Antorius
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Verfasst am: 01 Dez 2020 17:35 Titel: Tag der kleinen Geschenke, vom 9. auf den 10. Alatner... |
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*Auch in diesem Jahr werden sich fleissige Hände ans Werk machen und
eifrig damit beschäftigt sein, die Geschenke für ihnen nahestehende
Personen, in kleine Beutelchen zu packen.
Seit nunmehr fast sieben Jahren wird es einen feste Tradition auch hier
auf Ala'thair geworden sein. So wird es sein, dass Handwerker an diesen
Tagen mit vielen Aufträgen bedacht werden. Natürlich alle unter dem
Siegel der Verschwiegenheit niemanden etwas darüber zu verrraten
werden sie somit zu den höchsten Geheimnisträger des Reiches...
betrachtet man die Menge an Verschwiegenheitsversprechen.
Nur wenige werden sich vielleicht noch an die Geschichte von damals
erinnern, die damals zum ersten Tag der kleinen Geschenke führte...*
"Der Tag des kleinen Geschenkes
- eine Geschichte aus Grafschaft und Stadt Schwertbergen -
In diesen Tagen mag es hier und da passieren, dass Abschriften einer
Geschichte in Briefkästen landen und manche Leute sich von einer
Geschichte erzählen, die gerade die Runde macht. Ob die Wirte sie in den
Tavernen mit einem Schmunzeln erzählten oder die Großmutter etwas
Neues für die Kinder zu berichten hat. Es scheint Vorbereitungen zu
betreffen, die für die Nacht vom 9. auf den 10. Alatner getätigt werden.
Und erzählt wird:
Es war einmal, es ist schon viele Jahre her...
Da lebte im schönen Schwertbergen ein Mann, der hieß Kjal Ruberan. Er
war ein wohlhabender Mann, denn er hatte reiche Eltern besessen, die
ihm ein ansehnliches Geschäft für Importwaren überließen. Weine und
Tuche aus fernen Landstrichen, Schnitzereien, kostbares Geschirr - Kjal
hatte über seinen Vater und das Geschäft schon früh viele Leute
kennengelernt, und er hätte einer jener Großbürger werden und bleiben
können, die ein feines Leben führen.
Doch Kjal war kein guter Händler. So sehr ihm die seltenen und schönen
Sachen auch gefielen, so wenig Geschäftssinn besaß er, und viel zu oft
ließ er sich gutmütig dazu hinreißen, Dinge zu verschenken, wenn er
merkte, dass sie dem möglichen Kunden einfach von Herzen gefielen.
Einen Gutteil seines Geldes gab er dafür aus, immer Konfekt und
Leckereien in seinem Laden für alle bereitstehen zu haben, und wenn
durch sein Geschäft mit staunenden Augen mehr Kinder als Käufer liefen,
dann freute ihn das heimlich am meisten. Er mochte Bittsteller nicht
sonderlich, die ihn oft in Scharen bedrängten... aber es ging auch
niemand von ihnen ganz leer aus. Doch er hatte ein Auge dafür, wo eine
Kleinigkeit als Freude tatsächlich willkommen war, und für diese Momente
lebte er.
Viele sagten Kjal nach, dass er zu gut für diese Welt war. Er spendete
den Armen, er verschenkte dort, wo er Mangel bemerkte. Und das
meistens aufs Geratewohl, wenn ihm etwas zufällig auffiel, wo man einem
anderen Menschen gerade eine Freude mit machen konnte. Schließlich
gab er Geld sogar lieber dafür aus, passend Dinge als Geschenke zu
kaufen, statt in die Neuanschaffung seiner Waren zu investieren.
Als der Unterhalt seines Hauses zu teuer wurde, zog er genügsam eben
in ein kleineres - was brauchte er ein dutzend Zimmer? Der Laden wurde
kleiner und kleiner... bis er sich entschloss, dass ein Laden auch nicht für
jene gut war, die gar nicht wussten, welche Schätze er hatte und die er
auch nicht bedenken konnte, weil er sich nicht genügend umsah. So kam
es zu einem Handkarren, auf den er Sachen lud und sie nach seiner Art
verteilte.
