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Die Romantik des Lebens
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Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Die Romantik des Lebens
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Till Angerlohe





 Beitrag Verfasst am: 03 März 2020 15:19    Titel: Die Romantik des Lebens
Antworten mit Zitat



Nur das ist wirklich dein Besitz,
was du bei einem Schiffbruch nicht verlieren kannst.
(Abu Hamid al-Ghazâlî)


Es war ein sonniger Morgen in Fellsteen, als er die Sachen zusammenpackte, die er für notwendig hielt. Die Stimmung war ungewohnt ernst zuhause, denn eigentlich hatten die Eltern ihn nicht ziehen lassen wollen, als der Bote der Armee das Dorf erreicht hatte, um zu rekrutieren. Es hatte deshalb einiges an Hin und Her gegeben, aber der junge Mann hatte sich am Ende gegen seine Eltern und Brüder durchgesetzt, auch allein schon deshalb, weil er nicht als Drückeberger gelten wollte.
In seinem noch recht jugendlichen Leichtsinn hielt er das Ganze ohnehin für ein spannendes Abenteuer, aus dem er nur lernen konnte und der ihn sicher sein Ziel näherbringen würde. Ein Ziel, dass er schon als kleines Kind im Herzen getragen hatte.
Außerdem versprach die Reise ja auch noch dazu jemanden vielleicht wiederzusehen, der lange Zeit nicht mehr angetroffen hatte. Nicht, dass die Bekanntschaft sonderlich tief ging, aber wenn er nun einmal wen mochte, dann mochte er eben wen.
Der Herold hatte ihm geraten nur das Nötigste einzupacken, da sie bis Millered marschieren mussten, um von dort an Bord gehen zu können. Da Fellsteed in Düsterstein lag, Millered aber in Shevanor, war das ein gutes Stück des Marsches. Die Verpflegung besorgten die Eltern, während er sich um Hygiene und Klamotten kümmerte. Am Ende wog der Rucksack dennoch einiges und ließ ihn einen Moment zweifeln, ob er es nicht übertrieben hatte.
Die Zweifel wurden stärker, als die zusammengewürfelte Schar an Rekrutierten im Dorf eintraf, die eine Hälfte schon krank, die andere Hälfte auch nicht viel glücklicher. Der Verdacht kam auf, dass das Abenteuer nicht so romantisch würde, wie er vielleicht noch vor einigen Augenblicken gedacht hatte. Und zu allem Überfluss wurde er auch von seinen beiden älteren Brüdern getrennt zugeteilt.
Nun, der Entschluss war gefasst, ein Zurück gab es sowieso nicht mehr, Augen zu und durch.

Der Marsch bis zu dem Dorf am Meer war anstrengend, beschwerlich, und er hatte sich auf dem Weg bereits einen Schnupfen und etwas Husten eingefangen. Im Verhältnis zu manch anderem ging es ihm aber noch gut. Die Füße schmerzten, er hatte sich nicht nur eine Blase gelaufen inzwischen, aber im Grunde tat der Rest vom Körper genauso weh. Er fror unablässig und die Wegzehrung hatte auch schon mehr als reichlich abgenommen. Froh, dass sie endlich das Schiff besteigen konnten und er vom Laufen erlöst war, suchte er sich einen Platz, der weitestgehend trocken und geschützt war, von dem er aus aber auch den Himmel sehen konnte. Unter Deck wollte er auf keinen Fall, solang er nicht musste. Dort war es viel zu beengt, muffig und er hatte das Gefühl die Wände kamen auf ihn zu und wollten ihn zerquetschen. Dazu die gedrängten Leiber, nein, danke. Er zog die frische Luft wirklich vor.
Auch wenn es kalt war, immerhin hielten die winterlichen Temperaturen nicht hinterm Berg, ließ es sich dort, wo er sich seinen Platz eingerichtet hatte, gut aushalten fürs Erste. Das Wetter spielte mit, er blieb weitestgehend trocken und konnte es vermeiden sich in diese beengte Höhle von Schiffsbauch zu begeben. Seine Brüder hatte er auf dem Weg nach Millered schon ganz aus den Augen verloren, sich dafür unterwegs aber mit ein paar Burschen angefreundet, die in etwa sein Alter hatten.

Trotz der angedrohten Winterstürme blieb das Meer ruhig und das Schiff lag gut im Wind. Es wurde gesagt, dass sie eine kurze Überfahrt haben würden, wenn das Wetter hielt, und darauf hoffte er, dafür betete er. Oft. Regelmäßig. Die Zeit wurde ihm lang auf dem Schiff, die Stimmung wurde zunehmend geladener, da die Menschen auf dem beengten Raum keine Ausweichmöglichkeiten hatten und die Kranken machten den Umgang untereinander nicht leichter.
Er bemühte sich inzwischen eisern eine möglichst ausgeglichene Stimmung zu verbreiten, redete hier und da gut zu, und versuchte sich hartnäckig darin zu beschwichtigen, die rechten Worte zu finden, oder auch zum Beten einzuladen. Immer wieder hielt er sich sein Ziel dabei vor Augen, und auch wenn ihm die Erfahrung fehlte, das Geschick und die Rhetorik noch nicht ganz so ausgefeilt war, so half es hier und da eben doch. Erstaunlicherweise ließen sich sogar die Alten darauf ein, eher noch als die Jungen.
Er ging auch mutig zwischen die Streithammel, wenn sie sich prügelten und steckte dabei den ein oder anderen Schlag ein, teilte dafür aber auch gelegentlich mal gut aus, wenn er sich denn doch mal selbst erwehren musste.
So gingen die Tage hin, bis der Kapitän verlauten ließ, dass es nur noch eine Tagesreise war, bis sie anlanden würden. Alatar sei gepriesen, dachte er sich noch, suchte den Himmel ab und sah auch eine einsame Möwe über dem Schiff kreisen. Als es bereits dunkel war, er die Sterne betrachtete und versuchte aus ihnen schlau zu werden, sah er plötzlich etwas, was er zunächst überhaupt nicht zuordnen konnte, und er war da auch nicht alleine. Etliche hatten sich an Deck eingefunden, einige riefen etwas, viele zeigten hinauf, wo sich gerade ein gleißend heller Adler zeigte. Der markerschütternde Schrei lockte sie alle hervor.
Wenig später verfolgten sie gemeinsam wie sich dunkle drohende Wolken um den Adler bildeten und sahen Ihn, Alatar, wie Er Sie angriff. Ein ehrfürchtiges Raunen, dann trat diese unnatürliche Stille ein, auch auf dem Meer, dann wurde es ohrenbetäubend laut, die See schäumte auf, das Schiff bäumte sich auf den plötzlichen Wellen auf. Er versuchte noch etwas zu packen, da umspülte ihn schon das eiskalte Wasser.
Er schrie, keuchte, spuckte, schlug um sich, versuchte sich oben zu halten…

… entkräftet und durchfroren erwachte er an einen Felsen gelehnt, unter ihm seichtes Wasser, das immer wieder gegen das Gestein schlug. Es stürmte noch immer, es war finster, und als sein Blick sich aufklarte, zum Himmel blickte, sah er einen tiefen schwarzen Riss dort oben, wenn er dann zwischen den Sturmböen, dem Regen oder Schnee überhaupt was sehen konnte. Er spürte sich selbst kaum noch und wusste, er musste irgendwo Unterschlupf finden, unterkommen, sonst war sein Überleben bis hierher völlig umsonst.
Also schleppte er sich aus dem Wasser raus, durch den Schnee, bis zu einer Hütte. Die Tür davon schlug im Wind, er torkelte kraftlos hinein und hätte später nicht mal mehr sagen können, wie er es noch schaffte ein Feuer in dem kalten Kamin zu entfachen, bevor er davor einfach kraftlos zusammenbrach.

Wie lange er letztlich dort bewusstlos gelegen hatte, wusste er nicht. Oder ob er nur geschlafen hatte? Jedenfalls wachte er vom Knurren seines Magens auf. Ein ganz erbärmlich lautes Knurren. Immerhin, die Kleider waren trocken inzwischen, wenn auch völlig mitgenommen, und die Bestandsaufnahme zu seinem Körper sagte ihm, dass er außer Prellungen nicht viel davongetragen hatte. Mehr Glück im Unglück, oder aber des All-Einen schützende Pranke?
Was auch immer dazu führte, dass er noch lebte: Erst… erst einmal musste er zu Kräften kommen, er brauchte etwas zu essen, zu trinken, saubere Kleidung. Er sollte auch herausfinden, wo er war. Bei aller Erschöpfung, er hatte seine ersten Ziele vor Augen.


Die Entschlossenheit ist die Quelle
der eigenen Kraft.
(Hubert Joost)




Zuletzt bearbeitet von Till Angerlohe am 07 März 2020 14:53, insgesamt einmal bearbeitet
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Till Angerlohe





 Beitrag Verfasst am: 07 März 2020 14:53    Titel:
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Am Anfang war die Stille.
(Peter E. Schumacher)


Er erinnerte sich noch gut an die Stille, bevor die Welt buchstäblich für ihn Kopf stand und in einem sehr nassen Erlebnis endete, das nur allzu leicht seinen Tod hätte bedeuten können. Mit den ersten Zielen war auch sein Entschluss endgültig gefasst. Allerdings musste er in den ersten Tagen, in denen er wieder zu Kräften gefunden hatte, mit Ernüchterung feststellen, dass der Entschluss sogar leichter gefasst war, als die Umsetzung in die Tat umzusetzen war. Das lag nicht etwa daran, dass seine Entschlossenheit nachgelassen hätte; die war nach wie vor von jugendlicher Kraft.
Es lag mehr daran, dass die Straßen wie ausgestorben wirkten. Egal, wann er dort entlang ging, er traf keine Menschenseele, außer vielleicht mal den Mann, der ständig durch die Straßen rief, als wäre er nicht ganz richtig im Kopf. Aber vermutlich war es einfach die Angst, die ihn dazu antrieb.
Vermutlich sollte er auch Angst haben, mehr als er hatte jedenfalls.
Er suchte den Tempel auf, sowohl den in Rahal, als auch den in Düstersee. Bis auf die Tempelwachen fand er niemanden vor. Nun, niemand menschlichen jedenfalls. Er war fest davon überzeugt, dass der All-Eine schon da war, wenn er dort kniete und betete. Womöglich war die feste Überzeugung auch nur ein Wunsch, so ganz sicher war er sich da nicht.

Erst nach einigen Tagen und nicht im alatarischen Reich selbst wurde er fündig. Was genau er fand, waren die Bürger des Reiches und das vor Bajard, nahe der Kutschstation. Das Fräulein, das so sehr bemüht war einen Hund für sich zu gewinnen, war nicht so auskunftsfreudig. Sie war nicht unfreundlich, wirkte auf ihn zunächst aber auch ablehnend. Er nahm es nicht übel. Sie kannte ihn nicht und vermutlich würde er auch nicht gleich jedem Fremden das Herz ausschütten. Darüber hinaus jagte sie ihn ja nicht fort, sondern verwies ihn nur an andere, die ihrer Aussage nach befugt waren etwas zu sagen.
Gerade, als er fragen wollte, wo er diese Personen fände, näherte sich ein Mann der alatarischen Garde. Dieser nahm ihn letzten Endes mit sich und erklärte ihm ein wenig, wenn auch nicht viel. Beobachten sollte er. Nun, das tat er. Er erkannte auch, dass hier ein Ritual ausgeführt werden sollte. Auch hatte man ihm verdeutlicht, dass es etwas mit dem Riss am Himmel auf sich hatte. Was ihm weniger behagte, war die Opferung der Tiere, um ein Pentagramm aus Blut in den Schnee zu malen. Er spürte, wie ihn umgehend die Übelkeit übermannte und starrte penetrant auf den weißen Untergrund direkt vor seinen Füßen.
Scheinbar erging es ihm nicht alleine schlecht mit dem Umstand, denn der Provost hatte sich vorab schon umgedreht, dem Geschehen den Rücken zugewandt. Auf die Frage, ob er auch an Unverträglichkeit litt, wenn er Blut sah, verneinte dieser.
„Ich kann mich im Blut der Ketzer baden, aber in dem Blut eines ahnungslosen Tiers nicht.“
So oder so ähnlich lautete seine Aussage dazu, mit der nachfolgenden Bitte, ihm Bescheid zu geben, wenn die Barbarei ein Ende hätte. Als Till darauf bemerkte, dass sie beide an den Umständen offenbar noch wachsen müssten, erhielt er zur Antwort, dass der Provost nicht an allem wachsen mochte. Das war etwas, was in dem jungen Mann Interesse weckte. Warum? War das Streben nach Perfektion nicht das, was der All-Eine von allen wünschte? Was bewog diesen Mann also zu dieser Entscheidung. Das Warum offenbarte sich in ihm ziemlich drängend, aber dennoch maßregelte er sich selbst im Stillen zur Geduld.

Vom Provost erhielt er am Ende auch den Rat, wenn er den Tempel erreichen wollte, vielleicht Fräulein Auriane, also das Hunde-Fräulein, um Unterstützung zu bitten, sie hätte entsprechende Kontakte. Das tat er dann auch, nur um festzustellen, dass auch das Fräulein so ihre Probleme mit dem Blut an ihr hatte, das von der Opferung des Hundes stammte. Till bemühte sich nicht darauf zu sehen, allein schon deshalb, weil sich sein Magen gerade beruhigte.
Er gestand sich aber auch ein, dass es ihn beruhigte und irgendwie wohltat zu erfahren, dass er mit dem Problem nicht alleine war. Bislang hatte er dafür zuhause stets Lacher einstecken müssen und viel Spott erhalten. Früher, als Kind, war er sogar umgekippt. Immerhin hatte er das schon in den Griff bekommen. Dass er sich an dem Abend nun nicht übergeben hatte, war für ihn auch schon ein weiterer Teilerfolg.
Als weiteren Teilerfolg verbuchte er den Brief, den er hinterlassen durfte für die Clerica. Auch den Namen hatte er vom Provost erfahren, genauso wie die Verbindung zum Fräulein, die ihn noch für einen Tee bleiben und verweilen ließ. Während sie sich frisch machte, fand er die Gelegenheit die Zeilen aufzusetzen.
Manch gefallenes Wort zu seinen zukünftigen Plänen wirkten etwas bedrohlich auf ihn und hinterließen ein mulmiges Gefühl und viel Nachdenklichkeit. Ob der Weg, den er sich ausgesucht hatte, wirklich zu meistern war für ihn? Aber ja! Die aufkeimenden Zweifel wurden sofort eisern im Inneren erstickt. Etwas anderes kam überhaupt nicht in Frage!

Als er dann ging, suchte er die zwei Gasthäuser auf, die das Fräulein empfohlen hatte, entschied sich am Ende sogar für eines davon und bezog dort eines der Zimmer. Dem Wirt in der Taverne am Marktplatz von Rahal teilte er mit, wo er hingezogen war, damit der Brief, der hoffentlich als Antwort erfolgte, auch bei ihm ankam. Gleichzeitig versprach er, täglich vorbeizukommen und nachzufragen, damit nicht der Wirt jemanden schicken musste.

In seiner neuen Stube fand er dann auch endlich Zeit zu schlafen und die aufwühlenden Eindrücke des Rituals auf sich wirken zu lassen. Die Bestien, die die Leute erschlagen hatten, das Vorhaben, er brachte es noch nicht ganz in Einklang zu allem, aber er hatte beschlossen das weiter zu verfolgen, auch wenn das Verstehen erst noch folgen musste. Vielleicht erlangte er Erkenntnis, indem er aufpasste und zuhörte. Womöglich fand er auch jemanden, der etwas offener reden wollte. Er hoffte es jedenfalls.


