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Wie das Leben eben so spielt...
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Lingor Melia





 Beitrag Verfasst am: 30 Dez 2018 11:53    Titel: Wie das Leben eben so spielt...
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Nach Abenden wie diesem fiel ihm die Einsamkeit ganz besonders schwer. Das war zwar nicht erst so, seitdem Ayoka weg war, aber besser machte es die Situation auch nicht. Er war nur froh, dass nicht viele wussten, was wirklich in ihm vorging. Das machte es irgendwie leichter.

Doch er wollte nicht klagen, der Abend war schön gewesen. Er hatte Besuch gehabt, sie hatten viel gelacht, gut gegessen, es wurde getrunken. Und Yuklik und er hatten mit den Schwertkampfübungen angefangen. Nele war immer ein Sonnenschein und brachte Lingor zum lächeln. Und dass auch noch Christine auftauchte, macht die Runde komplett.

Doch jetzt waren alle gegangen, es war still im Haus, selbst die zwei Welpen hatten sich schon in eine warme Niesche verkrochen und schliefen. So bleib ihm nur noch, das Geschirr abzuwaschen, die Küche durchzufegen und zu Bett zu gehen. Einzig die leeren Rumflaschen deuteten noch darauf hin, welch Leben noch vor einer Stunde in diesem Haus war.

Er wollte sich ja gar nicht beschweren, es gab genug Menschen, die schlechter dran waren als er. Deutlich schlechter. Er hatte seinen eigenen Hof, sehr gute Freunde, war gesund. Man konnte eben nicht alles haben im Leben.

Früher wäre er dankbar um die Stille gewesen, die ihn jetzt umgab. Seit jeher hatte es in seinem Elternhaus Feierlichkeiten gegeben. Das gehörte mit zum guten Ton. Seine Mutter war immer sehr aufgeregt gewesen, denn bei jedem noch so kleinen Fehler wurde sie quasi in der Luft zerfetzt von der Gesellschaft. Zumindest so lange, bis sich die nächste Ehefrau einen Fehltritt geleistet hatte. Da reichte es schon, den falschen Wein zum Käse zu servieren, eine welke Blume im sonst perfekten Bouquet zu haben... oder was diesen blasierten Adel sonst noch so einfiel. Seinem Vater fielen derlei Dinge nicht auf, er war froh, wenn das Haus voll war und jeder Gast eine gute Flasche Whiskey mitbrachte.

Zumeist erstreckten sich diese Feiern über alle Etagen des Hauses, so war es schwer, sich dem zu entziehen. Und da Lingor alsbald in die Fußstapfen seines Vaters treten sollte, war seine Anwesenheit sowieso Pflicht. Also ließ er sich blicken, erwiederte mit freundlicher Miene den Plausch der Leute, nahm jedes Whiskeyglas dankend entgegen, um es dann genervt in die nächste Blume zu entleeren. Nicht nur, dass ihm das Zeug nicht schmeckte, er war sich auch sicher, dass es mit dreizehn Jahren sicher besseres zu trinken gab.

Nicht selten dauerten diese Festlichkeiten bis in die Morgenstunden an. Und dann, wenn der letzte Gast torkelnd das Haus verlassen hatte und die Hausmädchen ihren Dienst antraten, dann war seine Zeit. Die Stille, die sich im Haus breit machte, die frische Luft, die endlich durch die offenen Fenster in die verrauchten Zimmer drang und die Freiheit, aus den feinen Schuhen zu steigen, das enge Halstuch abzulegen... so einfache Dinge, die ihn wieder zum lächeln brachten.

Es war nicht so, dass er alles hasste, es war nur diese falsche Gesellschaft, diese gekünstelte Höflichkeit, die er nicht mochte. Doch sein Vater war hoch angesehen, hatte sich einen Namen gemacht, wurde respektiert und gefürchtet. Verglichen mit dem Leben im Westen Gerimors hatte er die Stellung eines Ahad. Und es war schon fast zu einfach für Lingor, um jenen gleichen Status schon bald zu erreichen, denn ein Name hatte schlichtweg am meißten Gewicht in seiner Heimat. Und er erfüllte alle Voraussetzungen, die man von ihm ewartete: Er war gebildet, eloquent, kräftig und hatte die richtige Herkunft. Die Akademie hatte ihn aufgenommen, wobei das nur eine reine Formsache war, dort einen der begehrten Plätze zu bekommen. Zudem war er der Tochter eines anderen, gleichrangigen Mannes versprochen, würde einst das Anwesen der Melias erben...

Wer also sollte ihm diesen Namen und seine Zukunft nun noch streitig machen?

Doch es kam ja nie so, wie man es geplant hatte...
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Lingor Melia





 Beitrag Verfasst am: 01 Jan 2019 22:40    Titel:
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Heute war die Stille drückender denn je. Vor allem weil er wusste, dass sie heute nicht mehr gebrochen werden würde.

Wer sollte denn noch vorbei kommen? Yuklik wohl eher nicht, Nele würde sicher auch kein Öl ins Feuer gießen. Mayra hatte immer viel zu tun, Ayoka... ausgeschlossen. Ansonsten kam ja nun mal niemand, nur um einen Plausch zu halten bei einem Glas Tee.

Sein Vater hätte nun gesagt: „Heul nicht wie ein Mädchen, reiß dich zusammen! Wie soll denn aus dir ein Mann werden!“ Deragon Melia hatte in solch einem Fall gern die Hand erhoben, um den Jungen wieder zu Verstand zu bringen. Zumindest machte er das, bis er vierzehn Jahre alt war, ab da wagte er es kaum mehr. Lingor hatte in dem Alter einen Wachstumsschub, der seines gleichen suchte und überragte seinen Vater danach fast. Und mal ehrlich, wann hatten Schläge je in der Kindererziehung geholfen?

Doch wenn Lingor es genau besah, wenn er es sich eingestand, war da doch eine Spur Selbstmitleid in seinen Gedanken. Doch auch die Erkenntnis darüber schaffte es nicht, eben jede abzuschütteln. Also was half bei schlechten Gedanken? Ablenkung!

So wurde die Küche wieder auf Hochglanz gebracht, Holz für den Kamin geschlagen, die losen Bretter des Stalls repariert. Erledigungen wurden getätigt, er füllte zwischendurch noch eine Seite seines Zeichenbuches. Und dennoch fühlte er sich rastlos.

Er hatte das schon oft gehabt, vor allem als heranwachsender junger Mann. Seiner Mutter brachte dieser Umstand meist ein ungutes Gefühl, denn was taten junge Leute, wenn sie nichts mit ihrer Zeit anzustellen wussten? Sie machten Blödsinn!

Nun gehörte es sicher zum Erwachsen werden, auch mal Regeln zu brechen und sicher wurden über Fehltritte auch mal hinweg gesehen... zumindest bei anderen Familien. Aber nicht bei einem Vater, der nichts auf Schwäche gab. Und für ihn war es eine Schwäche, wenn das Fehlverhalten seines einzigen Sohnes ans Licht kam. Anfangs erduldete Lingor noch das Echo für seine Taten, was waren schon Schläge. Doch als sein Vater merkte, dass sein Sohn immer mehr gleichgültig die Strafen für sein Handeln einsteckte, änderte er seine Vorgehensweise und bezog seine Frau mit ein. Und damit hatte er Lingor am Kragen. Dieser kranke Bastard.

Also wich Lingor aus, um Frust, Wut, Langweile, und was nicht noch alles einen jungen Mann plagte, zu kompensieren. Nicht zuletzt, um zu lernen wie man kämpfte. Die passende Ausrüstung hatte er, das Können fehlte fast noch gänzlich. Aber wen interessierte das schon, wenn der Kopf voller flimmernder Hitze war.

Hitze war es heute nicht, die ihm zu schaffen machte. Eher wollte sein Kopf nicht aufhören, über das Geschehene nachzudenken. Immer wieder kamen ihm die Worte seines Freundes in die Ohren, immer wieder sah er Neles entschuldigendes Lächeln.

Der Entschluss entsprang aus dem Moment. Er war zwar noch nie alleine in den Höhlen gewesen, aber schon ein paar Mal nun mit einer Gruppe. Was sollte schon schiefgehen, wenn er nur vorne weiter blieb. Und so trat er vom grellen Licht, vom Schnee reflektiert, in die dunkle Höhle. Würde er durch die Bewegung, die Anstrengung, das Adrenalin den Kopf frei bekommen? Oder ihn nicht mal auf den Schultern behalten...
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Lingor Melia





 Beitrag Verfasst am: 06 Jan 2019 20:53    Titel:
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„Das Leben ist ein Auf und Ab, Lingor, das wirst du auch noch merken, Jungchen!“ Das war die Aussage der Hofherrin seiner ersten Arbeitsstelle gewesen, kurz nachdem er einen Brief eines Mädchens bekommen hatte. Den letzten Brief, um genau zu sein.

Es war ja nun nicht so, dass er das nicht schon früher bemerkt hätte. Immerhin war sein Fall von der gehobenen Gesellschaft runter zu einer unbezahlten Knechtstelle auf einem Hof mitten im Nichts nicht grad ein Aufstieg. Aber er sollte im Laufe des Lebens schon merken, wie wahr diese Aussage seiner Gutsherrin war.


Trotz der Abwesenheit von Ayoka und den Träumen, die er mittlerweile deswegen hatte, war er im Auftrieb. Nicht viel, nur ein wenig, kaum merklich fast, aber immerhin ging es nicht bergab.

Nach dem Abend, an dem sein bester Freund ihm unter Androhung von Gewalt klar machte, wer zu wem gehörte, war die Ruhe auf dem Lilienhof zwar drückend, aber notwendig gewesen. Er hatte Gelegenheit, seine Gedanken zu sortieren, erledigte schon längst fällige Arbeiten und kam zu dem Entschluss, dass man über Eifersucht nun mal sehr schwer Herr wird. Und nachtragend war Lingor sowieso nie gewesen, also hakte er diese Begegnung ab.

Es war zwei Abende später, als er sich auf den Weg nach Rahal machte, mit 20 Flaschen selbstgebrauten Bieres, um an die Tür des Landsknechtes zu klopfen. Überraschenderweise öffnete nicht er, sondern seine Liebste die Tür. Er wurde herein gebeten, das Bier dankbar entgegen genommen und all der Ärger schien verblasst zu sein. Er war erleichtert.

Noch besser traf es sich, dass noch mehr Besuch erwartet wurde und es ein feucht-fröhlicher Abend wurde. Beschwingt suchte sich der junge Hofbesitzer des Nachts seinen Weg heim und schloss immernoch schmunzelnd die Tür, als er wieder daheim ankam. Auftrieb.. Aye... Definitiv!

Auch die Tage darauf blieb die Klingel am Gartentor nur selten still. Er hatte Kundschaft, Nele besuchte ihn, dann hatte er eine Verabredung mit einer jungen Frau, die er eine Woche zuvor in Rahal kennen gelernt hatte und Kochen lernen wollte.

