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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 17 Apr 2023 10:09    Titel: Tagebucheintrag 2 - 17. Wechselwind
Antworten mit Zitat



17. Wechselwind


Lieber Abelardo,

Geliebter, verlogener Betrüger, Retter meiner düstersten
Geschichte, einstiger Gefährte, Zeichner meines schönsten
Kunstwerkes, dahingeschiedener Vertrauter. Ich komme nicht
umhin Dich und Deine, wie auch unsere Geschichte jüngst
immer wieder einmal Aufleben zu lassen. Eine Leinwand ist
nur so gut wie ihre Geschichte, nur so fantasievoll wie ihr
Künstler und Du hast zumindest einen Teil meines Blattes
geschrieben, bemalt und hast womöglich auch dafür gesorgt,
dass es eine Fortsetzung gibt. Ich wollte in der Vergangenheit
immer gern Dir die Schuld für dieses Erlebnis geben, doch am
Ende hab' ich mich scheinbar einfach legen müssen, wie ich
mich zuvor gebettet hatte. Würde man dieses Netz weiterspinnen,
so könnte man daran denken Sivert zur Rechenschaft zu ziehen,
doch dieser war mir viele Jahre meines Lebens mehr Vater als
der Eigene, was nich' einmal an seiner Rumhurerei lag. Hier hat
er sich immerhin insofern als nützlich erwiesen, dass ich mein
Leben in Gesellschaft vieler Geschwister verbringen darf.

Die Meinungen zu unserer Geschichte sind recht geteilt, nicht,
dass es von Bedeutung wäre wie irgendwas davon bewertet wird,
es ist unsere und nicht ihre Geschichte un' Du weißt ich
habe mich noch selten darum geschert was Andere über mich
zu sagen oder denken pflegten. Die meisten solcher Leute
haben entweder zuviel Langeweile oder besitzen selbst nichts
interessantes, nichts wertvolles, nichts was sie selbst groß
auszeichnen würde, um darüber zu sprechen. 'Ist das lang her',
möchte ich sagen, wenn jemand nach Dir fragt, doch niemand
fragt konkret nach Dir, sondern danach, ob mir schon einmal
etwas unvorstellbares passiert ist, oder mir jemand wehtat.
So richtig, mit Scherben, Verzweiflung und dem Gefühl, nichts
werde wieder gut oder auch nur halbwegs in Ordnung. Während
man es erlebt, kann man sich nicht vorstellen, dass man je und
in einem Stück wieder herauskommt. Aber in den meisten Fällen
ist es wohl so. Die einzelnen Teile des eigenen Ganzen haben
sich zwar versetzt, verschoben und neu zusammengefunden,
aber irgendwann steht man wieder da und kann tatsächlich
atmen. Ich lüge nicht, wenn ich sage dass ich Dich hin und
wieder noch immer vermisse. Immer, wenn ich es wage einen
Fuß an Bord meiner geliebten Aurelia zu setzen, immer wenn
ich des Nachts in meiner alten Koje schlafe und das Kissen
unter meinen Kopf knautsche, dort wo ich früher in Deiner
Armbeuge lag. Hin und wieder, wenn ich mir ein Glas Rum
genehmige und auf das Meer blicke oder ein Schiff aus
Drakon erkenne.

Es ist kein reißendes Vermissen mehr. Kein Sehnen, das so
heftig zieht und zerrt, dass es mir körperliche Schmerzen
bereitet. Es fühlt sich eher an wie jener kurze Stich im Herzen,
wenn man auf etwas, nichts Weltbewegendes, gehofft und es im
Grunde erwartet hat, es dann aber nicht eintritt. Nein, da ist
nichts Aufreibendes mehr am Dich vermissen. Meist schließe
ich kurz die Augen, wenn ich es anklopfen fühle und lasse es
herein. Es bleibt selten länger, ist mit den Jahren rastloser un'
fahriger geworden. Ein anderes ist es dafür noch nicht und ich
hoffe es wird noch einige Zeit nachhallen, doch das betrifft
nicht Dich. Das Gefühl an Dich aber macht mich ein wenig
traurig. Vielleicht, da ich Angst habe, wenn ich Dich irgendwann
garnicht mehr vermisse, nach und nach aufhöre, mich an Dich
und uns zu erinnern. Du hättest vor Eifersucht getobt, oder
Ihn gemocht weil er wie du ein Küstengeborener war mit
Sturm im Herzen und zu manchen Zeiten auch in seinen
Gedanken, doch vielleicht verblasst auch das irgendwann und
ich kann Dir etwas ausführlicher berichten.

