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So hoch die Wellen schlagen
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Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » So hoch die Wellen schlagen
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 16 Apr 2020 15:05    Titel: So hoch die Wellen schlagen
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03. Cirmiasum 258
- in der Nähe der Küste Seranyths



Die Sommerluft machte uns an diesen Tagen allen zu schaffen, obgleich der Wind und das Schiff die Wellen zum Teil aufprellen, und uns in sanften Tropfen zukommen ließ, welche die Sonne auf der nackten Haut sofort trocknete. Die Mannschaft hatte die Haare zum größten Teil zurückgebunden, ein Stirnband oder ein Kopftuch um die unnötigen Schweißperlen der Stirn zurückzuhalten. Ein Hafen mit rahalischer Zugehörigkeit, welchen wir eigentlich nicht hatten ansteuern wollen, wenngleich der Hunger und der Rumdurst der Männer eigentlich etwas anderes forderte. Der Alte, unser aller Käpitän - Sivert Schwarzzahn, ordnete ebenfalls an Kurs auf den Hafen zu nehmen. Seine Hoffnung bestand darin weitere Kerle für die Bemannung zu finden, den geliebten Bestand an Gesöff wieder aufzufüllen und einige Mägen zu stopfen. Doch das hier war nicht Seranyths, wie wir es laut der Karte in etwa vermutet hatten, denn der Steuermann hatte diesen, für mich unbekannten Ort, bereits einmal gesehen oder besucht. Innes-Mhuir, hatte er uns allen lautstark verkündet und mit dem Finger gezielt auf einen Hafen gezeigt, der von Schiffen, kleineren Booten oder kleinen Nussschalen umsäumt schien. Eilean. Eine weitere Feststellung aus seiner Richtung, die der Kapitän mit einem Brummen unterstrichen hatte, ob aus Zufriedenheit oder Unwohlsein wusste wohl niemand so genau, doch was sollte es, ich hatte meinen Hut vom Deck aufgeklaubt und mit angepackt das Segel einzuholen.

Es sollte sich herausstellen, dass die Region Innes-Mhuir nicht nur aus einer, sondern aus einer ganzen Kette Inseln bestand. Kleine, größere, nicht so große - doch sie alle waren durch kürzere Schiffswege miteinander verbunden um sich gegenseitig und vor allem ihre Hauptstadt zu versorgen. Nachdem Sivert einige von uns mit an Land genommen hatte, marschierten wir in unseren eingelaufenen Lederstiefeln über den Steg hinweg. Mein Bruder, der faule Seebär war an Deck geblieben und wollte sich lieber mit der Sonne auseinandersetzen, welche ihm wahrscheinlich in selbem Moment auf den Wanst geschienen war, während er in einer Hängematte herumlungerte. Ossel, der Steuermann, Todor, unser Kochsmaat und auch Ingolf, unser Quartiersmeister gingen mit mir zusammen von Bord. Einige der Männer folgten uns noch um eigenen Bedürfnissen nachzugehen und ich, ich wollte mich nach einigen Pergamenten oder Büchern umsehen, jetzt wo es mal wieder Zeit geworden war, ein Neues unter ihnen mit Geschichten zu füllen.

Nachdem wir unsere Erledigungen abgetan, zehn Kisten Rum, zehn Kisten Süßwasser und auch etliche Kisten mit Fleisch, Fisch, Gemüse und Anderlei an Bord gefunden hatten, und auch die Dämmerung langsam einbrach, packte Sivert mich am Kragen und deutete auf eine nahe gelegene Taverne. Ossel und Todor folgten kommentarlos, denn eine Partie Karten mit dem Kapitän schlug man nicht aus. An einen großen, runden und schon etwas abgeranzten Tisch gesetzt, zweimal mit der Hand gewedelt und das schwarze Lächeln eines Seemannes gezeigt, wurden sechs Flaschen Rum vor uns abgestellt. Ich hatte bereits gewusst was er von mir wollte, bevor wir die Holztüre zur Spielunke aufgestoßen hatten, denn er wartete, dass jemand ihn zum Kartenspielen herausforderte. Und er hatte eine Nase dafür, denn schon bald setzte sich ein Großkotz an unseren Tisch, wie typisch für einen rahalischen Anhänger und wedelte mit einem Beutel voller Goldstücke. Sivert hatte wie meistens, keinerlei Einsatz außer den Goldstücken für die Ladung und unseren Rum dabei, doch als der Teufel vom Platz gegenüber seinen Einsatz nannte, besah der Kapitän mich aus dem Augenwinkel. Ich nahm meinen Rum und trank einen kräftigen Schluck, ehe ich mit gekonnt funkelnden Augen zu meinem Gegenüber sah. "Wir spielen mit allem was wir haben", verkündete ich stolz und breitete meine Arme präsentativ aus, um das Ausmaß anzukündigen. Ich hatte die Aufmerksamkeit unseres Gegenspielers erlangt. "Dein Einsatz muss also viel viel größer sein, denn wir setz'n unser Schiff!", setzte ich nach und meine Hände fuchtelten beschreibend umher.

"Sonn'gelbe Segel, Dreimaster, glänzendes, poliertes Eich'nholz, eine starke und fleißig' Mannschaft und eine goldene Meerjungfrau, die Glück un' Wohlstand bringt, sitzt unter dem Bugspriet, begleitet vom ebenso goldenen Anker. Un' das alles kann dir gehör'n, denn wir alle such'n nach neuen Abenteuern." - Sivert hatte wieder einmal gut daran getan, eine Frau mit an Land zu nehmen, denn der obere, offene Knopf meines weißen Hemdes, und die daraus hervorblitzenden Körpermalereien, zogen noch immer ihre Aufmerksamkeit auf sich. Ich hatte mir eine ebenholzschwarze Strähne um den Finger gewickelt und mich weiter vorgelehnt. "Was denkst du Freibeuter, erhöhst du deinen Einsatz?" Ich wandte meine meeresblauen Augen nicht von ihm ab und auch er schien wie mit meinem Blick verankert, ehe er langsam aber sicher zu nicken begann. "Aye!", verkündete er und holte mit einem Fingerzeig einen seiner Matrosen an den Tisch, welcher nur Momente später zwei weitere prall gefüllte Säckerl Gold auf den Tisch fallen ließ. Und "aye" wir hatten gespielt, allerdings nur eine Partie am Tisch, nämlich wir, mit ihm. Ich kannte dieses Kartenspiel, denn es stammte aus meiner eigenen Tasche - und natürlich war es gezinkt. Der Rum floss unschuldig in die Kehlen und unser Gegenspieler merkte nicht einmal, dass ich dem Kapitän die passenden Karten zuschob, wenn ich, ebenso unschuldig, an seine Schulter gelehnt in seine Karten sah, als sei ich ein naives Mitbringsel.

Als die dumpfen Geräusche unserer Stiefel Richtung Aurelia wanderten, hatte jeder von uns ein schwerers Säckerl Goldstücke in den Händen. Sivert lachte dreckig, als er seinen auf das Deck fallen ließ, damit Ingolf sie ins Lager schaffen konnte. "Der Rum heute geht auf mich Männer!", verkündete er mit Rauch- und Rumverzerrter Stimme. "Wir haben die Goldstücke für die heutigen Erledigungen wieder auf dem Wanst liegen! - Segel setzen!!"



Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 07 Jun 2021 11:30, insgesamt 5-mal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 18 Apr 2020 23:07    Titel: Der bronzene Kompass und der Name eines Schiffes.
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12. Eisbruch 259
- weit hinter Winterfall



Den Winter hatten wir an Land verbracht. Eisige Kälte war keine angenehme Begleitung wenn man mit der Besatzung an Deck blieb. Jeder von ihnen hatte etwas anderes zu mosern, aye.. Dem einen wurden die Füße kalt, wie 'ner alten Jungfer, die das ganze Jahr über am Ofen saß und strickte, dem anderen waren die Wollpulover des Eheweibes zu klein geworden, bei all der Völlerei an Bord, und der letzte sehnte sich wie ein zu alt gewordener Mann nach einer guten Tasse Tee. Tee! Das musste man sich einmal vorstellen, welch Weicheier. Kapitän Schwarzzahn zog es allerdings wie sooft aus anderen Gründen an das Festland. Denn vor mir, dem begabten und hübschen Seemannsmädchen, war seine goldene Nase beim Kartenspiel nicht so erfolgreich gewesen - wahrscheinlich weil er einfach kaum logisch denken konnte, wenn es um wirkliche Thematik ging. Dafür hatte er schließlich die Mannschaft. Vor Jahren war ihm ein bronzener Kompass abhanden gekommen, verloren, angeblich bei eben jenem Kartenspiel dass er nicht beherrschte. Laut seiner Spitzel an Land, sollte ein reicher Kaufmann von Winterfall ihn mittlerweile sein Eigen nennen, doch wer glaubte diesen besoffenen Landratten schon blind? Ich war gespannt darauf zu erfahren, wie er ihn zurückerlangen wollte, vor allem weil ich das Geheimnis um besagten Kompass kannte. Jeder Seemann hat diese eine, verflossene Liebe. Eine wahrhaft tragische und herzzerreißende Geschichte, die meistens in viel Tränen, Kummer und einem Besäufnis endete, wenn sie zurück aufs Meer mussten. Nur die wenigsten dieser Frauen übten sich in solcher Geduld, dass sie ein Leben lang auf die Winterzeit warteten, wenn der Liebste heimkehren würde, nur um ihn einige Monde später wieder für das restliche Jahr zu verabschieden.

Der Name dieser Frau war Aurelia. Die schönste Frau, die unser Kapitän je gesehen hatte, wenn man seinen Worten Glauben schenkte. Die blonden Haare waren ihr in langen Wellen um die Hüfte gefallen, ganz zu schweigen von den üppigen Brüsten und dem Hintern, der einem Pfirsich glich. Rosige Wangen und Lippen, die man den ganzen Tag nur Küssen wollte. Der Haken an Aurelia war jedoch, dass sie eine dieser Gossenschwalben war, die jedem einen Kuss schenkte, der nur genügende Goldstücke auf den Tresen regnen ließ. Sivert hatte mir diese Geschichte in einem schwachen Moment erzählt, nachdem ich ihm beim Spiel wieder einmal den Arsch gerettet hatte. Aurelia war mit dem Besitzer einer Schenke verheiratet gewesen, der ihren Tagelohn nicht nur zuließ, sondern auch befürwortete, denn da sie die beliebteste Frau des Hafens war, verdiente er sich eine goldene Nase mit ihren Taten. Sivert kehrte viele Male in den Hafen ein um sie zu sehen, und auch ihr Mann erkannte den Kapitän irgendwann wieder. Doch irgendwann bezahlte er sie nicht mehr, denn es war ihr freier Wille mit ihm zusammen zu sein, gleich was ihr Mann dazu sagen würde. Böse Zungen würden nun behaupten dass es eine Krankheit der Menschen sei, nie lange mit ein und derselben Person auszuhalten, manche Weibsbilder erst zufrieden seien, wenn sie mindestens einmal die Aufmerksamkeit eines jeden Mannes erlangt hätten. Dirnen ohne Bezahlung könnte man ebenfalls sagen, mit der Idee jedem Kerl auf den Welten gefallen zu können, hauptsache sie würden Bestätigung erhalten. Doch wo waren die Verbindungen meiner Vorstellung geblieben? Eine Liebe zweier Menschen, die sich genügten, wie meine Eltern es getan hatten?

Aurelia jedenfalls, sie stellte sich nicht sehr geschickt an. Denn den Kompass, den sie selbst von ihrem Manne erhalten hatte, schenkte sie in zweifelhafter Romantik ihrem Kapitän, aufdass er ewiglich einen Weg zu ihr zurückfinden würde. Fünf Jahre später fand er seine Liebste nicht mehr in der Schenke am Hafenbecken. Die Nachfrage beim zauseligen Kerl, der einmal ihr Mann gewesen war, endete mit hinausgeschlagenen oder brüchigen Zähnen, die eines Tages abfaulten und eine ungesunde schwarze Färbung annahmen - und unserem Alten seinen Namen verliehen. Eine Prügelei wie sie im Buche stehen würde, doch Sivert schleppte sich hinaus und trank sich Wochenlang halb zu Tode, denn Aurelia hatte ihr Leben für immer ihrem Mann geschenkt, der sie aus blinder Eifersucht, mit eigenen Händen erdrosselt hatte. In dieser Zeit verlor er seinen Kompass, wie er dachte bei einem Kartenspiel. Ein Irrtum, der ihn noch immer an seinem Kampfesgeist festhalten ließ. Eine Liebe, die den Namen eines Schiffes bestimmt hatte, welches uns bereits soviel Glück gebracht hatte, wenn wir es als Wetteinsatz nannten. Eine Täuschung seiner Selbst, denn in Wahrheit hatte ich den Kompass eines Abends zwischen den Planken der Aurelia gefunden, zerkratzt, mitgenommen, die Windrose darin bereits durch das Wasser etwas rostig geworden. Sie hing an einem Pfosten meines Bettes, wo ich noch einige Zeit auf ihn aufpassen würde, ehe ich in weiblicher Empathie dachte, dass der Kapitän soweit sein würde, ihn wieder zu erhalten. Es würde die Zeit kommen und solange war das Geheimnis um die Frau des bronzenen Kompass gut in selbigem geborgen.