Es war ein heiterer Nachmittag mit einer angeregten Unterhaltung und der netten Überraschung, dass sein Nachbar noch dazustieß und ihm einige wertvolle Tipps zu seinem Hof gab.

Später wurde es ruhiger. Er hatte noch etwas in Rahal zu erledigen und trat beschwingt den Weg in die Stadt an, passierte das Stadttor und hielt abrupt auf dem kleinen Platz an, der sich vor „Samt und Seide“ erstreckte. Er überlegte sicher mehr als 5 Minuten doch dann setzte er sich in Bewegung.

Als er die Schneiderei betrat, wurde ihm merkwürdig flau im Magen. Was hatte er erwartet dort zu sehen? Nichts. Und genau das war es auch, was er antraf. Eine gut eingerichtete Schneiderei ohne Schneiderin.

Er ging langsam durch den Raum, spülte noch Teegläser ab, die jemand hatte stehen lassen und sah sich um, bis sein Blick auf die Kellertreppe fiel. Wie ferngesteuert schritt er dann darauf zu, öffnete sie und ging die Stufen zum Keller hinab.

Nichts hatte sich verändert. Von der warmen Quelle im Bad ging eine wohlige Wärme aus, der Teppich unter den Füßen war weich. Die kostbaren Kleider seiner Liebsten hingen auf den Kleiderpuppen, die Hose, in der er hier genächtigt hatte, lag noch auf dem gemachten Bett. Nur die Blumen waren langsam welk geworden. Es war fast, als wär sie nicht weg, als wäre sie immernoch hier. Beim All-Einen, er würde jawohl jetzt nicht anfangen zu heulen, oder?!

Eine halbe Stunde später verließ er die Schneiderei wieder und verriegelte sorgsam die Tür. Die kühle Luft tat gut auf den warmen Wangen und ohne Umwege ging er zurück zu seinem Hof.

Es war ein Gefühl wie eine Mischung aus Sehnsucht, Verzweiflung und auch irgendwie Wut. Wut darüber, dass sie nun schon so viele Wochen ohne Nachricht fort war. Und es machte ihn nachdenklich als Nele ihm später aufzeigte, dass sie nun schon fast genau so lange fort war, wie sie auch ein Paar gewesen waren. Wie lange sollte man warten auf den Menschen, den man liebte. Und der ebenso vorgab einen zu lieben.

Das Leben war ein Auf und Ab. Eben noch beschwingt, gut gelaunt durch die nette Gesellschaft den Tag über, ging es im Sturzflug runter in ein Tief, aus dem nur schwer raus zukommen war. Wie das Leben eben so spielte...
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Lingor Melia





 Beitrag Verfasst am: 12 Jul 2019 12:48    Titel:
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Und dann gab es da ein paar Monate in seinem Leben, die Lingor als seine schlimmsten bezeichnete. Natürlich nur, wenn er den Tod seiner Eltern und den dadurch verbundenen Umschwung in seinem Leben, nicht mit bewertete.

Aber wie seine Hofherrin damals schon gesagt hatte: „Das Leben ist ein Auf und Ab“. Doch als ihm vor einem halben Jahr dieser Satz in den Kopf kam, wusste er noch nicht, wie weit Ab es gehen konnte. Und das war auch nichts, womit er sich nochmal näher befassen wollte. Was geschehen war, war geschehen und er hatte seine Konsequenzen daraus gezogen. Gewisse Leute wurden gemieden, die Entscheidungen derer wurden akzeptiert. Mittlerweile konnte er nüchtern und neutral darüber zu sprechen. Der Schmerz war vorbei, die Wut war der Zukunft gewichen.

Anfangs war das Alleinsein fast unerträglich. Er konnte das noch nie gut. Doch als nach ein paar Tagen nicht nur Ruhe auf dem Hof, sondern auch in seinem Kopf einkehrte, merkte er, dass das Alleinsein besser für ihn war, zumindest in diesem Moment. Das dumpfe, benebelnde Gefühl, das sich in den letzten Wochen aufgebaut hatte, wich langsam wieder der Zuversicht. „Zeit heilt alle Wunden“ hatte seine Mutter mal gesagt. Und so abgedroschen dieser Satz auch war, so wahr war er auch.

Ehe er sich versah, waren einige Wochen vergangen. Er hatte sich eingeigelt, war aber durchaus zufrieden mit sich und seiner Situation. Sicher hätte er gern mehr Leben auf dem Hof gehabt, aber er sah ein, dass es ihm nun wirklich nicht schlecht ging.

Und grade, als er sich damit abgefunden hatte, da kam sie. Ein neugieriger Blick ihrerseits, die bernsteinfarbenen Augen, die sich kaum mehr von ihm abwandten, dazu ein zurückhaltendes süßes Lächeln, das silberweiße Haar. Er mochte sie direkt. Und wo er zu der Zeit eher dazu neigte, Gespräche kurz zu halten und nicht viel von sich preiszugeben, so schaffte Lavea es, ihn doch wieder hervorzulocken.

Er sprach oft Einladungen zum Tee aus, doch nahmen die meisten dies eher als Höflichkeitsfloskel an. Doch sie kam wieder, nur zwei Tage später. Und dann am Tag darauf. Dann fingen die Briefe an und es wurde schon fast zu einem Ritual, morgens ein paar Minuten mehr Zeit einzuplanen, um ihr noch ein paar Zeilen zu schreiben. Oft brachte er den Umschlag selbst in den Schattenwinkel und ging dann seiner Arbeit nach, mit der Vorfreude auf Zeilen von ihr oder gar einem Besuch am Abend.

Das war nun bald schon vier Monatsläufe her. Eine Zeit, in der sie sich gegenseitig aufbauten, sich einander anvertrauten, einander Wünsche und Ziele mitteilten und nach und nach ihre Zukunft gestalteten. Sie nahm ihm seine Einsamkeit, er ihr ihre Angst, nicht genug zu sein.

Nun hatte sich der Alltag eingestellt. Sie half auf dem Hof, wo sie nur konnte, während sie ihren eigenen Traum weiter verfolgte. Er konnte sich keine fürsorglichere Frau vorstellen. Und er liebte es, sie um sich zu haben, genoss die gemeinsamen Abende vorm Kamin, die Jagden, selbst die Arbeit fiel ihm leichter, wenn sie da war. Im Gegenzug versuchte er ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Es hätte nicht besser laufen können zurzeit.

Und so lief es fortan. Langsam kam wieder Leben auf dem Hof, der Sommer war da, aus Kunden wurden Bekanntschaften, aus manchen Bekanntschaften Freunde. Jagden und Märkte wurden organisiert, sie wurden ein Teil der Gemeinschaft. Er hoffte nur, dass nach diesem großen „Auf“ nicht wieder ein „Ab“ folgen würde.
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Lingor Melia





 Beitrag Verfasst am: 22 Jul 2019 15:51    Titel:
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Sein Vater hätte ihn vermutlich grün und blau geprügelt. Nein, nicht vermutlich, das hätte er auf jeden Fall getan. Und seine Mutter hätte es wahrscheinlich nicht zugegeben, aber ihr hätte sein Hautbild mit Sicherheit gefallen. Immerhin war es kein Anker, kein Frauenantlitz, kein Totenkopf. Und Blumen hatte sie immer gemocht.

Den Wunsch nach einem Hautbild hatte er schon einige Jahre. Noch im Elternhaus wäre dies natürlich völlige Utopie gewesen, aber schon kurze Zeit, nachdem er sein Zuhause verlassen hatte, hatte sich dieser Wunsch manifestiert. Der Abstieg vom Adel zum Bauer ging schnell von statten und dadurch änderte sich auch sein Umfeld. Anstatt im Salon Whiskey zu trinken und Möchtegern-klug vor sich hin zu diskutieren, verbrachte er nun seine Abende in lockerer, zumeist heiterer Stimmung mit Männern und Frauen der umliegenden Höfe, trank Bier, rauchte guten Pfeifentabak, oft hatte einer der Männer auch seine Laute dabei. Es kam nur noch selten vor, dass er sich zurücksehnte.

Es war das Hautbild seines späteren Ziehvaters, das er besonders mochte. Es erstreckte sich von seiner Schulter über seinen Rücken bis hin zum Hosenbund und stellte einen majestätischen Adler dar. Es war so fein gestochen worden, dass man meinen könnte, der Raubvogel beobachte einen, wenn man ihn ansah. Das Bild war ein wahres Kunstwerk, gemalt auf der Haut eines Mannes. Und Lingor war sich sicher, er würde diesen Schritt ebenso gehen, sofern es jemals etwas in seinem Leben gäbe, das genug Bedeutung für ihn hatte, um es sich auf seiner Haut verewigen zu lassen.

Nun war er noch kein ganzes Jahr auf Gerimor, doch kam ihm die Zeit vor wie viele Jahre. Er hatte Freunde und Liebe gefunden, sie wieder verloren, hatte gelitten, dazugelernt, sich wieder aufgerafft. Es war ein stetiges Auf und Ab. Doch gab es da diese eine Konstante und das war sein Hof.

Er hatte den Lilienhof nun schon etwas länger als ein halbes Jahr. Das mag in vielerlei Augen keine lange Zeit sein, aber für ihn war der Hof stets ein Rückzugsort. Zudem war es das erste, seit dem Fortgang aus seinem Elternhaus, dass er sich selbst erarbeitet hatte. Er hatte sich Arbeit gesucht, hatte in seiner Knechtzeit geschuftet, hatte jede Krone, die er entbehren konnte, zur Seite gelegt. Wenn es keine Arbeit auf seinem Lehrhof gab, war er im Wald zum Holz hacken, hatte sich mit Angeln und kleinen Hilfstätigkeiten sein Einkommen aufgebessert. Ein eigener Hof war sein Wunsch geworden, seitdem er seine erste Stelle damals angetreten hatte. Zugegeben, nicht sofort, denn erst rebellierte er innerlich gegen diese immense Wendung in seinem Leben. Doch je mehr er sich an das Leben als Bauer gewöhnte, desto mehr wünschte er sich, auf eigenen Füßen zu stehen.

Lilienhof war der einzige Name, der ihm gefallen hatte. Er hatte schon immer etwas für diese besondere Blume übrig. Sie war anmutig, stolz, edel und wunderschön, doch ebenso war sie zerbrechlich und zart. Eine perfekte Metapher für viele Bereiche im Leben. So hatte er als Kind schon die weißen Liliengestecke in seinem Elternhaus geliebt, später dann die orange-gelben Blumen im Garten seiner ersten Hofherrin. Als dann auf seinem gepachteten Hof auch noch welche wuchsen, war der Name eigentlich nur noch Formsache.

