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Apfelkerne
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Sae Appelholm





 Beitrag Verfasst am: 08 März 2024 14:42    Titel: Apfelkerne
Antworten mit Zitat

Apfelkerne

Was tief in süßer Wonne
im Kern ganz klein versteckt,
das hat die Glut der Sonne
mit ihrem Licht entdeckt.

***






***

_________________
"Der Apfel und das Feigenblatt, sie stimmen uns vergnüglich -
und machen sie uns auch nicht satt, sie munden ganz vorzüglich."
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Sae Appelholm





 Beitrag Verfasst am: 08 März 2024 14:51    Titel:
Antworten mit Zitat

„Plingkh… Plingkh… Plingkh…“
Mit malerischer Eintönigkeit, die einlullen und dröge machen wollte, klapperte der filigrane Deckel der Teekanne auf und ab. Der Dampf, welcher im Inneren unter all der Hitze am Porzellan nach oben kroch und dort in kleinen Sprüngen entweichen konnte, war der Verursacher. Mit seltsamer Regelmäßigkeit hob er das Deckelchen, schlüpfte hinaus und ließ es dann wieder fallen.
Eine wertvolle Kanne, ein Abschiedsgeschenk… gewissermaßen. Ein Geschenk, welches sie sich selber gemacht hatte, als sie die Apotheke und damit das Heim ihres Meisters so fluchtartig verlassen hatte. Auf jeden Fall eine schöne Kanne, mit der man vorsichtig umgehen musste und außerdem konnte man mit ihr, gesetzt man nahm sich die Zeit und setzte sich ein wenig mit der Kunst Tee zu brauen auseinander, seine wahre Freude haben – und deshalb hatte sie das Porzellankännchen seinen Klauen entrissen!

„Plingkh… Plingkh… Plingkh…“
Klauen…
Die Hände, welche bis eben ohne auch nur irgendeinen Auftrag locker am Körper herabhingen, als wären sie leblose Glieder, die man eben an den Armen und jene wiederum an den Schultern festgebunden hatte, fuhren gleichzeitig links und rechts auf und hielten mittig auf den Hals zu. Dort ruhte in der weichen, zarten Kuhle zwischen den Schlüsselbeinen der Anhänger einer Kette.
Eine besondere Kette, ein Willkommensgeschenk… gewissermaßen. Ein Geschenk, welches ihr jemand gemacht hatte, von dem sie zuallererst keine Geschenke erwartete, denn hier hatte das Wort keine oder eine andere Bedeutung. Alles hatte irgendwo einen Gegenwert und musste auf die ein oder andere Weise immer bezahlt werden. Das wiederum hatte sie sehr früh gelernt.
„Nichts ist umsonst, nicht einmal der Tod…“, sie zog die Rechte wieder vom dreikralligen Anhänger der Halskette und vollführte eine wegwischende, energische Handbewegung aus dem Gelenk heraus. Sie wollte Vergangenheit und Gegenwart nicht vermischen, längst vergangene Gespräche, Lehren, Stimmen hatten gerade hier und jetzt keinen Platz.
Ebenso wenig wie die Präsenz des Wortes „Geschenk“.
Nein, dies hier hatte Sinn und Zweck, sollte sie daran erinnern, wo sie war. Es schloss damit Ort, Umgebung, Platz und ebenfalls die sozialen Gefüge mit ein.
Die noch erhobene Linke streckte zaghaft den Zeigefinger aus und nachzeichnend berührte die Spitze die erste der drei Krallen. Durch die Wahl des Metalls, feuriges Pyrian, und die eigene Körperwärme, strömte es eine sanfte Glut aus, kribbelte voller Leben und Lust?

Plingkh… Plingkh… Plingkh…“
Sie spürte, wie ein anderes Gefühl nicht minder brennend in ihr erwachte und einer alchemistischen Explosion gleich in alle Körperteile zugleich stob: Wut. Wut auf die wissenden Blicke, die sie kleiner machten, als sie innerlich war. Wut auf das amüsierte Lächeln, das sie in eine Rolle presste, die sie nicht mehr bereit war, einzunehmen. Wut auf die Berührungen, alle, alle, alle. Andere Hände, andere Räume, andere Zeiten und doch war sie mit einem Mal auf alle gleichzeitig wütend und in Folge schmorte in der Brust vor allem Wut über sich selbst.
„Zu viel Mädchen…“ und wahrscheinlich war das ganz richtig.
Der Wunsch ernst genommen zu werden, die Sehnsucht etwas zu gelten und vollwertiger, mündiger Teil einer Gesellschaft zu sein, brach sich an dem, was sie nicht abschütteln konnte und irgendwo auch nicht wollte. Mädchen sein, ein bisschen Unschuld irgendwo bewahren.
So inbrünstig feurig, wie die Wut aufgelodert hatte, so rasch war sie auch wieder verschwunden. Ein Glimmspan, der seine Pflicht getan und die Probe vollführt hatte, jetzt von einer anderen Emotion wie von einer dicken Decke, erstickt: Scham.

Plingkh… Plingkh… Plingkh…“
Trotz alledem stand sie hier und wartete, wartete, wartete auf ein Klopfgeräusch.
Eine Mischung aus Schameshitze und einer eisigen Peinlichkeit wanderte vom Brustkorb aus nach oben und drückte so fest in den Kehlkopf, dass ihr das Schlucken und auch die Atmung schwerer fielen. Plötzlich zitterten die Finger, wurden kühl und schweißig feucht. Bevor sie sich in Selbstmitleid oder Verachtung aalte, blinzelte sie die Tränen aus den Augen und sah hastig durch den Raum, dann an sich selbst herab.
Was trug sie da eigentlich?!
Ein Kleid, das ihre Mutter ihr vermacht hatte. Die fesche Jacke für Pip, die Stiefelchen für Flo und sie hatte das selbstbestickte Abendkleid aus sündig roter Weidenheimer Seide bekommen. Anas Gespür für Gewandung war besonders fein und so umspielte es nun malerisch, einem Kleid für Feen würdig, den zierlichen Körper, unterstrich die grazile Gestalt und betonte doch auch die erblühende Weiblichkeit.

„Plingkh… Plingkh… Plingkh…“
Ihr wurde schlecht.
Mit einem unterdrückten Würgen drehte sie sich eilig um und hastete aus der Küche.

Einige Momente später klapperte die Apothekentüre und eine junge Frau in einem einfachen, flaschengrünen Baumwollkleid und grauschwarzem Umhang floh in die Nacht.
Einsam verweilte eine rasch erkaltende, längst stumme Teekanne auf der gekachelten Anrichte und erinnerte als Einzige noch an den Hoffnungsschimmer im zartblauen Blütentee.



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"Der Apfel und das Feigenblatt, sie stimmen uns vergnüglich -
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Zuletzt bearbeitet von Sae Appelholm am 08 März 2024 15:41, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Sae Appelholm





 Beitrag Verfasst am: 17 März 2024 16:49    Titel:
Antworten mit Zitat

Zitat:
„Du wirst feststellen, dass jede Aktion eine Reaktion hervorrufen wird.
Sie ist nicht immer gleich laut oder intensiv spürbar und muss auch nicht im unmittelbaren Anschluss geschehen.
Doch glaube mir… sie erfolgt immer.“


