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Von Narren und Helden
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Kilian Fanras





 Beitrag Verfasst am: 23 Jul 2018 16:06    Titel:
Antworten mit Zitat

Es ist die letzte Nacht in der er träumt.

Kilian möchte gern weinen vor Freude und dafür ist in erster Linie die an Ruchlosigkeit grenzende Schamlosigkeit seiner Geliebten verantwortlich. In seiner hormongetränkten Vorstellung gibts es nicht Anderes, nichts Besseres, nichts Grossartiges als ihre bewegliche Spannkraft, ihre unrastige Entschlossenheit, die aus jedem Moment des Daseins einen Drahtseilakt macht. Was sollte ein Mann sich sonst wünschen?

Zwei Minuten später möchte er noch immer weinen, aber die Umstände haben sich fatal geändert.

"Ich langweile mich, Kilian. Du bist langweilig geworden. Sogar mit dir zu vögeln ist langweilig."

Er ist schockiert. Er ist entsetzt. Er ist so peinlich berührt, wie man es nur fertigbringen kann, wenn man so jung ist, dass man sich für den Mittelpunkt des Multiversums hält.

Da ist keine Grausamkeit in ihren Augen, keine Zorn und keine Bosheit - sie ist einfach nur vollkommen ehrlich und sogar das hüllt sich in einen empathischen Mantel: Sie versteht, was er fühlt und vermutlich tut es ihr sogar Leid. Das alles macht die Wunde nicht weniger schmerzhaft. Das alles macht nicht weniger grausam, wie sie sich daran labt. Ohne böse Absicht oder Groll: Auch das ist Leben.

"Ich habe dich gewarnt, am Anfang des Sommers. Du hast es nicht vergessen, oder?"

Er schüttelt den Kopf - wie hätte er auch nur ein einziges Wort von diesen Lippen vergessen können?
Er schüttelt den Kopf und das Herz zieht sich in Verzweiflung zusammen: Es ist soweit.

Ein Teil von ihm ist wie gelähmt angesichts des drohenden Verhängnisses, zu taub angesichts des Schocks, um den Schmerz schon zu spüren. Ein anderer, kleiner Teil ist bereit zu verhandeln, zu betteln:

"Nein. Nein. Das kann nicht alles sein. Ich kann es besser machen, besser werden.."

"Wir sind, was wir sind, Kilian." flüstert sie in sein Ohr. "Fleisch um eine funkelnde Seele, ein Gefäß für Träume von Grossartigkeit und Wunder und Wahrhaftigkeit. Kannst du mir das geben? Kannst du mir deine Träume geben, damit ich glücklich bin?"

In diesem Moment will er nichts mehr als genau das.
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Kilian Fanras





 Beitrag Verfasst am: 25 Jul 2018 12:19    Titel:
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Leben ist Schmerz und Schmerzen hat der Mann gerade im Übermaß. Daran hat der zurückliegende Faustkampf des Berchgarder Marktes durchaus einen Anteil - die am Thyren beinahe zu Brei geschlagenen Finger sind noch immer nicht vollkommen abgeschwollen und das Lächeln wirkt dieser Tage ein wenig .. speziell durch die Schrammen und Schwellungen.
Immerhin ein Lichtblick: Blumen zu besorgen ist unnötig, wenn man doch jederzeit zwei Veilchen spazierenträgt.

Die Nächte sind noch schlimmer als die Tage: Während man im freundlichen Licht der Sonne immerhin umherschlurfen kann wie ein Veteran längst zurückliegender Schlachten und interessierte Fräuleins mit der heroisch überzeichneten Schilderung der ruhmreich geschlagenen Kämpfe beeindrucken kann, erinnert in der Dunkelheit jeder blaue Fleck daran, dass es nicht viel heldenhaftes gab.
Wie man sich bettet, so verlautbart der Volksmund, so liegt man auch und in diesem Falle heisst das: Vor sich her ächzen und schliesslich genug trinken, um die Schmerzen in sanfter Bewusstlosigkeit zu ertränken.

Immerhin, so sinniert er im ersten Licht des neuen Morgens, als der traumlose Schlummer schliesslich Raum schafft für hämmernden Kopfschmerz, wird das vorüber gehen.

Und damit wenden sich seine Gedanken einmal wieder der nur vage vertrauten Blonden zu, von der er - wenn man ehrlich ist - kaum mehr kennt als den Namen, das Lächeln, die anregende Silhouette und die sie betreffenden zahlreichen Kommentare der geliebten Sippe. Am letzten Abend, dem ersten Tag der neuen Woche, in der die Katze wieder hätte geöffnet sein sollen, war die Gaststube vollkommen verwaist, die Einrichtung stumm und drückend, ohne das Leben das er an dieser Stelle zu finden erhofft hatte.

In diesem Moment dachte er an ein Rätsel und die Aussucht darauf lief das Herz gleich näher schlagen.
Jetzt, da er mit schwerem Schädel und schmerzenden Gliedern zum Strand schlurft, mischt sich ein Gedanke von Beunruhigung in die Erinnerung: Die Tür stand offen - etwas, was der Blonden nun wirklich nicht ähnlich sah. Und alles was so ungewöhnlich ist, verheisst schlechte Nachrichten.

Das kalte Wasser vertreibt solche Gedanken, für einige Momenten tollt er mit der Lebhaftigkeit einer athritischen Schildkröte durch das salzige Nass, heisst das Brennen des Salzwassers auf den Schürfwunden willkommen.

Leben ist Schmerz. Daran hat der zurückliegende Faustkampf einen Anteil, aber bei weitem nicht den grössten.

'Sie lässt mich zappeln wie einen Fisch an der Angel.'

Der Gedanke hat etwas Ernüchterndes und etwas Erheiterndes, eine Ironie, die er zu schätzen weiss, auch wenn das Herz sich zusammenzieht: Das ist ein wenig, wie in einen Spiegel zu schauen und ein verdrehtes, gebrochenes Abbild des eigenen Selbst dort zu finden. Dazu gesellt sich ein Hauch von Bewunderung. Weniger für die Finte, um deren letztliche Vergeblichkeit er weiss, als vielmehr für die Entscheidung - für das Opfer und den Egoismus, die sich beide auf wunderliche Weise die Hand darin geben.
Für den Moment ist er inspiriert. Für den Moment ist er interessiert.

Natürlich wird es nicht anhalten.
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Emilie Merat





 Beitrag Verfasst am: 25 Jul 2018 14:17    Titel:
Antworten mit Zitat

Natürlich wird es nicht anhalten.

"Kevan und Gerold bestimmen über mein Leben als wäre ich ihre Untergebene. Motiviert dich das zum Aufstehen?" Ich beugte mich vor und ließ kaltes Wasser über sein Gesicht laufen, die Hitze drängte sich durch jeden Spalt in dieses abgedunkelte Zimmer. Es war so unerträglich heiß und Luft hinein lassen war meistens damit verbunden auch die Sonne zu empfangen. Sonne die hier keiner haben wollte. Wo ich bei ihm den Schweiß wegwischte, bildete er sich auf meiner Haut. Es war auch kein angenehmer Zustand, nicht diese Hitze die man eventuell mit Leidenschaft hätte in Verbindung bringen können. Es war einfach heiß, es stank und am Ende ging hier vermutlich keiner mit einem guten Gefühl heraus.

"Ich habe einen Bettler auf der Straße gefunden, er tat mir leid. Ich habe ihn eingestellt, wenn man das so nennen will. Er ist nicht viel jünger als ich glaube ich. Es ist wie als hätte ich mir eine zweite Amalina geangelt, ich hoffe ich heirate wegen ihm nicht auch irgendjemanden aus einem Schutzreflex heraus, wäre ja ungünstig nicht wahr?" Ich begann damit ihm Luft zuzufächern und atmete tiefer durch und konnte wie immer nicht erkennen was er gerade dachte aber er starrte mich an. Manchmal wünschte ich er würde es mit Verachtung tun oder irgendeinem anderen Gefühl welches bei mir dazu führte ihn zu hassen, aber er tat es nicht. Es war schlicht und ergreifend eine erstickende Monotonie, passend für die derzeitigen Wetterbedingungen.

"Wie kann eine Sippe nur so ebenbürtig einander gegenüber stehen und eine Andere so starke Schichten in alle Lebenslagen pressen wollen? Ich glaube ich werde einfach nie wieder einen Finger für sie krumm machen." Ich griff nach seiner Decke und schüttelte sie ein paar Mal, so dass Luft aufkam und sich unter den Stoff presste und dem Liegenden eine gewisse Kühle schenkte, dabei empfand ich sogar kurze Zeit Spaß bis mich die Anstrengung überkam. "Natürlich wird dieser Vorsatz nicht lange anhalten."

"Natürlich wird es nicht anhalten." Echote er dann meine Worte und gab ein kurzes Schnauben von sich und für wenige Sekunden, ein oder zwei vielleicht, schlug mein Herz etwas schneller. Als hätte er mir ein Kompliment gemacht, als wäre er kein Mann der unfähig wäre zu laufen geschweige denn den Arm zu heben.

