatte seine Entscheidung respektiert.

Tinte und Feder wurden vorbereitet sowie ein Pergament. Der Brief abgesetzt mit Worten an beide Eltern aus der Ferne. Dieser in einen wetterfesten, verschließbaren Lederbeutel eingerollt, die Nachricht einem Boten der Legion überreicht, der ihn in den nächsten Tagen mit zahlreichen anderen Depeschen und Briefen in Richtung Festland bringen würde. Die Antwort würde ihn vermutlich erst in ein paar Monden erreichen, so abgelegen Eisenau selbst und das Dorf seiner Kindheit doch waren.

Bis dahin hätte sich wohl Einiges wieder verändert.

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Lennart Fynn





 Beitrag Verfasst am: 23 Jun 2021 03:12    Titel:
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Nicht vergessen war der Überfall der Priester und deren Verbündeter auf die Nimmerruh. Dass sie es wagten, derart offensiv gegen die Dienerschaft vorzugehen, sie in ihrer Versammlungsstätte anzugreifen, verwunderte ihn. Wenn er ehrlich zu sich war zeugte es von Mut, vielleicht auch von Hochmut, wenn man bedachte, dass sie die Stätte des Rabenfürsten angriffen, seinen Zorn und den Zorn seiner Diener auf sich zogen. Wie dem auch sei - die Zeit für Vergeltung würde kommen, vorerst war es an der Zeit, den Schutz der Nimmerruh zu verstärken, die Wachsamkeit, und die Möglichkeiten, sich Unterstützung zu holen.

Tage nach dem Angriff schritt ein junger Mann in den Hort des Wissens in Kronwalden, er war wissbegierig, stellt sich den Angestellten des Horts vor und wies sich aus - ein Bürgerbrief aus Schwarzwasser... und er las sich ein, Geschichten über das Reich aus der näheren Vergangenheit, er war auf der Suche nach etwas, "Heldengeschichten aus Gerimor", die er auf seinen Reisen erzählen konnte. Die wirkliche Intention des jungen Mannes vermochte er nur allzu gut zu verbergen...
Ein-zwei Tage später in einer Schenke in Berchgard unterhielt er sich mit einpaar Einheimischen - der junge Mann gab Einiges von sich preis, was Vertrauen erweckte, er kannte einige Geschichten aus der Ferne - und bald war die Rede von den Faust-Rittern. Er wusste wenig über sie, doch war sein Interesse geweckt, er wollte... und sollte schließlich mehr erfahren...

Tage später machte er sich auf die Suche nach einer Seele - ein junger Mann, Zorn im Blick, Hass, und den Schmerz von zwei Leben, den er versuchte zu verbergen... bald war sein Leben beendet - und seine Seele gefangen. Sie würde mit einer Aufgabe betraut, die weit über das Leben dieses jungen Mannes hinausging, die wertvoller war, bedeutender. Ob es gelingen sollte, würde sich zeigen...


Zuletzt bearbeitet von Lennart Fynn am 14 Okt 2023 08:28, insgesamt einmal bearbeitet
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Lennart Fynn





 Beitrag Verfasst am: 30 Jun 2021 18:04    Titel:
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Nacht für Nacht holten die Träume ihn ein, rissen ihn aus einem Schlaf, der ohnehin wenig Erholung bot wegen seiner beeinträchtigten Beweglichkeit - immer wieder durchzuckte ihn ein Schmerz aus der linken Hand. Die Heilung ging trotz der anfänglichen Fieberschübe zügig von statten, Schicht um Schicht wuchsen Fleisch und Haut nach, schlossen die Wunde von unten herauf - Arrigal hatte beide Wunden fein gesäubert, hatte die Größere, Tiefere genäht, mehrmals versorgt, sodass auch mit der Zeit einfache Bewegungen der Hand wieder möglich waren, ohne dass die Wunde von Neuem aufriss. Die Bewegung in den Fingern war dennoch eingeschränkt, es fühlte sich nicht mehr an wie zuvor - auch nach mehr als einer Woche nicht, was ihn beunruhigte und die Furcht in ihm schürte... Er hatte den Gedanken noch nicht aufgegeben, dass alles wieder so werden würde, wie es vor der Verletzung war.

Alles wieder so werden, wie es war… seine Gedanken kreisten um die Geschehnisse der letzten Tage… Blicke, die Sorge und Angst in sich trugen, Angst um ihn… er konnte sie nachvollziehen, wusste er doch in den klaren Momenten ganz deutlich, wie neben sich er teilweise stand… etwas in ihm schien sich zu wehren, aufzubegehren gegen eine Veränderung, die ihm unausweichlich schien… und von der er nicht wusste, was sie bedeutete. Jener Teil war es auch, der ihn seine Träume als reinen Zufall abtun ließ und ihn daran hindern wollte, tiefer nachzuforschen, einem Impuls zu folgen, der in ihm pulsierte, stärker werdend, als gäbe es ohnehin kein Zurück. Er spürte, wie er sich einer Engstelle in diesem Fluss seines Lebens näherte, die ihn in tiefe Furcht versetzte, der er aber nicht entweichen konnte und hinter der ihn vielleicht etwas erwartete, von dem er noch gar nicht ahnte, dass es existierte… oder waren das nur Gedanken, die er sich einredete, um die Bedrohung herunterzuspielen - und eigentlich befand er sich auf dem Weg in den Abgrund? Eher nicht…

Die Gespräche der letzten Tage wirkten nach, klärend das Gespräch mit dem Vicarius, hoffnungsvoll und sie in tiefer Zuneigung verbindend die vielen Stunden, die er mit Thyra verbrachte, in einer stärker werdenden Offenheit, wenn es ihn auch noch immer ängstigte, sich ihr zu offenbaren in dieser Zeit der körperlichen Schwäche und der Verwirrung… Aresh… Er konnte nachvollziehen, wie er reagiert hatte, und doch war er enttäuscht… Gedanken für einen anderen Tag… aber vielleicht wuchs aus der Offenheit, die sie sich entgegenbrachten, eine stärkere Pflanze der Freundschaft, die weiteren Widrigkeiten standhielt.