Obwohl es mit jeder Meile in Richtung der schwarzen Küste wieder kälter wurde, konnte sie sich nicht vom Anblick des Meeres lösen, auf dessen tanzenden Wellen weiße Gischt mit den Lichtsplittern der Abendsonne um die Wette strahlte. Mit jedem vorbeigleitenden Moment gewann die Sonne an Intensität, glitt tiefer in die Wogen und erfüllte sie mit glühendem Feuer, das sich soweit streckte, wie das Auge sehen konnte. In einem Meer aus Flammen glitt das Schiff langsam dem kohlefarbenen Gestein entgegen und rundete so das Bild des Infernos zur Vollkommenheit ab. Es fehlte nicht viel und sie konnte sich der Illusion hingeben, dort zu verbrennen.
Verbrennen - ein Thema, welches sie in den letzten Tagen zu verfolgen schien und immer trug es ein anderes Kleid, sprach eine neue Sprache und offenbarte auch einen gänzlich unterschiedlichen Inhalt.
Das erste Mal, als ihr das Wort, ähnlich wie die wilden Wellenspiele, entgegenschwappte, war mitten in der Stadt gewesen.
Im Grund eine durch und durch unschuldige Situation:
Unschuldige Gespräche an einem Tisch, den man ganz unschuldig nutzte, um dort ein höchst unschuldiges Teekränzchen zu halten, bis plötzlich dieser eine Satz beiläufig fiel. Ein Satz, in welchem sie, wenngleich nicht namentlich, vorkam. Ein Satz, der sie in ein brisantes, dunkelrotes Licht tauchte und der das Wörtchen „verbrennen“ beinhaltete. Einem unbescholtenen, anständigen Fräulein hätte die Unterstellung, die sündig im Raum schwebte, Schamesröte in die blassen Wangen getrieben, doch in ihrem Fall hoben sich die Mundwinkel zum höchst amüsierten Lächeln. Entweder waren die Gänse, die dort so emsig schnatterten, ganz besonders gewieft oder aber sie kannten und erkannten sie noch nicht einmal, wussten aber schon, sich das Maul über die junge Apothecaria zu zerreißen und brauten neben Tee offenbar auch Gerüchte ganz vortrefflich. Niedere Alchemie.
„Ich… bin kein Alchemist.“
Hier verebbte das Lächeln fast so rasch, wie es entstanden war.
Es betraf eben nicht nur sie alleine und die Quintessenz dieser Erkenntnis begann sie zu irritieren. Dass die Plaudertaschen dort so eifrig schwatzten und ihren Märchengarn spannen, musste irgendwo einen Funken Zunder haben, sonst würde das Lauffeuer nicht so rasch und schamlos hell brennen. Was also blieb ihr verborgen, dass es aufzudecken galt und sei es nur um der lieben Neugierde wegen und nicht aus Gründen des Eigenschutzes? Wo konnte sie nachforschen? Wen befragen? Aushorchen?
Als sie tief in Gedanken den Heimweg über den Marktplatz antrat, da blieb der Blick an einem der Stände, nun leer, dunkel und einsam, hängen und katapultierte sie in den Erinnerungen an eine besondere Beobachtung… und einer höchst ungewöhnlichen Reaktion!

Zitat:
„Ich muss mich erneut wiederholen und dir erläutern, dass es sich wirklich um die Grundlagen deiner Ausbildung handelt, wenn auf Aktionen Reaktionen folgen? Wir beide sind uns aber hoffentlich einig, dass man das nicht nur auf die hohe Kunst der Alchemie anwenden kann, nicht wahr?“


Nun konnte man den Hafen bereits deutlich erkennen und die Umrisse der düsteren und zugleich verführerisch schönen Stadt drückten sich langsam in den Vordergrund. Und doch fiel es ihr unendlich schwer sich auf diese Sicht einzulassen, verweilten ihre Gedanken doch noch bei den bleibenden Eindrücken, die La Cabeza, exotische Perle der See, bei ihr hinterlassen hatte. Wobei es nicht so sehr um den Ort als vielmehr die Gesellschaft vor Ort war, die ihr in so mancher Hinsicht die Augen geöffnet, Erkenntnisse beschert aber auch leider neue Rätsel aufgegeben hatte. All das durch den Besuch der verspielt eingerichteten, kleinen Schneiderei, dem Blick in meerfarbene Augen und einem sehr persönlichen Zwiegespräch. In manchen Belangen waren die beiden jungen Frauen sich sehr ähnlich, konnten klare Parallelen gezogen werden und doch schieden sich die Geister bei einigen augenscheinlich kleinen, feinen Punkten oder Randnotizen.
Allen voran was den Umgang mit Konfrontationen betraf! Und damit verbunden: Risiken.
Flucht war Katze und Kolibri durchaus geläufig, jedoch war es der Umgang mit unausgesprochenen Herausforderungen, der sie in zwei verschiedene Richtungen riss. Das alte, gefährliche, doch so reizende Spiel mit dem Feuer und der vermaledeite Stolz!
„Gute Sache… nicht mit ihnen spielen, das gibt wirklich Verbrennungen, ich schwör es bei meinen Fußsohlen!“
„Aber ich kratze und beiße…“
„Das mögen Manche…“
Manche…
„Es wurde also hässlich und hässlicher. Ein wenig mehr Öl ins Feuer, Aktion und Reaktion.“

Zitat:
„Mein liebes Kind, du spielst mit dem Feuer. Das ist mein Heim, mein Grund und Boden, in gewisser Weise mein Reich und hier gilt MEIN Wort. Es ist dir überlassen, wie du diese letzte Warnung nun werten möchtest. Ich kann mit jeder Antwort leben, doch kannst du mit dem Echo umgehen?“


Sie war der letzte Passagier der von Bord hing und hätte gerne noch etwas länger auf Deck verbracht, um sich nicht weiter in den geöffneten Rachen der schwarzen Felsformation zu wagen, in deren Maul sich die Stadt entfaltete. Hinter ihr loderte das Meer mittlerweile in Rotnuancen, die sich zwischen kräftigen, dunklen Lohen und frischem Blut befanden. Mit jedem der bedachten Schritte, die kaum mehr als ein leises, ledernes Wischen auf dem rauen Pflasterstein blieben, fühlte sie sich ein bisschen kleiner und spürte die Kälte, die sie langsam in die Arme schloss.
„Außerdem habe ich meine Frau erschlagen… und dann aus dem Reich der verlorenen Seelen gerettet. War verdammt kalt dort. Sehr, sehr kalt…“
Sie schnappte nach Luft, die trotzdem nicht wirklich erlösend die Lungenflügel füllen wollte. Um sich selber aus der seltsam greifbaren Umarmung des Knochenkälte zu winden schloss sie die Arme um den Oberkörper, rieb mit den Händen eifrig über die Mantelärmel und legte einen Zahn zu.
Eigentlich kein guter Stil und in all den Registern, die sie ziehen konnte, der absolut letzte Ausweg: die Flucht!
Hier doppelt und dreifach unsinnig, denn zum einen konnte man vor rein subjektiven Eindrücken nicht wortwörtlich davonlaufen und dann war es doch ihr Mundwerk gewesen, gepaart mit dem verwünschten Stolz und dem Wunsch ein Druckmittel, einen wunden Punkt zu finden, welches zum Fall geführt hatten. Zum Sturz in lodernde Glut und eisige Flammen. Verbrannt! Nicht zum ersten Mal…
„Ist es der Apotheker, den ihr so hasst?“
„Durchaus.“
„Interessant...“
„Weil…?“
„Ist das die Frage?“
Ein Nicken, das Glas an den Lippen und noch im Glauben ein „Schachmatt“ einläuten zu können. Trugschluss!
„Ich mag diese Art von 'kaputt'.“

Nicht zum ersten Mal.
Aktion und Reaktion.

Zitat:
„In diese Lage hast du dich selbst gebracht, mein liebes Kind. Spare dir weitere Verwünschungen und trockne die Tränen. Es wäre wirklich besser… für dich… wenn du ein wenig folgsamer wärst und mir besser zuhören würdest. Also, hast du mir noch irgendetwas zu sagen?"
„Ja, ich bin nicht dein ‚liebes Kind‘, du ekelhaftes Stück Dreck!“
„Hm. Sehr schön, du willst also nicht hören, sondern fühlen. Sae, ich habe das durchaus ernst gemeint, dass es für dich besser wäre, wenn du brav das machst, was ich dir sage. Mir hingegen bereitet das auf diese Weise weit… weit mehr Spaß. Aktion und Reaktion, mein liebes Kind.“



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Zuletzt bearbeitet von Sae Appelholm am 19 März 2024 14:23, insgesamt einmal bearbeitet
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Sae Appelholm





 Beitrag Verfasst am: 26 März 2024 15:53    Titel:
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„Apfelmädchen…“

„Es muss wohl so geschehen…“

Nicht zum ersten Mal erreichte sie dieser Gedanke wie ein unangenehm winterlich kalter Windhauch. Das letzte Mal war es ein Glas Schnaps auf einem Tisch gewesen, das Erinnerungen hervorgerufen und ihr ein resignierendes Seufzen entrungen hatte. Manche Dinge, davon war sie voll und ganz überzeugt, wiederholten sich leider und vielleicht lag das schlichtweg an ihr. Sie glaubte nicht an einen festen, unausweichlichen Schicksalspfad, dem jeder folgen musste und auch nicht an exotischere Karma-Theorien, doch wusste sie um die eigene Ausstrahlung, das, was sie eben auf dem Präsentierteller darbot. Man hatte es ihr einmal sehr deutlich gesagt… sehr, sehr deutlich.

