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Lorcan Winterberg





 Beitrag Verfasst am: 02 Jul 2018 10:04    Titel: Winterberg
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Es ist das Privileg der Kinder, vom Wissen der Eltern zu profitieren, von ihren Fehlern zu lernen und das eigene Leben besser zu gestalten, als sie es vermochten. Die Fehler der alten Generation nicht zu wiederholen und besser zu sein als die, die vor einem selbst lebten ist der Urkern des Fortschritts und, wie gesagt, ein Privileg. Als ich entschied, den Weg aus zuschlagen, den meine Eltern mir zugedacht hatten und ich ihnen erklärte, dass eine Laufbahn im Regiment Adorans oder gar einer Anstellung in dem mittelmässig betriebenen Laden meiner Familie für micht in Frage käme, begann mein langer Spießroutenlauf im Hause Winterberg oder auch die Mar vom Kontrollverlust meiner Eltern. Polemischer ausgedrückt, hätte man es gar einen Krieg der Generationen nennen können, doch gebe ich zu, dass mir derlei eigentlich zuwider ist. Und wer hätte immerhin ahnen können, dass der Winterberg’sche Zwist mit meiner Mittellosigkeit endet - ich zumindest nicht.

Nun muss man verstehen, dass meine lieben Eltern einiges an Erwartungen in ihren einzigen Spross setzten. Trotz vieler Versuche blieb der Familie nur ein Sohn als Nachwuchs beschieden, so dass die volle Last der Erblinie bereits früh auf meinen Schultern lasten sollte. Mich also mit einem adäquaten Weib zu vermählen und bereits früh ein gutes Auskommen zu haben, war also der vordringlichste Wunsch meiner lieben Eltern. Vielleicht war es ihre Umtriebigkeit zu diesem Thema, die mich gerade deshalb in die Arme zahlreicher Bücher trieb, deren Luftschlösser von meinem Geist nur allzusehr aufgesogen worden sind. Je absurder, je außergewöhnlicher die Sage, umso begeisterter eiferte ich ihren Wurzeln nach - und umso vehementer ignorierte ich die Sorgen meiner Eltern, dass derlei Dinge zu den Sorgen von Gelehrten gehören sollten. Und die immerhin, so beschied man mir, wurden mit vielen Münzen und über viele Jahre in allerlei Lehren geschult, um Wahrheit von Fantasterei zu trennen. Meine Wahrheit war zu diesem Zeitpunkt jedoch längst, dass gerade die Fantasterei mich fest in ihrem Griff hielt.

Wo es anfangs noch als gute Investition gesehen wurde, dass man mich das Lesen, Schreiben und auch das Rechnen lehrte, dürfte meine werte Familie es am Ende doch verflucht haben, öffneten sie mir dadurch doch Tür und Tor zu der Welt, die ich nicht mehr verlassen konnte. Hätten sie einen dummen Tölpel zum Sohn gehabt, wäre ich vermutlich mit grobschlächtiger, aber ehrlicher Arbeit längst in die Arme eines Weibes getrieben worden. Und es war beileibe nicht so, dass ich für diese Arbeiten nicht zumindest ausgestattet gewesen wäre: Wie mich meine spätere Mittellosigkeit lehrte, erwies sich ein kräftezehrender Tag, den man mit niederen Arbeiten auf einem Hof als Tagelöhner verbrachte, als Goldgrube für denjenigen, der sonst nichts besaß.

Wofür also habe ich ein sicheres Auskommen, Familieneintracht und ein bescheidenes, aber bodenständiges Leben also riskiert? Eine Frage, die ich mir, besonders in der ersten Zeit, bis ich auf eigene Füße gestiegen war, oft gestellt habe und auf die ich bis heute keine klare Antwort habe - bis auf den Drang, wissen zu wollen, wissen zu müssen. Dieser rauschgleiche Antrieb hatte mich seit dem ersten Tag erfasst, da ich mein erstes Buch in Händen hielt, welches mir das Tor zur Welt des Fantastischen öffnete:”Gerimor - Sagen & Mythen”. Das Exemplar, was ich dereinst auf einem Trödel erstand, war so verwittert, dass ich den Verfasser nicht entziffern konnte. Die Seiten waren zum Teil kaum lesbar und auch fehlten viele Teile des Werkes, aber die Stellen, die lesbar waren, warfen mich nieder und zogen mich in das tiefe Meer ihrer Geschichten, wie eine stürmische See einen unachtsamen Klippengänger mit sich reißen würde. Keine der darin hinterlegten Geschichten habe ich jemals auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen können und viele, wenn nicht gar alle, waren Konstrukte von Ängsten und Befürchtungen, Schattenspielen und Übertreibung.