Als sich das Leben auf dem Lilienhof eingependelt hatte, hatte er lange nicht mehr an ein mögliches Hautbild gedacht. Erst durch Lavea kam dieser Wunsch wieder neu auf. Er konnte nicht mal mehr sagen, wie sie einst auf dieses Thema gekommen waren, doch erzählte sie ihm, dass sie im Stande war, diese Art von Körperschmuck auf die Haut zu bringen und Lingor kam wieder ins Grübeln. Er wusste, dass sowas nicht rückgängig zu machen war, dass man ein Hautbild für den Rest seines Lebens bei sich trug. Würde er es irgendwann bereuen?

Es verging einige Zeit, in der sie nicht mehr darüber sprachen, doch in seinem Kopf wuchs die Idee immer mehr heran. Er hatte in Lavea die perfekte Person für die Durchführung gefunden. Er vertraute ihr blind, auf sie war Verlass, sie hatte Erfahrung im Stechen von Hautbildern, zudem sah ihr Eigenes absolut perfekt und professionell aus. Und auch wenn der Gedanke, ein florales Motiv zu nehmen, ihn erst unsicher stimmte, so war es doch das einzige, was für ihn wirklich in Frage kam.

Gezeichnet hatte Lingor schon immer, von Kindesbeinen an. Zwar konnte er mit Farben nicht gut umgehen, doch hatte er gelernt, durch Kohlstifte Ausdruck in seine Bilder zu bringen. So war es für ihn ein leichtes, seine Ideen für ein Hautbild zu Papier zu bringen und Mithilfe von Lavea entstand so in kurzer Zeit das fertige Bild auf Pergament, was nur noch auf die Haut gebracht werden musste.

Nun kam Laveas Part. Das fertige Bild lag schon ein paar Tage auf dem Küchentisch, aber es war Lavea, die den Anstoß gab, zu beginnen. Ihm wurde schlagartig mulmig zumute, plötzlich war er schrecklich nervös, doch war Laveas Ruhe fast schon ansteckend. Er hatte das schon oft bei ihr beobachtet. Wenn es um Dinge aus ihrem Beruf ging, um Tätigkeiten um die Heilkunde, um die Alchemie, um die Fürsorge von Patienten im Allgemeinen, hatte Lingor noch keinen fähigeren Heiler gesehen als seine Frau. Selbst in Situationen, in denen das pure Chaos herrschte, in denen die Welt in Flammen stand, in denen Lärm und Zerstörung herrschte wie auf einem Schlachtfeld, behielt sie die Ruhe und Übersicht.

Und so brauchte es nur einen beruhigenden Blick, ein sachtes Lächeln und seine Nervosität schwand. Lavea hatte alle Instrumente und Utensilien zurechtgelegt, das Bild lag daneben und wartete darauf, abgezeichnet zu werden. Seine Schulter und sein Oberarm wurde gesäubert, getrocknet, die Nadeln in Farbe getaucht… dann spürte er das erste Stechen.

Es war nicht wirklich schmerzhaft, es dauerte auch fast eine Stunde, bis es überhaupt etwas unangenehm wurde. Lavea arbeitete konzentriert und unaufhörlich weiter, stach zuerst die Konturen der Lilie, die die Mitte des Bildes zierte und schattierte diese dann. Lingor war etwas im Stuhl nach unten gerutscht, hatte die Augen geschlossen und den Kopf an die Stuhllehne angelehnt. Ein wenig mochte er das Gefühl, den sachten Schmerz, den die Nadeln immer wieder verursachten. Und dazu Laveas Stimme, als sie sich ruhig und leise unterhielten. Dann spürte er mehr und mehr, dass sie nun auch Farbe um das Hauptmotiv herum unter die Haut brachte und öffnete die Augen. Sein Blick traf neugierig auf seinen Oberarm und er war überwältigt von dem, was er dort zu sehen bekam.

Lavea hatte nicht nur einfach dort eine Lilienblüte entstehen lassen, sie hatte sie zum Leben erweckt. Es war, als reckte sich der Stempel der zarten Blüte dem Betrachter entgegen, als läge sie wahrhaftig auf seinem Arm. Dass das Hautbild nur in Schwarz- und Grautönen gehalten war, minderte Laveas Arbeit dabei in keiner Weise. Noch war sie nicht fertig, hier und da verzierte sie noch die umliegenden Ornamente und kleinere Blüten mit Details und wischte immer wieder überschüssige Farbe und Blut von seinem Arm.

Es war schon spät in der Nacht, als sie zufrieden die Nadeln beiseitelegte. Stolz -und das konnte sie wahrlich sein- beäugte die junge Heilkundige ihre Arbeit und Lingor fiel beim besten Willen nicht ein, wie er sich jemals für dieses Kunstwerk bei ihr bedanken sollte. Es war genauso geworden, wie er es sich vorgestellt hatte, nein, sogar noch etwas besser. Aber eine Idee würde ihm da schon noch kommen…
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Lingor Melia





 Beitrag Verfasst am: 24 Jul 2019 15:41    Titel:
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Dieses Gefühl, dass er seit zwei Tagen in sich trug, entzog sich jeder Logik. Und es machte ihn schon fast wütend, doch war er nicht sicher, ob es klug wäre, besser wütend als niedergeschlagen zu sein. Und so sehr sein Kopf ihm auch sagte, dass es schlichtweg keinen Grund gab, sich so mies zu fühlen, er wurde es nicht los. Und es ließ wahrlich nur langsam nach.

Er wollte an dem Abend vor zwei Tagen nur mal nach seiner Nachbarin und ehemaligen Hofherrin sehen. Seit seiner Knechtzeit waren Mayra und Lingor gute Freunde, arbeiteten zusammen, halfen sich auf den Höfen mal aus. Nun war sie seit einigen Tagen wieder da und Lingor stiefelte über die Straße zu ihrem Tor und sah die blonde Bäuerin schon auf Feld bei der Aussaat. Er wollte sich grad den Spaß machen und dennoch die Glocke betätigen, als diese schon lautstark bimmelte. Noch maß Lingor dem nicht viel Wert bei und zog trotzdem an dem kleinen Glockenseil, Mayra grinste und er trat ein.

Sie wechselten kaum zehn Worte miteinander als die Glocke wieder und wieder ertönte und kaum mehr zum Stillstand kam. Kurz darauf schwang zudem das Gartentor auf, langsam wurde es merkwürdig. Grade als beide Bauern sich der Sache näherten, sah Lingor seine Liebste nach Hause kommen, die gradewegs zum Lilienhof ging.

Immer noch an eine Art Scherz glaubend rief er sie und ging ihr entgegen. Misstrauisch beäugten alle drei die Glocke, glaubten sie mittlerweile eher an Gespenster, die kurz darauf wieder zu klingeln begann, doch diesmal erschien eine Art dunkler Nebel, der nach und nach immer mehr Gestalt annahm und schlussendlich groß und bedrohlich vor ihnen stand. Es war schwer zu beschreiben, was diese Gestalt wirklich war. Die drei Anwesenden konnten durch ihn hindurchsehen und doch irgendwie nicht, nur schemenhaft zeigte der Nebel die Silhouette eines Mannes.

Er, und sicher auch die beiden Frauen, hätte gern auf diese Erfahrung verzichtet. Es waren nicht direkt die Worte, die diese schemenhafte Gestalt sagte, sondern das, was sie mit seinem Inneren machte. Die Gestalt signalisierte der Gruppe, dass sie ihnen ihr Liebstes nehmen würde, fragte sie, was ihnen am teuersten wäre. Und als darauf natürlich keine Antwort kam, agierte der Schemen selbst.

Erst verstand Lingor dieses Gefühl des Verlustes gar nicht, als die Gestalt ihm sein Gerbermesser abnahm. Es war beklemmend und einengend, doch verband er diese Regung in sich mehr mit dem Unwohlsein, solch einer Erscheinung zu begegnen und nicht mit dem Messer. Doch als die Gestalt dann zielsicher feststellte, dass die Frau rechts von ihm -Lavea- sein Teuerstes war, zerfraß es ihn schlagartig innerlich. In ihm kam eine Angst auf, die er nie zuvor erlebt hatte. Er hätte am liebsten geschrien, das nebelartige Etwas angegriffen, hätte irgendwas gemacht, damit die Gestalt es nicht wagte, Lavea auch nur schief anzusehen. Doch wusste er -und auch Lavea bat ihn leise darum-, dass es das klügste war, nicht auf seine Frage einzugehen, nicht seine Vermutung zu bestätigen. Und wie es sich zeigte, hatte er Recht damit, denn das Wesen ließ von ihm ab.

Es waren sicherlich zwei Stunden vergangen, als das Wesen endlich verschwand und es wieder still wurde auf Mayras Hof. Doch das beklemmende Gefühl blieb. Ebenso klangen die Worte des schwarzen Nebels in den Ohren nach.

Ahad Bruchsteig musterte die Gruppe mit gewohnt kühlem Blick, als er die Aussagen der drei aufnahm. Zwar war er die meiste Zeit dabei gewesen, als die Gestalt sein Unwesen auf dem Hof trieb, doch ahnte er zu dem Zeitpunkt noch nichts von der Manipulation des Inneren der drei Anwesenden. Und so sehr sie versuchten, dafür Worte zu finden, so ganz beschreiben konnte Lingor seinen inneren Zustand jedenfalls nicht. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er panisch in seiner Tasche nach diesem fast wertlosen Gerbermesser suchte. Es hatte nichts Besonderes an sich, war eines von zwei Dutzend, die er einst gekauft hatte, um einen Vorrat zu haben. Und doch schmerzte ihn der Verlust dieses kleinen Gegenstandes enorm und er konnte sich vorstellen, dass es Lavea und Mayra da ähnlich ging mit ihren Dingen, die ihnen genommen wurden.

Es war spät geworden, nachdem der Ahad sich wieder nach Rahal aufgemacht hatte. Er fühlte sich zwar weiterhin angespannt, aber auch unendlich erschöpft. Es fiel ihm schwer, seine Gedanken beisammen zu halten, selbst die Erinnerungen an schöne Dinge brachten ihm nicht die Freude, die sie sonst auslösten. Lächeln fiel ihm schwer. Einzig, dass er seine Lavea in seine Arme schließen konnte, beruhigte ihn etwas.

Immerhin schlief er die folgende Nacht wie ein Stein, doch am nächsten Morgen war der Schmerz des Verlustes noch immer deutlich spürbar. Lavea versorgte noch das frisch gestochene Hautbild, er nahm sich was zu Essen mit, als er den Hof verließ, doch bei der Sache war er den Tag kaum. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu der Erscheinung am Vorabend, immer wieder wiederholten sich dessen Worte in seinem Kopf. Warum nur hatte sich diese Gestalt ausgerechnet Mayra, Lavea und Lingor ausgesucht? War irgendwas an ihnen, das jemanden entzürnen konnte?