Staunen ist der erste Schritt zur Anbetung.
(Jacques Loew)



Zuletzt bearbeitet von Till Angerlohe am 07 März 2020 14:54, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Till Angerlohe





 Beitrag Verfasst am: 11 März 2020 15:59    Titel:
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Befiehl du deine Wege
Und was dein Herze kränkt
Der allertreuste Pflege
Des, der den Himmel lenkt.
Nachruf


Er folgte einem gegebenen Wort. Die Sichtweise des nahezu blinden Kindes bewegte ihn auf eigentümliche Weise. Es hatte in sich einen gewissen Sinn von Romantik gehabt, dass sie die Friedhofslichter mit Sternen verglich. Schon früher hörte er hier und da die Leute sagen, die Sterne wären die leuchtenden Seelen der Verstorbenen. Der Vergleich von Seelenlichtern und Sternen war also vielleicht gar nicht so weit hergeholt. Jedenfalls bewog es ihn dazu am Tag darauf mit einem Holzeimer voll Wasser, einem zusätzlichen leeren Eimer und einer Wurzelbürste loszuziehen zum ersten und nächstgelegenen Friedhof vor Düstersee, um diesen in Ordnung zu bringen.
Die Stürme hatten einiges fortgeweht, umgestoßen und auch zerstört und so an der letzten Ruhe der Toten ebenso kräftig gerüttelt, wie an den Häusern der Lebenden. Also begann der junge Mann damit die Scherben aufzulesen, die durch umgestürzte Töpfchen und Vasen entstanden waren, wischte mit der Wurzelbürste die Erde fort, die Blumenreste aus den Töpfen legte er zusammen, vielleicht ließ sich davon noch etwas retten, wenn man es neu eintopfte. Danach begann er jeden Grabstein und jede Grabplatte ordentlich abzuscheuern mit der Wurzelbürste und dem Wasser.
Seine Hände und Finger waren schnell krebsrot vor Kälte und schmerzten, so dass er zwischendrin immer mal wieder eine Pause einlegte und die Hände unter die eigenen Achseln klemmte und er im Kreis ging, um sich wieder aufzuwärmen. Schon am ersten Friedhof brachte er Stunden damit zu diesen wieder in Ordnung zu bringen und im alten Glanz erstrahlen zu lassen.
Er besorgte darüber hinaus Lampen, in die er kleine frische Kerzen stellte und entzündete und die Lampen grub er ein Stück weit in die kalte harte Erde rein, was ihn wirklich Mühe kostete. Aber er wollte verhindern, dass sie beim nächsten Sturm direkt wieder umgestürzt wurden und davon wehten.
Die Schrammen und Knatschen, die er sich dabei zuzog, kümmerten ihn nicht weiter, auch nicht der ganze Dreck. Die Kälte machte ihm allerdings schon zu schaffen bei seiner Arbeit. Zwar wurde ihm vom Schrubben selbst tüchtig warm, aber die Hände spürte er sehr schnell nicht mehr. Er ging damit sogar so weit, dass sie ihm bisweilen schon blau anliefen und er vor lauter Taubheit die Wurzelbürste kaum noch halten konnte.
Trotz dieser Schwierigkeiten erfülle ihn die Arbeit mit stiller Zufriedenheit. Es fühlte sich einfach richtig an für ihn. Am Ende ging er sogar dazu über die Umgrenzung des Friedhofs zu säubern und verließ am Ende das Geviert mit den gesammelten Blumen in dem leeren Wassereimer. Der zweite Eimer war gefüllt mit Scherben und Unrat, der sich angesammelt hatte. Diesen entleerte er am Gasthof in die entsprechende Tonne und erbat sich einige Tontöpfchen für die Pflanzen.

Mit Mühe beschaffte er sich noch frische Erde aus dem Wald, angereichert mit alten Blättern und machte sich in seinem Zimmer wenig später daran die Pflanzen einzutopfen. Dabei bediente er sich der Erinnerungen an seine Mutter, wie sie dabei vorgegangen war. Ob es ihm allerdings genauso gut gelang, würde sich noch erweisen müssen. Sollten die Blumen überleben, würde er sie am Friedhof wieder aufstellen.
Nachdem auch das erledigt war und die Töpfchen nun seinen Schlafzimmerboden zierten, ging er in den gemeinschaftlichen Waschraum und machte sich einen Badezuber fertig. Er verzichtete darauf, die Wirtsleute damit zu behelligen. Als er am Ende in das heiße Wasser hineinglitt und sich so tief in den Zuber rutschen ließ, wie es ging, übermannte ihn die Erschöpfung und das Gefühl kehrte ganz langsam in die Glieder zurück, begleitet von einem zu Anfang unangenehmen Kribbeln.
Erst als es ungestüm an der Holztür trommelte und eine erboste Stimme aufforderte das Bad endlich mal zu räumen, schreckte er hoch, aus seinem Schlaf. Er war eingeschlafen.
„Verzeihung!“ Innerlich schalt er sich dafür, dass es so erbärmlich peinlich berührt klang. Hastig sprang er aus dem Zuber und trocknete sich ab, zog sich an und verließ das Bad. Um die Leerung des Zubers würden sich die Wirtsleute kümmern. Mit hochrotem Kopf verschwand er in sein Zimmer und schloss sich ein.
Mit dem Entschluss am nächsten Tag den nächsten Friedhof anzugehen, machte er sich schließlich daran für einen vorzeigbaren Zustand zu sorgen und die dreckigen Sachen in einen Eimer sauberen Laugenwassers zu werfen, damit der Dreck besser rausging später.


Zufriedenheit geht über Reichtum.
Deutsches Sprichwort

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Till Angerlohe





 Beitrag Verfasst am: 20 März 2020 09:40    Titel:
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Große Ziele verkleinern Sorgen und Ängste.
(Alfred Selacher)

Es war noch sehr früh am Morgen, als er sich auf den Weg machte zur Küste. Nur eine Sturmlaterne spendete ihm das nötige Licht, denn die Sonne war noch nicht aufgegangen. Er mochte die Dunkelheit nicht, noch viel weniger seit dem Tag des Schiffbruchs. Ihm war nicht wohl dabei dorthin zu gehen, wo er gestrandet war, also trödelte er und machte einen Schlenker zu dem Häuschen, das er gefunden hatte und ihm Rettung und warme Zuflucht für die erste Nacht gewesen war.
Es verging eine ganze Weile, die er einfach nur in dem kleinen Raum stand, denn viel mehr gab die Hütte nicht her. Sein Blick ging zur Decke hinauf, die bereits Dreck fallen ließ, wie das bei altem Gebälk der Fall war, um das sich keiner mehr kümmerte. Das Holz war stellenweise bestimmt schon morsch und ihm wurde klar, dass er viel Glück gehabt hatte, dass ihm das Ding nicht auch noch auf den Kopf gefallen war, während er geschlafen hatte.
Auch die Feuerstelle hätte eine Falle werden können, der Kaminschlot hätte verstopft sein können. Er hatte mehr Glück als Verstand besessen in der Nacht. Als das Licht der Lampe anfing zu flackern, stellte er sie auf den kümmerlichen und verdreckten Tisch und presste die Hände aneinander. Sie hatten zu zittern begonnen, ohne dass er zu sagen gewusst hätte, wieso so plötzlich.

Mit einer fast schon erschreckenden Klarheit wurde ihm bewusst, dass er dringend einen Brief senden sollte, zu seinen Eltern, und das nicht nur, um sich selbst als lebendig zu melden, sondern auch nachzufragen, was mit seinen Brüdern geschehen war. Ob es den Eltern gut ging? Der Sturm musste sie doch genauso erwischt haben, oder nicht?
Dann erwischte er sich dabei, dass er sich vor der eigentlichen Aufgabe zu drücken versuchte, indem er die Gedanken auf seine Eltern und Geschwister lenkte. Ja, sie warne auch wichtig, aber in diesem Augenblick jetzt musste er sich anderem stellen.
Sich davon ablenken konnte er gut. Das war ihm inzwischen klar. Das war es auch, was ihn so verärgert hatte: Die Tatsache dabei erwischt worden zu sein und es wie einen Spiegel vorgehalten bekommen zu haben, aber auch das Erkennen und das eigene Unvermögen hatten ihn mit Wut erfüllt gehabt am gestrigen Abend. Die Wut war geblieben, auch als er zu Bett ging. Er konnte nicht schlafen. Gut, das war nicht nur der Wut geschuldet. Es war das fremde Haus, die Gewissheit, dass die einzige Person, die er eigentlich wenigstens ein bisschen gekannt hatte, abgereist war und die ohnehin geringe Vertrautheit zu der Person darin bestand, dass er gerade auf einer komischen Grasmatte lag, die ihn mehr piekte, als dass sie ihm irgendwie Erholung zu versprechen schien. Dazu kam die Sorge um Eltern und Geschwister, die innere Unruhe, die ihn gepackt hatte, also war er wieder aufgestanden und hatte gearbeitet, versucht sich an das zu erinnern, was seine Mutter ihm beigebracht hatte. Als ihm sonst nichts mehr einfiel, ging er ans Aufräumen, Ausmisten und Neuordnen.

Nun stand er hier, in der kleinen Bruchbude und zitterte. Schon wieder ertappte er sich dabei, sich mit Gedanken und Erinnerungen abzulenken. Entschlossen griff er wieder nach der Laterne und ging hinaus, schlug den Weg zur Küste ein. Als er endlich dort ankam, sah er sich um. Es wirkte unwirklich friedlich auf ihn. Das Meer war bei weitem nicht so aufgewühlt wie an dem Tag des Geschehens. Der Schnee war geschmolzen. Es war auch nicht so kalt, wie in jener Nacht.
Er stellt die Laterne auf dem Boden ab und griff mit einer Hand ins Wasser, zog sie rasch wieder zurück. Gut, das Wasser war so kalt wie an dem Tag, glaubte er jedenfalls. Und mit der beißenden Kälte packten ihn auch sofort die Erinnerungen, das Gefühl zu ertrinken. Die Angst kehrte schlagartig zurück und überwältigte ihn derart, dass er sich übergeben musste.
Danach zog er sich vom Meer ein Stück weit zurück und ließ sich einfach ins feuchte Gras zurücksinken, bis er dort kreidebleich saß und sich bemühte ruhig zu atmen und die Angst so zu vertreiben. Sein Blick irrte inzwischen zum Himmel hinauf, beobachtete den Riss für eine Weile, danach sah er die Laterne an, oder vielmehr das darin brennende warme Licht. Es dauerte, bis ihm bewusst wurde, dass er betete.

Erst als der erste helle Streifen das Aufgehen der Sonne ankündigte und somit den Tagesanbruch, stieß er einen frustrierten Seufzer aus und stand auf. Er klopfte notdürftig die Kleidung ab und las die Laterne auf. Abermals ging sein Blick zum Meer hinaus, deutlich gefasster, ruhiger nun. Vermutlich konnte er sich nun zusammenreißen, weil er sich mal wieder verbat über das Geschehen nachzudenken und es in sich verschloss. Nein, das war nichts, was an einem Tag oder in einer Woche ausgestanden war. Er hatte keine Ahnung, wie das gehen sollte. Aber wenn das zwischen ihm und dem Beitritt in den Tempel stand, dann musste er eben einen Weg finden das hinter sich zu lassen. Und wenn es nur augenscheinlich der Fall war. Das widersprach ja immerhin nicht Seinen Lehren, wenn er sich die Leitgedanken vor Augen hielt.
Er durfte nur nicht rumschwächeln im falschen Moment, oder? Das musste doch machbar sein. Mit einem Heben der Schultern kehrte er dem Ort den Rücken zu und ging heim. Es war an der Zeit einen Brief zu schreiben, an die Eltern. Wer wusste schon, vielleicht half ihm das ja auch schon weiter?

Zuhause angekommen, stellte er die Laterne auf den Tisch, legte Mantel und Handschuhe ab und suchte sich Briefpapier, Tinte und Feder zusammen und legte auch schon einmal den Löschsand bereit. Auch Kerze, Wachs und Wachsstempel fanden ihren Platz auf dem Tisch. Nachdem er sich einen Tee aufgebrüht hatte, setzte er sich hin und begann zu schreiben.


    Liebe Mutter, lieber Vater,

    ich möchte Euch wissen lassen, dass es mir gut geht. Allerdings ist mir nicht bekannt, wie es um meine Brüder steht. Falls Ihr etwas von ihnen gehört habt, sendet bitte Nachricht. In erster Linie schreibe ich Euch, um Euch wenigstens die Sorge um mich zu nehmen. Aber ich will von vorne anfangen, was vermutlich Eure Sorge zunächst vergrößert.
    Ich vermute, wir waren nicht ganz eine Tagesreise von Gerimor entfernt, als sich dieser Riss, den Ihr sicher ebenfalls sehen könnt, auftat am Himmel. Falls Ihr es nicht gesehen habt, wie er entstand, an dem Abend haben Alatar und Temora gegeneinander gekämpft! Ich konnte es vom Schiff aus beobachten, auch wenn ich es in dem Moment noch nicht ganz begriffen hatte.
    Später hörte ich auch, dass zugleich seine Heiligkeit gegen seinen leiblichen Bruder kämpfte und Alatar ihn am Ende mit sich nahm. Die Insel hat sich vor dem Kampf in Aufruhr befunden, oder vielmehr, der Teil der Insel, der zum alatarischen Reich gehört. Angeblich soll seine Heiligkeit dem Wahnsinn verfallen sein und das sorgte für Aufstände. Heute merkt man davon nichts mehr. Hier ist es mehr wie ausgestorben. Selbst um die vom Sturm zerstörten Dächer kümmert sich scheinbar niemand wirklich, und ich fürchte, ich bin zu ungeschickt und zu unbekannt, um das in die Gänge zu bringen. Aber ich kümmere mich um die Friedhöfe und bringe sie in Ordnung.
    Das beruhigt mich und lenkt mich ab von dem Schiffbruch, den ich dank der plötzlichen Stürme erlitten hatte. Ich weiß noch immer nicht, was aus der gesamten Besatzung geworden ist. Das Schiff muss gesunken sein und ob noch wer überlebt hat, außer mir, weiß Alatar allein. Ich kann nur sagen, dass ich nicht mit meinen Brüdern auf dem Schiff war. Seit der Abfahrt aus Shevanor weiß ich also gar nicht, was bei ihnen vorgefallen ist.

    Was meinen Schiffbruch angeht, ging es so schnell, dass die Erinnerungen nur langsam zurückkehren wollen, vielleicht aber auch gar nicht, weil mein Verstand sich dem verweigert. Aber eines kann ich mit Sicherheit sagen: Ich hatte Todesangst und dachte, ich müsste sterben. Wenn ich an den Ort zurückkehre, an dem ich wieder zu mir kam und ich mir erlaube daran zu denken, kehrt die Angst zurück. Seht es mir nach, wenn es eine Weile dauert, bis ich Euch besuchen kann. Mein Vertrauen in Schiffe ist gerade äußerst gering und ich fürchte, ich schaffe es noch nicht ein solches wieder zu besteigen, aber ich arbeite daran.
    Eines jedoch hat es mir gezeigt: Ich will meinen Kindertraum weiterverfolgen und zu einem ernstzunehmenden Traum machen. Ich bemühe mich derzeit um Aufnahme im Tempel, denn ich bin fest davon überzeugt, der All-Eine hat etwas vor mit mir. Nie zuvor war ich so sehr von dem Wunsch erfüllt beizutreten, wie ich es heute bin, und egal, was sie mir dafür für Stolpersteine in den Weg legen, ich werde es schaffen.

    Da seht Ihr es, mein größtes Problem im Moment. Ich schaffe es nicht, beim Thema zu bleiben, dem Schiffbruch. Als die Stürme kamen, brachen die Masten fast sofort, so hart packte der Wind in die Segel. Darauf war niemand vorbereitet. Es ging alles so schnell, dass ich nicht einmal mehr weiß, wie es passierte, das sich plötzlich im eiskalten Wasser war. Wir haben ja manchmal im Winter auch draußen im See gebadet, Fjore, Gerno und ich. Aber es ist etwas anderes, wenn man der Kälte jederzeit entfliehen kann, das kann ich Euch sagen. Meine Kleidung hatte sich darüber hinaus unglaublich schnell mit Wasser vollgesogen und zog mich schwer nach unten. Ich hatte schon unbeschreibliche Angst, als die Masten brachen und ich über Bord ging, aber die, die dann kam war buchstäblich atemberaubend und lähmend. Danach… fehlt mir jede Erinnerung, bis ich aufgewacht bin, und zwar am Ufer und mein Verstand mir immer wieder einbläute, ich müsste ins Warme und Trockene. Schwer zu sagen, wie ich danach diese kleine Bruchbude fand und wieso da trockenes Holz drin lag, geschweige denn wie ich ein Feuer hinbekam und woher das ganze Glück kommt, dass mir diese Hütte nicht auf dem Kopf zusammenbrach, was bei dem Unwetter draußen eigentlich hätte passieren müssen. Da kann nur der All-Eine die Hand im Spiel haben!
    Ich bin überzeugt davon, hätte Er mich nicht geleitet, hätte ich nicht überlebt. Auch wenn ich dazu selbst einiges beigetragen haben muss, denn ich wüsste nicht, wieso ich sonst in der Lage wäre Euch zu schreiben.