"Halte dich an Tarlesin."


Zuletzt bearbeitet von Emilie Merat am 25 Jul 2018 14:19, insgesamt einmal bearbeitet
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Kilian Fanras





 Beitrag Verfasst am: 29 Jul 2018 18:27    Titel:
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Den heissen Tagen folgen kaum minder kühle Abende und das ist beinahe die einzige Zeit in der der Mann sich aus den Schatten hinauswagt. Die Sonne, so empfindet er es, ist noch unbarmherziger als ein aufgebrachtes Eheweib und er zieht es dieser Tage vor ihr aus dem Weg zu gehen. Erst wenn sie hinter dem Horizont verschwunden ist, spaziert er wieder durch die Strassen Adorans, bewundert die schnurgerade gezogenen Straßen in gleichem Maße, wie ihn die einfallslose Geradlinigkeit schockiert und erprobt die verschiedenen Tore für Spaziergänge ausserhalb der trutzigen Mauern.

All das, so ist ihm bewusst, dient nur der Ablenkung vor offenen, unbeantworteten Fragen, Fragen, die sich mittlerweile stapeln, wie auf einem Bauernhof ein Haufen Mist und der ganz oben sitzende Hahn hat einen starrenden Blick und einen verdammt scharfen Schnabel.
Dennoch taugt die Erkundung der Region wunderbar als Ablenkung, sogar als Einstimmung für seichtes Geplauder in den Abendstunden, für faszinierte Blicke auf mal mehr und mal weniger stolz präsentierte Dekolletés. Das sind die Stunden, in denen er das Leben spürt, die berauschende Kraft darin und die Vergänglichkeit, die sich noch in der prallsten Frucht erahnen lässt.

Alles stirbt.
Es ist, so erklärt er an einem dieser Abende, das Vorrecht der Jugend sich für unsterblich zu halten und seine Gegenüber nimmt den hingeworfenen Faden interessiert auf, folgt den ausgeworfenen Linien und fügt Eigene hinzu - zunächst fasziniert, bis sich ein scharfer Graben auftut, der die Aussicht auf ein wenig banales Vögeln zum Abschluss all der tiefsinnig erscheinenden Aussagen ruiniert.
Es ist dieser Moment, in dem er den Brand in der singenden Katze am meisten bedauert: Es wäre so einfach nun hinüberzuschlendern und der dort schaffenden Blonden ein wenig zur Hand zu gehen, ein paar weitere Worte zu wechseln, zu warten bis die letzten Gäste gegangen sind und dann unter den strafenden Augen des auf einem Schrank hockenden Grummelbären das Blatt auszuspielen.

'Vielleicht auch nicht.'

Der Mann versteht feste Überzeugungen, denn sein eigenes Wesen wurzelt in einer solchen und er weiss um Prinzipien. Es ist, hat er gelernt, das was die ganze Angelegenheit so gefährlich macht: Wahrheit und wahrhaftige Überzeugung können manche Einstellung zum wanken bringen, wenn sie nur durch Einstimmung und Einfühlung gemildert sind.
Er hat den Sommer nicht vergessen.

Er hat den Sommer nicht vergessen und heute, im Halbdunkel einer sich auf den Schlaf vorbereitenden Stadt, allein an einem Tisch auf dem noch zwei halb geleerte Gläser stehen, spürt er den allzu vertrauten Schmerz - fahl und entfernt, wie eine schon lange verblasste Narbe.

"Natürlich wird es nicht anhalten." erklärt er der stillen Schankstube und verschliesst die Augen vor der Lüge.

Alles stirbt. Manchmal braucht es einfach etwas länger.
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Emilie Merat





 Beitrag Verfasst am: 29 Jul 2018 19:08    Titel:
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"Hast du heute nichts zu erzählen?" Mittlerweile störte es mich das er mit mir sprach, früher wünschte ich es mir aber heute fehlte mir dieser abgeschottete Raum, wo ich Ruhe fand und zeitgleich das Chaos in mir aufnahm und es mich verschlang und nicht ich es, obwohl es jedes Mal aufs Neue meine Hoffnung weckte und meinen Willen zu siegen antrieb.
Ich antwortete ihm nicht und starrte einfach weiter auf die Tür, ich bildete mir ein am Spalt etwas Licht zu sehen, Licht was ich heute regelrecht vermisste. Die Dunkelheit widerte mich an, dieser Raum und die fehlende Luft ebenfalls. Und seine Worte, seine Fragen, meine Güte. Und doch drückte ich mich auf, umrundete das Bett und legte mich an seine Seite. Mein Kopf drehte sich leicht, so dass ich sein Seitenprofil in Augenschein nehmen konnte: Sein Gesicht war eingefallen, die Haare grau geworden. Unter seinen Augen hatten sich dunkle Ränder gebildet und man sah der Haut an, dass sie bereits eine Weile kein Licht mehr sah, er sah einfach krank aus und er roch auch so. Nach irgendwelchen Tinkturen, wo keiner so genau wusste was nun eigentlich drin war. Pferdeurin vielleicht oder Schafdarm. Das war jedoch eine Sache über die ich nie lange nachdachte, keiner wollte wissen ob sein Mann sich Pferdeurin ins Gesicht schmierte.
Ich konnte ihn nicht sehen, ich konnte ihn mir nur vorstellen. Ich hatte einmal, als ich mir sicher war das er tief und fest schlief, eine Laterne vor sein Gesicht gehalten um es anzusehen, ich war erschrocken, betrübt, angeekelt, verletzt, besorgt aber vor allem erschrocken. Und nun war es so, in der Dunkelheit an seiner Seite, dass ich mir nicht mehr vorstellen konnte wie hübsch er einst war. Also stellte ich mir das letzte Bild vor, die Augenringe, die kranke Haut.

"Es ist auch mal angenehm wenn du nic..."
"Hast du gewusst, das Efeu eine unglaublich wundervolle Pflanze ist? Sie wächst hier und da und man kann sie für zig Sachen verwenden. Für Salben, für Tränke, für seltsame Düfte, vielleicht auch um sie zu trocknen und damit zu dekorieren. Man kann es auch an seine Hauswand pflanzen, wenn einem das Gestein nicht gefällt, aber man muss eben aufpassen, weil es sich irgendwie doch in die Mauern frisst. Vielleicht kann man sich auch Seife daraus machen, sie wäre dann grün. Efeuseife wäre es dann, vielleicht im Blattform, man kann Seifen ja schnitzen. Seifen gibt es im übrigen unzählige hier auf Gerimor, ich glaube manche haben sogar zu ihrer Tagesaufgabe das Seifenhandwerk gemacht. Seifenhandwerk, das klingt doch falsch oder? Ist das ein Handwerk? Wie wird das überhaupt gemacht, aus Wachs? Es fühlt sich an wie Wachs. Meinst du es ist Wachs? Oder aus ... Harz? Oder was hat noch diese Konsistenz..." Meine Hände faltete ich auf meinem Bauch und meinen Fokus hatte ich von ihm genommen um an die Decke zu starren. Ich wusste nicht genau was ich gerade sagte oder wofür, aber es kam eben über meine Lippen, durchbrach die Stille und gab diesem Raum mehr leben.

Ich merkte das er mich anstarrte und fragte mich kurze Zeit ob er über die Seifensache nachdachte und sich für mich eine Antwort überlegte, aber er sagte nichts, er starrte nur. "Was ist?"
"Am Tag unserer Hochzeit, als wir auf unser Zimmer kamen - ich glaube du weißt es gar nicht mehr, du warst so betrunken - da hast du über hunderte von Sachen gesprochen. Über das Wetter, über Feldmäuse und deren Nahrung und dem erzürnten Bauer." Es raschelte, er drehte den Kopf wieder, sah nun ebenfalls zur Raumdecke oder aber hatte die Augen einfach geschlossen, das wusste ich nicht. "Und weiter...?"
"Du hast dabei geweint und geredet und geredet und einige Tage danach auch immer mal wieder. Immer mal wieder wenn Situationen kamen die dich überforderten, unzufrieden machten oder was weiß ich. Ich bin sowieso verwirrt das du nicht bereits seit über einem Jahr dauerhaft sprichst und irrelevantes Zeug von dir gibst."

Ich starrte ihn an, wartete eine Weile ab, als würde ich ihm aufzeigen wollen das ich über seine Worte nachdachte. Aber das tat ich nicht, er musste mir nicht erklären wie ich war, ich wusste das. Ich war nur kurz erstaunt, vielleicht ein wenig berührt, dass er es auch wusste. "Und weißt du was anscheinend auch richtig gut sein soll? Tierblut. Von toten Tieren, natürlich, also ich denke nicht das man sie wild schlachtet nur um das Blut zu bekommen, vermutlich wird der Rest dann auch verarbeitet, vielleicht im selben Trank, in der selben Salbe oder in der selben Seife. Wo wir also wieder bei der Seife wären, denkst du sie wird aus Honig gemacht? Ich könnte ja Lucien fragen aber an und für sich... wusstest du, das Lucien einen ganzen Schrank voller kleiner Geschenke hat? Für den kleinen Geschenke-Tag. Der ist im übrigen am 10. des letzten Mondes. Wirst du mir dann was schenken? Tarlesin könnte es kaufen. Also ich wünsche mir..."