Als am Abend zu den Waffen gerufen wurde, um im Donnerholm nach dem gestohlenen Baumaterial zu suchen, war er dankbar für die Ablenkung. Doch bei der Sache war er nicht. Immer wieder fühlte er dieses beengende Gefühl in der Brust und so sehr auch sein Kopf dagegen anredete, er wurde es nicht los. Wenigstens brachte die Aktion dort ein wenig Abwechslung in seine Gedanken und als er dann noch Lavea half, Auriane zu versorgen, nachdem sie verletzt wurde, dachte er tatsächlich einige Zeit nicht mehr an die neblige, schwarze Gestalt. Und er hoffte einfach nur, dass der nächste Tag Linderung brächte.


Zuletzt bearbeitet von Lingor Melia am 23 Sep 2019 08:03, insgesamt einmal bearbeitet
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Lingor Melia





 Beitrag Verfasst am: 06 Okt 2019 17:00    Titel:
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Leise schloss er die Tür seines Hofes und lehnte sich dagegen. Noch lächelte er. Doch brauchte es nur wenige Sekunden, bis die drückende Stille sich in den Leib des jungen Bauers geschlichen hatte. Das Lächeln schwand und damit auch der gesamte Abend, den er soeben verlebt hatte.

Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er den Blick nach rechts warf, zum zugebauten Durchgang in die Heilerstube, die noch nie einen Patienten gesehen hatte. Der Blick nach links in die Küche zeigte, dass wieder das große, gebundene Buch dort nicht lag. Seine Laune war dahin.

Er wusste schon nicht mehr, wie viele Wochen es nun waren, aber es machte einen großen Teil ihrer gemeinsamen Zeit aus, dass sie nun fort war. Doch war es mittlerweile schon so weit, dass er seine Tage ohne sie plante. Wie sollte er auch anders. Wo er in den ersten Wochen noch hoffte, sie würde kurzerhand noch auftauchen, so ergab er sich dieser Hoffnung gar nicht mehr. Er hatte die Hochzeitsvorbereitung alleine gemeistert, die Feier alleine durchgestanden, sämtliche Termine im Reich alleine wahrgenommen.

Letztendlich kannte er es nicht anders, denn er war, bevor er nach Gerimor kam, immer auf sich gestellt. Klar hatte er Arbeit und ein Dach über dem Kopf, aber letztendlich war er immer für sich alleine verantwortlich. Warum sollte er das also jetzt nicht mehr hinkriegen?

Oder redete er sich eine ausweglose Situation nur schön? Er hatte das alles schon durchlebt. Auch damals war seine Partnerin ohne ein weiteres Wort einfach gegangen. Kein Brief, keine Erklärung. Zog er sowas magisch an? Was war an ihm falsch, dass ihm das nun ein zweites Mal passierte?

Doch so mies er sich abends alleine auf dem Hof fühlte, umso besser wurden nach und nach die Tage. Er hatte in Düstersee mittlerweile wirklich gute Freunde gefunden und war um jeden Besuch dankbar. Dazu gab es im Reich viel zu tun, was dem Gemeinwohl Alatariens zugute kam und ihm ordentlich Ablenkung brachte.

Der Entschluss kam nicht von heute auf morgen, nein, nicht mal innerhalb einer Woche. Aber er hatte das Gefühl, dass das erste Saatkörnchen schon zu Finchens und Alberts Hochzeit gesetzt worden war. Und nun keimte dieses Körnchen, bekam jeden Tag ein Glas Wasser und ordentlich Sonnenschein, um zu wachsen und zu gedeihen, wurde größer und vertrieb alles andere um sich herum.

War ein Ende mit Schrecken wirklich besser als ein Schrecken ohne Ende? Zeitweise dachte er sich, er könne vielleicht damit leben, doch war es fair von ihr? War er es nicht ebenso wert, dass man sich um ihn bemühte, so wie er es immer getan hatte?

Denn dann war da die gegenteilige Seite. Eben jene Menschen, die ihm zeigten, dass er dazugehörte, dass er wichtig war und ihnen am Herzen lag. Und insbesondere Lille hatte da die genau richtigen Worte für ihn, als es wieder Abende gab, an denen die Melancholie mit ihm durchging. Sie hatte Antworten auf die Fragen, die er sich seit Wochen stellte und die ihn innerlich auffraßen. Zwar würde er nie im Leben seine Partnerin betrügen, doch tat es gut, ein offenes Ohr und Zuwendung gefunden zu haben. Doch was ihm wirklich fehlte, bekam er so nicht. Nicht so lange sie fort war. Er war nicht der Typ Mann dafür, sich Trost bei einer anderen zu suchen, um so der Wirklichkeit zu entfliehen. Das war nicht seine Art und Lilles letztendlich auch nicht.

Es waren die Worte, die er an dem Abend, als der Drachen getötet wurde, an Shianna gerichtet hatte. „Sie kommt sicher bald wieder“, hatte die junge Schmiedin ihm hinterhergerufen, vermutlich waren die Worte tröstlich gemeint, denn sie hatte sicher gemerkt, wie rapide seine Laune umgeschwungen war, als sie ihn auf seine vermeintliche Partnerin ansprach. „Bezweifle ich sehr“ hatte er entgegnet, ohne groß darüber nachzudenken, quasi schon im Weggehen.

„Bezweifle ich sehr.“ War das seine Ansicht, sein Bauchgefühl, seine Meinung? Oder entsprang dieser Satz nur aus dem ständig präsenten Frust, dass er ohne auch nur eine kleine Zeile scheinbar mal wieder verlassen worden war?

Da war eine Menge Wut gewesen, eine Zeitlang, an einzelnen Tagen. Das zeigte sich sogar in den Briefen, die er ihr jeden Tag schrieb, zumindest in den ersten Wochen. Da gab es ein paar stumpfe, teilweise garstige Zeilen, für die er sich am nächsten Tag entschuldigte. Doch auch die Briefe hatte er eingestellt, nachdem sie zum zweiten Mal gegangen war.

Der Weg führte ihn heute nicht direkt ins Schlafzimmer, sondern er setzte sich in die Küche. Bei schwachem Kerzenschein nahm er sich einen der Papierbögen aus der Kommode und das Tintenglas mit dazu. Und doch starrte er sicher eine volle Stunde auf das leere Blatt, ehe er die Feder ansetzte.



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Es graute der Morgen, als er das Siegel in den heißen Wachs drückte. Der Brief war nicht lang, doch das hätte ihr sicher auch keinen Trost gebracht. Er hatte sich kurzgefasst, ihr geschrieben, dass er auf diese Art nicht weitermachen konnte, dass er für die gemeinsame Zeit dankbar war und sie nicht missen wolle. Und dass er sicherlich irgendwann wieder bereit dazu wäre, sich wiederzusehen...
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Lingor Melia





 Beitrag Verfasst am: 16 Dez 2020 15:50    Titel:
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Er war schon etwas nervös, wenn er an den morgigen Abend dachte, doch überwog die Vorfreude. Er hatte das meiste schon fertig, es fehlten nur noch die Decken, die er beim Schneider in Auftrag gegeben hatte. Und der Garten musste noch umgestaltet werden. Das würde er am Abend angehen und er wusste jetzt schon, dass es wohl länger dauern würde, als er geplant hatte. Aber dafür würde es sicher ein nettes kleines Zusammensitzen geben.

Er erinnerte sich noch an den Tag vor genau zehn Jahren. Der 16. Alatner 253. Sein 15. Geburtstag. Sein Vater hatte sich zu der großen Gefühlsregung herabgelassen, ihm auf die Schulter zu klopfen. Das war es dann auch. Seine Mutter hingegen drückte ihn herzlich, wünschte ihm alles Liebe fürs nächste Lebensjahr. Sein Lehrmeister schenkte ihm ein neues Schwert, mit seinen Initialen, edel verziert über die gesamte Klinge. Es wurde zudem ein großes Fest gegeben, allerdings mehr der Außenwirkung wegen und nicht seinetwegen. Und er war froh drum, als er in den frühen Morgenstunden in seinem Bett lag und der Tag passé war. Solche Geburtstage brauchte er sicher nicht wieder.

Das war allerdings nicht der Anlass für das Hoffest. Er erinnerte sich noch an das Fest in der Handwerkszunft, direkt an dem Tag nach der Zeit der Entbehrung, auch der 16. Alatner, vor zwei Jahren. Es war unglaublich viel los, absolut jeder seiner Freunde war damals da. Bis auf seine Partnerin, die er den Tag zuvor das letzte Mal gesehen hatte. Wusste er damals allerdings nicht. Die Feier war ausgelassen, es wurde getrunken, viel gelacht, am Ende gab es ein Tauziehen, bei dem er und drei andere Männer seiner Statur erbarmlos einer Gruppe Frauen unterlagen. Und dennoch war er beschwingt nach Hause gegangen, war für einen Abend seiner Agoraphobie entkommen.

Er hoffte nur, dass morgen alles gut gehen würde. Lille war eigentlich diejenige, die gut im Organisieren war. Und es war schwierig, an andere, erfolgreiche Veranstaltungen anzuknüpfen. Doch er war sich sicher, dass alleine Smulas und Leos Darbietung ein Lächeln auf die Gesichter aller Anwesenden zaubern würde. Wenn nun der Schnee noch endlich liegen bleiben würde, wäre der Abend mit den Lagerfeuern und Kohlebecken sicher ein Erfolg. Und wenn das nicht half… ein Abend unter Freunden hatte ihn noch immer aufgebaut.

Vermutlich war das sein größtes Problem: die negative Einstellung. Er sah nur die Abende, an denen er alleine auf dem Hof war. Aber nicht die, die er mit seinen Freunden und seiner Tochter verbrachte. Sah nur die ewige Kälte im Winter, aber nicht, dass ihm der Sommer dutzende wunderbar-warme Wochen gebracht hatte. Fühlte nur die Nierenschmerzen, erfreute sich aber nicht an seiner ansonsten einwandfreien Gesundheit. Diesen Abend würde er nutzen. Er würde positiv in die Zukunft schauen. Es war dringend an der Zeit, schlechte Angewohnheiten abzulegen.
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Lingor Melia





 Beitrag Verfasst am: 08 März 2021 14:40    Titel:
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Und da war sie wieder. Die plötzlich aufkeimende Panik, die ihn ergriff, als er das Stimmengewirr hinter der Tür hörte. Ja, er hatte damit gerechnet, dass einige hochrangige Leute da sein würden, aber so hörte sich die Geräuschkulisse wie ein Bienenschwarm an, zusammengesetzt aus Millionen von Stimmen, die monoton und leise vor sich hin summten, in der Summe aber so laut wie ein Dutzend Marktschreier in ihren besten Jahren.

