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Glück im Spiel
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Ivit Merat





 Beitrag Verfasst am: 28 Aug 2018 14:46    Titel: Glück im Spiel
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Fünfzig Tage lang war die Geschichte perfekt. Eltern. Söhne. Endlich eine Tochter. Ein Name, der sie vereinte und aneinanderband. Es hatte nicht zu interessieren, woher die Tochter kam. In Ediphanie Merats Kreisen wusste man um die Brisanz der falschen Frage und unterließ sie tunlichst:

"Wessen Kind ist es wirklich?"
"Was habt ihr der Frau gezahlt?"
"Könnt ihr ein Kind wirklich lieben, das nicht von eurem Blut ist?"

Die falsche Frage war Selbstsabotage. Die falsche Frage katapultierte einen aus diesen Kreisen, direkt in die Isolation, mitten in die bittere Kälte der ausbleibenden Balleinladungen und höflich umkleideten Ablehnungen. Es war hart genug, in bessere Kreise zu gelangen. Abzusteigen hätte jahrelange Bestrebungen ruiniert. Man stellte falsche Fragen nicht direkt. Es gab andere Wege. Tratschende Stubenmädchen, aufmerksame Kutscher und geschäftstüchtige Schneiderinnen waren daher Goldes wert. In die Tiefen dieser Tratschgoldmine ließ es sich dennoch schwer vordringen. Sie gestalteten sich auch für die hartnäckigsten Goldschürfer labyrinthisch und versponnen. Das Stubenmädchen behauptete steif und fest, das Kind entstamme einer Köhlerfamilie, der Kutscher witterte einen verhinderten Skandal und einen Bastard auf herzöglicher Seite, den die Merats den Involvierten abgenommen hatten, was ihnen bisher noch unbekannte Vorteile verschaffen würde, während die romantisch veranlagte Hausschneiderin von einer geheimen Liebschaft Rilas Merats fabulierte, deren Kind man Ediphanie unter falschem Vorwand untergeschoben hatte. Wo immer das Kind herkam, es ließ das ganze Haus durch sein forderndes Kreischen von seiner Existenz wissen. Ediphanie behauptete steif und fest, das Gebrüll sei belebend, wenn die Söhne darob jammernd ihre Beschwerden vorbrachten.

Fünfzig sorglose Tage lang war alles gestärkte Wäsche, spitzenumrandeter Stubenwagen, winzige Fingernägel, helles, gesundes Geschrei, das sich durch geübte Griffe verlässlich eindämmen ließ. Es war nicht das erste Kind in diesem Haushalt. Man fiel in wohlbekannte Muster zurück, entstaubte schon lange verstaute Bettchen und stellte sich auf endlos viel Schmutzwäsche ein. Die Kinderfrau bügelte unentwegt, Ediphanie streichelte dem Kind über seinen erstaunlich winzigen Kopf, Rilas Merat beugte sich ab und an halbinteressiert über sein Gesicht, die Söhne piekten es in seine Backen und verloren nach ein paar Augenblicken sofort wieder das Interesse. Am vierzigsten Tag klagte Ediphanie Merat über Kopfschmerzen. Am zweiundvierzigsten verordnete der Medicus Bettruhe. Am fünfundvierzigsten nahm man ihr das Kind aus den Armen. Sie hätte es nicht mehr halten können. Am achtundvierzigsten standen die Söhne mit rotzverschmierten Gesichtern in der Tür. Am fünfzigsten wachte sie nicht mehr auf.

Das helle Kindergebrüll gellte den Hausbewohnern zwei Tage danach in den Ohren. Es war Kraft und Aufbegehren, Protest und Widerstand. Während Ediphanie alles Leben verlassen hatte, konzentrierte es sich stattdessen in dem zunehmend unglücklicheren Säugling. Rilas Merat schrie selten, aber nun wütete er kreidebleich, man solle das Kind fortschaffen und zwar schnell. In einem Akt der Selbstsabotage weinte es daraufhin nur noch verzweifelter. Die Kinderfrau schaukelte das kleine Bündel, mit dem sie über die letzten Wochen verwachsen war, beugte den Kopf vor Rilas Merat, wie alle, die wussten, was gut für sie war, band sich ein Tragetuch um den Körper, raffte die Röcke und eilte mit der Halbwaise dem Kinderzimmer zu, um das Nötigste einzupacken.

Wäre Rilas Merat ein weniger pflichtbewusster Mann gewesen, hätte Ivit Merats Leben deutlich anders ausgesehen. Die Amme wog eben diverse Optionen ab, wie möglichst viele Kronen aus der Sache zu schlagen waren und schwankte zwischen einer weiteren Adoption und einem Verkauf als billige Arbeitskraft an die Familie ihrer Base, als der Hausdiener gerannt kam und atemlos die neue Order verkündete: Rilas Merat hatte ein Einsehen gehabt und ein Schreiben verfasst, das ans nahe Temorakloster überreicht werden würde, wohlweislich vom mitgeschickten Hausdiener verwaltet, der sich mit hitzigen Backen seinen Reiserock überwarf und die Amme prompt für ihr sauertöpfisches Gesicht tadelte.

Fünfzig Tage lang war die Geschichte perfekt. So ist das mit Geschichten. Bis das Leben sie nimmt und zerreißt.
_________________
All the world’s a stage // And all the men and women merely players

https://www.altforst.de/Ivit_Merat
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