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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 24 Apr 2020 13:17    Titel: Der Mann rund um den Anker
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12. Searum 259
- auf den Meeren oberhalb von Drakon



Ein Mann war an den weiten Küsten oberhalb Drakons an Bord gegangen. Und obwohl er seinen Gedankengängen genauso sehr nachhing wie ich, oder vielleicht gerade deshalb, war er mir spätestens zwei volle Tage auf See später, deutlich ins Auge gefallen. Nicht zwingend wegen den Adern, die seinen Arm hinab verliefen und aus den Ärmeln seines Hemdes ragten, nicht wegen den wirklich schönen Händen, für die ich schon immer eine Schwäche gehabt hatte und die durch ein Ankerabbild am Finger geschmückt waren, ebenfalls nicht wegen dem Bart, welcher in gepflegter Manier sein Kinn und Teile seines Kiefers bedeckte, sodass man mit den Spitzen seiner Finger daran entlangfahren wollte, nicht wegen den Haaren, durch die er immer wieder mit den Fingern strich und den Impuls in mir freisetzten, ihn zu fragen, ob ich auch einmal dürfe. Schon garnicht aber wegen des ernsten und konzentrierten Augenpaares, welches an ein aufziehendes Gewitter erinnerte, dass letzte blaue Partien des Himmels durchscheinen ließ. Abelardo Darun war sein Name - Silben die mich dazu anregten eine Art Akzent sprechen zu wollen. Nein, ich war kein zartes Pflänzchen mehr, dass nicht wusste, was es wollte, ganz im Gegenteil - denn ich war mir bewusst darüber, dass ich es ihm bereits mit intensivem Blick vermittelt hatte.

Viele Tage beobachtete ich ihn dabei, wie er in einem Buch schrieb, was mich darauf schließen ließ, dass Sivert ihn allerhöchstens als Gast auf der Aurelia willkommen geheißen hatte und nicht wegen einer Anstellung, die er anstrebte. Ich sollte jedoch herausfinden, dass es sich um kein Tagebuch, keine Geschichte oder andere Dinge handelte, die er in sein Buch übertrug, sondern dass sich hinter dem männlichen Gesicht der selbe verdrehte Kopf wie meiner befand. Er zeichnete. Und so verließ ich meinen angestammten Platz an Deck und gesellte mich einen Tag später zu Ossel, unserem Steuermann, der die wahrscheinlich beste Sicht auf das gesamte Schiff hatte. Und nun hatte auch ich sie, nur dass ich die Aurelia bereits in- und auswendig kannte. Meine Neugierde, und wenn ich ehrlich war auch meine Begierde, galt Abelardo und seinem Buch, seinem Nacken, der sich mild in der Sonne bräunte während der dunkle Haarschopf in kurzen Stoppeln endete. Ich vernachlässigte meine Geschichten tagelang, weil ich dem Drang ihn anzusehen nicht mehr entkam.. bis ich eines Nachmittags die Zeichnung eines Vogels erkannte, leider jedoch nicht, um welche Art es sich dabei handelte. Ich schloss das Buch, welches ich zum Schein auf meinem Schoß abgelegt hatte, ruckhaft und noch ehe ich begriff was ich tat, fand ich mich hinter dem Unbekannten wieder. Mein Augenmerk legte sich erneut auf seinen Nacken, als ich bereits eine Hand danach ausstreckte, um die Finger und dann auch die Handfläche, auf der sonnengewärmten Haut abzulegen. Gerade als er den Kopf drehen wollte, beugte ich mich bereits halb über seine Schulter und fuhr einen Kohlestiftstrich der Zeichnung nach. Eine Schwalbe, die Federn so blau wie der unbetrübte Himmel, wenn keine Wolke ihn bedeckte, gezeichnet als würde sie sie in jedem Augenblick ausbreiten und davon fliegen wollen. Ich konnte seinen Blick fest auf mir spüren, als kratzte seine Aufmerksamkeit an der Oberfläche meiner Haut, doch ich lehnte mich bereits zurück und hinterließ ein "Wirklich ungewöhnlich schön..", ehe ich die Hand langsam, endend an meinen Fingerkuppen von seiner Haut zog und mich an meinen Platz beim Steuermann zurückzog. Erst dort, zurück an einem sicheren Ort, nahm ich tatsächlich mein Buch auf und setzte meine eigene Geschichte fort.

Die Nächte waren unruhig und ich schlief schlecht, eigentlich schlief ich eher tagsüber in einer Hängematte als dass ich in den Nachtstunden ein Auge zu tat. Doch scheinbar hatte ich mich nicht unbeobachtet zurückgezogen, denn es klopfte gedämpft an der Tür, ehe sie aufgeschoben und ein dunkler Schopf in den kleinen Raum gestreckt wurde. Abelardos Blick suchte die Dunkelheit ab und festigte sich schnell auf den Decken, um die ich ein freies Bein geschlungen hatte. Er fragte nicht ob er hineinkommen könne, er schloss die Tür einfach hinter sich und trat an das Bett heran. Nun war er es, der seine Finger ausstreckte und die Handfläche auf meiner Haut auflegte. Er strich über mein Bein und sah aus vielsagenden Augen zu mir hinab. "Wirklich ausgesprochen schön..", erklang es rau aus seiner Richtung, als ich mich aufsetzte und erneut nach seinem Nacken griff, um ihn in einen intensiven und leidenschaftlichen Kuss zu ziehen.

In den Morgenstunden lagen wir, die Beine ineinander verschlungen, in meinem Bett. Während ich eine Hand auf seiner Brust abgelegt hatte und auch mein Kopf dort zur Ruhe gekommen war, umfasste die freie seiner Hände locker meinen Oberschenkel. Er strich gelegentlich daran auf und ab, die Brauen senkten sich nachdenklich, dann drehte sich sein Kopf und er suchte meinen Blick. Ein tiefer Kontakt, welcher schweigend aufgenommen und welchem standgehalten wurde ohne ein Wort zu sprechen. Dann plötzlich, zog er mich in der Umarmung kurz weiter zum Bettrand, streckte die Hand, die vorher auf meiner Haut gelegen hatte, aus und zog sein Buch aus einer Tasche seiner Hose. Umständlich stützte er es an seiner Brust und begann zu blättern, bis das Bild eines Kraken zum Vorschein kam. Er drehte das Abbild weiter in meine Richtung, dann ließ er es sinken und deutete mit einem Finger auf meinen Schenkel. "Wusstest du, dass sie ihre Farbe je nach Umgebung wechseln, um so unauffälliger zu wirken?", fragte er leiser, die Lippen an meine Schläfe gelegt. Ich nickte stumm und wieder nahm ich die flüsternde Stimme war. "Auch du hast dich sehr gut hinter einer anderen Fassade versteckt", schloss es auf und ließ meinen Mundwinkel zucken. Das detailreiche Bild verankerte sich in meinem Kopf, während er begann meinen Hals zu küssen, dann meinen Brustansatz, meinen Bauchnabel.. er rutschte weiter hinab und hielt an meinem Schenkel abermals inne. "Hast du Tinte und eine Nadel hier?", fragte er unschuldig und sandte den überlegenen Blick an meinem nackten Körper empor. Ich wusste was er vorhatte und doch, ich tat absolut nichts um ihn aufzuhalten, denn ich hatte die Künste seiner Finger gesehen.. und erlebt.

Wochen später lag ich in einer Hängematte an Deck, das Wasser war still und ich hatte mich entschieden, dass die Berührungen der Sonne mir und meinem Körper gut tun würden. Die Mannschaft warf hier und dort einen Blick auf meinen leicht bekleideten Körper, doch es war mir egal. Ich sah verträumt auf das Hautbild an meinem Oberschenkel hinab. Die Fangarme des Kraken wanderten an meiner Haut entlang, als würden die Saugnäpfe sich an einigen Stellen daran festhalten. Er bestand allein aus dunkelblauer Farbe, die bei Sonneneinfall an manchen Stellen heller, oder auch dunkler anmutete. Einen seiner Arme hatte er jedoch um einen Anker geschlungen, welcher mich ungetrübt an einige stürmische Nächte erinnerte. Abelardo war schon vor Wochen in Aschenfeld von Deck gegangen, bis dahin hatte er jedoch die verbliebenen Nächte nicht in einer Hängematte bei den anderen, sondern in meinem Bett verbracht. Wie ich gesagt hatte, jeder Seemann hatte diese eine unglückliche, verflossene Liebe, nur dass ich mir nicht sicher war, ob es sich bei dieser kurzen Bekanntschaft wirklich um etwas wie Liebe oder nur um reine Anziehung gehandelt hatte. Einen Teil davon hatte ich mir jedenfalls behalten.






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 24 Apr 2020 14:45, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 27 Apr 2020 10:42    Titel: Gegenwart - Geschichtenabend
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Gegenwart
26. Wechselwind 263
- Schwingenstein



Für den Moment hatte ich unser geliebtes Schiff verlassen. Wenn ich darüber nachdachte, so zog es noch immer unangenehm in meiner Magengegend, als hätte jemand ein Messer hineingesteckt, als ich sah wie die Aurelia den Hafen wieder verließ. Hatte ich vor vielen Jahren von einer verflossenen Liebe gesprochen, so wurde mir jetzt bewusst, dass die See selbst mein verflossener Geliebter war. Rau, wie der Dreitagebart eines Mannes, welcher bei innigen Küssen meine Hautoberfläche kratzte. Sanft, wie ein Handstrich über meine Beine. Schwindelig, wie das Wiegen des Schiffs, immer bereit zu fallen, weil das Wasser mich fangen würde. Gefährlich, berauschende Symphonien in meinen Ohren, wie der Gesang von Sirenen. Liebevoll, wie Lippen in meinem Nacken oder warme Hände, die sich um meinen Körper legten, wenn man mich von hinten umarmte. Unbeugsam und wild, wie eine leidenschaftliche Nacht unter Deck, oder auch aufregend, wie der Zauber des Anfangs. Die perfekte Liebe - ein Spiel der Gegensätze.

Doch dort hatte ich gesessen, in einer Taverne, weit weg von meinem Liebsten und hatte in fremde Gesichter gestarrt. Andere Menschen, andere Augen, andere Blickwinkel, völlig anderes Verhalten oder Benehmen. Ich vermisste Sivert, welcher mir bereits Sekunden nach dem Eintreten ein Kartenspiel in die Hand gedrückt hätte. Ossel, dessen Hand sich unter dreckigem Lachen am nächstbesten Frauengesäß wiedergefunden hätte und selbst den schweigsamen Todor, dessen gekochter Fisch meistens viel zu matschig wurde. Vergeblich suchte ich bei manchen der Anwesenden eine Art Stock, der ganz sicher irgendwo in den Untiefen ihrer Eingeweide zu finden war. Gerade und steif, kaum zu einer normalen und natürlichen Regung fähig. Bisher hatte ich nur für die Mannschaft auf dem Schiff oder auch kleinere Schenken erzählt, doch dort, wo ich eine unter wenigen Frauen war, dort besaß man das Benehmen, oder vielleicht auch die Gier oder das Begehr, den Blick nicht von mir abzuwenden und schon garnicht zu reden, während ich erzählte. Dort hing man an meinen Lippen, als wäre das, was aus meinem Mund käme, überlebenswichtig. Und da ich ohnehin nur ein Nebenspieler des Geschehens gewesen war, hatte ich die Frechheit besessen mich an das Benehmen anzupassen, und mich dreist mit dem Hintern direkt auf den Tresen gesetzt - wer würde sich schon dafür interessieren? Doch nein, ich durfte diesen Gedankengang nicht verallgemeinern, denn immerhin einige Ausnahmen konnte ich hier ganz klar ins Auge fassen, oder vielleicht waren es eher die Farben die hier verschwammen, wie die Wellen, welche schaumig an die Felsen schlugen. Schwarz.. gruselig schwarz wenn man ehrlich war, als starre man in ein dunkles Zimmer. Manchmal jedoch, gab es andere Töne frei, als würde es zuvor von einem Vorhang zugezogen, welchen man zum Schutz erwählt hatte. Rauchblau, wie die dunklen Flügel einer Schwalbe, die sich mit der Farbe des Himmels vermischten. Dunkles Haar, die Schwärze, wenn man seine Augen des Abends schloss. Bleibende Eindrücke, die durch Blicke oder Worte unterstrichen worden waren und ich war ehrlich, ich hoffte auf ein Wiedersehen mit einigen von Ihnen, denn ich war mir sicher, dass zumindest ein paar interessante Geschichten dabei herumkommen würden.

Später am Abend hatte ich dann mit einigen, immernoch Fremden, am Feuer gesessen und meinen Schnaps getrunken, welcher in Ordnung, jedoch kein Ersatz für eine gute Pulle Rum war. Etwas andächtig zog ich einen Glimmstängel aus einer kleinen Schachtel und zündete ihn am Feuer an. Der erste tiefe Zug blieb eine Weile in meiner Lunge, als die Gedanken zu meinem Bruder Eckehard schweiften, begleitet vom Stich in meiner Brust, weil er an dem Ort war, den wir beide gemeinsam verlassen hatten. Irgendwo im Nirgendwo, getragen von nichts anderem als dem mächtigsten aller Elemente.. dem Wasser, für das ein gesamtes Schiff nie zu schwer sein würde, anders als es meinen Schultern erging, wenn ich darüber nachdachte. Wasser schafft sich seinen Weg, selbst durch Gestein. Auch wenn es eingeschlossen ist, schafft es sich einen neuen Pfad. Der dichte Qualm wurde in die Nachtluft entlassen, ich sah den Schwaden einen Augenblick nach und entließ gleichsam meine Gedanken. Die Themen hier waren gänzlich anders als auf Deck, wenngleich eine gewisse Zweideutigkeit hier und dort mitschwang, was ich genoss, mich hineinlegte wie in ein frisch gemachtes Bett. Nichts desto trotz ging ich aufrechten Ganges nach Hause, denn dort wo sie alle den Alkohol nicht vertrugen, hatte ich unter Seemännern das Trinken gelernt. Hier war es anders, aye. Ungewohnt und noch fühlte es sich kalt an, wie ein neuer Mantel, der noch nicht eingetragen war und steif am eigenen Körper abstand. Ich war mir nicht sicher ob es meine Bestimmung war, das Leben an Land zu führen, doch wie in so vielen Dingen meines merkwürdigen Lebens, hatte mich die Strömung hierher gebracht.





Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 27 Apr 2020 10:46, insgesamt einmal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 29 Apr 2020 16:09    Titel: Aus dem Zeichen- und Geschichtsbuch von Tamyr
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Gesang der Meerjungfrau

Nachts, still und leise,
wenn man nichts erahnt außer das lautlose Knistern der Sterne,
sich unbeobachtet fühlt, bis auf den Blick des einsamen Wächters,
so kann man es hören, es kommt.