Aber es gab kein Zurück. Er musste nun den schmalen, beinernen Knauf drehen und diesen Raum betreten. Die Blicke aller würden sich auf ihn richten, die Damen würden knicksen, die Herren sich verbeugen, zumindest ein Großteil von ihnen. Danach würden hier uns da ein paar Gespräche folgen, ein wenig leichte Konversation, es würden Komplimente ausgetauscht und vor allem wurde viel getrunken. Irgendwann würde er in der Menge untergehen. Aber bis dahin mussten noch ein paar Stunden vergehen.

Also strich sich der junge Krieger die kurzen Haare zurück, einmal stärker hob sich der Brustkorb unter dem feinen Hemd aus Seide und der goldbestickten Weste. Er brauchte ein paar Sekunden, um ein Lächeln aufzusetzen. Angespannt tippten seine Finger an den Daumen der gleichen Hand, immer der Reihe nach, im gleichen Rhythmus, bis er beide Hände kurz zu Fäusten ballte, die Rechte an den Knauf legte, die Tür aufschwang und ihm das helle Licht aus dem großen Salon entgegenflutete, gepaart mit dem schweren Qualm von Zigarren und leiser Musik einer Violine.


.-~*+*~-.


Es hatte nicht die gleiche Wirkung und ebenso wenig die gleiche Intensität, doch erinnerte er sich an solche Momente seiner Jugend, wenn ihm Situationen wie am gestrigen Abend begegneten. Der erste Impuls, dem Wunsch der Flucht nachzugeben, schwand allerdings, als er an Jyn dachte. Und an das Strahlen ihrer Augen, das er sehen würde, wenn er ihr die Bücher gab, die er ihr ertauscht hatte.

Und dennoch war es Überwindung, den Schlüssel im Schloss zu drehen und den Raum dahinter zu betreten. Zwar flutete ihm kein grelles Licht entgegen, doch richteten sich vier Augenpaare auf den Bauern, bei zweien davon folgte direkt ein erfreutes Lächeln.

Und doch war der Punkt für ihn noch nicht überwunden. Zu gerne nur hätte er Jyn das Päckchen nur hingelegt und wäre direkt wieder gen Lilienhof aufgebrochen. Es war alleine Jynelas Verdienst, dass er über seinen Schatten sprang und blieb.

Situationen wie diese waren für ihn unglaublich kräftezehrend. Er wusste selbst, dass er sich völlig irrational verhielt, dass diese Panik nur in seinem Kopf war. Er wusste auch, dass nicht viel passieren konnte, wenn er in einen Raum voller Menschen trat. Im schlimmsten Fall störte er und wurde gebeten zu gehen oder waren Personen anwesend, die ihn nicht mochten. Und doch lag er noch spät wach und horchte in die Stille des großen Hauses hinein, hoffte auf ein Knarzen des Holzes der Treppe ins obere Stockwerk oder Gläser klirren aus der Küche.


An sich war der Abend nicht mal etwas Besonderes gewesen. Ein Treffen mit Freunden, wie es fast täglich der Fall war. Und auch das wusste er oftmals schon, bevor die Panik von ihm Besitz ergriff und er dagegen arbeitete. Dennoch brauchte es immer wieder den ‚Tritt in den Hintern‘, um die nächste kleine Hürde zu nehmen. Er wollte es auf keinen Fall wieder soweit kommen lassen wie vor gut einem Jahr.

Dazu gab es für ihn Menschen, die ihn erdeten, die es ihm erleichterten, mit gewissen Situationen umzugehen. Es war gerade mal eine Handvoll an Personen, die das schafften, doch nur zwei von ihnen wussten von den wirklich tiefgreifenden Phobien, die ihn begleiteten. Die Agoraphobie war nur eine von ihnen. Jynela und auch Lilyth waren in dieser Situation sein Anker, auch wenn das vermutlich nur Jyn bewusst war. Und er war beiden dankbar. Das große Vertrauen, das sich in den letzten Wochen und Monaten zu beiden aufgebaut hatte, beruhigte ihn in wenigen Minuten. Sein Herzschlag verlangsamte sich wieder, er hörte sein eigenes Blut nicht mehr in seinen Ohren. Und dann brauchte es auch nur einen Blick in Jynelas himmlisch blaue Augen, dass sich das unwohle Grummeln im Magen in wohlige Schmetterlinge verwandelte und sich sein Herzschlag auf angenehme Weise wieder erhöhte.

Damals war seine Mutter seine Erdung gewesen, dabei war sie sicher keine so starke Persönlichkeit wie es Jynela und Lilyth waren. Doch hatte Lingor zu ihr immer ein besonderes Verhältnis gehabt, beiderseitig hatten sie sich immer wieder geholfen und aufgebaut, so gut Lingor das mit seinen jungen Jahren konnte.

Doch so gerne er an sie zurückdachte, umso dankbarer war er nun für sein jetziges Leben. Selbst wenn er die Chance bekommen würde, sein Leben noch einmal zu leben, vielleicht doch den Weg des Ritters einzuschlagen, er würde doch immer wieder hier landen wollen, auf dem Lilienhof, mit den Menschen, die ihn erdeten, nicht zuletzt mit Jynela und Lilyth, auch Waljakov und Till schafften das.

Und dann waren da noch so viele andere Personen, die er nicht mehr aus seinem Leben streichen wollte. Thyra, Aresh, Isa, Elisa, Rilytia, Lennart, Leo, Distel und natürlich allen voran seine Tochter Smula waren aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken. Vielleicht war es mal wieder an der Zeit, alle unter einen Hut zu bringen, jetzt, wo der Schnee fast gänzlich weggeschmolzen war.

Es war schon spät, als er den zweiten Versuch unternahm, in den Schlaf zu finden. Der nächtliche Ausritt nach Rahal hatte gut getan. Und es waren eben Gedanken an die ihm wichtigen Menschen, die das große Haus gleich weniger still wirken ließen.
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Lingor Melia





 Beitrag Verfasst am: 05 Jun 2021 16:06    Titel:
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Er wusste selbst nicht so recht, was momentan mit ihm los war. Es war nun nicht so, dass er sonst vor Selbstbewusstsein strotzte, aber er war ansich recht zufrieden mit sich.

Doch nicht nur in den letzten Tagen, nein, wenn er länger darüber nachdachte waren es sogar Wochen, hatte sich eine Unsicherheit abgezeichnet, die sich wie ein roter Faden durch seinen Alltag zog und mittlerweile seinen halben Freundeskreis betraf. Er hörte die Stimmen von Waljakov, Aresh, Arrigal und Elisa fast im Chor: Lingor, du machst dir zu viele Gedanken.

Doch wie könnte er zurzeit nicht? Es war einiges passiert, was ihm lange im Kopf rumschwirrte. Das meiste davon konnte durch Vier-Augen-Gespräche oder gar durch einen Brief gelöst werden, doch manches blieb einfach. Manche Dinge ließen sich nicht klären, waren doch die Meinungen zu unterschiedlich. Es blieb nur noch, die Konsequenz daraus zu ziehen und das hatte er. Er hasste ungeklärte Dinge.

Und dazu kam nun diese Unruhe, die in den letzten Tagen mehr und mehr Besitz von ihm ergriff. Immer wenn ein Gespräch auf die anstehende Schlacht wechselte, spürte er die eigene Nervosität. Es war ja nicht einmal die Angst, nichts leisten zu können, auch nicht die, verletzt zu werden. Er hatte nur Angst, dass es nicht reichen würde. Dass er nicht zur rechten Zeit am rechten Fleck wäre, um zu agieren, um zu helfen, um Schlimmeres zu verhindern. Wie er es schon einmal nicht geschafft hatte.

Er hatte in den letzten Tagen viel Zeit in den Höhlen verbracht, seine Fähigkeiten an der Axt und dem Bogen trainiert, mehr Muskeln aufgebaut und Taktik gelernt und dennoch hatte er das Gefühl, dass es nicht ausreichen würde. Und nun rückte die Stunde des Kampfes immer näher. „Du hättest einfach früher anfangen sollen, Lingor!“ hallte ihm seine eigene Stimme entgegen. Nur dafür war es jetzt zu spät. Das Akademiewissen über den Zweikampf würde ihm hier nichts nützen.

.+*+.


„Du bist eine einzige Enttäuschung! Geh mir aus den Augen!“ In der Stimme seines Vaters hätte kaum noch mehr Verachtung mitschwingen können. Lingor war mittlerweile 16 Jahre alt und es störte ihn nicht einmal mehr, nicht den Anforderungen des Ritters entsprechen zu können. Er wollte sich und seine Mutter nur noch einigermaßen heile aus dieser Situation herausbringen. So heile das jetzt, nach all den Jahren, halt noch möglich war.

Doch dieser Satz war ihm nicht immer gleichgültig gewesen und als Kind war es ihm mehr als schwergefallen, nicht zu zeigen, wie verletzend diese Worte für ihn waren. Das war der Moment, an dem Deragon Melia triumphierte. Lingor verstand bis heute nicht, wie ein Mensch bei so Etwas innere Befriedigung empfinden konnte, ob es nun ein Kind betraf oder einen heranreifenden jungen Mann. Zumindest hatten beide immer alles gegeben, um den hohen Ansprüchen, die an ihn gestellt wurden, gerecht zu werden. Und so war Lingor Melia noch heute. Bemüht, doch sicherlich nicht fehlerfrei. Und noch immer voller Selbstzweifel.

.+*+.


Ihm war durchaus bewusst, dass die lockere Bemerkung, die vor ein paar Tagen gefallen war, nur scherzhaft gemeint war und dennoch hörte er direkt wieder die Stimme des Ritters in den Ohren.

Aber vielleicht war das Leben so? Vielleicht konnte man halt nicht alles richtig machen. Wenn man das verinnerlichte, könnte jeder eine Menge seiner Probleme lösen, aber war es die Wahrheit? Wenn er sich in seinem Freundeskreis umsah, sah er nirgends derart viele Schwächen, wie er sie hatte. Was also machte er falsch, dass er so oft der Art daneben lag. Es war doch irgendwie zu einfach, das auf seinen Vater zu schieben, schließlich war das bald zehn Jahre her. Er war nun für sich selbst verantwortlich.

Ihm war bewusst, dass er von jetzt auf gleich nichts an seiner Situation ändern würde können. Gesagt zu bekommen, enttäuschend zu sein, würde ihn nicht umbringen. Vielleicht würde es nach der Schlacht besser werden, wenn er wüsste, dass alle, die ihm was bedeuteten, mit heiler Haut aus dem Gefecht gekommen waren, wenn die Gefahr gebannt wäre. Vielleicht würde er dann wieder ruhiger werden. Vielleicht öffnete das aber auch nur die Pforte zu all den anderen Empfindlichkeiten, wie der Vicarius es nannte. Eben jene, die zuletzt zu vielen Diskussionen geführt hatten, weil er schlichtweg zu viel nachdachte.

Es war nun an ihm einen kühlen Kopf zu bewahren und sich an die zu halten, bei denen er geerdet wurde. Also machte er sich auf in den Norden der Hauptstadt. Die Schlacht stand bevor. Er musste einen kühlen Kopf bewahren.