    Gebt weiterhin gut auf Euch acht und seid wachsam. Es sollen auch Kreaturen unterwegs sein, die einem nichts Gutes wollen. Haltet euch fern von ihnen. Schwarz wie der Riss sollen sie sein.

    Ihr und meine Brüder seid in meinem Herzen. Der All-Eine möge Euch beschützen,

    Till

Er betrachtete den Brief, las ihn mehrfach und war unzufrieden mit dem Aufbau. Es wirkte wirr und chaotisch, aber so in etwa fühlte er sich auch. Das, was er las, entsprach seinem Inneren mehr, als er in den letzten Tagen offen hatte preisgeben wollen.

Er begann sich zu fragen, wieso sie ihn „wenigstens weinen“ sehen wollte. War nicht mehr Stärke gefragt, wenn der Weg vor ihm doch so schwierig und hart sein sollte? Was nutzte es dann, wenn er weinte, wie ein kleiner Junge? Was nutzte es dann, wenn er sich vor Angst erbrach? Es wollte ihm beim besten Willen nicht aufgehen. Und wieso bestehen? Hatte er das nicht schon? Er hatte immerhin überlebt! Oder?
Irgendwie hatte er das Gefühl, auch auf Nachfragen würde er darauf keine Antwort erhalten, wie auf so manch eine Frage, die er gestellt hatte. Irritierend, wenn man mit Fragen kommen sollte, aber eben andere erwartet wurden, zu Themen, zu denen er keine hatte, aber die, die er hatte, unbeantwortet blieben.
„Warum muss alles immer so kompliziert sein oder gemacht werden. Mumpitz“, nuschelte er vor sich hin und brachte den Brief schließlich auf die Reise zu seinen Eltern.



Der Mensch kann nicht bestehen, ohne etwas anzubeten.
Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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Till Angerlohe





 Beitrag Verfasst am: 26 März 2020 12:06    Titel:
Antworten mit Zitat


Das Gebet ist der Odem des Glaubens.
(Martin Kähler)

Es war ein außergewöhnlich langes Gespräch gewesen, das ihm noch auf dem Heimweg erneut durch den Kopf ging. Insbesondere der Teil, bei dem es um die Bewältigung seines Problems ging. Es klang so simpel, einfach genug jedenfalls, dass er selbst darauf hätte kommen können, wenn nicht sogar müssen. Nicht zu ändern, es war ihm nicht eingefallen, aber nun hatte er einen Anhaltspunkt, an dem er anknüpfen konnte und das wollte er unbedingt versuchen. Allerdings nicht mehr an diesem Abend, sondern wieder in den frühen Morgenstunden, wenn noch alles schlief und die Sonne dem Firmament noch fern.
Jetzt, für den Abend, hatte er anderes im Sinn. Da gab es eine Herausforderung, der er sich ebenso stellen wollte. Also begab er sich heim, machte die Kerze am Tisch an und setzte sich hin. Rasch war Papier und Feder, sowie Tinte und Löschsand zusammengesucht und bereitgelegt und er fing an zu schreiben, zu probieren, zu knüllen, wegzuwerfen, von Neuem zu beginnen.
Nach etwa einer Stunde seufzte er frustriert auf. Die Worte wollten nicht wiederkommen, wie er sie gesprochen hatte. Das hieß, es musste etwas Neues her. Mit einem leisen Schnaufen ließ er sich gegen die Stuhllehne fallen und starrte zur Zimmerdecke hoch. Er gab es auf, für diesen Abend. Es war schon spät und vermutlich flossen die Gedanken deshalb nur noch träge wie Sirup dahin. Kein guter Zeitpunkt für so eine Aufgabe, befand er, drückte sich hoch und ging zu Bett.

Nur ein paar Stunden später schälte er sich aus der Wärme der Decke heraus und zog sich an. Noch völlig schlaftrunken machte er sich auf den Weg zum Meer. Allerdings hatte er beschlossen sich von anderer Stelle aus anzunähern.
Dort, wo er zu sich gekommen war nach dem Schiffbruch, wollte er lieber ein andermal hingehen. Er hatte sich vorgenommen langsam anzufangen. Das nächste Stück Küste fand sich für ihn zwischen Düstersee und RaKun. Er hoffte, der Sandstrand, der ein ganz anderes Erscheinungsbild bot, konnte ihm helfen, sich ohne diese erschlagende Angst mit dem Meer zu befassen.
Bis er den Sand betrat, hielt er den Blick abgesenkt und vermied es auf die tiefschwarze Weite hinauszusehen, die jetzt in der Dunkelheit, für ihn so bedrohlich wirkte. Er hatte seine Laterne wieder dabei, und das Licht, das sich im Gras wiederfand, und dann auch auf dem Sandboden wirkte warm und anheimelnd. Es gab ihm zumindest die nötige Ruhe, um diese Schritte voran zu wagen. Die Zeit verstrich und endlich traute er sich den Blick anzuheben. Das vom dunklen Nachthimmel geschwärzte Wasser schien jedes Licht zu verschlucken. Nur allzu selten reflektierte sich entfernt mal ein Lichtschimmer vom halben Mond in den Wellen. Hier und da zeigten sich vereinzelt ein paar Schaumkrönchen, die aber kaum nennenswert waren.

Was war das Meer? Wozu diente es? Was für einen Zweck hatte es? Er holte ein kleines Büchlein raus, setzte sich in den Sand, stellt die Laterne neben sich ab und begann zu notieren, was ihn zu diesen Fragen als Antwort einfiel. Stichpunktartige Notizen entstanden nicht nur vor seinem geistigen Auge, sondern auch auf dem Papier, und immer wieder richtete er den Blick überlegend auf das schwarze Gewässer. Sich gedanklich damit auseinanderzusetzen und den Händen gleichzeitig etwas zu tun zu geben, half ihm. Er spürte die Angst, wie sie hochkroch, hier langsamer als an der eigentlichen Stelle, aber sie kam dennoch. Sie ließ sich aber im Zaum halten hier, erstickte ihn nicht direkt. Das war gut, fand er. Ein Fortschritt, der ein Anfang. Wie auch immer man es sehen wollte. Also schrieb er weiter.
Neue Notizen zum Meer zu finden, kam langsam zum Erliegen, als der Himmel anfing sich aufzuhellen. Das war der Moment, wo er zum Wind überging und sich diesen genauso vornahm, wie zuvor das Meer. So arbeitete er sich Punkt für Punkt voran und durch sein ganzes Dilemma. Schiffe standen noch auf der Agenda, sowie das Zusammenspiel aller drei Punkte Meer, Wind und Schiffe.
Ob das Schreiben und sich damit beschäftigen die Angst vergehen ließ für den Moment, oder ob er schon anfing zu überwinden, wusste er nicht zu sagen, aber es fühlte sich jedenfalls nicht falsch für ihn an, also blieb er sogar am Ende, mit zugeklappten Notizbuch in den Händen eine Weile am Strand sitzen, als er fertig war und ihm nichts mehr einfiel, und beobachtete das Meer, das bei zunehmenden Licht immer freundlicher wirkte an dem Morgen, der sich sehr sonnig ausgab.

Und plötzlich kam ihm auch, eine Idee, was er aufschreiben konnte für seine Aufgabe. Auch dafür musste erstmal das Notizbuch herhalten, denn er wollte nicht bis daheim warten. Er zog sich nur zu dem nahen Feuer zurück, um sich dort hinzusetzen und zu schreiben. Es war wärmer dort, angenehmer.
Die Worte flossen auf das Papier, wie von selbst, was ihn im Nachgang mit Zufriedenheit erfüllte. Zufrieden genug, um zu lachen, ohne dass er dafür einen rechten Grund gehabt hätte. Es tat trotzdem gut und war lange her, dass er sich selbst hatte lachen hören. Etwas, an den Worten der Clerica hatte ihn erreicht, und es hatte auch etwas gelöst, selbst wenn er es noch nicht benennen konnte.


Im Lachen steckt Erleichterung darüber, versagen zu dürfen.
Michael Rumpf

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Till Angerlohe





 Beitrag Verfasst am: 11 Apr 2020 22:43    Titel:
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Schweigen herrscht.
Stille dient.
(Karl-Heinz Karius)

Nichts. Wirklich nichts war zu hören. Keine Schritte, kein Tropfen, kein Rascheln, kein Knistern, kein Knacken. Dunkel war es, bis auf die brennende Kerze auf dem Nachtisch. Kühl war es, still und kühl. Beklemmend genug, dass er hätte aufstehen und gehen wollen, aber er traute sich nicht. So saß er auf der Steinpritsche, hatte die Robe ausgezogen und um sich gewickelt, dort, wo er nicht verletzt war und zitterte unter seiner Gänsehaut.
Immer wieder einmal tastete die Hand ungläubig die verletzte Kopfhaut ab, vorsichtig, mit zittrigen Fingern. Das Zittern hatte richtig begonnen, als er allein war, allein in diesem Schlafsaal, den er gerade mit niemandem teilte. Drei Steinbetten, auf einem saß er, mitten in der dunklen, kühlen Stille, und zitterte. Er zitterte wegen der Schmerzen im Bein und am Rücken, dem kleinen Piesaken auf der Kopfhaut, die die Schnitte dort hinterlassen hatten, und versuchte noch immer zu begreifen, was beim All-Einen ihm eigentlich wiederfahren war und warum das hatte so sein müssen.
Mit dieser Überlegung schnürte sich ihm erneut die Kehle zu und er spürte die Tränen aufsteigen, die er im nächsten Moment zornig versuchte wegzublinzeln. Er wäre schwach, haben sie gesagt. Das Gefühl von Trotz stieg in ihm auf, welches diese Äußerung mit aller Vehemenz verweigerte. War er nicht! Zornig, ja. Bestimmt sogar, wobei er nicht einmal zu sagen vermochte, auf wen oder was genau im Speziellen, weil ihm einfach alles weh tat, alles brannte, die Wunden und in ihm selbst brannte es auch.
Er traute sich sein Bein zu begutachten, das immerhin nicht mehr blutete und starrte auf die Bisswunde. Ihm kamen die Worte seiner Mutter in den Sinn: „Bisswunden von Tieren sind ganz übel, sie können sich schnell entzünden und verunreinigen.“ Und hier sagten sie ihm, er müsse es so ertragen, da es von Ihm gegeben worden war.
Seine Knie waren vom gerötet, immer noch, aber im Gegensatz zum Rest, war das nichts. Seinen Rücken konnte er nicht einmal sehen. Es gab keinen Spiegel, es gab keine Annehmlichkeiten, es gab nur Stille, Dunkelheit und Schmerzen.

Ihm wollte nicht einmal aufgehen, wie er sich hinlegen sollte. Lag er auf dem Bauch, kam die Bisswunde auf, auf dem Rücken liegen ging auch nicht wegen der Hiebe, die er hatte einstecken müssen, die Seite wirkte auch nicht verlockend, weil dann der Rücken ebenfalls Meldung geben würde und das Bein auflag.
Am Ende rutschte er ans Ende der Pritsche, blieb sitzen und lehnte sich seitlich gegen die eiskalte Steinwand und quetschte etwas von dem Fell, das eigentlich als spärlichen Schutz vor der Kälte der Steinpritsche diente, zwischen sich und die Wand. Trotz aller Erschöpfung war an Schlaf dennoch nicht zu denken, denn sein Geist versuchte noch immer zu begreifen, was geschehen war. Mit dem Versuch begann er erneut zu zittern und er stellte im Stillen für sich fest, dass er sich ähnlich angegriffen fühlte, wie nach dem Schiffbruch. War es angst? Nein, in dem Fall konnte er das klar benennen. Nein, er hatte sich zu keiner Zeit gefürchtet. Dazu war gar keine Zeit gewesen.
Die Erkenntnis traf ihn ebenso unvorbereitet, wie der gesamte Verlauf des Abends.
Aber bei näherer Betrachtung und Bestandsaufnahme seines Körpers, dessen Reaktion und der Schmerzen, diagnostizierte er sich selbst einen Schock.
Gleichsam meldete sich der noch jugendliche immer hungrige Magen und er verspürte ebenso Durst. Nun, er war mit nichts hergekommen und hatte auch nichts mehr. Nicht einmal mehr seine alte Kleidung. Die war dahin. Mit einem Ächzen stand er auf und fing an die anderen Kisten und Kommoden zu durchwühlen, die er hier im Saal finden konnte. Immerhin, etwas Brot war dort, allerdings suchte er vergeblich nach Wasser in den vier Wänden.
Die Sandalen noch an, zog er sich unter leisem Wimmern die Robe wieder über, die am Rücken blutverkrustet wirkte, was für sich genommen kein Wunder war. Er vermied es, sich das genauer anzusehen. Mit dem Brot bewaffnet, schlich er sich humpelnd aus dem Saal hinaus und machte sich auf die Suche ins obere Stockwerk des Gewölbes, und damit auf die Suche nach Wasser.

Er wurde nicht fündig, und bei aller Orientierungslosigkeit, die er dort unten an den Tag – oder die Nacht – legte, war er selbst ein wenig verwundert, als er den Weg nach oben in den Tempel selbst fand. Um Ärger möglichst zu vermeiden, schlich er sich aus der Seitentüre hinaus und drückte sich hinter den Häusern fort, bis zu dem Brunnen, der draußen an einer Hauswand leise plätscherte.
Die Hände zum Trichter geformt, trank er erstmal durstig und fast schon gierig, fröstelte auch immer wieder, obschon die Nacht gar nicht so kalt daherkam.
Das Brot weichte er mit Wasser an und begann es zu verschlingen, als er den Rückweg zurück in den Schlafsaal antrat. Leise, hinter den Hauswänden entlang, zum Seiteneingang wieder hinein, nach unten. Und da stand er und wusste nicht mehr wo lang.

Ein Seufzer der stillen Verzweiflung trat er die Suche an, hinkend, hin und wieder leise fluchend, aber immerhin sorgte das alles dafür, dass er innerlich mehr zur Ruhe fand, die Aufregung endlich nachließ, und er sich besser sammeln konnte, auch weil der Magen endlich Ruhe gab und das Durstgefühl erst einmal gestillt schien.
Als er endlich den Schlafsaal fand, legte er sich doch bäuchlings hin, ließ das wunde Bein einfach hinunter hängen, neben dem Steinbett und schloss in völliger Erschöpfung die Augen. Er war sich sicher, er war Ihm begegnet, jetzt, da er lag. Und wo er zuvor dachte, er könnte nicht schlafen, dämmerte er nun mit einem flüchtigen Lächeln weg, auch wenn ihm noch immer alles weh tat.


Leise, leise, samtene Pfoten, weiches Fell, kitzelnde Barthaare, güldene Augen.
Leise, leise, geschmeidig, schnell und kraftvoll. Schwärze. Stille, so blutrot.
Leise, leise, keine Angst, kommt Er näher, setzt sich nieder und beobachtet.
Leise, leise, kalter Zorn, kommt ganz heimlich hochgekrochen und beißt sich fest.
Leise, leise, dringen Stimmen an sein Ohr, flüstern Mahnung voller Schmerz.

Vor ihm tat sich eine Steilküste auf, dahinter das tiefschwarze weite Meer in der Nacht. Kein Stern war am Himmel zu sehen. Die See war aufgewühlt, rau und tobte, so wie der Sturm, der darüber hinwegfegte. Er sah in der Ferne den Schatten eines Schiffs, wie es kränkte, wie es sank. Der Sturm trug die Schreie der Ertrinkenden mit sich.

Er wandte den Blick nach rechts, sah die Sonne im Westen aufgehen. Ja, im Westen. Es schien ihn nicht einmal zu verwundern, dass es so war. Ein neuer Tag begann, die See ganz still, bis zum Horizont nichts als Wasser. Er hörte Möwen kreischen, sah sie aber nicht.

Als er der Steilküste den Rücken zuwandte, stand er vor den Tempeltoren, direkt und unmittelbar. Sein Blick glitt an dem beeindruckenden Bau hinauf und betrachtete es ehrfürchtig. Erst danach trat er ein. Mitten in der großen, weiten Halle, deren Seiten und Ende er nicht erfassen konnte, die wie in Nebel oder Schatten getaucht wirkten, kniete er nieder. Seine Finger griffen ins Fell, hielten sich darin fest, ohne daran zu zerren. Er vergrub das Gesicht darin, spürte Tränen aufsteigen, brennend, und fühlte, er war daheim angekommen.