Nachts, still und einsam,
wenn das Augenlicht nur Dunkelheit preisgibt und den Schmerz
des Tages in erfundener Friedlichkeit mildert, das Brennen der Lider
nachlässt, so kann man es spüren, es beruhigt.

Des Nachts, wimmernd und trauernd, bezirzend und wehklagend,
kann man es hören. Den Gesang der zurückgezogenen Jungfrauen,
die sich im kühlen Nass der endlosen See winden.
Spielend und wunderschön glitzern die herlichsten Farben ihrer Haare durch das Meer.

Türkis, wie der Schimmer eines Edelsteines, geschliffen von rauen und tosenden Wellen.
Rot, wie die Pracht einer Mohnblüte, doch ebenso grazil.
Grün, wie die Woge in einem blätterverhangenen Wald,
oder Golden wie die Sonne das Wasser liebkost.
Sie rufen, sie bitten, sie flehen und prahlen.
Ein Leid, welches nur die Manneskraft ihnen nehmen kann,
verdammt im Schicksal der Einsamkeit eines Tages im eigenen Gram zu vergehen.

Nachts, plätschernd und beruhigend, kann man es hören.
Sie tanzen mit glänzenden Körpern, als würde das Leben an ihnen abperlen. So sicher, beschützt.

Des Nachts, man kann es fühlen. Die Nachtluft umschmeichelt das Schiff,
sie windet sich singend an den Dielen und Planken entlang.
Sie pfeift, umspielt gar liebevoll.

Nachts, oh trügerischer Schein des Traumes,
du hast gespielt mit mir, wenn ich die Augen aufschlage und sie erkenne.
Die perfekte Frau des Meeres,
wunderschön, regungs- und gefühlslos,
einsam und starr - dort verharrt sie,
unter dem Bugspriet der Aurelia.






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 29 Apr 2020 21:47, insgesamt einmal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 06 Mai 2020 07:56    Titel: Die Ladrão
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10. Rabenmond 259
- Zwischen Buidheann und Weidenheim


Es war kalt geworden auf den weiten Meeren, während ich den Kragen meines Mantels weit an den Hals gezogen hatte und auf das eisige Wasser hinaus starrte, welches nicht nur schmerzhaft frostig aussah, sondern mir gemeinsam mit dem Wind auch in das Gesicht peitschte. Wir waren weit von heimischen Inseln entfernt - ein falscher Zeitplan, eine verkehrte Einschätzung, die uns teuer zu stehen kommen würde. Die Mannschaft klagte bereits über die Müdigkeit, die einem am Ende eines jeden Jahreslaufes in die Glieder zog. Es schmerzte und man war ausgemergelt, kaputt, die Schwielen an den Händen platzten, wenn man nach den Seilen und Stricken griff und so freute man sich insgeheim auf die Heimat, die wenigen Monde die man am Stubenkamin sitzen, und untätig sein konnte. Das wir in diesen Monden alles, aber nicht untätig sein würde, ahnten wir jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Mit einer der nächsten Nächte brachen nicht nur Dunkelheit und Wolken über uns ein. In den Schatten des Horizontes zeichneten sich auch die schwarzen Segel eines Dreimasters ab, welcher nicht ziellos auf uns zukam. Die Flagge war von einem weißen Schädel besetzt, welcher uns ohne Umschweife von der Besatzung des Schiffs erzählte. Siverts heiserne und von Qualm erzählende Stimme rief aus triefend nasser Kleidung: "Hart Steuerbord Ossel, STEUERBORD!", und auch wenn es gelang, und das Steuerrad trotz des Windes und einem aufbäumenden Knarzen gedreht wurde, - als das Schiff sich langsam zu einer Wendung bog erkannten wir, dass es sich hier um zwei Schiffe handelte. Sie hatten die Dunkelheit für sich genutzt und uns eingekreist, wir saßen in der Falle. Jede Wahrheit, und war sie auch noch so gut versteckt, kam eines Tages ans Licht - jede davon würde ihren Preis fordern. Der große und verbrauchte Mann, welcher vom anderen Schiff zu uns überstieg und sich ein dreckiges Lachen nicht sonderlich verkniff, war kein Geringerer, als der Teufel, welchen wir im letzten Jahr beim Kartenspiel sang- und klanglos beschissen hatten. In diesem Fall jedoch, gab es nur einen Preis, den Sivert zu zahlen hatte und die schiere Übermacht an Freibeutern ließ es zu, dass sie unser Schiff kaperten, einige von unseren Männern an die Masten fesselten und sich ihren Preis mit von Bord nahmen - das Mädchen mit der offenen Bluse, welches mit ihren Reizen gespielt hatte um zu täuschen, mich, und einige Beutel voll Goldstücken, welche wir ihm schuldig waren. Sie drückten einen Fetzen in meinen Mund und banden ihn um meinen Kopf herum, fesselten meine Hände hinter dem Rücken, warfen mich über die Schulter und verschwanden dort, von wo sie gekommen waren. Ich schrie und zappelte, doch am Ende des Tages war ich nur eine Frau, welche all ihrer Waffen beraubt wurde und sich nicht verteidigen konnte. Die Schwärze der Nacht war ihr Begleiter, wohingegen er spontan zu meinem größten Feind geworden war, denn ich sah nicht mehr. Ich konnte nicht länger erkennen wo meine Zukunft lag, noch wie lange sie anhalten würde. Stattdessen sah ich vor meinem inneren Auge durchbohrte Körper, dort wo meine Mannschaft sich mit Harpunen zur Wehr gesetzt hatte, oder aufgeschlitzte Leibe meiner Kameraden, die nicht hatten einsehen wollten, dass ich mitgenommen wurde, dafür aber mit dem Ableben bestraft worden waren.

Der Frachtraum, in den sie mich warfen, roch nach Schießpulver. Dort wo es solches Pulver gab, würde es auch Kanonen geben. Der Gedanke das Sivert, der fast wie ein Vater für mich geworden war, uns folgen würde, ängstigte mich, wenn ich daran dachte, dass sie möglicherweise unter Kanonenbeschuss stehen würden. Für keinen dieser Kleinkriege war ich bereit, weitere unserer Männer zu opfern, lieber wäre ich bis an mein Lebensende Teil dieses Schiffes geworden. Die Dunkelheit blieb auch in den Wochen oder Monden meines Aufenthaltes auf der Ladrão ein Verräter. Sie kamen, jede Nacht - doch ich kannte ihre Stimmen nicht, konnte sie nicht zuordnen und nur schwer erkennen. Meine Handgelenke hinter dem Rücken schmerzten, meine Schultern wehrten sich mit einem bleibenden Ziehen dagegen, während mein Gesicht bereits einige blaue Flecken trug. Hier war ich kein Mitglied der Crew, hier war ich ein reines Spielzeug zum Wohlgefallen der Männer, eine Chance das Schiff nicht für ein teures Freudenhaus verlassen zu müssen. Doch ich wehrte mich, biss, spuckte und fing mir zum Dank die ein oder andere Erwiderung ein. Es war mir gleich wie sehr sie auf mich einschlagen würden, unter diesen jämmerlichen Gestalten, die alles aber keine Männer waren, würde ich keinesfalls nachgeben. Niemals. Und schon garnicht würde einer meiner Brüder davon erfahren, was hier passiert war, sollte ich je einen Ausweg aus diesem Albtraum finden.




Alatner 259
- Irgendwo

Wenn man das Gefühl für Tag und Nacht einmal verloren hatte, so schwebte man in einer undruchdringbaren Blase aus Nichts. Taubheit und Unwissenheit, Gleichgültigkeit. Meine Hände fühlten sich kalt an, die Seile rieben bereits zum zerbersten an meinen wunden Handgelenken. Ich sah nichts mehr, die Augen hatten sie mir ebenfalls verbunden. Meine Lippen waren spröde und aufgerissen, ich hatte Hunger, doch mir war zu schlecht um zu essen. Und obwohl ich den Knebel in meinem Mund bereits bei meiner Willkommensfeier im Frachtraum losgeworden war, hatte ich einen Streik angetreten. Ich schwieg, ich schwieg wie eine auf dem Wasser treibende Leiche und ebenso fühlte ich mich auch. Die Kraft mich zu wehren hatte nachgelassen, ich hatte es aufgegeben mir selbst Schmerz zuzufügen. Dennoch war ich dankbar, als der Kapitän der Ladrão eines Tages selbst hinabstieg und seiner Mannschaft verbot, sich an mir zu vergehen. "Wir werden sie noch für einige Verhandlungen benötigen", verkündete er siegessicher, und ich hätte ihm meinen Stiefel gerne mitten ins Gesicht gedrückt, bis die Steinchen darunter auf seiner Haut knirschten. So gab es nur noch zwei von Ihnen, die des Nachts die Leiter in den Frachtraum hinabstiegen um mich zu bedrängen, mich zwar nicht berührten, sich allerdings einen Spaß daraus machten meine Kleidung aufzureißen und mich anzugaffen. Zwei von Ihnen, die ich besser nicht sehen durfte, weil ich sie sonst mein Lebtag verfolgt hätte um sie eigenhändig umzubringen, verdammt dazu, in ewiger Schande ihre Seele an einen Dämon wie Krathor abzutreten. Ihr Atem stank nach billigem Fusel, ihre Poren sandten bereits einen süßlich, widerwärtigen Geruch aus, welcher davon zeugte, dass sie ihren Tag begonnen, wie sie ihn beendeten - mit Schnaps.

Eines Nachts gesellte sich jedoch eine neue Stimme hinzu. Ein, für einen Freibeuter, reinlicher und gar männlicher Geruch der mich an etwas erinnerte. Er strich liebevoll über mein Haar, während ich meinen Kopf wegzuziehen begehrte. Er versuchte es mit einem beruhigenden "Schhsh..", welches mich am liebsten hätte schreien lassen. Als seine Stimme dann jedoch in meinen Ohren verklang und ich, schmerzhaft bewusst darüber auf wen ich gerade gestoßen war, meinen Kopf einzog, klangen die Worte alles andere als widerlich. Stattdessen verschwammen Szenen vor meinem Auge miteinander und ich spürte Berührungen auf meiner Haut, welche längst vergangen und nicht im Hier und Jetzt geschahen. Ich sah ihn klar vor mir, als habe jemand am Rädchen einer Öllampe gedreht. Und als die Hände nach meinem Kopf griffen um die Augenbinde zu lösen, sah ich aus schmerzenden Augen in ein graugrünes Augenpaar, welches ich viele Male intensiv besehen hatte. Abelardo. Ich schluckte, hatte das Gefühl mich übergeben zu wollen, als mir klar wurde, welchem Kartenspiel in Wahrheit ich zum Opfer gefallen war. Wut stieg in Tränen meine Augen empor, meine Hände bildeten Fäuste und ließen die Seile weiter in meine Haut schneiden und hätte ich nur gekonnt, so hätte er den Schlag seines Lebens verdient. Abelardo legte seine Hände beruhigend auf meinen Schultern ab und schüttelte den Kopf eindringlich. "Ich bin wegen Dir hier..", noch ehe ich reagieren konnte setzte er seinen Satz fort: "Wir gehen bald an Land und dort werde ich dich rausschleusen. Die Männer gehen von Bord um ihre Vorräte aufzustocken." - eine warme und einzelne Träne rann meine Wange hinab. Ich konnte spüren wie die Kohlestiftreste in meinen Augen brannten und kniff sie konzentrierend zusammen..

Wochen.. es konnte noch Wochen dauern bis wir an Land gehen würden. Tage, Wochen, auf See war man sich der Zeit nie so ganz bewusst. Das schlimmste jedoch war, dass ich mit dem Mann an Bord war, den ich in mein Bett gelassen und welcher sich nun als der offensichtliche Feind entpuppt hatte. Mit dem Daumen wischte er sanft über meine Wange um meiner Träne einen gewissen Trost zu bieten - doch ich war gefangen. Ich saß in einem Käfig voller Schlangen.




(Fortsetzung folgt..)






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 10 Mai 2020 13:04, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 10 Mai 2020 11:28    Titel: Die Ladrão - Teil Zwei
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Ende Alatner 259
- noch immer im Unbekannten


Ich war mir sicher, dass Draußen bereits Schnee fiel, zumindest umfing mich die Kälte im Frachtraum heftig. Und obwohl ich fror konnte ich mir nichts besseres vorstellen als mich an Deck zu begeben, mein Gesicht zum Himmel zu wenden und meinen Mund zu öffnen. Reine und klare Flocken auf meiner Zunge, kühlend in meinem Gesicht, umschmeichelnd und liebevoll auf meiner Haut. Ich fühlte mich als sei ich bereits Monde hier unten gefangen, doch immerhin hoffte ich, dass es bald ein Ende gäbe. Ich konnte nicht umhin über Abelardo nachzudenken, mich selbst innerlich zu rügen, dass ich auf ihn hineingefallen war. Obwohl.. war ich das überhaupt? Schließlich hatte ich ihn nicht nach seiner Vergangenheit oder seinem Leben gefragt. Diese Verbindung war aus reiner Anziehung entstanden, wie das Leben manchmal so spielte. Die Sinne zogen, die Glieder trieben, das ganze Sein sehnte sich nach bestimmten Händen oder einem innigen Kuss von eben diesen Lippen. Als ich seine Stimme jedoch vernommen hatte, war es gewesen als hätte er mir mit dem letzten seiner Küsse meinen Atem entzogen. Eine Art Verrat, den man noch lange Zeit später in den Gliedern fühlen konnte, ob man wollte oder nicht. Schlaflose Nächte, ungenießbare Träume..

