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Wie ein junges Reh... oder die Suche nach ein wenig Reife
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Auriane Treuwind





 Beitrag Verfasst am: 23 Sep 2018 08:59    Titel: Wie ein junges Reh... oder die Suche nach ein wenig Reife
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Als ich nach zwei Tagesreisen endlich das Schiff verließ, atmete ich erleichtert auf. Die See war stürmisch zu dieser Jahreszeit und erinnerte mich an Dinge, die ich vergessen haben wollte. Das erste und bisher einzige Mal, dass ich eine "Seereise" getätigt hatte, war... ja, damals als man mich auf eben jene See zwang, fort, weg, von dem Land, welches ich meine Heimat nannte. Fort von Familie und Freunde, fort von dem Ort, wo ich geglaubt hatte, dass es mein Platz gewesen war... auch wenn ich mit dem Älterwerden immer mehr jenes Bauchgefühl entwickelt hatte, welches mir sagte: Auriane, deine Reise ist hier noch lange nicht zuende.
Der Wind am Hafenbecken frischte auf und ich zog mein geliebtes Schultertuch enger zusammen. Dabei berührte meine Rechte jene Wunde, die sich im Verlauf der Reise zu einer Narbe entwickelt hatte; ich seufzte auf. Jene Narbe war Zeugnis dafür, welche Entscheidung ich getroffen hatte und damit auch, wem ich meine Treue darreichen wollte. Ich schluckte schwer als ich an jenen Moment der Klarheit im Lager dachte, als ich mir dessen bewusst geworden war; als mir bewusst wurde, dass alleine die Entscheidung, zur Heerschau zu erscheinen, ein Schritt getan wurde, der mit einem Teil meiner Vergangenheit endgültig abschließen würde. Niemand hatte es verstanden und auch niemand hatte es verstanden, warum es für mich so wichtig gewesen war, mir das Haar zu schneiden; jenes, was die Menschen in dem Land kannten, aus dem ich stammte. Niemand wollte es offenbar auch verstehen, sie sahen nur das "verschandelte" Haar und interessierten sich nicht wirklich dafür, was ich zu meiner "Verteidigung" zu sagen hatte. In fast schon maßloser Ungläubigkeit schüttelte ich mein Haupt, während ich da so am Hafenbecken stand, mich an Demians Ächtung erinnerte und einige Male die bekannte Bajarder Luft einatmete. Auch Tillys Worte klangen mir im Ohr nach.
Langsam setzte ich meine Schritte in Bewegung und musste an jene verhängnisvolle Gebäckstange denken, die man mir, vertrauensselig, wie ich meinen Leuten gegenüber doch war, zu essen gegeben hatte und das Haar so lang hat wachsen lassen, dass es am Ende gar länger war als vorher. Noch immer kam ein gewisser Zorn in mir deswegen auf, dessen Begründung viel vielschichtiger war. Es gab nur sehr, sehr wenige Menschen, mit denen ich mich über so etwas unterhalten konnte und mit denen man... in einen "Diskurs" über solche Themen gehen konnte. Es waren weniger als Finger an meiner Hand. Unweigerlich zuckten mussten meine Mundwinkel amüsiert aufzucken, als der Begriff in meinem Geist aufkam. Ich kannte ihn vom Hören und die Bedeutung hatte ich ebenso erst hier auf Gerimor kennengelernt. Und es war eine Wohltat für meinen Geist gewesen, auch wenn es erschöpfend war, in solche Sphären eintauchen und die Gedanken herausfordern zu können... mit Worten zu hantieren. Still dankte ich der Clerica in Gedanken, dass sie diese Seite in mir wachgekitzelt zu haben schien, eine Seite, für die ich immer größeres Interesse und immer größere Leidenschaft entwickelte und die ich auch begann, auszuprobieren... und sei es auch nur, den Fokus zu bewahren oder die Argumentations...Argu... eben das, was ich in einer Unterhaltung verloren hatte.

In den Ausschweifungen des Geistes versunken, hatte ich gar nicht bemerkt, wie meine immer leichter werdenden Schritte mich zu Fays und Goswins Haus verbracht hatten. Ein aufmerksamer Blick zu den Fenstern, doch kein Licht war zu sehen. Wie eine angenehme Sommerbrise stahl sich ein Lächeln in meine Mundwinkel als ich mir bewusst wurde, dass ich von ganz alleine den Weg hierher gefunden hatte. Dieser Ort bedeutete so viel für mich. Es war diese kleine Kostbarkeit der "Offenheit", die ich mir hier leisten konnte, wo man mir keinen Strick daraus drehen oder man mich verurteilen würde. Hier würde niemand Gerüchte nur aufgrund einer einmal unbedachten, unbedarften Äußerung in die Welt setzen. Nein, hier... konnte ich ein wenig mehr ich selbst sein, auch wenn das nach den Schlachten, den Wirrungen des Krieges, wieder zurückerobert werden musste. Langsam kramerte ich in meinem Reisebeutel umher und suchte nach dem stillen Gruß, den ich beizeiten im Kasten meiner Freundin zurückließ, um zu zeigen, dass ich an sie dachte oder auch da gewesen war. Tatsächlich, einige letzte Stücke fanden sich und ich warf sie ein. Ob sie überhaupt wusste, dass ich es war? Vermutlich.

Es war schon später Abend und es würde bald dunkel werden. Nein, nein, ich wollte nicht schon wieder in Dunkelheit den Weg nach Hause suchen. Und so eilte ich schnelleren Schrittes gen Heimat. In die vertraute Umgebung. In jenes Dorf, wo mein Herz schlug und jenen Ort, den ich mit voller Überzeugung, aus tiefstem Herzen heraus auch Heimat schimpfen konnte. Dies war der Ort, wo man mich empfangen und aufgenommen, wo man mich vieles gelehrt hatte... und wo man mich stets dazu angehalten hatte, selber nachzudenken. Wo man mir ein wenig gezeigt hatte, wie ich mir selbst helfen konnte. Doch ein jeder Schritt, der mich näher an Düstersee heranbrachte, ließ ein mir vertrautes Bauchgefühl hochschlagen. Irgendetwas... würde anders sein. Irgendetwas würde passieren. Bald. Ich spürte es so deutlich wie ich die Bäume um mich herum sah. Das Gefühl war so deutlich wie damals, als... und auch als... 'Nein! Ruhe jetzt!', rief ich mich still zur Besinnung. In diesem Augenblick wollte ich mir den Luxus gönnen, mir selber etwas einreden zu können. 'Lass die Heimkehr nicht von so etwas trüben. Du hast dich doch mit jedem Tag darauf gefreut, wieder heimkehren zu können.' Allerdings kannte ich mich auch zu gut... erst einmal ein Gedanke gefasst, ein Entschluss oder auch eine Entscheidung, ich verfolgte sie immer mit sturer Entschlossenheit bis zum Schluss. Dickköpfig hatte man mich deswegen schon bezeichnet, stur und dumm. Oh ja, wie oft hatte man mir das vorgeworfen, dass ich dumm sei. So manches Mal glaubte ich sogar daran. Wieder keimte leiser Zorn in mir auf bei diesen Erinnerungen... und erstaunlicherweise verwandelte sich jener in eine gewisse Stärke. Das irritierte mich. Stärke und umso größere Entschlossenheit, aber für den Moment schüttelte ich jene Gedanken ab. Nein, alles mit seiner Zeit.