Und zwischen all dem… die Stunden der Einsamkeit… mit seinen Gedanken, mit seinen Träumen…


Ein kräftiger, kalter Windstoss riss ihm nahezu die Fellkapuze vom Kopf, er lehnte sich mit verzerrtem Gesicht dagegen und ließ sich nicht beirren von den Böen, die ihnen entgegenschnellten, seit sie über einen weiteren dieser gottverdammten, namenlosen Pässe gekommen waren. 33 Tage waren sie in der Wildnis unterwegs, jeder Tag brachte von Neuem Elend mit sich, katastrophale Regenfälle in den Niederungen zwischen den Gebirgszügen, ein fast unpassierbarer Bergbach, der sie einen Teil ihrer Ausrüstung kostete, einen ihrer Kameraden hatten sie an eine der tiefen Schluchten verloren, die das Gebirge durchzogen – er war bei plötzlich eintretendem Regen ausgerutscht, bald nur mehr das Echo seines Schreis zu hören, ehe der Fluss in den Tiefen der Schlucht ihn verschlang.



Ahad Calberg war unmissverständlich in ihren Befehlen gewesen: Neue Erzadern zu finden, potenziell gefährliche Lebensformen auszukundschaften, passierbare Wege für Truppen und Handwerker sowie Packtiere zu finden. Und er verfluchte es, hier zu sein, diesen Irrsinn mitzumachen und in ein Niemandsland einzufallen, das einzig von den Gefahren der Natur bewacht wurde. Was hatte ihn nur geritten, sich freiwillig zu melden für eine «Expedition für treue und mutige Diener des Reichs und der Legion, um die Versorgung des Reiches mit seinen wichtigsten Gütern zu sichern»

Tagelang hatte er das Bild des fallenden Kameraden in seinen Träumen und selbst in seinem Wachzustand vor Augen, wie Lennart ihm seine Hand entgegenstreckte, ohne Chance ihn noch zu greifen – was ihm selbst schlussendlich das Leben rettete, denn er wäre ohne Zweifel mitgerissen worden in die Tiefen. Die Bilder raubten ihm dem Schlaf, die Vorkommnisse und die karge, gnadenlose Gewalt der Natur zehrten an den Kräften vieler seiner Kameraden und auch von ihm selbst; tagtäglich war höchste Konzentration gefordert, sie brachten weite Märsche hinter sich und begannen Strich für Strich eine Karte zusammenzustellen von den Pässen, von den Berggipfeln, den Erzvorkommen, den Bächen, den möglichen Wegen; es war ein aufregendes Unterfangen, das zugleich die mentale Stärke eines jeden auf die Probe stellte, insbesondere, wenn wieder ein Unwetter sich näherte, was in den Gebirgszügen südlich von Eisenau eine Normalität war.

Ein Abend auf ihrer Reise war ihm besonders in Erinnerung geblieben - er wusste nicht, wie es dazu gekommen war, aber die Stimmung im Trupp war hoch gekocht, die Flammen der nächtlichen Lagerfeuer spiegelten sich in den gläsernen Augen seiner Kameraden. Ein verbaler Schlagabtausch, auf den lautes Gebrüll folgte, als wären sie vom Wahn ergriffen begannen seine Kameraden, und bald auch er, aufeinander einzuprügeln, rauschgleicher Zorn floss durch seine Adern und die seiner Kameraden, ließ seine Gedanken und Fäuste explodieren, Blut floss, einer der Männer hatte ein Messer gezogen und auf einen seiner Kontrahenten eingestochen, Stich um Stich, bis der Andere leblos, leeren Blickes, zu Boden ging, in einer Blutlache bäuchlings ertrinkend, erstickend.
Die Männer warfen sich auf den Mörder, zerrten ihn mit sich, mit geballter Kraft und in einem rauschgleichen Zustand, und sie banden ein Seil um seinen Hals. Lennart blickte in die Augen des Mannes, wie er an einem Seil über einen Ast hochgezogen wurde, vereinte Kräfte der wütenden Kameraden, und er sah, wie Panik in die Augen trat, Furcht, wie das Gesicht dunkler und dunkler wurde… ehe es blasser wurde… das Blut absackte, nachdem das Herz aufhörte zu schlagen… regungslos stand er da, merkte nicht wie die Zeit an ihm vorüberzog. Kein Hauch von Leben mehr. Leere, Blässe, Gestank, der mit leichten Windzügen mitgetragen wurde.

