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Von Narren und Helden
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Tarlesin Merat





 Beitrag Verfasst am: 04 Aug 2018 22:28    Titel:
Antworten mit Zitat

259
Ein Ball


“Bericht.”, sprach er nur einen Deut zu angespannt, als er das schlichte Ornat für seinen heutigen Abend anlegte. Eine Uniformjacke aus schwarzer Seide, darüber eine samente Schärpe in dem dunklen Blaugrau, das die Familiefarbe des alten hauses Altforsts war. Das Rangabzeichen auf den Epauletten war lose dem Hauptmannrang der Kronregimenter nachempfunden. Die Schulterstücke der Person, die gerade das Ankleidezimmer betreten hatte, zeichneten ihn als Korporal aus.

“Das Gelände ist sicher, Herr. Die Männer bewältigen die Versuche der Gäste, kleinere Waffen mitzubringen, gut. Der ansehnliche Teil der Truppe hat sich unter die Kellner gemischt. Der Rest ist im Bedienstetenhaus.” Tedrik Dovan trug dieselbe Aufmachung, sah aber alles andere als galant in ihr aus. Er war Veteran der königlichen Armeen in den Reichsmarken und trug die Spuren von Strafexpeditionen wider die Orkenplage deutlich im Gesicht. Er, und knapp drei dutzend andere, waren auf Geheiß seines Vaters vor einem Jahreslauf rekrutiert worden, um eine private Armee aufzustellen. Als Söldner sollten sie durch das Land ziehen, das elende Schwert suchen und sich nebenbei durch Aufträge selbst finanzieren. Rilas Merat hatte dafür einen Boten nach Aschenfeld schicken lassen, der ihn darüber informierte, dass er seinen Rücktritt in der Kavallerie einreichen durfte. Ihn erwarte eine Kommission als Anführer besagter Truppe. Und nur für den Fall, dass er nicht in kürzester Zeit seine enthusiastische Annahme verkündete, hatte sein Vater im Post Scriptum einen Intrige skizziert, die zu entsprechenden Gerüchten über seine.. Involvierung mit verheirateten Personen von Stande führen könnte, was sicher seine Chancen auf einen Offiziersposten in der Kavallerie verspielt hätte. So weit es seinen Vater betraf, war es ein recht höflicher Brief. Und einer, der die Geschehnisse in Bewegung setzen, der jetzt dazu führte, dass er sich von einem narbengesichtigen Veteranen helfen lassen musste, die aus Silberdraht gefertigten Achselbänder anzulegen. Schließlich sollte er die militärisch-organisierte Macht des Hauses Merat gegenüber den Fanras zur Schau tragen. - Die Macht, die er möglichst ohne in die Familientaschen zu greifen finanzieren sollte. Oder, um es mit den Worten seines Korporals auszudrücken: “Dreck.”.

Er nickte den Bericht ab. “Gut, Korporal - dann werfen wir uns einmal ins Getümmel.” Ein fahles Lächeln zeichnete sich auf dem Gesicht des Kommandanten ab, bevor er mit einer enthusiastischen Geste die Türen des Zimmers aufstieß und mit durchgestrecktem Rücken und militärischem Schritt die Treppe hinab zum großen Saal nahm. Fanras, Merat und andere, die aus der Sicht des Meratpatriachen für die Unternehmung “Altforst” nützlich waren, hatten sich auf dem Landhaus, dass seine besten Tage schon hinter sich hatte, eingefunden und verhielten sich in der dem Bürgertum eigenen Art der übersteigerten Manier in dem Versuch, wie Adel zu sein. Ein Theater. Ein Theater, in dem seine Rolle mit einer schriftlichen Beschreibung und einem Skript nicht hätte klarer sein können: Erfolgreicher Sproß der Familie, dekorativ aussehen und mit jedem gut auskommen.

Bewaffnet mit ungeduldiger Insistenz, abgeschwächt durch anerkennende Worte (“Ein schönes Kleid, Base”, “Ihr seht ganz Formidabel aus in Eurem Frack, Großvater”), bahnte er sichs einen Weg durch das angespannte Familiengedränge, bis er an die Seite seines Bruders Gaius trat und, wie zufällig, einen Supplikanten aus einem der Betriebe des Vaters aus dem Weg schob. Er nickte ihm zu, schelmisch eine Braue erhoben, bevor er ihn mit üblicher Merat’scher Freude begrüßte: “Gaius”. Die Erwiderung: “Tarlesin”. Er fischte sich ein Glas vom Rotwein von einem vorbeischwebenden Tablett, ohne seinen Träger eines zweiten Blickes zu würdigen, und nahm einen höflichen Schluck. Gaius deutete mit einem unauffälligen Kinnzucken zu einem zweiergespann junge Fanras. “Ich soll sie heiraten.”, Gaius kommentar war ein inbegriff der Neutralität. “Welche?” Ratlos erhobene Schultern. “Eine von ihnen. Vater sagt, die Fanras sind sich noch nicht einig.” Zum ersten Mal an diesem Abend schlich sich ein ehrliches Lächeln auf die Züge des blonden Merats. “Du unzufrieden, dass Du es bist, der verheiratet wird, kleiner Bruder, eh?” Er hatte ins Schwarze getroffen. “Tarlesin, du bist ja immer weg! Hier eine Erledigung, dort eine Kommission im Militär, jetzt die ganze Sache mit den Söldnern. Ich bin der wohlerzogene von uns beiden, der Geschäftsmann, der gute vierte Sohn.” Er wollte nicht heiraten. Allein, weil er - im Gegenzug zu Richard, dem ältesten Brüder - ohne Fehl loyal zu seinem Wort war, unabhängig davon, ob er es aus eigenem Willen oder aus dem seines Vaters gäbe. Die falsche Frau würde ihn dahinraffen. “Haben die Heiler eigentlich etwas zu deinen Kopfschmerzen gesagt?”, hakte Tarlesin dann nach. Gaius war die letzten Wochen von Migränen geplagt, die ihn manchmal dazu brachten, sich in einem Zimmer einzuschließen und die schwersten Vorhänge zuzuziehen, um das Licht zu verbannen. “Nur etwas temporäres, sollte zumindest bis zur Hochzeit weg sein. Irgendwas mit wetterfühlig.” Ein zufriedenes Nicken. Er würde es hassen, wenn sein Bruder nicht seinen Geschäften nachgehen könnte.

Dann: “Grundgütige Herrin”. Durch die gedeckten Farben war es ein Leichtes, seine Adoptivschwester zu erspähen. Ivit Merat, Gesellschafterin am Hofe ihrer Erlaucht, Besitzerin eines Kleiderschrankes der manchen Banken als Goldreserve dienen könnte, war zu Gast. Und sie trug in einem Meer gedeckter Farben ein feuerrotes Kleid. “Gaius, mein Bester, ich muss meinen Pflichten nachkommen!”, ein solidarischer Klaps auf den Oberarm, ehe er in Richtung der Schwester entschwand und den Abend als sozialer Schmetterling einleitete. Hier ein Tanz, dort ein höfliches Gespräch mit dem Leutnant der lokalen Wache, eine Beiläufige Bestellung einer Weinflasche für die neue, nicht besonders glücklich auf einer einzelnen Bank sitzende neue Assistenz seines Vaters, mit der bislang noch kein Wort wechseln konnte.

Gerade war der Abend daran, Fahrt aufzunehmen, bevor sein Korporal den sozialen Kokon des Schmetterlings durchbrach und ihn leise, aber eindringlich auf Missstände hinwies. “Herr, die Fanras ist vom Balkon gefallen.” Ein unverzeihlicher Lapsus, den Tarlesin zu korrigieren wusste. “Titel und Vorname”. Der Korporal verdrehte die Augen. “Fräulein Amalina Fanras ist vom Balkon gefallen”. Besser. Er entschuldigte sich mit einem verbindlichen Handschlag von seinem derzeitigen Gesprächspartner, griff im Vorbeigehen einen entfernten Verwandten, von dem er wusste, dass er sich auf die Heilkunst verstand und machte sich auf den Weg in den Garten.

Der Abend war nett. Bis jetzt.


Zuletzt bearbeitet von Tarlesin Merat am 04 Aug 2018 22:31, insgesamt einmal bearbeitet
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Ivit Merat





 Beitrag Verfasst am: 05 Aug 2018 22:26    Titel: Lang, lang ist's her
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"Fräulein Merat, das kann nicht Euer Ernst sein." Das Mädchen starrte mit offenem Mund das auf dem Himmelbett zurechtgelegte Kleid an, dessen intensives Blutrot sich von der gestärkten weißen Bettwäsche abhob - Rotwein auf einer blütenweißen Tischdecke, ein Mohnblumenstrauß in einem Schafsgarbenfeld, ein Faustschlag im besten Fall. Der bauschige Rock war mehrlagig und ausladend, das schulterfreie Mieder mit den nur angedeuteten Ärmeln formte streng, wo es sollte und das hintergründige Schimmern der Farbe verhinderte ein Wegsehen förmlich. Es war ein Kleid, das wie aus einem Guss gefertigt schien, eine Maßanfertigung aus Menek'Ur, die die Trägerin wie ein Rufzeichen in einem Meer aus bloßen Punkten erscheinen ließ. Ivit Merat war sich dessen gänzlich bewusst. Und es gefiel ihr.

"Es ist mein voller Ernst. Bring die Waschschüssel und tupf mir die Stirn ab." Sie ließ sich aufseufzend in den gepolsterten Sessel vor dem goldumrandeten Spiegel niedersinken, der Ediphanie gehört hatte und vergaß das verdatterte Dienstmädchen im selben Moment. Träge überschlug sie in Gedanken die derzeitige monetäre Situation und den Ertrag der letzten gewonnenen Wette, als ein weiteres unbeholfenes Blöken und eine unsanft abgestellte Porzellanschüssel sie aus den Berechnungen riss.

"Aber...es ist so.. was wird Euer Vater sagen?" Das Mädchen schob die zahlreichen Brenneisenlöckchen, Produkt intensiver Nachmittagsvorbereitungen, aus Ivits Stirne und wusch ihr das Gesicht, während diese die Unterarme auf den Lehnstuhl stützte, die seidenbestrumpften Beine auf den Spiegeltisch schwang, sie an den Knöcheln kreuzte und die Augen schloss, ein halb spöttisches, halb mitleidiges Lächeln auf den Lippen, das sie üblicherweise nur für Verehrer reserviert hatte, die unter ihrem Stand waren.

"Wie lange arbeitest du schon für dieses Haus, Silva? Wie gut kennst du Herrn Merat?"

"Ich... Euer Vater lässt mich für größere Gesellschaften holen, ist sonst zu viel für Magda und die anderen, außerdem können sie nicht..."

"Wenn du glaubst, ich habe selbst für das Kleid bezahlt, denk noch einmal genauer darüber nach. Nach dem Tanz erwarte ich übrigens einen Zuber. Und zwar mit kaltem Wasser. Mit kalt meine ich, dass du Eis aus der Küche dafür holen gehst. Und nun steck mir das Haar hoch."

Das Mädchen zögerte, ließ das Tuch in die Waschschüssel fallen und starrte seine Füße an. Ivit sah seine Hände nervös am eigenen Schürzenband zupfen, während sie selbst sich aufrichtete, in dem ausladenden Spiegel betrachtete und winzige, tropfenförmige Ohrstecker anlegte. Das Kleid war eine Aussage für sich selbst. Es brauchte sonst nicht viel. Die diamantenen Stecker waren ein Geschenk Rilas Merats zum letzten Hochzeitstag gewesen. Ein Geschenk für Ivits Adoptivmutter. Wie so vieles aus Ediphanies Besitz war der Schmuck an Ivit übergegangen, nachdem er ihn schlecht Ediphanies Nachfolgerin schenken konnte.

"Silva. Haare. Ich wiederhole mich ungern."

"Das Eis ist für die Getränke, Fräulein Merat."

"Wieviel verdienst du hier an einem Abend? Nein, erspar mir die Antwort. Es ist etwa dreimal so viel wie eine Schankmaid in einer Woche ausbezahlt bekommt. Also finde einen Weg, bring einen Zuber und tu, wozu du hier bist."

Der Rest war bedröppeltes Schweigen. Die Dienstmagd wurde zwar puterrot im Gesicht, aber gab keine Widerworte mehr von sich, widmete sich der Löckchenflut und versenkte eine Armada an Haarnadeln in dem kupferroten Schopf der Merattochter. Hilflos versuchte das Mädchen noch, Ivit erst ein Unterkleid und dann eine Stola aufzuschwatzen, was sie mit einem nachsichtigen Blick und einem uninteressierten Abwinken zu verhindern wusste.