Zuletzt bearbeitet von Lingor Melia am 15 Jun 2021 15:16, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Lingor Melia





 Beitrag Verfasst am: 14 Jun 2021 17:56    Titel:
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Das Nasenbluten dauerte an. Und es störte ihn nicht im Geringsten.

Der Schlag auf die Nasenwurzel erfolgte erst spät in der Schlacht. Er hatte sich kurz in einem wabernden Netz aus tiefroten Kristallen wiedergefunden, den Überblick verloren und sah sich um, nach Jyn, nach Lil, nach Waljakov, nach Aresh, doch vor allem auch um die Orientierung wiederzufinden. Dieser kleine Moment der Unachtsamkeit reichte und in der gleichen Bewegung, in der sich der junge Bauer umdrehte um sein nächstes Ziel anzuvisieren, spürte er den Schlag knapp unterhalb der Augen und sah kurz nur rotes Flimmern, ehe er zu Boden ging. In dem Moment wurde alles still. Er hörte sein eigenes Herz, seinen eigenem Atem, sah die eigenen, zumeist dunkelgekleideten Kampfgefährten, hier und da gespickt von Kriegern in goldblauer Rüstung. Der Geschmack von Metall verbreitete sich in seinem Mund und ehe er noch weiter verschnaufen konnte, wurde er grob am Mantel hochgezogen, sah in die dunklen Augen des Heilers, wurde grob versorgt und zog direkt den nächsten Pfeil.

Diese ganze Szene hatte sicher nicht länger als eine halbe Minute gedauert und doch hatte er seine Umgebung wahrgenommen, als säße er ewig dort. Im nächsten Moment surrte ein Pfeil vor seiner Nase her, perfekt gefiedert, versehen mit einer gläsernen Spitze, die gefüllt war mit Flüssigkeit. Sein Kopf ruckte direkt zum vermeintlichen Schützen und er grinste kurz -was aufgrund des Nasenblutens ohne Maske vermutlich skurril ausgesehen hätte-, als er seine Gefährtin ausmachte, die flink und in ihrem Element ein Pfeil nach dem anderen auflegte.

Man konnte nicht sagen, dass alles so schnell zu Ende war, wie es begonnen hatte, denn Anspannung, Vorbereitung und nicht zuletzt die Angst hatten nicht nur den Abend, sondern die letzten Tage stark in die Länge gezogen. Er hatte, wie die Woche zuvor, die Verabredung mit Jyn getroffen, dass sie sich noch einmal sahen, bevor sie ihren Dienst antrat. Morgens hatten sie es sich gegönnt, nicht mit den Hühnern aufzustehen, entgegen aller Gewohnheiten. Sie hatten lange zusammen gefrühstückt, Zweisamkeit genossen und er hatte noch seine rettende Massage bekommen, damit er sich uneingeschränkt in der Schlacht bewegen konnte. Seine restliche Zeit hatte er sich mit Arbeit verkürzt, hatte seine Ausrüstung nochmal kontrolliert und hatte etwas erledigt, das er schon länger hätte tun sollen. Seine Gedanken kreisten immer wieder um dieses Thema, doch den richtigen Anstoß hatte es damals dafür gegeben, als Jynela ihres schreiben musste. Ein Testament.

Er hing nicht wirklich an vielen Dingen und die wenigen, die ihm am Herzen lagen, hatten einen reinen emotionalen Wert denn einen materiellen. Nur ein paar wenige Stücke sollten den Besitzer wechseln, sollte er den kommenden Abend nicht überstehen. Doch noch wichtiger war für ihn, und er war sicher, dass das geschehen würde, dass seine Tochter versorgt wäre, im Falle des Falles.
Der Federkiel kratzte eine Weile über das feine Papier, hinterließ Zeile um Zeile in sauberer Handschrift, in denen seine Zeichenbücher erwähnt wurden, der Siegelring, den er erst kürzlich erhalten hatte, das Rezept für einen speziellen Blaubeerrum, zwei seiner Klavichord Partituren, sowie das Klavichord selbst, eine Menge Blumen und ein paar wenige andere Dinge. Zu allem hatte er ein paar Zeilen verfasst, natürlich an wen diese Dinge gehen sollten, doch vor allem auch das Warum und was Lingor damit verband.

Es war später Mittag, als er nach Düstersee aufbrach. Er wusste, dass es nicht leicht würde, ein kleines Mädchen zu beruhigen, das gerade erst ihre Mutter im Krieg verloren hatte. Und als die ersten Tränen flossen und sich Smula an ihren Pali klammerte, schluckte er schwer und kämpfte selbst mit den eigenen. Dennoch musste er nach einiger Zeit aufbrechen, es gab noch viel vorzubereiten. Nur noch wenige Stunden, bis er auf dem Platz der alten Angurenfestung stehen würde.
Er hing seinen Gedanken nach, als er noch einmal eine Hofrunde drehte, ein paar letzte Handgriffe tat. Da waren die Erinnerungen an unzählig viele schöne Abende auf diesem Flecken Land, verschiedene Feste, innige Gespräche, geschlossene Freundschaften, die Luft erfüllt von Musik. Auf der anderen Seite gab es da allerdings auch Ereignisse, an die niemand gern weiter denkt, aus denen er aber immer gestärkt hervorgegangen war. Alles in allem hatte er auf der Hofweihe genau das genannt, was ihm am Herzen lag: Ein Zuhause, eine Heimat, eine Gemeinschaft. In Jyn hatte er neue Liebe gefunden, ein tiefes Empfinden, das ihn aufbaute, ihn stärkte und vorantrieb, an dem er festhalten konnte. Er hatte seine Zukunft, seine Ziele wieder vor Augen. Dadurch fiel es ihm immer leichter, seine Probleme, die vielen kleinen Störungen, die ihn einschränkten, nach und nach in den Griff zu kriegen.

Auch an das Leben vor Gerimor dachte er, an die beiden Höfe, auf denen er lange gearbeitet und notgedrungen sein Leben geändert hatte. Wie er das Kriegerdasein abgelegt und dafür neue Perspektiven erhalten hatte. Es war eine Zeit des Wandels, dazu zumeist eine sehr einsame, denn wahre Freundschaft erfuhr er erst so viel später. Und er fragte sich, ob er etwas bereute.

Als er das versiegelte Testament später auf den Küchentisch legte, lächelte er. Er dachte an all die Menschen, die nun in seinem Leben waren und die in dem Schreiben bedacht wurden. Er war dankbar dafür, so angenommen zu werden wie er war und für das Vertrauen, das man ihm entgegenbrachte. Ein Leben mit Jyn an seiner Seite, mit der süßesten Tochter der Welt, mit engen Freunden wie Lilyth, Waljakov und Eli, das war etwas, das er sich zu seiner Knechtzeit nach dem Verlassen seines Elternhauses nicht mal vorgestellt hatte. Doch wer viel hatte, konnte viel verlieren. Das würde sich heute Abend zeigen.

Er hatte die Rüstung schon angelegt, die Schwertgurte saßen, die Axt baumelte griffbereit an seiner Seite als er die drei Stufen in den Garten nahm und sein Blick auf Jyn fiel, die in Uniform und ihm den Rücken zugewandt, am Gartentor stand und fassungslos in den Himmel schaute. Schnell erkannte er, was dort ihre Aufmerksamkeit erregt hatte und nach wenigen Schritten war er bei ihr. Er hatte sich den Abschied von seiner Frau eigentlich anders vorgestellt, wollte ihr noch einige Worte sagen, das Testament erwähnen, sie küssen, sie an sich drücken, auch wenn er wusste, dass lange Abschiede nichts änderten. Doch wollte er nicht bereuen, irgendetwas nicht gesagt zu haben. Nun reichte schlichtweg die Zeit dafür nicht mehr. Er sah ihr das Bedauern und ihre Unruhe an, als ihr Blick wieder und wieder zur Kommandantur nach Rahal huschte. „Ich liebe dich. Immer.“ waren ihre Worte, ehe ein rascher Kuss folgte und sie zur Hauptstadt sprintete, während die ersten, grellroten Blitze um sie herum einschlugen.

Es fiel ihm schwer, den Blick von der verschwindenden Silhouette der Liebsten zu nehmen und auch der letzte Blick auf sein Zuhause war länger, als er es sich eigentlich gönnen durfte. Doch dann funktionierte er nur noch. Er half bei der Evakuierung der Stadt, stand parat Seite an Seite auf dem Angurenplatz, marschierte mit zum Pantherdenkmal und nahm alle Kraft zusammen, um die letzte Schlacht zu bestehen.


.+*+.



Als er Stunden später die Tür zum Haupthaus leise schloss, lehnte er sich dagegen und atmete durch. Er hatte Smula kurz gesehen, sie gedrückt und geküsst, damit sie nicht die Nacht in Angst verbringen musste. Das Nasenbluten hörte allmählich auf, nur die schlecht weggewischten Spuren waren davon noch Zeuge. Morgen würde er vielleicht ein Veilchen von dem Schlag haben, das würde sich zeigen. Langsam setzte ein dumpfes Brennen in der rechten Niere ein, eine Überanspruchung, wie er sie auch nach den Massagen immer verspürte.

Er lächelte, seine Lippen, seine Augen, seine Aura. Ein Bad war das nächste, dann würde er auf Jyn warten.

Nein, er bereute nichts.
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Lingor Melia





 Beitrag Verfasst am: 03 Aug 2021 22:02    Titel:
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Träume.

Träume waren immer so eine Sache gewesen.

Ich habe als Kind viel geträumt, vermutlich das gleiche wie alle anderen Kinder auch. Von Abenteuern, Gespenstern, Monstern unter dem Bett und natürlich von Heldentaten, immerhin sollte ich ja in die Fußstapfen meines Vaters treten.

Später dann, als ich mein Elternhaus verlassen hatte, träumte ich nicht mehr. Zumindest vorerst. Erst nach einem Jahr erschienen mir des Nachts wieder Bilder, doch waren sie anders. Es waren keine erdachten Szenarien wie sie ein Kind hatte, sondern Rückblicke in die Wirklichkeit. Immer und immer wieder.

Im ersten Jahr trieben mich die Träume bald in den Wahnsinn. Ich hatte gerade Arbeit gefunden, mich eingelebt und mich einigermaßen berappelt, da begannen sie. Es dauerte ein paar Wochen, dann verschwanden sie so rasch, wie sie gekommen waren. Die Monate darauf verschwendete ich kaum mehr einen Gedanken daran, bis sie im zweiten Jahr wiederkehrten und ich hoffte nur inständig, dass sie wieder verschwinden würden.

Seitdem kann ich fast die Uhr danach stellen, oder mehr den Kalender. Immer in der Mitte des Ashatar kommen sie, bleiben zwei oder drei Wochen und gehen wieder. Und man sollte meinen, dass sich ein erwachsener Mann daran gewöhnt, oder? Ein Irrglaube.