Leise, leise, samtene Pfoten, weiches Fell, kitzelnde Barthaare, güldene Augen.


Wir begreifen die Wege des Himmels nicht.
Wilhelm Heinrich Wackenroder


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 Beitrag Verfasst am: 14 Apr 2020 14:58    Titel:
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Der Schmerz, der tat sie lenken.
Elmar Schenkel


Er saß im Bad auf den steinernen Stufen vom Becken und begutachtete das heilende Bein. Es würde eine üble Narbe bleiben von dem Biss, den er abbekommen hatte.
‚Nein, erfahren hatte dürfen‘, korrigierte er sich in Gedanken. Die Heilung, sowohl am Rücken, als auch am Bein ging schneller vonstatten, als erwartet, und nichts davon hatte sich entzündet. Weder die Striemen, noch die Bisswunde. Wieder musste er sich korrigieren: ‚Es heilt unnatürlich schnell.‘
Schon jetzt, nur wenige Zeit später, lief er nicht mehr Gefahr, dass die Wunden nochmal aufrissen, und dass, trotz der Belastungen, denen er zum Beispiel sein Bein aussetzte.
Auch wenn er sich über den Kopf strich, spürte er den Schorf nicht mehr, dafür aber ein paar weichere Haarstoppeln, die sich langsam wieder hervorwagten. Bislang hatte er den Blick in einen Spiegel oder in die spiegelnde Oberfläche des Wassers vermieden, beschloss auch im gleichen Moment es dabei zu belassen. Außerdem stand er vor einem ganz anderen Problem. Dem Problem der Lehren des Schmerzes, um ganz genau zu sein.

Seine Hand griff nach dem Dolch und sein Blick heftete sich auf die Klinge der Handwaffe. Es war kein besonders schmuckes Stück, das er da von dem Lethrixor bekommen hatte, allerdings ging es auch nicht darum, sondern vielmehr um ein Werkzeug, dass ihm helfen sollte, seine Aufgabe, seine nächste Prüfung zu bestehen, die darin bestand sich einmal am Tag an gleicher Stelle in die Wade zu stechen, um dann den Schmerz zu beschreiben, schriftlich niedergelegt in ein Buch, von dem auch die Clerica eine Abschrift erhalten sollte.
Nicht zum ersten Mal, seit er diese Aufgabe erhalten hatte, fragte er sich nach der Sinnhaftigkeit zur Selbstverstümmelung und konnte keine finden. Alles in ihm verweigerte sich, diese Tat zu vollbringen an sich selbst. Erfahrungsgemäß war der Schmerz auch geringer, wenn man es selbst vollbrachte, kontrollierter, weniger überraschend.
Das wusste er noch sehr gut, denn irgendwann hatten ein Freund und er sich mal in den Finger geschnitten, absichtlich, um einen Schwur untereinander zu besiegeln. Ein andermal hatte er sich versehentlich geschnitten, als er seiner Mutter bei den Kräutern geholfen hatte. Das war so ein Moment gewesen, wo er wirklich geschrien hatte und dann auch noch peinlicherweise geflennt, wie nichts Gutes.

Das war der Moment, in dem er beschloss, die Strafe in Kauf zu nehmen, die zwangsweise folgen musste, wenn er der Anweisung nicht ganz exakt folgte. Allerdings wollte das Einsehen nicht kommen, dass es sinnvoll war, unter Umständen sein Bein nicht mehr gescheit nutzen zu können nach einem derartigen Experiment. So setzte er den Dolch eben am Handballen an und schnitt dort hinein, wobei er sich auf das Gefühl konzentrierte, zumindest solange, bis das erste Blut herausquoll, und die Übelkeit bei ihm alles einnahm und den Rest zunächst einmal völlig verdrängte.
Der Dolch wurde fallen gelassen und ein sauberes Tuch auf den Schnitt gepresst. Das Blut nicht mehr vor Augen, spürte er dafür wieder den Schmerz und je fester er drückte, desto schlimmer war es, und doch war etwas anders.
Vor der Weihe hätte ihn der Schmerz vermutlich noch aus der Fassung gebracht. Jetzt fand er ihn erträglich. Nein, es war noch ganz anders. Er stellte fest, dass er ihn willkommen hieß, was ihm ein Stirnrunzeln abverlangte. Das musste es sein, was sie in den 3-Groschen-Romanen als süßen Schmerz bezeichneten, oder? Oder doch nicht?



Mut ist nicht Freisein von Angst, sondern ihre Überwindung.
Deutsches Sprichwort


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Till Angerlohe





 Beitrag Verfasst am: 16 Apr 2020 14:54    Titel:
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Laß bluten deine Wunden, laß
Die Tränen fließen unaufhaltsam –
Geheime Wollust schwelgt im Schmerz,
Und Weinen ist ein süßer Balsam.
Heinrich Heine


Es war bereits Tag 4 nach Erhalt der Aufgabe und bislang hatte er weder eine Antwort auf seine Frage erhalten, noch war ein Wiedersehen erfolgt. Geblieben war ihm die Aufgabe, dessen Sinnhaftigkeit er nach wie vor hinterfragte. Dennoch ging er sie Tag für Tag von Neuem an, auf die von ihm modifizierte Weise. Mit jedem Tag, der dazukam, stellte er fest, dass es ihm sogar auf eine seltsame Art zu gefallen begann. Allein diese Tatsache war für ihn schon verstörend genug. Ein anderer Fakt, der ihn verwirrte, war, dass die Befriedigung darin an diesem Tag nachzulassen begann, ebenso wie der Schmerz, der gerade beim erneuten Öffnen der Schnittwunde bislang beißender als am Tag zuvor hervortrat. Als wäre die Hand an der Stelle taub geworden. Vielleicht hatte er zu tief geschnitten?

Eine weitere Wirkung hatte das Ganze auf ihn, eine, die er durchaus als positiv bewerten konnte: Die Übelkeit, wenn er Blut sah, wurde geringer und ließ auch schneller nach. Darüber hinaus schienen seine täglichen Gebete ebenfalls Auswirkung auf die Wundheilung zu haben, auch wenn er darin nicht explizit um Hilfe dazu ersuchte. Zumindest galt dies für seinen Rücken und sein vom Panther traktiertes Bein. Bei seinem Handballen verhielt es sich aber auch nur leicht anders, was vermutlich daran lag, dass er täglich wieder an die Wunde heranging.
Hier ließ er auch die gebotene Vorsicht walten, wusch die Wunde nach dem Schnitt immer ordentlich aus, presste ein sauberes Tuch darauf, bis die Blutung aufhörte, danach gab er einen selbstgemachten Kräuterbrei in Leinenverband darauf. Das war seit ein paar Tagen etwas, was ihn an seine Mutter erinnerte, die darin fachkundig gewesen war und ihm hatte wenigstens ein wenig dazu beibringen können.

Nach der Eigenversorgung hatte er am Tisch Platz genommen und sah nun auf den noch verschlossenen Brief, der dort lag. Irgendwann war ein Bote eingetrudelt. Erst hatte er Till an seinem Haus gesucht, danach war er zum Tempel gekommen, wo der junge Catulus seinen täglichen Pflichten nachgekommen war: Kerzen austauschen, Wachs vom Boden entfernen, die Feuerschalen neu befüllen und entzünden, fegen, wischen, und was sonst noch zu tun war, um den Tempel in gewohnter Ordnung und Sauberkeit zu halten. Der Bote hatte ihn mit dem Feudel in den Händen erwischt. Ein paar Worte fanden sich gewechselt und er lud den Boten ein etwas später zu seinem Heim zu kommen, für eine Mahlzeit und ein Getränk, als auch eine entsprechende Entlohnung für die Überbringung der Nachricht. So war es letztlich auch gekommen und als der Bote nach dem Mahl wieder seiner Wege zog, um die weitere Post auszutragen, hatte er sich wieder um seine Aufgaben bemüht. Den Brief hatte er bis zu diesem Zeitpunkt vergessen gehabt.
Er spürte eine kleine flaue Angst im Magen, dass der Inhalt ihm nicht gefallen könnte, griff aber nun doch danach und brach das Siegel auf, um die Zeilen seines Bruders zu lesen, wie er sofort an der Schrift erkannte.


    Dem All-Einen zum Wohlgefallen, Apostel,

    es tut gut von dir zu hören. Gerno und mir geht es gut, ebenso den Eltern. Wir haben es nicht einmal auf ein Schiff geschafft, um ehrlich zu sein. Der ganze Tross, in dem wir untergebracht waren, erkrankte und konnte am Ende nicht weiterreisen. Etwa einen Tag vor Erreichen des Hafens mussten wir halten und auskurieren. Danach erreichten uns die Neuerungen seitens des Senatrates und wir kehrten heim.
    Den Eltern und uns ist ein Stein vom Herzen gefallen, als ein Brief von dir ankam, nachdem du selbst nicht hier auftauchtest. Auch wenn dein Vorhaben ein hohes Ziel ist, das dem All-Einen als wohlgefällig gelten soll, kannst du dir bestimmt vorstellen, dass Vater nicht begeistert ist von deiner Idee. Er hätte es lieber gesehen, wenn du Mutters Geschäfte übernimmst. Der Lieblingssohn hat es pflichtschuldig übernommen Vater zu beruhigen und mit Honigzunge auf ihn einzuplaudern, bis er sich beruhigt hat. Ist dein Plan denn inzwischen aufgegangen, oder bleibt es ein Kindheitstraum?

    Im Übrigen beneiden wir dich alle nicht um die Erfahrungen zum Schiffbruch. Mutter hat bitterlich geheult, als sie davon hörte. Vor Schreck, versteht sich. Sie war schon drauf und dran die Sachen zu packen und hinterher zu reisen. Es war gar nicht so leicht ihr begreiflich zu machen, dass das überhaupt nicht nötig ist, und sie dir sonst damit nur deine Pläne ruiniert, wenn sie nach Gerimor käme, um dich zu bemuttern. Du weißt ja, wie sie ist! Und dann stell dir dazu mal Vater vor. Dass sein Laden noch steht, ist wirklich alles. Ich schwör’s dir, je älter die Alten werden, desto schlimmer werden sie. Bald wechseln Gerno und ich die Seiten und fangen an sie zu erziehen.

    Der Riss ist uns allen übrigens nicht entgangen. Und im Lager damals hörten wir auch hier und dort manch Stimme raunen, die behauptete, die Götter hätten gekämpft und dann sei es geschehen. Ganz erklären konnte es sich aber niemand. Bis du es jetzt auch geschrieben hast, habe ich das ja für ein Ammenmärchen gehalten, das mit dem Kampf der Götter. Ich kann dir sagen, das hat uns allen einen tüchtigen Schauer über den Rücken gejagt und es vergeht hier auch kein Tag, wo wir nicht mindestens einmal hinaufstarren zu diesem Gebilde und uns fragen, was es damit auf sich hat und wo die Götter nun stecken, wo der Schaden angerichtet ist.
    Da wir einfachen Leute eh nichts zu tun wissen, vertrauen wir auf andere und gehen bestmöglich unser Tagewerk nach. Zum Glück haben wir Vater. Er hat das Dach gerichtet, als es uns in den ersten Tagen und Nächten fast wegflog. Nun kann der nächste Sturm kommen.

    Lass von dir hören, Apostel, und pass gut auf dich auf! Wehe wenn nicht, dann kommt Mutter dich heimsuchen! Denk dran! Gerno hat mir eben übrigens zugerufen, er hilft Mutter in dem Fall. Ich sowieso. Also, halt die Ohren steif,

    dein ergebener Bruder,


    Fjore Honigzunge


Der Stein der Erleichterung war immens. Er hatte gar nicht gemerkt, was er da für eine Last mich sich herumgetragen hatte, bis zum Ende des Briefs. Wieder eine neu entdeckte Seite an ihm, die ihn zur Heulsuse machte. Verflucht aber auch! Energisch wischte er sich die Tränenschleier und Spuren aus den Augen und dem Gesicht. Es ging allen gut, zum Glück.
Erst als die erste Erleichterung überwunden war, fiel ihm der neue Spitzname auf, den er von seinem Bruder erhalten hatte und musste lachen. Egal, der Brief gab ihm neue Kraft und die konnte er wahrlich brauchen. Er nahm sich in jedem Fall vor in den nächsten Tagen zurückzuschreiben. Immerhin hatte er etwas, worauf er zumindest ein wenig stolz sein durfte, auch wenn der schwerste Teil des Wegs sicher noch vor ihm lag. Dass er sich davor fürchtete, versuchte er eiskalt zu verdrängen zunächst. Vielmehr bemühte er sich mit der Zuversicht zu stärken, dass er es schaffen würde, egal, welche Prüfungen auf ihn warteten, denn das war immerhin nach wie vor sein größter Wunsch und Wille. Die ersten Hürden hatte er genommen, ein Zurück gab es ohnehin nicht mehr und er sah auch nicht ein, da das nun geschafft war, zu verzagen oder gar zu scheitern. Immerhin hatte er nun den All-Einen an seiner Seite, nicht wahr? Was konnte da schon schief gehen?


Das Verlangen, keinen Spitzbuben kennenzulernen,
ist bei vielen Menschen so groß, dass sie um keinen Preis
der Welt mit sich selbst Bekanntschaft machen wollen.
Sigbert Latzel



Zuletzt bearbeitet von Till Angerlohe am 15 Apr 2021 08:50, insgesamt einmal bearbeitet
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Till Angerlohe





 Beitrag Verfasst am: 04 Mai 2020 16:42    Titel:
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Verrat lauert im Verborgenen.
(Deutsches Sprichwort)

Jeden Tag suchte er die Küste auf und setzte sich mit seinem Problem auseinander. Wie gewünscht, hatte er sich die Mühe gemacht die Wolken und das Meer zu beschreiben. Nicht nur einmal, sondern jeden Tag aufs Neue. Manchmal sah er in der Ferne ein Schiff vorbeisegeln. Gelegentlich war die See sehr aufgewühlt, die Wolken dunkelgrau und bedrohlich. Manchmal waren es einfach kleine Schäfchen- oder Schleierwolken, die den Himmel zierten und gemächlich dahinzogen, während die Wellen nur klein waren und ebenso winzige Schaumkrönchen vor sich hintrugen. Jeder Tag war anders.
So war auch jeder Tag anders, wenn es sich um seine Gefühlswelt drehte. Die Ängste waren inzwischen längst nicht mehr so erschlagend, so Atem raubend. Tatsächlich begann der Gräuel, der mit dem Schiffbruch einhergegangen war langsam zu verblassen und in den Hintergrund zu treten. Unter all den Notizen oder auch Skizzen zu dem, was er vor sich sah, hier an dem Ort, an dem er angespült worden war, schrieb er irgendwann die Notiz:

Der Mensch neigt dazu, die schlimmsten Erfahrungen mit der Zeit zwar nicht zu vergessen, aber die damit verbundenen Gefühle verblassen zu lassen, als wäre es nur ein schlimmer Traum gewesen. Vielleicht ist das ein Segen.

Am Folgetag war er sogar zum Hafen gegangen und hatte einen der Kapitäne gefragt, ob er das Schiff betreten dürfe bis es ablegt. Es wurde ihm erlaubt, so dass er sich an den Bug stellte, die Hände auf dem Holz der Reling, und schloss für einige Momente die Augen. Es war einer dieser Tage, wo die See etwas widerspenstiger war, aber nicht so sehr, wie in stürmischen Zeiten. Dennoch hob und senkte sich der Bug in der Dünung, sogar hier im Hafen. Der erste Moment war beklemmend, grauenhaft beklemmend. Für einen Moment fühlte er sich zurückgeworfen in jene Nacht, aber nach einem tiefen Durchatmen verging es auch genauso rasch wieder, wie es gekommen war. Der danach folgende Blick zum Horizont hinaus, wo in der Ferne die Sonne kurz davor war, das Meer zu küssen, alles in ein goldrotes Licht tauchte, ließ ihn sogar lächeln.
Das Bild noch vor Augen wandte er sich ab und verließ das Schiff wieder, bedankte sich natürlich vorher noch bei Kapitän und denen der Besatzung, die sich in seiner Nähe aufgehalten hatten, um ihn im Auge zu behalten. Das war der eine Teil der vergangenen Tage.