Das Ballkleid hätte ihr die Temperaturen noch unerträglicher werden lassen müssen. Stattdessen fühlte es sich wie die einzig richtige Haut bei diesem Wetter an, kühl, glatt und leicht. Was immer die menekanische Schneiderin darin eingewoben hatte, tat seine Wirkung. Ivit trat ans Fenster und schob einen Vorhang beiseite. Es kümmerte sie wenig, ob man sie dort stehen sah. Die ersten Kutschen fuhren vor und mit der unerträglichen Hitze waberten Gesprächsfetzen ins Zimmer, manche hell und vorfreudig, manche gequält und matt. Sie erkannte ein paar Fanrasköpfe. Linharts. Finnaias. Eine war Emalina und eine Amalie, aber welche nun welche war - schwer zu sagen. Eine davon trug jedenfalls etwas entschieden Unförmiges, selbst aus der Distanz waren einfrierende Mienen erkennbar. Viele der Fanrasgäste wirkten nur vage vertraut, von der vergangenen Zeit gezeichnete Gesichter, die sie ein, höchstens zweimal im Leben gesehen hatte. Ivit Merat machte keine Anstalten, sich in Bewegung zu setzen. Vom Gang her vernahm sie Tarlesins gewollt joviale Stimme, ein kurzes Blaffen, das Gerolds sein könnte, Richards ruhige Schritte, hektisches Dienergetrappel. Schließlich übernahm die einkehrende Stille das Regiment im Obergeschoß, nach ein paar Augenblicken von Streichertönen durchbrochen.

"Fräulein Merat? Wollt Ihr nicht hinuntergehen?"

"Nein."

"Aber..der Ball beginnt in wenigen Momenten."

"Ja." Es überstieg den Horizont des Mädchens. Eindeutig hatte es noch keine Übung in der Kunst des Dienens, die zum Großteil aus wohlgewähltem Schweigen und verschworenem Verständnis bestand.

"Und Ihr wollt zu spät kommen?"

"So ist es."

"Aber.. Euer Vater..?"

"Was habe ich dir vorhin erklärt? Was passiert, wenn jemand ein Zimmer viel später als alle anderen betritt?"

"Es ist peinlich, weil alle hinsehen, und man versucht, möglichst unsichtbar zu sein?"

"Nur ein Aspekt daran ist richtig. Alle sehen hin. Brauchst du schriftlich, wessen Idee das war?"

"Aber warum?"

Ivit verzichtete auf die Antwort, ließ sich wieder in den durchgesessenen Stuhl und eine angenehme Bewegungslosigkeit gleiten und entließ das Mädchen mit einem kurzen Handdeut. Erst als es bei der Tür hinaus war, nahm Ivit Merat den Kohlestift auf, setzte ihn am linken Augenlid an und erläuterte ins Leere:

"Ablenkung. Repräsentation. Präsentation. Gefallsucht. Such es dir aus."

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Jeder hatte seinen Platz auf der Welt. Die einen waren zum Bäcker geboren und vertrugen das frühe Aufstehen ohne Schwierigkeit, die anderen bewegten sich mit Leichtigkeit auf glattem diplomatischem Parkett und wieder andere führten Schwerter wie die natürlichste Verlängerung ihres Arms. Es gab jene, die zum Dienen geboren waren und jene, denen von Kindheit an eine selbstverständliche Autorität anhaftete.

Ivit Merats Platz war dieser. Hunderte Kerzen, ein ausladender Saal und ein gut bezahltes Orchester, das spielte, bis ihm die Finger bluteten. Es war nur ein läppischer, ordinärer Landball, nichts Besonderes, und Temora allein wusste, warum Vater ihn genau zu diesem Zeitpunkt und bei dieser Hitze abhalten wollte, aber sie genoss jeden Geigenton, jede Drehung, jedes Glas Wein. Ihr erklärtes Ziel war, am Ende des Balls die Schuhe durchgetanzt zu haben.

Tarlesin und Kevan hatten Talent, Richard legte eine solide Haltung an den Tag. Die Fanras konnte sie nicht auseinanderhalten. Solange ihr die Tanzpartner nicht auf die Schuhspitzen traten, legte sie allerdings sogar eine seltene Milde an den Tag und verlangte keine komplizierten Schritte und ausgefeilten Abfolgen. Nur weitergehen sollte es, drehen wollte sie sich, Momente sammeln und rasch wieder vergessen, wenn das nächste Stück begann und sie ein anderer auf die Tanzfläche führte. Stillstand verachtete sie, und selbst die nötigen Trinkpausen des Orchesters dauerten ihr zu lange. Eine wollte sie nutzen, um mit der angekündigten Assistentin ins Gespräch zu kommen, die allerdings nirgendwo zu sehen war.

Während sie sich mit einem ausladenden Fächer viel zu heiße Luft verschaffte, entstand Tumult an der Terrassentür. Rufe nach einem Heiler wurden laut. Ivit Merat prüfte ihr Schuhwerk und ballet mit essigsaurem Ausdruck die Hände. Keine Spur von einem Loch.
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Kilian Fanras





 Beitrag Verfasst am: 06 Aug 2018 09:55    Titel:
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"Das kannst du vergessen."

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Manche Menschen gehen auf einen Ball um Kontakte zu knüpfen oder alte Bekanntschaften zu erneuern, manche nutzen das Parkett um Konkurrenten auszustechen - meist im übertragenen Sinne - und wieder andere nehmen die Gelegenheit war um sich einfach auf Kosten anderer zu betrinken und später seelenruhig den Rausch im eigenen Erbrochenen ausschlafen zu können. Und dann gibt es natürlich noch die, die sich tatsächlich einfach amüsieren wollen. Auf der Tanzfläche, an der Bar und je nach Naturell dann auch bei leichtfüßig vertraulichen Gesprächen in der Abgeschiedenheit eines Balkons oder - schweisstreibender - im nächsten nicht abgeschlossenen Zimmer.

Eine Uniform zu tragen und sei sie auch von der übertriebenenen Plakativität eines Bediensteten hatte schon immer seine Vorteile, wenn es galt möglichst ungehört und ungesehen durch die Reihen der Gäste zu wandern. Es brauchte kaum mehr als ein wenig Geschick und feste Beharrlichkeit um allfällige Anfragen nach Getränken, Auskunft oder Frivolitäten stets dankbar lächelnd zu parieren und von anderen, weniger glücklichen Dienstboten auffangen zu lassen.

Arbeit war Arbeit.

"Kilian Fanras?"

Der Angesprochene, daran konnte kein Zweifel bestehen, war einer, der des Vergnügens wegens hier war und auch jetzt, gestört im hitzigen Würfelspiel mit zwei bereits leicht angetrunkenen Damen, fand sich nicht der Anflug von Missmut darob der Störung. Ein solides Lächeln, gut genug für jeden, der nur oberflächlich hinsah und der Dienstbote entschied, dass das heute für ihn zutraf.

"Ihr werdet im grünen Salon erwartet. Jetzt. Ich fürchte vor dem Vergnügen kommt noch ein wenig Arbeit."

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Wenn der grüne Salon tatsächlich einmal die namensgebende Farbe getragen hatte, so gab es heute keine lebende Seele mehr, die sich noch an diese Tage erinnern konnte. Als Jagdzimmer geplant, war der Raum eine Zurschaustellung von Waidmannsgeschick, die sich nicht mit Geschmack verbunden hatte. "Mehr hilft mehr." - das hatte jemand ganz wörtlich genommen und hunderte skelettierter Schädel in Reih und Glied sortiert. Eine Heerschar von Rehböcken, gleich neben einer Armee von Wildschweinen, Hauer an Hauer, starrten aus leeren Augenhöhlen anklagend auf den kleinen, fellgesetzten Tisch, den ein besonders findiger Präparator auf die vier Beine eines Wolfes gestellt hatte - der Schädel des Raubtieres hing in ewiger Anklage mit weit geöffneten Rachen ebenso herab, wie der Schweif auf der anderen Seite.

Und um diesen Wolfstisch hatten sich nun jene versammelt, für die ein solches Zusammentreffen in erster Linie Arbeit bedeutete und die Vergnügen daraus schöpften die Früchte dieser Arbeit aufgehen zu sehen.

"Du hast mitbekommen, was passiert ist. Und du kannst dir denken, dass die Pläne für den heutigen Abend sich damit erledigt haben. Aber das tut der Notwendigkeit keinen Abbruch und bringt mich genau zu dem Gespräch zurück, das wir letzten Mond erst geführt haben. Es wird Zeit, dass du deinen Teil beiträgst, Kilian. Schluss mit den Eskapaden. Schluss mit dem Gejammer. Die Familie braucht dich und wir haben wahrlich nicht die schlechteste Partie für dich im Auge. Yavi ist die perfekte Ergänzung um deine unstete Natur sowohl auszulasten, als auch in geordnete Bahnen zu lenken - aber das hatten wir ja bereits.
Lass dir einfach gesagt sein, dass die Vorbereitungen bereits laufen. Der Termin für die Hochzeit ist bereits festgelegt und auch die Namen für die ersten beiden Kinder. Offen sind nur noch die Namen auf der Einladungskarte. Ich will, dass deiner dabei ist."


Insgesamt vier Männer - denn solche Gespräche wurden wohlweislich möglichst unter Ausschluss der holden Weiblichkeit geführt - betrachteten den Angesprochenen nun: Der eine scharf, einer grimmig, zwei weitere eher resigniert, als wüssten sie bereits, was nun unausweichlich geschehen wurde.

"Das kannst du vergessen. Du glaubst noch immer ich treibe einfach, wohin der Wind mich bläst und es benötigt nur eine starke Hand, um mir eine Richtung zu weisen? Schau mich an. Nein. Und das ist nicht verhandelbar."


"Wir brauchen diese Hochzeit. Alles bricht auseinander, Kilian. Du bist ein Traumtänzer, aber nicht einmal du kannst so ignorant sein, das nicht zu bemerken. Und das Problem der Familie .."

".. ist nicht mein Problem. Ich sehe ehrlich gesagt nicht einmal das Problem. Wenn ihr nun der Meinung seid, dass Amalina sich wegen der Aussichten der Ehe vom Balkon gestürzt habt, dann sucht halt jemand Anderen. Ich verstehe nicht, wo ich dabei plötzlich wieder ins Spiel komme."

"Dieser Weg ist nicht verschlossen, aber wir brauchen jetzt etwas Zeit. Zeit, die nicht da ist: Wir müssen liefern. Und nebenbei: Gaius will nun Amalina. Er hat mit ihr gesprochen. Sie gefällt ihm."

"Wann hat dich das jemals gekümmert? Er ist doch der wohlerzogene Geschäftsmann, der gute vierte Sohn, der so gern davon redet die Pflicht zu erfüllen, oder? Hat mich erst letztes Jahr belehrt, als .. fein."

Ein Moment der Stille, eben lang genug um Hoffnung in den vier Männern wachsen zu lassen.

"Dann eben die Andere. Kartoffelsack. Macht nicht den Eindruck, als würde sie sich vor Kummer irgendwo herabstürzen. Und ganz ehrlich? Diese Provokation schreit doch nach Aufmerksamkeit. Wenn es eine Frau hier gibt, die es dringend benötigt, dann sie."

"Emilie?"

"Ja? Holt sie her. Fragt sie aus, was sie von der Hochzeit hält. Ich wette eines meiner Eier, sie wird kein gutes Haar daran lassen. Sie ist perfekt."

"Gaius wird das nicht gefallen."

"Und mir gefällt Gaius nicht. So müssen wir alle mit unseren Sorgen leben, nicht? Und jetzt, meine Herren, nachdem ich so hilfreich war: Da warten ein paar Damen auf mich. Und ich habe nicht vor eine von ihnen zu ehelichen."

----

Zwei Jahre später starrt der Mann in den Abendhimmel hinauf, auf Sterne, die sich nicht gewandelt haben. Vielleicht, so denkt er, lächeln sie über die flatterhaften Sterblichen und ihre lächerlichen Hoffnungen und Träume. Vielleicht sind sie auch gleichgültig und kalte, stille, teilnahmslose Beobachter.
Er ist nicht sicher, was ihm lieber wäre.