Alle kannten Kjal - sehr viele mochten natürlich, doch die meisten
Menschen hielten ihn auch für seltsam und sagten ihm ein schlimmes
Ende voraus. Es schien, sie sollten recht behalten. Kjal verarmte mehr
und mehr, das was er zu geben hatte, wurden immer geringere Gaben,
bis er Müll durchwühlte und Lumpen verteilte, weil er selber nichts
anderes mehr fand. Er lebte in einer armseligen Hütte, die man mehr
einen Verschlag als ein Gebäude hätte nennen können, und stolz
beharrte er noch darauf, dass seine Gaben hier bei den Armen am
dringendsten gebraucht wurden... da sei es nur recht, wenn er nicht viel
mehr hatte und aussähe wie sie.
"Geben kann man immer was, und wenn es nur eine Kleinigkeit ist!", das
sagte er immer wieder. Es kam die Zeit, da gab er noch von seinen
eigenen schäbigen Kleidungssachen, und immer noch gab es Menschen,
die dies freute. Er gab oft nicht mehr einfach so, sondern heimlich. Er
beobachtete die Leute und suchte Dinge, die ihnen nützlich sein konnten.
Nachts legte er ihnen die Sachen dann so hin, dass sie sie gewiss finden
mussten.
Jeder kannte Kjal, und des Öfteren gab es auch Menschen, die ihm
aushalfen, wenn er selber Not litt, oder die sich noch in besseren Tagen
mit Geschenken revanchiert hatten. Doch es schien fast sinnlos zu sein,
das Wenigste behielt er für sich, und vieles schenkte er weiter.
Ein weiterer Winter war angebrochen, und Kjal trug kaum mehr als eine
löchrige Lage Kleidung am Leib. Er hatte schon den ganzen Tag gesucht,
was sich als Geschenk eignen mochte, doch er war müde, hungrig und
schwach geworden, und fror am ganzen Leib.
Da sah er ein kleines, niedliches Mädchen die Straße entlangkommen, das
mit einer halb zerrupften Stoffpuppe spielte. Er grüßte, sie winkte zurück,
doch plötzlich kam ein Hund gelaufen, der erst kläffend einer Katze
nachrannte, sie aus den Augen verlor und ganz außer sich
herumspringend dem erst darüber lachenden Mädchen die Stoffpuppe
aus der Hand riss und fortlief, als sie sie wiederhaben wollte. Weinend
saß das Kind auf der Straße, als Kjal sich von dem Schrecken erholt hatte
und zu spät hinzukam.
"Weine nicht, Kleines...", versuchte er sie ratlos zu beruhigen und klopfte
auf seine löchrigen Taschen, doch da war nichts. Die Gasse, in der sie
waren, schien kahl und trostlos. Doch auf etwas fiel noch Kjals Blick.
Während das Mädchen weiter um seine Puppe weinte, brach er von
einem verkrüppelten Strauch einige Zweige ab, zupfte aus einem Haufen
Unrat zwei flache Holzstückchen und flocht aus den Zweigen und dem
Holz einen schief geratenen Stern.
"Schau mal, ich habe hier einen Schatz für dich!", flüsterte er eifrig und
hockte sich neben dem Mädchen hin, das mit tränenverschwommenen
Augen zu ihm hinsah. "Das ist der Stern des Horteras, der wundervollste
Stern, den es gibt!"
"Aber...", zögerlich sah das Kind auf das schiefe Gebilde. "Aber warum
das? Das ist doch nur Holz und so."
"Warum? Weil das ein Stern ist, sein Stern, wenn du willst. Der Stern, der
den Menschen Hoffnung gibt, dass immer noch ein bisschen was geht,
auch wenn man scheinbar alles verloren hat."