Wenn Worte nur meine Sprache wären...


Zuletzt bearbeitet von Emilie Merat am 29 Jul 2018 19:11, insgesamt 3-mal bearbeitet
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Kilian Fanras





 Beitrag Verfasst am: 31 Jul 2018 11:54    Titel: Es war einmal ..
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Die Sonne brennt hinab auf das kleine, schicke Häuschen mit der erst vor Jahresfrist ausgebesserten Fassade und den Dachziegeln aus rotem Ton, die sich nahtlos in das Flickenmuster zweier Farben einfügen, die das gesamte Stadtbild beherrschen: Ganz den Vorgaben der örtlichen Lehmgruben folgend, finden sich fahles Gelb und sattes Rot auf den Dächern und nur hier und dort gibt es unwillige Ausreisser, die bereit waren Zeit, Mühe und Kosten in Kauf zu nehmen, um sich als besondere Schneeflocke unter all dem vulgären Pöbel zu positionieren.

Dieses Haus gehört nicht dazu.

Es hat, wie alle Gebäude in dieser kleinen Stadt, Geschichte: Aufgebaut in Zeiten der Not und bis auf die Grundmauern abgerissen kaum eine Generation später, gewachsen und geteilt, vergrössert um mehr Raum für hungrige Köpfe zu schaffen und dann wieder still geworden als die Kinder flügge geworden waren und das elterliche Nest verliessen, bevor mit der nächsten Generation das gleiche Spiel von neuem begann.
Es gibt Kerben in den Türpfosten und krude Schnitzereien in den Dachbalken, erstaunlich bleibende Zeugnisse von teilweise bereits verblichenen Leben. Teilweise peinliche Zeugnisse.

"Ludwig Maidenhacker war hier. Maidenhacker?"

"Himmel, Kilian. Kannst du nicht einmal die Klappe halten?"

Die Frau macht sich nicht die Mühe um den Kopf zu heben, um hinaufzusehen zu den offen laufenden Querbalken, die kaum mehr sind als ein hübsches Relikt, denn die Umbauten haben einiges an den Strukturen des alten Hauses geändert und die einst hoch geschätzte Trag- und Stützkraft dieser Balken ist nicht länger notwendig.
Jetzt, da sie ein wenig benommen die Stirn an der Brust des Mannes reibt, erwägt sie sehr ernsthaft dieses Überbleibsel loszuwerden.

Den Balken. Nicht den Mann in ihrem Bett, auch wenn er bisweilen eine nervtötende Art und Weise hat.

"Mein Grossonkel." fühlt sie sich schliesslich bemüßigt zu erklären, nur zu bewusst, dass ihr Besucher noch immer zum Balken hinaufstarrt, als wäre dieser das Faszinierendste, was es heute zu sehen gab und so rollt auch sie sich schliesslich auf den Rücken und folgt dem Blick.
"Vor drei Jahren in einer Pfütze ertrunken, ob du es glaubst oder nicht. Wir haben 2 Tage lang getrauert und 7 gefeiert. Die Gäste erzählen heute noch davon. Manche sind sich nicht zu schade auf eine Fortsetzung zu hoffen."

Das, so weiss sie, ist genug, um die Aufmerksamkeit neu auszurichten: Der Mann liebt Geschichten, überraschende Wendungen und spitze Pointen mit einer erstaunlichen, ansteckenden Begeisterungsfähigkeit. Als wäre all das neu, unvergleichliches, nie gesehenes Spielzeug, grossartig und wundervoll und wider Willen findet sie sich lächelnd wieder. Die Müdigkeit ist verflogen und damit auch der vage Stich von Reue, das kleine schlechte Gewissen, das sich danach jedes Mal einstellt.

Diese Geschichte hier, macht sie sich bewusst, während sie den Schwarzschopf betrachtet, ist etwas, was wie ein Wetter vorbeiziehen wird. Eine Tändelei, ein Sommerregen, der über ausgedörrte Weiden niederging und sie in fruchtbare Feuchtgebiete verwandelte.

'Herrje. Das klingt sogar in meinem Kopf irgendwie peinlich.'

Der Mann versteht den Anlass des plötzlichen Lachens nicht, aber er hat auch nichts einzuwenden, die vor Stundenfrist unterbrochenen Tätigkeiten wieder aufzunehmen und nach einer kleinen Weile ist der Dachbalken und die Geschichte des Namens dort auch nicht mehr so wichtig wie vorher.
Vor allem nicht, als der gehörnte Ehemann in der Türe steht und mit solider Fassungslosigkeit den Fremden in seinem Bett anstarrt.

Interessante Zeiten.
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Kilian Fanras





 Beitrag Verfasst am: 01 Aug 2018 18:30    Titel:
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Für einen der bereit ist jede Grenze zu überschreiten - oder das zumindest vorgibt - hat der Mann ein recht zurückhaltendes Verhältnis zu Räuschen aller Art: Es ist so einfach mit der Idee zu kokettieren, wie man einer verheirateten Frau Komplimente in Abwesenheit ihres Gatten machen kann, aber der Sprung Kopfüber hinein ist ein Wagnis, das ein wenig mehr ist als all die anderen interessanten Herausforderungen links und rechts des Weges.

Auf diesem Pfad kann man sich selbst verlieren und das Gleichgewicht in dem jede noch so fragile Persönlichkeit schliesslich ruht.
Wie erratisch das alles auch immer von aussen erscheinen mag - für den Mann ist eine Binsenweisheit, dass sich alles auf diesen Quell zurückführen lässt, auf das Wechselspiel von Begehren und Beschränken, auf die Impulse von Nehmen und Geben.
Die Ereignisse haben Einfluss darauf, lassen Launen und Stimmungen schwanken, werfen die Menschen aus der Bahn, zerbrechen bisweilen starr erscheinende Vorgaben und führen in neue Pfade hinein. All das ist ein Ergebnis von Flexibilität in eben diesem Gleichgewicht.

Manche Menschen sind tolerant, können die Stürme hinnehmen und werden von ihnen bewegt. Sie lachen und weinen und am Ende pegelt sich alles wieder ein.
Anderen fällt es schwer bis unmöglich sich an wandelnde Umstände anzupassen, sie werden verbogen und zerdrückt, zu traurigen Schatten ihrer Möglichkeiten.

Und Kilian fühlt sich allzeit als wäre er im Auge dieses Sturms.

Allzeit - oder zumindest fast: Die Ausnahme von dieser Regel ist der Rausch, die Benommenheit, die nach ein paar Gläsern Bier beginnt. Es ist interessant, sich der Grenze zu nähern, aber er überschreitet sie niemals. Nicht mehr.

Nicht seit damals.

Aber dieser Tag ist anders und es ist ein wenig wie träumen. Die ganze Welt scheint zu schwimmen, zu fliessen, bereit sich in alle Richtungen zu verändern und der Mann spürt Möglichkeiten und erstorbene Wahrscheinlichkeiten. Er beobachtet sich vollkommen fasziniert selbst aus einem ganzen Spektrum von Perspektiven, als hätte er aufgehört nur ein Mensch, nur eine Seele zu sein und sich auf eigenwillige Weise vervielfacht ohne dabei die Wurzel aufzugeben: Der gemeinsame Kern ist das Hier, während alles was möglich ist, davon ausfächert und sich in unmögliche Richtungen ausstreckt. Es sind Augenblicke in Augenblicken, verzahnte Folgen, die mit jedem Lidschlag neu gewoben, neu zusammengesetzt werden.
In diesem Augenblick ist er überzeugt, dass dies die Weise ist, in der die Götter die Welt sehen müssen.

Und der Gedanke lässt ihn zum ersten Mal seit Jahren Furcht spüren.

Er lebt und er stirbt.
Er tötet und lässt leben.
Er ertrinkt in einem kaum hüfthohen Wasserbecken und wird zernagt von giftigen Käfern.
Er liebt und findet Erfüllung darin.
Er hört das Versprechen einmal mehr.
Und schliesslich ist da nichts mehr als der kalte Winter ihrer Seele.

Die Furcht ist noch da, als der Rausch irgendwann verfliegt, mitgebracht wie ein düsterer, dunkelbefiederter Bote verhängnisvoller Schicksale und nagt an seinen Gedanken. Die Furcht ist noch da, als er die Frau in die Arme zieht und die Worte zu ihr flüstert.
Er nimmt sie mit in die tiefe Benommenheit des Schlafes.

Und natürlich träumt er nicht.
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Emilie Merat





 Beitrag Verfasst am: 02 Aug 2018 17:32    Titel:
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Ein paar Jahre vorher...