Zuletzt bearbeitet von Kilian Fanras am 06 Aug 2018 09:57, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Riordan Vincent Merat





 Beitrag Verfasst am: 06 Aug 2018 10:57    Titel: Ashatar, 259. Nachtgewimmel.
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Wenn Mulmul Merat entschied, dass es wieder an der Zeit war, an einer der Familienfeiern teilzunehmen, hatte das in aller Regel trotz der Begrifflichkeit wenig mit einem freudigen Ereignis gemein. Er hatte am Tag zuvor im Familienrat - der vor allem aus Mulmul bestand und an dem Riordan als Zuschauer teilnehmen durfte - verkündet, dass man der Familie die Ehre erweisen werde. Vor allem aber, so führte Markus Umbresius Merat aus, hatte er einige Dinge von höchster Dringlichkeit zu erledigen und hierbei war die Anwesenheit möglichst vieler Familienmitglieder von absoluter Wichtigkeit, wie er unterstrich.

Riordan hatte im Laufe der Jahre gelernt, dass er zu solchen Ausführungen vor allem Nicken und keinesfalls Fragen stellen durfte. In Mulmuls Pläne war in aller Regel vor allem Mulmul selbst eingeweiht und sonst niemand. Die Ankündigung hingegen, implizierte gleich eine Reihe weiterer Dinge, die Riordans Vater erwartete, ohne dass sie ausgesprochen werden mussten: Die feine Garderobe von Mulmul musste gewaschen und getrocknet bereit liegen, Riordan würde an Mulmuls Seite in seinem Ausgehanzug die Feier besuchen und vor allem dadurch auffallen, dass er nicht von Mulmuls Seite wich, wenn es nicht ausdrücklich gewünscht worden war und außer Platitüden ebenso nichts von sich geben durfte. Es waren Feiern wie diese, an denen Riordan sich wie eine geistlose Hülle fühlte, die nach dem Leben gierte, welches zu diesen Anlässen durch das Anwesen pulsierte. Er kam sich an diesen Tagen wie ein Verdurstender vor, dazu verdammt, einen Wasserfall zu beobachten.

Also besuchte Mulmul Merat den Ball und tat, was er stets tat: Exakt zum Stundenschlag, welcher den Beginn der Feierlichkeiten ankündigte, stand er an der Schwelle zum großen Merat-Anwesen, ließ sich durch Riordan wie einen Fürsten ankündigen und flanierte, ohne Grußworte an den Rest der Familie zu richten - oder selbige abzuwarten, in das Innere des Festsaals. Riordan folgte ihm, wie der Schatten der Sonne. Je länger der Abend voranschritt, umso mehr Eindrücke konnte Riordan dabei sammeln - denn wenn Mulmul sich am Essen bediente, stand Riordan daneben und beobachtete. Wenn Mulmul etwas von dem Besteck einsteckte - einfach weil ihm danach war und nicht weil es so viele Gäste in seinem Haus gegeben hätte oder er es hätte verkaufen wollen - stand Riordan daneben und beobachtete. Der stumme Mittzwanziger an der Seite seines Vaters erduldete das Schattendasein so still wie diszipliniert, wenngleich sein Blick einem unter Druck stehenden Ventil gleich, welches das Flehen nach Teilnahme offenbarte.

Er hatte Emilies zweifelsohne mutigen Eintritt beobachtet und hatte lachen wollen, den Blick jedoch im Schatten des angewidert drein blickenden Mulmul Merat abgewandt und kurz gefürchtet, er würde sie dem Rest der Familie ‘abnehmen’ wollen. Im Laufe der Jahre hatte Markus Umbresius Merat etwas freizügiger über die Dinge gesprochen, die Riordan als Kind nur vermutet oder geahnt hatte. Dass es im Laufe der Jahre eine erkleckliche Anzahl an Menschen gegeben haben musste, deren Lebenslicht durch Mulmul Merat gelöscht worden war, das brauchte Riordan nicht mehr vermuten. Er wusste es.

Am Rand der Ereignisse saß irgendwo die Reger, eine Frau die ihm auf eine Art und Weise ein Unbehagen bereitete, welches Mulmul in den Grundzügen nicht unähnlich war. Schließlich war da natürlich noch Ivit Merat, die mit ihrem prätentiösen Auftreten alle Blicke auf sich zog - mit Ausnahme von Riordan Vincent Merat. Ihr tiefrotes Ballkleid rückte sie in den Mittelpunkt und machte damit die Reaktionen der Corona an Menschen um sie herum, ungleich interessanter. Es waren Extreme, denen sich auch die Merats und Fanras nicht entziehen konnten - ob es nun ein Kartoffelsack oder ein adelsgleiches Kleid war. Der Abend plätscherte unter diesem Auf- und Ab der Momentaufnahmen also vor sich hin, ehe jemand am Ende die Pauke doch noch gefunden hatte und vom Balkon gefallen war. Allgemeiner Aufruhr, Chaos und der Verlust der gespielten Erhabenheit eines Wunderlandes, durch die Altforst Sippe inszeniert und hinter dem Vorhang eines weiteren Skandals verborgen, waren das Ergebnis. Es erstaunte Riordan dabei stets, wie schnell Mulmul Merat in solchen Situationen reagieren konnte, denn als der Schatten zu der dunklen Sonne blicken wollte, die sein Vater war, hatte sich Markus Umbresius Merat bereits aus dem Staub gemacht und war nicht mehr zu sehen. Er musste noch auf dem Ball sein - irgendwo, irgendwie - und das tun, was er eigentlich geplant hatte. Denn wäre es Zeit für die Abreise gewesen, hätte Mulmul diesem Verlangen auf irgendeine abfällige Art und Weise Ausdruck verliehen.

Nun hätte man erwarten können, dass Riordan, gleich einem Fisch den man von der Angel gelassen und wieder ins Wasser geworfen hat, von dem Leben des Balls in vollsten Zügen kosten würde, ziellos durch die unbekannte Verwandtschaft waten und sich treiben lassen würde - der Sog jedoch, dem sich der Merat hingab, war ein anderer. Seine Hand legte sich auf die Schulter einer allzu bekannten Person und einem gut gehüteten Geheimnis gleichermaßen, als das Dienstmädchen, noch immer schockiert zu den wimmelden Verwandten am Balkon blickend, sich zu Riordan umdrehte und für den Augenblick die dienbare Maskerade fallen ließ und das einer tiefen Ehrlichkeit unterstellte Lächeln die Züge der jungen Frau dominierte.

“Und ich dachte schon, dein Vater würde dich nicht gehen lassen. Schon wieder.”

Die Abwesenheit der beiden Personen fiel im allgemeinen Aufruhr genauso wenig auf, wie die Tatsache, dass Mulmul Merat das Anwesen, offenbar nach etwas auf der Suche, durchschritt. Riordan Merat und Silva, das Dienstmädchen, waren im Querfeuer der Ereignisse vom großen Ball derweil zur Randnotiz eines denkwürdigen Abends geworden und hatten bereits nach kurzer Zeit die Gänge und Flure des Anwesens zu der Seite verlassen, die jenseitig des Balkonsturzes von 259 lag und nur durch das Nachtlicht des Mondes und seines leuchtenden Sternengefieders in kontrastarmes Schattenlicht getaucht wurde. Dort, durch den ritterhaften Mantel der Büsche und den weichen Flor einer Moosdecke behütet, gaben sich Riordan und Silva den Verlockungen hin, die nur zwischen zwei Leibern zu einer wunderschönen Blüte der Lust aufschwingen können, wenn das Leben sonst der Wärme und der Nähe anderer Menschen völlig bar ist. Eine, durch die der menschlichen, lusthaften Vereinigung eigene Geräuschkulisse irritierte Feldmaus war der einzige Zeuge des körperlichen Schattenspiels - und auch die zog es vor, zu dem aus ihrer Sicht seltsamen Treiben der Menschen Abstand zu halten und die Flucht anzutreten.
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Emilie Merat





 Beitrag Verfasst am: 06 Aug 2018 11:05    Titel:
Antworten mit Zitat

Der Ball 259

„Emilie! Wie schön dich zu sehen, nimm doch bitte Platz.“ Ich war mir nicht sicher ob er mich vorher jemals wirklich gesehen hatte oder ob er nicht irgendwen fragen musste wer ich denn nochmal wäre. Aber ich neigte den Kopf. Jeder neigte vor Rilas Merat den Kopf, sein Wort schrieb das Gesetz in diesen vier Wänden und vermutlich auch noch darüber hinaus.

„Herr Merat.“ Ich hielt mich knapp, ich wunderte mich über diese Nettigkeiten, hatte ich eigentlich angenommen er würde mir sofort eine Predigt halten wie ich in einem Kartoffelsack auf seinem unglaublich wichtigen Fest erscheinen könnte ohne nur ein wenig Beschämen im Gesicht. Aber ich merkte schnell, dass es darum nicht ging. Es ging darum nicht, worum ging es dann? Ich war verunsichert. Verunsicherung war wie Gift.

„Emilie.“ Er pausierte und das aufgesetzte Lächeln in seinem Gesicht verschwand. Er bekam eben den Ausdruck, für den ihn jeder kannte. Der Ausdruck, wo man alles weitere was er sagte nicht ablehnte, aus Angst Finger oder andere Körperteile zu verlieren. Es hatte begonnen kein Spiel mehr zu sein, in dem Moment wo er meinen Namen aussprach. Ich musste nun alles mit Bedacht wählen, Mimik, Gestik, vermutlich hätte auch ein falscher Atemzug viel bewegen können. Ich setzte meine Maskerade auf, er war meine Herausforderung. Ich war gleichermaßen angestachelt wie verängstigt. „Ich möchte deine Schwester Amalina mit meinem Sohn Gaius verloben. Das arme Ding kann kaum alleine auf einem Balkon stehen, sie benötigt eine führende Hand und deine kleinen Hände reichen dafür nicht mehr aus. Mein Sohn Gaius ist ein wu...“ Ich sah wie sich seine Lippen weiter bewegten aber ich wusste bis heute nicht was er noch sagte. Es war so als würden zig Kutschen durch meinen Kopf fahren, in meinen Ohren rauschte es und meine Finger krallten sich am Kartoffelsack fest, den ich ein wenig gerafft hatte, so dass es mich nicht juckte auf diesem eher unvorteilhaften Stoff zu sitzen. „Was sagst du dazu, Emilie? Kannst du sie davon überzeugen?“ Mein Kopf schellte in die Höhe und ich erinnerte mich wieder daran wie das Atmen funktionierte. Ich sah Rilas in die Augen und nahm eine gewisse Überraschung wahr, meine Züge hatten sich verändert, ich wusste es, wenn ich es auch selbst nicht kontrollierte.
„Wir haben zur Zeit Dispute, wir können sie nicht anders lösen als mit einer Hochzeit. Dispute, das bedeutet...“
„Ich weiß was das Wort bedeutet.“ Fuhr ich ihn über den Mund und sparte mir auch ein entschuldigendes Lächeln. Es steckte mehr hinter diesem Gespräch. Er hielt mich für ein dummes Fanrasbalg, wieso also spielte meine Meinung zu dieser Hochzeit irgendeine Rolle.

„Kannst du mir etwas von deiner Schwester erzählen? Mir ist es wichtig eine gute Frau an der Seite meines Sohnes zu wissen.“ Er sparte sich auch dieses höfliche Lächeln, entweder weil er einfach nicht in der Position war es vortäuschen zu müssen oder weil er mich bereits beim ersten Wort durchschaut hatte. Ich hoffte auf das Erste.

„Sie kann weder lesen noch schreiben, das mache ich immer für sie. Sie ist auch handwerklich nicht geschickt, sie könnte also nie irgendwelche Socken oder dergleichen für ihren Mann oder ihr zukünftiges Kind stricken. In die Küche würde ich sie auch nicht lassen. Falsch kochen bedeutet viele Krankheiten.“ Es kam aus mir heraus wie ein Wasserfall, so schlecht hatte ich noch nie über meine Schwester gesprochen, so viele Lügen noch nie aneinander gereiht, aber es ging ganz einfach, es ging ganz einfach. „Sie trinkt gerne, in Tavernen die Ihr nie betreten würdet, in dreckigen Spelunken, sie meinte es gäbe ihr einen gewissen Nervenkitzel. Gaius sollte sich also darauf einstellen sie des Abends zu suchen und wieder einzusammeln. Sie ist talentiert darin auszubüchsen. Über ihre Jungfräulichkeit will ich gar nicht reden – Ihr werdet nur Probleme erhalten durch diese Ehe und nichts, was diese Dispute bereinigen könnte.“ Wieder eine Pause, ein Durchatmen „Ach, und sie wüsste vermutlich nicht was 'Disput' bedeutet.“

„Das klingt wahrlich nicht wie das was ich mir vorstellte.“ Er nickte mir einmal zu, seine Züge veränderten sich kein Stück und ich nickte einfach zurück und hob just im selben Augenblick die Schultern um ihm zu zeigen das es mir ja im Grunde egal wäre. „Wir brauchen trotz allem eine Hochzeit, Emilie, es ist unabdinglich. Ich bin mir nicht sicher ob ich diese ganzen Makel also nicht eher hinnehmen sollte, für das große Ganze. Ich kann ja schlecht dich fragen.“

„Ich mache es.“ Es kam schneller heraus als manch einer einatmen konnte, schneller als das mein Kopf es überhaupt realisieren konnte. Ich hatte mit der Hand in die Klinge gefasst und zugepackt als ging es dabei um ein Stück Watte.