Doch wo es eine Myriade an Geschichten und Erzählungen gab, allein entsprungen aus dem Geist einer sterblichen Kreatur, vielleicht zur Erheiterung oder zur Weitergabe einer moralischen Botschaft, so gab es auch gleichsam eine unerspürbare Zahl an Wahrheiten, die sich in diesem Strudel aus Fabeln umeinander drehten. Die Existenz von Magie alleine, in allen ihren Formen, hätte eigentlich genügen sollen, um jedes Argument der Fantasterei in die Schranken zu weisen - wenn sich ihr nicht nur diejenigen nähern konnten, die mit dem Erwachen gesegnet waren und ein Gespür für das Lied entwickelt hatten. Ich beneidete jene Liedkundigen schon seit dem ersten Augenblick, da ich die wenigen Brotkrumen dessen aufgelesen hatte, was man im Volke über diese erlesene Schar vernehmen konnte. In der Lage, sich auf Eluives Lied einzustimmen und dem Wissen und der Weisheit Phanodains völlig geöffnet, musste ein jeder von ihnen ein Hort glorreichen aber auch grausamen Wissens ein, welches den Umfang dessen, was ein Mensch in einer Lebensspanne erlernen konnte, vermutlich um ein vielfaches überstieg.

Für mich indes, war bereits Adorans Bibliothek ein Hort dessen, was vorher unerreichbar geglaubt war. Und ein Ort, den ich häufiger als mir lieb war, mit der Peinlichkeit verband, von meinem Vater mit erhobenem Knüppel nach Hause getrieben worden zu sein. Doch wer hat schon ein Ohr für das Greinen seiner Eltern, wenn die Augen nur auf das gerichtet sind, was auf der nächsten Seite liegt? Der Durst meiner Suche hatte somit immerhin eines für sich: Er stählte meinen Geist gegen die Spöttelei und die Witze jener, die den Weg abseits der Seiten und Pergamente gingen, auf denen das Wissen der Welt festgehalten war. Eine Welt, der ich zu entfliehen nicht mehr in der Lage war.
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Lorcan Winterberg





 Beitrag Verfasst am: 05 Jul 2018 06:36    Titel: 2: Der Feder klingende Münze
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Dem geneigten Betrachter mag es nun erscheinen, als sei die Entkoppelung von meinem Elternhaus ein Akt besonderer Freiheitsliebe gewesen und als wären die Notwendigkeiten des Alltags zur mühelosen Nebensache verkommen. Es mag der Eindruck entstanden sein, dass Hunger, Obdach und Liquidität nur Statisten in meinem eigenen Opus gewesen wären, deren Beharrlichkeit mich ungefähr so effektiv umzuwerfen drohten, wie es ein lauer Sommerwind mit einem Jahrhunderte alten Baum schaffen könnte. Die Wahrheit jedoch ist, dass ich mir im Augenblick meiner zornesgeschwängerten Zwangsabnabelung keinerlei Gedanken darüber gemacht hatte, wie ich mich den Problemen des Alltags stellen würde. Mein Verstand hatte sich kein Konzept erarbeitet, wo ich die Nächte verbringen und wie ich mein Essen bezahlen würde. Wie sich herausstellt, hatte ich jedoch im Moment meiner Freisetzung auch keinerlei Kontrolle mehr darüber, den Vorgang zu Gunsten eines Jahre überspannenden Lebenskonzeptes verlangsamen zu können und durfte so also erstmals die Erfahrung damit machen, wie es ist, wenn man nur die am Körper getragene Kleidung besitzt.