Es war das Jahr 259 und die Dürre die der Sommer mitbrachte, zerrte an den Knochen jedes einzelnen. In den ersten Tagen war es angenehm, man hatte die Sonne genossen, war glücklich und ließ sich verleiten von den Gefühlen die ein warmer Sommerabend und deren Lüftchen mit sich brachten. Aber um so länger es heiß war, um so wahrscheinlicher es wurde das die Ernte dadurch aus blieb und es hier und dort an Rohstoffen fehlte, um so mehr fühlte sich der Sommer an wie eine Qual, wie etwas, von den Göttern geschickt, um irgendwas auszusondern oder eine Prüfung zu stellen. Nicht einmal mehr ein Bad im nahe liegenden See hatte etwas gebracht, denn die Sonne erhitzte ihn bereits so weit, dass es kaum noch Abkühlung war sondern mehr eine andere Art der Wärme. Es war erdrückend, erschlagend regelrecht und keine Waffe konnte etwas dagegen tun, kein Tratschmaul am Markt und auch kein Handwerk. Das Einzige was blieb war das Warten. So wartete wir alle, manche auf den Regen und manche auf andere Dinge, die weit in den Sternen standen und die niemand sehen konnte oder die verborgen hinter den eigenen vier Wänden schlummerten.

Ich erinnerte mich gut an dieses Jahr oder eher an diese Zeit, denn sie mischte sich mit dem Ball, den Rilas Merat plante und wodurch alle Frauen die irgendwas von sich hielten ins Keuchen kamen. Es war nicht die Hitze in diesem überschaubaren Städtchen die das Herz flackern ließ, es waren die Triebe, der Drang die Schönste zu sein und der Alkohol. Bei den Göttern, man sorgte sich um Kartoffeln, Karotten und Salat aber Alkohol, davon hatten wir immer so viel, dass selbst an solchen Tagen niemand um deren Knappheit fürchtete.

Also war viel Trubel im Haus, selbst bei den Fanras. Ich wusste nicht genau ob sie sich einfach nur bemühen wollten besser als die Merats zu sein oder aber ob sie sich tatsächlich darauf freuten. Ich konnte mich auf jeden Fall an diesem Schwung nicht beteiligen, ich teilte ihre Euphorie nicht und so wurde ich recht schnell an eine Stelle gesetzt, wo mein mies gelauntes Gesicht am wenigsten störte: In die Küche. Ich sollte ihre Kartoffeln schälen und ja, das tat ich und ich schnitt bewusst viel ab, den würde ich es zeigen, so dachte ich zu dieser Zeit. Verschwenderisch wenn man die eigentliche Situation bedachte. Aber ich dachte dieser Tage selten weiter als bis zum Tellerrand, wozu auch.

Am Abend, als draußen die Kutschen vor fuhren um die Leute abzuholen, war ich damit beschäftigt mir die Hände zu schrubben, mit einer Bürste die mir eher die Haut demolierte als dass sie den Dreck entfernte. Aber man war es gewohnt, feine Seide, gute Seife und edle Waschlappen, nein, das waren keine Dinge auf die wir Wert legten. Ich nannte es früher noch wir, weil ich es noch so empfand. Früher waren wir noch irgendwie ein wir. Also: Wir legten darauf keinen Wert.

"Kommst du? Em, du bist noch nicht einmal angezogen!" Amalina sah aus als hätte man sie aus einem Märchenbuch geschnitten. Sie glaubte irgendwie an die wahre Liebe oder zumindest bildete ich mir das ein und vermutlich erhoffte sie sich ihren Prinzen zu treffen, da auf dem Ball auf den ich nicht wollte. Am liebsten wäre ich 'aus versehen' die Treppe hinab gefallen. Irgendwer flüsterte mir zu, als er mir ein weiteren Sack Kartoffeln vor die Nase stellte, dass entfernte Verwandte kommen würden, Altforst Verwandte. Nicht irgendwie ein Bruder, eine Schwester oder der Sohn meines Onkels, nein, irgendwo von weit her, irgendwelche Leute die irgendwie mit einem verbunden waren aber so fremd schienen wie all das was hinterm Meer lag. Ich hasste es. Diesen ersten Eindruck, man musste immer einen ersten guten Eindruck machen und ich verkrampfte mich dabei, immer, ich lächelte dabei falsch, immer und ich ließ mindestens eine Sache fallen, immer. Also war dieses Fest, voll von all diesen Ereignissen die mich sonst immer heimsuchten, wie als würde ich nackt hin gehen, wie eine Vorführung meiner selbst.

"Ich habe keine Lust."
"Wenn du nicht gehst, dann gehe ich auch nicht." Ich konnte die Enttäuschung in ihren Augen sehen, betrachtete neuerlich ihr Kleid und atmete dann tiefer durch. Mein Wohl stand immer hinter ihrem, niemand wusste das. Alle dachten sie wäre mein Schatten, aber das war nicht so. Also wendete ich mich ab, ließ meinen Blick wandern und erhielt dadurch die Idee, durch die mein Hintern am Folgetag nicht mehr verwendbar war. Linhart hatte mich gestraft, berechtigt sicherlich. Ich hätte es aber wieder getan, hätte man mich gefragt - hatte man ein Glück nie.

Der Ball war pompös, nichts Anderes hatte man erwartet, selbst ich hatte nichts Anderes erwartet, obwohl ich mich für all dieses Tratscherei nicht wirklich interessierte. Man konnte mich damals bereits Stunden irgendwo hinstellen um über den Bauer drei Straßen weiter zu reden, schlecht, weniger schlecht oder gut, da musste man mir nur sagen wie die Gerüchte auszusehen hatten, ich führte es aus. Aber über die Familie, und bei Temora da hatte ich viel schlechtes von mir zu geben, über die Familie hätte ich nie so geredet wie über einen Fremden. Ich dachte es mir, klar, aber die eigene Meinung war wichtig, zu wichtig als das man sie mit Erfahrungen vergiften sollte. Und was noch wichtiger war als die Meinung war der erste Eindruck. Unvergessen, so redete ich mir ein, als ich mit Amalina die Treppen zum Haus hinauf ging und das Stimmengewirr uns bereits entgegen kam.
"Em, das kann doch nicht dein Ernst sein..." ich wusste in diesem Moment nicht ob sie amüsiert war oder nicht. Was ich im Nachhinein wusste war, dass sie nicht verdient hatte was später geschah. Und so starrten sie. Das Sprechen hörte auf und sie starrten einfach. Jedes Mal wenn ich nur an diesen Tag dachte, musste ich mir ein Auflachen verkneifen. Es war der beste erste Eindruck den ich jemals vermittelt hatte. Ich gab nichts auf sie und ihre Veranstaltungen, das zeigte ich ihnen und ich war nie so stolz wie an diesem Tag:

Ich stand da und trug einen Kartoffelsack, eben den, den ich zuvor noch geleert hatte damit sie alle was zum Essen im Bauch hatten. Ich hatte mir ein Seil um die Hüfte gebunden, um ein wenig Taille zu bekommen und das ganze mit einem billigen Leinentuch als Halsschmuck abgerundet. Ich sah aus wie ein Obdachloser der gerne wollte aber nicht konnte. Das Einzige was diesem Tanzfest würdig war, waren die zusammen geflochtenen Haare und die sich darin befindende Stecknadel. Es war nicht der Wille doch irgendwie was her zu machen, es war ein Symbol, ein Zeichen. Es sollte sagen 'Familie, wie ihr seht hatte ich genug Zeit mich fertig zu machen, ich hatte nur keine Lust.' Ich wollte auf keinen Fall Missverständnisse erzeugen, nicht das irgendwer annahm ich wäre überfallen worden.
Und so starrten alle, Amalina ihr Kopf glühte und ich grinste von einem Ohr zum Anderen, griff nach dem sich am nähe befindlichsten Krug und prostete in die Runde. "Altforst!" Ein Lächeln, falsch wie viele hier, ein Nicken und dann wendete ich mich herum. Eigentlich war der Abend für mich da vorbei, wäre ich doch nur gegangen.

"Zumindest siehst du an meiner Seite automatisch drei Mal so schön aus wie du eigentlich aussiehst." Ich streichelte Amalina den Rücken und merkte wie sich ihre Anspannung bei meinen Worten löste. Ich war mir nie sicher ob es die Worte waren oder einfach die Tatsache, dass irgendwann keiner mehr von mir Notiz nahm. Linhart seinen Blick konnte ich fühlen, ich wäre vermutlich mehrfach gestorben zu diesen Stunden dadurch, wäre das denn möglich gewesen. Und als ich mich dann umdrehte, um Linhart seinem Blick zu entgehen und Ausschau nach der nächsten Tafel zu halten, wo ich mir irgendwas klauen konnte für den späteren Hunger, fiel mein Blick auf ihn.

Mein Herz schlug schneller und mir wurde schwummrig. Ruckartig hasste ich meine Idee mit dem Kartoffelsack, die ich zuvor noch so sehr liebte. Es war wie in diesen kitschigen Romanen, die in den Büchereien staubten weil sie entweder schon hundert Mal gelesen wurden oder vergessen. Es war diese Empfindung von Liebe, Zuneigung und einem Hauch Verlangen, all das auf den ersten Blick, kitschig wie es im Buche stand. Mir tat das Atmen weh und meine Wangen röteten sich. Dieser verdammte Dreckskerl, schoss es mir bei all den aufkeimenden, fremden Gefühlen durch den Kopf. Dreckskerl, das war sein Name.