Während ich so die Tore durchschritt, fiel mir durchaus auf, dass Düstersee eine neue Bewohnerin besaß, aber das war das, was jeder erkennen konnte, der das Dorf kannte. Nichts, was mein Bauchgefühl erklären würde. In der Dorfmitte blieb ich stehen und schaute mich einige stille Momente um. Es war niemand zu sehen und es war für die Verhältnisse in Düstersee erstaunlich ruhig. Nein, damit wollte ich mich nicht beschäftigen. Nicht heute. Morgen war vielleicht Zeit dafür und ich ahnte mit nahezu tödlicher Sicherheit, dass das, diese Ahnung, die sich in mir ausbreitete, so gar nicht gefallen würde. Endlich kam ich an meinem kleinen Haus an, steckte stumm den Schlüssel ins Schloss und stieß die Türe auf. Irgendwer war hier gewesen und hatte saubergemacht und gelüftet. Überrascht hielt ich inne. War es das gewesen, was mir mein Bauch mit ohrenbetäubender Lautstärke hatte mitteilen wollen? Mit einem ergebenen Seufzer horchte ich hinein und fand keine Bestätigung. Nein, das war es nicht, aber das Geschrei entwickelte sich zu Bauchschmerzen, die sich in meinem ganzen Körper fast wie ein Feuer ausbreiteten, was mich verzehrte. Die Augen verdrehend, trat ich ganz ein und schob die Türe wieder ins Schloss. Offenbar duldete mein Bauch dieses Mal keinen Aufschub, zumindest nicht... einen so großen, wie ich es mir gewünscht hatte. Inbrünstig verfluchte ich diese "Gabe", die ich besaß und mich vor manchen Menschen und auch Ereignissen gewarnt hatte. Der prallvolle Reisebeutel wanderte in eine Ecke meiner Küche, wo ich mich sodann auch an den Küchentisch niederließ und mit einem leisen Grummeln die Auftragsarbeit besah, die sich dort befand. Irgendwie machte ich jene für die kleinen, unmerklichen Veränderungen verantwortlich, die ich verspürt hatte. Es war meine erste Auftragsarbeit, was mich nicht ganz ohne Stolz ließ, doch... wenn ich an andere Dinge dachte, dann...
Ein verzweifelter Seufzer entfloh meinen Lippen, während ich die Augen schloss und mir mit meiner linken Hand an die Stirn fasste. Diese verdammten Gedankensprünge machten mich manchmal noch wahnsinnig. Was hatte Fiete gesagt? "Wie ein junges Reh", seien meine Gedanken, man könne ihnen nicht immer folgen, so schnell sprangen sie umher. Dann verfluchte ich ihn genauso inbrünstig wie meine Gabe. 'Verdammter Kerl, wieso musstest du da Recht behalten?'
Wieder stiegen Erinnerungen in mir auf und ich wischte voller Wut die Bücher vom Tisch, die ich dort vor meiner Abreise habe liegen lassen; Werke über Dinge, die ich studieren sollte und welches ich gehorsam getan hatte. Dann kam mir die andere Arbeit in den Sinn, die als Tausch oder auch Bezahlung für etwas dienen sollte, dessen Wert ich vermutlich bis heute nicht erkannt hatte. 'Verdammt, das muss ich auch noch erledigen.' Ich öffnete wieder die Augen und griff auf das Aquarium hinter mir, dort, wo ein mit rotem Seidenband verschlossener Korb stand. Langsam und bedächtig öffnete ich ihn und betrachtete das Werk. Behutsame Fingerspitzen fuhren die Stickerei entlang, die ich am Saum eingearbeitet hatte und ließen die Gedanken wieder mal in ganz andere, dieses Mal klarere Bahnen schweifen. Das sorgfältig angefertigte Schreiben war fertig, es lag mit ihm Korb und wartete nur darauf, mitgenommen zu werden. Lediglich eine kleine freie Stelle konnte man erkennen, wo das Datum ausgelassen worden war. Oh, ich erinnerte mich sehr gut an die unzähligen Ansätze für das Schreiben, ich wollte, dass es fehlerfrei und frei von Makeln war, angemessen eben, doch als mir gewisse Gerüchte zu Ohren gekommen waren, die meine eigene Person betroffen hatten, verließ mich der Mut, den Schrieb auch einem Boten mitzugeben. Tief in Gedanken versunken nahm ich nicht einmal war, dass das Herdfeuer brannte, welches ich nicht einmal entzündet hatte. Ich hatte große Angst, dass die Gerüchte auch jene Person erreicht haben könnten und mir unweigerlich Fragen stellen würde, denen ich mich erst später stellen wollen würde; dann, wenn andere Dinge erledigt sein würden und ich auch die Klarheit dafür besitze, mich mit ihnen zu beschäftigen. Es würde aber nichts helfen, nein. Was aber helfen würde, wenn ich dieses Mal keinen Boten beauftragen würde sondern ich meine eigenen Füße benutzte, um das Schreiben abzugeben. Keine Ohren, die wussten, wer der Absender war, kein Mund, der die Kunde, mit wem sie verkehrte, weitertragen und somit noch mehr Gerüchte entfachen konnte. Genauso sorgfältig, wie ich das Werk herausgeholt hatte, verstaute ich es wieder und nahm dabei den Brief heraus. 'Erst ankommen, dann kannst du ihn abgeben.', sprach ich mir entschlossen zu und legte ihn doch wieder in den Korb und verschloss ihn.

In dieser Nacht wie auch den mittlerweile gefühlt unzähligen Nächten zuvor würde ich kaum Schlaf finden können. Erinnerungsfetzen und Albträume holten mich noch immer ein und ließen mich jene Momente durchleben, die ich langsam begraben haben wollte.


Zuletzt bearbeitet von Auriane Treuwind am 09 Okt 2018 10:11, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Auriane Treuwind





 Beitrag Verfasst am: 09 Okt 2018 11:41    Titel:
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Es war spät und mitten in der Nacht als ich noch immer an meinem Küchentisch saß, die Schreibfeder in der Hand und ein unermesslicher Berg an Pergamenten vor mir. Noch waren die Gedanken frisch, noch konnte ich sie nachvollziehen und ergründen, wenn ich es wollte und so mussten sie auch zu Papier. Ja, ich wusste, das Schlafen sollte ich nicht vergessen, wurde ich doch erst vor wenigen Stundenläufen dazu ermahnt, aber mein Geist war unruhig und brauchte Ordnung. Sowieso fragte ich mich, was all die Dinge bedeuten mochten, die sich vor meinen Augen auftaten… oder die mir man zuteil werden ließ.
In tiefster Nachdenklichkeit versunken schaute ich auf den Brief hinab, den ich hatte zuerst schreiben wollen, dann auf all die fehlgeschlagenen Ansätze, die sich auf dem Boden verteilten. Ja, des Schreibens mochte ich fähig sein, doch fehlten mir dennoch allzu oft die Worte so wie auch am vergangenen Abend im Tempel. Auch hier musste ich am Ende einfach darauf vertrauen, das die Empfängerin meine Gedanken dahinter erkennen wird, aber daran hatte ich eigentlich keinerlei Zweifel. Kurzum faltete ich ihn zusammen, versiegelte ihn und stopfte ihn in die Tasche, welche ich stets in den Hort mitnahm. So hätte ich jenen Brief immerhin griffbereit, sollte ich der Person begegnen. Danach streifte mein Blick auch schon zurück zu meinen ausgeführten Notizen, zu Sätzen, die ich mir merken wollte, zu Dingen, die ich als Weisheit erachtete und zu verinnerlichen wünschte; mitten unter ihnen waren ebenso jene Gedanken, die ich für so selbstverständlich gehalten hatte und doch scheinen sie es nicht gewesen zu sein. Freie Gedanken, ja, wenn ich es nun, im Rückblick betrachtete, stand es tatsächlich nirgendwo geschrieben. Nur woher kamen dann jene Gedanken, jene Gedanken des Feuers und des Lichts?
„Aus deinen eigenen Erfahrungen und Eindrücken, Auri“ , sprach plötzlich ein leises, penetrantes Stimmchen in meinem Ohr. „Aus deinen eigenen Erfahrungen und Eindrücken, Auri“, wiederholte es und ich verscheuchte sie mit einem Wedeln meiner Hand. „Nein!“, sprach ich entschlossen in die Einsamkeit meines Hauses hinein. Ich musste es irgendwo gelesen haben und damit Schluss. Dennoch fing ich an, Stück um Stück die Notizen, die Gedanken zu verschriftlichen, sie auszuführen und auch schließlich, als der Morgen schon längst in die Mittagsstunden übergegangen war, zu beenden. Stumm saß ich so einige Zeit lang über dem Buch, schaute auf es nieder und fragte mich ein weiteres Mal mit nicht geringem Staunen: Was war nur aus der Auri geworden, die sie in jenen fernen Landen entweder zurückgelassen oder auch hier, nach Gerimor mitgenommen hatte?
In aller Heimlichkeit hatte sie damals das Lesen und Schreiben von dem Fremden erlernt, der bei ihnen gestrandet und irgendwie nicht mehr gegangen war. Oh, sie wusste nur allzu gut dieses Privileg zu schätzen und hütete es mit ganzer Leidenschaft, ein jeder weitere Buchstabe wurde von ihr aufgesogen wie ein ausgedörrtes Land, was nach Wasser durstet; doch mit jedem weiteren Buchstaben, jedem weiteren Wort, welches sie gelernt hatte, kam die Neugierde, unbändige Neugierde, die sie nicht mehr zu zügeln vermochte. Aaah, es hatte sie in so viele Schwierigkeiten gebracht, dieses Fragen, dieses wissen wollen… nur zu oft hatte sie zu spüren bekommen, dass das unbändige Streben nach Wissen brennender Schmerz bedeutete und je mehr sie wissen wollte, desto kräftiger brannte er sich in sie hinein. Wo in anderen vielleicht der Wille erloschen worden wäre, entbrannte er in ihr umso mehr. Wer etwas so vehement zu verstecken suchte, musste um die Gefährlichkeit auch wissen. Hatten die Ältesten gar Angst davor, dass sie zuviel nachzudenken begann? Es konnte nicht anders sein und so entwickelte sich der Schmerz nach und nach in Stärke, mit jedem Hieb, jedem Schlag, den man ihr gab, fachte man nur ihren Willen an, Wissen zu erlangen.