Wenn man jedoch sein ganzes Leben in einer Stadt verbracht hat, in welcher die Geschicke des gesamten lichten Reiches gelenkt werden und in welcher, so groß die Stadt auch sein mag, man Bekannte, Freunde und eben auch Familie hat und sich gleichzeitig entschließt, diesen Knotenpunkt des Wissens nicht verlassen zu wollen - dann erst scheint man wahrhaft zu lernen und zu erkennen, welch wundervoller Antrieb die drohende Scham der Mittellosigkeit und des Bettler-Daseins doch sind. Irgendwo war also auch mir bewusst, dass die Gefahr des persönlichen eindrucksvollen Kollektiv-Versagens exorbitant hoch war, wenngleich das Wissen noch lange nicht zu einer entsprechenden Handlung führte. Es mag dem geneigten Betrachter vielleicht eigentümlich erscheinen, doch lässt sich der Vermeidungswelle des gemeinen Menschen doch bisweilen wesentlich schwerer kontrollieren, inbesondere wenn eine Gefahr noch im Raum des Abstrakten - wenngleich drohend - schwebt und das sprichwörtliche Fallbeil des Schicksals sich noch nicht in voller Gänze über einem gesenkt hat. Dieser Fall trat für mich zumindest erst dann ein, als ich nach mehreren Wochen des Herumvegetierens in den Gassen von Adoran auf einen alten Freund aus Kindheitstagen traf. Erst als er im Begriff war, dem ungewaschenen und zerlumpten Selbst von mir, einige Münzen zuzustecken, erkannte mein alter Mitstreiter, wen er da vor sich hatte. Für ihn mag es möglicherweise eine Randnotiz in seinem sonst gefestigten Leben und allenfalls Gesprächsstoff für einige Kurzweil unter Freunden gewesen sein - für mich jedoch war es einer der wenigen Augenblicke, in jenen sich der Ausdruck der Erkenntnis, verbunden mit dem Schock über den Absturz eines einstmals akzeptierten Menschen, widerspiegelte. Die auf beiden Seiten empfundene Peinlichkeit, die uns beiden, wie der Situation auch selbst, nachhing wie der Geruch eines verwesenden Kadavers, den man wegzuräumen versäumt hatte, ist mir bis heute so eingängig und wahrnehmbar, dass es mir den Würgereiz auf die Zunge und die Gallenflüssigkeit nach oben treibt. Noch nie in meinem Leben, so viel ist sicher, hatten sich Wirklichkeit und mein eigenes Streben voneinander entfernt. Gerimors Sagen & Mythen waren mein letzter, verbliebener Schatz und gleichzeitig mein einziges Tor in eine Wirklichkeit geworden, die frei von der Dunkelheit und den Obstruktionen meiner eigenen Naivität waren. All’ jenes war jedoch kein Vergleich zu dem Schmerz, den ich litt, als mir meine Mittellosigkeit und die damit verbundene Erscheinung den Zutritt in die Bibliothek Adorans verwehrte, da man sich um die Unversehrtheit der Bücher sorgte. Ich erinnerte mich an die Randnotizen eines namenlosen Anatoms, der die Schmerzen von jenen beschrieb, deren Gliedmaßen im Kampf irreversibel vom Leib getrennt worden waren und nicht einmal durch Magie zu vervollständigen waren. Bis zu jenem Tag, da mir der Quell weiteren Wissens genommen worden war, hatte ich keinen Anhalt dafür, diesen Schmerz mit einer mir eingängigen Empfindung zu verbinden. Der Tag, da die Türen der Bibliothek sich in abweisender Höflichkeit für mich schlossen, änderte diesen Zustand.

Ein ferner Lichtblick allerdings, stellte sich jedoch erst ein als das geöffnete Fenster einer Taverne mich dem Wehklagen eines unerkannt Verliebten näher brachte, dem der Ausdruck seiner Gefühlslage bereits schwer fiel - der Mut, diesen auch in Persona auszusprechen, jedoch für ihn noch unerreichbarer schien. Ohne die Aussicht darauf, dass sich mein Leben perspektivisch zum Besseren wenden würde und ich immerhin, da ich nichts anständiges gelernt hatte, außer zu lesen und meine Erkenntnisse mit der Feder festzuhalten, entschloss ich mich an diesem Abend der Pein des Wissensdurstigen, den Liebesfeigen anzusprechen. Das Angebot war schnell erklärt, würde ich doch für ein geringes Entgeld seine Gedanken in Worte schmieden und sie der Betroffenen zukommen lassen - freilich natürlich, ohne dass sie meine miserable Gestalt ansehen musste. Ich weiß heute nicht, ob es die Verzweiflung des Verliebten oder eine gehörige Portion Mitleid mir gegenüber war, doch willigte Arov, wie er sich nannte, am Ende ein.

Von den ersten Münzen, die ich als Vorschuss auf Vertrauensbasis kassierte, erwarb ich gebrauchte Schreibutensilien und etwas feineres Papier, nachdem mir mein “Kunde” erklärte, was er für die Angebetete seines Herzens, Joselina, empfand. Mir stand dabei nicht zu, die Absurdität seines Vorhabens in Frage zu stellen, war der unglücklich Verliebte doch mein erster Anker in die Rückkehr zu meiner eigenen Liebe, die zwischen den Seiten der vielen Bücher lag, die von mir noch ungelesen waren. Also schrieb ich.
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