Es ist nicht nur so, dass ich die Bilder sehe, die ich damals sah, als ich spät abends nach Hause kam. Ich habe auch den Geruch von Eisen in der Nase, spüre die Scherben unter meinen Stiefeln, höre das Knistern des heruntergebrannten Holzes aus dem Kamin. Und ebenso dringt das Klackern der großen Flügeltür an mein Ohr, die scheinbar von einem Luftzug im Ostteil des Hauses bewegt wird. Und jedes Mal irritiert es mich, denn mein Vater hatte immer darauf geachtet, diese Tür, die in sein Arbeitszimmer führte, stets geschlossen zu halten.

Ich hatte in den ersten Jahren noch die Hoffnung, dass Whiskey helfen würde, dabei hatte ich gerade erst mühevoll damit aufgehört. Mittlerweile weiß ich, dass er nicht hilft, mich aber vorm Schlafen deutlich ruhiger stimmt.

Dieses Jahr hat mich diese etwas skurrile Tradition deutlich überrascht. Die Träume kamen zwei Wochen zu früh, bereits in der Nacht zum 3. Ashatar, völlig unangekündigt oder dass ich auch vorher nur einen Gedanken dran verschwendet hätte. Ich habe mich selten morgens so mies gefühlt.

Wie stellt man Träume ab? Ich träume an sich gerne, tue es aber nur selten. Ich erinnere mich nur ein, zwei Träume im letzten halben Jahr, beide positiver Natur. Doch jetzt wär ich wahrlich froh, wenn meine nächsten Nächte einfach nur dunkel blieben…
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 Beitrag Verfasst am: 24 Dez 2021 01:06    Titel:
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Irgendwann kam ihm der Gedanke: „Was ist, wenn du es doch machst? Was spricht denn jetzt noch dagegen?“

Stimmt, was konnte jetzt noch passieren?

Immer wieder mal war der Gedanke aufgeflammt, sich doch für die Rahaler Garde zu melden. Schon als Shianna und Enomis Landsknechte wurden, dann natürlich wieder, als Jynela ihren Dienst aufnahm. Und auch im Laufe der letzten Monate packte ihn immer wieder die Vergangenheit, ließ ihn nachdenklich werden, ihn über sein Leben sinnieren.

Einer der Gründe dagegen war Smula. Er wollte nicht riskieren, dass das Kind nach ihrer Mutter auch noch ihren Vater verlor. Doch war seine Tochter nun wieder in Obhut ihrer Mutter und damit wurde für sie gesorgt. Das Argument war vom Tisch.

Ein anderer war sein gesundheitlicher Zustand. Noch vor einem Jahr war es undenkbar gewesen, jemals wieder richtig zur Waffe zu greifen, schließlich schaffte er kaum die Arbeit auf dem Hof. Doch jetzt, nach intensiver Behandlung durch Waljakov und Arrigal, ging es spürbar bergauf.

Natürlich war ihm bewusst, dass er niemals so gut werden würde, wie es beispielsweise Aresh und Lilyth waren. Er würde nicht der Krieger in vorderster Front sein, die heranstürmende Meute abhaltend, geschützt durch eine Plattenrüstung. Und das war ein Gedanke, der ihn jahrelang Unbehagen gemacht hatte.

“MELIA!! Nennt mir die drei Grundsätze der Reichsgarde!“ Wie im Schlaf rief der junge Rekrut seinem Vorgesetzten die Worte entgegen. Nicht einen Zweifel hatte er bei dem Gedanken daran: „Sieg! Stärke! Gemeinschaft!“ Sein ganzes Leben lang war er danach geprägt worden, angefangen bei all den Unterrichten, die er bekam, seit er denken konnte, später dann fortgeführt durch die Akademie, die er seit seinem 12. Lebensjahr besuchte.

Er hatte in den vier Jahren, die er auf der Akademie verbrachte nie den Gedanken gehabt, dass das hier nicht sein Weg sein könnte.

Der Krieger. Das war seine Bestimmung gewesen, durch seinen Vater, durch sein Blut. Welch Ironie war es da, dass es eben sein Vater gewesen war, der ihm diesen Weg verwehrt, nein sogar genommen hatte. Die Schäden an seinen Nieren waren irreparabel, die Bestätigung darüber hatte er schon als junger Mann durch verschiedene Heiler bekommen, nicht zuletzt aber auch durch Waljakov und Arrigal.

Er hatte für sich irgendwann dieses Kapitel geschlossen. Schließlich ging es ihm ja nicht schlecht in seinem Leben, vor allem seitdem er auf Gerimor war. Er hatte seinen Hof, war Teil einer Gemeinschaft, hatte enge Freunde. Und doch war da immer wieder dieses kleine Flämmchen und dazu die leise Stimme, die ihm zuflüsterte: Du kannst mehr, Lingor!

Und so wuchs der Plan und reifte heran. Schon im Frühjahr hatte er vermehrt trainiert, sich mit Keule und Axt vertraut gemacht. Später dann, als die Freundschaft zu Jynela inniger wurde, hatte er sich im Bogenschießen schulen lassen. Der Gang in die Höhlen fiel ihm von Mal zu Mal leichter, er spürte, wie er Kraft und Ausdauer aufbaute, wie er langsam aber sicher brauchbar wurde.

Dann kam die Schlacht gegen die Kristallwesen. Er hasste diese innere Nervosität, die tagelang an seinen Nerven fraß und er beneidete die Gardisten um ihre antrainierte Ruhe, die Routine, die sie ausführen konnten. Und er bereute, die Zeit davor nicht anständig genutzt zu haben um sich besser vorzubereiten.

Nach der Schlacht kam das tiefe Durchatmen und alte Gedanken kehrten zurück. Für ihn war es eine Zeit geprägt von Selbstzweifeln und Unsicherheit und er mochte dieses Gefühl nicht, doch hatte er schon immer das Problem, nur schwer dagegen anzukommen, wenn er erstmal in dieser Abwärtsspirale war.

Es brauchte ein paar Wochen, bis er die wachrüttelnde Ohrfeige bekam, die er dringend gebraucht hatte, gerade als er merkte, dass ihm alles entglitt, was ihm wichtig war. Es war leicht die Schuld nur bei anderen zu suchen, doch manches hatte er schlichtweg selbst zu verantworten. Jetzt saß er allein auf dem Hof. Und gerade an dem Punkt, wo andere vielleicht nachgegeben hätten, raffte er sich auf und der Blick in den Spiegel schockte ihn, machte ihn sogar wütend.

Er war blass geworden, viel zu schmal dazu, hatte tiefe Ringe unter den Augen, ein echtes Lächeln hatte er kaum mehr auf den Lippen. Dazu war er eingerostet, war lange nicht mehr in seine Rüstung geschlüpft. Ebenso hatte er seine Behandlungen schleifen lassen, seine Nieren schmerzten wie schon lange nicht mehr. Und dazu hallte immer mehr seine eigene Stimme in seinem Kopf: Das bist doch nicht du! Sieh dich an, was zum Henker tust du da?!

Jede Behauptung, er wäre glücklich, wäre gelogen gewesen. Er war nicht der Typ Mensch, der alleine glücklich werden würde. Er kannte seine Wünsche und Ziele im Leben und er hatte es jahrelang leichtfertig hingenommen und abgenickt, dass er manche davon nun einmal niemals erreichen würde. Doch jetzt war er von allen seinen Zielen so weit entfernt wie wohl noch niemals zuvor.

Doch das, was sich nun geändert hatte, war seine Sicht auf die Dinge. „Du kannst alles erreichen, was du willst.“ Seine Mutter hatte ihm das oft gesagt, doch gehörte dazu noch „sofern du deinen Arsch hochkriegst und dafür was tust!“

Die Voraussetzungen waren gegeben, er musste nur noch Mut haben und zugreifen! Und er wusste, er würde es auf ewig bereuen, wenn er es nicht wenigstens probierte.

Jynela hatte zu viel im Kopf, als dass sie nicht merken würde, wie er sie immer mehr und mehr ausfragte, sich Bestätigung durch die Person suchte, die ihn am besten kannte. Dabei war sie es, die ihn, seitdem sie sich kannten, immer wieder ermutigt hatte, mehr aus sich zu machen, seine Umstände nicht hinzunehmen und zu akzeptieren, sondern anzugreifen.

Doch wusste er, dass er kaum die Musterung überstehen würde, wenn er nicht einmal gerade Stehen konnte, also war ein Gespräch mit Arrigal unumgänglich. Und trotz der Tatsache, dass seine Diagnose erst sehr ernüchternd war, sah er auch die Chance dahinter.

Wer sagte denn, dass er so gut werden musste wie seine Freunde in Plattenrüstung? Er war kräftig, er war jung, er hatte was im Kopf. Er war sich sicher, er konnte der Legion auch in seinem gesundheitlichen Zustand dienen. Und sollten seine Nieren wider Erwarten so sehr rebellieren, dass er seinen Dienst nicht mehr tun konnte, hatte er noch den Hof als Rückhalt.

Das Training der letzten Wochen hatte gutgetan, sein Zustand hatte sich gebessert. Er hatte wieder ein gesünderes Äußeres, die Augenringe waren verschwunden und auch waren seine Rippen nicht mehr sofort sichtbar unter der Haut. Durch seine täglichen Einheiten auf dem Parkour hatte er Muskeln zugelegt, war agiler und flinker geworden. Der Muskelkater tat schon fast gut.

An sich konnte bei dem Plan nichts mehr schiefgehen. Albert würde sich um den Hof kümmern, während er sich auf seine Gardeausbildung konzentrierte und den Hof verwaltete und einsprang, wenn Zeit dazu war. Und selbst, wenn es die erste Zeit schleppend laufen würde, hatte er genug Rücklagen, um sich eine Weile über Wasser halten zu können. Smula war versorgt und in Sicherheit und er war sich sicher, dass ihm die Zeit in der Garde gut tun wird.

Der Gang zur Kommandantur war an dem Tag gefühlt länger als er es kannte. Er versuchte ruhig zu wirken, doch in seinem Inneren schlug sein Herz nervös und schnell in seinem Brustkorb. Doch reichte der erst verblüffte und dann wohl mehr und mehr erfreute Blick des Leutnants, um seinen Entschluss zu bestärken: Er würde Landsknecht der Rahaler Garde werden.
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 Beitrag Verfasst am: 31 Dez 2021 16:03    Titel:
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Der Appell war gut verlaufen. Er war mit gemischten Gefühlen dorthin gegangen, einerseits war er nervös, weil er kein Bockmist bauen wollte, andererseits freute er sich auf die neuen Erfahrungen, Eindrücke und auch darauf, ein Teil der Gemeinschaft zu sein. Er lernte gern dazu und ihm war klar, dass es einiges geben würde, was er sich aneignen musste. Dass er allerdings die Begrüßung direkt schon versemmelte, damit hatte er nicht gerechnet.