„Bist du dir sicher? Das wäre eine unglaubliche Hilfe für uns alle. Gaius ist ein wundervoller Sohn und er ha...“ Und wieder dieses Rauschen in meinen Ohren als er zu schwärmen begann. Es war so als sähe ich mein Leben an mir vorbei rauschen. Er fragte mich ob ich sicher wäre und ich wusste das eine Antwort keine Rolle mehr spielte. Und als ich ihn so betrachtete, wie er redete und ich ihm nicht zuhörte, verzogen sich meine Lippen ein Stück weiter nach unten. Es ging nie um Amalina. Er war ein manipulatives Arschloch und ich hatte den Kampf verloren.

„Ihr beide erweist damit der Familie einen großen Dienst. Das Dienstmädchen draußen im Gang wird dich mitnehmen und mit dir ein anderes Kleid anziehen, wir werden es in einem Stundenlauf verkünden, in der Zeit kann man aus dir sicher auch einen Schwan machen.“ Er hob dabei die rechte Hand und deutete in die Richtung der Tür. „Du darfst nun gehen.“

„Für die Familie.“ Palaverte ich es vor mich her, als ich den Raum verließ und merkte wie sich in mir alles umdrehte. Nicht kotzen, dachte ich, behalte dir noch ein wenig Würde. Seltsamer Gedanke, wenn man sah in welcher Tracht ich herum lief.
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Ruth Merat





 Beitrag Verfasst am: 06 Aug 2018 15:29    Titel:
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Der Ball 259

"Warum ausgerechnet heute diese Hitze?" dachte sie noch und tupfte sich mit einem Tüchlein die feinen Schweißtropfen unter der Nase und auf der Stirn ab, während sie auf das ausgebreitete Ballkleid starrte. Die Zeiten waren nicht gut gewesen zu den Merats und sie würden noch schlechter werden, durch die Dürre, die das Land in seiner feurigen Klaue hielt.

Es war natürlich kein neues Kleid, nein, soviel Geld hatte ihr Richard nicht zugestanden. Es war eine cremefarbene Abendrobe, die man hatte umarbeiten lassen. Den schmalen Rock aus Seidentaft schmückte nun ein Überrock aus feinster Spitze, mit der man ebenso das eng anliegende Oberteil an einigen Stellen verziert hatte, um die Seiten zu betonen.

Es war nicht so, dass sie sonderlich viel Wert darauf gelegt hätte, ein neues Kleid zu bekommen, dennoch hatte sie von der überaus teuren Maßschneiderei aus Menek'ur gehört, die Rilas für Ivit hatte kommen lassen. Genauso wie sie wusste, dass Richard durchaus Geld ausgab für seine privaten Vergnügungen. Geld, das eigentlich nicht da war.

Zweieinhalb Stunden später klopfte es an die Tür ihres Schlafgemaches und ihr Mann trat ein. Noch immer gut aussehend, trotz des überhand nehmenden grauen Haares. Die kühlen, blauen Augen, die eindeutig ein Merkmal der Merats waren und die anfangs so eine Faszination auf sie ausgeübt hatten, die hochgewachsene, schlanke, sehr aufrechte Gestalt, das feine Lächeln, das seine Züge umspielte, wenn ihm danach war - ja, ihr Ehemann war eine gutaussehende, respektable Erscheinung.

"Bist du fertig? Die ersten Kutschen rollen schon vor und du weißt, wie Vater es hasst, wenn nicht die ganze Familie zur Begrüßung anwesend ist", kamen die Worte in einer Mischung aus Befehlston und kühler Distanz. Mehr und mehr hatte er sich angewöhnt, mit ihr wie mit einer der Dienstboten zu sprechen. Und viel mehr war sie auch nicht. Jemand, dessen Aufgabe es nur noch war, den Schein aufrecht zu erhalten. Also setzte sie ein Lächeln auf, erhob sich, nach einem letzten, prüfenden Blick in den Spiegel und hielt ihm in einer eleganten Geste die behandschuhte Hand hin, auf dass er sie nach unten geleiten möge.

"Amalina, wie hübsch du bist! Ganz reizendes Kleid!"
"Oh, da ist ja auch Emilie. Ganz wunderbar, wie du dich zurecht gemacht hast, Liebes. Das ist der neueste Schrei bei den Fanras, wie es aussieht? Haha!"
"Linhart, wie schön dich wieder einmal zu sehen, wie geht es dir? Wird Zeit, dass du eine Frau findest."
"Markus, grüß dich und genieße das Fest."
"Riordan, wie schön, dass du deinen Vater begleitest, aus dir ist wirklich ein gut aussehender junger Mann geworden.!
"Finnaia, ganz reizendes Kleid und du wirst deiner Mutter immer ähnlicher."
"Wo ist Ivit denn, verspätet sie sich wieder einmal?"

So, oder so ähnlich fand sie für jeden Gast einige Worte, immer unterstrichen mit einem Lächeln, oder einer kleinen vertrauten Geste, sofern sie mit den Ankömmlingen des öfteren zu tun hatte.

Und dann kam Ivits großer Auftritt. Das Kleid war in der Tat atemberaubend, anders konnte man es nicht ausdrücken. Allerdings bedauerte Ruth das arme Kind auch ein wenig, die sich wohl wie eine Prinzessin fühlte, aber eher wie die beste Milchkuh auf dem nächstbesten Bauernmarkt von ihrem Vater zur Schau gestellt wurde. "Das arme Adoptivkind", wie sie von einigen genannt wurde und dessen Wahrheitsgehalt sie bereits nach zwei Tagen im Hause Merat angezweifelt hatte. Rilas tat nie etwas aus reiner Menschenfreundlichkeit. Wahrscheinlicher war, dass es sich um eine Bastard-Tochter handelte, die er Ediphanie untergejubelt hat.

Als sie dann mit Richard in den Eröffnungstanz mit einfiel, der natürlich von Rilas und Lavinia begonnen wurde, kamen die Erinnerungen wieder. An einen anderen Ball, zu einer anderen Zeit. Als die Hoffnung noch nicht verloren war und sie noch glücklich vermählt. An den harten Griff einer Männerhand, die enge Abstellkammer, der Hand auf ihrem Mund und gezischten Drohungen und Befehlen.

Den Rest des Festes begnügte sie sich damit, zuzuschauen, zurückhaltend im Halbschatten eines Vorhanges, oder im Verborgenen einer halb offenen Tür. Sie sah, sie lauschte und einiges was sie sah, oder hörte, verursachte eine Übelkeit in ihr, die selbst tagelanges Übergeben nicht würde gut machen können.

Und dann fiel Amalina den Balkon hinunter.

"Typisch Fanras!" dachte sie noch einen Moment, ehe sie loslief, um vorzugeben, der Gestürzten helfen zu wollen.
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Kilian Fanras





 Beitrag Verfasst am: 10 Aug 2018 18:37    Titel:
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Der Mann ist - im Rahmen - zufrieden.
Weniger mit sich selbst, denn da kennt er wenig Zweifel und wenn diese doch einmal dämmern, so braucht es nur einen Marsch zum nächsten Spiegel, ein gefälliges zähnebleckendes Grinsen und schon fühlt er sich wieder vollkommen im Einklang mit seinem inneren Ich.
Weniger mit der Gesamtsituation, denn auch die lässt noch eine Menge Raum zur Verbesserung, aber hier und heute, in dem kleinen Zimmer unter der Dachschräge, mit der schlafenden Frau an seiner Seite, gestatter er sich Zufriedenheit und erlaubt er den Gedanken zu wandern.
Erlaubt ihnen den Träumen zu folgen, die er im Schlaf vergeblich sucht und jetzt, entspannt in der Behaglichkeit postkoitaler Geborgenheit, folgt diesem Bündel nur halb ausgerichteter Wünsche und kleinlichen Begehrens eine distanziertere, ruhige Beobachtung.

Der Mann ist, auch wenn er sich öfter so verhält, kein vollkommener Idiot. Wenn man Muster oft genug gesehen hat, erkennt man sie wieder, bisweilen auch dann, wenn sie gerade erst dabei sind kenntlich zu werden. Bisweilen braucht es nicht einmal das und eine Ahnung ist bereits genug um untrüglich auf etwas hinzuweisen, was der Verstand erst viel später zu packen bekommt.

Er versteht Reflexionen. Sie sind einfach: Ursache und Wirkung. Höhe und Tiefe. Rein und Raus. Leben heisst vögeln, daran ist nichts kompliziert.

Aber die meisten Menschen sind mehr als nur Spiegel: Sie enthalten verborgene Untiefen und versteckte Qualitäten, Juwelen guter und schlechter Eigenheiten und Launen, nach denen man geduldig graben muss. Selbst wenn man die grobe Richtung abschätzen kann, sind die Details stets unvorhersehbar. Leben heisst spielen. Das ist der Reiz daran.

Die Stille aber ist ohne Spiel. Ohne Leben. Das macht sie unerträglich und für ein paar Momente erwägt er die Frau an seiner Seite zu wecken, sie aus dem wohlverdienten Schlummer zu reissen, um den Impuls des eigenen Begehrens zu befriedigen.
Er ist ein wenig über sich selbst überrascht, als er sich dagegen entscheidet.

Noch drei Stunden bis zum Sonnenaufgang und auch die Stadt schläft noch, nur mürrische Katzen beobachten den frühen Spaziergänger auf dem Weg durch die stillen Strassen und Gassen, werden Zeugen davon, wie er hier und dort Zeugnisse des vorangegangenen Abends aufsammelt: Ein zerfetztes Banner, auf das mit Hand ein Strichmännchen gemalt wurde. Einige zerbrochene Flaschen. Eine angekohlte Zeitschrift unbekannter Herkunft und ein stinkender Fetzen, der offensichtlich benutzt wurde, um Erbrochenes wegzuwischen.
All das deponiert er ordnungsliebend in einem gewissen Garten gegenüber des Rathauses - selbst als Nichtbürger, hat man eben gewisse selbstauferlegte Pflichten zu erfüllen - und findet im kleinen Park schliesslich einen vorübergehenden Ruheplatz.
Hier ist es noch stiller, noch einsamer als andernorts, aber die Bank hält Erinnerungen, beinahe verblasste Emotionen, die er mit geschlossenen Augen wieder wachruft.

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"Einen Menschen zu töten, das ist besser als vögeln."

Er ist so befremdet, wie man es eben sein kann, wenn man diesen Satz während hektischer Aktivität des letzteren Art zu hören bekommt. Es ist heiss und die Sonne scheint. Liebe liegt in der Luft und der schwere Duft von Algen und gammelndem Fisch. Dazu kommt der Sand: Überall Sand. Auf der Haut, zwischen den Fingern, unter der Haut, auf der Zunge und bisweilen auch einmal im Auge.
Der Sand, so hat er längst demütig erkannt, ist eine verdammte Lüge von Dichtern und Poeten, die noch nie Liebe umgeben von vielen kleinen Körnchen gemacht haben. Oder überhaupt jemals.

"Wie kommst du ausgerechnet _jetzt_ darauf?"

Sie lacht ihr kleines, dunkles Lachen, geprägt von jener scharfen Rauhheit darin, die ihm die Sinne schlimmer verwirrt als der gnadenlose Stich der heissen Mittagssonne.

"Ich musste daran denken, weisst du? Würdest du mich töten, wenn ich dich darum bitte?"

Eine Ladung Eiswasser im Lendenbereich hätte keine drastischere Wirkung haben können und für eine kleine Weile ist er zu schockiert für eine Antwort, zu hilflos unter dem neugierigen Blick der Gegenüber, die seine Verwirrung ebenso auskostet, wie den flammenden Ärger dahinter. Das, so ahnt er, ist es, was sie an ihm liebt: Die Fähigkeit sich für etwas zu entflammen.

"Nein? Was ist das für eine Frage, natürlich nicht!"