Zitat:
„Haltet Ihr mich für eine Hure?!“
„Nein. Oh, nein nein. Abgesehen davon, dass ich dieses Gewerbe achte und Ihr diesbezüglich auch von Eurem hohen Ross herabsteigen solltet, Fräulein Appelholm, halte ich Euch lediglich für das, was Ihr seid.“
„Das da wäre?“
„Oh bitte… wollt Ihr das gerade jetzt wirklich hören? Ich könnte Euch den Abend verderben.“
„Das bezweifle ich. Also beweist mir, dass da auch Eier neben dem Hahn zu finden sind.“
„Genau das, das meine ich. Ihr seid ein zartes, hübsches Ding, das aber nicht wie andere Mädchen Eurer Kategorie dann den Anstand besitzen sich passend zu zeigen und zu verhalten.“
„Aha. Wollt Ihr mir wirklich erzählen, ich wäre sündig gekleidet?“
Er lachte und selbst jetzt konnte sie es noch hören, denn es tat weh.
„Nein, es ist nicht die Kleidung, vielmehr das darin und dahinter. Wie Ihr Euch bewegt, wie Ihr Euch umseht, wie Ihr antwortet. Alles ist eine Herausforderung, alles und nun wundert Ihr Euch, dass diese angenommen wird? Blickt Euch einmal im Raum um, Fräulein Appelholm und Ihr werdet sehen, dass es mehr als genug Spieler gibt, die bereits in Euer Spielchen eingestiegen sind.“
„Welches… Spielchen?“
„Hm, Ihr habt mein Mitleid, armes Mädchen. Ihr werdet noch gewaltig auf die Nase fallen.“


Damals hatte sie sich geweigert seine Worte zu verstehen und war regelrecht in der Kränkung aufgegangen, hatte die Taverne, in welcher sie sich eigentlich verabredet hatten, rasch verlassen, um kurz darauf vor Wut ins Kissen zu brüllen. Nicht, dass das etwas genutzt hätte – sowohl Flo als auch Pip wurden dennoch wach und sowohl Zorn als auch Scham waren nicht verraucht.
Jetzt wusste sie, dass er Recht hatte und dass sie einfach nicht anders konnte.

„Apfelmädchen…“

Drei Mädchen, drei Äpfel.
Für Flo der goldene Apfel, Sinnbild der strahlenden Erscheinung mit den güldenen Locken und dem Licht, dass in ihr wohnte, das ansteckte, ermutigte und sie alle einhüllte.
Für Pip, der grüne Apfel, mindestens so erfrischend wie ihre Froschnatur und der Frohsinn, welcher in der mittleren Appelholm-Schwester steckte und nicht zuletzt auch farblich mit ihrer Wahlumgebung, dem Walde, in vollkommener Übereinstimmung.
Es blieb der rote Apfel für die Jüngste der Drei. Die Sorte Apfel, die so schön anzusehen war, zur Sünde einlud und in den meisten Sagen irgendwie vergiftet wurde.
Wie also hätte es anders geschehen sollen?

Schlimmer war, dass es eine seltsame Empfindung zurückließ, die irgendwo in der Brust zu ziehen angefangen hatte und ihr sowohl Nerven als auch Kraft raubte. Kein schmachvolles Brennen oder ein Splitterherzschmerz, nur eine schwache Pein, die in kleinen Wellen kam und wieder verschwand. Sie brachte auch am nächsten Tag noch Antriebslosigkeit und Schwäche mit sich, das Essen mundete nicht wirklich und ihre Laune wurde schlechter. Für einen Moment zog sie in Erwägung ein weiteres Mal irgendein Kissen als Ventil ihrer Irritation zu nutzen, doch lernte sie manchmal durchaus aus Fehlversuchen. Aber eine weitere Idee erblühte da in ihrem Kopf, fast so schön wie die Rose, welche dort im Harz langsam erkaltete: ihre Schwestern.

„Apfelmädchen…“

Sie wusste von beiden nicht, wo sie sich gerade aufhielten, doch irgendwie fanden sie immer zu einander. Drei Äpfel, ein Baum und ein Irrgarten voller roter Rosen.


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Pip Appelholm





 Beitrag Verfasst am: 27 März 2024 16:01    Titel:
Antworten mit Zitat

Was macht eine gute große Schwester aus?

Sie ist da, wenn man sie braucht!
Wie Flo. Flo war immer da, wenn man sie brauchte. Selbst jetzt wusste sie, wie sie Flo im Zweifel finden konnte und sie wusste auch, dass Flo dann für sie da wäre, so wie sie beide es für Sae waren.
Oder?
Als die kleine Schwester sie am Tag zuvor am Waldrand aufgestöbert hatte, da war ihr wieder einmal bewusst geworden, dass es sich bei Sae um eine kleine Schwester handelte. Nicht immer einfach mit ihr! Manchmal redete sie wie eine alte Schulmeisterin. Altklug nannte Mah das dann und tätschelte lachend Saes Haupt im Anschluss. Andere aber nahmen ihre kleine Schwester dann ernst und wurden vor den Kopf gestoßen oder schlimmer noch, davon angezogen. Wie er.


Was macht eine gute große Schwester aus?

Zuhören muss sie können!
Auch mal ohne guten Rat, einfach nur lauschen. Flo lauschte ihr und sie beide Sae. Manchmal ignorierten sie die schwesterliche Hierarchie und lauschten auch einfach einander gegenseitig. Das war alles möglich.
Und doch hatte sie das Gefühl, dass sie Sae nicht verstanden hatte. Da waren Worte hinter den gesprochenen Sätzen und in so etwas war sie nicht gut. Man hätte nun vielleicht nachfragen müssen und es war nicht so, als wäre sie nicht neugierig oder forsch! Aber diesmal hatte sie vor allem Angst. Angst vor dem, was dahinter verbergen konnte. Manche Dinge blieben besser versteckt und begraben. Wie er.


Was macht eine gute große Schwester aus?

Trost spenden und die Stimmung heben, wenn sie im Keller ist!
Flo war so gut darin. Eine Umarmung und schon fühlte man sich sicher, geborgen und heile. Sie aber war schlecht darin, umarmte selten und konnte auch nicht, wie Mah, mit einem Streicheln Ängste wegfegen. Sie hatte nur eine Hand vorsichtig nach dem zierlichen Nacken der Schwester ausgestreckt und sie sofort weggezogen, als sie zusammengezuckt war. Es lag ihr fern Sae weh zu tun! Wie grässlich hätte sie sich gefühlt, wenn sie mit der Berührung statt Trost Kummer gespendet hätte. Wie er.


Was macht eine gute große Schwester aus?

Das ein oder andere Opfer bringen!
Mehr als drei Jahre war es nun her, dass sie ein unbeschreiblich großes Opfer gebracht hatte. Alles in dem Glauben die kleine Schwester damit zu schützen. In der Hoffnung, eine wirklich gute große Schwester damit zu sein. Treudumm und naiv. Eine Rolle, die sie nicht besonders mochte, denn irgendwer presste sie immer in diese Schublade. Fröhliche, dumme Pip. Naive, kleingeistige Pip. Kindliche Nervensäge Pip. Das Waldhörnchen, die Zöpfchenträgerin! Sie hasste diese Rolle, diese Schublade. Hasste es, wenn man sie ihr aufdrückte. Doch war sie selber so viel besser? Als Sae die komische Frage stellte, welche Tiere sie drei wären, wenn sie denn als Tiere geboren worden wären, da fiel ihr die Antwort leicht. Flo war ein treuer, beschützender Hund, der manchmal gern streunerte aber sie nie wirklich alleine ließ und bei nur einem Ruf verteidigend an ihre Seite sprang. Sae war ein Kätzchen, so klein, zart und dunkel aber klug mit scharfen Krallen und bissig. Und sie? Sie war ein Hase, der sich in den Wäldern versteckte aber nichts konnte außer zittern und davonlaufen. Vor allem. Auch vor den Pflichten einer guten großen Schwester. Sie hatte Sae im Stich gelassen und sie verraten. Wie er.

Und dann brannte die Wut im Hasen.
Dämlicher Hase!
Dämliche Schlappohren!
Dämliche Zöpfchen!
Hastig fummelte sie am Gürtel, wo das Schnitzmesser so vertraut ruhte und zog es aus der Lederscheide.
Sie konnte die Sandkörner nicht rückwärts rieseln lassen aber für die Zukunft wollte sie da sein, als große Schwester und nicht als zitterndes Häschen, das man an den Schlappohren packte.
Die Zöpfchenzeit war vorbei!