Während ich so tief in meinen Erinnerungen so schwelgte, rieb ich mir unbewusst über den Rücken. Damals mochte sie vielleicht die unbelehrbare Auriane gewesen sein, doch heute schien sie die Strebsame zu sein, es wurde gar befürwortet und das hatte ich am Anfang nicht verstanden, saß mir doch meine Erziehung sprichwörtlich im Nacken, trotz allem. Hier, auf Gerimor, war ich eine Fremde, eine Außenseiterin vielleicht, so würde ich mich durchaus betrachten, wäre ich damals schon eine Bewohnerin der Insel gewesen. Da hätte ich es mir nie erlaubt, Fragen zu stellen, warum auch sollte eine Fremde, die man nichtsdestotrotz willkommen geheißen hatte, Fragen stellen. Das hätte das Misstrauen geweckt, so dachte ich damals in meinem Unwissen, in meiner gänzlich nicht vorhandenen Weitsicht.
Doch nach und nach schien es als würde man mich zum Teil der Gemeinschaft zählen, obwohl ich mir selber nicht einmal darüber besonders im Klaren war, wohin mich die Winde treiben würden. Ich fühlte mich in der Gänze wie ein Stück Treibholz, welches in den Strömungen der Zeit, in den Strömungen des Schicksals umhergetrieben wurde und die Dinge so geschehen ließ wie sie kamen.
Es dauerte seine Zeit, doch irgendwann sickerte es auch in mein Bewusstsein hinein, dass die immerzu greifbaren Angebote, Fragen zu stellen, aufrichtig und ernst gemeint waren, gar erwünscht, obwohl ich doch in ihren Augen eine Ungläubige habe sein müssen, grüßte ich doch nicht mit der allgemeinen Grußformel, besuchte ich doch nicht den Tempel, nichts davon tat ich und doch durfte ich Fragen stellen.

Denken ist ein Prozess und die Erkenntnis erst recht, wobei ich sagen würde, dass Erkenntnis niemals in ihrer Fülle erreicht werden kann, denn kaum, dass man sie erlangt geglaubt hat, verändert sie sich wieder und der Prozess beginnt erneut. Erkenntnis und Wahrheit, sind die doch in so vielerlei Hinsicht gleich und so unendlich verschieden. Und manchmal gehen beide Hand in Hand, wie ich erst seit Kurzem zu wissen glaube, denn dahingehend wurde mir ein kleiner Schatz mitgegeben:

„Es gibt viele, die die Wahrheit erst erkennen müssen. Und genauso ist es uns auch erlaubt, auf dem Weg zu straucheln. Wichtig ist, dass wir wieder aufstehen.“

Oh, gestrauchelt war ich viel und werde es auch noch tun. Momentan bin ich ohnehin mehr am Straucheln als am Gehen, doch dessen bin ich mir bewusst und kann umso aufmerksamer meinen Weg betrachten, der doch gerade erst begonnen habe, sagte man mir…

Seufzend schloss ich also nun das Buch vor mir, versah es mit einem Siegel, hüllte es in ein schwarzes Tuch, um es mit einem einfachen, roten Band zu verschnüren, nur um es zu dem Brief in meiner Tasche zu stecken, die für den Hort bestimmt war. Einige Momente verharrte ich noch und entschied mich schließlich dazu, die Hummeln heute Hummeln sein zu lassen und begab mich raus, nach draußen, an einen der kleinen Flussläufe, die etwas weiter weg waren von unserem Dorf und wo ich ungestört meine Gedanken schweifen lassen konnte. Draußen, dort, wo es mich ein wenig an das Land meiner Herkunft erinnerte, denn trotz allem sollte man einen Teil seiner Selbst nie vergessen…


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Auriane Treuwind





 Beitrag Verfasst am: 10 Okt 2018 10:27    Titel:
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“Auri, du bist auf der Flucht.“

Das war einer der vielgehörten Sätze in letzter Zeit. Aber war ich das wirklich? Oder waren es auch die anderen? Es war schon interessant, dass mein Eindruck da in ähnliche Bahnen ging, allerdings den anderen gegenüber, die es mir mitteilten. Ich will gar nicht „vorwerfen“ sagen, denn das ist nicht ihre Art, doch könnte ich genauso gut sagen, dass sie es ebenso seien, allerdings begründeten sie es, dass sie sich für sich zurückziehen wollten. Oh, das konnte ich durchaus nachvollziehen, auch wenn ich denke, dass man das gleiche Recht für sein Gegenüber einräumen sollte. Allerdings habe ich darüber nachgedacht, denn mitten aus dem Nichts kommen solche Gedanken auch nicht und musste dann zähneknirschend zugeben, dass sie wenigstens manchmal Recht hatten. Zumindest dann, wenn die Zärtlichkeiten vor meinen Augen zu viel für mich wurden, erinnerten sie mich doch an Dinge, die noch zu sehr schmerzten als dass ich mich mit ihnen beschäftigen wollen würde.

Sei es wie es sei, im Großen und Ganzen war ich recht zufrieden. Ich liebte es, unter die Menschen zu gehen, jene aufzusuchen und mit ihnen zu reden, ihnen zu lauschen und ihre Gedanken mitgeteilt zu bekommen. Auch, einfach einmal in der Menge zu baden und mich dem Strom hinzugeben, um zu schauen, wohin er mich wohl treiben mag und oft genug kamen interessante oder spannende Dinge am Ende heraus. All jene wussten so viel vom Leben, vom Leben hier auf Gerimor oder von vergangenen Ereignissen, während ich… eigentlich nichts wusste. Andere würden vermutlich sagen, ich sei „behütet“ aufgewachsen, zumindest war das eines der Worte, was ich gehört habe, aber zwischen „behütet“ und „unterdrückt“ ist der Unterschied manchmal auch nicht so groß mehr. Scherze gingen an mir vorüber, die die anderen verstanden oder ich sah in etwas einen Scherz, wo keiner war, nur weil ich bestimmte Begriffe vernommen hatte, die in einem anderen Zusammenhang bereits einmal benutzt wurden. Ich muss da gerade doch sehr an Melonen, Äpfel und Bananen denken. Während ich in manchen Themen also durchaus ein wenig an Wissen anhäufen konnte, so mangelt es mir umso mehr an anderen. Zugegeben, trotz der zahlreichen Streitereien auf dem Hof, dem alltäglichen „Düsterseeeischgebrauch“, fehlte es mir nun, da, wo mehr Ruhe eingekehrt war. Einige waren in den sogenannten „Wintervorbereitungen“, auch mich umtrieb dahingehend die Unruhe, egal, wie oft man mir sagte, dass ich nur dafür sorgen musste, dass ein jeder ausreichend warme Kleidung habe. Da, wo ich herkam, sogar die Frauen, begannen, sich für die kälteren Tage vorzubereiten, damit alle versorgt sein würden. Da das Essen hier auf Gerimor aber so anders war und ich all die Dinge noch nicht so ganz beherrschte, tat ich das einzige, was mir ein wenig Ruhe verschaffte: Ich hackte Holz. Sehr viel Holz! Fein säuberlich stapelte ich es neben meinem Hause auf und triumphierte über die von mir selbst geschlagenen Holzscheite. Etwas, was unvorstellbar gewesen wäre bis zu meiner Ankunft hier und nun für mich ein Quell der Erholung war. Im steten Rhythmus der Axt konnte ich mir so manche Gedanken machen, die sich sonst während des Tages hinter all den anderen versteckten.