Aus den Erinnerungen gerissen, schüttelte mich meine Schwester sanftmütig an den Schultern. Ich musste eingeschlafen sein, hier auf dem Hocker und in Adoran begann bereits wieder das Treiben des Alltags, die Sonne war bereit die Dächer zu bedecken und ich, ich war hundemüde und hatte Schmerzen im Rücken.

"Wo warst du mit deinen Gedanken?"
"Beim Ball 259."


Zuletzt bearbeitet von Emilie Merat am 02 Aug 2018 20:14, insgesamt einmal bearbeitet
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Amalina Fanras





 Beitrag Verfasst am: 02 Aug 2018 18:51    Titel:
Antworten mit Zitat

Wie es sich wohl anfühlen würde, wenn sich ein Messer in meine Eingeweide bohren würde?
Wie es sich wohl anfühlen würde, wenn unzählige kleine Nadeln mein Herz traktieren würden?
Ein ziehender Schmerz? Ein brennender Schmerz? Vielleicht ein reissender Schmerz?
So viele Begrifflichkeiten und Redewendungen bei soviel Unsicherheit.
Und heute, ja... heute war es das Messer in meinem Bein.
Also eigentlich eher in Ihrem Bein, aber ich musste mir zumindest vorstellen wie es sich anfühlte. Wie schmerzhaft war es? Wieviel Blut hat sie verloren?

Sie war eingeschlafen. Ich spürte es anhand ihrer Atmung - wir hatten so viele Jahre das selbe Zimmer geteilt (und taten es noch), dass ich den exakten Moment bestimmen konnte in welchem sie einschlief. Oder nur so tat. Meine Arme wurden müde. Ich wurde müde. Also zupfte ich minimal an ihrem Haar um sie aus ihrem viel zu kurzen, unbequemen Schlaf zu erwecken. War das egoistisch? Es war mir egal - ich kann nunmal nicht im Stehen schlafen.

"Wo warst du mit deinen Gedanken?"
"Beim Ball 259."

Vermutlich hätte ich die Nacht lieber in unserer provisorisch eingerichteten Küche stehen bleiben sollen.

Es war das Jahr 259...
... ich hasste Kleider. Wirklich. Sie waren unpraktisch, schränkten mich in meiner Bewegungsfreiheit ein, waren unter Umständen viel zu auffällig und ohnehin machte ich sie immer nur dreckig. Ich mochte keine Standpauken, mochte keine Vorwürfe - schon gar nicht, wenn sie von Em oder Linhart kamen, die mich nur allzu gerne scholten wenn das neuste Kleid wieder einen Riss hatte, oder die ekelhaft weissen Rüschen vom Schlamm ruiniert wurden. Die schlimmsten Kleider waren Ballkleider.
Es war also nicht das Kleid, dass mich überzeugte. Erst recht nicht dieser ominöse Familienzweig, welcher mich nicht im Geringsten interessierte. Nein, es war der Tanz.
Linhart hatte Tanzstunden für uns alle organisiert. Weiß auch nicht' warum ihm das so wichtig war, aber diese Nachmittage gehörten zu den schönsten Tagen die ich kannte.
Also nahm ich das Kleid in Kauf. Nahm die ungläubigen Blicke in Kauf die mir selbst Em zu warf. Ohnehin irritierte mich ihr Gehabe - seit wann schälte sie denn bitte gerne Kartoffeln? Sonst musste man uns immer halb in die Küche prügeln bis wir mehr oder weniger freiwillig dort einen Finger krumm machten.

Mein erster Gedanke bei Ems Anblick im Kartoffelsack war: "So müssen sich wohl die feinen Damen fühlen wenn Ihnen die Luft zum Atmen fehlt." Tatsächlich hatte ich kurz die Befürchtung selbst in Ohnmacht fallen zu müssen. Konnten wir uns bitte erst nach dem Tanzen daneben benehmen? Ich wusste nicht ob ich lachen oder weinen sollte. Vermutlich ein bißchen von beidem. Der zweite Gedanke war jedoch: "Warum zum Geier hat sie mir das nicht gesagt?!"

Einer der Merats forderte mich zum Tanz. Den Namen konnte ich mir nicht behalten, aber er war groß, hatte breite Schultern, schwarze Haare und die schönsten blauen Augen. Allerdings trat er mir beim Tanz auch auf die feinen Schuhe (dabei schmerzten meine Füße ohnehin bereits!) und erzählte das langweiligste Zeug. Nach dem Tanz erinnerte ich mich nicht an eine Silbe, lediglich das Gefühl der Langeweile und Ablehnung blieb. Da halfen auch seine atemberaubenden Augen nicht mehr.

"Wie findest du Ihn?"
"Wen?"
"Na Gaius?"
"Wer soll das sein?"

Ein Tanz folgte dem Anderen. Ein junger Mann nach dem anderen. Die meisten langweilten mich und ich konnte spüren wie sich die Unrast von meinen Fingerspitzen aus, die Arme entlang bis in den Rest meines Körpers ausbreitete. Ich konnte den Blauäugigen mit Linhart sprechen sehen. Linhart gestikulierte wild - so freundlich sah es gar nicht aus, auch wenn ich die Worte nicht ausmachen konnte und er deutete auf.... mich.
Es war nie ein gutes Zeichen wenn irgendjemand auf einen deutet, ganz gleich wo man sich befand. Einem alten Reflex folgend zog ich meinen Tanzpartner mit mir zum Buffet, an einem hässlichen Brunnen vorbei und durch eine gläserne Tür hinaus auf einen kleinen, romantischen Balkon. Ich hatte noch nie ein Auge für Romantik, konnte in den Augen des Kerls jedoch sehr genau sehen in welche Richtung seine Gedanken sich bewegten. Ich tat ihm den Gefallen, ein kurzes Ablenkungsmanöver konnte nicht schaden und wer küsste bitte nicht gerne?

"Lass uns hier verschwinden."

Hätte er gewusst dass ich nur fliehen wollte hätte er vermutlich nicht mit diesem begierigen "Ja!" geantwortet und während er mit seinen merkwürdig trockenen Lippen mein Schlüsselbein quälte konnte ich über seine Schulter hinweg bereits Linharts Haarschopf sehen. Ich zog den Kerl einen Schritt nach hinten (Verdammt, wie hieß er doch gleich?) und noch einen, bis die Ballustrade unangenehm mit meinem unmöglich unpraktischen Kleid kollidierte. Während die Tür zum Balkon sich öffnete und Lin den ersten Fuß nach draussen setzte - ich konnte quasi schon die kleinen Giftpfeile erkennen mit welchen seine Augen mich zu treffen versuchten - griff ich zu einer Efeuranke und schwang meine Beine über die Ballustrade um mich an der Hauswand hinab zu hangeln.

Zumindest war das der Plan.

Während ich also unten auf den Pflastersteinen lag, während ich mir nicht mehr die Frage stellen musste, wie es sich anfühlen würde von einem Balkon zu fallen, während ich die kleinen, feinen Nadelstiche die meine Wirbelsäule traktierten spüren konnte sah ich Linhart, den Kerl und den Blauäugigen zu mir hinabstarren. Dachte ich zumindest, denn irgendwie wurde meine Sicht schlechter. War ich doch so tief gefallen? Würde ich jetzt sterben? Nein, das kann nicht sein, der Schmerz wurde weniger und einschlafen schien mir die beste Idee überhaupt zu sein...

Hätte ich doch auch nur einen Kartoffelsack getragen.


Zuletzt bearbeitet von Amalina Fanras am 02 Aug 2018 20:12, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Emilie Merat





 Beitrag Verfasst am: 02 Aug 2018 20:09    Titel:
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...

Zuletzt bearbeitet von Emilie Merat am 02 Aug 2018 20:13, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Anna Theodora Reger





 Beitrag Verfasst am: 03 Aug 2018 10:34    Titel: 259
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Auf den Tag genau. Anna starrte sich im Spiegel an, musterte das Zusammenspiel von Ohrringen, Kettchen, und dem gewollt nebensächlich hergerichteten Zopf. Das "gewollt" war dabei wichtig und hatte sie eine gute Viertelstunde gekostet gehabt. Es war eine wohlbekannte alte Frauenweisheit (vergleichsweise auf einer Stufe mit "Streifen machen dick" und "Doch, auch davon wird man schwanger" befindlich) dass nichts, was tatsächlich nebensächlich gemacht wurde, gut aussehen konnte. Wahrlich Nebensächliches sah höchstens nach Bäuerin Friede aus, die volltrunken im Heulager die Leiter hinabgefallen war. Der Zopf war also gut. Die Ohrringe auch. Das Kettchen...das wollte nicht dazupassen. So wie es seit Jahren zu nichts passte. Sie legte es dennoch an, manchmal, einfach so, um es im Spiegel zu sehen, das Gewicht des Medaillons auf der Haut zu spüren.
Anna verzog die Lippen, riss sich das einfache Schmuckstück vom Hals, verstaute es gewohnt in der Gurttasche und wandte sich ab.
Auf den Tag genau. Es jährte sich heute. Der verfluchte Ball. Ihr offizieller Eintritt in das Haus Merat. Ihr wurde immer noch schlecht, wenn sie daran dachte.