"Du würdest mir einen Wunsch abschlagen?"

Das sorgt dafür, dass er sich beinahe die Zungenspitze abbeisst, aber bevor er sich noch stotternd erklären kann, winkt sie ab, die Gedanken schon längst über diesen kleinen Schauplatz hinweg.

"Ich wollte dich nur aufziehen, Kilian. Lass uns schwimmen gehen."

Er sieht ihr nach, unfähig die Benommenheit so rasch abzuschütteln, unfähig so rasch zwischen den Themen und Stimmungen zu wechseln wie die Geliebte, die bereits im salzigen Nass treibt, als er sich aufrichtet.

Etwas sticht in den Augen und er hofft es ist Sand. Etwas sticht in sein Herz und er hofft es ist Liebe.
Aber etwas erkennt die erste Reflexion, ein Muster, das sich noch nicht geformt hat, aber bereits da ist, nur noch auf den Moment wartend, um ins Leben zu treten.

Zehn Jahre später beobachtet der Mann den Sonnenaufgang. Vom Blut ist schon lange nichts mehr an seinen Händen.
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Emilie Merat





 Beitrag Verfasst am: 16 Aug 2018 08:48    Titel:
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Der Krieg, Arenvir von Kronwalden und alles dazwischen.

Als wir da standen, aufgereiht und bereit, zog sich meine Kehle mehr und mehr zusammen. Während ich links und rechts von mir die Euphorie und den Tatendrang das Gute zu vollrichten fühlte, keimte in mir etwas anderes auf. Ich hatte Angst, ich hatte weiche Knie, ich war nicht bereit. Doch wie sollte man das sagen, in so einem Haufen von tatkräftigen Gestalten? Also hob ich das Kinn, hob bemüht die Mundwinkel und versuchte die Bereitschaft und all das drumherum in mein Gesicht zu pressen und die negativen Gefühle zu übertuschen. Es fiel auf jedem Fall keinen auf, keiner fragte nach, keiner warf mir einen längeren Blick zu. Das war der Vorteil in einer großen Masse, man ging unter. Ich überlegte mir nur ob es von Vorteil war Angst zu haben. Würde es einen im Ernstfall schützen? Wobei Schutz nichts war woran ich denken konnte, selbst wenn sich der Feind für mich nicht interessierte, es gab etwas anderes auf diesem Schlachtfeld was Loyalität forderte und Aufopferung.

Mittlerweile hatte ich das Gefühl das die Aufopferung etwas war, was mir lag, was mir gefiel und mir irgendwie einen gewissen Lebenswillen gab. Wieso sonst stürzte ich mich immer von eine in die Nächste? Arenvir von Kronwalden, der die Gefahr liebte wie ich sie verabscheute, stand mitten in diesen vielen Menschen und zeigte nichts von Angst. Vielleicht würde ich einfach das an schlechten, negativen Gefühlen sein, was er nicht zeigen konnte: Ich zeigte Angst, ich zeigte Scheu, ich zeigte Schmerz, ich zeigte Trauer. Das war vermutlich auch gut so, waren es doch die Gefühle die eine Rüstung fallen ließen, einen verwundbar machten. Als ich ihm aus dem Augenwinkel beobachtete, erinnerte ich mich daran wie ich durch die Luft flog und kurz darauf den Rasen schmeckte. Die Erinnerung ging mit dem Gedanken einher, dass es nicht die Äußerlichkeiten sind, die die Macht verdeutlichen die ein Mensch hat - er war das beste Beispiel. Diese Erinnerung ging aber auch mit dem Gedanken einher, dass auf der anderen Seite, auf der Seite die für uns die Bösen waren, mehr Magier mit solch Fähigkeiten ruhten und bereit waren auszubrechen. Sie würden es nicht nur vorführen, sie würden es einem nicht nur zeigen, sie würden es gegen einen nutzen, bis man nicht mehr stand und vielleicht keinen Atemzug mehr tätigte.

Licht und Schatten, so sagte man im Volksmund, es wäre der Krieg zwischen Licht und Schatten. Aber ich wusste nie genau wer nun das Licht war und wer der Schatten. Ich konnte mir nicht vorstellen das auf der einen Seite nur die pragmatischen Seelen waren und auf der anderen Seite die mit Liebe, Freundschaft und anderen sentimentalen Dingen, die mir gerade nur nicht einfielen. Für mich waren sie der Feind, der Schatten auf meiner Seele. Aber das war ich für sie vermutlich auch. Keiner würde da drüben stehen und sagen: Ja, der Arenvir, das ist mein Licht, der gehört getötet. - Gut ist nicht immer gut und schlecht nicht immer schlecht. Eine bittere Erkenntnis wenn man bedenkt, dass man sich bald aufs Blut bekämpfen würde um sein Ziel zu erreichen. Jeder kämpfte an sich für das was ihm wichtig war. Jeder hatte irgendwie einen guten Hintergedanken dabei. Ich glaubte zumindest daran das niemand auf ein Schlachtfeld ging ohne irgendeine Überzeugung und nur mit dem Drang zu töten.

"Du solltest nicht gehen."
"Einer vom Ehepaar Merat sollte schon seine Beine benutzen, du kannst gerne an meiner Stelle?"
Stille.
"Nein? Gut."
Stille.
"Der Krieg wird nur das Schlechteste in uns zum Vorschein bringen."
Stille meinerseits.
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Kilian Fanras





 Beitrag Verfasst am: 16 Aug 2018 14:37    Titel:
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"Der Krieg wird nur das Schlechteste in uns zum Vorschein bringen."

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Das erste Scharmützel ist geschlagen, ein flüchtiges, fast schon beiläufiges Aufeinanderprallen zusammengezogener Kräfte. Wäre da nicht der Gestank erkalteter Asche, der das gesamte Lager wie eine düstere Mahnung durchzieht, könnte man beinahe an einen behaglichen Sommerausflug glauben.
Der Geruch aber macht es schwer die Augen vor der Wahrheit zu verschliessen, selbst wenn man den hinteren Bereich des Lagers meidet, nicht dorthin geht, wo die Verletzten sich winden und die Toten auf das letzte Geleit warten.

Und genau hierhin hat es den Mann verschlagen, auch wenn "verschlagen" nicht ganz das richtige Wort ist, für die sehr bewusst getroffene Entscheidung den Toten Gesellschaft zu leisten. Nicht aus Trauer: Von den wenigen Menschen, die er überhaupt näher kennengelernt hat in der überschaubaren Zeit auf Gerimor ist niemand dabei. Nicht aus Respekt, denn er verspürt eine nur sehr lockere Bindung an "die Sache", für die jene hier ihr Leben gelassen haben.
Wie immer bei ihm ist ein guter Anteil Neugier beteiligt: Wer wird sich hier umsehen? Welche Geschichten haben die Trauernden zu erzählen? Wer benötigt vielleicht eine tröstende Umarmung?

Aber die Wahrheit ist, dass er für heute eigentlich genug hat vom Heerlager, der pulsenden Masse von Menschen darin und das dämpft seinen Enthusiasmus erheblich. Nicht etwa wegen der Wunden, die er davongetragen hat. Nicht wegen der neuen Scharten in der bald vom Leib fallenden Rüstung, sondern schlicht weil er für heute genug gesehen. Genug gespürt hat. In gewisser Weise fühlt er sich übersättigt, die Seele so schwer, als wäre das Kämpfen und Sterben umher ein übermässiges Festmahl gewesen, an dem er sich über alle Vernunft labte.
Und darum sind die Toten heute eine angenehmere Gesellschaft als die Braunhaarige, die vermutlich in einem der Zelte unweit schläft. Eine angenehmere Gesellschaft als die Blonde, die das hier mit einer eisenharten Entschlossenheit angeht. Eine angenehmere Gesellschaft als die Widerspenstige.
Die Toten sind Stille und Stille verheisst Frieden. Zumindest für einen Moment. Bis der Hunger wiederkommt.

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Der kleine See, so behaupten die Ansässigen, ist ein bodenloses Heiligtum von Wassergeistern aller Ort. Selbst im heissesten Sommer bleibt das Wasser so frisch, als wäre es geradewegs aus einer Gebirgsquelle geronnen und ist dabei so sauber, dass es nur ein wenig Sonne braucht, um dem Verlauf des steil abfallenden Ufers mit dem Auge zu folgen: Ungehindert dringen die Strahlen bis in weite Tiefe hervor und erlauben es ganze Fischschwärme zu beobachten.
Es braucht daher nicht Wunder zu nehmen, dass der See ein beliebtes Ausflugsziel für Verliebte und Träumer ist. War.

Das Aufeinanderprallen der beiden Streitkräfte hatte kaum länger gedauert, als andernorts für eine magere Mahlzeit gebraucht wurde: Wenngleich der Stolz der lokalen Herrschaften doch arg verletzt worden war, hatten die Ratgeber doch unnachgiebig für Zurückhaltung plädiert und ein genauerer Blick in die Börse war schliesslich der Anlass gewesen sich grössere Rachepläne aus dem Kopf zu schlagen. Das, was also später als "Schlacht am Nachtauge" besungen wurde, war demnach die lautstarke Auseinandersetzung zwischen höchstens fünfzig Männern und Frauen, die aus dem jeweiligen Lager hierher marschiert waren.
Bemerkenswert für diese Geschichte hier ist an sich nur ein Detail: Der grimmig beleidigte Freiherr von Arnsbrücken hatte die kleine Schar der ihm loyal ergebenen Streiter durch eine Anzahl eher dem Gold folgender Mietschwerter vergrössert und damit Waffengleichheit hergestellt. Und unter eben diesen Mietschwertern nun befinden sich auch einige Mitglieder der Familie Fanras, die - zumindest innerhalb der Familie selbst - für Abenteuerlust, Unrast und mangelnde Geduld bekannt sind. Die Entscheidung die grosse, familienbestimmende Suche zu unterbrechen um klingende Münze einzusammeln, ist dabei kein wirklicher Luxus: Auch das Wanderleben will finanziert sein, Waffe und Wehr bezahlen sich nicht von allein.

Und einer von diesen ist Kilian.
Für ihn war das hier der erste Kampf, der über ein Handgemenge in einer Taverne hinausging und nun ist er, nachdem Frieden eingekehrt ist, dabei in den See zu erbrechen.
Dafür gibt es mehrere Gründe: Das Nachlassen der berauschten Kampfeswut, die Erinnerung daran, wie der Würfelpartner vom vergangenen Abend direkt neben ihm ausgeweidet wurde. Die ein wenig perplexe Feststellung, dass das Leben kurz und zerbrechlich ist. Alles in allem ist es genug, dass er sich nun - zum nicht geringen Ärger der Kameraden - die Seele aus dem Leib kotzt.

"Weisst du, es heisst, dass der Krieg das Schlechteste in uns hervorbringt. Das hättest du nicht so wörtlich nehmen müssen. Ich wollte da eigentlich noch schwimmen."

Kilian braucht nicht aufzusehen, um zu wissen, wer ihn da aufzieht und er hat keinen Nerv übrig für eine bissige Antwort. Die Welt ist geschrumpft auf den Sand unter seinen Knien, das Wasser und der dort treibende Mageninhalt.

"Mach dir nichts draus. Da sind wir alle durch. Und die, die es nicht sind, vor denen muss man sich in Acht nehmen. Das, Kilian, ist eine Feuertaufe und heute Abend feiern wir das Leben. Wer, wenn nicht wir, weiss, wie kurz und vergänglich es ist, mhm? Kotz dich ruhig aus, damit du nachher Platz hast. In einer Stunde geht es los. Der Freiherr zahlt."

Und damit bleibt der Mann zurück, während die kleine Schar der Getreuen den See einmal umrundet und auf der andere Seite mit dem Gelage beginnt. Er bleibt zurück, auch während die Dunkelheit fällt und die klamme Kälte des Sees die Umgebung erobert. Am Feuer auf der anderen Seite werden die anderen Neulinge in den Reihen der Veteranen begrüsst: Als Überlebende.
Niemand spricht über die Toten.

Unter dem Dach der Sterne, von keinem sterblichen Ohr gehört, schwört Kilian den Waffen ab. Er hat genug. Keine weiteren Kämpfe. Kein weiteres Blutvergiessen. Manche werden nicht getauft, sondern ertrinken.
Er lässt das Nachtauge mit den feiernden Kameraden zurück und wandert einer anderen Zukunft entgegen.