Unweigerlich stieg mir an diesem Morgen eine Erinnerung auf, die sich nahezu eingebrannt und an die ich mich nicht so wirklich herangetraut hatte. Ich versuchte zu verstehen, die Gedankengänge nachzuvollziehen, dessen Zeuge ich da geworden war; und welche mich später bei einer Tasse Tee mit einer der beiden Personen sehr beschäftigte. Tatsächlich folgte kurz darauf der Unterricht in den Geboten, von denen ich, das musste ich gestehen, noch keinen besucht hatte, da sie schlicht und ergreifend damals nicht stattgefunden hatten, sodass ich mir mein Wissen durch Bücher als auch Dank der Vicaria selber angeeignet hatte. Doch wie es schien, hatte irgendwie ein jeder bereits so einen Unterricht besucht und ich schließlich auch. Ich hatte wissen wollen, wie dort die Gebote gelehrt wurden, wollte erfahren, ob es nicht noch etwas Neues zu entdecken gibt und auch hier wieder die Gedanken der anderen hören, um vielleicht daraus zu lernen. Eines der ersten Dinge, die erwähnt wurden, war die Erklärung des freien Gedankens. Aaaah, wie ich da doch erkannte, dass ich selber in eine Falle getappt war und jenes Gut irgendwie… ich fand keinen passenden Begriff dafür, aber es hatte mich wachgerüttelt.

Der freie Gedanke, schloss er nicht auch ein, dass man die Gedanken seines Gegenübers anhörte, auf sie einging und vielleicht auch erwog? Oder täuschte ich mich da? War es vielleicht gar, dass mir hier die entscheidende Weitsicht fehlte, weshalb ich eine andere Perspektive von führen und leiten teilte? Der Ritter jedenfalls schien mir als wäre er nicht bereit, seinen Horizont zu erweitern und mit eiserner Hand gegen andere, freiere Gedanken vorgehen zu wollen. Egal, was ich auch an Argumenten brachte, er erhörte sie nicht und befand meine Gedanken schlicht für falsch. Erklären, warum sie falsch sind, konnte er aber auch nicht oder ich habe seine Begründung einfach nicht gehört. Nur was konnte denn so falsch sein, jemandem ein Werkzeug an die Hand zu geben, damit sich diese Person selber helfen konnte? Wieso war das Vorwegnehmen zielführender als das Aufzeigen, was möglich ist? Leise begann ich zu lachen, während ich munter das Holz Schlag um Schlag aus dem Wald beförderte. Ich hätte es vielleicht noch weiter versuchen sollen, wusste ich doch Dank der Erhabenen, dass er mich nicht einfach so töten konnte und durfte, wie er es mir bereits einmal angedroht hatte. Und einhergehend mit meinen Gedanken kamen weitere, vielleicht doch ein wenig bösere Gedanken. War es eine Rittersache, dass man die Gedanken der anderen nicht hörte? War es eine Sache, nicht von sich zu sprechen, während man von sich sprach? Musste jeder Ritter gleich sein? In meinem steten Hacken kurz innehaltend, blickte ich den ansehnlichen Stapel vor mir an und dachte nach. Als mich der Ritter während meines Dienstes im Hort aufgesucht hatte, sprach er so komisch. Das tat er nun, seitdem er zum Ritter ernannt wurde. So, wie der Hauptmann eben, nur dass der Hauptmann sich besser auszudrücken weiß als der Ritter. Also doch keine Rittersache. Also will der Ritter den Hauptmann scheinbar nachahmen. Hmm… wenn man jemanden nachahmte, verlor man sich da nicht selbst? Sogar Ritter Shasul sprach von „ich“ wenn er sich meinte und nicht dieses komische „man“, was alles und nichts bedeuten konnte. So allein im Wald begann ich amüsiert aufzulachen, es war irgendwie befreiend, musste ich in diesem Zusammenhang doch an mich selber denken. Ja, der Hauptmann mochte beeindruckend sein, so, wie ich von der Erhabenen als auch von der Clerica tief beeindruckt war, von ihnen als Person, als Mensch dahinter und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich würde sie mir nicht als Vorbild nehmen. Nein, aber als Orientierung, als Inspiration, was möglich ist. Jene Ruhe, die sie ausstrahlten, war angenehm und die Gespräche, die ich mit ihnen führen durfte, ebenso. Aber imitieren? Nein, das käme mir nicht in den Sinn, wer wäre ich denn? Meine Gedanken waren zu sprunghaft, ich viel zu tollpatschig, naiv und unwissend, wobei man bei Letzterem durchaus etwas dagegen tun konnte.
Wieder lachte ich auf, nein, wie die Erhabene schon einst zu mir gesagt hatte, in diesem Punkt begann ich zu begreifen, was sie damit meinte: Die Grenzen meines Willens scheinen noch lange nicht ausgeschöpft zu sein. Und mein Wille dahingehend war, ich selbst sein zu können. Das wiederum hatte die Magistra in mir gesehen und auch hier sickerte Tropfen um Tropfen die Erkenntnis in meinen Geist ein, was sie mir damit hatte sagen wollen.

Ich war auf dem Weg, mich selber zu finden. Niemand sagte mir, wie lang dieser Weg sein würde, doch ich konnte mich ausprobieren. Ich durfte Fehler machen, solange ich auch aus ihnen lernte. Irgendwo dort draußen lauerte die Auri, die nur darauf gewartet hat, entdeckt zu werden. Mit dem Wissen, dass ich auf diesem Weg nicht alleine sein würde, nahm ich tief zufrieden meine Arbeit wieder auf und bereitete mich auf den Winter vor. Soll er doch kommen, ich war vorbereitet!





Zuletzt bearbeitet von Auriane Treuwind am 10 Okt 2018 10:42, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Auriane Treuwind





 Beitrag Verfasst am: 12 Nov 2018 13:12    Titel:
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Um den 20. Goldblatt herum...

Die Entscheidung, in die Wälder aufzubrechen, hatte ich eher spontan getroffen, vielleicht aus einer Laune heraus, vielleicht auch, weil sich jenes schon länger ohne mein Wissen herausgebildet hatte. Wer wusste das schon… ein wenig Abstand, ein wenig Freiheit… vielleicht kamen auch meine Gedanken zur Ruhe. Außerdem… die Natur veränderte sich hier anders, schneller, eindringlicher… und vor allem wurde es hier viel kälter als ich es gewohnt war. Schon jetzt fror ich erbärmlich zum Teil, während die anderen noch mit freien Armen umherliefen. Spätherbst nannten sie es, für mich war es jedoch schon jetzt der besagte Winter, von dem alle redeten, nur dass dieses weiße Zeug fehlte, was den ganzen Boden bedecken sollte. Wie hieß es doch gleich? Irgendwelche Blumen, den Namen hatte ich schon wieder vergessen. Also packte ich meine Sachen, dieses Mal mit Ankündigung meiner Freunde gegenüber, nagelte gar einen Zettel an die Türe. Kurz nachdem er angebracht war und ich die letzten Besorgungen gemacht hatte, stand auch schon Terren vor der Türe, der mich dafür schalt, dass mein Brief so endgültig klingen und als ob man sich Sorgen machen würde. Ich hatte ihn eigentlich recht pragmatisch gehalten: „Ich bin weg. Sucht nicht nach mir. Ich komme zum Ende des Wochenlaufs wieder.“ So in etwa hatte ich es geschrieben, alles Wichtige, was man wissen musste, aber offenbar doch zu wenig oder einfach zu unbeholfen formuliert. Wie gut, dass es doch noch die eine oder andere Person gab, die mich auf so etwas hinwies, denn so konnte ich auch lernen. Gemeinsam gingen wir noch ein Stück nach Grenzwarth spazieren, doch dann begann doch die Zeit noch zu drücken und ich machte mich auf dem Rückweg, holte meine Sachen, auch jene, die zu meinem eigenen Schutz dienen sollten und brach zu Fuß auf, einen kleinen Zwischenhalt am Tempel einlegend für ein Gebet und einen Brief, den ich abgeben wollte… und dann ging es endgültig los.
Ich ging so lange bis mir mein Gefühl sagte, dass es der richtige Ort war und als ich mir der Umgebung bewusst wurde, musste ich unweigerlich ein bisschen aufschmunzeln. Wieso nur war es nahe des Meeres? So nahe, dass meine Augen es erblicken mochten? Doch tief in mir ahnte ich schon, dass da wohl etwas in mir arbeitete, was nur hier verarbeitet werden konnte. Ergeben baute ich mein kleines Zelt auf, schichtete das Holz und entzündete es mit einem Anflug von Wehmut, denn mit jedem Handgriff, mit jedem Seil, was ich festzurrte, sickerte die Erkenntnis in meinen Geist hinein und die Ahnung, dass es nicht nur ein Beobachtungsausflug werden würde, wurde zur Gewissheit.