Die Männer an Bord hatten das Interesse verloren, schließlich war ich keine Frau, die ihnen vorgaukeln würde, dass ich mich ihnen hingezogen fühlte - für keinen Goldsack der Welt. Meine Zeit war mir zu schade für Täuschung und ich verfolgte stets das Ziel: Wenn ich jemanden nicht mochte, dann würde er es ohne große Umschweife auch erfahren. Doch sie wurden nervös, vielleicht auch ein Grund dafür, dass ich sie seltener in meiner Nähe spürte. Sie schoben bereits die Fässer zur Leiter am Aufstieg, sie stapelten leere Kisten und warfen sich vereinzelte Wörter zu, die nach Lagerbeständen klangen, wahrscheinlich weil keiner von diesen jämmerlichen Kerlen in der Lage war zu schreiben, wenn man von meinem Verflossenen einmal absah. Nichts desto trotz ahnte ich langsam, dass es auf einen Hafen zuging, dem ich sehnsuchtsvoll entgegen blickte. Ein Gefühl sagte mir, dass meine eigene Mannschaft nicht unweit hinter uns fuhr, die schwarzen Segel der Ladrão immer in Sichtweite.

Und tatsächlich, die Männer an Deck riefen nur zwei Tage später "Land in Sicht!", was mich aufatmen ließ, auch wenn ich keine Ahnung hatte wie ich diesem Wahnsinn entkommen sollte. "Was seht ihr, ihr Ratten?", rief der Kapitän überlaut zurück, bis eine versoffene und lallende Stimme zurückschrie: "Schwarz' Rab'n Kapitano, Shevanor!" Mein Kopf ratterte angestrengt, als ich die brennenden Augen schloss und mich zu konzentrieren versuchte. Ich kannte die Karten und ich war bereits einmal dort gewesen. Shevanor grenzte an Schwarzwasser. Wenn man am einen Hafen stand, konnte man den anderen bereits erahnen, und somit war der Weg in die Freiheit nicht sonderlich weit, wenn auch schwer zu bewältigen. Meine Konzentration wurde nach einer guten Weile vom Treiben an Deck unterbrochen. Befehle wurden geschrien, gekrächzt und gemosert, Stiefel donnerten über das Holz, Fässer wurden unnachgiebig gerollt, als stünde das Schiff auf der Seite. Ich musste mich vorbereiten, auf was auch immer nun kommen würde. Und ich wusste, was ich als erstes gelernt hatte auf See: Man konnte den Wind niemals bestimmen, jedoch lag es in unseren Händen die Segel auszurichten. Ich machte mich also auf alles gefasst, als ich spürte, wie der Steg vom Schiff geschmissen wurde und donnernd auf dem gegensätzlichen Holz aufkam. Schritte kamen abermals in Wallung, entfernten sich und wanderten davon, denn sie wurden leiser, ich konnte es genau hören. Auch die widerliche Stimme des "Teufels" entfernte sich hörbar und ließ meine Brust weniger eng zurück. Stille. Ich wurde nervös als auch verstrichene Zeit später absolut nichts zu hören war, bibberte als mir bewusst wurde wie kalt mir eigentlich war und wie wenig meiner sicherlich schon blauen Finger ich noch spürte. Mein Hintern fühlte sich an, als würde ich nur noch auf spitzen Knochen sitzen, ich war müde. Unverhofft jedoch, wurde mein Arm gegriffen und ich wurde emporgezogen. Ich wehrte mich reflexartig, bis die Stimme meiner Bettbekanntschaft an mein Ohr drang. "Ganz ruhig ich bin es nur..", sagte er und ich brummte. Nur... NUR... als ob er eine verdammte Macke hätte.

Kaum dass ich mit seinen Händen an meiner Hüfte, und noch immer blind, die Leiter empor gestiegen war, griff er neuerlich nach mir um mich kurzerhand über seine Schulter zu werfen. Der Weg aus der Hölle schien der selbe zu sein, wie ich ihn gekommen war, auf der Schulter eines räudigen Freibeuters. Ich hörte sie rauschen und die Geräusche drangen liebevoll an mein Ohr, als hörte ich sie zum allerersten Mal. Die eisigen Wellen brachen sich an den Küstenfelsen, schwabbten über den Stein wie die Hand eines Mannes über die Haut einer Frau. Zärtlich, rau, leidenschaftlich. Dieses Mal gab es keinen Widerstand aus meiner Richtung. Würde uns nämlich jemand bei der Flucht erblicken, wäre mein Schicksal das einer bleiernen Kugel, während Abelardo wahrscheinlich nur der Kerl gewesen wäre, der kurz mit dem Mädchen in seiner Kabine verschwand. Und es kam wie es kommen musste.. ich konnte sie bereits rufen hören, als der erste von ihnen scheinbar den Weg zum Schiff zurückgefunden hatte. Dass ich nicht sofort eine Art von Schuss vernahm hieß wohl nur, dass der Tropf ein Fass oder eine Kiste in den Armen trug.

"Mach kein' Scheiß Abel', wir brauch'n sie noch!! Setz sie gefällig... Wenn ich dich in die Finger krieg'!", veränderte sich die Stimme dann erbost und irgendetwas wurde krachend zu Boden fallen gelassen. Ich drehte mich in meiner Schulterposition plötzlich, als scheinbar auch mein Träger sich ruckhaft drehte, und ich hörte seine Stimme zusammen mit einem verspäteten Schuss, welcher mich zusammenzucken ließ und mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. "Halt deine Fresse, versoffene Landratte!" Ein Wasserplatschen, als etwas hineinfiel und ich die Augen unter der Binde zusammenkniff, als mir klar wurde, dass Abelardo einen Mann seiner Crew erschossen hatte. Er drehte sich zurück und auch wenn ich ein angestrengtes Ächzen von ihm hören konnte, ging er zielstrebigen Schrittes in eine Richtung, die ich nicht erkennen oder ausmachen konnte. Wir bogen uns vor, als er sich mit mir über den Rand des Schiffes lehnte um hinabzusehen, dann griff er nach meiner Taille und setzte mich auf selbem Rand ab, ehe meine Füße ins Leere baumelten. Bevor seine Hände sich jedoch von mir entfernten, schnitt er schmerzhaft an meinen Handgelenken entlang und löste die Fesseln, wenn es auch keinen Unterschied mehr machte, weil ich im Moment eh nichts spürte. Als er auch die Binde von meinem Kopf löste, konnte ich sie sehen. Nie war ich eine Frau großer Tränen gewesen, doch wieder konnte man sie in meinen Augen erhaschen, als ich Sivert und Ossel erkannte, welche in einem Beiboot unterhalb der Ladrão standen. Auch Eckehard und Ingolf waren mit von der Partie, wenn sie auch weiterhin die Ruder in den Händen hielten, weil sie die Zeit bereits in ihren Nacken spürten. Abelardo stieß sich neben mir ab und kam dumpfen Geräusches im kleineren Boot auf, bevor er sich gehetzt umdrehte und seine Arme hinaufstreckte. "Spring Tamyr, dann ist es vorbei.. los!", rief er zu mir empor und ließ ein misstrauisches und zweifelndes Gefühl in meinem Inneren zurück.

Ich hörte die Stimme Siverts in meinen Ohren nachhallen. Eine ferne Erinnerung an einen ebenso fernen Tag meiner Vergangenheit. "Du wirst die Welt niemals richtig genießen, bis nicht das Meer durch Deine Adern fließt, dich der Himmel zudeckt und die Sterne Dich krönen." Ich atmete tiefer ein und sah zum Steg zurück, wo bereits einige aufgeregte Männer sich schnellen Schrittes näherten. "Haltet sie auf!!", rief eine krächzende Stimme noch.. Dann nahm ich meine letzte Kraft zusammen, ehe ich mich mit tauben Händen abstützte und hinabsprang, direkt in die Arme des Verräters.. oder war er doch ein Freund?




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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 19 Mai 2020 09:51    Titel: Aus dem Zeichen- und Geschichtsbuch von Tamyr
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Gedanken

Schäumend brechen sich die
Wellen an den Klippen,

gedankenverloren, schmerzend,
einsam und doch zusammen.

Sie prallen ab, wie die Worte an
einem kalten Herz,

Wasser, ließe man es über
getrocknetes Wachs rinnen.

Ich treibe dahin, wie ein Stück
Holz auf den Weiten,

paddel, strample, wehre mich
innerlich.

Doch kein Zurückkommen,
weder für sie, noch für mich.








Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 19 Mai 2020 15:40, insgesamt 4-mal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 25 Mai 2020 12:50    Titel: In der Stille
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Cirmiasum 260
- Schwarzwasser


Es kommen Momente, in denen will man nicht sprechen, man will nichts fühlen, nichts sehen und absolut garnichts spüren. Absolutes Nichts - Stille. Das, was wir empfinden, ist zu groß, zuviel, zu überwältigend für uns und wir könnten, selbst wenn wir wollten, nichts darüber ausdrücken, nicht einmal weinen. So war es mir mit der Zeit nach der Ladrão ergangen. Nie würde ich aufschreiben, was ich dort erlebt hatte, nie würde ich ausdrücken können, wie ich mich gefühlt hatte. Ich wusste, dass es irgendwann weitergehen musste, doch selbst die Crew hatte erkannt, dass ein Teil von mir auf dem Schiff zurückgeblieben war, als hätten sie nicht alles von mir befreien und mit sich nehmen können, oder dieser Teil war mit dem toten Freibeuter in die Tiefen des Meeres versunken - eine Kugel in der Brust, so schwer, dass dem Körper nichts anderes überblieb als leblos am Boden der See zu verharren.

Einen halben Jahreslauf war ich nun hier in Schwarzwasser. Vasco, ein jüngerer unserer Männer hatte eine Großmutter hier, die sich Kräuterkundige schimpfte. Wenngleich meine körperlichen Schäden gering waren, wusste sie mit den tiefen Wunden an meinen Handgelenken umzugehen. Nach sechs Monden waren sie zwar nicht mehr geschunden und offen, die Narben würde ich allerdings behalten und sie würden mich stets daran erinnern, was geschehen war. Während ich bis jetzt, einer Toten gleich, geschwiegen hatte, waren die Männer zwar aufs Meer hinaus gefahren, hatten es sich aber nicht nehmen lassen immer wieder mal vorbeizusehen. Abelardo hatte sich ihnen angeschlossen und galt nun als vollwertiges Mitglied der Aurelia, auch wenn ich mir nicht sicher war, was meine Gedanken dazu beitragen wollten. Für Sivert hatte er sich insoweit bewiesen, dass er mich befreit, und Teile seiner eigenen Crew des Lebens beraubt hatte, um sein Ziel zu erreichen. Ich hatte viel Zeit nachzudenken und so ging mir nicht nur einmal durch den Kopf, weswegen er das alles auf sich genommen hatte. Wieso die Zeit, die er mit uns gereist war, wieso die Annäherung, und wieso dann die Rettung. Vielleicht sprach das alles doch für eine besondere Form von Liebe, wenn sie auch anders war, als ich es gedacht hätte. Doch was wusste ich schon über solcherlei Gefühle, schließlich teilte ich mein Leben mit sechszehn Männern, die eher wie Brüder und Väter für mich waren. Männer die mich halb nackt erblickt hatten, wenn ich mich sonnte oder die mir mit Nadel und Tinte ewige Zeichnungen verpasst, oder selbige durch meine Haut gebohrt hatten, um kleinere Stecker hindurch zu drücken.

Nichts desto trotz saß ich in einer Art Glaskuppel, wie eine zerbrechliche Pergamentrolle in einer Flaschenpost. Ich vermisste mein Heim, welches sich jederzeit überall auf den Welten befinden konnte, mir fehlten die lockeren und zweideutigen Anspielungen von Ossel, die Abende, die wir mit Kartenspiel unter Deck verbracht hatten und auch das fragwürdige Essen aus der Kombüse. Anamir, das alte Kräuterweib, welches sich meiner angenommen hatte, respektierte meine Stille, wenn sie auch immerzu mit mir sprach - es war mir ein Rätsel was sie erwartete. Vielleicht dass ich irgendwann darüber hinwegsah, es plötzlich vergaß und ihr antwortete. Jeden Tag der Mitte weckte sie mich bereits am Morgen und nervte solange herum, bis ich mein Haar einigermaßen geordnet und mich angekleidet hatte. Dann hakte sie sich bei mir unter und verkündete: "Gehen wir, mein Mädchen." Denn jeden mittleren Tag der Woche fand ein großer Markt am Hafen statt, welchem ich mich nur schwer, eher garnicht, entziehen konnte. Ich hätte es nur allzu gerne, denn der Blick auf das schimmernde Wasser setzte einen Stich in meiner Brust frei, der schwer und sehnsüchtig nach mir rief, wie der leidvolle Gesang einer Sirene. Der Markt in Schwarzwasser hatte alles zu bieten, was das Herz begehrte. Kräuter für Anamir, Rum für mich. Aber auch außerhalb dieser Begehre konnte man vieles erhalten, was auf dem Schiff oftmals ausblieb, weil es sonst verderben würde. Soviel frisches Obst, Beeren die ich als Kind bereits geliebt hatte und auch frisches Walnussbrot. Ein Himmel auf Erden hätte ich verkündet, hätte ich mich denn dazu überreden können zu sprechen, doch so schwieg ich und führte die ältere Dame an meinem Arm über den Markt hinweg, um hier und dort zu stoppen und ihr beim verhandeln zuzusehen. Zwei Stundenläufe später, einen Korb voller Kräuter, vier Flaschen Rum und eine Schale mit kleinen Johannisbeeren gefüllt, kehrten wir in das bescheidene Heim des Kräuterweibes zurück. Es roch herrlich, nach gemahlenem Thymian und Minze, so frisch und doch vermischt durch den Geruch des alten, heimeligen Holzes der Fußböden. Wir verstauten die Einkäufe schweigend, ich zumindest, denn Anamir brabbelte bereits über eine Salbe, die sie ansetzen musste und eine Bestellung des Kaufmannes um die Ecke, welcher scheinbar kleine und handgefertigte Uhren für die Manteltaschen an den Mann brachte.