Nur drei Monate entfernt wartet ein Sommer auf ihn, der alles verändern wird.
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Emilie Merat





 Beitrag Verfasst am: 27 Aug 2018 17:19    Titel:
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Wie war es noch einst? Es war ein dunkles Zimmer, so beengend und stickig, dass man es theoretisch nie lange darin aushielt. Die weißen Vorhänge wurden zu einem dunklen Grau, die Bücher im Regal vermischten sich mit dem Holz des Schrankes und man konnte nur durch Tasten erahnen was ein Buch war und was ein Balken. Der Nachttisch, auf dem man sonst für gewöhnlich eine kleine Laterne, irgendwelche Notizen oder ein Buch fand, war einfach leer und diente nur dafür, dass man dort eine Schüssel abstellen konnte: Eine Schüssel gefüllt mit Wasser und bestückt mit einem Lappen. Zum Reinigen. Dafür durfte kurz ein kleines Licht angemacht werden, aber nicht ohne zuvor das Gesicht vom Insassen mit genügend Schichten Leinen zu bedecken. Die Abdrücke haben sich mit der Zeit dort eingebrannt, in dieses Holz. Aber auch diese sah man in dieser düsteren Umgebung nicht, man konnte sie erfühlen, mit den Fingerspitzen, sie erahnen. Das Wasser war an mancher Stelle übergeschwappt, hatte das Holz angegriffen.
Daneben stand ein Bett, auf einer Seite waren verschiedene Decken gestapelt, manche dünn, manche dick, manche flauschig, manche rau. Es musste alles greifbar sein, man musste es erreichen können. Er hatte nicht viele Wünsche, dieser Insasse, und so musste man die erfüllen können, schnell, die er vorbrachte. 'Der Stoff kratzt über meine Haut. Ich schwitze zu sehr unter dieser Decke. Mir ist kalt. Mir ist warm.' Selbiges galt für Kissen, so war es an und für sich nicht möglich für eine zweite Person in diesem eigentlich großen Bett zu nächtigen, außer man hegte das Interesse sich jede Nacht fürchten zu müssen. Entweder vor dem Insassen, der dann neben einem ruhte oder vor den Massen an Stoff, die einen ersticken hätten können.
Und dann war da eben noch der Insasse, der Mann mit dem dunklen Haar, welches allerdings auch hätte hell sein können und niemand hätte davon Notiz genommen. Außer vielleicht die Magd ohne Zunge, die es sowieso niemanden hätte erzählen können. Ist er ergraut? Keiner würde es je erfahren. Und auch sein Markenzeichen, seine unglaublich hellen Augen, die recht schnell in einer Beschreibung fielen, sollte irgendwer sie über diesen Mann haben wollen, wurden erstickt von der Dunkelheit und fielen in einen Schatten der nur erahnen ließ, dass er einst wusste wie die Sonne aussah.

Doch diese Dunkelheit, all dieses Gift, all diese Parasiten die jedes Licht verzehrten und mit sich nahmen, all das, es war nicht mehr. Denn als ich die Tür aufdrückte, bereit dem Dunkel entgegen zu treten, kamen mir helle Sonnenstrahlen entgegen, die sich an mir nährten wie an jedem Stück Holz, Stoff oder Buch in diesem Zimmer. Das Bett war leer, die Habseligkeiten von Gaius weg. Ich erkannte es nicht an so Dingen wie Kleidern oder dergleichen. Ich erkannte es daran, dass das Bild an der Wand nicht mehr da war, irgendein Ölgemälde von irgendeiner Naturlandschaft aus der Heimat was ihm so heilig war, wie nichts Anderes. Ich erkannte es daran, dass im Bücherschrank nur ein einziges Buch fehlte, sein liebstes Buch, es ging darin um Geschichten: Geschichten an die keiner so recht glaubte aber wo auch keiner sich traute zu behaupten, dass sie komplett an den Haaren herbei gezogen waren. Und seine Schatulle fehlte, sie stand auf dem Bücherregal und beinhaltete eine Kette von mir, sie war aus Kupfer und vermutlich das hässlichste Schmuckstück was die Welt je sah und ein extravagantes Tintenfässchen. Er sagte, dass es zwei Dinge wären die unglaublichen Wert hätten und man müsste sie immer weit oben lagern, weil ja nicht jeder so groß wäre und sich ein Einbrecher nicht die Mühe machen würde einen Hocker zu holen. Eine Ausrede, ich wusste das aber ich fragte nicht genauer nach. Nicht einmal nach der Kette, die ich eigentlich wegwerfen wollte. Ausnahmsweise stellte ich dahingehend nichts in Frage. Und doch, nun, war alles weg. Das Bett gemacht, die Decken fehlten, die Kissen auch. Es wirkte wie ein frisch gereinigtes Tavernenzimmer, zum mieten.

Und in mitten dieser mich blenden Helligkeit lag ein zusammengefaltetes Stück Pergament, kein Siegel, nichts und ich merkte bereits als ich danach griff, dass man sich hier nicht viel Mühe gab. Man konnte sehen ob ein Stück Papier viel beschrieben war oder wenig, selbst wenn man es noch nicht wirklich sah. Nicht viele Worte. Ich malte mir diverse Dinge aus was dort nun stehen könnte.

    -Kann wieder laufen, bin weg.
    -Er ist tot, wir haben sauber gemacht.
    -Habe ein schönes Haus gemietet, komm da und da hin. (Im Leben nicht)
    -Tut mir leid das ich ihn getötet habe, ich konnte nicht anders. - Hausmädchen, Amalina, Linhart, Kilian, Emilie im trunkenen Zustand. (Die Liste war erschreckend lang)


Also faltete ich das Schreiben auf, las die Zeilen und warf das Stück Papier dann achtlos wieder aufs Bett, aufgeklappt, ungeachtet derer, die zukünftig diesen Raum betreten würden. Ich drehte mich um, zog die Tür wieder hinter mir zu und verließ das Haus so ruhig, dass es mich selber verwunderte. Vielleicht war es ein Schock, vielleicht war es Gleichgültigkeit, vielleicht hatte ich aber auch, in diesem einst so dunklen Zimmer, irgendwas zurück gelassen oder irgendwas mitgenommen, was mich zukünftig andere Wege laufen ließ. Eines wusste ich jedoch: So viel Kontrolle über mich selbst gab ich ab, den letzten Rest wollte ich behalten. Sie wollte Reaktion, sicherlich, sie bekam jedoch keine.

Zitat:
Mädchen,

ich habe die Zeit genutzt in der du im Krieg warst oder irgendwo im Lazarett vor dich her gestunken hast. Eiter und Blut sind wirklich abartige Begleiter. Besonders du solltest dich eher mit Blumen schmücken und nicht noch mit dem Finger im Bienenstock stochern.

Ich habe Gaius mit mir genommen. Ihm wird es bei mir besser gehen. Euer Kummer macht ihn krank.

Lavinia Merat
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Kilian Fanras





 Beitrag Verfasst am: 28 Aug 2018 18:39    Titel: Linharts Verhängnis
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Kein Gesang ist zu hören auch die willigen Mietzen machen sich dieser Tage rar. Mit der pflichtbedingten Abwesenheit der Hausherrin ist eine drückende Stille in das Haus gleich neben dem Adoraner Marktplatz eingekehrt und an diesem Abend ist Kilian sein eigener Gast.
Manche Menschen ertragen die Einsamkeit, finden genug Halt in sich selbst und ihren eigenen Gedanken. Er gehört nicht dazu.

Jeder verziehende Moment macht es schwerer sich zu konzentrierten, erhöht die Last auf den Schultern um eine Winzigkeit - aber es sind einfach so viele Momente in den Stunden. Und doch hält er aus, streckt die Pein in die Länge mit dem Mischen und Ziehen von Karten, ohne zu bemerken, dass sich die Abläufe wiederholen, beständig die gleichen Gesichter präsentiert werden. Ungerufene Erinnerungen mischen sich hinein, zufällig an die Oberfläche getrieben, wie die erratischen Traumgesichter eines Schläfers.

"Weisst du, was mein Herz mir sagt, wenn ich morgen in den Spiegel sehe?"
"Nein, was denn? Du siehst ganz schön gut aus, aber du wirst alt?"
"Nein, nicht das. Es sagt einfach gar nichts."


"Gar nichts."
wiederholt er in die Stille der Gaststube hinein und starrt dabei auf die aufgedeckte Karte, auf die abartige Kreatur aus Holz und Zähnen und Krallen, die geradewegs dem Fieberwahn eines auf der Straße verhungernden Künstlers entsprungen zu sein scheint.

Schon wieder.

Bilder sind genauso verräterisch wie Worte, denn die beste Lüge besteht immer darin soviel der Wahrheit darin zu verstecken wie nur möglich und dann das eine, essentielle Detail auszulassen. In diesem Bild ist soviel Wahrheit, dass eine alte Narbe zu ziehen beginnt.

Er mischt den Stapel aus Karten erneut, während er versucht den Gedanken festzuhalten, aufzudröseln, wie man einen verworrenen Faden mit viel Geduld und Zeit wieder in Ordnung bringen kann. Aber heute gibt es nichts zu lösen: Die Narbe schmerzt und als er die Karte aufdeckt präsentiert sich erneut die hässliche Fratze des Waldgeistes, das breite Grinsen spitzer Zähne.

Und er erinnert sich.

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Die kraftvollen Strahlen der hoch stehenden Sonne reichen nicht durch das dichte Dach der Bäume, durch den Urwald von Grün, der die von Menschenhand geschaffenen Wege schon vor langer Zeit überwuchert hat. Nur hier und dort sind Relikte zurückgeblieben, Hinweise für ein wachsames Auge: Eine zu gerade Linie aus Moos, scharfe Kanten bis zu denen sich faustdicke Abkömmlinge mächtigerer Baumgiganten recken. Alles hier unten ist Zwielicht, der Boden trügerisch und weich - eine Sammlung aus alten Blättern und verrotteten Erinnerungen.
Eine davon hat den Mann hierher gebracht.

Über gebrochene Reste von Mauern ziehen sich Efeu und andere Würger, dicht an dicht kämpfen sie die langsame Schlacht der Pflanzen gegeneinander um Licht und Lebensraum, Wurzeln und Ranken finden den mürbe gewordenen Mörtel zwischen grob behauenen Steinen und sprengen ohne Reue, was für Jahrhunderte Bestand hatte. Ohne Eifer. Ohne Zorn. Ohne Aufregung.

Manchmal wäre der Mann selbst gern eine Pflanze.

Seit ungezählten Wochen durchwandert er bereits das Zwielicht und die Flamme von Zorn, die ihn die ersten Tage angetrieben hat, ist längst durch kalte Resignation ersetzt worden. Der Wald selbst, so scheint es, scheint gegen ihn zu kämpfen: Da waren Horden von Ameisen und handtellergrossen Käfern, die schon am ersten Tag über ihn hergefallen waren, Feinde, gegen die der vertraute Stahl nichts auszurichten vermochte und deren Bissspuren er auch heute noch am Leib trägt. Die stete, von allen Blättern tropfende Feuchtigkeit macht das Atmen schwer und die Kleidung mürbe, lässt die Wolle schimmeln - selbst der mitgebrachte Zwieback hatte sich nach Tagen schon in madenzerfressene marode Krümel verwandelt. Die schwere Rüstung, ein Erbstück aus früheren Zeiten blieb irgendwo am Wegesrand zurück, vermutlich bereits jetzt kaum mehr als feuchter Rost. Der Mann ist müde. Aber er muss weiter.

Seine Träume warten im Herzen dieses Waldes.

Der Weg dorthin aber scheint sich bis in die Ewigkeit zu strecken - es gibt keine Sonne hier unten, um sich zu orientieren, nur das düstere Zwielicht, das den Tag kennzeichnet, wo die Nacht aus Finsternis besteht, die von einer kolossalen Menge selbstleuchtender Kreaturen erfüllt ist. Glühwürmchen umschwärmen den unwillkommenen Eindringling mit unerwarteter Neugier - harmlos im Vergleich zu anderen, grösseren Jägern, mit denen er bereits mehr als einmal unliebsame Bekanntschaft geschlossen hat.
All das ist Leben, begreift er: Ungezähmt, ungerichtet, schamlos in seiner brutalen Direktheit. Fressen oder gefressen werden.