Lennarts Blick versank in den toten Augen des Mannes… dunkelbraune, fast schwarze Augen, die das Dämmerlicht des Morgens reflektierten, den tiefgrauen Himmel, der sich ankündigte. Tiefer und tiefer tauchte er ein in die nun tiefschwarzen Augen, wie in einem Mahlstrom begann sich alles um ihn herum zu drehen, er verlor jegliches Gefühl für Raum und Zeit, es wurde unangenehm laut um ihn, wie in einem Sturm, lautes Kreischen mischte sich in die Geräuschkulisse, aus weiter Ferne das Geräusch eines Vogels, das lauter wurde…

Er fühlte sich eingequetscht in einem viel zu kleinen Körper, starr, kaum in der Lage sich zu bewegen, Luft zog an ihm vorbei, das Krächzen des Raben wurde lauter, das Tier war beunruhigt, als hätte es bemerkt, dass irgendetwas anders war.

Unter ihnen lagen die Baumkronen eines dichten Waldes, sie kamen ihm bekannt vor, am Ende des Waldes erhob sich eine Gebirgsformation in die Höhe, karge, unpassierbare Felswände und östlich eine Ruinenstadt, soweit das Auge reichte.

Unterhalb der mächtigen Felsformationen war eine schwarze Struktur erschaffen worden, der Rabe hielt auf das Gebäude zu… das näher kam… und näher… das Dach war beschädigt, es schien an der südwestlichen Seite des Gebäudes eingefallen, legte das Darunterliegende frei, die Geräusche erstarben, als sie sich dem Gebäude näherten. Es wurde still, kein Laut war zu hören, der Wind und der Sog waren verstummt. Die Flügelschläge fühlten sich dumpf an, es wurde dunkel… es wurde schwarz um ihn…




Zuletzt bearbeitet von Lennart Fynn am 30 Jun 2021 19:16, insgesamt einmal bearbeitet
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Lennart Fynn





 Beitrag Verfasst am: 09 Dez 2021 12:18    Titel:
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Es war frühe Dämmerung als der Dreimaster in See stach, ein kalter Wind schlug ihm entgegen, der den Wintereinbruch ankündigte und eine ungemütliche Überfahrt – er war es gewohnt, Kälte, beissende Winde. Er fühlte sich lebendig, spürte sich wenn die Welt um ihn herum unbequem war. Er hatte in den letzten Jahren auch das andere Leben schätzen gelernt – Zweisamkeit am Kaminfeuer, ein Glas Rotwein oder Stärkeres, das von innen den Leib wärmte, der Komfort. Die liebevollen Berührungen, der Geruch von Aprikose. „Du wirst älter… vergiss nicht, das Leben kann jeden Augenblick unvermittelt und erbarmungslos zuschlagen.“ erinnerte ihn ein innerer Gedanke. 

Der Blick Lennarts lag in die Ferne gerichtet, das noch grossteils schlafende Seefahrerdörfchen verschwamm zusehends und damit auch die Silhouette seiner Weggefährtin. Nachdenklich blickte er nach Gerimor zurück, der Küstenlinie entlang, die sich weit erstreckenden Dünen im Westen, die Türme der Stadt MenekˋUr - weiter im Osten Adoran. Der Feind, die "Ketzer" wie man sie in Alatarien nannte.

Ihm war nicht danach, sich darüber Gedanken zu machen, Anderes füllte seinen Geist, das vor ihm Liegende. Etwas am Brief seiner Mutter löste Sorge in ihm aus, er konnte nicht benennen, was es war - zwischen den Zeilen kündigte sich etwas an, das sie nicht in Worten beschreiben wollte. Er kannte sie. "Die Heimat ruft, mein Sohn. Der Ruf des Wolfsrudels, du kennst ihn. Warte nicht zu lange, Eisenau ist gnadenlos."
Es war ungewohnt, dass sie in Rätseln schrieb. Ihre Briefe waren die letzten Jahre persönlicher gewesen, Beschreibungen des Alltags in der Heimat.


Die Überfahrt nach Cantir durch unruhige, gar stürmische Gewässer war ungewohnt für ihn, der mehrtägige Ritt gen Eisenau mit Übernachtungen in heruntergekommenen Tavernen am Wegesrand dafür eine willkommene Abwechslung. Er hatte es vermisst, fremde Orte, unbekannte Gesichter, trügerische Gestalten, die nur darauf warteten zuzuschlagen und auszurauben. Etwas in ihm drängte ihn, Auseinandersetzungen zu provozieren, Blut fließen zu sehen, Schmerz zu spüren... das Brechen einer Rippe, das Aufstöhnen nach einem heftigen Schlag in die Magengrube. Er sah sich wieder durch den Raum fliegen, wie sein Vater ihn wutentbrannt gegen die Wand schleuderte. Mehr als einmal... seine Hand ballte sichzu einer Faust, der Blick wurde kalt und bewegte sich durch die zwielichtige Taverne, er atmete tief durch. "Du bist nicht dein Vater.", erinnerte er sich selbst, und die Bilder in seinem Kopf verschwammen, er senkte den Blick... und sah Blut an seinen Händen, als hätte er gerade ein Reh ausgeweidet, er schloss die Augen und richtete ein lautloses Gebet an seinen Herrn, während seine Haut das Holz unter den Händen spürte, den Kontakt zur Welt aufrecht erhielt, die Geräusche um ihn verstummten für ihn.

Tage waren vergangen, ein Sturm zog über das Land, der das Vorankommen verzögerte.