Es brauchte nur einen Wimpernschlag, da war der Anflug von Ärger schon wieder vergangen. Und es war auch kein Ärger über den Landsknecht, der ihm erklärte wie es richtig ging und auch nicht über den Provost, der ihn darauf hinwies, dass er etwas falsch gemacht hatte, sondern er ärgerte sich über seinen Übereifer. Wäre er etwas ruhiger, neutraler zum Appell erschienen, hätte er gewusst, wie er sich richtig zu verhalten hatte, auch wenn das nun zehn Jahre zurücklag. Allerdings gab es durchaus schlimmeres als von den beiden Frauen belehrt zu werden, denen er am meisten vertraute.

Die knapp drei Stunden vergingen wie im Fluge und er merkte, wie gut ihm diese Zeit tat. Auch wenn es erst sein zweiter Appell war, so hatte er doch schon oft bei Aktivitäten der Garde mitgeholfen und ein wenig militärische Luft geschnuppert. Dennoch war das Zusammensitzen mit den Kameraden irgendwie was Besonderes. Es war interessant, die Ziele der anderen zu hören. Und er war etwas überrumpelt, als er damit beginnen sollte. Sicher hatte er sich einiges vorgenommen für die nächste Zeit, doch hatte er das für sich noch nicht in Worte gefasst. Lernen, besser werden, gefestigter sein. Das waren seine Ziele. Er war zufrieden mit dem, was er in den letzten Wochen erreicht hatte, für sich, für sein inneres Befinden. Es waren keine wirklich sichtbaren Veränderungen nach außen gewesen, bis auf dass er wieder ein wenig Gewicht zugelegt hatte und dadurch vermutlich gesünder wirkte. Aber am Ziel war er noch lange nicht. Und das wollte er auch noch nicht sein. Das Leben war kein Stillstand.

Ihm wurde erst klar, was er vergessen hatte, als die Kameradin neben ihm ihre Ziele äußerte. Die Beförderung zum Trabanten war mit Sicherheit ein Ziel, doch warum war ihm das in dem Moment nicht eingefallen? Dem Leutnant schien es nicht weiter aufgefallen oder ihm reichten schlichtweg die anderen Ziele, der der frischgebackene Landsknecht erwähnt hatte.

Ziele waren immer so eine Sache gewesen für Lingor. Es war durch seine Erziehung nicht leicht, die eigenen Ziele von denen zu unterscheiden, die man ihm in die Wiege gelegt hatte.

Es war der simple Trotz eines Kindes, der seine Mutter zum Verzweifeln brachte. „Schatz, du wolltest doch immer das Klavichord spielen. Hast du denn keine Freude daran?“ Das Einzige, was der Fünfjährige wollte war, mit den anderen Jungen draußen auf der Wiese herumzutollen, mit schmutzigen Knien und Händen heim zu kommen und todmüde und glücklich ins Bett zu fallen. Das Instrument, so wie auch die Literatur, das Tanzen, der Etikette-Unterricht oder Geschichte waren sicherlich nicht seine Ziele.

Abends noch hörte er seine Eltern im Nachbarzimmer diskutieren: „Deragon, der Junge möchte es aber nicht. Lass ihn doch selbst herausfinden, was… .“ „Es interessiert mich einen Dreck, was er will! Er lernt das Klavichord und er wird folgsam seinen Unterricht wahrnehmen! Ich diskutiere mit dir darüber nicht! Er sollte dankbar sein, welche Möglichkeiten er durch mich hat!“

Seine Mutter war am nächsten blass und wirkte angespannt. Und Lingor ertrug geduldig seine Musikstunde.


Jetzt war die Kunst zwar keins seiner Ziele mehr, aber eine Zuflucht, die er in den letzten Wochen viel genutzt hatte und in der er sich sehr wohl fühlte. Und auch, wenn er den Unterricht früher gehasst hatte, umso mehr war er nun dankbar, dass er da Instrument beherrschte.

Vielleicht war das so auch mit anderen Zielen. Vielleicht musste man ein wenig in die richtige Richtung geschubst werden, um erkennen zu können, was man wollte. Lingor war lange auf Abwegen gewesen bis er erkannt hatte, was er wirklich wollte. Und das war eine Menge. Ein hoher Berg an Herausforderungen, an Wagnissen und auch an Risiken lag vor ihm. Er wusste, dass ein Scheitern ihn zurückwerfen würde, doch würde er es sich nicht verzeihen, es nicht zu versuchen.

Der Gang zum Parkour fiel ihm heute leichter. Er hatte gut geschlafen, anständig gefrühstückt und die Sonne ließ sich blicken. Albert hatte den Hof bereits soweit fertig, also konnte er sich vollkommen auf sein Training konzentrieren.

Kraft war nie ein Problem bei ihm gewesen, die hatte er seit er denken konnten und vor allem, seit es hieß, er würde in die Fußstapfen seines Vaters treten und Ritter werden, trainiert und ausgebaut, ob nun in der Akademie oder später bei schlichter harter, körperlicher Arbeit. Sein Schwachpunkt war die Agilität. Er war nicht flink, nicht wendig genug und er war sich sicher, dass ihm das früher oder später mal zum Verhängnis werden würde.

Er machte den Parkour vorerst dreimal hintereinander, in Kettenrüstung und Mantel. Was dann folgte war das Hindernis mit dem Netz im Einzelnen. Es war zu einfach, die schlechte Zeit, die er hinlegte, auf seine Größe zu schieben. Auch er als großgewachsener Mann sollte es hinkriegen, rasch unter dem Netz hindurchzukommen, ohne dass sein Arsch das Ding mitriss.

Auch an dem Hindernis mit dem Wasserbecken wurde mehrfach hintereinander trainiert, doch alles in allem war er nicht zufrieden mit dem Ergebnis. Es waren nun drei Wochen, die er hier beinahe täglich verbrachte und er hatte nicht das Gefühl, dass sich seine Leistung irgendwie verbessert hätte. Doch was waren schon drei Wochen? Er wusste, dass er jetzt nicht nachlassen durfte, er musste dranbleiben, weiter machen, den Muskelkater ignorieren und an sich arbeiten. Er hatte seine Ziele dem Leutnant und seinen Kameraden mitgeteilt, aber vor allem wollte er sich auch selbst beweisen, dass er mehr konnte. Und wenn ihm selbst dafür die Ideen ausgingen, um das zu erreichen, würde er sich Hilfe holen von denen, die mehr Erfahrung hatten.
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Lingor Melia





 Beitrag Verfasst am: 20 Jan 2022 16:49    Titel:
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Er hatte es nicht einen Moment bereut. Der Muskelkater verflog schon gar nicht mehr, oft spürte er jeden Knochen im Körper, die Kälte wich kaum mehr aus den Gliedern. Aber bereut hatte er nichts.

Sicher war es einfacher, morgens einfach liegen zu bleiben, aber das frühe Aufstehen kannte er ja seitdem er das Elternhaus verlassen und eine Stelle als Knecht angenommen hatte. Und auch davor konnte er nur selten ausschlafen, sein Ausbilder kannte da wenig Gnade.

Dennoch gönnte er sich gern noch fünf Minuten in seinem Bett in dem ohnehin oftmals völlig überheizten Schlafzimmer, ging seinen Gedanken nach, bereitete in seinem Kopf den Tag vor, ehe er in die Kälte hinaustrat und seine Alltagsroutine begann.

Seit er Dienstzeiten hatten, begann sein Tag nun noch früher als zu der Zeit wo er „nur“ Bauer war. Die Hofrunde machte er seit Jahren schon wie im Schlaf, doch das Training auf dem Parkour war deutlich fordernder geworden.

Nach seinem schweren Sturz auf die Nieren auf den Balken war er vorsichtig geworden, wenn nicht sogar ein wenig unsicher. Er hatte sich für das dritte Hindernis nun mehr Zeit genommen, wartete ein paar Sekunden, bis er festen Stand hatte, ehe er zum nächsten Balken sprang. Er konnte es sich nicht leisten, auszufallen, ob nun in der Garde, auf dem Hof oder für seine persönlichen Ziele. Die Angst, sich wieder zu verletzen, durfte sich nur nicht in ihm festsetzen und daran arbeitete er nun, absolvierte den Parkour erst langsamer, forderte sich dann aber immer mehr, bis er wieder in alter Form war, um dort weiter anzusetzen und an seiner Agilität zu arbeiten.

Die nächsten Stunden bis Mittag verbrachte er mit einem Bad, um die Kälte zu vertreiben und die Nieren zu beruhigen. Danach wurde die Kettenrüstung wieder auf Vordermann gebracht, die täglich im Schlamm des Parkours ordentlich litt. Zumeist war dann noch Zeit für eine kleine Hofrunde, wenn Albert ihm dann nicht zuvorgekommen war, ehe er die Uniform anlegte, um seinen Dienst anzutreten.

Die anfängliche Nervosität, die sich in ihm breit machte, wenn er in Uniform vorm Spiegel stand, flaute langsam ab. In den ersten Tagen war da noch immer ein Kribbeln, das ihm bis in die Fingerspitzen reichte. Mittlerweile war es eine gesunde Vorfreude und doch kam ihm die Situation noch immer irgendwie unwirklich vor. Er hatte den Schritt gewagt, war der Garde beigetreten und nun ein Teil davon. Ein Landsknecht im Dienste Alatars. Doch als er sich beim gestrigen Appell so neben Leon platzierte, Gardehaltung einnahm und den Krieger rechts von ihm kurz musterte, musste er doch kurz schmunzeln und murmelte dem Kameraden ein leises „fühlt sich immer noch merkwürdig an“ zu. Doch das Gefühl änderte sich rasch im Laufe des Abends.

Bisher war er noch von keinem Unterricht und keinem Appell enttäuscht worden und in diese Reihe fügte sich der gestrige Abend, vorbereitet und geleitet von Jyn, nahtlos mit ein. Er hatte in den letzten Wochen regelrecht spüren können, wie sich sein Empfinden gegenüber Neuem gewandelt hatte. Wo er früher Probleme hatte mit neuen Situationen, so war er nun fast begierig darauf, sich unbekannten Szenarien zu stellen und sich zu beweisen. Und auch wenn sie gestern nicht als erste Gruppe das Ziel erreicht hatten, so hatten sie hervorragend zusammengearbeitet. Er mochte das Gefühl, ein Teil der Gemeinschaft zu sein, einen Beitrag leisten zu können, die Gewissheit, dass seine Kameraden wussten, dass sie sich auf ihn verlassen konnten.

Er war zufrieden, als er nach dem Appell ins Bad ging, die Rüstung ablegte und sich im warmen Wasser aufwärmte. Wieder ein erfolgreicher Tag. Und er hoffte innig, dass es eine Weile so bleiben würde.
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