Als alles soweit hergerichtet war, war bereits die Kälte der Nacht und eben jene selber hereingebrochen. Am Lagerfeuer sitzend, wärmte ich meine Hände und Füße und da erkannte ich auch schon, dass ich mir offenbar selber eine kleine Prüfung auferlegt hatte, indem ich wohl schauen wollte, wie entschlossen ich im Angesicht der Kälte und auf mich alleingestellt bereit war, meine Entscheidung zu verfolgen, außerhalb der Annehmlichkeiten des eigenen Heimes zu nächtigen, mit allen sogenannten Nachteilen, die es mit sich brachte. Doch ein abschließendes Urteil würde ich mir erst zum Ende hin erlauben können. Während also das Lagerfeuer vor mir kräftig prasselte, hörte ich das Rauschen des Meeres im Hintergrund, von dem ich eigentlich gedacht hatte, dass es mir verhasst sein würde, kaum, dass ich damals nach mehr als zwei Monatsläufen Seefahrt meinen ersten Schritt auf Gerimor gesetzt hatte, doch hatten meine Füße mich erst ins Hafenviertel und schließlich nach Düstersee an den Bootssteg gebracht. Nun war es ein vertrautes Geräusch, etwas, was ich vielmehr mit meiner neuen Heimat in Düstersee verband als… ja, vielmehr mit Düstersee als mit dem Ort, von dem ich abstammte und welchen ich nicht länger meine Heimat nennen konnte… und auch wollte. Es war das erste Mal gewesen, dass ich das Meer gesehen hatte und ich hatte mir geschworen, dass es das letzte Mal sein würde, was sehr schwer war, wenn die Winde einen auf eine Insel getrieben hatten. Und so hatte ich vorerst mein “Schicksal“ annehmen müssen, ob ich wollte oder nicht.

In den Erinnerungen der Vergangenheit vertieft, bemerkte ich nicht, wie sich meine Sinne vielmehr auf das Rauschen und Brechen der Wellen gelegt hatten als auf die Umgebung. Innerlich verfluchte ich mich ausgiebig dafür, unaufmerksam durfte ich hier draußen nicht werden, das könnte böse enden. Und doch kam mein unruhiger Geist nicht umhin, die vergangenen Tage Revue passieren zu lassen. Jenes, was sich erst am Tage zuvor abgespielt hatte und aus dem ich nicht so ganz schlau geworden war. Es schien mir als hätte mich Riahs neuer Knecht irgendwie vor dem anzüglichen Knecht beschützt, der sich nicht einmal vorstellen konnte. Ich wusste bis jetzt nicht, wie er hieß, aber er hatte mir Unbehagen mit seinen Aussagen über gefügige Frauen bereitet und auch so, wie er mich angesehen hatte. Meine innere Stimme schrie ganz schrill auf und warnte mich, dass ich vorsichtig sein sollte, er wirkte gar ein wenig wie dieser Laron, Balron… wie auch immer, dieser Kerl in Bajard, der scheinbar nichts anderes im Sinn gehabt hatte als mich für eine Nacht in sein Bett zu bekommen. Solche Wortwahlen, solche Anzüglichkeiten, all das waren mir fremd und auch auf gewisse Weise zuwider. Für sie mochte es ein belangloses Spiel sein, für mich waren sie eine Gratwanderung, wusste ich doch entweder nicht, wie ich mich dessen erwehren oder was ich mit den Worten anzufangen wusste. Gelegentlich zwar versuchte ich das, was ich so hörte und aufschnappte, anzuwenden, allerdings musste ich irgendwann auch feststellen, dass es wohl kein so guter Einfall war, denn es schien einen falschen Eindruck zu vermitteln, wenn ich die Mimik der anderen dann richtig zu deuten vermochte. Leise seufzte ich das Lagerfeuer böse an und murmelte mir zu, dass ich lernen musste, meinen Mund zu halten, wenn es um diese Themen ging. Da konnte ich nicht mitreden. Da, wo ich herkam, war soetwas undenkbar, gar verboten. Es kam gar nicht erst zustande, weil… alles von anderen vorherbestimmt war. Niemand musste um den anderen kämpfen, ihm oder ihr den Hof machen, nein. Folglich musste man auch niemandem außer den Ältesten gefallen, aber selbst da habe ich mir gar nicht erst die Mühe machen müssen, hielt man mich ohnehin für verflucht; und je mehr Jahre ins Land gingen, desto überzeugter war ich davon ebenso und auch jetzt noch, hier auf Gerimor… man konnte es nicht anders bezeichnen als das, dass mir das Unglück irgendwie anhaftete, wo auch immer ich wandelte. Irgendwie zumindest.

An jenem Abend jedenfalls wusste ich nicht so recht, ob ich Graham danken sollte oder nicht, weil ich gar nicht wusste, ob er es nun mit Absicht getan hatte oder nicht, dennoch fühlte ich mich in seiner Anwesenheit sicherer, da er anständig wirkte. Er schien mir auch ein recht guter Gesprächspartner zu sein, reflektiert, bodenständig, das gefiel mir. Was mir jedoch nicht gefiel, war der andere Kerl damals, weil es sich meines Verständnisses verschloss, wie jemand einer Frau den Hof machen konnte, um dann vor dessen Augen sich an eine andere Frau heranmachen zu wollen. Wollte er Eifersucht bei mir schüren? War da überhaupt noch etwas von dem, was er mir gesagt hatte? Oder war er nicht damit zufrieden, dass er erfolglos dabei war, mich zu kontrollieren? Denn kontrollieren lassen wollte ich mich nicht nochmals, das hatte ich Zeit meines Lebens mit mir machen lassen… hier auf Gerimor musste ich das nicht mehr und das kostete ich aus.

Allmählich wieder mich in den Gedanken verlierend, stocherte ich im Feuer herum. Die Begegnung mit den RaShar kamen auf und das interessante Gespräch mit den beiden, die wir im RaKun getrofen hatten, das kommende Treffen, was noch in einiger Entfernung lag, der Brief, den ich der Clerica gegeben hatte… von dem ich auch keine Antwort erwartete, nur wo es mir wichtig war, dass etwas ausformuliert wurde, was ich mit gesprochenen Worten noch unfähig war, zu formulieren, hatte ich doch zumindest etwas wahrgenomen, was meine Worte hervorgerufen haben mochten, vielleicht, vielleicht auch nicht. Gespräche, die aufkamen, weil ich laut darüber nachdachte, wie schön so manch leeres Haus in Rahal sei und offen gestanden hatte ich auch kurz darüber nachgedacht, zurück in die heilige Stadt zu ziehen, doch… nein, es war mir zu viel Stein, zu wenig Natur, zu wenig Freiraum… und irgendwie auch die fehlende Gemeinschaft dort, die ich in Düstersee doch zu schätzen gelernt hatte. In Düstersee konnte ich nachts den Sternenhimmel sehen, es war nicht so beengt und doch sicher. Das einzige, an das ich mich habe gewöhnen müssen, war das Wohnen in einem Haus. Die Annehmlichkeit eines Kamins war unbeschreiblich, ein jeden Tag aufs Neue wusste ich es zu schätzen und manchmal ließ ich ihn auch gar aus, damit ich mir umso bewusster um dieses Gut werden konnte, wenn ich ihn wieder anzündete.