Etwas ist in der Luft, dass die Sinne verwirrt und ihn Schatten sehen lässt, immer gerade am Rande der Wahrnehmung, das Zucken von Bewegung, von Augen, die aus grünen, züngelnden Flammen heraus auf ihn starren: Ohne Feindseligkeit, sondern mit distanzierter, kalter Ungerührtheit.
Irgendwann windet sich etwas Grosses vorbei: Ein gewaltiger, geschuppter Leib, der sich auf unbegreifliche Weise durch den Urwald zieht ohne Äste zu brechen, ohne Spuren im Moos zu hinterlassen. Für Momente, so glaubt der Mann später, sah er einer Kreatur ins Auge und fühlte sich gemessen und gewogen, schliesslich für zu leicht befunden und ignoriert, aber obgleich er später für Stunden im Kreis taumelt, ist da nichts: Keine Schuppen. Keine gebrochenen Zweige, ausser denen, die er selbst geknickt hat.

Weiter. Immer weiter.

Er schläft, wo er niederfällt, denn es gibt keine sicheren Orte: Der Boden ist so gut wie die bewachsenen Äste der Bäume. Er isst, was er zu fassen bekommt: Manchmal zuckendes, quiekendes Leben, das er aus dem Übermaß fischt und roh verschlingt, manchmal auch Blätter und Beeren, über deren Giftigkeit er nicht nachdenken kann. Gelegentlich schwitzt er und trinkt wie ein Wahnsinniger von Hohlblättern und aus den Astlöchern verendeter Baumriesen. In Momenten der Ruhe hat er das Gefühl, dass sich etwas in seinen Eingeweiden bewegt.
Das Schwert, an dessen Last er sich bis zuletzt klammerte, liegt irgendwo vergessen im Schatten einer geneigten Mauer, deren Form vollkommen von blauen und höchst giftigen Blüten überwuchert ist: Die Berührung ist geeignet kleine Tiere zu lähmen und schliesslich zu töten, so dass die langen, beweglichen Wurzeln sich die Beute schliesslich einverleiben können. Von der Pflanze verdaut zu werden ist eine langwierige und schwierige Angelegenheit, denn der Wald kennt eine Unzahl spezialisierter Räuber. Einige davon sind eher Diebe als alles andere.

Weiter. Immer weiter. Die Spuren sind da, auch wenn sie nicht zu sehen sind, so deutlich wie das längst vergessenes Echo eines vor langer Zeit geäußerten Flüsterns. Der Wald kennt keine Richtung, aber der Mann - dessen ist er sich gewiss - findet immer wieder zurück auf den Pfad. Nähert sich, wenn auch mit Umwegen, dem Herzen. Dem Preis.

Dass es regnet ist nur daran zu bemerken, dass das stetige Tropfen kräftiger wird, das Rauschen im Dach der Blätter reicht nicht hinab bis auf den Boden, aber mit der Zeit schaffen es die Rinnsäle hinab und vereinen sich zu Pfützen, die niemals lange stehen, sondern von Moosen und Farnen aufgesogen werden. Regen verheisst einen Moment des Friedens und der Mann ist dankbar für solche Momente. Es gibt mittlerweile zu viele davon in seinem fieberndem Geist, als dass er sie noch auseinanderhalten könnte.
Es ist dieser Augenblick, den die Kreatur für ihren Angriff benutzt: Aus dem Dickicht lässt sie sich auf den Mann herab fallen - ein Bündel aus langem Pelz und kolossalen gebogenen Krallen, die mühelos Haut zerreissen, von den Rippen des aufheulenden Mannes abgleiten und ein gutes Stück Fleisch abschälen. Gelbe Zähne schnappen nach seiner Kehle, aber sie sind weit davon entfernt wirklich gefährlich zu werden - die wahre Waffe des Geschöpfes sind die langen Krallen in Kombination mit der Überraschung.
"Linhart!" schreit er aus irgendeinem Grunde, während er auf dem Boden mit der Kreatur ringt. Es gibt keine Finesse in diesem Kampf, keine Regeln, keine technischen Tricks oder Weisheiten alter Meister, die sich auf diese Situation anwenden ließen. Regenwasser und Blut vermischen sich im Schlamm, während Gliedmaßen schlagen und Zähne wahllos zuschnappen, Fetzen von Haut und Fleisch herausgerissen werden. Der Mann kaut und schluckt, noch während er kämpft, bevor er schliesslich erschöpft auf der Leiche des glücklosen Jägers ruht, der entweder erwürgt wurde oder in einer Pfütze ertrank - so genau lässt sich das nicht feststellen.

Als der Mann wieder zu sich kommt, wimmelt seine Wunde von gelben, blaugeäderten Raupen, Parasiten sondergleichen, die sich darauf spezialisiert haben sich vom Blut noch lebender Wesen zu ernähren. Dafür sind sie perfekt ausgestattet: Von grosser Zahl und mit scharfen kleinen Beisszangen, die es schwer machen sie abzustreifen, ein teilweise gepanzerter Körper, der einiges einstecken kann und ein betäubendes Gift, das dem Opfer den Schmerz nimmt. Nur gegen Daumen sind sie machtlos.

Weiter. Immer weiter.

Er spürt nichts vom Schmerz und nichts mehr von den Füßen, die stolpernd ganz allein der Ruine eines vor langer Zeit vergessenen Pfades folgen. Eine Spur aus Blut bleibt zurück, als Verheissung, Versprechen für die Räuber im ewigen Zwielicht.

Und dann steht er auf dem Strand. Endlich.
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Kilian Fanras





 Beitrag Verfasst am: 31 Aug 2018 19:23    Titel:
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Der Morgen ist noch jung als der Mann sich aus dem Haus schleicht, verstohlen wie ein vollgefressener Fuchs, der mit Müh und Not die Wampe über den Boden schleift, nachdem die ganze Nacht der Gänsestahl geplündert wurde.
Das, so wird der geneigte Leser bemerken, ist eine Metapher (und keine sehr gute, denn in Wahrheit schleift da nichts über den Boden).

Im Detail heisst das: Der Mann merkt, dass er keine 18 Sommer mehr als ist und sich noch vor dem Morgengrauen aus einem (ebenfalls metaphorischen) fremden Bett zu quälen, kein Spass. Aber die Nachbarn sind neugierig und im Augenblick fühlt er sich etwas zu aufgerieben, um den Gedanken an ein bevorstehendes Duell interessant zu finden.

Das Einzige, was ihm angesichts klammer Kühle und taufeuchter Wege die Laune versüßt, ist die Erinnerung an den zurückgelassenen Brief, an das kleine Schreiben, das auf der Rückseite einer Rechnung über eine grössere Menge Bims und Salpeter hinterlassen wurde - so informell, wie es eben nur sein kann.

Zitat:

Ich werde unsere gemeinsame Nacht nicht vergessen und meine Lenden glühen noch immer. Oh, du liebliche Stute, ich freue mich auf das nächste Mal.

Ganz viele Küsse.

K.


'Der Spiegel eines Spiegels.'
Über diesen Gedanken sinnt er nach, während er durch das stille Adoran streift, vorbei an dem Haus Kevan Merats, dessen Vorgarten wieder so unerfreulich aufgeräumt aussieht, dass es ihm in den Fingern juckt, vorbei an dem kleinen Park, bis er schliesslich das kleine Heckenlabyrinth erreicht.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Erinnerung an die vergangene Nacht bereits verwandelt, geschärft, wie unter dem Glasauge einer Lupe und gleichzeitig geschrumpft, als hätte sie sich etwas von ihm entfernt. Daran ist nichts Unerwartetes: All das wird zurückkehren, wird wieder an Farbe und Wirklichkeit gewinnen, sobald er nur in menschliche Gesellschaft zurückgekehrt ist.
All das wird irgendwann zurückkehren, wenn er das letzte Mal den Strand betritt.

------------

Bis gerade eben zweifelte der Mann noch an seinem Verstand, an seinem Sinn für Realität und natürlich auch an der Gerechtigkeit der Götter, die zu verehren man ihm die ganze Jugendzeit hinüber dringend empfahl.
Jetzt, da er auf den heissen Strand hinaustaumelt, ist die bis eben noch allgegenwärtige Umarmung des mörderischen Urwalds bereits eine verblassende Erinnerung, dünn wie eine Narbe, bei deren Anblick man sich nur noch an das Ereignis, nicht aber mehr an den Schmerz erinnert.

Es ist Sommer, die Hitze flirrt über dem gelben Sand und es gibt keine einzige Wolke im blendenden Azur des Himmelszeltes.
Er versteht, dass er das Anfang gefunden hat und während er die hagere Frauengestalt betrachtet, die mit dem Rücken zu ihm direkt am Ufer sitzt, sorglos mit den Füßen im Wasser, als würde sie sich nicht um Wellen scheren, kehrt ein wenig Ordnung in seinen fiebernden Geist ein.

Dies ist ein Traum. Sein erster seit damals.

"Hast du jemals die Natur deiner Realität in Frage gestellt?"

Rauhes Vergnügen schwingt in der Frauenstimme mit, eine Kratzigkeit, die zu der gesamten Erscheinung passt: Ein wirrer Schopf von Haaren, eben lang genug um die Ohren zu bedecken, sehnige Agilität, die bei jeder noch so kleinen Bewegung vibriert, wie die Sehne eines gespannten Bogens. Die Züge sind fein genug, um keinen Zweifel am Geschlecht aufkommen lassen, auch wenn die mitgenommene Bluse mit kaum mehr als einer vagen Andeutung gefüllt ist.

Es ist Sommer und er ist verliebt. Schon wieder.

"Niemals, bevor ich dich traf."
Er hört den Unterton in der eigenen Stimme, das feine Flehen, das sich unter die Worte mischt und ist doch ohnmächtig etwas dagegen zu tun: Hoffnung ist, so weiss er heute, so schwer und so schmerzhaft auszureissen, wie eine Brennessel.

"Alles könnte wieder sein, wie es war, Kilian." flüstert sie in sein Ohr. "Unser Feind war nur die Zeit, das gnadenlose Verstreichen der Momente. Es braucht ein Herz, um das Verhängnis aufzuhalten. Kannst du mir das geben? Kannst du mir dein Herz geben, damit ich glücklich bin?"

In diesem Moment will er nichts mehr als genau das, aber er war bereits hier und auch wenn die Hoffnung ihm schier die Seele zersprengt, packt er den letzten schwindenden Rest von Entschlossenheit.

"Nein."


Zuletzt bearbeitet von Kilian Fanras am 11 Apr 2022 08:34, insgesamt einmal bearbeitet
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Emilie Merat





 Beitrag Verfasst am: 02 Sep 2018 11:02    Titel:
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Vor mehr als über einem Jahr, 259, irgendwo auf dem Festland

"Emilie, du solltest öfter Kleider tragen."
"Du bist bald mein Mann, dann kannst du dir so absurde Sachen wünschen."

Ich hörte ein amüsiertes Schnauben als ich mich abwandte und dem Klopfen nachging, das fast schon penetrant durchs Haus hallte. Es war an diesem Tage nicht einmal gewünscht. Das war der erste Tag an dem wir uns nicht ignorierten oder beleidigten. Es wirkte fast schon harmonisch und er sah zum ersten Mal nicht mehr unzufrieden oder gar unglücklich aus. Als hätte der erste Sonnenstrahl dieses Tages alles verändert. Er strich mir sogar einmal über den Rücken, direkt nach dem Frühstück als mir ein Teller hinab fiel und ich mich schämte, weil es irgendein Geschenk zu irgendeinem Jahrestag von seiner Mutter war. Aber er schüttelte nur den Kopf, ging vor mir in die Knie und hob die Scherben auf. Danach dann diese unerwartete Geste, irgendwelche Worte die ich nicht wahrnahm und dann war das Thema beendet. Ja, heute störte mich das Klopfen, denn ich fühlte mich kurzzeitig wie in einer glücklichen Bindung und nicht wie in einem Käfig.

Also zog ich die Tür auf, bemühte mich nicht einmal um ein Lächeln und versuchte dem Gast sofort zu zeigen, dass es wohl ungünstig wäre zu dieser Stunde zu stören. Aber das interessierte nicht. Eine hochgewachsene Frau, sicher um die dreißig Jahre, drückte sich an mir vorbei. Ich schämte mich regelrecht mit meinen Beinen ihren Rock zu berühren, der Stoff kostet vermutlich mehr als alles was ich in meinem Schrank hatte. Ich kannte ihr Gesicht allerdings nicht, obwohl ich mir einredete jeden reichen Zweig zu kennen, der sich in unmittelbarer Nähe niedergelassen hatte. Sie stolzierte über die Dielen als wäre es ihr Haus, ihr schwarzes Haar, hoch gesteckt zu einer perfekten Frisur glänzte leicht und wurde durch den Haarschmuck, der in der Spiegelung der Lichter reflektierte, noch unterstützt. Ihre Haare sahen aus wie ein Sternenhimmel. War ich neidisch oder fand ich es übertrieben?