Er schaute auch auf den Stern, und für einen Moment schien er selber
darin Trost zu finden, dann gab er ihn dem Mädchen, das zu weinen
aufgehört hatte. "Und so was Wertvolles schenkst du mir? Du musst ihn
doch selber behalten, du hast auch nichts mehr", stellte die Kleine mit
kindlichem Ernst fest. "Doch, ich hab immer was - und wenn es die
Erinnerung an ein hübsches Lächeln von dir ist, das nimmt mir auch kein
böser Hund weg", zwinkerte er dem Kind zu und blinzelte überrascht, als
sie ihm einen Kuss auf die Wange gab.
"Das sei dir nicht vergessen, Kjal...", flüsterte sie leise und scheinbar
dankbar und hüpfte davon, noch während er ihr verblüfft nachsah und
sich fragte, woher das fremde Kind seinen Namen kannte. Aber so was
konnte schon passieren. Das Mädchen bog derweil um eine Ecke, in
seiner Hand, wo zuvor der Stern war, etwas wie Gold Glänzendes -
warum fielen ihm die schlohweißen Haare erst jetzt auf, wo sie
verschwand?
Wenige Tage später glaubte Kjal eines Nachts, dass er den Morgen nicht
mehr erleben würde. Er hatte es kaum mehr geschafft, Holz zu sammeln,
und selbst wenn er welches hätte, so hatte er nichts, um es anzuzünden,
vor Hunger nicht die Kraft dazu. Dennoch musste er geschlafen haben,
denn plötzlich wachte er auf. Es war deutlich wärmer, und als er sich
fragte, warum, stellte er fest, dass es an einer warmen Decke lag, die
über ihm war, und um ihn herum trockenes Stroh. Er rappelte sich hoch...
sein Blick fiel auf Essen, eine glühende Kohlenpfanne stand neben der
schiefen Tür. Und als er diese aufzog, kam er aus seinem Verschlag nicht
heraus, weil hüfthoch Sachen davor aufgetürmt waren. Von Feuerholz,
das für den ganzen Winter reichen musste, bis maßgeschneiderte
Kleidung.
Heimlich hinter einer Ecke schauten zwei Kinder vergnügt, wie Kjal vor
Freude weinte und, ohne jemanden erblicken zu können, immer wieder
fassungslos "Danke!" stammelte. Der Plan war aufgegangen. Zu viele
Menschen hatten sich das Elend des alternden Mannes nicht mehr mit
ansehen mögen und hatten die Sorge geteilt, dass der Winter sein Tod
sein mochte. Ihnen allen hatte Kjal irgendwann mal etwas Gutes getan,
einfach so, ihnen oder Freunden und Verwandten. Und so hatten sie sich
zusammengefunden und für seine guten Taten revanchiert, jeder hatte
gegeben, was er ohne große Mühe entbehren konnte und mochte, von
der Kleidung vom Schneider bis hin zum Feuerholz, das die Kinder
gesammelt hatten.
Es war ein zehnter Alatner gewesen, als das passierte... und es war der
letzte Tag, an dem Kjal gesehen wurde. Am elften schon schien alles fort,
was geschenkt worden war, und Kjal spurlos verschwunden. Ein Jahr
später und auch jährlich folgend aber fanden dann ein paar Menschen,
die selbstlos anderen einmal etwas geschenkt und damit eine große
Freude und Überraschung gemacht hatten, morgens vor ihrer Tür kleine
Gaben - ganz so, als wäre Kjal da gewesen.
Und neben den Dingen...
ein kleiner Holzstern..."
Seitdem hält sich in Schwertbergen der Brauch, in der Nacht vom neunten
auf den zehnten Alatner speziell lieben Menschen eine Freude zu machen
oder Notleidenden gezielter mit Spenden zu helfen. Selbstlos, einfach so,
weil es immer etwas gibt, was man geben kann, und weil gute Taten
irgendwann sicher zu einem selber zurückkehren.[/b] _________________ "Der Adler fliegt allein, der Rabe scharenweise;
Gesellschaft braucht der Tor, und Einsamkeit der Weise."
Friedrich Rückert |
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