Irgendwann spät in der Nacht legte ich mich schlafen, nahezu erschlagen ein weiteres Mal von den eigenen Gedanken, doch jener Schlaf war nicht von langer Dauer, holte mich doch jener Traum ein, der seit dem Fieber immer und immer wiederkehrte, nur dass er nicht damit endete, dass ich im Licht aufwachte, nein. Er begann so wie immer… überwältigt von den ganzen Erinnerungsfetzen versuchte ich mich loszureißen im Traum, doch je mehr ich es versuchte, desto enger schlangen sich jene Fesseln um mich, die mir jedes Fortkommen unmöglich machten. Jenem unbestimmten, aber warmen, tiefen Brummen wollten ich entgegenstreben, wollte es mir doch den Weg… hinaus? Irgendwo anders hin? zeigen. Dem Fingerzeig des berobten Mannes oder gar Templers wollte ich Folge leisten, der mir den Weg zur Lichtansammlung zeigte. Woher es ein Mann war, wusste ich nicht, das Wissen war einfach da. Als mich jedoch die Erkenntnis traf, dass ich alleine nicht fortkam, erschien ein dunkler, angriffslustiger Panther hinter mir, der allerdings nicht mich angriff sondern die Fesseln löste und auffraß… um dann fast schon drohend zu knurren als ich nicht sofort losrannte. Ich rannte. Und rannte… in meinem ersten Traum wachte ich auf, doch nun gelang ich nur auf eine Lichtung, wo ein Wolf auf mich wartete. Unsere Augen trafen sich und dann griff er auch schon an, mitten in der Senke, in der ich mich befand. Irgendwie konnte ich mich des Wolfes erwehren und statt, dass er mich biss, biss ich ihn in schierer Angst oder auch Not oder nur zur Wehr. Das Blut floss daraufhin und hörte nicht mehr auf und füllte jene Senke, in der ich mich befand. Voller Angst warf ich den Wolf von mir, doch es hörte immer noch nicht auf. An dem Punkt verstand ich es dann ebenso wenig, warum ich nicht hinaustrat sondern stattdessen in jenem badete. Jene Stelle aber, jener Schreck, den mein Bewusstsein dabei empfand, ließ mich ein jedes Mal keuchend aus dem Schlaf hochfahren. Die Nacht war vorbei und die Folgende sah genauso aus, ebenso ließ mir die Erinnerung an den Traum keine Ruhe, war er doch ganz anders als jene, die ich sonst träumte.

Nach zwei fast schlaflosen Nächten im Freien und zahlreichen Beobachtungen räumte ich mein Lager wieder zusammen und machte mich auf den Weg gen Heimat. Es war trotz allem schön, die Natur wieder so ungebrochen zu spüren, den Wind im Haar zu besitzen, den Regen auf das Gesicht fallen zu spüren… das Rascheln des Laubes wahrnehmen… meine Schritte leiteten mich jedoch nicht sofort zu den Toren von Düstersee sondern zu dem davor befindlichen Fluss, ließen mich dort in dem eisigen Wasser waschen und frische Kleidung anziehen, ehe ich mich vor allen anderen Orten in den örtlichen Tempel begab, um dort für einige Stundenläufe in dankbare Gebete zu versinken. Mit der Zeit war es mir fast gleich geworden, dass man es manchmal mit Besorgnis sah, wenn ich mich nicht nur kurz für ein Gebet in den Tempel begab, doch es gab so vieles mehr als einen vollen Magen oder einen sicheren Weg, für das ich dem All-Einen dankte. Er oder auch Seine Lehren hatten mir die Augen geöffnet und mich nur umso mehr dazu angestrebt, nach Wissen zu suchen und es mir anzueignen. Und ob es nun der All-Eine oder der pure Zufall war, dass sich die Wege der Magistra und die Meinen gekreuzt und sie mich in den Hort geholt hatten, auch dafür dankte ich Ihm. Sie hatte mir das Holz für den Funken gegeben, den der Herr mir zuteil geworden gelassen hatte.

Kaum, dass ich den Tempel verlassen hatte, kehrte ich auch in jenen Alltag zurück, den ich für diese kostbaren Momente zum Ende des Wochenlaufes zurückgelassen hatte. Die erste Amtshandlung war es, die Bestätigung für einen Termin zu bringen, mein Herdfeuer wieder zu schüren und mich am Ende doch erschöpft in mein eigenes Bett sinken zu lassen. Der neue Wochenlauf würde vermutlich genügend neue Abenteuer bereithalten.




Zuletzt bearbeitet von Auriane Treuwind am 12 Nov 2018 17:16, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Auriane Treuwind





 Beitrag Verfasst am: 14 Nov 2019 12:45    Titel:
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    14. Rabenmond 262
    Nun, dies ist mein erster Eintrag in diesem Buch. Auch wenn ich meine Gedanken bisweilen auf einzelnen Blättern bereits niedergeschrieben habe, kam mir erstaunlicherweise nie der Gedanke, dass ich sie gesammelt in einem Tagebuch festhalten könnte. Doch dieser Tage ist mein Kopf wieder so voll, dass sie einen Platz benötigen, an denen sie niedergeschrieben werden und nach einiger Zeit vielleicht auch mit gewissem Abstand betrachtet werden können. Nach und nach werde ich wohl auch die vereinzelten Zettel ihnen hinzufügen.

    Der Kater liegt wieder einmal vor dem leeren Arbeitszimmer und maunzt herzzerbrechend. So, wie er es immer getan hat, nachdem unsere werte Clerica nach Hause aufgebrochen war. Erstaunlich, wie anhänglich Tiere werden konnten. Das verschafft mir immerhin die Zeit, mich endlich dem zu widmen, was schon lange überfällig war. So einiges geschieht, was mir Sorgen bereitet, auch Sorgen um unsere Gemeinschaft. Nur wo fange ich an? Die Antwort kenne ich bereits, habe ich sie nur zu oft gehört: Am besten am Anfang. Es ist mir eine schwere Sache zu sagen, wo hier der Anfang ist, denn frage ich mich, ob die Dinge miteinander verstrickt sind oder jedes dieser einzelnd für sich eine Bedeutung haben.

    Erst am Tage vor dem gestrigen erreichte mich ein Brief, von dem man sagen könnte, dass er zu Verrat aufruft. Oder Ketzerei? Er hatte mich erzürnt, aus vielerlei Gründen und ich hatte dem Drang widerstanden, etwas zu zerbrechen; nur zu gut waren mir die wunden Finger und Knie noch in Erinnerung, die ich als Lektion erhalten hatte dafür, dass ich meinen Zorn ziellos entlassen habe. Auch dieser Brief war versiegelt wie der erste, der mich vor nur wenigen Wochen erreichte, genauso namenlos. Während der erste sich als Wettbewerbsbeitrag getarnt hatte und mich dazu aufgefordert hatte, mich von der Klippe zu stürzen ging es in dem neuen nun darum, Verrat zu begehen. Verrat am Herrn, wenn man es weiterstrickte. Wer nur war so töricht, es ausgerechnet von mir zu verlangen? Es musste jemand sein, der sich durchaus bewusst war, um die Beziehungen, wie sie es hier gab, ja, aber dann hätte er genauso wissen müssen, dass man nur zu gern munkelte, dass ich eines Tages doch noch den Weg in den Tempel finden würde. Ein dummer Feigling also? Nein, das glaube ich keineswegs, die Person wird sicherlich auf die ganz eigene Art und Weise im Bilde sein, was er da tut. So möge der Herr über ihn richten und seine Seele in Krathors Hände geraten. Oder war es noch eine Prüfung? Eine Prüfung meiner Treue? Dann kannst du dir gewiss sein, Untreuer, dass du dir deine verbliebenen Zähne ausbeißen wirst, nichts stellt sich dazwischen. Nichts! Diese Gedanken rufen eine alte Erinnerung in mir herauf, eine aus einem der Unterrichte, denen ich so gerne beiwohnte. Hatte ich damals doch eigentlich nur lauschen wollen und wurde doch von der Clerica befragt. Aus dem Nichts heraus und unvorbereitet. Jetzt, so unendlich viel später, setzte sich das Mosaik auch zusammen. Beim All-Einen, wie hatte ich nur so elendig blind sein können? Oh, sie hatte mich geprüft, ja, vor den Augen und Ohren der Gemeinschaft und vor der Templerschaft. Während es die anderen vermutlich sogar begriffen hatten, sah ich mit meinen blinden Augen nur die Hand, die mir dargeboten wurde, meine Gedanken frei heraussprechen zu können, um vielleicht eines Besseren belehrt zu werden. Doch meine Antwort schien zufriedenstellend gewesen zu sein, ich hatte trotz meiner Überraschung den Blick gesehen. Ausgerechnet die verschollene Schneiderin sagte noch, dass es den Anschein gehabt hätte als wolle man mich prüfen. Das Buch, die direkten Fragen vor der Gemeinschaft, das Gespräch im Tempel, bei dem ich vor Wut gebrodelt und sie beherrschen konnte… dann später die Offenbarung und nochmals später setzte sich alles zusammen. Jedes einzelne verdammte Stück des Ganzen. Man hatte mehr in mir gesehen als ich imstande war zu sehen und wollte mir einen Weg aufführen, vor dem ich später immer wieder die Augen verschlossen hatte. Bereute ich es? Ein wenig, aber nicht zu sehr. Damals war ich nicht reif genug in meinen eigenen Augen. Und mit fehlender Überzeugung hätte ich es ebenso als Verrat angesehen.