Während ich mit einem Ohr lauschte, die Worte zum Teil aus der anderen Seite meines Kopfes wieder hinausrieselten, festigte sich mein Blick auf einem Schiff, welches ebenso gefangen wie ich, in einem Glas thronte. Ich kniff die Augen zusammen und legte den dunklen Haarschopf auf die Seite. Es kam mir bekannt vor, sehr bekannt und viel wichtiger war, dass es mir zuvor nie aufgefallen war - das Abbild der Aurelia. Ich drehte den Kopf und starrte Anamir eine Weile stillschweigend an. Erst nachdem wirklich alles seinen Platz gefunden hatte, sah die ältere Frau auf, die Falten um ihre Augen erzählten bereits von ihrem bisherigen Leben. Die Stirn runzelte sich auf mein Starren hin und ich deutete daraufhin zum Schiff hinüber. "Ah aye Mädchen, das hat der alter Kautz gebracht, als du geschlaff'n hast gestern", erzählte sie, als wäre es völlig unwichtig. "Da is' auch'n Zettel für dich drin, sagte er", fügte sie an und ihr Mundwinkel hob sich gut gelaunt empor. Ich strich meine Haarsträhnen mit beiden Händen den Haaransatz empor, denn ich konnte mir bereits denken wer es gebracht hatte, wenn sie vom "alten Kautz" sprach. Zuerst setzte ich zielstrebig an, um auf das Regal zuzugehen, dann zögerte ich einen Moment lang, ehe ich die Flasche hinunter hob und auf dem Tisch abstellte. Der Korken wehrte sich ebenso wie mein Unterbewusstsein dagegen, bevor ich ihn mit einem leisen "Pfumb" aus dem Flaschenhals zog. Die kleine Pergamentrolle erreichte ich nur, in dem ich das Gefäß vorsichtig in die Schräge legte und mit den Fingerspitzen nachfummelte. Dann aber, nachdem ich es sicher wieder abgestellt hatte, rollte ich es auseinander und betrachtete die wenigen Buchstaben, welche mir dargeboten wurden.


"Im nächst'n Mond komm' wir dich hol'n Schätzchen.
Zeit das Schweigen zu brechen, Zeit nach Hause zu kommen.

- S."



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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 27 Mai 2020 11:20    Titel: Abelardo Darun
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Im Jahre 260
- Abelardo Darun


Es war geschehen wie angekündigt - nur einen Mond später pochte es laut an der Türe Anamirs. Ein unheilvolles Klopfen, welches mir mein Herz in die Magengrube sandte. Ein Moment in dem man bereits wusste, was folgen würde, einer, der Unbehagen oder auch Unruhe und Nervosität durch den Körper schickte, um ihn in Alarmbereitschaft zu versetzen. Das Kräuterweib öffnete die Türe knarzend und ich vernahm eine Stimme, die nicht zum Bild passte, das ich mir ausgemalt hatte. "Wo ist sie? Ist sie bereit zum Aufbruch?" - Abel.

Bevor Anamir dazu kam, nach mir zu rufen, trat ich ins Zimmer hinein und blieb argwöhnisch im Türbogen stehen, um mich dort anzulehnen. Noch immer waren seine Haare im Nacken kurz geschoren während sie oberhalb ungebändigt umherstanden, wenngleich auch nicht unordentlich. Das strenge Augenpaar festigte sich bereits durchdringend auf mir, als wolle er sichergehen, dass noch alle Finger, Arme oder Beine drangeblieben waren. In den Zeiten in denen ich Besuch empfangen hatte, waren zwar einige unserer Männer hier gewesen, Abelardo hatte sich seit meiner Befreiung aber nicht mehr in meine Nähe getraut. Wohl auch der Grund, weswegen er sich eine ganze Weile nicht rührte und mich nur ansah. "Hallo..", entkam es ihm liebevoll, gar eine ganze Nuance weicher, während ich schwieg und den Blick lediglich erwiderte. "Erhoff dir keine Antwort'n Jung', sie hat noch kein einz'ges Wort mit mir gesproch'n, seit sie hier's", gab Anamir seinen Worten hinzu, doch schien sie seine Aufmerksamkeit nur schwerlich einfangen zu können. Dann erst bewegte er sich und kam langsam aber zielstrebig auf mich zu, bevor er einen kleinen Schritt vor mir zum stehen kam und auf mich hinabblickte. Mit beiden Händen griff er nach meinen Handgelenken und besah sie, der ernste Ausdruck in seinem Gesicht schien einen Moment schwach verzweifelt, als er mit den Daumen über die gebliebenen Narben strich. Langsam ließ er sie sinken.. und während Anamir im Hintergrund irgendetwas undeutliches zu Brabbeln begann, umfasste er mein Gesicht und beugte sich ungefragt hinab, um mir einen sanften Kuss auf die Lippen zu drücken. Ein weiterer fand unter mein Ohr, und bevor er sich wieder aufrichtete, konnte ich noch sein Flüstern vernehmen: "Alles wird gut."

Nachdem ich mich, noch immer wortlos, von Anamir verabschiedet und sie fest in meine Arme geschlossen hatte, machten wir uns in Richtung Hafen auf. Die Marktstände am heutigen Tage waren leer, verlassen und leblos. Die Möwen kreuchten über den Boden, auf der Suche nach zurückgebliebener Beute und der Himmel gab bereits das Versprechen auf Regen frei. Kaum dass wir um die Ecke gebogen waren, sah ich sie in ganzer Pracht. Soviel riesiger und prächtiger als das Abbild in meiner Flasche. Mit weißen und verzierten Buchstaben hatte man ihr den Namen Aurelia gegeben, welcher kunstvoll auf die vordere Seite des Bugs aufgemalt worden war, und ich musste kurz stehenbleiben um sie in ganzer Pracht auf mich wirken zu lassen. Als würde man nach langer Zeit heimkehren und die Wiesen oder Wälder plötzlich viel klarer sehen, riechen und um sich spüren, stieg mir der salzige Geruch des Meeres in die Nase, welcher von einem vertrauten, anderen Duft begleitet wurde. Etwas schwühl, gleich einem Sommerregen. Abelardo bat an, sich noch einen Moment auf den Steg zu setzen, da die Männer gerade einige Tabakvorräte an Land besorgten, und wir ohnehin noch einen Moment warten mussten. Und so setzten wir uns nieder, blickten auf das Wasser hinaus und schwiegen.

Erst eine ganze Weile später legte er seine Hand auf meiner ab, welche ich stützend auf dem Holz abgelegt hatte, und erlangte so immerhin meine Aufmerksamkeit in Form eines fragenden Blickes. "Liebling, du musst wissen, dass'ch das alles nicht geplant hatte..", begann er, und ich zog beim Kosenamen die rechte Augenbraue abwartend hinauf, ehe ich mein Blickfeld ignorant wieder auf das Wasser wendete - oder vielleicht auch nachdenklich? "Du hast ihn gesehen, also.. den Kapitän, den Alten. Weißt schon, den du Teufel genannt hast - er ist mein Vater." Ich kniff die Augen bei der Erinnerung zusammen und auf die neuste Ankündigung hin, riss ich meinen Kopf herum und starrte ihn ungläubig an - schwieg jedoch. "Nachdem ihr ihn damals um sein Hab und Gut betrogen hattet, haben wir wochenlang gehungert und er hat mich darauf angesetzt, mich auf der Aurelia abzusetzen, von welcher ihr so stolz erzählt hattet." Er benetzte seine Lippen ein wenig und erzählte weiter, als ich die Augen schloss und meinen Kopf abwandte. "Ich wusste, was ich suchte, aber nicht, dass es sich dabei um eine junge Frau handelte. Und nachdem ich dich getroff'n hatte, hatte ich auch nicht mehr die Absicht meinem Vater zu erzählen, dass ich fündig geworden war. Dann fand er jedoch die Zeichnung in meinem Buch.. von dir. Ich hatte sie gemacht während du schliefst.. und dann konnte ich mich als Einzelner nicht widersetzen, als es hieß, dass wir euer Schiff verfolgen würden." Noch immer schwieg ich schmerzhaft, während ich mit der Hand, die ich ihm entzogen hatte, kleine Kreise auf das Holz zeichnete. "Ich dachte, er wolle nur seine Goldstücke zurück, als sie dich dann aber vom Schiff gezerrt haben, wusste ich, dass ich etwas unternehmen musste", setzte er fort und sah mich einen Moment von der Seite an. "Ich konnte und wollte nicht akzeptieren, dass sie dir wehtun würden." Verbittert glitt auch mein Augenmerk zur Seite und erfasste ihn kühl. Ich wusste, dass ich am liebsten gesagt hätte.. "Du Held aller Frauenträume, hoffentlich bildest' dir nichts ein, auf deine noblen Gedanken" - doch ich verwarf den Gedanken und blieb dabei, ihn anzufunkeln.

Gerade noch hatte ich da gesessen, als ich mich aufdrückte und das Schiff ansteuerte, mein sicherer Hafen. "Ich hab' all das hinter mir gelassen Tamyr, wegen dir!", rief er noch hinterher, doch ich drehte mich nicht mehr herum. Ich steuerte mein kleines Zimmer an, das einzige abgesehen von Siverts, und drehte den Schlüssel herum, um alles von mir abzuschirmen. Ich ließ mich in die zerwühlten Laken fallen, die vom Geruch des Mannes, welcher eben noch auf mich eingeredet hatte, nur so durchdrungen schienen. Ohne Frage, während meiner Abwesenheit hatte er in meinem Bett geschlafen und war so frech gewesen, mein Zimmer zu nutzen.. doch ich musste ruhig bleiben, und so erhob ich mich, zog nach Ewigkeiten eines meiner eigenen Zeichenbücher aus dem Regal und ging zum Bett zurück. Die Spitze des Kohlestiftes bewegte sich fast wie von alleine, als man nach geschlagenen Stunden das Seitenprofil Abels erkennen konnte. Niemand hatte es gewagt mich zu stören, niemand hatte sich getraut auch nur an die Tür zu klopfen - und so setzte ich einige wenige Eckdaten auf die Rückseite meiner Zeichnung, ehe ich das Buch zuklappte, mich auf mein heimisches Kissen sinken ließ, und die Augen schloss.


♦ Abelardo Darun
♦ Sohn von Kapitän Darun (der Teufel) - Kapitän der Ladrão
♦ Geboren im Jahre 226 in Drakon - Zedernbach




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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 28 Mai 2020 11:16    Titel: Kapitän Sivert Schwarzzahn
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Im Jahre 260
- Kapitän Sivert Schwarzzahn


Er würde Recht behalten, ich würde das Schweigen brechen. Doch nicht für irgendjemanden, allein für Ihn, meinen selbst erwählten Ersatz zu meinem Vater. Zwei ganze Tage hatte ich mich unter Deck in meinem Zimmer verschanzt, zwei volle Sonnenuntergänge an meinem Zeichnungen gesessen und nebenbei getrunken. Ich hatte flüssigen Mut zu mir genommen, als sei er mein einziges Nahrungsmittel. Ich war Zuhause und dennoch fühlte ich mich so eingeengt, als verlief eine Linie aus Salz an meiner Türschwelle, die ich nicht übertreten konnte. Als ich spürte, wie allmählich Ruhe auf dem Schiff einkehrte, nur noch die nötigsten Männer ihrer Arbeit nachgingen und das Stimmengewirr sich im Hintergrund verzog um zu verklingen, schloss ich meine Zeichnung ab und drückte den Korken zurück in die halbvolle Flasche. Ein lockeres Hemd, eine bequeme Hose und den Kompass von meinem Bettpfosten gezogen, da griff ich nach dem Knauf meiner Tür. Minuten später rieb ich besinnend über meine Augen und drehte das rundliche Stück in meiner Hand herum, um die Tür schlussendlich auch zu öffnen anstatt sie nur anzustarren.

Ein leises Pochen auf dem Holz später, hörte ich die Stimme, nach der ich mich wochenlang gesehnt hatte. Doch es war kein romantisches Sehnen, nein, es war das Sehnen nach starken und väterlichen Armen, die sich um mich schließen und behüten würden, schon viele Jahre behütet hatten. "Aye! Reinkommen", hörte ich den Zigarrenklang seiner Stimme und abermals griff ich nach dem kleinen Knauf, welcher vom Schweigen in die vollkommene Vertrautheit führen würde. Zuerst sah er nicht auf, hing über einem Schrieb, welches er anstarrte, höchstwahrscheinlich im Gedanken, dass es ohnehin nur einer der Männer wäre, welcher seinen Zigarren- oder Rumvorrat aufzustocken wusste. Ich schloss die Tür und blieb direkt vor ihr stehen, dann räusperte ich mich um meine verbrauchte Stimme wiederzufinden. "Mrhm..'ch bin's.." - es hörte sich selbst für mich fremd an, den lang verschonten, eigenen Klang zu vernehmen und er ließ auch Siverts Blick fast gequält zur Tür schweifen. Ich konnte den Mitleid in seinen dunkelbraunen Augen erkennen und es versetzte mir einen unmissverständlichen Stich. Dann zuckte sein Mundwinkel und hinterließ einen liebevollen Ausdruck in seinem Gesicht, welchen es immer besessen hatte, so er mich besah. Der schwere Stuhl würde schabend über das Holz zurückgeschoben, die Zigarre in einer Schale abgelegt und der Kerl erhob sich sogleich um auf mich zuzugehen. Kein Mitleid mehr, denn er zog mich in die lang herbeigewünschte Umarmung und drückte meinen Kopf liebevoll und schützend an seine Brust. "Da bis' du ja endlich wieder, Schätzchen. Ich hab dich schrecklich vermisst", sprach er leise und drückte einen väterlichen Kuss auf meinen Haarschopf. Der Geruch nach dunklem Tabak umgab ihn, als würde er in einer kleinen Wolke dessen stehen, doch es roch nach Heimat. "Ich wusst', du würdest zurückkommen", fügte er an und entließ mich langsam aus der Umarmung, um nach meinen Schultern zu greifen und diese kurz aber vielsagend zu drücken. "Setz't dich 'nen Moment zu mir und wir rauchen zusamm'? Hab' auch noch'n bisschen Rum hier." Mit den Worten wendete er sich bereits wieder herum, zog den Stuhl von der gegenüberliegenden Seite des Tisches einmal herum, und platzierte ihn direkt neben dem Seinen. Zwei Gläser wurden aus einer kleineren Schranktür des Schreibpultes auf die Oberfläche befördert und schon floss das goldene Gesöff hinein.