Es war das Jahr 259.

Schmerz zuckte ihr bis in die Fingerspitzen und endete dort mit leichter Taubheit, als der schraubstockartige Griff um ihren Oberarm den Blutfluss zu unterbrechen drohte. Sie hasste es, wenn er das mit ihr tat. Er wusste es, und tat es mit Vorliebe. Unter den Ärmeln würde man die Spuren nicht sehen.


"Lass mich das hier nicht bereuen, Anna."
"Ja, Herr."
"Ein falsches Zucken..."
"Da ist nichts mehr, Herr."
"Gut."


Rilas ließ los. Sie bewegte die Finger leicht, als der Schmerz wich, sich in ekles Prickeln verwandelte, und folgte dem Mann in den Festsaal hinein, in letzter Sekunde ein Lächeln über das Gesicht ziehend.

Eine Lawine aus Stimmengewirr, Musik, Kerzenschein, den Geräuschen zart klirrender Gläser, dem Geruch von Schweiß, Parfum, Stoff und irgendetwas Frittiertem rollte ihr mit einer Wucht entgegen, die in der ersten Zeit auch kaum mehr als Lächeln ermöglichte. Mehr war jedoch zum Glück nicht nötig. Rilas übernahm das Reden, plauderte hier, grüßte da, stellte die Blondine hinter sich allweilen als seine neue Assistentin vor. Sie registrierte die mal fragenden, mal desinteressierten, mal vielsagenden Blicke und lächelte weiter, nickte den Schwall an Namen ab, die im Gegenzug auf sie einströmten. Die engere Familie wurde gezielt abgegangen, eine schier unendliche Reihe von Söhnen und einer zufällig verirrten Tochter, die ohnehin nicht leiblich war - kurzes, förmliches Bekanntmachen, ehe es sogleich zum Nächsten weiterging.

'Lass mich das hier nicht bereuen, Anna.'

Sie lächelte und verdrängte die aufsteigende Übelkeit. Den Söhnen folgten Geschäftspartner, dazu der ein oder andere Fanras, der sich in direkter Laufrichtung des Alten befand und nicht höflich ignoriert werden konnte: Die joviale Abfälligkeit in der Stimme konnte - oder wollte - Rilas bei diesen Gelegenheiten jedoch nie ganz überschminken. Irgendwann, nach jener halben Ewigkeit, in die sich eine Stunde gesellschaftliches Parkett verwandeln konnte, wenn man sich auf keinen Fall auf eben diesem Parkett befinden wollte, gab er sich endlich zufrieden, entließ sie mit einem seichten Nicken und einem letzten, mahnenden Blick. Nein, Weggehen war natürlich trotzdem keine Option. Aber es gab Wein, und das verbesserte die Lage.

Einige lavierende Minuten ("Nein, ich tanze nicht." "Ist da Rotwein drin? Ich nehme auch den Weißen, es ist mir gleich, wirklich." "Ich tanze nicht, habt Dank." "Seine Assistentin, ganz recht, sehr erfreut.") später hatte sie schließlich Zuflucht auf einer zwischen zwei halbtoten Zitronenbäumchen eingequetschten Bank gefunden gehabt, das Lächeln abgenommen, und erstmals eine gewisse Entspannung verspürt.
Von hier aus, über den Rand eines Weinkelchs hinweg betrachtet, begann der pulsierende Monolith des Saals bald in seine Einzelteile zu zerfallen. Wich der erste Eindruck von Glanz und Glorie, trat auch das Pompöse seinen Rückzug an, offenbarte gleich einer langsam zurückgezogenen Decke Flecken auf der Leinwand des Abends, verriet über abblätternde Farbe in weniger auffälligen Ecken, über nicht ganz voll bestückte Kronleuchter, über abgetretene Fliesen und alte Holzrahmen der Fenster, dass vom früheren Reichtum vielmehr Anspruch als echtes Geld übrig geblieben war - eine Beobachtung, die den Raum eigenwilligerweise sympathischer zu machen schien.

Anna lehnte sich zurück, lenkte den Blick von der Einrichtung auf die Feiernden. Ein ansehnlicher blonder Kerl flanierte mit seiner wangenroten Begleitung im Arm vorbei - er war ihr vormals vorgestellt worden, auf den Namen kam sie jedoch nicht mehr. Auf der Tanzfläche entbrannte ein kleiner Streit um eine hochgewachsene Brünette, die, ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, nicht recht zu wissen schien, ob sie nun geschmeichelt oder verängstigt sein wollte. Irgendeine Möchtegernrebellin trug selbstgerechten Blickens einen Kartoffelsack anstelle eine Kleides spazieren, um einen nonchalanten Gesichtsausdruck bemüht in die Runde prostend.

"Gefällt es Euch?"

Anna verschluckte sich beinah am Wein - der Mann neben ihr war derart lautlos aufgetaucht, als hätte er sich aus dünner Luft direkt auf der Bank materialisiert. Ein hageres Gesicht, geprägt von tiefliegenden hellen Augen und einem kleinen Bärtchen, schwarze, nicht ganz so ordentlich zurechtgelegte Haare, wie man es bei der Gelegenheit hätte erwarten können, eine latent von spielender Ironie unterlegte Stimme.

"Ich bin mir noch nicht sicher."

"Ihr seid neu."

Der Mann streckte entspannt die Beine aus, prostete ihr dann mit seinem Kelch zu.

"Linhart. Linhart Fanras."

"Das erklärt die fehlende Vorstellung. Anna... Theodora... Reger. Assistentin von Herrn Merat."

"Welchem? Es sind etwa drölfzigtausend davon hier."

"Rilas."

"Der Alte höchstpersönlich... Vögelt er Euch?"

"Nein."

Ihr Nachbar lächelte und nippte an seinem Kelch, den Blick zum Saal gewandt. Sie tat es ihm gleich.

"Ihr überlegt, ob Ihr mich ohrfeigen solltet?"

"Ja."

"Tut es nicht."

"Warum nicht?"

"Ich würde zurückschlagen. Wir würden für eine hässliche Szene sorgen. Wein könnte verschüttet werden."

Anna hob den Kelch ins Licht, musterte die golden durchscheinende Flüssigkeit darin elanlos.

"Wenn Ihr mir einen Roten besorgt, sehe ich davon ab."

"Wäre es mein Haus, würde ich es tun."

"Ist das eine Einladung?"

"Ja. Übermorgen am Abend. Ihr entschuldigt mich."

Er erhob sich, gereizt mit der Zungen schnalzend, als ein bildhübscher Kerl mit durchdringend blauen Augen auf die Beiden zusteuerte. Ein Sohn von Rilas. Tarlesin? Nein. Gaius. Oder Richard. Verflucht, wer konnte die sich schon alle merken...

Sie blieb sitzen und sah Linhart hinterher, verfolgte kurzzeitig mit mildem Interesse, wie er sich in eine hitzige Diskussion mit Richard-Gaius-Tarlesin verstrickt sah, bis Beide irgendwohin verschwanden. Anna blieb auch sitzen, als zum nächsten Tanz aufgespielt wurde, und zum übernächsten, und zu dem danach, ließ sich den Kelch neu befüllen und betrachtete die Tanzenden und die abblätternde Farbe an den Wänden. Zwischendurch war irgendjemand vom Balkon gefallen, daran erinnerte sie sich noch dunkel.
Hauptsächlich erinnerte sie sich jedoch an den viel zu warmen Weißwein, das zunehmende Rauschen zwischen den Schläfen, an den einen, schwachen Moment, als sie am liebsten geschrieen hätte, und an die mühselige Flucht in ihr Zimmerchen hinauf, die dem angedachten, aber doch nie erfolgten Zusammenbruch gefolgt war.


Morgens war sie im eigenen Erbrochenen aufgewacht und hatte sich vor sich selbst geekelt.


Zuletzt bearbeitet von Anna Theodora Reger am 22 Aug 2018 10:17, insgesamt 5-mal bearbeitet
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Hyram Vait Fanras





 Beitrag Verfasst am: 03 Aug 2018 12:15    Titel:
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Diese verflixte Hitze. Seit Stunden saß er schon an dem Tisch in seinem Kämmerchen, das Fenster daneben aufgerissen, in der Hoffnung das ein wenig kühlende Luft hereinkommen würde. Die Luft stand aber und drückte sich wie das Unheil auf sein Gemüt.
Das vor ihm liegende Pergament war leer. Der Kohlestift unangetastet. In seinem Kopf bewegte sich nichts. Es herrschte Trägheit in seinen Gedanken. Irgendwann übermannte ihn die drückende Eigenart dieses Sommertags und er dämmerte weg.