"Wo ist er?" Sie lief weiter auf und ab, wobei ich das nicht ganz verstand. Sie bewegte sich nicht groß von Ort und Stelle, tat aber so als würde sie gerade intensiv suchen. Eventuell würde er in der Kuhle auftauchen, die sie mit ihren spitzen Schuhen gerade lief.
"Entschuldigt, aber wer seid Ihr?" Als ihr Blick in meine Richtung ging, fing ich wieder an mir erbärmlich vor zu kommen. Als hätte ich sie als ein Landstreicher gefragt, ob sie mir bitte die Hand reichen würde, nachdem sie zuvor mit ihrer Kutsche meinen Leib in den Dreck warf.
"Bist du die Dienstmagd?" Ich zuckte ein wenig zurück und schüttelte leicht den Kopf und doch fehlte es mir an jeglicher weiterer Reaktion. Sie machte mich sprachlos, sie widerte mich an.
"Nein, ist sie nicht. Mara, was möchtest du?" Gaius kam die Treppen hinab und ich merkte wie seine Züge sich wieder anspannten. Ich fragte mich nicht lange wieso, denn sobald er die selbe Ebene berührte wie die, auf der Mara stand, überwindete sie die Distanz und legte die Arme um seinen Leib, so vertraut als hätte sie das bereits öfter getan. Ich konnte sehen wie er zuckte, sein Blick in meine Richtung ging und er dann wieder den Fokus auf den Schwarzschopf legte.
"Ich habe gehört du sollst heiraten, hast du ihnen nicht gesagt das du bereits eine Frau gewählt hast? Was soll das alles bedeuten, rede bitte mit mir, Liebster!" Sie dramatisierte, das konnte sie gut. Sie sah allerdings auch wie jemand aus der es sich leisten konnte. Wie jemand wo ein Mann über das nervige Schrille hinweg sehen würde, weil es sich am Ende des Tages bezahlt machte.
"Ich werde heiraten." Damit griff er nach ihren Oberarmen und drückte sie von sich, fast schon sanft und doch mit irgendwas in seinem Gesicht, was gequält erschien. Vermutlich mochte er sie wirklich. "Mara Zell, das ist Emilie Fanras, meine Verlobte."
"Die?!" Damit wendete sie wieder herum, als hätte sie mich zuvor vergessen und starrte mich so an, wie ich mich vor ihr fühlte. Ich sagte nichts, stand einfach nur da und ließ mich betrachten wie einen Schrank, den man kürzlich erworben hatte. Gaius schwieg, ich konnte in seinen Augen sehen das ihm die Situation Unbehagen bereitete und ich sehnte mich nach dem Morgen zurück.
"Du solltest nun gehen." Er pausierte kurz und atmete etwas tiefer durch. "Und komm nicht mehr zurück." Entrüstet wirkte ihr ganzes Aussehen auf einmal weniger stolz, sie wirkte gerade wie ein geschlagenes Reh, ein wunderschönes geschlagenes Reh. Aber was mir hier auffiel war, dass sie trotz ihrer spitzen Zunge nicht wagte ihm zu widersprechen. Ich hätte vermutlich widersprochen, diskutiert, gefleht. Sie sparte es sich, drehte sich herum und marschierte aus dem Haus heraus, als wäre nichts gewesen. Sie schloss sogar besonnen leise die Tür. So viel Rückrat wünschte ich mir auch, ich konnte allerdings nur einen erstarrten Leib anbieten.

Er redete mit mir, aber ich hörte nicht zu. Ich stand einfach nur da und realisierte wieder, nicht die Wahl gewesen zu sein. Ein bitterer Fakt. Es war eine Schramme, eine Kerbe im Selbstbewusstsein zu wissen, dass der Mann mit dem man ein Leben lang leben würde, einen nie von sich aus wählte. Man war eine von vielen oder die Nummer zwei oder eben die Nummer drei. Ich konnte mich nicht erinnern mich jemals so minderwertig gefühlt zu haben wie in diesem Moment. Ich nahm keine Konkurrenz zu irgendwelchen Frauen auf. Ich trug weder Kleider, noch Haarschmuck, noch bemühte ich mich mein Gesicht mit Schminke zu bedecken um gewisse Stellen hervor zu heben. Ich würde mit jedem Mann einen trinken gehen, die Beine hoch legen und von mir aus auch Hintern von Weibern an der Theke bewerten. ich war niemand den man zum Heiraten wählte. Er wählte mich nicht.

"Es war heute ein schöner Tag, Emilie." Er bettete wieder die Hand auf meinem Leib, dieses Mal an meinem Oberarm. Doch es war nicht wie am Morgen, es fühlte sich für mich nicht so an. Ich wusste nicht einmal warum mir das alles gerade weh tat, ich liebte ihn nicht, wer konnte das schon in so kurzer Zeit. Aber ich fühlte mich wertlos. Ich ging einen Schritt nach hinten, wich seiner Berührung aus und es kam mir vor als würde ich mir irgendwas abreißen. Er wählte mich nicht.
"Es tut mir leid, dass ich... Ich werde ein wenig spazieren gehen." Damit wendete ich mich ab und kam mir vor einem Ehestreit zu entgehen, einer dramatischen Geschichte. Eine gute Angewohnheit von ihm war, einen gehen zu lassen wenn man gehen wollte und einem keine Situation aufzuzwingen. Und doch: Er wählte mich nicht, aber ich dachte kurz mich für ihn entschieden zu haben.


Zuletzt bearbeitet von Emilie Merat am 02 Sep 2018 12:32, insgesamt einmal bearbeitet
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Kilian Fanras





 Beitrag Verfasst am: 11 Apr 2022 08:56    Titel:
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Wohin geht ein Mann, der keine Träume hat, wenn nicht nach Adoran?

Hier kapitulieren törichte Hoffnungen wimmernd vor der am Reißbrett gezogenen Ordnung, zerschellen an der kalten Realität, die jede Form von Abweichung gnadenlos bestraft. "Funktioniere!" rufen die schnurgeraden Wege und wer ein Rückgrat hat, der wird es hier gewiss gestreckt finden, genauso in Form gebracht, wie der Leib einer Schnecke vom stetig getragenen Haus. Die Erwartungen der Gesellschaft und die Wünsche des Einzelnen prallen zusammen, wie das Meer auf das Land prallt: Das eine spült über das andere hinweg, beißt Stücke heraus und löscht Spuren aus. Die Erosion ist beständig und der Schmerz real.

Kurz: Es ist der perfekte Ort für ihn.

Wieder. Immer noch. Alles ist wie immer und die Jahre sind eine blasse Illusion, geprägt von der Erinnerung an einen Strand, dessen Sand außerhalb der feuchten Wasserlinie unerträglich heiß ist und von Blut, das nicht von den Händen gewaschen werden kann.

Die Straßen sind noch immer vertraut, so tief eingeprägt, dass die Füße den Weg von allein finden, ohne dass es dafür eine bewusste Anstrengung bräuchte. Der Vorgarten jenes Hauses, das einmal einem Kevan Merat gehörte, ist noch immer so unerträglich gut gepflegt, dass er um der alten Zeiten Willen eine leere Flasche über den Zaun wirft. Beste Grüße aus der Vergangenheit, angespült von Gezeiten, eine Nachricht auch ohne einen Brief, der dem zerbrechlichen Gefäß anvertraut wurde.
Die Erleichterung bleibt aus, aber das hat er nicht anders erwartet: Was ist ein Spiegel schon, wenn es niemanden gibt, der hineinsieht?

Die trüben Gedanken flüchten als ihm Stimmen entgegenschlagen, eine lebhafte Diskussion in einer Schankstube, laut genug geführt dass Fetzen des Gesprächs bis auf die Straße hinaus reichen. Er folgt den Eindrücken - ein Poet würde sagen, ganz wie eine Motte zum Licht strebt.

Tatsächlich ist er eher eine Mücke.
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Kilian Fanras





 Beitrag Verfasst am: 12 Apr 2022 09:33    Titel:
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Die Sonne hat dieser Tage noch lange nicht genug Kraft um auch nur eine vage Ahnung des kommenden Sommers zu geben, aber in dem engen Treppenhaus ist es dennoch so heiß, dass Kilian sich fühlt, als würde er nun kopfüber in die ihm bereits so oft versprochene Hölle eintauchen.
Das erhitzte Holz der Stufen knirscht unter jedem Schritt der vorangehenden, krummrückigen Greisin und ächzt unter der Last des vermutlich doppelt so schweren Mannes, der sich umsieht, mehr neugierig als perplex, während er gleichzeitig nach Atem ringt.

Wie ist das möglich? Es gibt ein Oberlicht unter dem Dach, aber darauf befindet sich soviel Schmutz, dass hier drinnen selbst zur Mittagsstunde bestenfalls Zwielicht herrschen kann und zu dieser Stunde enthüllt es nur Fragmente des bewölkten Nachthimmels. Selbst wenn dies die größte Lupe der Welt wäre, könnte sie sich nicht für die Hitze verantwortlich zeigen.

"Wir haben umgebaut. Die Bäckerei brauchte mehr Platz, eines der vorherigen Quartiere hat den Ofen aufgenommen."

Die Erklärung nimmt die Frage vorweg, die Feindseligkeit in den wenigen Worten ist so offen, dass selbst ein Kilian die Botschaft versteht und keine weiteren Nachforschungen anstellt, er begnügt sich damit brav zu folgen und nimmt schließlich das Zimmer in Empfang für dessen Miete er buchstäblich seine letzten Münzen abgeben musste.

Der Gegenwert erscheint auf den ersten Blick fragwürdig: Der Raum hat nicht viel mehr zu bieten als ein wackliges Bettgestell, einen Schrank der vermutlich einmal gelb gestrichen war und einen winzigen Schreibtisch direkt unter dem Fenster, dessen Rahmen aus dicken, völlig verzogenem Holz besteht.
Ein Detail fängt die Aufmerksamkeit des Mannes ein, vor Jahren mit dem Messer in gedankenlosem Vandalismus dort hinterlassen: Ein Herz, doppelrandig mit den Buchstaben K und E, hübsch verbunden durch ein Plus.

'Es sieht so aus, als wäre ich wahrhaft in einem Kreis gefangen.'

Die aufkeimende Galligkeit schmeckt bitter in der Kehle, die Schärfe darin treibt die Erinnerung an, zieht mehr und mehr Hinweise aus dem Schleier bereits verblasster Erinnerungen: Es ist das gleiche Zimmer wie damals, der gleiche Ausblick aus dem unveränderten Fenster auf eine Stadt, die ebenfalls noch immer so wirkt wie früher.

Für einen Mann, der nicht an Schicksal glaubt, fügen sich all die zusammenkommenden Details zu einem Puzzle in dem sich die grinsende Fratze eines höhnischen Gottes verbirgt und aus dieser Fratze spricht eine einzige, stumme Frage: Was nun Kilian?

"Geld verdienen."

Soviel zumindest ist offenkundig: Auch wenn die erste Woche für das Zimmer gezahlt ist, hat er nicht vor danach unter einer Brücke oder im Gefängnis zu hausen und diese Gedanken beinhalten noch nicht einmal die Notwendigkeit den Magen mit irgendetwas zu füllen.

Es gibt, so sinniert er weiter, natürlich Möglichkeiten diese Herausforderung zu adressieren. In diesem konkreten Fall hat die Möglichkeit blondes Schopfhaar und ist mit einer flexiblen Moral und einem ebenso flexiblem Körper ausgestattet - die Verlockung das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden ist stark genug, dass er für einige Momente mit dem Gedanken spielt gleich jetzt alles auf eine Karte zu setzen und dem Treffen von vor kaum einem Stundenlauf ein Krönchen obenauf zu setzen.

Da gibt es natürlich den Ehemann, aber für einen wie Kilian ist das kein Hindernis, sondern eher noch ein zusätzlicher Ansporn, ein Gedanke, der den Herzschlag mehr beschleunigt als die Vorstellung das Nachtgewand der Blonden über deren Hüfte hinauf zu schieben. Das Bild war nicht zu schlecht gewählt: Manche müssen einfach den schlummernden Bären mit dem Stock pieken, das Wagnis als solches bereits ausreichende Rechtfertigung und Motivation.

Er hält den Gedanken fest, wälzt sich noch ein wenig in Möglichkeiten, während er durch das Fenster hinausstarrt auf die Gasse - tatsächlich ist die Entscheidung für diesen Abend bereits getroffen.

Adoran hält viele Möglichkeiten bereit.
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