Ich hatte die Beine entspannt über die Lehne des Stuhles gelegt und mich zurückgelehnt, das Glas in meinen Händen und betrachtete Sivert. Eine dichte Wolke aus Qualm stieg gerade aus seinem Mund die Decke empor und hüllte uns in einen seichten Nebel aus Tabakgeruch. "Hast du schon mit Abel gesprochen?", wollte er mit belegter Stimme wissen und erhielt ein Nicken in Form von Bestätigung aus meiner Richtung. "Du solltest' nicht zu böse mit ihm sein, weg'n dem was war. Wir Männer sin' hin und wieder ein wenig schwerfällig, wenn's um's nachdenken geht. Natürlich will'ch nich' damit sagen, dass du es vergess'n sollst, das wär' wohl kaum möglich." Noch während er sprach, klemmte ich mein Glas kurz zwischen den Schenkeln ein, um mich vorzulehnen und selbst etwas Tabak in ein dünnes Glimmpapier zu wickeln. Ich wollte gerne widersprechen, doch was sollte es nützen, er hatte Recht. Sie dachten viel zu oft einfach garnicht nach, und genau darin lag das Problem. Nicht weil sie dumm waren, noch unfähig, sie taten es ganz einfach nicht, weil es die Dinge kompliziert machte. "Die Woch'n in denen wir dich besucht haben und er fehlte, hat er versucht sein' Vater zu finden. Er hat kaum geruht um zu schlaf'n, wollt' sich erst wieder beruhigen, wenn er ihn zur Rechenschaft gezog'n hatte", erzählte er weiter und ich entzündete meine schmale Zigarre, um einen tiefen Zug in meine Lungen zu ziehen. Ich erwiderte nichts, was ihn wohl dazu animierte das Thema zu wechseln, ich wollte schlicht und einfach in diesem Moment nicht über diese Sache nachdenken. "Schätzchen, egal was gescheh'n ist, du kannst jederzeit erzähl'n was du magst, doch irgendwann, muss man's hinter sich lass'n, aye?" - Seine Worte hätten nicht treffender zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung überleiten können, denn ich ließ den Glimmstängel in meinem Mundwinkel eingeklemmt und tastete nach meiner Hosentasche, aus welcher ich den bronzenen Kompass zog, der im selben Moment in die Richtung Siverts gehalten wurde. Er blinzelte, hustete den nächsten Zug seiner Zigarre hinaus und griff, sich schnell vorbeugend, nach dem bekannten Kompass, klappte ihn auf und besah ihn eine gute Weile schweigend. Ich trank, zog ebenfalls ein weiteres Mal und beugte mich zur Seite, um das Fenster durch einen schmalen, golgenen Griff zu öffnen. "Ich hab' ihn aufbewahrt, denn auch hier behälst du Recht, man sollt' nicht zu lang' in der Vergangenheit leb'n. - Du hast ihn ein's Nachts auf Deck verloren, zuviel gesoff'n, kenn' wir ja", erklärte ich ruhig und sah einen Moment auf das nächtliche Wasser hinab. "Ich wollt' nich', dass du dich darin verlierst und dich selbst vergisst.." Daraufhin schwieg ich mit ihm, kümmerte mich um den Rest meines Rauchwerkes, drückte den Stummel in der dafür vorgesehenen Schale aus und spülte mit einem guten Schluck Rum nach.

"Weißt du, früher, vor viel'n Jahren, da hatt' ich ein ganz and'res Leben. Ich wollt' in den Dienst des Königs treten und hatt' meine Ausbildung dazu bereits begonn'. Meine Frau Magerit' schenkte mir ein' wunderbaren Jungen, welcher Phillipe hieß." - Die Vergangenheitsform machte mich bereits jetzt traurig, ich lehnte also meinen Kopf an das Holz, starrte gedankenverloren an einen fernen Punkt an der Decke, und lauschte. "Sie war eine sehr fürsorgliche Frau und achtete mein' Mühe, dem Regiment und dem Königreich dien' zu woll'n, jedoch waren sie nicht alle so voller Stolz wie sie. Sie hatte braun's Haar, wie der lebendige und musterüberzogene Stamm eines Baumes, welcher im Frühling zu neu'm Leben erwäschst und ihr Lachen war so einnehm'd, dass ich nich' anders konnte, als sie zu lieb'n. Doch ein Kamerad, der dem Neid meines Vorankomm's verfallen war, dem Neid meinem Herd, Heim und Weib gegenüber, entfernte sich eines Abends vom Dienst. Wir alle machten uns keine Gedank'n darüber, bis eine Frau unserer Nachbarschaft vor die Festung Eherntrutz gelaufen kam und schrie, dass das Haus der Ahlerfelds brenne, meines." - Ich blinzelte mich von den Deckendielen frei und sah schmerzfühlend in die Richtung meines Kapitäns. Auch er sah leidens aus, als schmerze es ihn auch nach vielen Jahren noch, darüber zu sprechen. "Magerit hatte sich vor Furcht mit uns'rem Sohn im Schrank versteckt, zumindest hab'n wir uns ihren Fund dort, so erklärt. Doch mein Kamerad hat sie erwischt und scheinbar mit aller Macht den Schrank zum Kippen gebracht, sodass sie sich ob des Gewichts, nicht mehr daraus befrei'n konnten, während das Haus in Schutt und Asche verwandelt wurde. Als ich es erreichen konnte, brannte es bereits lichterloh und ich hatt' keine Chance noch hinein zu gelangen", endete er vorerst und lehnte sich zu mir hinüber, um eine einzelne Träne von meiner Wange wegzuwischen. Sein Gram darüber war augenblicklich zu meinem eigenen geworden, vielleicht lag es aber auch daran, dass mein derzeitiger Zustand noch nicht vollends stabil war. Ich legte den Kopf auf die Seite, besah ihn verständnisvoll und fragte leiser: "Was is' dann geschehen..?" Er begann verbittert zu lächeln und schüttelte den Kopf, als könne nur eine Antwort darauf wahrlich Sinn ergeben. "Mein Kamerad wurd' zum Tode verurteilt und gehängt und ich.. ich hab getrunken un' gespielt, hab mein' Dienst schleif'n gelassen und wurde schlussendlich daraus entlass'n. Also hab'ch weiter getrunken und gespielt. Viele Jahre war'ch nur ein Schatt'n meiner Selbst und auch meine Freunde glaubten nich' mehr mich zu kenn'. Ich heuerte auf einem Schiff an, welches mich weit von der Heimat davontrag'n sollte und so tauschte ich den Dienst im Nam' des Königs, gegen den auf einem stinkenden Fischkutter."

Stunden später unterhielten wir uns noch immer, tranken und rauchten uns die Stimmen rau. Auch Sivert war in seinem Stuhl weiter hinabgesunken und hatte eine bequemere Haltung eingenommen, dennoch war es ein typischer Abend, an dem der Alkohol zu- und die Oberflächlichkeit in Erzählungen abnahm. "Irgendwann dann, ungefähr zehn Jahr' später, lange Zeit in der ich nich' an Frauen hatte denken können, lernte ich Aurelia kenn'. Sie war das absolute Gegenteil von Magerit, und deswegen fiel es mir wahrscheinlich leichter Gefall'n an ihr zu find'n. Zuerst war's nur eine flüchtige Bekanntschaft, etwas wofür man zahlte, um kurze Zeit den Alltag zu vergess'n, dann aber.. naja, den Rest kennst du ja." Ich schluckte.. er hatte wahrlich kein Glück mit Frauen gehabt, und als hatte er meinen überlauten Gedanken vernommen, erwiderte er: "Ich hatt' wahrlich kein Glück mit den Weibsbildern, sag'ch dir. Doch hab'ch die Aurelia ebenfalls bei einem Spiel gewonn', auch wenn sie damals noch ziemlich verrottet und eher nach Treibholz, als nach einem Dreimaster aussah. Glück im Spiel, Pech in der Liebe, eh? Und nun bin'ch hier, mit der Liebe mein's Lebens in Form eines Schiff's, einer wunderbaren Mannschaft und einer zweiten Chance für eine Art Familie, auch wenn'ch alt werde." Er grinste schwach auf, als wolle er sich nach den ernsten Themen an einem Scherz versuchen und ich lächelte aufrichtig mit.

Ich überließ ihm den Kompass, selbstredend, nur deswegen hatte ich ihn all die Zeit aufbewahrt, und kehrte auf leisen Sohlen in mein Zimmer zurück, wo ich abermals die Tür abschloss. Der Alkohol hatte einen Großteil dazu beigetragen, dass die Zeichnung deutlich verschwommener geworden war, als die bisherigen. Dennoch zeichnete sich ein gewisser Schmerz im Abbild Siverts ab. Ich würde ein Ritual daraus machen und hinter jedes meiner Bilder einige Eckdaten schreiben, so würde ich eines Tages ein gesammltes Werk in den Händen halten, welches den Namen "Die Mannschaft der Aurelia" tragen konnte. Er hatte mir gefehlt und nun, in diesem Moment, wusste ich, was wahre Liebe war. Ebenso, dass man sie nicht nur zwischen zweier Geliebter suchen durfte.





♦ Kapitän Sivert Ahlerfeld - Sivert Schwarzzahn
♦ Kaptän der Aurelia
♦ Ehemann von Magerit Ahlerfeld (✝)
♦ Vater von Phillipe Ahlerfeld (✝)
♦ Ziehvater von Tamyr Barasthan
♦ Ehemaliger Diener im Regiment von Eherntrutz
♦ Geboren im Jahre 207 in Alrynes






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 28 Mai 2020 11:38, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 04 Jun 2020 08:52    Titel: Ossel Tasman
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Lenzing 261
- Ossel Tasman


Ein neues Jahr hatte Einzug gehalten, ein neuer Abschnitt, ein weiterer Neuanfang, den ich nicht in meinen Händen hielt. Den Tag über hatte ich an Deck verbracht, hatte einen vorbeiziehenden Hafen skizziert und auch den Männern beim schrubben der Holzplanken geholfen, schließlich konnte die Arbeit nicht immer nur an ihnen hängen bleiben. Gegen Abend jedoch, während es langsam dunkler wurde, kehrte ich mit einer Decke um meine Schultern geschlungen zurück, und wählte einen Platz an der Empore nahe Ossel. Wenn er auch nicht viel älter war als ich, fühlte ich mich stets auf seltsame Weise beschützt, wenn ich in seiner Nähe weilte. Er hatte etwas von einem großen Bruder, der sich einen zweideutigen Spruch zwar nur selten verkneifen konnte, der aber genauso wachsam sein würde, wenn ein Mann in meine Nähe kam. Misstrauen hatte sein Leben gezeichnet, die Erfahrungen hatte ihn misstrauisch gemacht, und sein bisheriges Leben war nicht sparsam mit Erfahrungen umgegangen. Im Gegensatz zu den anderen, die ungern über ihr vergangenes Leben sprachen, war Ossel von Anfang an ein offenes Buch für mich gewesen, mit einer Schrift die zwar verblichen, jedoch nicht unleserlich war.

Vor vielen Jahren, noch bevor ich mich so stark mit ihm verbunden fühlte, war er ein gänzlich anderer. Ein gebrochener Mann, nein, ein verzweifelter Junge, der den Schmerz der ziehenden Familie, die verlorenen Liebe seines Vaters, nicht überwinden konnte. Zu einem Mann war er erst viele Jahre zu spät geworden, gefangen in der Seele eines geschundenen Kindes. Wir hatten mit den Jahren die Rollen vertauscht, denn zuerst war ich es gewesen, die über ihn gewacht und einen beschützenden Instinkt zu ihm empfunden hatte. Eines Abends, ich war noch nicht lange an Bord der Aurelia gewesen, hatte ich ihn in einer Ecke des Kabelgatts gefunden, die Hände vor das Gesicht geschlagen hatte er zwischen den Lagerfässern und den Netzen gesessen. Er hatte nach einer großen Menge Alkohol gerochen, einer Menge die er ob seines Alters nur schwerlich ertrug, eine, die ihn in eine vergangene Phase seines Lebens zurückkatapultiert hatte. Damals noch schüchtern, war ich nur vorsichtig auf ihn zugegangen, hatte mich schweigend neben ihm niedergelassen und solange die Stille mit ihm geteilt, bis er selbst mir von dem erzählte, was ihn bedrückte.

Ossel war der uneheliche Sohn eines Kartographen. Dieser hatte seinen Zögling jedoch zu sich genommen, nachdem seine Mutter bei der strapaziösen Geburt ums Leben gekommen war. Der Säugling wurde nur ungerne in die bestehende Familie aufgenommen und die Hälfte seines Lebens mit dem Gram seiner Ziehmutter gestraft. Eine Strafe die sein Vater hätte tragen müssen, die der junge Ossel jedoch sein eigen nennen durfte und auf schmalen und unwissenden Schultern balancierte. Welch gemeines Schicksal für ein unschuldiges Kind, welches die ganze Welt erst noch zu entdecken und zu erkunden hatte, verschiedene Mimiken noch nicht verstehen konnte und nicht erkannte, weshalb es sich fremden Ärger zuzog. Bereits mit zehn Jahren begann sein Vater ihm die verschiedenen Karten und auch die Himmelsbildnisse zu erklären, ihn zu lehren, als wäre er sein ganzer Stolz und würde einmal in seine Fußstapfen treten. Er lehrte und schulte ihn, bis ihn eines Tages eine Krankheit ereilte, die seine Lebensgeister förmlich aus seinem Körper saugen würde, wie ein Stück Wolle, würde es im Regen zurückbleiben. Als der Junge sein zwölftes Lebensjahr erreichte, wich der liebende Vater von seiner Seite und hinterließ ihn in der Obhut der hasserfüllten Mutter. Diese akzeptierte sein Sehnen nach den, für ihn magischen, Pergamenten jedoch nicht, gönnte ihm nicht, dass er die Sachen seines verstorbenen Vaters auch nur in den Händen hielt, als würde die ganze Welt in seinen schmalen Fingern ruhen. Stattdessen behandelte man ihn wie einen wertlosen Stallburschen, der nur dazu da war, sich um die Drecksarbeit zu kümmern.
In jeder Nacht, die er der Beobachtung entfliehen konnte, schlich er sich in das Arbeitszimmer seines Vaters um eine neue Pergamentrolle zu entwenden, die er in einer losen Diele in seiner Kammer versteckte und nur dann besah, wenn er sich sicher war, nicht entdeckt zu werden. Sein erbeutetes Hab und Gut sollte den Fingern des Jungen jedoch entgleiten, als seine Ziehmutter sich dazu entschloss, das fehlende Gold, welches durch den Tod des Vaters ausblieb, durch einen einzigen Verkauf zu beruhigen. Dieser bestimmte Verkauf würde die Schulden zwar nicht tilgen, ihren Gram und auch die Kosten einiger wichtiger Anschaffungen jedoch ausmerzen.