Dann war da noch der Brief der Clerica, der ihn beschäftigt hielt, aber vermutlich keine Antwort mehr bekommen würde. Und wenn, dann konnte er sich vermutlich nicht mal mehr daran erinnern, was er gesagt hatte und was nicht, so dass eine Gegenargumentation zu den Behauptungen vermutlich ein Ding der Unmöglichkeit werden würde.
Inzwischen hatte er beschlossen dieses Thema für sich einfach abzuhaken und hinter sich zu lassen. Was spielte es auch für eine Rolle? Im Grunde nur die, dass er eine Erfahrung gemacht hatte, aus der er wieder etwas gelernt hatte. Und weitere Begegnungen hatten diese neugewonnene Erkenntnis noch vertieft. Es würde weder eine Liebe draus werden, noch etwas, was mit ungemein viel Sympathie einherging. Bestimmt ließ sich ein Weg zu einem Auskommen finden, aber darüber hinaus? Nun, mehr als das brauchte es nicht und mehr als das war es ihm selbst nicht wert. Das im Voraus gegebene Vertrauen war jedenfalls dahin und es blieb abzuwarten, ob er diesem nochmal eine Chance geben wollte, erneut zu wachsen. Noch fühlte er sich dafür zu verraten.

Immerhin ging es langsam voran mit der aufgetragenen Vorstellung bei den Institutionen. Die ersten Termine standen, sie würde er diese Woche angehen können. Ebenso nahm die Mappe Gestalt an, wobei er hier dennoch auch noch Geduld aufbringen musste, da er auf zwei schriftliche Zusammenfassungen wartete, und hoffe, sie bald zu erhalten. Denn wenn er sich an die Worte von Mohnblume zurückerinnerte, war Zeit etwas, was vermutlich nicht endlos gegeben war in dieser Angelegenheit. Allerdings tat er sich schwer denen, die die schriftliche Zusammenfassung angeboten hatten, allzu sehr zu bedrängen und um Eile zu bitten. Noch hielt er sich dahingehend zurück und wollte die nötige Geduld aufbringen. Es war schließlich erst wenige Tage her, dass er um diese Informationen gebeten hatte und in wenigen Tagen hatte er darüber hinaus ja noch ein Treffen ausstehen, wo auch noch gesprochen werden würde. Vermutlich brachte er dann selbst auch noch einiges zu Papier.

Wenn er sich mit all dem gerade nicht befasste, bemühte er sich im Kampf zu schulen, was, wie er fand, nur zäh voranging, aber immerhin Fortschritte zeigte. Und in den Momenten, da Körper und Geist Erholung wünschten, die Pflichten im Tempel selbst ebenso erledigt waren, widmete er sich den Büchern oder erfreute sich am Besuch von einer liebgewonnenen Freundin, die es schaffte ihn immer wieder aufs Neue zu überraschen. Nicht nur mit dem Inhalt ihrer Gespräche, sondern auch mit dem, was er von ihr lernen durfte. Es war jedes Mal etwas dabei, was faszinierte, interessierte oder auch fesselte. Manches warf Fragen auf, aber diese fanden auch unmittelbare Antworten, manches nahm er nur beobachten hin zunächst.
Seit der letzten Begegnung dachte er öfter über das liebe Federvieh nach, blieb hier und da mal auf dem Weg durch den Wald stehen und versuchte auszumachen, was für Charaktereigenschaften diese Tierchen zeigten, war damit aber nicht wirklich erfolgreich, solche zu erkennen. Bei Hund und Katze fiel das leichter, auch wenn ihm die Affinität dazu bislang gefehlt hatte, sich dies vor Augen zu führen, oder sich hinlänglich damit zu befassen.

Katzen gab es derzeit einige. Oder Katzen und Kater, wenn man es genauer betrachtete. Irritierenderweise fiel ihm das sofort auf. Warum da? Und warum nicht woanders? Das Federvieh entzog sich ihm ganz, außer den üblichen, wie die diebische Elster oder die kluge Eule. Fabeln und Märchen brachten ihn da mehr auf die Spur, als irgendwas sonst. Es waren Bücher, die er gelegentlich gerne mal las, aber weit abgeschlagen hinter den heiß geliebten Drei-Groschen-Romanen lagen in seiner persönlichen Bestenliste. Der listige Fuchs fiel ihm noch ein. Einmal damit angefangen, hatte er sich sogar ein kleines Büchlein zugelegt, wo er sich einige Notizen dazu machte. Im Grunde war das nichts anderes als ein völlig jugendlicher Zeitvertreib, den er für den Moment sehr unterhaltsam fand bei aller Arbeit und gelegentlichen Mühsal.
Er versuchte sich sogar die Gesichter einzelner Personen und Persönlichkeiten ins Gedächtnis zu rufen und ihnen Tiere zuzuordnen, ob nun von Äußerlichkeiten geleitet, oder von dem, was sie ihm gezeigt hatten. Spannend daran fand er, dass es der Auflage zu beobachten und zuzuhören sogar in die Hände spielte in gewisser Weise, wenn vielleicht auch nicht unbedingt so, wie die Clerica sich das gedacht hatte.
In jedem Fall sorgte es für etwas Leichtigkeit im Alltag, ebenso für Gelassenheit, und ließ den Ärger hier und da vergessen. Eine Wohltat, und darüber hinaus etwas, was ihm damit Raum schaffte sich dem Ärger wieder zu stellen bei nächster Gelegenheit, um auch diesem relativ gelassen zu begegnen.

Was ihn allerdings nicht sonderlich gelassen bleiben ließ, war plötzliches Händchenhalten ohne jede Vorwarnung, oder etwaige Versuche ihn an die Frau zu bringen. Beides hinterließ ihn nachdenklich, leicht verstimmt und darüber hinaus nicht nur überfordert mit der Situation, sondern auch mit wachsender Abneigung zum Thema an und für sich. Mochten sich andere an dieser Art von Ablenkung erfreuen, seins würde es nicht werden. Er blieb lieber Entdecker in anderen Bereichen. So etwas zu lesen und zu träumen war eins, Realität in dieser Hinsicht für ihn tatsächlich etwas ganz anderes.



Dem Ärger muss man mit Gelassenheit begegnen, dann gibt er Fersengeld.
Ernst Ferstl




Zuletzt bearbeitet von Till Angerlohe am 13 Mai 2020 10:57, insgesamt einmal bearbeitet
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Till Angerlohe





 Beitrag Verfasst am: 13 Mai 2020 12:29    Titel:
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So sorgsam überlegt kein Bildner sich die Schläge wie Er,
der Meister aller Form,
Erschlägt, bis du ihm taugst.
(Unbekannt, Handschrift d. 14 Jh.)

Es war wieder so viel Aufregendes passiert, dass er inzwischen begann auch das zumindest in einer kurzgefassten Chronologie zu notieren, um es sich als Erinnerungsstütze zuhause hinzulegen.

Dazu gehörten die Besuche zweier Gemeinschaften, die dem Reich angehörten und diese hätten unterschiedlicher kaum ausfallen können. Das ging von gestellten Fragen bis hin zum allgemeinen Verhalten und dem Umgang mit Gästen und Vertrauten. Ihm kam die Überlegung, dies vielleicht einmal zu notieren, und ihm fiel auch wieder ein, dass er darüber vielleicht noch mit jemanden über eine bestimmte Sache reden sollte.
Dem folgte ein Besuch bei der Ahad, um sich auch bei ihr vorzustellen. Da er noch keine Reaktion seines der Bruderschaft allgemein erhielt, wählte er den Weg der direkten Konfrontation, und das mit Erfolg. Die Ritter kannten ihn immerhin schon und so verblieb man dabei, dass der Besuch damit die Pflicht erfüllte, der er nachzukommen hatte.

Dann war da noch der Besuch in der Academia Arcana. Allein die Zeit bis zum Besuch und Diskurs dort, erfüllte ihn schon mit dieser Aufregung und Hibbeligkeit, die ihn zuhause in Fellsteen immer dann befallen hatte, wenn es am nächsten Tag daran ging den Karren zu packen für den nächsten Markt. Das hatte früher immer einer längeren Reise bedurft, da der nächste Markt weiter fort war, und die Eltern sogar sehr weite Wege auf sich nahmen, um auch abgeschlagene Orte dafür aufzusuchen. Abschlagen von Fellsteen aus gesehen muss man dazu sagen, denn es brachte sie immerhin auch einmal auf die Inseln. Der Gedanke daran wiederum brachte ihn daran einmal einen Brief dorthin zu schicken. So bald die Idee da war, kehrte die Erinnerung aber auch erst einmal wieder zurück zum Abend des Diskurses.
Es war das erste Mal, dass er mit Schwesternschaft, einer Menekanerin und auch mit Elfen in Kontakt kamen. Bemüht die Hausordnung der Akademie zu wahren, nickt er zumeist höflich zum Gruß, hielt sich dabei aber weitestgehend an die Erhabene, die ihn begleitet hatte. Das war auch ein Umstand mit dem er nicht einmal gerechnet hatte, wenn er ehrlich zu sich selbst sein wollte. Die Erhabene nahm sich Zeit für seine fixe Idee am Diskurs teilzunehmen. Zumindest hatte er es vorher für eine fixe Idee gehalten, brav nachgefragt, ob er hingehen dürfte, und eigentlich mit Ablehnung gerechnet. Als dann die Zustimmung erfolgte, hatte er sich gefreut wie ein kleiner Junge, der seine Lieblingssüßigkeit essen durfte. Als am Abend selbst, kurz vor dem Aufbruch, die Erhaben aufschloss um zu begleiten, war das für ihn wie die zweite Belohnung an einem Tag gewesen. Interessiert betrachtete er die Anwesenden immer mal wieder verstohlen zwischen den Notizen, die er sich machte. Es gab nur eine Partei, die keinen Gruß seitens der Erhabenen erhielt, und das waren die Elfen. Die Belehrung dazu, als ihm das entging und er dennoch grüßend genickt hatte, folgte auf dem Fuße. Worte, die er sich sogar noch in seinen Notizen aufgeschrieben hatte, um sie nicht zu vergessen.

Gewöhnt euch nicht an die Elfen und grüßt sie nicht. Ihr Volk ist unbelehrbar und wird von den Letharen vernichtet werden. Sie haben keinen Nutzen in dieser Welt.
So sehr er sich bemühte den Worten Folge zu leisten und sich nicht für sie zu interessieren, so stellte er trotzdem fest, dass er sie faszinierend fand und er mehr Interesse für sie übrighatte, als er sich selbst eingestehen wollte, geschweige denn vor anderen zugeben würde. Immer, wenn sie sprachen, einerlei ob in ihrer Sprache leise tuschelnd oder in der seinen in verständlicher Lautstärke, wollte er im Klang ihrer Stimmen versinken und musste sich schwer zusammenreißen den Faden nicht zu verlieren und bei den Notizen zu bleiben. Allein der Umstand, dass er das Thema noch faszinierender und interessanter fand, und darüber hinaus noch viel wichtiger, brachte ihn wohl dazu, dass er bei der Sache blieb, vom Anfang bis zum Ende des Diskurses. Was ihn freute, war darüber hinaus die Tatsache, dass es ihm erlaubt war Fragen zu stellen und ebenfalls einen Teil beizutragen, auch wenn ihm bewusst war, dass er mit dem Beitrag an sich etwas beschrieb, was allen Anwesenden bekannt sein dürfte – den Kampf der beiden Geschwister am Himmelszelt über Adoran.
Alles in allem bot der Abend eine Fülle an Informationen. Wie wertvoll sie waren, musste sich noch erweisen, aber es war weit mehr, als er unter den eigenen Leuten bislang hatte zusammentragen können, was mitunter vermutlich auch daran lag, dass es ihm stellenweise schwer gemacht wurde selbige zu bekommen, als gälte es Geheimnisse zu hüten, die eigentlich schon einmal ausgesprochen worden waren. Und je länger er dem nachlaufen musste, desto weniger Verständnis konnte er für dieses Verhalten aufbringen. Am Ende aber war das sein eigenes Problem, wie er es so fand, womöglich aber ein Problem der Bevölkerung, wenn sich darin wichtige Informationen verbargen.

Ein erfolgreicher Abend, dem eine halbe Nacht und ein halber Tag der Übertragung von Symbolen und Zeichen in ordentliche Schrift folgten, damit er den Bericht zeitnah vorlegen konnte. Nachdem dieser ohne Korrektur abgesegnet worden war, verschickte er ihn an die Adressaten, die ihm genannt wurden und hatte am Ende das Gefühl ihm fielen die Finger ab. Trotzdem war da auch fast schon euphorische Zufriedenheit darüber, es gut hinbekommen zu haben. Gut genug, dass es nichts zu bemäkeln gab.

Einen Abend zuvor füllten sich die Reihen des Tempels um eine weitere Person. Die Tatsache, dass er sich in den Vorbereitungen für den anstehenden Diskurs befand, war es geschuldet, dass er nicht anwesend sein konnte, wobei er sich im Stillen eingestehen musste, dass er sich nicht sicher war, ob die eigenen Erinnerungen daran nicht noch zu frisch waren, um das Ganze noch einmal zu durchleben. Es gab daran Momente, die er gerne noch einmal erlebt hätte, aber bewusster, ohne die Schmerzen, ohne die… Er schüttelte den Kopf und verwarf die Gedanken daran, klammerte sich lieber an die Gefühle, die ihn sonst noch erfasst, ihn mitgerissen und berauscht hatten. Was ihn jedoch tatsächlich freute, war die Tatsache damit jemanden zu haben, mit dem er offener reden konnte. Zumindest glaubte er das. Hoffte es. Nicht nur allein deshalb, weil es bislang schwer war seine Eindrücke mit wem zu teilen, oder gar unmöglich und alles mit sich selbst auszumachen eine Sache war, die ihm mehr als schwerfiel, zumal es Fragen aufwarf, die nach Antwort verlangten, er selbst aber keine fand.

Es folgten einige Tage der Nachforschung bezüglich seiner Aufgabe zum Riss. Er sprach mit NeKhii, er sprach mit MhaRashKal, er erfragte noch einmal bei der Bibliothekarin den Bericht zu den Schattentieren, den er noch immer nicht vorliegen hatte. Womöglich musste er nachdrücklicher werden, auch wenn es ihm ganz bestimmt nicht behagte, was mit Sicherheit daran lag, dass sie ihm schon einmal Schwierigkeiten gemacht hatte und er auf eine Wiederholung gut verzichten konnte. Aber nach reiflicher Überlegung musste er sich auch eingestehen, dass das nicht dazu beitragen durfte, sich auf der Nase herumtanzen zu lassen. Das war gewiss der falsche Weg. Bemüht persönliche Befindlichkeiten zu begraben, versuchte er im Vorfeld schon einmal die passenden Worte zu finden und zurecht zu legen, obschon im Bewusst war, dass die Taktik den ersten Kontakt vermutlich schon nicht überleben würde. Wie aber sonst sollte er das üben?