Er näherte sich der Hütte seiner Mutter, die etwas abseits des Bergarbeiterdorfes Steinhall lag. Es war eine stabile Blockhütte aus dem Holz der angrenzenden Wälder - die Hütte war in die Jahre gekommen, aber leistete der unnachgiebigen Natur Eisenaus Widerstand. Sein Vater hatte sie gebaut, vor vielen Jahren. Lennart nahm einen tiefen Atemzug und spürte den Kloß im Hals, als die Lederstiefel sich ihren Weg durch den Matsch bahnten. Strömende Regen, ein kalter, beißender Wind, er hatte die Kapuze des Wildledermantels tief ins Gesicht gezogen, als er dreimal kräftig an die Tür klopfte. Es dauerte eine Weile, ehe die Tür sich knarzend öffnete.

Heraus blickte eine etwas über Sechzigjährige, schmale Frau mit warmen aber traurigen Augen, wettergegerbter Haut, grauem, langem Haar - augenblicklich traten Tränen in ihre Augen, als Lennart den Mantel von den Schultern zog und sich ins Innere des Hauses bewegte, seine Mutter umarmte - sie war schmaler noch als beim letzten Mal dachte er sich, als er ihre Knochen spürte.. "es ist so lange her.. Mein Sohn, lass mich dich anschauen!", er lächelte ihr entgegen und die Freude zeigte sich auch in seinem Blick, ihm wurde bewusst, wie lange er sie nicht gesehem hatte, als er dann erst einen Geruch wahrnahm, den er nur zu gut kannte, seine Gesichtszüge sich verhärteten... "Schön dass du gekommen bist, ich mach dir gleich einen Tee, magst du etwas essen? Zieh dir ruhig etwas Trockenes an." - "Ist er... wieder da?", kamen die Worte kalt über seine Lippen, sein Herz pochte, seine Nase täuschte ihn nie - der Geruch nach Schnaps hatte sich in sein Gedächtnis eingraviert. Die Augen seiner Mutter begegneten seinem Blick mitfühlend, warm.. "nach allem, was er dir angetan hat?" Hörte Lennart sich sprechen, worauf Trauer sich in den Blick seiner Mutter legte, sie atmete ruhig. "Dein Vater wird sterben. Agatha meint einpaar Tage noch, dann würde der Herr ihn zu sich holen."

Der Augenblick fühlte sich wie eine Ewigkeit an, während Bilder an seinem Inneren Auge vorüberzogen, unzählige Erinnerungen in allen Schattierungen, er vergaß beinahe zu atmen, als die Erkenntnis zu ihm durchsickerte, dass es die letzte Möglichkeit war... wofür auch immer. Er wusste es noch nicht, war er doch gefangen und zerrissen zwischen einer immensen Wut, die zumeist kontrolliert in ihm loderte, und dem Wissen, mit welchen Dämonen sein Vater zu kämpfen hatte, und dass er ihm auch in vielem ein Vorbild war.

Sich mit aller Kraft einzusetzen, wenn es etwas zu beschützen galt oder zu erreichen. Stark zu sein. Zu überleben, egal wie widrig die Umstände waren.

Sein Blick begegnete dem seiner Mutter - die Erkenntnis sickerte durch. Das Wolfsrudel hatte gerufen. Er musste jetzt stark sein. Es gab keine Wahl.

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Lennart Fynn





 Beitrag Verfasst am: 12 Dez 2021 15:46    Titel:
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Geschickt bewegte er sich durch den Wald, dicht gefolgt von einem kräftigen, groß gebauten Mann, unweit dahinter eine Frau, die ebenso geübt zwischen Bäumen, Büschen, Wurzeln sprintete. Laute Wolfslaute erklangen hinter ihm, der Anführer des Wolfsrudels gab den Kurs vor, Lennart lachte heiter, wechselte dann wieder ernster und fokussiert die Laufrichtung. Er war klein, passte noch gut unter tiefhängenden Ästen durch und war in seiner Vorstellung der geschickteste und schnellste Wolf im Wald, auch wenn er eigentlich schon wusste dass das nicht stimmte. Aber er war voller Leben und Energie!

„Wir sind eine Familie, das ist wie ein Wolfsrudel! Und wir beschützen einander. Wir lassen niemanden zurück. Hast du mich verstanden, Sohn?“, drang die tiefe, raue Stimme seines Vaters zu ihm vor, als sie eines kalten Winterabends vor dem Kaminfeuer saßen und sein Vater ihm von einem Ausflug ins Gebirge am nächsten Tag erzählte. Der Ausflug war ihm noch bildhaft und spürbar in Erinnerung. Sein Vater hatte ihm beigebracht, wie man ein Iglu baut und sie hatten die Nacht in wärmender Sicherheit verbracht, während draußen eiskalter Wind über die schneebedeckte Landschaft fegte. Sein Vater hatte ihm Geschichten erzählt, die ihn verstehen ließen weshalb er war, wie er war. In jenen Jahren hatte sein Vater noch viele gute Tage… das änderte sich mit der Zeit.

Sobald er getrunken hatte, wurde jedes Widerwort als Angriff interpretiert und er reagierte instinktiv, hatte keine Kontrolle mehr über sich und war wie ein wildes Tier. Und die Tage, an denen er trank wurden mehr. Es war als müsste er seine Erinnerungen ertränken und betäuben, um den Schmerz nicht zu spüren… und sich stattdessen mächtig zu fühlen.