Der Gegenwert dieses Goldes war nichts geringeres, als das unbelastete Leben eines Kindes, welches die Jahre über nach der Liebe einer Mutter gehascht hatte, nach der Aufmerksamkeit zweier Geschwister, die allein miteinander gespielt hatten, weil die Mutter es untersagte. Ein Leben, welches zwar durch die anfängliche Geborgenheit eines Vaters gestützt, welchem diese Sicherheit jedoch mit Gewalt entrissen worden war. Für zwei Säckchen voller Gold, einem Wert, der kein einziges Leben je würde bezahlen können, übergab das Scheusal einen Teil ihres Mannes an einen Seemann, welcher nach geeigneten Männern für die Drecksarbeit an Bord suchte. Einfache Landratten, die für jede Kupfermünze alles tun würden, nur damit der Magen gefüllt wurde. Noch heute, ganze neun Jahre die ich mit dem Kerl verbracht hatte später, ekelte ich mich noch immer vor dieser Frau, die vorgab eine Mutter zu sein, jedoch keinen Funken Liebe in sich tragen konnte, kein Mitgefühl, keine Geborgenheit. All die Eigenschaften die eine Mutter, die Heldin eines jeden Kindes, in sich tragen sollte, waren sang- und klanglos an ihr hinabgerieselt. Wie bedauernswert, wie feige, wie abartig. Dachte ich heute darüber nach, zog sich noch immer eine unangenehme Gänsehaut über meine Arme und Beine hinweg, die einige Lidschläge anhielt und sich nur ungerne wieder verzog. Doch wie Sivert es stets zu mir sagte, das Glück lag in den Wellen des Meeres verborgen, und so hatte wenigstens einer das Potential des Jungen erkannt, welcher sich mit selbst gezeichneten Karten der Sternenbilder einen kleinen Lohn dazu verdienen wollte. Im Jahre 248, am Hafen von Greifenhain, hatte ein Kapitän gerade in den ausliegenden Karten herumgewühlt, als der fünfzehn Jahre alte Ossel wie ein Stück Vieh an Bord zurück geordert wurde. Ein Seebär mit dem Namen Sivert Schwarzzahn, hatte den Matrosen angehalten zu schweigen und seinen Kapitän heranzuschaffen. Überfordert hatte Ossel auf den Mann gewartet, welchen er fürchtete, doch die doppelte Menge an Goldstücken hatte den gewalttäigen Mann dazu überredet, Ossel in die Obhut Siverts zu übergeben. Unter dem Vorwand, dass er den Burschen kannte und noch eine Rechnung mit ihm offen hatte, wechselte der Junge den Besitzer, nur dass Sivert nie vorgehabt hatte, ihn als seinen Besitz zu beanspruchen. Stattdessen hatte Sivert wieder einmal bewiesen, wieviel Liebenswürdigkeit sich hinter der harten Schale versteckte, denn viel Zeit würde in die Ausbildung des Jungen mit dem umpfangreichen Wissen fließen, sodass er mit nur siebzehn Jahren das Steuer der Aurelia übernehmen würde. Das Quarterdeck würde sein Zuhause sein, der Ort auf dem Schiff den er überwachen, und auf dem er den Sternen und vielleicht auch ein Stückweit seinem Vater, am nächsten war.

Hier, auf diesem Schiff, welches soviele Geschichten und Magie in sich trug, hier fügte sich alles zusammen. Verlorene Seelen fanden ein Heim, eine Familie und lang ersehnten Trost. Und so saß ich noch bis tief in die Nacht, fest in meine Decke eingewickelt, an der hölzernen Reling der Aurelia und scherzte mit meinem Weggefährten. Die geschundene Seele des Jungen hatte sich mit den Jahren zurückgezogen und der Mann unter der verletzten Hülle hatte sich zu etwas Eigenem, Neuen entwickelt. Gleich welchen Kurs wir auch aufnehmen würde, er würde unser aller Leben in den Händen halten.



♦ Ossel Tasman
♦ Steuermann der Aurelia
♦ Unehelicher Sohn von Eswald Tasman
♦ Sohn von Eliza Taulicht (✝)
♦ Einstiger Sklave an Bord der Óla Oscura
♦ Geboren im Jahre 234 in Aschenfeld




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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 08 Jun 2020 15:37    Titel: Ein weiteres Ende
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Ashatar 261
- in der Nähe von Drakon


Soviele Geschichten man auch zusammenschrieb, soviele man auch sein Leben lang finden, entdecken und erzählen würde, um sie in Ewigkeit zu erhalten - irgendwann würden sie vorübergehen, enden, versiegen. Ich schrieb weiterhin an den Geschichten meiner Mannschaft, hatte mich weitesgehend wieder eingelebt und nach und nach zu meinem alten Ich zurückgefunden. Seitdem diese Sache mein Leben beeinträchtigt hatte, waren nun fast zwei Jahresläufe vergangen, in denen meine lebhafte Erinnerung, wie auch die Albträume, langsam vergangen waren und begonnen hatten zu schweigen. Sie weckten mich nicht mehr schweißgebadet, ließen mich nicht mehr schreckhaft in eine dunkle Ecke des Zimmers starren, in welcher absolut nichts außer einem Knarzen war. Einer unserer Männer jedoch, hatte das alles ganz und garnicht vergessen. Lange Zeit war ich ihm aus dem Weg gegangen, ehe er den Platz in meinem Bett wieder eingenommen hatte. Des Nachts schlang er den Arm schützend um meinen Leib und zog mich ebenso behütend an seine Brust heran. Das Kratzen seines Bartes in meinem Nacken war zuerst ungewohnt, dann aber zu einem beruhigenden Nebeneffekt geworden, denn es erinnerte mich stets daran, dass ich in völliger Ruhe schlafen konnte, da er über mich wachen würde. Öffnete ich die Augen, so konnte ich sein Entermesser auf dem Nachttisch erkennen. Das Messer welches zusammen mit ihm in meine Kammer zurückgekehrt war, um schnell und möglicherweise ebenso totbringend zu agieren, sollte jemals wieder jemand Hand an mich legen.

Eines Morgens war es jedoch verschwunden, und mit ihm, auch das Gefühl der Stoppeln auf meiner Haut. Kein Arm um meinen Körper, kein ruhiger Atem in meinem Nacken - nichts. Ich wusste bereits beim zu Bett gehen, dass wir irgendwann des Nachts anlegen würden, doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass Abel noch vor mir das Bett verlassen würde. Ich stieg rasch in meine Hose, knöpfte sie zu, griff nach meinem Mantel und meinem Hut, dann ließ ich das Schlafzimmer hinter mir, um die Treppe an Deck zu erklimmen. Die Männer waren so gut wie vollzählig, wenn wir auch bereits am Steg angelegt hatten. Der Plan war klar, hier in Drakon würden wir nicht alle das Schiff verlassen. Nur einige von uns würden sich um das wichtigste kümmern, damit wir so schnell wie möglich wieder ablegen und den Hafen Drakons verlassen konnten. Hier lauerte die Erinnerung an den Teufel. Sivert kam auf mich zu und klopfte aufmunternd auf meine Schulter, was mir scheinbar einen fragenden Gesichtsausdruck entlockte, denn er setzte zu einem bemittleidenden Lächeln an, welches seine Lippen schmal aufeinander presste. "Was's los, Schwarzzahn?", neckte ich ihn und rang mir ein freches Grinsen ab, da ein ungutes Gefühl meine Magengegend besuchte. "Nu' sag nich', dass der Vollidiot gegang' ist ohne sich zu verabschied'n?", erwiderte er und sein Ausdruck wurde ernst, gar ein wenig erbost. Dann jedoch griff er an meine Schultern und drehte mich herum, sodass ich auf den Hafen hinaussehen konnte. Sein Arm streckte sich über meine Rechte hinweg und sein Zeigefinger deutete an einen kleineren Ableger, welcher nicht zum Haupthafen gehörte. Ich zuckte ohne ein bewusstes Zutun und fokussierte das Schiff mit den schwarzen Segeln, welches meinen wahrgewordenen Albtraum darstellte. Wie Himmel und Hölle unterschieden sich die beiden Schiffe, die mein Leben prägten. Licht und Schatten, Gut und Böse. Die Ladrão. Genauso wie ich sie in Erinnerung hatte, einschüchternd und angsteinflößend - wahrscheinlich aber nur, weil ich all das erlebt hatte. "Er's gegangen Schätzchen, schon heut' Nacht. Sagte sein Vater hätt' noch immer den Tod verdient, für die Qualen die du erlitt'n hast", hörte ich Siverts Stimme Nahe an meinem Ohr, als wolle er besonders sanft mit dieser Information umgehen.

Ich verspürte etwas wie Schmerz, den Schmerz von Verlust, welchen ich nicht zu akzeptieren vermochte. Als sei mir etwas genommen worden, welches ich noch nicht bereit war zu geben. Ich war erneut beraubt worden. Der Schmerz, der zuerst langsam in meinem Hals zu spüren war, wie ein Brennen, hatte man zu scharf gegessen, breitete sich aus, als Sivert erneut nach meinen Armen griff um sie zu drücken, mich festzuhalten. "Er wird nicht wiederkomm' Mädchen, 'ch hab's schon von nem Matrosen gehört. Er's heut' Nacht auf das Schiff geklettert..", kurz verstummte er, und ich konnte den Wehmut auch in seiner Stimme vernehmen. "Es gab 'nen Kampf.. Angeblich soll er sein' Vater erstoch'n haben, doch einer der Matros'n hat ihn daraufhin erschoss'n. Zumindest is'es das, was er heut' Morgen an den Docks herumposaunt hat. Dass sein Kapitano tot is', er den Mörder eigenhändig erledigt hat, und sich zur Belohnung das Schiff nehmen wird." Es zog mir kurz den Boden unter den Füßen weg, während ich noch immer auf das dunkle Schiff starrte, doch die Arme Siverts hielten mich auf den Beinen. Das Brennen stieg in meiner Kehle empor, mein Gesicht entlang und endete in meinen Augen, welche sich augenblicklich mit Tränen füllten. Fort, tot.. ich nickte langsam zu mir selbst und verschiedenste Gedanken durchfluteten meinen Kopf. Hätte ich es doch nur früher geahnt, so hätte ich die letzte Nacht soviel mehr genossen, einen letzten bewussten Kuss von ihm gefordert, ihn möglicherweise davor bewahren können - doch er hatte sein Schicksal und seine Rache selbst gewählt, seine Liebe verdeutlicht und mir bewiesen, dass er nicht gespielt hatte, all das keine Lüge gewesen war. Doch nun war es vorbei. Diese Geschichte war auserzählt, zuende.

Wir handelten wie Sivert es gesagt hatte, wir lagerten die Fässer und Kisten ein, und verließen den Hafen ebenso schnell, wie wir ihn erreicht hatten. Die schwarzen Segel ließen wir weit hinter uns.. Abel ebenfalls. Noch in der Nacht zog ich mein Zeichenbuch aus der Kiste, schlug diese bestimmte Seite auf und drehte das Pergemant auf die Rückseite, um zwei weitere Punkte an das Portrait anzufügen. Im Anschluss schlug ich es ebenso schnell wieder zu, ich wollte dieses Gesicht nicht sehen, noch nicht. Ich beförderte mein Kissen an die Seite des Bettes und zog das zweite an mich heran, schlang meine Arme darum herum und legte meinen Kopf, der viel zu schwer erschien, darauf ab. Ich konnte den Geruch darin noch deutlich vernehmen, doch ich war mir bewusst, auch dieser würde bald abmildern, sich verflüchtigen, verschwinden. Dieses Mal würde er jedoch nicht nach einiger Zeit wieder in mein Zimmer einziehen, und auch das Messer würde nicht mehr der erste Anblick am Morgen sein. Sobald ich allerdings am Morgen meine Augen aufschlug, konnte ich Sivert erblicken, welcher in einem Sessel, in der Ecke meiner Kammer eingenickt war.



♦ Abelardo Darun
♦ Sohn von Kapitän Darun (der Teufel) (✝) - Kapitän der Ladrão
♦ Geboren im Jahre 226 in Drakon - Zedernbach
♦ Verstorben / Verschollen im Ashatar des Jahres 261 (✝)
♦ Einstiger Gefährte von Tamyr Barasthan






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 08 Jun 2020 18:00, insgesamt einmal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 17 Jun 2020 07:28    Titel: Vasco Engarda
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Ashatar 261
- Vasco Engarda


Bei all den grausamen Geschichten, die sich unterhalb des Wassers tummeln und zähflüssige Luftblasen an die Oberfläche schicken, bei all den dunklen Geheimnisse, die wie die Schatten eines Baumes, tief im Wald verborgen liegen - nicht jede Erzählung kann eine solch tiefe Dunkelheit enthalten. Nicht alles ist schlecht, nicht alles böse, sollte man zumindest denken. Ich war mir dessen sicher, oder besser gesagt glaubte ich fest daran, dass irgendwo stets etwas gutes und positives wartete, das Hoffnung gab. In diesem Fall war es die Geschichte unseres Jünglings, dem Buben, dem Grünling, oder welch Namen auch immer in seine Richtung gerufen wurden. Mit gerade einmal siebzehn Jahren war er der Jüngste von uns. Er war, ganz seinem Kosenamen nach, noch ein wenig Grün hinter den Ohren, auch wenn man deutlich spürte, dass er sich Mühe gab. Seine liebevollen Züge waren mir ein wahrhaftiges Rätsel, zumeist waren Burschen in seinem Alter kleine Draufgänger, die ihre Grenzen das erste Mal austesteten - doch Vasco war ein wenig anders. Das riesige Fragezeichen um ihn hatte sich gelichtet, als ich fast ein Jahr bei seiner Großmutter Anamir gewesen war. Eine warm- und gutherzige Frau, die nicht aufgegeben hatte sich um mich zu kümmern, selbst wenn ich mich ausgeschwiegen hatte. Ich schuldete ihr Dank, unausgesprochenen Dank um welchen sie gewiss wusste, doch es zu wissen und es zu hören waren zwei unterschiedliche Dinge.