    Wer unreif ist, lässt sich beeinflussen und das hatte ich in der Vergangenheit zugelassen, ohne es zu merken, schlicht der Tatsache geschuldet, dass ich in einem fremden Land gestrandet und ohne Aussicht oder Wunsch auf Rückkehr in die „Heimat“ war. Damals hatte ich viele Ideen, wo mir aber nur oft genug gesagt wurde, dass ich es besser bleiben lassen und beim Schneiderhandwerk bleiben sollte. Das andere sei nichts für mich oder ich würde mich nicht für mehr als eine Helferin eignen. Erst hatte ich es akzeptiert, doch je mehr Lehren ich von anderen erhielt erkannte ich, dass man mich kleinhalten wollte. Hatte man Angst vor Konkurrenz? Angst davor, dass man vielleicht eines Tages über einem stehen würde? War es Neid, dass mein Wille seine Grenzen noch nicht erreicht hatte, ganz wie die Erhabene es mir sagte? Den einen oder anderen hatte es abgeschreckt, dass ich mehr und mehr meinem Weg gefolgt bin. Die Gemeinschaft nicht nur hinter den Mauern suchte sondern im Reich, denn wir waren eine Gemeinschaft, nicht wir und der Rest. Wenn sich andere dadurch zurückgestellt fühlten, dass ich das Gebet und das Gespräch mit den Templern suchte, die Probleme in der Gemeinschaft zu suchen versuchte, um sie vielleicht lösen oder vermitteln zu können, so soll es mir ein willentlicher Preis dafür sein. Eine Gemeinschaft war nur so stark wie ihr schwächstes Glied… so verhielt es sich auch mit einem Seil. Schnitt man etwas aus diesem heraus, nur weil es einen störte, um seine Enden wieder miteinander zu verknoten, war dort noch immer diese Schwachstelle, die sich jederzeit lösen kann und das Seil in sich schwächen. Genauso wie das Beispiel mit dem Haus damals im Hort.

    Die Person, die ich heute bin, das habe ich gewissen Menschen zu verdanken, ob sie es nun im Guten oder Schlechten getan haben, mein Streben hat nur noch mehr Feuer erhalten und mein Wille wurde gestärkt. Kein Ketzer wird mich beirren können oder der Ausschluss. Ich muss zugeben, kurz kommt mir die Frage auf, ob der Verfasser dieses Briefes die gleichen Gedanken gehabt hatte und seinem Zorn ein ganz falsches Ziel gegeben hat, aber ich will es bezweifeln. Mein Ziel werde ich nachwievor verfolgen: Ich will nicht mehr dieses schüchterne, unreife und unsichere Mädchen sein, das ich war als ich hier ankam. Ich will eine Frau sein, über die man nicht lacht sondern der man mit Respekt begegnen kann und die stets danach strebt, dem Herrn eine gehorsame und treue Dienerin zu sein, ganz gleich, was es koste.



*Kaum, dass die Zeilen niedergeschrieben worden waren, wird ein loser, beschrifteter Zettel hervorgeholt und er auf die innere Buchdeckelseite mit Leim befestigt, wohl achtend, dass nichts davon die Tinte erreichen mag.*


Allmächtiger,
gib mich ganz zu eigen Dir. Sieh tief in mein Herz und sieh die unerschütterliche Treue und Leidenschaft, die ich für Dich empfinde.
In Ehrfurcht senke sich stets mein Haupt, nur für Dich allein. Lass mich hören, ob Tag oder Nacht, wenn Dein Wort umhergeht, damit es gehört wird.
Erweise mir die Gunst zu erkennen, wenn ich gegen Deinen Willen handeln sollte, auf dass mich die Strafe dafür ereile.
Auch wenn meine Lippen stumm bleiben, soll mein Gebet an Dich sich nicht verlieren.
Dir zu Ehren soll all mein Streben sein, mein Wort nicht das Deine in Verruf bringen.
Lehre mich, die Tage zu zählen, dass ich sie für Dich noch nützlicher zu nutzen lerne.
Möge Dein Wille die Zeiten überdauern und Dein Reich jede Grenze überwinden!




Zuletzt bearbeitet von Auriane Treuwind am 14 Nov 2019 17:50, insgesamt einmal bearbeitet
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Auriane Treuwind





 Beitrag Verfasst am: 06 Aug 2022 18:10    Titel:
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Die Tage auf See waren gespickt von Arbeit, Gefahr und Sturm. Immer im Wechsel. Hatte es mit dem Angriff eines Kraken angefangen, wurde die Expedition gleich am nächsten Tag von Sirenengesang und Sturm heimgesucht. Das alles, die ersten beiden Tage auf See, mochten doch das Gemüt noch nicht verunsichern, auch wenn die Gefahr deutlich war, die es mit sich brachte, fernab der Lande zu sein. Angewiesen auf die Zuverlässigkeit und der Kenntnisse der Mannschaft als auch der Zuverlässigkeit des Schiffes selber. Selbst der innigste Aberglaube mitsamt aller Vorkehrungen hatte uns am Ende nicht vor den Strapazen und Gefahren schützen können.
Hielt ich den ersten Gewittersturm noch für schrecklich, hatte ich es nicht ahnen können, was auf jenen folgen mochte. Der Verlockung des Sirenengesangs zu entkommen war da wohl eine der leichteren "Prüfungen" gewesen, denen wir uns stellen mussten.

Doch war dies alles bereits eine Prüfung K'awis gewesen? War dies alles schon Illusion gewesen und vielleicht gar schon das Ablegen in Bajard? Wo hatte diese Illusion nur begonnen, in der wir uns befanden... oder gar erst im Sturm, in den wir zuletzt eingedrungen waren?
"K'awi sieht alles.", doch wer K'awi war, wussten wir nicht. Sie war Mutter, sie war ein Wesen oder eine Gottheit, die eine mächtige Illusion aufrecht erhalten konnte, die uns vorgaukelte, dass kein Lebewesen auf der Insel existiere und die Liedkundigen auf dem einen oder dem anderen Wege daran hinderte, ins Lied zu lauschen.

Wie wir letzten Endes auf die Insel gekommen waren, wusste ich nicht mehr, denn die gnädige Bewusstlosigkeit, aus der mich Terian noch an Bord hatte holen können, hatte mich schließlich im Meer übermannt. Überrolt von den mahlenden Wellen, die unser Schiff zerstörten in unbändiger Gewalt, die im Sekundentakt über uns hereingebrochen war und alles unbarmherzig zerstört hatte, was sich ihnen in den Weg gestellt hatte. Blitze, Sturmheulen, Gewitterdonnern und Rufe nach meinem Namen waren das, was mir geblieben waren. Und danach... weitere Erinnerungen. Oder waren es Träume gewesen? Visionen?