Zuletzt bearbeitet von Pip Appelholm am 27 März 2024 16:03, insgesamt einmal bearbeitet
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Sae Appelholm





 Beitrag Verfasst am: 04 Apr 2024 16:35    Titel:
Antworten mit Zitat

Wie eine warme, wallende und zugleich unwirklich zärtliche Decke, die in die Haut und tiefer drang, umhüllte sie das Wasser, strich wohlig prickelnd über die verspannten Muskeln im Nacken, wusch den letzten Rest des Kräutersuds von den zierlichen Fingern und begann sie auf unsichtbaren Händen zu tragen. Beinahe frech streichelte es über die feinen Gliedmaßen und behauchte sie regelrecht intim mit Wärme und Feuchtigkeit, die außerhalb der Umarmung des Badebeckens nur umso inniger mit Kälte und Gänsehaut begrüßt wurde. Also tauchte sie lieber noch etwas weiter hinab in die köstlich belebenden Fluten und ein zarter, zufriedener Seufzlaut entwich den sanft geschwungenen Mädchenlippen. Sinnlichkeit, gefunden im umschmeichelnden Bade, dem dezenten Duft frühlingshaftem Jasminöls und in einer Schale getrockneter Kirschblüten, welche nun schwach rosig mit den kleinen Wellen wippten.
Und mit all den kleinen Liebkosungen, den natürlichen Nachversicherungen und dem Beistand der erhitzten Urgewalt, befreite sich auch der Kopf von den Fesseln der Alltagsgeschäfte und sandte den Geist auf Wanderschaft, hinaus in die Freiheit der Erinnerungen und weite Welt der Gedankengänge.
Immer wieder waren es dabei Worte aus vollkommen verschiedenen Zeiten und Situationen, die ihr dabei im Rhythmus der kleinen Wellen in den Sinn schwappten.

„Verstehe nicht, wieso man Sachen nicht einfach direkt anspricht statt diesen Eiertanz dann zu vollführen. Auch lästig.“
„Weil man meistens nicht mit den direkten Antworten leben will, wenn man es nicht tut.“

Vorwürfe, Hohn und vor allem Meinungen, die Mitmenschen hier und dort verallgemeinerten und auch teilweise sehr grob sortiert in einen Topf warfen, das konnte sie, dazu war sie in der Lage. Im Gegenzug dann aber sich immer an die eigenen Vorgaben halten, war in manchen Bereichen eine ganz andere Sache. Im Nachhinein schämte sie sich ein wenig für ihre ausufernde und vernichtende Rede über das Liebesgebaren Anderer, über das Urteil, welches sie ohne Gnade im Bezug auf drei Typen Liebende aussprach und doch erkannt hatte, dass sie sich selber in einer höchst wilden Nische befand, die den meisten Leuten unheimlich geworden wäre. Nicht aber der süßen Nachbarin, welche ihr, ohne die Miene zu verziehen, bis zum Ende gelauscht und in den meisten Belangen auch noch Recht gegeben hatte. Immer weiter und weiter lehnte sie sich an dem Abend aus dem Fenster und sprach auch Angelegenheiten an, die ein Vertrauen erforderten, welches sie ansonsten nur ihren Schwestern gegenüber verspürte – und selbst da gab es Themen, mit welchen man sie nicht belasten, nicht gefährden konnte.

„Und auch noch ein weiteres Detail ist anders. Ich bin der Älteste.“

Machte das denn wirklich einen Unterschied?
Sie war es nicht, sondern eigentlich das Nesthäkchen und doch blieb sie fest davon überzeugt, dass Pip die Rolle der „Kleinen“ für sich gepachtet hatte. Niemals willentlich, nicht aus Gründen der mannigfaltigen Vorzüge, die man als Jüngste in einer Familie abgreifen konnte, sondern schlichtweg weil es ihn ihrer Natur lag und sie ein wundervoller Sonnenstrahl der Unschuld war. Selbst jetzt noch…
Das dunkle Haar, welches sie beinahe schwerelos im Wasserspiel umwogte, schien doch an Gewicht zu gewinnen, als würden sie die Badefluten langsam niederdrücken. Oder war es eher etwas in der Brust, dass sie tiefer zog? Ein weinerliches, gequältes Ächzen entstand in der Kehle und ehe es sich selbstständig machen und über die Lippen dringen konnte, kniff sie die Augen zusammen und tauchte freiwillig hinab. Dumpfe Halbstille hüllte das Haupt wie mit Watte, verstärkte das schwache Blubbern der sich vom Mund und der Haut lösenden Luftbläschen, das leise Rauschen des sprudelnden Bades selbst, das gleichmäßigen Schlagens ihres Herzens in der Brust.
Sie lauschte dem Rhythmus des Lebens, der pumpende Kraft aber auch verletzbare Menschlichkeit bedeutete, in stiller, staunender Ehrfurcht vor dieser Schöpfung. Nicht zum ersten Mal in den letzten Stunden…

„Wie… Hat er es angestellt?“
„Ihr müsst die Frage konkretisieren, wie hat er was angestellt?
„Alles… aber ich meine, wie hat er es geschafft tagein tagaus mit Euch zusammen zu leben und irgendetwas fertig zu bringen, statt nur darüber nachzusinnen, wie er unter Eure Röcke gelangen kann?“

Treffer!
Vermutlich ungezielt aber gut platziert letztendlich. Nicht nur in einem Bereich, sondern auf vielen kleinen, nicht wirklich parallel laufenden Ebenen. Antworten gab es zuhauf und dennoch sprach sie bei weitem nicht alle aus, konzentrierte sich auf die konkrete Zielrichtung, denn sonst hätten die vielen Facetten ihrer Selbst, mehrere Saes, die heftig auf diese Frage reagierten, gleichzeitig sprechen müssen. Die Erste hätte getobt, vor Frust und Ungerechtigkeit, vor Verzweiflung und Empörung darüber, dass sie wieder in dieses sündige, dunkelrote Licht getaucht wurde und die Antwort wäre ähnlich echauffiert ausgefallen.
„Wie schafft Ihr es, mich ungefragt und grob so zu entwürdigen? Ihr seid alle gleich!“
Aber das wäre gelogen gewesen und so hielt sie den Mund, grollte leise, während andernorts eine weitere Sae mit geweiteten Augen und zittriger Stimme düster geflüstert hätte.
„Oh, er war… ist ein Mann der Taten, nicht des Nachsinnens.“
Doch auch dies spielte gerade keine Rolle, denn die dritte Sae entdeckte etwas Anderes in der viel zu übergriffigen, latent dreckigen und provokanten Frage. Etwas, das milde schimmerte und sich hinter der plakativen Fassade zu verstecken schien. Diese Erkenntnis schwappte in einer ganz zarten Note der Macht aber auch seltsam verletzlicher Rührung herüber und sorgte dafür, dass sich auch jetzt noch, in der Erinnerung einer Erinnerung, die Mundwinkel hoben und einen Satz Wahrheit hauchten, der nie über die Lippen drang.
„Ihr bekommt mich im Moment nicht aus dem Kopf, hm?“
Der letzte Rest Luft entwich der Lunge, als ihrer Kehle ganz unwillkürlich ein kleines Lachen entkam und in blubbernden Bläschen mit dem Atem hinauf ins Licht des Kerzenscheins am Badebecken tänzelte. Rasch drückte sie das Gesicht wieder über Wasser und sog gierig den Jasmin-Kirschblütenduft dort oben ein, während ihr ein weiterer, leise gesprochener Satz in den Ohren raunte.

„Kleine, schmutzige Geheimnisse, die irgendwie an die Oberfläche brodeln, weil sie die Seele sonst zum Bersten bringen.“

Noch einmal schloss sie die Augen, schob alle Gedanken weit von sich, um sich in eine eher mütterlich wärmende, statt sinnlich heiße Liebkosung zu begeben und sich allen voran treiben zu lassen. Ohne Ziel, ohne Erwartungen, ohne Wünsche – frei.


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Zuletzt bearbeitet von Sae Appelholm am 04 Apr 2024 21:04, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Sae Appelholm





 Beitrag Verfasst am: 08 Apr 2024 15:33    Titel:
Antworten mit Zitat

Warnung: In diesem Text werden Themen angedeutet, die Trigger auslösen könnten.