Dann kam der erste Unterricht. Mit all der gegebenen Naivität und guten Laune, die er an dem Tag allein schon aufgrund dieser Aussicht mit sich herumtrug, ging er in diesen hinein und er brauchte wahrlich einige Momente, um zu bemerken, warum sein neuer Tempelbruder derart zurückhaltend daherkam, dass er sich selbst schon darüber wunderte. Der Moment war dann endgültig gekommen, als er dran war zu rezitieren und zu erläutern, um danach direkt eine verbale Watsche zu kassieren, bei der er sich noch fragte, warum, da er nicht mal einen Fehler begangen hatte. Ganz wach wurde er in dieser Hinsicht aber beim Eintreffen des Vicarius. Das Resultat des Zuspätkommens und des darauffolgenden Schlagabtauschs waren Peitschenhiebe von nicht geringer Zahl. Was ihn aber wirklich wachrüttelte, war die Tatsache, dass er Beteiligung an der Strafe haben sollte. Nicht etwa, dass er sie erhielt, er sollte sie zum Teil geben.
Er hatte im Nachhinein in sein Büchlein notiert, was er daraufhin empfunden hatte. Es ging über Entsetzen, überbordender Panik, bis hin zu Übelkeit und dem innigen Wunsch sich ganz woanders zu befinden. Dazu kam die Tatsache, dass es ihm ab da höchst schwer fiel konzentriert beim Unterricht zu verbleiben. Das einzige, was dazu beflügelte, es irgendwie hinzubekommen, war tatsächlich die Angst genauso zu enden.
Die Hälfte schafften sie an diesem Abend, die andere Hälfte sollte in zwei Tagen folgen. Die Strafe hatte ebenso Aufschub bekommen bis nach dem Unterricht in zwei Tagen. Die mitgenommene Verzweiflung darüber, dass er anderen Schaden zufügen sollte, noch dazu mit einer Peitsche, hatte nicht die Muße sich zu verringern. Ganz im Gegenteil, sie wuchs mit jeder Stunde und bei allen Versuchen sich auf etwas anderes zu konzentrieren, drängte sich der Gedanke an das Kommende immer wieder dazwischen. Nur ein Satz blieb ihm sehr präsent. Ein Satz, den er sich auch notiert hatte im Nachgang:
Wer herrschen will, muss knien lernen.
Die neuerteilte alte Aufgabe den Lehren des Schmerzes zu folgen, störte ihn da nicht einmal. Zum einen wusste er dort, was auf ihn zukam, und zum anderen hatte er dieses Mal die freie Wahl der Stelle. Auch fürchtete er sich davor nicht mehr, immerhin hatte er es schon einmal eine halbe Woche lang durchgeführt. Nein, das war nicht so schlimm. Irrwitzigerweise freute er sich sogar darauf und fing direkt am gleichen Abend damit an, kaum, dass er zuhause angekommen war. Dafür bereitete er sich einen Platz am Tisch vor, wo er einige Tücher zusammengeschlagen hinlegte, eine Schüssel mit heißem Wasser und den Dolch, sowie einen Verband. Er blieb beim Handballen, den er schon einmal dafür ausgesucht hatte, bei ihm würde er auch die nachfolgenden Tage bleiben. Er stach hinein, und lenkte danach den Blick erst einmal woanders hin, drückte aber schon einmal eines der Tücher darauf, die Hand legte er auf die restlichen, um nicht den ganzen Tisch einzusauen. In der Stille des Eigenheims, selbst die Hühner schliefen schon, schloss er die Augen und fühlte dem Schmerz nach…
und lächelte.

Für einen Moment war die Verzweiflung auf das Kommende vergessen und etwas anderem gewichen. Etwas, was er einige Zeit später in einem Büchlein notierte. Dem kleinen auserkorenen Büchlein für das Tagebuch der Lehre. Das Buch, in dem schon drei Tage drin standen, nun einen Absatz fanden und von vorne begonnen wurde.



Wer ganz mit seinem Schmerz allein,
der lernt den Schmerz genießen.
August von Platen-Hallermünde


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Till Angerlohe





 Beitrag Verfasst am: 16 Mai 2020 12:22    Titel:
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Kunst: Verzierung der Welt.
(Wilhelm Busch)

Endlich fand er Zeit für eine Zeichnung, die er NeKhii versprochen hatte. Zwar war er nicht der Beste darin, aber er traute sich immerhin ein Erkennen dessen zu, was es werden sollte. Wie sie es letztlich verwenden wollte, blieb ihr überlassen. Die Entstehung bedurfte jedenfalls sehr viel Konzentration, was ihm guttat und half sich zu fokussieren. Vermutlich war es genau das Richtige, um sich einige Momente von der noch immer vorherrschenden Verzweiflung abzulenken, in Aussicht auf das, was heute Abend unweigerlich würde nach dem Unterricht folgen müssen.
Vielleicht hätte er sich im Umgang mit dem Instrument üben sollen, aber bei allen anderen Tätigkeiten war er nicht dazu gekommen und nun brauchte er erst einmal so etwas wie innere Ruhe. Also hatte er sich an den Schreibtisch gesetzt, das Fenster geöffnet und der Mittagsonne damit den Weg hinein geebnet und zeichnete im hellsten Licht des Tages einen Panther. Zumindest sollte es einer werden. Mit dem Endresultat war er für seine Begabung sogar relativ zufrieden. Natürlich könnte es besser sein, das könnte es immer. Aber es war in Ordnung. Es könnte auch peinlicher sein.


Das Ganze brachte ihm immerhin gut ein bis zwei Stunden Frieden und Konzentration auf etwas anderes, als die kommende Bestrafung.

Nun, und danach wandte er sich seiner täglichen Aufgabe zu. Er war wieder bei der Hand geblieben, hatte die Stelle nicht gewechselt. Es kam ihm falsch vor das zu tun, unpassend, und vor allem schien es ihm, als würde er damit das Eigentliche umgehen.
Wie die Tage zuvor bereitete er dafür wieder penibel den Platz am Tisch vor, griff sich im Anschluss den Dolch, als er dann dort saß und setzt wieder einen Stich an exakt die gleiche Stelle seines Handballens, wie zuvor. Der vierte Tag war das nun und der Schmerz der sich prompt meldete, war deutlich gereizter, als noch die Tage zuvor, weil die Wunde keine Zeit fand zu heilen. Es trieb ihm zweifelsfrei die Tränen in die Augen im ersten Moment und trotzdem schlich sich nach einigen Herzschlägen auch wieder das Lächeln in seine Züge, das inzwischen nicht mehr nur leicht daherkam, sondern einen Ausdruck in sich barg, der morbides Gefallen daran ausdrückte.

Als der Handballen soweit versorgt war, dass kein Schmutz die Wunde würde entzünden können und der Platz aufgeräumt war, trat er an den Schreibtisch und sah aus dem noch immer offenen Fenster hinaus, hing einigen Momenten lang den eigenen Gedanken nach, unter anderem über das Gespräch am Vorabend. Darüber jemanden zu hassen, jemanden zu lieben, oder auch sich selbst zu hassen. Über die Geschichte dazu dachte er ebenso nach, darüber wie es ihm mit der Erfahrung womöglich ginge, aber was das anging blieb er etwas ratlos zurück.
Dennoch, irgendwas ließ ihn daran trotzdem nicht los. Er konnte nicht sagen was. Vielleicht, weil er ihm leidtat? Etwas, was er so nicht ausgesprochen hatte, ganz bewusst nicht. Auch davon hielt ihn etwas ab, und er konnte nicht so ganz benennen, was. Irgendwie schien es ihm falsch zu sein.
Es tat dem trotzdem keinen Abbruch, dass er ihn mochte, auch wenn es ihn zu ärgern begann, wie viel er ihm voraus zu haben schien, allein nur auf Grund des Alters und der gemachten Erfahrungen. Es löste stundenweise tatsächlich allgegenwärtige Frustration bei ihm aus, und gelegentlich kam er sich reichlich dumm vor. Dumm und ahnungslos und so völlig fehl am Platz. Aber er hatte ja auch in dem Punkt (schon wieder) Recht. Der All-Eine musste etwas gesehen haben, sonst wäre er nun nicht das, was er war. Daran bestand kein Zweifel. Also konnte es nicht so deplatziert sein, wie er sich zwischendrin schon mal fühlte.
Da blieb dann eben nur: Aufstehen, Krönchen richten, weitergehen.



Frustration ist die Migräne,
die die ehrgeizigen Männer befällt
Fritz P. Rinnhofer


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Till Angerlohe





 Beitrag Verfasst am: 18 Mai 2020 13:55    Titel:
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Jeder Mensch trägt einen Dämon in sich,
der ihn reizt und zu seinen Handlungen treibt.
(Sokrates)

Die Schonfrist war vorbei, sogar gleich zu Beginn des Folgeunterrichts. Zuerst für seinen Mitschüler, dann auch für ihn; schneller in jedem Fall, als ihm selbst lieb war. Noch immer hatte er keine Gelegenheit gefunden mit dem Instrument zu arbeiten und überhaupt ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie man sie handhabte. In seiner Naivität hatte er sich darüber hinaus eine ausgemalt, die wie die daherkam, die man auch bei Kutschpferden schon mal nutzte. Weit gefehlt. Als er die drahtigen Dornen an der Peitsche sah, fragte er sich ernsthaft, was er hier machte, fand aber keine Zeit mehr den Gedanken weiterzuverfolgen.

Bei jedem Knall zuckte er zusammen. Auch musste er sich zwingen, hinzusehen. Die Übelkeit, die folgte, machte es ihm nicht leichter. Natürlich endete die Tatsache blutig, wie könnte es auch nicht mit diesen widerwärtigen Dornen, die sich in die Haut bohrten und wieder herausgerissen wurden. Nicht nur diese Tatsache vor Augen zu haben, war es, die ihn kreideweiß werden ließ. Auch die Erinnerung, die sich meldete und ihn schaudern ließ. Es war aber auch die gleiche Erinnerung, die ihm half sich zu sammeln und die Peitsche entgegen zu nehmen, als sie ihm gereicht wurde. Es war dieselbe Erinnerung, die ihn dazu brachte auszuholen und es zumindest zu versuchen. Die Aufforderung, die Aufgabe ordentlich durchzuführen, die unterschwellige Drohung dabei, spornten ihn hier tatsächlich sogar mal nicht an. Sie riefen irritierend wenig bei ihm wach. Der erste Schlag war es, der das tat, auch wenn er nur schlecht traf und die Ausführung ganz eindeutig die eines absoluten Anfängers war. Aber sie wischte die Zweifel fort, ob ihm diese Aufgabe überhaupt gelänge, ob er anderen Schmerzen zufügen könnte, ob er überhaupt in der Lage dazu war dieses Gerät zu benutzen gegen andere, ja, sogar die Frage, ob er würde noch mehr tun können, als das. Er war eine Spur dankbar dafür, dass der dunkle Rücken vor ihm den Anblick des Blutes etwas schluckte und es im Grunde deshalb wahrnehmbar war, da es im Schein der Kohlebecken und Kerzen glänzte.
Der erste Hieb war getan und so sehr auf Eile gedrängt wurde im Grunde, ließ er sich doch den Moment Zeit sich erneut zu sammeln und sich auch das einzuprägen, was er gerade wahrnahm, fühlte und auch den Gedanken aufzunehmen, wie er das Instrument besser führen konnte.
Erst danach holte er erneut aus, ließ die Spitze dann von unten herauf nach vorn schnellen.
‘Besser,‘ dachte er danach und fand den Selbstvermerk direkt unpassend.

Erst als die Strafe vollzogen war, er dastand, ein zugerauntes ‚Lob‘ bekam, merkt er, wie angespannt er die ganze Zeit über gewesen war, auch dass die Hände zu zittern verlangten, und ebenso die eigene Unklarheit darüber, wie er das Ganze nun finden sollte. Der nachfolgende Unterricht wischte die Gedanken, Gefühle und die Bilder vor Augen zunächst fort und ließ ihn gnadenvollerweise auf etwas anderes konzentriert sein: Auf den Umstand seiner derzeitigen Unerfahrenheit und damit einhergehender Unzulänglichkeit. Um nicht grenzenlos in allem nachzustehen, begann er sich öfter zu melden als noch beim ersten Tag und begab sich in einen unausgesprochenen Wettstreit. Ein Wettstreit, der es ihm wert zu sein schien, aber auch einer, der ihn vorantreiben sollte.
Das Wiedersehen einer Freundin war es, das ihn darüber hinaus wachrüttelte, ohne dass es ihr bewusst sein konnte. Es war nur ein kleiner Satz, der dafür nötig war, der so beiläufig schien, ihn aber darin bestärkte, diesen Wettstreit wach zu halten, ohne mitzuteilen, dass sie sich überhaupt in einem befanden. Es sollte ja auch keiner der Sorte werden, den man offen austrug.

Der Vogel wollte ihm dennoch nicht passen. Im Verlauf des Abends stellte er auch fest wieso. Eigentlich sogar genau in dem Moment wo Katz und Nebelkrähe sich begannen zu umschleichen, zu krallen und zu hacken. Das war so der Augenblick, wo er beide gerne im Nacken gepackt und geschüttelt hätte. Es hatte ihm den Abend verdorben, der bis dahin eigentlich ganz entspannt und interessant gewesen war. Auch hatte er sogar etwas lernen können. Den Umgang mit enttarnten Lügen und der Ahnung, dass da weitere gefolgt waren, die man versucht hatte zu vertuschen.
Dann war da noch die Tatsache der fehlenden Farbe und Kleidung, die ‚Tarnung‘, wenn man so möchte, die er selbst und der ertappte Lügner zerstört hatten mit vorangegangener Erzählung und Begrüßung. Etwas, was er noch hinterfragen wollte bei einer besseren Gelegenheit.

Er hatte noch etwas gelernt: Wenn zwei, die er für sich als Freund bezeichnete, an einem Tisch saßen und sich zankten, mussten sie voneinander nicht mehr erfahren, als sie so schon wussten. Nicht durch ihn. Also entschloss er sich selbst dazu nicht ganz mit der Wahrheit rauszurücken, als die Frage aufkam, wie die Tischgesellschaft zustande gekommen war. Er beschloss einfach ganz spontan, dass es sein Gegenüber einen feuchten Kehricht anging. Genauso beschloss er, dass alles, was sein Gegenüber anbelangte, der Sitznachbarin egal sein durfte, außer sie erfragten es gegenseitig im eigenen Gespräch. Und noch etwas beschloss er, wenig später: Dass er sich diesem Theater nicht weiter aussetzen wollte. Also verließ er die zwei mit ein paar sehr direkten Äußerungen und ging zum Nachbartisch hinüber, um sich dort unterhalten zu lassen und sich zu unterhalten. Dennoch ließ er den Nachbartisch nicht aus den Augen und musste sich mehrmals die Frage stellen, was er täte, wenn es nicht beim Gespräch bliebe. Schwierig.
Auch auffällig: Als er ging war da kein Wort von Bedauern den Abend verdorben zu haben, als sie ging schon. Als er ging, zog sie eine Posse ab ihm gegenüber mit einer jahrmarktsreifen, etwas – in seinen Augen – lächerlich wirkenden Verneigung. So etwas hatte sie ihm selbst nie entgegengebracht und tat es auch dieses Mal nicht, als sie die Taverne verließ. Und was lernte er daraus? Körpersprache hatte so viel zu erzählen, es war beredter als jedes gesagte Wort in mancherlei Hinsicht. Die Augen sagen nein, der Mund sagt ja. Die Worte drückten einen respektablen Abschiedsgruß aus, die Körperhaltung verspottete es.

Beobachten und zuhören. Ganz allmählich kam ihm in den Sinn, dass die erste Lektion des Tempels eine sehr sinnvolle war, und dass sie nicht nur für die galt, die ihm im Alltag draußen begegneten, sondern auch für die, die ihm im Tempel begegneten. Womöglich war es wirklich an der Zeit selbst ein wenig unberechenbarer zu werden. Eine leicht gemachte Überlegung, an der Umsetzung würde er bestimmt arbeiten müssen, aber er für sich sah zumindest eine gewisse Notwendigkeit darin.


In jedem Menschen steckt ein Raubtier,
der geistige Käfig muss nur geöffnet werden.
(Christian Beifuss)


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Till Angerlohe





 Beitrag Verfasst am: 27 Mai 2020 11:03    Titel:
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Jede Schwärmerei ist eine seltsame Mischung von
Verstand und Unsinn, Kraft und Schwäche.
(Johann Jakob Mohr)

Das weiche, schimmernde Band, an dessen Seiten noch etwas Wachs klebte, glitt immer wieder durch seine Finger, während die andere Hand gedankenverloren daran zog. Ein sehr verklärter Blick haftete auf das Utensil, das eine Schriftrolle zuvor gehalten und umschlossen hatte. Das Siegel auf dem Wachs war gebrochen und nicht mehr zu erkennen, die Herkunft war ihm dennoch nahezu brennend bewusst. Das Papier, das davon gehalten worden war, verweilte zwischen den Seiten des Buches, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag, um es zu glätten und den Schwung aus der Seite zu bekommen, den es bekommen hatte vom Aufrollen und Fixieren mittels des Wachssiegels und des Bandes.

Das Innere war so sehr in Aufruhr und im Widerstreit, dass es den Inhalt des Briefes in Erinnerung rief und ebenso die gegebene Antwort, was für ein Zusammenpressen der Lippen sorgte. Das Gewissen meldete sich auf eine sehr unangenehme Weise und verlangte danach beruhigt zu werden.


Dir zu dienen, heißt Gehorsam zu lernen,
denn aus ihm erwächst das Vertrauen sein Leben in die Hände deiner Geweihten zu legen.

Es hätte einer Frage bedurft, einer Frage an der richtigen Stelle, ob er zum Beispiel von dem Oger hätte berichten dürfen, aber das ersparte er sich, da er glaubte, die Antwort zu kennen. Der eigene Beitrag beim Diskurs war schon gering gewesen, denn die mitgeteilte Vision sagte ja im Grunde nichts anderes, als das, was am Entstehungstag dort oben geschehen war. Der jugendliche Drang befeuerte sein schlechtes Gewissen, denn angelogen hatte er dieses Geschöpf nicht. Ihm war ernstlich daran gelegen das Problem aus der Welt zu schaffen und seinen Teil beizutragen, zugleich aber auch gebunden an Pflicht und Aufgabe, die nun einmal besagte: Zuhören, zusehen und lernen. Und nicht etwa: Ausplaudern und Weitergabe und schauen, was passiert.