Er würde nie wie er sein. Harrick, sein bester Freund und Lehrer, war ihm ein Vorbild in so vielen Dingen gewesen, in denen sein Vater dazu nicht in der Lage war – beide waren Vorbilder, und beide hatten Eigenheiten, die ihr eigenes Leben erschwerten und das Anderer…


Die Stimme seiner Mutter holte ihn aus den Gedanken zurück. „Schließ Frieden, Lennart.“, ihre Hand hatte sich auf seine gelegt, während er dem Rauch zusah, der vom heißen Bergkräutertee aufstieg. Sein Blick hob sich und er merkte, wie sehr es ihn innerlich berührte, sie wieder zu sehen. Er verstand nicht, wie sie bei allem was sie erlebt hatte, nicht zerbrochen war. Nur wenige Male hatte er sie wütend erlebt, und selten hatte ihre Wut ihm gegolten. Er musste kurz schmunzeln bei einer Erinnerung... "Hmm?", sie hob eine Braue und blickte ihn an. "Nichts... ich soll dir von Thyra ausrichten, dass sie dich gerne kennenlernen möchte - und sie findet, du hast deine Sache gut gemacht.", er musste wieder schmunzeln, als er an Thyras wirklichen Worte denken musste. Sie lächelte ihm entgegen, ein leichtes Glänzen in den Augen. "Ich bin froh, dass du jemanden gefunden hast, der dich verdient.", Lennart begegnete ihrem Blick "Mhm, wie haben uns beide verdient! Ich hoffe du lernst Thyra bald kennen, sie ist stark, wie du... Es tut gut dich zu sehen - und ich bin froh, dass du Vater nicht allein gelassen hast."

Sie unterhielten sich noch, ehe Lennart sich in Richtung des Zimmers bewegte, aus dem immer wieder ein Husten zu hören war, Schleim schien sich in der Lunge gesammelt zu haben, ein Stöhnen war wahrnehmbar, als sein Vater sich im Bett bewegte. Lennart öffnete die Türe, ein unangenehmer Geruch drang heraus, es roch nach Krankheit. Noch immer war sein Vater von kräftiger Statur, gewaltige Arme und Schultern, das Haar lang und grau, ein Vollbart, glasige Augen, das Atmen wurde von einem leisen Pfeifen begleitet. Er lag unter einer warmen Wolldecke, das Fenster war offen, kalte Luft drang in den beheizten Raum. Sein Vater hob den Blick zur Tür - und das Erstaunen war ihm anzusehen, ein Ausdruck von Freude, der aber nicht darüber hinwegzutäuschen vermochte, wie schwierig ihre letzten Begegnungen waren. "Vater.", kam es über seine Lippen, während er näher trat, der Groll war bei seinem Anblick verflogen... "Mein Sohn.. Du bist.. gekommen.", die Stimme war belegt, begleitet wurden die Worte von leichtem Husten, es kostete ihn sichtbar Kraft zu sprechen. "Ich bin da. Hmm, klingt als hättest du dir eine Erkältung eingefangen?", meinte Lennart während er ihm seine Hand auf die Schulter legte. Ein kurzes raues Lachen des älteren Mannes, das rasch wieder in ein Husten überging, das Gesicht verzog sich leicht vor Schmerz... "Aye mein Sohn... ist nicht so schlimm. Nur ein leichter..  Husten. Davon lass ich mich.. nicht..  umbringen!" - "Nichts Anderes hätten ich mir von dir erwartet..."

In den Augen seines Vaters, hinter der Stärke, dem Stolz und der Willenskraft, sah er Angst. Sein Vater wusste, dass es soweit war. Und jedes Versprechen auf ein Leben danach an der Seite des Herrn wurde von den zweifelnden Gedanken auf die Waagschale gelegt. Das Gespräch war kurz, es kostete seinen Vater viel Kraft.

Es sollte noch eine der wenigen Gelegenheiten sein, in denen sie die Möglichkeit hatten zu sprechen. Der Zustand seines Vaters  verschlechterte sich zusehends, er befand sich mehr und mehr in einem Dämmerzustand, das Atmen wurde schwerer, die Angst wurde stärker - "Erlöse mich.", flüsterte sein Vater nach Stunden, in denen er kaum noch Luft bekam am dritten Abend. Es tat Lennart weh, ihn so zu sehen, diesen mächtigen, starken Mann sterben zu sehen, und war er zuvor noch in einem Schockzustand gewesen, ohne es zu merken, realisierte er langsam die Tatsache. Mehr als einpaar Worte könnten sie in diesem Leben nicht mehr wechseln.

„Wir werden bei dir bleiben und dich nicht alleine sterben lassen.“, er nahm einen tiefen Atemzug, Zorn durchströmte seine Adern… weshalb ging es so schnell. Jahrelang hatten sie sich kein Wort zu sagen gehabt – und jetzt blieb ihnen keine Zeit, das Unausgesprochene endlich auszusprechen. Lennart öffnete das Fenster, um frische Luft hereinzulassen, legte einpaar Scheite im Ofen im Wohnraum nach, der die ganze Hütte beheizte, wechselte ein paar Worte mit seiner Mutter. Als er wieder ins Zimmer zurückkehrte saß ein schwarzgefiederter Vogel auf dem Fenstersims. Der Blick des Raben wanderte vom Sterbenden zu Lennart, ein aufforderndes Krächzen, so interpretierte er die Geste des Raben, er erschauderte und seine Nackenhaare stellten sich auf, die Winterkälte zog durch das offene Fenster bis in den Wohnraum. Ein leises Pfeifen des Windes, der Rabe erhob sich und verschwand aus dem Blickfeld, über die Baumkronen des angrenzenden Waldes...