Ich saß im Krähennest mitsamt des Fernglases, denn es war meine Schicht, Wacht und Aussicht zu halten. Keine Vögel waren zu sehen, nur ab und an ein Tümmler oder andere Meeresbewohner. Und sonst... nur das weite, weite Meer, so weit das Auge nur reichte und wir inmitten einer Nussschale aus Holz. Ausgesetzt den Gewalten des Meeres und den Kräften der Natur. Hier und da schallten Gespräche zu mir herauf, welche ich solange auszublenden imstande war bis mein Name fiel. Wurde ich gerufen? Aye, Meldung machen. Doch gerade als ich aus dem Krähennest hinabklettern wollte sah ich Land. Land! "Land in Sicht!" rief ich auch den anderen zu und so machten wir nicht lange darauf Kurs auf jene eine Insel, die doch viel zu schnell bereits zu sehen war. Oder gerade richtig? Die Aussicht auf frisches Wasser und frische Vorräte war nur zu verlockend, auch wenn wir erst am Tage zuvor noch uns einen neuen Mast hatten beschaffen müssen nach dem Angriff der Faustkrieger.

Doch je näher wir der Insel kamen, desto merkwürdiger wurde es... vertrauter... milder... konnte es sein? Konnte es wirklich sein? Und wie?
Eiskalt schauderte es mir den Rücken hinab als aus der Ahnung Gewissheit wurde. Schnell kletterte ich die Seilleiter hinab zu Monique, um ihr zu verkünden, dass wir auf dem falschen Kurs sein mussten. "Aber non, chérie, wir sind hier richtig!"War ihre Antwort, gleich wie oft ich sie davon überzeugen wollte, auf falschem Kurs zu sein. Und dann... wie in einem Wimpernschlag, legten wir an und wurden von jenen empfangen, denen ich in meinem gesamten Leben nie mehr begegnen wollte: Meinem Volk, von dem ich vor mehr als vier Jahresläufen verbannt worden war. Doch sie waren... anders. Falsch. Und starrten mich mit bösen Augen an. Und zwar nur mich als würden die anderen gar nicht existieren. Und mitten unter ihnen Stand der Herr, mein einzig wahrer Herr, auf den ich mich verlassen konnte und der nie sein Wort brach.

"Komm, Auriane. Du hast deine Pflichten vernachlässigt. Komm nun.", waren Seine Worte, die Er an mich richtete. Doch warum war Er hier? Und warum sahen die anderen Ihn nicht? Er streckte Seine Hand nach mir aus, befahl mir stumm, mit Ihm zu kommen. "Es ist Zeit, Auriane. Nun komm." Und ich kam, folgte Seiner Aufforderung und vertraute darauf, dass Er wusste, was Er tat. So ging ich zögerlich, aber entschlossen auf die Leute meines Volkes zu, um Ihm zu begegnen, Ihm zu folgen. Was hatte ich mich doch danach gesehnt, mit Ihm Auge in Auge einst gegenüberstehen zu können, aber erhofft hatte ich es mir nicht. Ich war nur eine Gläubige unter vielen. Doch auf dem Weg zu meinem Herrn wurde es plötzlich heller... und wärmer. Viel wärmer... eine ganz andere Wärme begann mich zu durchströmen, die mir nicht unbekannt, aber auch nicht vertraut war... nur um mich umringt von Stimmen auf sandigem, festen Boden wiederzufinden und das Wasser aus meinem Leibe zu spucken als hätte ich das ganze Meer in mir. Darauf folgte wieder eine Zeit der Schwärze und Stille bis ich irgendwann unter einem dunklen, sternklaren Himmel erwachte. Ohne Erinnerung so recht und ohne Orientierung. Und niemand hatte mir recht sagen wollen, was geschehen war, vor allem mit mir.

Die Tage gingen dahin. Während ich wieder zu Kräften zu kommen suchte, mussten die anderen sich einer ersten Prüfung stellen. Und während all der Dinge auf der Insel war unverkennbar die stete, etwas feuchte Wärme anwesend, während wir am Strand Zuflucht gefunden und von den Inselbewohnern Nahrung erhalten hatten. Unter einem Sternenhimmel, wie er keinem anderen zu gleichen mochte. Prächtig, voller Lichtsprenkel...

Dann endlich konnte man die Insel erkunden. Keinerlei Lebewesen waren für uns sichtbar, dafür umso breiter die Blüten- und Pflanzenpracht, wie sie ungesehen war. Überall spross das volle Leben aus dem Boden heraus, selbst der Sumpf schien nur allein anhand der Pflanzen das blühende Leben zu sein. Und weit war sie, sehr weit, diese Insel, mitsamt einer zerfallenen Stadt und einem intakten Tempel, den niemand von uns betreten durfte. Wo nur waren wir hier? Wie tief reichte diese eine Illusion nur? Und existierten diese Inselbewohner tatsächlich?

"K'awi xan'yasha", ein Gruß wie ein Abschied schienen die Worte zu sein, "A'xi" ein Wort der Zustimmung und "Chun" ein Wort der Verneinung. Immerhin etwas, was wir von diesem Ort lernen durften, während nun auch die zweite Prüfung anbrach. Die Prüfung des reinen Geistes und sie fing an, während sie alle noch miteinander sprachen. "Aus gebraucht machen frisch" war ein Teil davon. Nur was mochte es bedeuten?

Viele Gedanken wurden geteilt an diesem Abend nach der Verkündung. Viel geredet und am Ende war man sich einig uneinig vermutlich. Die Beobachtung, wie ein jeder sich verhalten mochte während der Prüfung. Wesens- oder Verhaltensänderungen, oder eben auch nicht. Oder sollte es möglicherweise auch sein, dass wir uns Gedanken über den Wandel der Zeiten machten, dem Kreislauf des Lebens, an dem das Alte stets weichen musste für das Frische und Junge, damit sich Alathair erneuern konnte? Oder waren es die Bande untereinander, das Überdenken alter Denkmuster und Bilder des jeweils anderen? Fragen, viele Fragen kamen auf und schließlich auch das Geheimnis, um das sich so viele gedrückt hatten, wem ich überhaupt mein Leben zu verdanken hatte. Wer weiß, was ohne diese Person geschehen wäre, ob ich den Herrn Alatar nicht erreicht und Er mich nach Nileth Azhur mitgenommen hätte, von dem ich nach dem Aufwachen dachte, dass ich dort nun endlich angekommen wäre. Nur wie, verdammt, sollte ich diese Schuld begleichen können? Wie nur gegenübertreten?

Doch gleich, welche Gedanken mich heimsuchten die bis spät in die Nacht keine Ruhe ließen. In der Nacht tat sich ein weiteres Wunder auf und das Meer beginn ein Festspiel zu präsentieren. Es leuchtete voller Sprenkel, die sich gar noch verteilten wie ein Regen aus Sternen, wenn man die Wassertropfen zurück ins Meer gleiten ließ. Als würden die Sterne gar vom Himmel hinabfallen, hernieder zu uns Gestrandeten. Und in diesem Moment überkam mich ein Ausdruck tiefer Freude und Zufriedenheit, trotz dessen, dass ich im Grunde neben Feinden stand. Friede hatte mich heimgesucht beim Anblick des endlosen Himmels über mir und dem Lichterspiel um mich herum. Auch der warme Sommerregen, der über uns hereinbrach irgendwann, mochte keines dieser Gefühle trügen. Vielleicht war dies Teil der Prüfung, diese Gefühle aus reinem Geiste empfinden zu können oder vielleicht war dies K'awi, wie die Inselbewohner sie erlebten. Das Geheimnis, wenn es denn eines gab, würde ohnehin nicht gelüftet werden. Für den Moment hatte einmal nur wenig Bestand bis zum Morgengrauen: Die Ruhe in sich selber wiederfinden, Zufriedenheit und Freude empfinden und das zu schätzen wissen, was um uns herum war. Keine Pflichten ausnahmsweise, keine Appelle, nur wir, die Inselbewohner mit allem, was dazugehörte und das weite, weite Meer mit seinem wundervollen Himmel.


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