Vascos Geschichte hatte ich nicht von ihm selbst vernommen, stattdessen hatte Anamir eines Abends sprichwörtlich an meinem Ohr gekaut. Der Junge hatte seine Eltern schon in früher Kindheit bei einer Schlacht verloren, seinen Vater zumindest. Seine Mutter Vaness hatte man im Lazarett überfallen und ihr ein ähnliches Ende aufgehalst. Vasco war gerade einmal zwei Jahre alt gewesen und hatte seinen Verlust kaum begreifen können. So war er unter der Obhut seiner Großmutter aufgewachsen, die auch Mertan eines zurückliegenden Tages aufgezogen hatte. Das Haus in Siebenwind war nur wenige Wochen später geräumt worden, weswegen die beiden sich in Anamirs bescheidenes Heim zurückgezogen hatten. Sicherlich war es damals noch ein Stück weit schöner als jetzt gewesen. Alte Dielen, ein großer Kamin im Hauptzimmer und überall hingen Holzstangen oder Fäden, verziert durch verschiedenste Kräuter, welche zum trocknen drapiert worden waren. Die kleine Küchenzeile lud durch einige wenige Hocker zum Verweilen ein, dazu angeregt der älteren Frau dabei zuzusehen, wie sie den großen Gusskessel mit heißem Wasser aufsetzte oder zu beobachten, wie die Rauchschwaden aus dem Teekessel stiegen. Vor dem Kamin standen zwei ausgeblichene, aber überaus bequeme Sessel, während der Stammplatz von Anamir mit einem Kissen versehen war, welches fein säuberlich gestrickt da lag. Eine Stütze für den in die Jahre gekommenen Rücken. Zwischen ihnen ein kleiner, runder Beistelltisch, auf dem sich die Lektüre über die häuslich zu gebrauchenden Kräuter sammelte. An der langen Westwand des Hauses bildete sich eine hölzerne Mauer aus Regalen, gespickt mit Büchern, gestapelten Schriftrollen und allerlei Kleinod und Gläsern, Tigeln und Fläschchen. Ein Sammelwerk, fast wie in einem kleinen verstaubten Laden, der allerhand Seltsamkeiten anbot.

Umgeben vom Meeresgeruch, dem Kreischen der Möwen und der Brandung, welche ihn nicht selten in den Schlaf gewogen hatte, war Vasco von kleinauf Nahe der See groß geworden. Während Anamir über den Markt schlenderte, saß der kleine, ruhige Junge dann am Steg und beobachtete die herannahenden Schiffe, versuchte seine Schuhbänder zu einzigartigen Seemannsknoten zu binden oder fütterte die Möwen - wenngleich Anamir es ihm strikt verboten hatte, weil sie nur Dreck machten und die letzten Hinterlassenschaften vom Boden pickten. Und obwohl er ohne seine Eltern aufwuchs und ein genügsames und stilles Kind war, strahlten seine hellblauen Augen voller Lebensfreude und Fantasie, ganz einfach weil seine Großmutter es ihm an nichts fehlen ließ. Die blonden Locken wippten, wenn sie Abends in der Stube saßen und zusammen lachten, scherzten oder der kleine davon schwärmte, welch Schiffe er heute im Hafenbecken entdeckt hatte. Irgendwann hatte Anamir eine Tafel unter dem Bett Vascos entdeckt. Ein durchgebrochenes Stück Kreide hatte dabei geholfen eine Liste von Namen anzufertigen, die er an den hölzernen Kunstwerken der Meere entdeckt hatte, und so ward nur ein weiteres Puzzlestück zur Zukunft des Jungen gelegt worden.

Als er fünfzehn wurde, suchte Anamir den Kontakt zum "alten Kauz" - wieder einmal eine Hauptrolle Siverts wie es schien, und bat ihn darum, Vasco einige Jahre mit zur See zu nehmen. Niemals hätte sie dem Glück ihres Enkels im Weg gestanden, wenn es eine Sache gab, die seine Augen so zum leuchten brachte. Die Kräuterkundige hatte unseren Kapitän viele Male zusammengeflickt in all den Jahren, vor allem während seiner Partnerschaft mit dem Rum, und da auch Vasco Zeit hatte viele Jahre von seiner Großmutter zu lernen, würde er sich künftig um unsere Verwundungen kümmern, so gut er konnte zumindest. Eine wahre Bereicherung, wenn man bedachte, wieviele Schlägereien nur zum Spaß auf einem Schiff stattfanden, durchdrungen von verlorenen Spielen oder dem altbekannten flüssigen Mut. Nun, im hier und jetzt wünschte ich mir oft, dass er auch ein verletztes Herz durch Nadel und Faden wieder flicken könne, doch das würde wahrscheinlich niemals möglich sein. Es schmerzte noch immer ein wenig, wenn ich an diesen bestimmten Mann dachte, wenngleich die Pein mich nicht mehr überraschend überfiel. Ich spürte dass ich mich noch nicht vollends erholt hatte, doch es wurde dumpfer, tat nur noch weh, wenn ich an vergangene Tage oder seine Stimme dachte.

Zwar hatte der Grünling keine aufreibende und höchst spannende Vergangenheit, doch eine Seite meines Zeichenbuches war ihm gewiss. Sie stand ihm höchstverdient zu, wie einem jeden Mitglied aus unseren Reihen, denn sie alle stellten einen Teil unserer gemeinsamen Geschichte dar. Zwei Jahresläufe war er bereits mit uns an Deck, bisher machte es jedoch auch nicht den Eindruck, als würde er den festen Boden unter den Füßen vermissen. Nur den heimischen Möhreneintopf seiner Großmutter, den würde hier an Bord niemand vergessen, da kaum ein Tag verging, an dem kein Vergleich zwischen Ihrer und der Kochkunst Todors gezogen wurde. Sobald wir Schwarzwasser wieder einmal erreichen würden, hatte ich einen Besuch zu tätigen.



♦ Vasco Engarda
♦ Wundenflicker der Mannschaft der Aurelia
♦ Enkelsohn von Anamir Engarda
♦ Sohn von Mertan und Vaness Engarda (✝)
♦ Geboren im Jahre 246 in Siebenwacht




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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 08 Jul 2020 10:41    Titel: Am Rande der Welt
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Gegenwart
07. Cirmiasum 263
Adoran - Küste


Wo grenzt der Anfang und wo verläuft eigentlich das Ende der Welten? Wo sieht man über seinen eigenen Horizont hinweg und an welcher Stelle verbirgt unser Starrsinn, unsere geistige Unbeweglichkeit, den Rest? Man sah nur das, was man sehen wollte, man schloss sich Meinungen an, die eigentlich nicht die eigenen waren - ein reiner Fluss aus Mitläufern, die etwas zum Gefallen anderer taten, etwas um sich selbst in ein besseres Licht zu rücken, welches das Gesicht in Wahrheit total fahl und falsch aussehen ließ. Ein Zwang, herbeigeführt durch die Blicke anderer, ein warnender, drohender Blick im Nacken, welches dem sprichwörtlichen Ja-Sager sofort eine Zustimmung entlocken würde. Doch was davon war nun Wahrheit und was Trug? Ähnlich wie bei Geschichten konnte man das nie so genau sagen, denn wir alle würden ewiglich nur die Maske eines Jeden erblicken, solange bis dieser Jenige selbst die Entscheidung traf, das Rätsel aufzulösen. Selbst dann, konnten wir uns niemals sicher sein, ob wir das wahre, ungetrübte Antlitz erkannten. Worte, so schön zusammengeklebt, ohne jeglichen Rand von Leim, ohne Bruchstelle, dass wir alle sie stets zu glauben hofften, es musste schließlich stimmen, oder?

Selbst hier an der Küste, drangen die Gerüchte an mein Ohr. Gerüchte, die angeblich niemals an irgendwelche Ohren hatten gelangen sollen, denn sie bargen die Gefahr in sich. Die Gefahr des Vergessens. Und selbst in diesen Zeiten verschwammen Ränder miteinander. Feinde zogen gegen Feinde und zogen gegen Feinde, um wiederrum gegen den Feind zu kämpfen. Doch dort wo der Rand, das Ende der Welt liegen mochte, dort vergriff er sich in den Anfang, ein fortbestehender Kreislauf von Abschluss und Neubeginn. Gewiss besaßen nicht alle von uns diesen Kreislauf, sicherlich würden einige von ihnen irgendwann am wahrhaftigen Rande stehen, dem in ihrem eigenen Kopf. Eigens kreirt um die eigenen Grenzen zu vervollständigen und ein für alle Mal zu bestätigen. Nur ein freier Gedanke machte es möglich, sich auch die unvorstellbaren Dinge vorzustellen. Ich saß also hier, die Stiefel in den Sand gegraben und sah auf das Meer hinaus. Wenn der Geliebte so endlos weit weg erschien, dann spürte man tiefe Sehnsucht in sich. Sehnsucht nach einer einzigen Berührung, ein kleiner Handstriff an der Wange entlang, ein sanfter Kuss auf die Stirn, ein eigentlich belangloses Streifen des Rückens. Jede letzte Erinnerung, der letzte Faden, diente zum Festhalten an dieser Sache. In meinem Fall war es jedoch die Weite des Meeres, die dunklen, graublauen Tiefen des Wassers, die immer etwas verborgenes in sich tragen würden - das Geheimnis das niemand zu lüften im Stande war. Ich konnte die Wellen flüstern hören, den Wind, der nach meinen Haaren und meinen Schultern griff, um mich an sich zu ziehen. Ich vermisste das nächtliche Plätschern, wenn die Wellen sich am Bug brachen, und die immer viel zu lauten Stimmen unserer Besatzung. Irgendwo da draußen mussten sie sein, ich wusste es, ich spürte es mit jeder meiner Fasern - dort unter dem Blick der Sterne.

Der Sternenhimmel hatte soviel für mich zu bieten, denn er war ein Heim über meinem Leben, etwas das ich von überall aus wahrnehmen und erkennen konnte. Doch vielleicht stand noch viel mehr in ihm geschrieben, Dinge über die Niemand je nachdenken würde. Dinge, die nur in meinem Kopf verrückt spielten. Niemals war ich ein großer Mensch von Glauben gewesen und schlussendlich war ich wegen meinen Brüdern nach Adoran gekommen - tief im Inneren, neben meinem Glauben an verschiedene Meeresgötter, glaubte ich an das Gesamtbild. Ein Puzzle, dass nur durch alle Teile zu einem wirklichen Sinn führen würde. Der Kreislauf. Erinnerungen, Schmerz, Verlust, Freude und Hoffnung aller. Dort wo Eluive für mich gewissermaßen den gesamten Himmel repräsentierte, galt das Licht der strahlenden Sonne zweifellos Temora. Helle, wattegleiche und aufgebauschte Wolken standen in meinem Gesamtbild für Getares, welcher die Menschheit auf gewisse Weise geschützt hatte. In der Nacht fanden andere Götter an meinem Himmel Platz. Der stolze und kühne Mond am Nachthimmel versinnbildlichte Horteras, den Sternenvater, denn neben ihm, allwissend und unverzagt, fand Phanodain in kleinen, himmlischen Leuchtpunkten seinen Abend. Eine kindliche Vorstellung eigentlich, aber wer seine Kindheit mit dem Alter verlor, wurde nur allzu schnell von Langeweile und Blässe eingeholt. So sah ich in Cirmias die Sternschnuppen, die glimmend wie ein Ambossfunken zu Boden fielen. Manch einer würde sich nun die Frage stellen, ob auch die dunklen Gottheiten an meinem Horizont Platz finden würden, und ja, das würden sie. Das Leben war ein Spiel von Dunkel und Hell, Licht und Schwärze, Gut und Böse.. Verlust oder Bereicherung. Dunkle und unheilvolle Wolken würden sich stets über das Lichtbild hinwegziehen, sich zusammenbrauen und verdichten, wie die dunklen Flügel eines Raben. Sie würden es ankündigen, das brausende Gewitter, welches sich immer viel zu laut und gruselig über die Küste hinwegzog und drehte, um auf ein Neues einzuschlagen. Das Grollen und das Geräusch knackender Blitze verbunden mit der schwarzen Raubkatze Alatars, den grauroten Himmel in eine ankündigende Fassade gehüllt, die hier für Ahamani stehen würde.

Konnte, durfte oder sollte man solcherlei Gedanken oder Fantasien hegen? Wen kümmerte es schon, was in meinem Kopf vorging, Grenzen und Steinwälle würde man darin jedoch nicht finden. Insgeheim nämlich, glaubte ich an die Sage des Mannes, welcher aus beständiger und herztiefgleicher Liebe zum Meer, eines Tages zu einem Meeresgott wurde. Das musste ich natürlich nicht stolz herumposaunen, es würde jedoch nichts an der Tatsache ändern. So saß ich also bis tief in die Nacht am Strand Adorans, weit entfernt vom eigentlichen Trubel der Menschen, weit entfernt von Panik, Starrsinnigkeit oder Blindheit, einzig die Sehnsucht in meiner Brust, die mich unerbittlich in die Richtung des Wassers zog, immer und immer wieder.






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 08 Jul 2020 10:49, insgesamt 3-mal bearbeitet
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