Er hoffte, dass sein Vater nun Frieden gefunden hatte. Einiges war ungesagt gelieben, dachte er, als nur das Knirschen des Neuschnees unter seinen Füßen zu vernehmen war - aber sie würden sich aller Voraussicht nach wiedersehen, an einem anderen Ort.

Baldrian wurde mit anderen Kräutern vermischt, entzündet, Rauch breitete sich im Raum aus, ein stilles Gebet wurde an Kra'thor gerichtet, während das Leben Stück für Stück aus dem Körper des Sterbenden wich. Seine Mutter hatte neben ihm gestanden und betrachtete das nicht benannte Ritual, bis der Atem und Herzschlag des Körpers endeten.

Zwei Tage war es her. Sie hatten, wie es der Wunsch seines Vaters war, eine einfache Feuerbestattung vollzogen, die Asche im Beisein einiger Weggefährten seines Vaters und auch alter Freunde von Lennart in den Winterwind verstreut. Es tat gut seine alten Weggefährten zu treffen, über alte Geschichten zu lachen, zu sehen was aus ihnen geworden war - er lud sie ein, ihn in Gerimor zu besuchen, das Haus habe Platz... und immer müsste er einen Teil von sich verbergen..

Auf der Rückreise nach Gerimor hatte er Zeit.. und er hatte sich lange Gedanken gemacht. Das "Spiel" mit Identitäten war nichts, womit er leben wollte. Vesalius zu sein - und Lennart zu sein, führte zu einer inneren Dissonanz und Spaltung, von der er wusste, dass der Preis hoch sein würde... Er würde mit Thyra sprechen. Es war an der Zeit, sich zu offenbaren. Er war ein Diener Kra'thors und er achtete und respektierte Alatar. Seine Mutter wusste Bescheid, er hatte sich ihr offenbart. Sie war erstaunt, und er merkte, dass sie neugierig war, was das bedeutete, und vielleicht stolz. Er teilte mit ihr, was ihm sinnvoll erschien...

Die nächste Reise würde nicht so lange auf sich warten lassen versprach er ihr. Und dass sie jederzeit willkommen war, sollte sie den Wunsch haben nach Gerimor zu reisen.

Cantir lag hinter ihm... und vor ihm das weite Meer.

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Lennart Fynn





 Beitrag Verfasst am: 10 Mai 2023 20:29    Titel:
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"Wehr dich und du wirst sterben."

Die Lüge ging ihm leicht über die Lippen. Nur ein Wunder hätte diesen Mann vor dem Tod bewahren können, doch das Wunder trat erwartungsgemäss nicht ein. Die klerikale Kraft Kra'thors entzog nach und nach das Leben aus dem Leib des Todgeweihten, die Kälte in Lennarts Blick, die nur wich, als er zu Thyra blickte. Du... oder ich, meine treue Gefährtin, meine Liebe. Ich will dir nicht die Bürde eines Mordes auflasten, mir macht es nichts aus, aber die Entscheidung liegt bei dir... die Augen Thyras waren Antwort genug, als ein Nicken folgte.

"Deine Seele wird keinen Frieden finden, du Narr."

Der Mann schien zu realisieren, was ihn erwartet. Seine Haut war bleich, die Augen wurden leer, der Tod umhüllte ihn, doch wurde seine Seele gehalten, er würde keinen Frieden im Tod finden, er hatte einen gravierenden Fehler begangen.

"Herr, Rabenfürst, Vater - deine Kraft hat ihn gerichtet, sein Schmerz ist dir Nahrung,
seine Seele sei dein, für so lange, wie du sie für deine Zwecke brauchst."

Die Worte waren leise gesprochen, ein Gebet an den Fürsten, eine Gabe, der Faden zwischen dem Körper und dem sich ablösenden Geist wurde dünner, er wusste nicht, was mit der Seele schlussendlich passierte, aber sie würde einen Nutzen erfüllen, für Vater.

"Blicke herab auf die Gabe, schwach in Physis und doch nützlich sein Geist, seine Taten im Diesseits sollen ihm Qual im Jenseits bleiben, er soll darben an einem Ort ohne Entkommen."

Leblos der Leib, kehrte langsam wieder Ruhe ein - zunächst lagerten sie den Leib im Keller, schliesslich vergruben sie ihn in einem abgelegenen Waldstück. Sie beide hatten ihre Heimat in den Wäldern gefunden und ihren Weg, es war ein Leichtes die Spuren zu verwischen, wenn es auch Massnahmen erforderte sicherzustellen, dass die Wildtiere den Leichnam nicht fanden und ausgruben.

Die Gedanken kreisten noch, nachdem sie Stunden der Zweisamkeit verbracht hatten. Sein Blick lag auf Thyras Profil, er musterte ihre Gesichtszüge - im Schlaf wirkte sie friedlich, die kühle Frühlingsluft, die durch das offene Fenster ins Hausinnere drang, vor seinem inneren Auge sah er nochmal den Überlebenskampf, den sie geführt hatte mit dem Mann, den Dolch an seinem Nacken, und doch hatte sie ihn nicht getötet, trotz der Gefahr. Etwas schien sie gehemmt zu haben. Er wollte sie nicht verlieren. Es war seine grösste Angst. Denn damit würde er den Anker verlieren, der ihn Mensch sein liess. Thyra war es, die verhinderte, dass er zu etwas wurde, was er nicht werden wollte. Entfremdet von sich selbst, umgeben von Tod, manche von seinen Geschwistern waren nahe am Wahnsinn, manche hatten die Grenze bereits überschritten und hatten keinen Bezug mehr zum Leid Anderer und dem Leben als Solches. Das war nicht sein Weg - sein Weg war eine Gratwanderung, dem Rabenfürsten zu dienen und sich dabei selbst nicht zu verlieren...