Wer hätte gedacht, dass es wieder das Bad sein würde.
So bald, so kalt und so anders innig.
Ertränkend auf die ein oder andere Weise und doch die letzte Linderung, wie ein Stück klirrendfrostiger Eiszapfen auf eine lodernde Verbrennung.
„Ich verbrenne nicht gerne…“
Wenige Stunden zuvor war es ihr über die Lippen gekommen und da war es geschehen. Eine hastige Bewegung aus dem Handgelenk und erst als der Wein vergossen und vom anmutigen Antlitz tropfte, da wollte sie diesen eine Geste zurücknehmen, die Zeit ein bisschen nach hinten drehen, nur eine hitzige Entscheidung im Eifer eines inneren Gefechts ungeschehen machen. Doch nur die dümmsten oder kühnsten Meister der Magie wagten das Tänzchen mit dem Zeitenstrom und sie war weder ein Meister, noch ein Magier… wohl aber dumm.

Die Erkenntnis stach die nächste, winzige Nadel in die Brust. Bohrend, leicht drehend fraß sie sich tiefer und begann dann dort zu glühen, zu pulsieren und zu ziehen. „Schwer ums Herz“ wurde es den Menschen in all den breiten Ebenen der mal mehr mal minder seichten Lektüre doch nur dann, wenn sie trauerten oder etwas verloren hatten. Sie hingegen hatte im besten Fall einen seltsam werdenden Abend und im schlimmsten eine nicht minder kompliziert werdende Anstellung verloren. Nicht mehr, nicht weniger. Und umso mehr sie sich das sagte, umso deutlicher war, dass sie auch noch unglaublich schlecht darin war, sich selbst zu belügen. Keine Königin der Räson, keine Heldin der Contenance und nicht einmal eine clevere Schreiberin der eigenen Geschichte… wohl aber dumm.

Obwohl sie die Arme ausgebreitet hatte und versuchte sich kaum zu bewegen, wollte es nicht recht gelingen, wollte das Wasser sie nicht zärtlich tragen, sondern nagte am Stoff der Kleidung, der sich schwer und schwerer vollsog, sie immer wieder mit dem Kopf unter das kalte Nass drückte.

Mit dem Kopf im Kissen – dem Kopf auf dem Tisch – dem Kopf an der Wand!

Kurz ruderten die Arme und verscheuchten die dräuenden Erinnerungsfluten, die mit den unfreundlichen Wogen des kalten Wassers auf sie eindrangen. Jetzt, wo die Mauern hier und dort Risse bekommen hatten, Steine herabgepurzelt waren.
Warum eigentlich?
Wem hatte sie diesen Umstand zu verdanken? Dem Charme? Dem Lächeln? Der Bernsteinglut!
„Vielleicht…“
Sie wollte aufächzen, fluchen, wüst schimpfen und doch kam nur ein sehr leiser, lächerlicher und beinahe dramatischer Laut über die nun dezent bläulich verfärbten Lippen. Sie hasste Dramen und doch trieb sie hier im eiskalten Badebecken, vollkommen bekleidet, vom Hemd, Korsett, den Röcken bis hin zu den roten Seidenstrümpfen, dem Miederband aus Spitze und diesem raffinierten Höschen mit dem kleinen Pyrianapfel. Raffiniert, von wegen… wohl aber dumm.

„Ich weine äußerst selten…“
Richtig. Sie wusste, dass da auch gerade eben keine Tränen flossen, obwohl sie einen Teil dieser ekelerregenden, gähnenden Leere, die sie nicht in und hinter den Sternen finden wollte, jetzt irgendwo in der Brust entstehen spürte. Dort, wo die Nadeln bohrten, wo es zog und schmerzte, wo die Mauern bröckelten und die Erinnerungen, wie tollwütige Hunde an einer dünnen Lederleine rissen.

Lederleinen in den Schubladen – den Fäusten – an den Handgelenken

Diesmal ließ sie zu, dass das Wasser sie zu fassen bekam und mit dem gesamten Kopf untertauchte. Im Grunde war es eine willkommene, nasse, kalte Abreibung, um den Ansturm der Hunde ein weiteres Mal abzuwehren, doch wie lange würde es noch gelingen? Ganz gleich, es war auch die passende Methode, um die Dramatik aus der Situation zu treiben, wie mit einem Besen. Jedes Staubkorn des Dramas wegfegen, hinaus aus… aus… allem! Sie war keine gute Hausfrau, kein fleißiges Putzmäuschen und keine gewissenhafte Ordnungshüterin… wohl aber dumm.

Und neuerdings auch dramatisch! Nein, das war doch nicht mehr sie selbst! Jenes unsichere, leidende Bündel, diese Verschwendung kostbarer Haut.

Hände auf Haut – Hände im Nacken - Hände auf den Lippen!

Prustend und um sich schlagend tauchte sie auf, spuckte hustend Wasser, zog die Knie rasch an den Körper und umklammerte sie mit beiden Armen innig. Darum hatte sie nie gebeten, das hatte sie vermieden, so eine Beziehung wollte sie nicht. Das war nicht die gefährliche Grenze, an der sie zu tanzen wünschte, das war nicht das Feuer, mit dem sie zu spielen gedachte, nicht das, was sie sich insgeheim erhofft hatte… wohl aber dumm.

Eine Beziehung die in ätzend dramatischen Gefühlen endete.
Endete.
Die Lösung und Kreuz zugleich und dabei die ernste, sinnierende Frage, ob sie denn überhaupt jemals begonnen hatte? Sie war nur eine von Zweien und hatte mit weit Mehreren gerechnet. All das, was er von ihr hätte bekommen können, bekam er auch von Anderen. Einfacher.
„Stolz hat seinen Preis.“
Ja.
Sie merkte nicht, dass sich ein klein wenig Salz zum Wasser im Gesicht mischte, da die Hunde sie in just diesem Moment eingeholt hatten und begannen sie innerlich zu zerreißen.

Zitat:
„Austreiben werde ich ihn dir. Deinen Hochmut, mein liebes Kind. Deinen verdammten Sturkopf geraderichten, deinen Trotz in den Boden stampfen, deinen Stolz… BRECHEN. Bis du weißt, wo dein Platz ist.“
Platz… wo dein Platz… dein Platz ist…
„Eine ausgefuchste Idee den Schnaps ins Wasser zu kippen und kaum davon zu trinken. Aber ich habe nicht darauf gewettet, dich trunken zu machen, mein liebes Kind…“
Sie hätte ihm gerne etwas an den Kopf geworfen, ein paar kühne Worte, ein verbaler Schlag mitten ins Gesicht, doch war sie verzweifelt damit beschäftigt, sich nicht die Blöße zu geben und zu weinen. Hier war es nicht das, was Gesten andeuteten, nicht das, was Bewegungen ausführten und auch nicht das, was sie ansehen, riechen, schmecken oder fühlen würde.
Nein, diese Sinneseindrücke konnte man verdrängen, beiseiteschieben und Kosten mit Nutzen abgleichen. Aber es waren immer seine Worte, die die Ohren durchbohrten, um sowohl im Verstand als auch der Seele zu rumoren. Seine hässlichen Worte, seine Lehren, Erklärungen und Verheißungen, die sie kaputt gemacht hatten.

Ich mag diese Art von… kaputt.
Es war ihr an diesem Abend vor drei Jahren bewusst geworden, wie ein dräuender Schatten Vorhersehung, der sich ihr aus der Dunkelheit des düsteren Zimmers langsam näherte:
Das Wissen, dass all ihre Pläne und innere Vorbereitung sie maximal davon abhalten würden, jetzt vor ihm loszuheulen. Sie würden sie nicht davor beschützen, dass er an ihr riss, wie an den Fäden einer Marionette, an ihr schraubte, wie an einem Uhrwerk und sie brach, wie das Blümchen, das er in ihr sah. Und gerade weil sie keines war und im Anschluss versuchte sich wieder aufzurichten, tat er es immer und immer wieder.

„Ja… jetzt verstehst du es, nicht wahr? Ich sehe es an diesem wunderschönen Blick in deinen Augen… Verzweiflung, hm? Ich werde dafür sorgen, dass du deinen Platz kennst, bis du mein bist.“
Mein… mein…. MEIN.
Es waren seine Worte, die ihr den Triumph nahmen.
Und schlimmer noch: Beim nächsten Mal, Tage, nein Wochen später, weinte sie.