Dann wurde er sich wieder des Bandes in seinen Fingern bewusst, hob es an und hielt es sich dicht unter die Nase, nur um nach kurzem Schnuppern wieder einen Blick darauf zu werfen. Es roch ganz zart nach Blüten, nicht wahr? Einen Moment später schüttelte er vehement den Kopf über sich selbst und seine Narreteien. Mit gleicher Vehemenz packte er das Band sorgfältig und säuberlich zusammengerollt in eine kleine Schachtel, nicht ohne das Wachs vorher genauso säuberlich von dem Band zu entfernen. Die Schachtel schob er letzten Endes an die hintere Kante des Schreibtisches, erhob sich vom Stuhl, beugte sich vor und schloss das Fenster hinter dem Tisch, um wenig später das Haus zu verlassen.

Bevor er das Grundstück ganz verließ, suchte er in dem kleinen Garten, den er sein Eigen nennen durfte, nach frischen Eiern ab und gönnte dem Hund noch ein wenig Aufmerksamkeit, bemüht darum ihm wenigstens etwas Benehmen beizubringen. Den Namen Fiasko hatte er sich nämlich bereits in den ersten Stunden verdient, als er im Haus gleich ein Buch zerlegt hatte. Eingebracht hatte es ihm, dass er nun draußen bleiben musste. Bislang blieb der Hund stur und verweigerte sich des Lernens. Fürs Erste gab der junge Catulus das Unterfangen auf, zumal es ihn nicht genügend ablenkte und die Gedanken noch immer zu dem Band und der ehemaligen Besitzerin hinlenkte. Auf dem Weg zum Rahaler Friedhof, dem er sich endlich einmal annehmen wollte, kamen ihm wieder die Worte der Erhabenen in den Sinn. Unrettbar verloren, nicht grüßen, und so weiter. Gleichzeitig fragte er sich, wie etwas so Schönes, scheinbar Makelloses, so voller Fehler sein konnte. Welch Ironie.
Die Reaktion des Mael’qils auf die Elfen zeigte es darüber hinaus auf und bestärkte damit die Worte der Erhabenen.

Mitten auf dem Weg blieb er stehen, kurz vor der Furt, und ließ den Blick in die Richtung schweifen, wo er den Höhleneingang wusste. Das war keine bewusste Handlung. Er tat dies mehr gedankenverloren, denn mit der Erinnerung an den Letharfen kehrte die Erinnerung zurück zum ersten Kampf gegen den Feind. Sofort kehrte das Zittern zurück, was ihn auch an dem Abend noch befallen hatte, zum Glück aber erst, als er zuhause ankam und für sich war. Da fiel jede Anspannung ab und löste damit das Zittern womöglich aus. Nach allem, was er bei seiner Mutter gelernt hatte, hielt er es für den verspätet eintretenden Schock. Mit einem tiefen Durchatmen versuchte er an dem Abend noch sich wieder zur Ruhe zu zwingen, und mit dem Gedanken daran, dass er überlebt hatte, sogar relativ unversehrt. Wirklich unversehrt? Erst jetzt kam er auf die Idee einer Bestandsaufnahme und begab sich hinunter ins Bad, wo er die schwere Kette ablegte und seinen Leib inspizierte. Prellungen, blaue Flecken, manch einer größer als der andere, aber sonst schien es ihm gut zu gehen.
Es stand drei gegen drei am Ende, wobei er nur eine davon wirklich kannte, zumindest dem Namen nach. Schon bei deren Eintreffen war die Offensichtlichkeit des Kommenden zu greifen. Da war er noch allein und in der Unterzahl gewesen. Ihm gegenüber standen zwei der temorianischen Geweihtenschaft, wobei er erst viel später gewahr wurde, dass der Vorlautere zu diesen zählte, da er kein Ornat trug, im Gegensatz zu dem anderen.
Wenig erbaut von der Idee von den beiden zur Übergabe an die Klosterwache verschleppt zu werden, war er froh, dass just in dem Moment zufällig der Mael’qil auftauchte und die Aufmerksamkeit der beiden damit ganz auf sich zog fürs Erste. Als die Zahl sich sowohl durch Lea auf der Gegenseite, als auch Auriane auf der eigenen erhöhte, dauerte es keine zwei Herzschläge mehr und der Kampf entbrannte. Zeit zum Nachdenken blieb ihm da gar nicht mehr großartig. Der einzige Gedanke, der blieb, handelte allein vom Überleben.

Er blinzelte und fokussierte das Wasser der Furt vor sich, zog die Robe hinauf und watete hindurch, um vor dem Gasthof dahinter Halt zu machen und sich dort auf die Stufen zu setzen. Er zückte sein Büchlein und den Kohlestift und begann zu notieren, sobald das Zittern der Hand nachließ:

    Wahrnehmung bei der ersten Kampfhandlung gegen die Geweihten der Temora und Anhang:

    Erstes Zusammentreffen: Unwohlsein, Beklommenheit – keine Angst.
    Fortschreitende Anfeindung: Befürchtung entführt zu werden – Angst, aber auch aufkommender Zorn.
    Eintreffen Verbündeter: Erleichterung – verminderte Angst, wachsender Zorn
    Beginn der Kampfhandlung: Angst – erstarkter Überlebenswille, vorhandener Zorn wird noch angefüttert, auch durch eigene Fluchtreflexe, die damit sofort unterbunden wurden
    Während der Kampfhandlung: Überlebenswille, Klarheit, Erfassen der Situation möglich, Unterstützung und Gegenwehr möglich
    Sieg über den Gegner: Lediglich Erleichterung überlebt zu haben, funktionieren, Emotionsleere, Erschöpfung. Auffällig: Kein Blick zu den Geschlagenen, kein Wort zu ihnen (Automatismus, keine bewusste Handlung).
    Restabend: Verdrängung.
    Heimkehr: Schockzustand, Zittern.
    Bestandsaufnahme: Prellungen, blaue Flecken

Ein paar Momente verweilte er noch an Ort und Stelle, lauschte auf die nahen Geräusche vom Bauernhof und die Gedanken kehrten schon wieder zum Schimmerband zurück. Mit leichter Verärgerung stellte er wenig später fest, dass es sich langsam zu einer unliebsamen Angewohnheit entwickelte. Das hatte er von seiner Romantik und den Träumereien. Jetzt nahm schon eine Elfe den Platz in diesen ein. Das ging wahrlich zu weit und in eine absolut unerwünschte Richtung.
Das wiederum führte dazu, dass er aufstand und den Weg zum Friedhof fortzusetzen. Was hier half, war Arbeit, denn die konnte den Geist klären und Platz schaffen für Sinnvolles. Das immerhin kannte er schon von sich. Also nahm er es in Angriff und bot der Träumerei die Stirn. Erste Stufe des Bekämpfens: Grabpflege.


Eine Angewohnheit kann man nicht aus dem Fenster werfen.
Man muss sie die Treppe runterprügeln, Stufe für Stufe.
(Mark Twain)




Zuletzt bearbeitet von Till Angerlohe am 27 Mai 2020 11:05, insgesamt einmal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 10 Jun 2020 12:42    Titel:
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Es gibt keine wirklichen Verführungen,
nur Willensuntesrchiede.
(Michael Wollmann)

Die Tage waren angefüllt davon Abschriften zu verfassen und die üblichen Pflichten im Tempel zu erfüllen, weshalb man ihn nur wenig außerhalb irgendwelcher Wände antraf, die nicht zu seinem Eigenheim oder dem Tempel selbst gehörten. Für den Moment kümmerte es ihn nicht viel, wenig vor die Tür zu kommen, dennoch räumte er sich seit einigen Tagen wieder Zeit ein, um wenigstens in den frühen Morgenstunden, nach dem ersten Gebet und der Säuberung der Tempelhallen, zum Meer zu gehen, zu der Stelle, an der er gestrandet war.
Inzwischen fielen ihm die Besuche vor Ort nicht mehr schwer, die Angst verblasste zu einer vagen Erinnerung. Auch das Betreten etwaiger Schiffe, die angelegt im Hafen lagen, machten ihm keine Probleme mehr und für den heutigen Tag hatte er beschlossen eine Schiffsreise zu unternehmen, bis Bajard. Die Fahrt war verhältnismäßig kurz und für den Erstversuch nach dem Unglück trotzdem ausreichend lang, um sich damit auseinanderzusetzen.
Um zum Schiff zu kommen setzte er den Weg nach Rahal zu Fuß fort, immer an der Küste entlang, wo er sich die Zeit nahm, um die Umgebung und auch das Meer selbst, sowie den Himmel zu betrachten. Es war nicht das beste Wetter am heutigen Morgen. Es nieselte, die Luft war feucht, das Meer unruhig, wenn auch nicht sehr aufgewühlt. Je näher er Rahal kam, desto mulmiger wurde ihm zumute, und trotzdem führten die Schritte wie von selbst in den Hafen hinein. Auch das Schiff bestieg er, zahlte die Passage und blieb oben an Deck, stellte sich steuerbords an die Reling und legte die Hände auf das nasse Holz.
„Wenn das Wetter schlechter wird, muss ich Euch aber bitten unter Deck zu gehen, Catulus“, warnte der Kapitän vor und nicht viel später legte das Schiff auch schon ab. Um der inneren Unruhe entgegenzuwirken, suchte er sich eine Taurolle, auf der er sich setzte und dennoch zwischen den Holzbalken der Reling hindurchschauen konnte, um das Meer zu beobachten. Dort zückte er sein Notizbüchlein und drehte es auf den Kopf, um die Seiten von hinten zu beschreiben. Wie stets bediente er sich auch jetzt der Kurzschrift, um seine Eindrücke, Gefühle und Gedanken festzuhalten und vor Augen zu führen. Ganz langsam ließ das mulmige Bauchgefühl nach und beruhigte sich, auch wenn zwischendrin das Rollen vom Rumpf herauf bis in die Taurolle zu spüren war. Das Auf und Ab des Schiffes wurde zwischendurch etwas kräftiger, aber dennoch durfte er feststellen, dass es ihn nicht mit Panik erfüllte. Nein, er fing an wieder Vertrauen in Besatzung und Kapitän, als auch in sein Schiff zu setzen. Als der Kapitän ihm nach einem Blick hinauf zum Steuerrad munter zuwinkte, brachte es ihn sogar zum Lächeln.
Die ganzen Eindrücke erfüllten ihn mit der Zuversicht den Kampf gegen seine Ängste gewinnen zu können. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste es auch so sein, denn erstaunlicherweise hatte er seinen ersten Kampf gegen den Feind besser überwunden, als die Schiffsreise hierher. Das war schon ein Fortschritt, den er nicht abstreiten konnte. Was also war dagegen schon eine Reise zu Wasser?

Als das Schiff in Bajard anlegte, ging er von Bord und machte sich auf den Heimweg. Von hier bis Grenzwarth war es nicht weit, und er blieb auf dem Weg darüber hinaus auch unbehelligt. Dort angekommen leerte er seinen Postkasten und fischte insgesamt drei Schreiben heraus und einen kleinen Weidenkorb. Zunächst legte er alles auf dem Schreibtisch ab, wechselte die feuchte Kleidung gegen trockene und holte sich einen wärmenden Tee, mit dem er sich sodann hinsetzte, um die Post zu sichten. Bei aller Neugier, ob des Inhalts des Körbchens, öffnete er zunächst die übrigen Kuverts und machte sich an die Beantwortung. Als er das Weidengeflecht schließlich öffnete und einen Blick hineinwarf, hob er den kleinen Flacon mit dem darin befindlichen Herrenduft mit einiger Verwunderung heraus und betrachtete die Beschriftung des Etiketts: Frauenmagnet.
Allein die Bezeichnung brachte völlige Ernüchterung mit sich, das Fläschchen fand sich auf dem Tisch abgestellt und der beigelegte Brief gelesen. Natürlich. Oh, welche Garderobe? Nicht die, die sie sonst trug, soviel stand fest. Herausforderung angenommen. Die Antwortnote war recht rasch verfasst und ebenfalls auf den Weg gebracht und das Fläschchen wanderte in die gleiche Schatulle wie das Schimmerband. Nicht etwa, weil beides den gleichen Stellenwert für ihn hatte, aber das Kästchen war etwas, was er so selten wie möglich anrühren wollte, man konnte auch sagen: Das Kästchen der Verbannung von schlechten Einflüssen. Das geschah, ohne überhaupt einmal den Kork entfernt zu haben und den Duft zu prüfen, der angeblicher Magnet sein sollte. Weder hatte er vor zu einem solchen zu verkommen, noch wollte er dem Ganzen in seinen vier Wänden Raum verschaffen.

Um sich davon abzulenken, befasste er sich lieber mit den nötigen Vorbereitungen für den Abend, wobei er sich da nur auf ein paar Zutaten beschränkte, die er übrig ließ zum gemeinsamen Vorbereiten. Einen Teil des Essens wollte er da schon soweit vorbereitet haben, dass sie nicht mehr viel damit zu schaffen hatten.
Während dieser Vorbereitungen und der damit einhergehenden Arbeit entspannte er sich wieder und ging in Gedanken seine Möglichkeiten durch damit umzugehen. Es glich alles in allem sehr gewissen Kupplungsversuchen und irgendwie kam er nicht umhin, noch immer der Verdächtigung nachzuhängen, dass er dahintersteckte. Andererseits traute er es ihr auch so zu. Mit einem Seufzen packte er die Fleischstücke nach dem Entfernen von etwaiger Silberhaut in die Marinade und stellte sie zugedeckt und geschützt in einem Topf beiseite, falls Fiasko den Weg doch hineinfand ins Haus. Der Hund kannte einfach kein Halten und besser er sorgte vor, als das alle das Nachsehen am Ende haben würden.

Seine Gedanken kehrten zu seinem „Problem“ zurück. Was wusste er denn?
- Dass ihr sehr klar sein musste, was ihm erlaubt war, und was nicht.
- Dass sie offensichtlich sehr hartnäckig darin war, in ihren Annäherungsversuchen.
- Dass sie es zwar hin und wieder reichlich plump und offensichtlich anstellte, dafür hatte der letzte Versuch aber durchaus einen gewissen Charme bewiesen.
- Dass sie sich gerne aufreizend gab.

Und was wusste er nicht?
- Ob sie es ernst meinte, oder nur mit ihm spielte, um ihn zu verunsichern und dumm dastehen zu lassen.

Gut, er wusste nicht viel und was er nicht wusste, half ihm an sich auch nicht weiter. Er verbuchte es einfach, als Vermutung zwei, was auch immer sie sich davon versprach. Einerlei: Konfrontation war sein Konzept.

Abgesehen von diesem kleinen nervenaufreibenden Dilemma, dass ihn zunehmend drohte zu verunsichern, allein schon auf Grund der Hartnäckigkeit dahinter, freute er sich auf den Abend, obwohl dieser gleichzeitig von Sorge überschattet wurde, dank der erhaltenen Absage und des vagen Inhalts des Briefs. Auf solche verstand sie sich ja, was er inzwischen äußerst enervierend fand und für sich eigentlich beschlossen hatte, sich davon nicht mehr einfangen zu lassen. Dummerweise gelang es auch dieses Mal nicht, dem eigenen Entschluss gerecht zu werden.
Da kamen ihm unliebsame Worte wieder in den Sinn, die er in letzter Zeit allzu oft gehört hatte: Du denkst zu viel nach. Wirklich? Schon irgendwie ironisch, wenn gerade solche Worte erneut zum Nachdenken anregten, nämlich darüber, ob das stimmte. Um dem Geist etwas mehr Fokussierung und Geradlinigkeit zu vergönnen, wusch er sich nach getaner Vorbereitung für den Abend, erst einmal die Hände, bereitete einen Platz vor mit Schüssel, Dolch, Tuch und Verband, den Schreibtisch danach mit Papier, Feder und Tinte. Er wollte einen Brief nach Hause schicken. Es war mal wieder an der Zeit. Außerdem hatte sich genug zugetragen und vielleicht wusste Fjore ja auch einen Rat für ihn. Für einen Moment wurde ihm nur zu bewusst, wie sehr er seine Familie vermisste, insbesondere gerade seine Brüder, die er stets mit allem hatte löchern können, was ihn beschäftigte.
Nach gründlicher Reinigung der Hände mit Wasser und Seife, nahm er Platz, griff nach dem Dolch und genoss er wenig später nahezu hingebungsvoll den Schmerz, der einmal mehr durch einen ordentlichen Schnitt in den linken Handballen hervorgerufen wurde. Der Zeit der Heilung war es geschuldet, dass der Schmerz ihm intensiver vorkam, als zu dem Moment, wo er die Lehre vor einer Weile nach sieben Tage beendet hatte. Nicht, dass es ihn störte, vielmehr verhielt es sich absolut gegenteilig, und so dauerte es auch, bis er sich der Wunde widmete, sie auswusch, mit seiner Salbe versah und verband.
Nachdem der Platz gereinigt und aufgeräumt war, nichts mehr von der Tat verriet, außer der Verband an seiner Hand, setzte er sich an den Schreibtisch, um den Brief an Fjore zu verfassen.