Dunkle Träume ereilten ihn in der Nacht.

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Lennart Fynn





 Beitrag Verfasst am: 16 Okt 2023 16:10    Titel:
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Der “Überfall” der Priesterschaft und ihrer Verbündeten war nicht lange her – aus der Dämmerung heraus hatten sie versucht, ihr gleißendes Licht in die Gemäuer der Nimmerruh eindringen zu lassen und sie zu vertreiben. Die Glut ihrer Lügen sickerte durch die Gemäuer, aber die Kraft Kra’thors war immens gewesen. Er hatte sie zurückgeschlagen, ihr Herr, der Fürst. Hybris… konnten sie sich auf ihre Standarten schreiben, dennoch war etwas ins Wanken geraten, eine Annahme der Unantastbarkeit, die sie umhüllt hatte, zumindest für ihn war dies das Ergebnis.
Er machte sich also Gedanken, die sich über die Tage zu einem Plan entwickelten. Ein mehrschichtiger Plan – zunächst wollte er eine erste „Grundbasis“ schaffen dafür, in Zukunft die Nimmerruh sicher zu halten, ihrer aller Zuflucht und Stätte ihres Wirkens.
Bald fand sich ein junger Mann im Hort des Wissens des Ostens wider, er war eher unauffällig, wusste Einiges über seine Heimat, Schwarzwasser, zu berichten – und in den Büchern erfuhr er von Geschichten. Ein alter Orden oder Ähnliches – bewandert in der Gesprächsführung vermochte er sein Interesse für den Ritterorden gut zu verbergen, manche Zunge ließ sich in zwielichtigen Schenken gut lösen, und vielleicht erfuhr er das eine oder andere… das Ziel wurde klarer und er bereitete sich vor.
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Lennart Fynn





 Beitrag Verfasst am: 20 Okt 2023 17:41    Titel:
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Die Gemäuer des Grauen Banners waren kalt, Staub lagerte sich auf Regalen und in Ecken ab, Spinnweben an der Decke der hohen Räume, um die Feuerbecken herum, die nur zu Anlässen entzündet wurden. Er starrte in die Glut, die noch übrig war – das zweite Mal hatte er Holz nachgelegt, kurz bevor das Kaminfeuer erloschen war, die Gedanken ließen ihm keine Ruhe und sie trieben ihn in eine Welt, in der er lange nicht versunken war… zuletzt, bevor der Herr ihn erwählt hatte. Mehr als zwei Jahresläufe war es her. Das bekannte Gefühl, das nun wiederkehrte, machte ihm Angst, verwirrte seinen Geist, und zugleich eröffnete es etwas in ihm, von dem er wusste, dass es Teil eines ‚nächsten Schrittes‘ war, den er gehen würde.

Die Worte hallten in ihm nach, Stunde für Stunde… „Eine… Gegen…leistung… eigenes Opfer… der Herr wird… nicht gemolken, Diener…“ – „Mehr.. von euch… müsst ihr geben.. wenn eure.. Werke… gelingen.. sollen.“, eine dröhnende Stimme, ein Schauer durchfuhr ihn, als sich seine Gesichtszüge verzerrten, das Grauen durchdrang als Echo wieder seinen Leib und Kälte durchfuhr ihn. Er ballte die Hände zur Faust, einpaar Mal, um Wärme zu erzeugen, während der Blick kälter wurde, die Welt um ihn herum verblasste… ein Krächzen, er glitt über die Wälder, bekannte Wälder, ein Wasserfall, Ort der Erinnerung, Thyra… Freunde aus der Vergangenheit, dunkle Wolken brachen das Bild, Schauerregen, Blitze, als er sich dem Holzhaus näherte – und ein Mann lag darin, eine Frau an seiner Seite, ein Heiler betrachtete die Wunde – die Wunde war schwarz, das Gewebe nekrotisch, die Venen bläulich schimmernd, als würde der Tod durch die Adern des Mannes fließen. Das Gesicht des Mannes war nicht erkennbar, aber er kannte das Haus – die Frau… den Heiler, Arrigal, dessen Gesicht blass war, als er die Worte sprach. „Es tut mir Leid. Ich kann nichts mehr tun.“

Angst, blanke Angst. Er blickte in das Gesicht des Mannes, eine leblose Fratze blickte ihm entgegen, verzerrt und bar jeder Emotion, leer, das Angesicht des Todes, er war gestorben, damals, in Grenzwarth. Der Wolf… hatte ihn erlegt, die Fäulnis. Es war der Beginn. Es gab kein Zurück.

„Mehr… von euch…“, wiederholte er vor der Glut sitzend die Worte, als er zurück in seinen Leib gerissen wurde, der sich nunmehr dumpf anfühlte, taub, als wäre er getrennt von sich, abgespalten. Ein dumpfer Druck auf seinen Ohren, als er sein Jagdmesser zog und sich vom Stuhl erhob. Ruckartig waren die Bewegungen, unkontrolliert, der Stuhl schepperte zu Boden und in relativ zügigen Schritten verließ er die Burg.