Sie sprang beinahe auf, hastete zum Beckenrand, hangelte sich wie eine Ertrinkende hinaus und hinterließ auf dem Weg zum Kleiderschrank eine triefende Spur aus Nässe. Es blieb keine Zeit, um sich lange um die entstehende Pfütze, in welcher die abgelegten Klamotten lagen, zu kümmern. Sie war bereits aus dem Raum, aus dem Haus, der Stadt, dem Reich.
Auf der Flucht vor dem, was begann, ihr Probleme zu bereiten… vor dem, was sie gefunden aber nicht gesucht hatte… vor dem, das sie sich nicht wünschte.
Geradewegs kopfüber in die nächste Dummheit, denn jetzt war sie kein Fuchs, keine Katze mehr… wohl aber dumm.



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Sae Appelholm





 Beitrag Verfasst am: 01 Mai 2024 19:36    Titel:
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„Du musst lernen, die Füße mal stillzuhalten!“

Aber das war in dem Fall nicht so einfach…
Mamms Blick zeigte neben der gewissen Strenge, die passend zu den gesprochenen Worten auch ihre Gesichtszügen kühlend umspielten, vor allem Missmut und aufkeimende Enttäuschung. Letztere Emotion tat besonders weh, denn das war absolut nicht das, was sie mit ihrer Reaktion auf diese dämliche Ankündigung bezwecken wollte. Niemand sollte enttäuscht werden, traurig dreinsehen, wie es Pip nun angesichts des plötzlichen Unfrieden im Hause Appelholm tat oder vollkommen verwirrt und verständnislos die Brauen heben, wie Flo. Nein, sie hatte gehofft, dass die Schwestern und ihre Mamm die Bedenken als solche ernst nehmen und sich alles noch einmal überlegen würden.
Alles war in dem Fall das Angebot an Rahes, den engen Vertrauten und Bekannten Mamms, ab dem Monat der Schwalbenkunft den Sommer mit ihnen zu verbringen. Die Apotheke, welcher er sonst nur sehr selten verließ, sollte umgebaut werden und bald einen Lehrling beherbergen, so viel hatte sie noch mit einem Schulterzucken und beginnendem Desinteresse vernommen, doch was danach eröffnet wurde, rüttelte sie mit Entsetzen und Zorn regelrecht wach.
Er würde also nicht nur die nächsten drei Mondläufe unter ihrem Dach herumschleichen und seine Nase in Dinge stecken, die ihn absolut nichts angingen, sondern mit einer der Schwestern als Lehrling gehen? Eine von ihnen mitnehmen?

„Na, da kann er lange warten! Was ist, wenn sich keine von uns dafür interessiert?“, hatte sie Mamm zuerst entgegengeschleudert und als diese recht ruhig und beschwichtigend noch sprach:

„Das sehen wir dann, Sae. Ich bin mir aber fast sicher, dass wir gemeinsam eine Lösung finden werden. Es ist eine sehr solide Ausbildung, würde nur etwa drei Jahre umfassen und zuletzt ist die Apotheke doch nur eine kleine Tagesreise entfernt.“

Mamms Blick war bei der Aussage über die Mädchen gewandert, hatte nur kurz bei Flo verharrt, weil diese schon ein paar Wochen zuvor angekündigt hatte, dass sie ihr Glück vorerst auf Reisen versuchen wollte und somit sicher keiner Ausbildung im oder um den Heimatort herum zustimmen würde. Auch bei Sae verweilte der Fokus nicht lange, hatte diese doch gerade sehr deutlich gesagt, was sie von Plänen dieser Art hielt, dafür ruhte alle Aufmerksamkeit nun auf Pip und deren Reaktion ließ Mamm schmal lächeln und Sae aufkeuchen. Pip senkte den Kopf ein wenig und nickte dann langsam zustimmend, als würde sie sich diese Bürde tatsächlich aufhalsen lassen. Vermutlich ein Opfer für den Segen der Harmonie in den Appelholmschen Hallen und eines, das dem Fass den Boden ausschlug, Saes Zorn regelrecht explodieren ließ.

„Wie kannst du nur darüber nachdenken?!“ – das galt der Schwester und nur einen Lidschlag später starrte sie ihrer Mutter entgegen, die Hände zu Fäusten geballt, deren Knöchel unter dem Druck weißlich hervortraten, während die Gesichtsfarbe dunkler wurde.
„Und du? Wie kannst du es wagen uns an diesen Dreckskerl mehr oder minder zu… verkaufen?!“

Das Aufkeuchen im Raum entstammte mehreren Kehlen, doch noch bevor sie weitersprechen konnte, hatte Ana Appelholm die Hand erhoben und ihrer Jüngsten auf den Mund geschlagen.
Nicht fest, nicht schnell und auch nur ein einziges Mal, doch langte es, um Sae für einen Moment verstummen zu lassen. Noch einen winzigen Augenblick hielt sich das Mädchen selbst die Hand vor den Mund, dann glomm der Zorn nur noch hell in den apfelgrünen Augen auf und selbst die Rufe ihrer Schwestern konnten sie nicht mehr halten, als sie aus dem Apfelheim am Rande der Stadt eilte und in Richtung Wald und Heide hastete.

„Du musst lernen, die Füße mal stillzuhalten!“

Das wollte sie in dem Moment einfach nicht…
Zuerst war da das Knistern der Flammen, welche sich rauschend auf den eleganten Wink der Magistra in luftige Höhen fraßen und gierig die kühle Nachtluft knabberten, sie in Wellen der Hitze verwandelten, deren Wogen sich immer wieder in alle Richtungen und quer über die kleine Wiesenzunge am Waldrand ausbreiteten. Wo sie berührten gaben sie vom Rausch ab, als entfachten sie die Glut über das Benetzen der bloßen Haut liebkosend und erregend. Dann kamen die Trommeln hinzu und das erste Aufbrüllen der Rashar. Dunkle Kohleleiber, auf welchen sich das Licht der züngelnden Flammen zu spiegeln, nein zu verewigen schien, denn für wenige Momente bildete sie sich ein, KalOshra wäre gänzlich in das grelle Goldorange getaucht, vernahm NeKhiis und TikRassKruns Schläge auf das weiche Leder, welche den Takt vorgaben und… konnte gar nicht anders als in diesen einzutauchen.
Eine Hingabe im Wechselspiel mit den Glutwogen, die sie mit den nackten Sohlen so unendlich leichtfüßig über die Flur springen ließ und ihr wilde Drehungen, gelösten Tanz und einen Reigen mit der Urgewalt des Feuers entlockte, für welche die Rauschkristalle nicht verantwortlich waren. Aus den Augenwinkeln und nur am Rande des Bewusstseins notierte sie, dass sie damit nicht alleine war, denn auch Alexandria begann tanzen, Eniolas Hüften kreisten und Jexxe wirbelte wie ein kleiner Derwisch übers Gras, immer näher an das prasselnde Flammenmeer heran.
Dann war da noch eine Stimme, die Paias Namen lobte und kurz darauf…
… nur noch sie und der Rhythmus des Feuers.
Sie hob die Arme und tauchte jauchzend in diesen ein, ließ zu, dass sie eins wurden.


„Du musst lernen, die Füße mal stillzuhalten!“

Doch das ging jetzt ganz und gar nicht.
Sie taten etwas ganz Eigenes, als sie sich im neuen Rhythmus bewegte und bewegt wurde. Als das Feuer die Verschmelzung zelebrierte und sie erfüllte. Glut in jeder Faser des Körpers, Magma, welches durch die Adern floss, rabenschwarzes Haar in Flammen verwandelte und Funken in der Bernsteinglut entfachten. Funken, die übergesprungen waren und das Inferno vollkommen machten.
Ein Reigen, der ihren Körper, ihr Herz, ihren Kopf und die Seele übernommen hatte. Er hielt sie umschlungen und fest, entlockte ihrer Kehle zarte Laute und riss sie mit sich.
Sie ließ es geschehen und ihre Zehen zogen sich fest an die Ballen heran als es geschah.

„Du musst lernen, die Füße mal stillzuhalten!“

Niemals!