    Des All-Einen Segen mit dir, Honigzunge,

    ich weiß, ich melde mich spät, aber ich danke dir dennoch für deinen aufopferungsvollen Einsatz unseren Eltern gegenüber. Du kannst ihnen nun mit Freuden und Stolz erzählen, dass dein kleiner Apostel als Catulus des Tempels zu Rahal zählt. Bitte sieh mir aber nach, dass ich nicht auf Details eingehen kann und werde, was die Lehrinhalte des Tempels anbelangt. Nur soviel sei gesagt:
    Vieles ist neu, nichts ist leicht, aber dennoch erfüllt es mich zutiefst. Ich bin auch nicht allein, sondern habe einen Mitschüler dort, ebenfalls Catulus inzwischen, älter und lebenserfahrener als ich, was mir mitunter eine gute Stütze und Hilfe ist, auch wenn ich gelegentlich das Gefühl nicht loswerde, ihn mit meiner Grübelei und Nachdenklichkeit, meiner Unbedarftheit und Naivität vielleicht dezent auf den Geist zu gehen. Dem hinzufügen kann ich womöglich noch meine Unsicherheiten und die offenbar völlig unverständliche Tatsache, dass ich keinerlei sexuellen Interessen an irgendwem hege.
    In einem Anflug an Wahnsinn habe ich ihm mal gesagt, es gäbe da schon wen, der mir gefalle, und nun ergeht er sich in Mutmaßungen, wer es sein könnte. Aber immerhin scheint angekommen zu sein, dass Versuche, mich mit irgendwem zu verkuppeln, zu nichts führen.

    Fjore, hör auf zu lachen! Ich weiß genau, du lachst gerade! Das mag für Außenstehende wirklich lustig zu lesen sein, für mich ist das eine Tortur! Ich möchte von all dem nichts wissen und zu meinem größten Unglück gibt es da auch noch jemanden, also eine junge Frau, die es offenbar darauf anlegt, mich entweder in tiefste Unsicherheit zu stürzen, indem sie versucht mit mir Händchen zu halten, mir sogar jetzt eine kleine, mehr oder minder charmante Aufmerksamkeit zukommen ließ (einen Herrenduft mit dem zweifelhaften Namen „Frauenmagnet“), und auch sonst den Eindruck erweckt, mir schöne Augen machen zu wollen.
    Stell dir vor, sie war ebenfalls mal Vicaria des Tempels, und war trifft es hier wirklich, denn sie folgt nun dem Weg einer Heilerin. Eigentlich müsste sie doch wissen, wie sich das verhält. Ist es also eine fiese Prüfung? Und warum macht sie das dann nur bei mir? Oder steckt vielleicht mein Mitschüler dahinter und hat sie angestiftet? Dass sie es ernst meint, kann ich mir ehrlich gesagt überhaupt nicht vorstellen. Und du siehst mich ratlos, wie ich dem Ganzen Herr werden soll.
    Fjore, ich sage es dir noch einmal: Höre auf zu lachen! Hoffentlich steht Gerno gerade neben dir und gibt dir einen tüchtigen Schlag auf den Hinterkopf. Ich weiß, es wäre nur zu verdient!

    Schlimm genug, dass ich dir das in meiner im Grunde kindischen Verzweiflung schreibe. Eigentlich hatte ich mich mit anderen Themen in diesem Brief befassen wollen, aber es lässt mich offensichtlich nicht wirklich los im Moment.

    Eine Sache sollte ich allerdings wirklich schreiben, und sie ist an und für sich das Wichtigste, was ich mit auf den Weg geben kann. Auch wenn ich es für unwahrscheinlich halte, dass es gerade euch trifft, aber: Solltet ihr einmal Schritte hören hinter euch, ohne dass eine Tür gegangen wäre, schließt die Augen, verlasst sofort den Raum und holt euch dann Hilfe bei den Wachhabenden. Aber auch die sollten nicht sofort diesen Raum betreten. Besser für alle wäre es, wenn ihr dem Ganzen eine Stunde gebt. Das, was dort drinnen sein wird, dem könnt ihr nicht Herr werden, geschweige denn dürft ihr es ansehen.
    Tiefrote Kristalle solltet ihr ebenfalls meiden, nicht berühren, nicht hingehen, gar nichts. Verlasst diesen Ort, wo sie wachsen.
    Und wenn ihr Kreaturen seht, die eine Schwärze an sich haben, die unnatürlich wirkt, lauft. Lauft einfach sofort weg und holt ebenfalls Hilfe. Macht das nicht alleine. Sie sind wirklich gefährlich.
    Die Warnung dient allein eurem Schutz. Das dürft ihr auch gerne den anderen Dorfbewohnern in Fellsteen ans Herz legen, oder unseren Freunden außerhalb. Haltet euch bitte daran und begeht keine Leichtsinnigkeiten, ja? Ich möchte mir keine Sorgen um euch machen müssen. Nicht mehr, als ich es sowieso schon tue, allein schon deshalb, weil ihr so weit weg seid.

    Richte bitte allen meine besten Grüße und Wünsche aus und lass wieder von dir hören, oder die Familie allgemein von sich. Ich würde mich freuen und beruhigen täte es mich obendrein.

    Till

Nachdem er seinen Namen drunter gesetzt hatte, schob er den Bogen in ein Kuvert und versiegelte diesen mit einem schmucklosen Wachskleks. Eine Weile saß er dann noch still da, schaute aus dem geöffneten Fenster hinaus in den Garten und tat nicht mehr als das. Tatsächlich fokussierte er nicht einmal irgendetwas. Er tagträumte einfach, wobei der Geist tatsächlich vollständig zur Ruhe kam für diesen Augenblick, den er sich dafür nahm.
Erst danach suchte er einen passenden Boten auch für diesen Schrieb. Danach hieß es sich sinnvoll die Zeit vertreiben, bis zu den Abendstunden.

Schwer kämpft der Wille wider bess’ren Willen.
(Dante Alighieri)




Zuletzt bearbeitet von Till Angerlohe am 15 Apr 2021 08:50, insgesamt einmal bearbeitet
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Till Angerlohe





 Beitrag Verfasst am: 29 Jun 2020 11:12    Titel:
Antworten mit Zitat


Ehrfurcht vor dem Leben
ist die Grundlage aller Werte.
(Else Pannek)

Er saß zuhause auf dem Rand seines Badebeckens, unbekleidet, und versorgte die frischen Wunden, nachdem er trotz selbiger erst einmal ein langes ausgiebiges Bad genommen hatte, um all das Blut an ihm abzuwaschen. Sein vorübergehender Mitbewohner schlief bereits und er tat alles dafür, dass jener nicht wach wurde, während er sich mit seiner Reinigung und Wunderversorgung beschäftigte, denn er wollte die Zeit ganz für sich haben, die Stille und die Ruhe, um die frisch gewonnenen Eindrücke Revue passieren zu lassen, zu verarbeiten und für sich neu zu entdecken und zu interpretieren, ohne, dass ihm jemand vorgab, was sie zu bedeuten hatten, was daraus erwuchs, was es für Folgen haben würde.
Die Versorgung von Wunden an ihm selbst war ihm inzwischen zu einem Ritual geworden, dass schon fast mediativ einherging. Es war mehr oberflächlich der Fall. Reinigung und Verband, sowie der Verzicht auf weitere Hilfsmittel, zumindest im Moment. Die Gedanken hingen dabei aber bei den vergangenen Geschehnissen in der alten Tempelruine, der Ort seiner Aufnahme, der ersten Weihe.

Egal, wie heiß es draußen war, in der Ruine war es stets kühl, und obschon das Gebäude wahrlich bessere Tage gesehen haben musste, wirkte es noch immer erhaben, gewaltig und beeindruckend, besonders wenn man es zum ersten Mal betrat. Wie alles, was man öfter gesehen hatte, gewöhnte man sich an den Anblick irgendwann, sogar an das Becken, das direkt ins Auge fiel, wenn man die Ruine über den unterirdischen Gang des Tempels betrat. Die Erhabenheit blieb dennoch eindrucksvoll erhalten, das Gefühl der Ehrfurcht, das bei ihm verstärkt aufkam, wenn man diesen speziellen Teil des Tempels betrat, der eigentlich gar nicht unmittelbar zu dem Teil gehörte, den die Besucher kannten, sondern für sich genommen ein eigener Tempel war. Eigentlich. Denn an diesem Abend begleitete sie eine Besucherin, die zugleich Anwärterin des Tempels war, Anwärterin, noch nicht geweiht. Bislang war sie Ihm noch nicht gegenübergetreten und es verblüffte ihn noch immer, dass sie den Mut fand mitzukommen, ohne zu ahnen, was das bedeuten mochte. Aber hatte er es gewusst? Jain, aber vermutlich besser als sie.


Während sie alle den Ausführungen zu dem Vorhaben lauschten, gingen seine Gedanken flüchtig zu seinem derzeitigen Untermieter. Was er davon halten würde? Das was gleich geschehen würde, entsprach vermutlich mehr dem Zerrbild des Ostens, als irgendwer dort tatsächlich ahnte. Es brauchte vermutlich noch einiges an Zeit, bis dieser Mann das Verständnis aufbrachte, dass die Lebensweise im Westen keine falsche war, sondern einfach nur anders, dass die Menschen im Westen gleich waren, nur für sich einen anderen Weg beschritten, der ihnen sinnvoller erschien, der von ihrem Glauben geprägt war und nicht geleitet von vordergründigem Pomp, Glanz und Gloria.

Bevor er weiter über Amhras nachdenken konnte, wurde er aus den Grübeleien schon herausgerissen. Die Erklärungen hatten ein Ende gefunden und sie nahmen alle Aufstellung ein, zunächst für das Eingangsgebet. Ungeschult, einfach nur dem Instinkt folgend, fand er sich wenig später auf der Erhöhung unmittelbar vor dem Altar wieder, und das Ritual begann. Er erinnerte sich noch an den schweren Geruch von Nachtschatten, der nach und nach begann die Sinne zu benebeln. Im Nachhinein betrachtet war das eine Erleichterung gewesen, für alle. Die Schmerzen, die folgten, begrüßte er dennoch, da sie ihm halfen sich auf das Ziel zu fokussieren trotz des berauschten Zustands, in dem er sich irgendwann befand. Das Atmen fiel ihm irgendwann schwer, die weite Halle der Ruine schien plötzlich fern und unbedeutend, selbst der Schmerz trat in den Hintergrund, als Er den Anrufungen folgte und aus dem Becken emporstieg, um sich ihnen zu offenbaren, sich und seinen Befehl. Ein Befehl, den er an all seine Diener des Tempels entsandte, einerlei, wo sie sich gerade befanden. Und er hörte sie antworten, wie er sich selbst ebenso antworten hörte.


Er hielt einen Moment lang inne und sah zu der kleinen Pantherstatuette hinüber, fühlte erneut der Ergriffenheit nach, die ihn überwältigt hatte, als der All-Eine ihnen in der Gestalt eines übergroßen Panthers erschienen war. Der Ergriffenheit folgte Dankbarkeit, aber auch Gewissheit, dass die Wahl des Wegs nach wie vor die Richtige war. Flüchtig stellte er sich vor, was seine Mutter zu all dem sagen würde und musste schmunzeln. Er konnte sie hören, ihre Stimme, wie sie sagte: „Mein armer, armer Junge!“ und wie die Tirade danach fortgesetzt wurde. Erstaunlich, wie weit er sich schon jetzt von dem Jungen entfernt hatte, der er war, als er das erste Mal den Tempel in Rahal betreten hatte. Dabei empfand er es nicht so, als wäre viel Zeit verstrichen.

Das Ritual war ein Erfolg gewesen. Sein Brüllen, Sein Zorn, ja, Sein Hass gegen das, was die Existenz Alathairs gefährdete, war ihm in Mark und Bein gegangen und seither auch nicht wieder verklungen. Seinem Befehl, die, die die Existenz gefährden, zu jagen und zu vernichten, würden wir folgen. Es mochte schon sein, dass es dessen eigentlich nicht bedurft hätte, es mochte auch sein, dass es für uns nichts Neues war, denn nichts Anderes hatten wir bereits vor, aber die Bestärkung und die Tatsache, dass Er sich offenbar erinnerte, war dennoch ein Erfolg. Allein Ihm nahe zu sein, Ihn zu sehen, Ihn zu spüren, allein es überstanden zu haben Ihn zu rufen und erhört worden zu sein, war ein Erfolg.

Erneut erfasste ihn die Euphorie, die er auch beim Ritual verspürt hatte, als Er vor und über ihm stand, indem er sich mit den vorderen Pranken auf den Rücken der Anwärterin abstützte. Trotz aller Schmerzen und Erschöpfung, die er auch im Augenblick spürte, rüttelte diese Euphorie ihn wieder wach und brachte ihn dazu nach erfolgter Versorgung die Robe anzulegen und nach oben zu schleichen. Nach wie vor wollte er den Schlafenden nicht wecken. Die Zeit der Stille war ihm viel zu kostbar im Moment.

Sie waren danach müde, erschöpft und völlig blutbeschmiert, wie sie waren, zu Cailen gefahren. Keine Ahnung, was der Kutscher gedacht haben musste. Vermutlich verfolgten ihn noch Albträume die Nacht. Der Anblick muss wirklich für sich gesprochen haben. Dennoch musste man dem Mann zugutehalten, dass er sich nicht dazu äußerte und, sofern er entsetzt war, es gut verbergen konnte.
Im Haus angekommen hatte er sich um die Verletzungen Ysabells gekümmert, zumindest soweit es möglich war. Es wurde ihm schnell klar, dass es letztlich beim Reinigen und Verbinden bleiben würde.
Ganz so sachlich war das für Till allerdings nicht, die Versorgung, zumal die junge Frau dafür die Oberbekleidung ablegen musste, oder das, was davon noch übrig war. Die Krallen des Panthers hatten sie ordentlich zerfetzt. Immerhin wurde diskret darüber geschwiegen, dass er rot anlief.
Nach und nach fanden auch zwei weitere Beteiligte zu ihnen und es wurde noch eine Weile über das Geschehene gesprochen. Allerdings musste er sich eingestehen, da nur noch halb folgen zu können. Die Müdigkeit und Erschöpfung waren einfach zu groß, die Schmerzen konnten daran nicht einmal etwas ändern, die natürlich noch immer vorhanden waren.

Das waren sie auch jetzt noch, da er sich nach oben begeben und an den Schreibtisch gesetzt hatte. Anstatt aber etwas aufzuschreiben, wie er es sonst so gern zu tun pflegte, nahm er sich einfach einen Bogen Papier und einen Kohlestift und versuchte die Tempelruine aus der Erinnerung heraus zu skizzieren. Den Bericht würde er erst am nächsten Tag verfassen. Es war der Versuch die Euphorie zu dämpfen und dem Geist Ruhe zu geben.

Als er sich viel zu spät erst hinlegte, riss ihn die Erschöpfung direkt in einen tiefen traumlosen Schlaf. Mochten die Pflichten des Morgens warten. Sie mussten, denn der junge Catulus verschlief gnadenlos am nächsten Tag.


Ist nicht das edelste Gefühl
die Ergriffenheit.
Da ist Betroffensein
von einem Glanz umgeben
der nicht von dieser Welt sein kann.
(Priska Portmann)




Zuletzt bearbeitet von Till Angerlohe am 29 Jun 2020 11:41, insgesamt einmal bearbeitet
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