Die Jagd… war eröffnet…






Die Kontrolle über sich selbst – das war es, was er nie aufgeben würde, was er nicht aufgeben konnte. Wer… war er, wenn er nicht die Kontrolle behielt – das Jagdmesser in der Hand schritt er durch die Dämmerung, sein Blick war wachsam; seine Vergangenheit machte ihn zu einem fähigen Fährtenleser, der Stunden, manchmal Tage zurück zu deuten vermochte, was an einem Ort passiert war – die Leere, die ihn erfüllte, war schwer auszuhalten, das Gefühl von ‚Nichts‘ – er musste sich an einem Baumstamm festhalten.

„Fürst… ich diene dir, opfere dir die, die keine Zukunft haben… und die, die eine Zukunft hätten, ich fordere nichts. In der Grabkammer vereinen wir uns, die Nimmerruh hat ihren Preis. Ihr Schutz… ermöglicht uns, dir besser zu dienen. Vater, Richter, lass uns ein Mahnmal errichten, das Leben zu Tod werden lässt, ein Spiegel für all jene, die versuchen dir zu schaden. Die Ziele deiner Feinde ins Gegenteil verkehrt, soll das Leben dir dienen, als untotes Leben. Lass das Leben um die Nimmerruh weichen, und das erwachsen, was unsere Schwester aus dem Herzen des Feindes gestohlen hat.

Ich opfere dir die, die eine Zukunft hätten.“

Die Leere war etwas gewichen, als er das Gebet sprach und den Fokus zurückgewann. Es war an der Zeit, Opfer zu bringen, auch wenn sie nicht genügen würden, waren sie ein Anfang.

Bald waren seine Schritte begleitet von klackernden Geräuschen, weiß hob sich die Gestalt hervor, die ihm folgte, groß war sie, durch ein unheiliges Band Kra’thors, durch klerikale Rituale zusammengehaltene Knochen, die die Form einer Chimäre hatten, die zu Lebzeiten wohl aus einer Mischung aus Skorpion, Höllenhund, Schlange und einem Flugwesen bestanden hatte – sie folgte durch den Wald, Vögel stoben in die Höhe, Unruhe machte sich unter den am Boden lebenden Tieren breit, ihr Instinkt warnte sie, sie flohen. Was sich näherte war real gewordenes Grauen. Das Grauen war innerlich leer, es folgte nur Befehlen, bedingungslos, ohne Widerstand.

Ein leicht gelbliches Leuchten an den Büschen und im herbstlichen Blätterdach…


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Lennart Fynn





 Beitrag Verfasst am: 23 Okt 2023 20:49    Titel:
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Die klackernden Geräusche waren intensiver zu vernehmen, als er im Klerikalen den Impuls gab, dass die Chimäre die Drei töten sollte. Sie sprang voran, ein surreales Geräusch in der Luft, das mehr einem Ersticken oder Röcheln gleichkam ob der fehlenden biologischen Physiologie, bestand das Wesen doch nur aus Knochen und Metall. Er konnte die Gesichter nicht mehr klar erkennen, als einer der Männer und die Frau sich erhoben, aber was er sah, war purer Schock, kreidebleich, geweitete, dunkle Augen im späten Dämmerlicht, als die Chimäre als erstes die Frau erreichte, Sekunden bis zu ihrem Tod, ihr Körper flog durch die Luft und schepperte an dem Mann vorbei, der versuchte, zu entkommen – die Chimäre setzte nach und der Schlangenkopf riss in den Nacken des Fliehenden, der erschlafft zu Boden krachte. Der zweite Mann, ein älterer Herr am Lagerfeuer, war nicht in der Lage zu fliehen. Stattdessen blickte er zu Lennart auf, als dieser sich dem Lagerfeuer näherte. Zwar war Angst im Blick des Alten, aber auch Wut – rasch mündete alles in eine Art Verzweiflung, als er den Blick auf die Chimäre richtete, die den toten Leib in zwei Stücke riss. Sie wandte sich um, er gab ihr den Impuls zu verharren, als er sich dem alten Mann annäherte, sein altes Jagdmesser in der Hand, das er von seinem Lehrmeister aus Eisenau mitführte. War es schon immer dazu da gewesen, das Leben aus verletzten oder erjagten Tieren ziehen zu lassen, erfüllte es auch heute seinen Zweck. Er näherte sich dem Mann, trat vor ihn und stach in dessen Herz.

Das klackernde Geräusch der Chimäre, die sich um den Lagerplatz bewegte, ehe sie verharrte und auf weitere Befehle wartete – jede Interpretation, dass sie einen eigenen Willen hatte oder Emotionen, eigne Impulse, würde sich als Fehler erweisen. Da war nichts, ausser die klerikale Bindung, einem Befehl seiner beiden Erschaffer zu gehorchen.

Die Seelen der drei wurden geopfert in deren Blut, das sich um sie verteilt hatte – einhergehend mit Gebeten, die sich an den Herrn richteten.
«Mehr… von euch… müsst ihr geben…» hallten die Worte nach, während die Seelenopferung von statten ging, während das Blut im Boden aufgenommen wurde und ein leichter Nieselregen einsetzte, der begann, die Kleider der Toten zu tränken.

«Dir, Rabenfürst, Vater, Herr über den Tod, opfere ich diese Drei – dich zu stärken, die Seelen derer ohne festen Glauben. Dir, Herr, und deiner Sache…»

Dem Herrn zu geben. Sie hatten zu viel gefordert. Sie hatten zu viel gewollt. Er hatte… zu viel gewollt… es war auch an der Zeit zu geben und ihm zu dienen. Weitere… würden ihre Reise antreten, in den Tagen und Nächten, die folgten.

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