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 Beitrag Verfasst am: 23 Okt 2024 17:42    Titel:
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Umarmen:
Die Sinne sind manchmal wundersam und spielen nicht immer nach nachvollziehbaren und stets gültigen Regeln. In diesem besonderen Fall roch sie die Berührung, bevor sie jene wirklich spürte. So ein feiner, zarter Duft nach wilden Kräutern, frischem Moos, geziert von glasklarem Tau und Erdenwärme gepaart mit dem weichen Hauch junger Frühlingsblumen. Das belebende Aroma des Erwachens und jenes haftete Eva auch jetzt Ende des Mondes Goldblatt noch an, wo das Laub nicht mehr ganz so schön golden strahlte, sondern eher matschig wurde und vom nahenden Herbstverfall kündete. Nichts von diesen nahenden Schatten lag in der Umarmung, nur Schutz, Innigkeit und Beistand. Wie eine besänftigende Woge driftete die nonverbale Fürsprache durch Geist, Herz und Seele und löschte den Brand der aufkeimenden Panik. Panik, welche die Nähe eines Gottes mit sich brachte…

Unweigerlich musste sie an ein Gespräch zu später Stunde, weit nach der Mitte der Nacht im Haus der Kuriositäten denken. Dareans Erzählung über bereits erlebte Wunder und die Aussage, dass sie sicher auch eines Tages göttliche Nähe miterleben würde, weil man hier auf Gerimor, wo alles seinen Ursprung hatte und irgendwie immer wieder zusammenfand, gar nicht drum herum kam, hatte sie damals amüsiert und im Nachhinein war sie sich nicht mehr sicher, ob sie seinen Worten denn wirklich vollends geglaubt hatte – so aber hatte sie sich diese „göttliche Nähe“ sicher nicht vorgestellt. Furcht statt Ehrfurcht, Grauen statt Glorie und Verzweiflung statt Verzückung.
Was, wenn die Schutzmechanismen nicht mehr hielten? Würde er sie alle töten?
Seine Drohungen hallten zumindest trotz Amulett, Wächterzauber, Elementarsegen und klerikalem Wall mitten in den Köpfen aller Anwesender. Ganz gleich wie groß oder klein der soziale Stand, da machte er keinen Unterschied. Es wurde erst individueller, als er in den Erinnerungen und Gedanken stöberte und plötzlich zitterte Evas Arm, nein die ganze liebgewonnene Freundin, voller Zorn und Erschütterung. Sie erinnerte sich, wie sie den Mund öffnete und nachfragen wollte, was er ihr einflüsterte, als…

Überwältigen:
Die Stimme schien diesmal tief hinter der Stirn zu entstehen, durch den Schädel zu wandern und von innen mit weicher, lauerndem Timbre gegen die Ohren zu hauchen. Die Vorgehensweise war gruselig und beängstigend, doch die Klangfarbe von strahlend göttlicher Macht, der kein sterblicher Geist entkommen konnte. Einzig der Inhalt der Worte war weder erschreckend noch wunderbar, sondern vielmehr absolut irritierend.

„Du siehst ihr sehr… sehr ähnlich…“

Zuerst verstand sie nicht, wen oder was er meinte und als sie es im Laufe seiner nächsten Sätze begriff, da entglitt ihr die Mimik vollends und langsam klappt die Kinnlade herunter.

„Von kleiner, zarter Gestalt. Das Haar in der Farbe der blauschwarzen Mitternacht. Die Züge so fein und vollkommen. Das Licht spiegelt sich in den Augen…“

Bisher hatte sie mit wachsendem Entsetzen vernommen, wie die Zwillinge mit ihm in Zwiesprache traten, Eva auf seine grässlichen Visionen reagierte und selbst die Gäste nicht ungeschoren davonkamen. Und mit jedem seiner Eingriffe hatte sie, wie ein Lamm unmittelbar vor der Schlachtbank, darauf gewartet, dass sie nun an der Reihe wäre. Bis ihr das Herz zum Halse klopfte und dann… das?!

„Nein… ich bin nicht wie sie. Ich bin ihr nicht ähnlich!“, hörte sie ihre eigene Stimme und jene schwamm in Irritation und Staunen.

„Doch. Du hast sie gesehen, nicht wahr? Dabei hättest du, ihr alle, es bemerken können. Mir ist es gleich aufgefallen aber dann wiederum kanntet ihr sie nicht so lange, so innig, wie ich. Ihr habt euch nur angemaßt, sie mir zu nehmen. Aber du siehst ihr sehr ähnlich.“

Sollten diese Phrasen das Ziel gehabt haben, sie wahlweise zu becircen oder zu verschüchtern, so verfehlten sie dieses um Längen. Stattdessen erwachte Wut, erwachte das Feuerchen ein weiteres Mal und sie hörte den knisternden Funkenschlag in ihrer Antwort, welche sie nicht laut sprach.

„Wenn du sie denn so tief und innig gekannt hast, dann müsste dir auffallen, dass ich nicht wie sie bin. Ich besitze nichts von ihrer Güte, ihrer Geduld, ihrer Hilfsbereitschaft oder ihrem Sanftmut. Wir sind innerlich zwei vollkommen verschiedene Wesen und all diese Tugenden machten sie aus!“

Schweigen.
Kein Zugeständnis, kein Leugnen.
Nur ein winziger Hauch Sinn im Wahnsinn.

„Ich vermisse sie…“

Dann verstummte er und ließ die Anwesenden mit dem herausgekitzelten, emotionalen Chaos zurück. Mal weniger intensiv, wie die gefasste Ruhe der Zwillinge zeigte, mal glühender, wie Evas aufgewühlte Gefühle bewiesen und in ihrem eigenen Fall vollends mit der Empfindung vor den Kopf gestoßen worden zu sein. Um ein Haar hätte sie die Frage überhört:

„Womit hat er dir gedroht…?“

Halten:
Gar nicht, das war die nüchterne Antwort und doch sickerte die Unterredung tiefer, als ihr lieber war. Nicht, weil der Inhalt so schmeichelnd war und sie sich bauchgepinselt fühlen konnte, sondern weil sie einen winzigen Einblick bekommen hatte, wo die Reise damals hätte hingehen können und was nun so fern war. Im Grund blieb kaum etwas von seiner Erinnerung an die Geliebte… abgesehen von Zorn, Wahnsinn und Bedauern. Indem er Letztes mit ihr geteilt hatte, hatte er sie gleichermaßen berührt und folglich viel der vorherigen Überzeugung oder Selbstsicherheit genommen. Schon am nächsten Tag fühlte sie sich verletzlich, klein und verunsichert.
So führten sie die Schritte seit langem wieder aus den gewohnten vier Wänden der Apotheke quer durch die Stadt und immer weiter, bis sie eine Treppe hinabstieg, durch einen Gang schlenderte, der mit facettenreichen Erinnerungen nur so gespickt war und zuletzt an einem Schreibpult endete.
Dort wurde sie fündig.
Allerdings wusste sie erst wie sehr fündig und wie fieberhaft sie gesucht hatte, als der Blick gehoben wurde und die Bernsteinglut ihr Ziel fand.
Heimkommen. Freikommen. Klarkommen. Vollkommen.

Es begann und endete mit dem tröstlichen, wundervollen Gefühl einer Umarmung, die Halt gab und Trost spendete. So sehr, dass sie sich zu einer gleichsam wahren als auch kitschigen Aussage hinreißen ließ.

„Ich muss heute in deinen Armen einschlafen.“
„Das musst du wohl.“


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Zuletzt bearbeitet von Sae Appelholm am 24 Okt 2024 10:56, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Pip Appelholm





 Beitrag Verfasst am: 11 Nov 2024 15:06    Titel:
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Das Papier knitterte leise knackend.
Sie glaubte die Wärme nebenan noch zu spüren, doch war die kleine Schwester bereits gegangen und hatte sie mit dem Brief zurückgelassen.
"Das ist doch Mamms Schrift!"
Sae hatte es bestätigt und hatte sich danach so plötzlich verabschiedet, dass es Pip gleich darauf sehr mulmig wurde. Es stimmte etwas mit diesem Brief nicht und sie fühlte sich nun auch nicht mehr sicher. Nur mit Mühe widerstand sie dem Impuls einfach aufzuspringen und wieder in die Umarmung der Wälder zu fliehen. Doch blieb sie in der Laube zurück, auf der Bank, die sie bis eben noch mit der kleinen Schwester teilte und öffnete den Brief etwas mehr, strich ihn glatt, ehe sie zu lesen begann.

Das Papier flüsterte zischend Geheimnisse.
Sehr hurtig flogen die Blicke das erste Mal über die Zeilen und kamen nicht weit. Sie stockte einmal. Zweimal. Beim dritten Mal kniff sie die Augen zusammen, um sich zu vergewissern, dass das da wirklich stand und sie sich Sachen nicht falsch zusammenreimte. Oder einfach falsch verstand.

Er war nach deiner fluchtartigen Abreise natürlich sehr in Sorge und auch ich wusste zunächst nicht recht, was ich davon halten soll.