259.
Das Datum hatte für ihn Signifikanz. Am Morgen war er in dem Zimmer, das ein Jahr zuvor noch eine Dachkammer gewesen war. Berthold und Edgar hatten sich über seine Lautenspielversuche aufgeregt, weshalb er unters Dach verband wurde. Dorthin, wo niemand seine Katzenmusik hören konnte.
Dennoch schrie ab und an jemand durchs Haus ("Hör' mit der Saitenfolter auf!" "Lern was richtiges und massakrier nicht Instrumente!" "Jetzt sei mal ruhig, du Luftikus!").
Ihn hatte es gefreut ein eigenes Zimmer zu bekommen. Hier konnte er für Ordnung sorgen, auch wenn sich dennoch ab und an eine Kakerlake oder eine Ratte ins Dachgebälk verirrte oder über den grobmaschig gewebten Flickenteppich huschte. Agribisch wischte er Staub, räumte alles an seinen rechten Platz in dem Schrank, mit der verzogenen Doppeltür oder in die Kommode, der ein Bein fehlte und die dadurch schief stand.
Ihre vertrauten Schritte hörte er damals auf der Leiter, bevor sie durch das Loch im Boden kletterte, das als Zugang zu seinem kleinen Reich diente.
Ein streifen Sonnenlicht fiel durch das einzige Fenster im Raum. Ein rundes Bullauge, mit angelaufenen Gläsern. Im Schein der Sonne tanzten einige Staubkörner, die umher wirbelten, als sie durch sie hindurch ging.
"Liest du schon wieder, statt dich mit dem Bogen zu üben?", fragte seine Mutter streng, worauf er das Buch eilig zuklappte und unters Kopfkissen schob.
"Ich ... mach nur Pause", redete er sich heraus.
"Als ob. Finnaia sagte, sie wird dir nicht mehr helfen, wenn du dich nicht zusammen reißt und ich kann sie verstehen. Warum sollte sie ständig nur auf ihren kleinen Bruder warten wollen?"
"Ich mach's wieder gut!", beeilte er sich eifrig zu versichern, seine Mutter winkte aber nur harsch ab.
"Einen Scheiß machst du, Junge. Du musst Disziplin lernen, deswegen habe ich dich an Rilas Merat ausgeliehen."
Die Worte trafen ihn wie einen Peitschenhieb. Ausleihen bedeutete meistens harte Arbeit im Haus der Merats.
Generell mochte er es dort. Alles war so viel sauberer als hier. Gegenstände standen an ihrem rechtmäßigen Platz und lagen nicht einfach nur schludrig in der Gegend herum. Und es roch dort immer gut! Seien es nun Parfüme, frisch Gebackenes oder die hingebungsvoll gepflegten Pflanzen im Garten.
Die Arbeit machte die Aussicht das Haus der Merats zu besuchen aber weit weniger attraktiv.
"Was muss ich tun?"

Stillstehen war nie seine Stärke. Ihn überkam schnell eine starke Unruhe, die sich meist in Hibbeligkeit äußerte. Wenn er nun aber nervös herum zuckte, würde er die Weingläser auf dem Tablett fallen lassen, also riss er sich zusammen. Die Uniform war ein wenig zu eng. Bedachte man, dass er schon ein halbes Hemd war, wollte er gar nicht wissen welchem Skelett sie normalerweise gehörte.
"Möchtet ihr noch etwas Wein, Herr?", fragte er mit vornehm nasaler Stimme, was ihm immer wieder skeptische Blicke einbrachte.
Er wusste nicht, was die Gäste hatten. So redeten gute Bedienstete mit hohen Herrschaften! Auch wenn die Herrschaften hier nicht sonderlich hoch waren. Es waren Altforsts, aus verschiedenen Zweigen der Familie. Keiner Edler als eine Mastsau.

"Du siehst reizend aus, kleiner Bruder!"
Das hatte noch gefehlt. Er drehte sich herum und stand Linhart gegenüber. Mit einem mitleidigen Lächeln musterte er seine Uniform, ehe er ein Weinglas von dem Tablett nahm und einen tiefen Schluck trank.
"Du siehst immer mehr wie ein dressiertes Schoßtier aus. Wie ein echter Merat!"
Ihm schoss die Röte in die Wange, obwohl er sich insgeheim fragte, ob er diese Aussage nicht eher als Kompliment akzeptieren sollte. Die Merats hatten mehr mit seiner Auslegung eines guten Lebens gemein, als die Fanras. Hier musste er zwar immer schufften, wenn er mal wieder ausgeliehen wurde, aber alles war so elegant, sauber und frei von der jovialen Wildheit, die den Fanras zueigen war.
"Tu mir einen Gefallen, kleiner Bruder. Wenn du Gaius Merat siehst, schick ihn zu mir. Ich muss ihm was zeigen."
Er nickte nur und schluckte vorlaute Worte hinab. Das Letzte was er nun wollte, war eine Szene zu verursachen. Vielleicht hätte er dann nie wieder das Merathaus betreten dürfen. Wer mag schon gewitztes Personal?

Gaius fand er an dem Abend nicht. Beziehungsweise nicht rechtzeitig. Irgendwann sah er das Linhart und er zusammen standen und leise sprachen. Als er ihren Blicken folgte, sah er Amalina im Gespräch mit einigen entfernten Verwandten.
Er dachte sich dabei nicht groß etwas und sah seine Arbeit als getan an. In mehrfacher Hinsicht. Das Tablett war mittlerweile abgeräumt und er trug es unter dem Arm. Natürlich hätte er in die Küche gehen können, um es erneut mit Getränken zu beladen, aber er zog es vor auf Erkundungstour zu gehen.
Wie so häufig, bereits in der Vergangenheit, folgte er letztlich seinen Ohren und gelangte so zum Klavichord, das unaufdringlich gespielt für die Klangkulisse des Balls sorgte. Daneben standen auch Geiger und Harfenspieler, aber das Klavichord übte eine ganz andere Faszination auf ihn aus.
Neben dem Musikanten blieb er stehen und beobachtete wie dessen Finger über die Tasten tanzen, um die unverfängliche Musik zu verursachen, die als Unterlegung, aber niemals als Selbstzweck diente. Es war eine Kunst so zu spielen, dass man nicht wahrgenommen wurde, aber dennoch das Ambiente des Raums unterstrich.

Er wusste nicht genau wie lange er dort gestanden hatte, aber ein Tumult veranlasste ihn dazu aufzuschrecken. Jemand rief, es hätte einen Unfall gegeben. Mehrere Familienmitglieder rannten zum Hinterausgang, der unter dem Balkon lag.


Er zuckte hoch. Aufgeweckt durch Schritte im Flur. Blatt war nachhause gekommen. Ihre Zimmertür wurde geöffnet und dann wieder geschlossen. Mit den Handballen rieb er sich die Augen, ehe er über diese Erinnerung nachdachte.

Der Ball war ein Puzzelteil im großen Ganze gewesen. Dem Ganzen, das seine Entscheidung bildete, die Fanras zu verlassen.
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Finnaia Fanras





 Beitrag Verfasst am: 03 Aug 2018 16:41    Titel:
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Es war so unsagbar warm, viel zu warm für ihren Geschmack. Herbst und der Winteranfang, wenn die Temperaturen fallen, kurz vor dem ersten Frost, dort fühlte sie sich wohl. Hatte sie schon immer, soweit sie sich erinnern konnte. Der Sommer jedoch, der war so gar nicht ihre Welt. Ein Nickerchen, das würde sicher gut tun, vielleicht würde der Abend etwas Abkühlung mitbringen.



259.

Sie hasste Menschenmassen. Irgendwie hatte sie immer das Gefühl, jemand würde sie beobachten. Dies war der Grund, warum sie an die Balustrade der Empore über dem Ballsaal gelehnt stand. Der einzige Weg zu ihr führte über die Treppe, welche von hier aus direkt in ihrem Blickfeld lag. Keine Möglichkeiten für böse Überraschungen. Nun, fast keine. Der kalte Schauer und die sich aufstellenden Nackenhärchen, waren deutliche Anzeichen, dass er es irgendwie hinter sie geschafft hatte. Fin versuchte sich abzulenken, indem sie sich auf einzelne Dinge im Getümmel unter sich konzentrierte. Die Kleider, wunderschöne Kleider. Nicht, dass ihr Kleid nicht ebenfalls eine Art von schlichter Eleganz in bezauberndem Mitternachtsblau ausstrahlen würde. Aber ihr Kleid war nicht neu, ihre Mutter hatte es getragen, ihre Großmutter und vermutlich auch deren Mutter, sodass man dem Kleid, langsam aber sicher sein Alter anzusehen vermochte. Ein Knarzen der Dielen, riss sie aus ihrer Konzentration und sie konnte den Mann deutlich hinter sich spüren.

"Erbärmlich, wie sie alle versuchen einander vorzuspielen, was sie gerne wären, findest du nicht?"

Sie schwieg und lies ihren Blick über das Getümmel auf der Tanzfläche schweifen.

"Wir haben beschlossen, das wir Amalina und Emilie zu den Merats verheiraten. Ich denke da an Kevan und Gerold, beide stehen in der Erbfolge weit genug vorn."