Sorge? Das Wort hatte hier einen so bitteren Beigeschmack, dass ihr Mund trocken wurde und sie Galle im Rachen schmeckte. Früher hatten sie die Streitigkeiten zwischen Mamm und Sae so gelähmt und verletzt. Während Flo dabei die richtigen Worte fand und mit einer ganz besonderen inneren Wärme vermittelte, konnte sie nicht einmal sprechen. Alles fror ein, sie fühlte sich klein und trübe. Zu laut das Heim, zu laut die Stadt und immer wieder wählte sie die Flucht. Hund, Hase, Katze.
Jetzt aber fühlte sie Saes ohnmächtige Wut und packte fester zu.

Das Papier schauderte und raschelte empört auf.
Sie sog mit Mühe Luft ein, als wären die Lungen schon voll und doch rang sie um Atem. Gerade hatte sie ihren Namen in dem Brief gefunden.

Ich hatte damals das Gefühl, dass ihr beide euch plötzlich absolut nicht ausstehen könnt und wie habe ich mich gewundert aber auch gefreut, als du so reges Interesse an der Ausbildung zur Apothecaria gezeigt und mich zuletzt gebeten hast, Onkel Rahes zu bitten, dich an Pips Stelle mit zur Apotheke und in die Lehre zu nehmen.

Das hatte sie auch gewundert.
Aber nur kurz, dann war der Verdacht da, dass es ein Druckmittel gab.
Erst viel später hatte sie dessen Natur entdeckt. Sie war ihr im Spiegel begegnet und dieses Erkennen hatte sie ein letztes Mal fliehen lassen.
Weit weg von allem. Von Angst, von Machtlosigkeit und vor allem weit weg von der brennenden Schuld ihrer kleinen Schwester gegenüber.
Eine Schuld, die sie nicht begleichen konnte.

P.S.: Damit du weißt, wie groß seine Sorge ist - er hat bereits mehrere Tagesreisen gemacht, um nach dir zu suchen, bis weit nach Siebenwacht und auch Shevanor hinein. Ich werde ihm zumindest sagen, dass es dir gut geht.

Deshalb hatte sie den Brief nun auch bekommen. Weil es eine Frage der Zeit war, bis er ihre Mutter weichgekocht hatte und dann würde er kommen, um sie zu suchen.
Sollte er nur kommen...

Das Papier riss.


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Wenn Staunen die Blüte ist, ist der Apfel die Erkenntnis.
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Sae Appelholm





 Beitrag Verfasst am: 27 Nov 2024 17:55    Titel:
Antworten mit Zitat

Ein rascher, packender Griff.
Arme schlingen sich von hinten um den Körper, halten kurz unnachgiebig fest, doch nicht grob.
Dann – ein Ruck.
In einem einzigen Moment, einem Luftholen vielleicht oder einem Lidschlag, aus dem Leben gerissen.
Schweben?
Zwischen den Sphären, so leicht wie eine Feder, so frei und friedlich.
Die Umarmung wird sanfter, ein zärtliches Wiegen, eine Berührung an der Wange im seltsamen Taumel.
Gewisperte Worte, deren Sinn noch nicht entschlüsselt im Kopf angekommen ist, weil dieser weiterhin versucht die letzten Augenblicke zu verarbeiten und verstehen will, wessen Arme das sind.
Die Erkenntnis schlägt wie ein Blitz ein und durchzuckt den Körper zitternd.
Ein scharfes Luftschnappen und in der gleichen Sekunde lassen die Arme los.
Fallen!
Der Wind, so grässlich fremd und gewaltvoll, reißt den Atem aus den Lungen, hält die Hand vor den Mund, zerrt an den Kleidern, kratzt durch die Haare, bis…
Ein tosender, kurzer Tusch, der alle Farben zu einem einzigen grauen Blau vermischt.
Kalt, so unsagbar kalt, dass die Gliedmaßen noch in der Initialbewegung erstarren.
Lippen öffnen sich träge, wollen einen grellen Schrei voller Entsetzen und Panik entlassen.
Doch es sind vor allem die letzten Luftbläschen, welche sich aus der Kehle lösen und langsam emporsteigen.
Ganz im Gegensatz zum Körper, der tiefer hinabsinkt.
In die Dunkelheit.
Dort unten im frostigen Meer.
Wo alles
vereist.


Als sie das erste Mal erwachte, wusste sie nicht recht, wo sie war und schlug erst einmal um sich, traf aber nur einen morschen Baumstamm. Wollte sich hastig aufrappeln und fiel mit dem Gesicht zurück in den Sand. Bebend, mit steifgefrorenen Fingern, wischte sie sich die lästigen Körnchen vom Mund, um mit einem Blick auf die eigenen Hände schaudern festzustellen, wie bleich und marmoriert sie waren. Sie wusste, dass auch die Lippen längst bläuliche Farbe trugen und sie waren so kalt, dass sich jede kleine Bewegung fremd anfühlte und unangenehm schmerzlich prickelte. Eifrig rieb sie die Handflächen aneinander und versuchte noch einmal ein paar Schritte zu gehen. Ein kläglicher Wimmerlaut entwich der Brust, als sie die Nadelstiche der Pein nun auch in den Beinen und den Fingerspitzen spürte. Ein zweiter, untermalt von einem verzweifelten Schluchzen, entwich, als sie sah, dass nicht einmal mehr die Glut in ihrem kleinen Feuerchen, in dessen Nähe sie irgendwann eingeschlafen war, lebte. Die eisigen Finger tasteten nach den Feuersteinen und rupften an ausgeblichenem, altem Dünengras. Hell klickten die Steine aneinander, doch obwohl der Schwefelgeruch bald in die Nase drang und die Sinne belästigte, wollte doch kein Funke springen.
„Bitte…“, hörte sie sich fast flüsternd weinen, „Ich brauche es doch, um die Kälte zu bannen.“
„Aber sie ist nun dein stetiger Begleiter.“, säuselte eine Stimme dunkel zurück, „Dein einziger Freund.“
Die Welt verschwamm, als die Tränen aufstiegen und sie schüttelte den Kopf schnell.
„N… nein… das Feuer… es macht… dass sie da sind…“, wehrte sie sich schluchzend und wurde mit einem boshaft amüsierten Lachen von der anderen Seite belohnt.
„Keiner ist da. Du hast niemanden mehr. Hast du das vergessen?“
Kurz fluteten Bilder den Geist von Momenten, in welchen die Stimme im Kopf nagte, Befehle raunte, Ängste fand und Lügen hauchte. Ähnlich wie jetzt, nur so sehr viel subtiler, schleichender, mitten in das Unterbewusstsein hinein.
„Sie hat Spaß daran, merkst du es denn nicht? Es bereitet ihr sehr viel Freude so zu sein. Weißt du auch warum? Weil sie dich nie leiden konnte, du dummes Kind. Ordentliche Damen geben sich eben selten freiwillig mit kleinen Huren ab.“ Etwas brach, was bereits gesplittert war und der Druck darauf ließ es tief in der Seele weiter knirschen. „Oder wie meinst du, nennt sie dich gerade? Sag du es mir, du hast das Lächeln ihrer Gesprächspartnerin gesehen. Boshaft, herablassend, degradierend.“
Für einige wenige Momente nur, war sie nicht sie selbst, hatte sich treiben lassen, dem Flüstern nachgegeben und danach mit klammem Ziehen in der Brust eingeredet, dass alles nicht so schlimm und eigentlich nichts geschehen war. Das klappte ganze zwei Tage, in denen die Welt weiter im Wahnsinn versank.
Ertrank.

„Und dann hast du gesehen, wie Recht ich habe.“, begann das Wispern erneut unsagbar nahe.
„N..nnein… das Feuer… sie sind… da, wenn…“, klammerte sie sich an der Hoffnung fest.
„Wo sind sie gerade, hm? Sie können deine Nähe nicht ertragen. Du bist alleine...“
Sie spürte wie er darauf gierte, wartete, dass sie ganz aufgab und endlich still in der tiefen Dunkelheit verschwand.
Ertrank.

Doch waren es zwei kurze Szenen, Augenblicke einer Erinnerung nur, die sie langsam zurück an das Licht zogen.
Die wohlige Wärme, welche Hände ausstrahlten, die ihre fest und beständig hielten.
Die sanfte Glut, welche eine Berührung auf der Schulter ausmachte.

„Bist du dir sicher, dass du jetzt alleine sein willst?“




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