Überraschung legte sich auf Fins Gesicht und Unmut begann sich in ihr auszubreiten. Sie schaute nicht von der Tanzfläche, sie wollte ihm nicht die Genugtuung geben, diese Emotionen in ihrem Ausdruck zu sehen.

"Das kannst du nicht.. Ich protestiere."

"Oh wir können und wir werden. Ich würde auch dich verheiraten, wenn du wenigstens ein bisschen Frau wärst und nur halb so ein Biest."

Fin schluckte schwer, ein Klumpen hatte sich in ihrem Hals gebildet und irgendetwas schien auf ihren Brustkorb zu drücken. Sie biss sich auf die Unterlippe und versuchte den aufkeimenden Zorn zu unterdrücken. Nein, warum eigentlich, das musste sie sich von ihm nicht bieten lassen, gerichteter Zorn, war guter Zorn. In einer schwungvollen Bewegung drehte sie sich herum und warf ihr Glas in die Richtung, wo sie den Mann vermutet hatte, aber.. er musste sich mindestens zwei Schritt bewegt haben und das Glas zerschepperte an der Wand. Er setzte ein schiefes Lächeln auf und schien sie aus seinem totem Auge anzustarren. Es ließ Übelkeit in ihr aufkommen.

"Du musst dringend lernen, wo dein Platz ist."

Er hatte sich abgewendet und Fin spürte, wie Tränen sich in ihren Augen zu sammeln begannen. Der Handballen der linken Hand rieb über ihre Augen. Als sie plötzlich eine vertraute Stimme vernahm.

"Ich hoffe, die Wand hatte es verdient"

Sie drehte sich zurück zur Balustrade, so, dass Linhart ihr Gesicht nicht sehen konnte. Sie schwieg einige Momente und deutete dann auf die untere Ebene hinab.

Gesehen das Rilas ein neues Haustier dabei hat, ist das nicht was für dich?

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass Linhart einen Blick über die Balustrade hinab warf und als hätte er den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, wendete er sich wieder der Treppe zu.

"Ist es."

Sie schaute ihrem Bruder nicht hinterher, sondern richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Saal unter sich. Sie versuchte sich zu beruhigen, ihre Gedanken zu ordnen. Amalina war in dem Kleid, das sie trug, vielleicht wirklich die schönste Frau auf dem Ball. Emilies Kleiderwahl war ohne Zweifel ebenso gewagt wie beeindruckend mutig, echtes Fanrasblut eben. Hyram tat, wozu er geboren war, vor Leuten kriechen, die sich für etwas Besseres hielten als ihn, obwohl sicher die Hälfte von ihnen es nicht war. Einige fielen mehr ins Auge als andere, doch von hier aus wirkte es, als würden alle irgendwie in das gesamt Bild gehören. Details, die im ersten Moment unwichtig wirken können, aber dennoch wichtige Bestandteile des Ganzen waren. Nur sie, sie stand alleine auf der Empore, gegenüber dem Balkon und betrachtete das Bild, statt ein Teil davon zu sein.





Sie schlug die Augen auf und schaute benommen durch das Zimmer. Der Himmel war in die Farben der untergehenden Sonne getaucht und teilte sich zusammen mit dem Mond den Himmel. Sie schritt ans Fenster und blickte hinauf.

Lerne, wo dein Platz ist.
_________________
Waste no more time fighting your demons
Lay down your arms and let the evil inside


Zuletzt bearbeitet von Finnaia Fanras am 16 Aug 2018 19:13, insgesamt einmal bearbeitet
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Berthold Fanras





 Beitrag Verfasst am: 03 Aug 2018 20:13    Titel:
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Jahr 259.

"Langweilig."

Der Blick wandert unruhig über die Wasseroberfläche auf der Suche nach auffälligen Bewegungen. Nichts, keine Veränderung seit Ewigkeiten.

"Gewiss hat Hyram hier schon alles leer gefischt. Es ist zum speien öde, wäre ich doch hin gegangen."

"Nein, nein, es ist schöner hier. Dahinten die Seerosen, vom Abendrot angestrahltes Ufergestrüpp und umgeknicktes Schilf. Wette, der Ball hat nichts vergleichbares anzubieten!"

Eine Prostgeste mit der Flasche in den nicht allzu klaren Abendhimmel, wenn schon niemand ihm für seine neuste Lüge zujubelt, dann wenigstens er. War ja auch seine Idee, zwei Tage vor dem Ball abzureisen zu einem erfundenem Informanten. Arbeit geht schließlich immer vor. Das würde der Zottelgreis schon verstehen.

Im Gebüsch abseits des modrigen Steges steigt der Geräuschpegel. Ruhe und Langweile werden bedroht durch ein Pack vermummter Gestalten, die, als hätten sie endlich ihr Ziel gefunden, auch nicht lange zaudern und zu Berthold schreiten.

Im Kopfe des Anglers schwirren Gedanken herum: "Wie Räuber sehen die nicht aus. Vielleicht erfolglose Angler auf der Suche nach Hilfe. Hmm, woher kennen die meinen Namen...ohh."

Keine gegenseitige Begrüßung, keine Droh- und Schimpfworte, nicht einmal geflucht wird - keine Zeit, Fäuste und Knüppel werden uncharmant zwischen den Prügelenden ausgetauscht. Blut wird ausgespuckt und Röcheln eines niedergeschlagenen erfüllt die nach dem Kampf zurück gekehrte Stille am See. Im Hintergrund erbostes zirpen der Grillen ob der Röchelgeräusche. Es darf eben nicht jeder den Abend stören.

Woanders wird getanzt, vom Balkon geflogen, märchenhaft schöne Dia- und Monologe geführt und reichlich Wein verzerrt, hier zieht etwas an der Angel. Etwas hat angebissen - des Anglers spätes Glück.


Zuletzt bearbeitet von Berthold Fanras am 03 Aug 2018 20:39, insgesamt 7-mal bearbeitet
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Gerold Tarlo Merat





 Beitrag Verfasst am: 03 Aug 2018 23:50    Titel:
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Kurze Schritte hallen im Saal. Im Zwielicht des Raumes bringt nur eine einzige, flackernde Kerze in den Händen der Gestalt etwas Licht. Diese eine Kerze entzündet weitere. Blaue Laternenschirme umschließen die frischen Flammen und tauchen den Altar damit in die gefällige Farbe der Schwertmaid. Ein letztes Rascheln der Robe und der Novize befindet sich im stillen Morgengebet, dass den neuen Tag einleitet. Die Sonne erreicht schon beinahe die Fenster der Kirche. Bald wird das bunte Glas das Kirchenschiff in faszinierendes Licht tauchen, doch der Mann hat die Augen geschlossen und wird das Erwachen dieses alltäglichen Spektakels nicht sehen.

01. Ashatar 259

"Nein."

Rilas zog eine Hand von der Lehne seines herrschaftlichen Sessels und legte sie an sein Kinn. Langes Schweigen. Eine seiner Stärken. Bis es unangenehm wurde. Seine Augenlider zuckten noch nicht. Die Geduld war also noch nicht erschöpft.

"Es ist der richtige Zug. Sie sind im passenden Alter und du.."

"Pietätlos." Unterbricht er die sachlich begonnene Erläuterung seines Vaters.
"Jetzt muss ich mir schon anhören, wie ich zu einem Bauern auf deinem Schachbrett degradiert werde."

"Ein Merat ist nie nur ein Bauer."

"Lavinia hat dir zwei brauchbare Söhne beschert. Verheirate sie doch."

Wieder eine längere Schweigepause und dieser Blick, der einem das Gefühl gab, er Blicke ohne jegliche Probleme in deinen Kopf.

"Deine Mutter hätte gewollt..."

Brutal kratzen die Stuhlbeine über die Dielen, als der Stuhl zurückgepresst wird. Gerold befindet sich bereits an der Tür, eine Hand auf der Türklinke.

"Rede nicht in meiner Anwesenheit über Mutter. Du nicht."

Die Tür schließt hinter ihm und Rilas hebt den Blick zu der Kommode in der Ecke seines Arbeitszimmers. An ihr lehnt sein ältester Sohn.

"Richard. Sorg dafür, dass er in zwei Tagen vorzeigbar auf dem Ball erscheint."

Das kleine Lidzucken des Patriarch entgeht dem ältesten Sohn nicht. Daher beschränkt der sich lediglich auf ein stummes Nicken und verlässt ebenfalls den Raum.


Am Abend des Balls steht Gerold im Empfangssaal bereit. Er trägt ein dunkelblaues Doublet mit goldverzierten Saum. An der Brust prangt das Familiewappen. Seine Lippen ziert ein höfliches Lächeln, dass seine Augen jedoch nie zu erreichen scheint. Seichte Gespräche, Freundlichkeiten. Als der Etikette genüge getan und alle Gäste begrüßt sind, wird er recht schnell von der Bildfläche verschwinden. Mit etwaigen, unverheirateten Damen hat er an diesem Abend keine Gespräche, die über die eingängliche Begrüßung hinaus gehen.
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