Heute widme ich diese Seite Dir, denn auch wenn Du mich
eine Weile belogen beziehungsweise mir Dinge verschwiegen
hast, bist Du nicht unbeteiligt daran, dass ich noch lebe,
nicht viele Jahre als Spielball der Ladrao-Mannschaft herhalten
musste. Du hast es verdient, dass ich Dein Kapitel wieder und
wieder erzähle und es niederschreibe, denn sollten diese
Erfahrungen und Erlebnisse irgendwann verblassen wie Deine
Stimme in meinem Ohr, so finde ich sie hier, auf Papier oder
zumindest als Überbleibsel Deiner Handschrift auf meiner Haut.
Einen Namen würde er verdienen, wurde erst kürzlich
behauptet, doch ich fürchte nichts auf der Welt,
könnte ihm je gerecht werden.






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 27 Feb 2024 11:18, insgesamt einmal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 08 Mai 2023 13:39    Titel: Tagebucheintrag 3 - 08. Eluviar
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08. Eluviar


Liebes Tagebuch,

ich bin unsicher, wie ich heute beginnen soll, es ist
schwieriger geworden seitdem ich meine Briefe nicht mehr
allein Ihm widme und ich vermeide es hier absichtlich seinen
Namen auch nur zu schreiben. Es würd' sich anfühlen als
setzte ich die spitze Tintenfeder auf meiner Haut an, um
etwas Bleibendes zu schreiben und das ist es nach nunmehr
über zwei Jahren nicht mehr wert. Doch wäre es, für den
Fall, dass es anders gelaufen wär', doch das ist es nicht.
Dieses Buch zur Hand zu nehmen fühlt sich jedes Mal nach
einem Überwindungsgefühl an, etwas zu dem ich mich zwingen
muss, um all meine Gedanken loszuwerden. Es ist als würde
ich auf eine unüberwindbare Wand sehen, die sich
Schreibblockade nennt, doch es ist bekanntlich ähnlich wie
beim Essen, der Fluss des schreibens kommt beim Schreiben.
Mag sein, dass ich mich erst wieder daran gewöhnen und den
Vorteil der ganz eigenen und ungehörten Gedanken erkennen
muss, ebenso wie ich mich daran erinnert habe, dass Sein
Weggang nicht mein Ende war, ich leben und fühlen kann,
keinen Grund dazu, länger an einem schlechten Gewissen
festzuhalten oder mich aus Rücksicht vom eigenen Glück
abzuhalten, aye, scheiß verdammt nochmal drauf,
denn ich bin hier und ich bin jetzt.

Die vergangenen Wochen waren intensiv, eine Mischung
aus lauwarmem und sommerlichem Hochgefühl und dem
prickelnd wärmenden Feuer zu kaltem Frühlingsbeginn.
Kaum, dass ich mich des eigenen Lebens besinnt hatte, schien
auch Anderen aufgefallen zu sein, dass es mich noch gab, oder
vielleicht überhaupt gab. Vielleicht war ich für alle Anderen
auch so farblos gewesen wie für mich, ein ausgewaschenes
Blau, verlaufenes Schwarz wie wasservermischte Tinte und
fahles beige von fehlender Sonne. Und nun das Gefühl, dass
ich Hilfe dabei gehabt hatte, frische und erquickte Töne auf diese
Zeichnung aufzutragen, ein sattes schwarzbraun, meeresklares
Blau und wildwiesen-smaragdgrün, nur ein zarter Schimmer von
Hoffnung, ein Sehnen nur um meiner Willen, Hoffnung in
mein altes Ich, dessen Zuneigung sich wieder dem Meer
zugetan hatte, der Familie und auch ganz neuen Umständen.
Wieder am Ufer stehen und auf's Wasser hinausblicken,
während Gedanken durch den Kopf ströhmen, wie fließende
Bäche, die vielleicht zu strudelnden Flüssen werden,
irgendwann einmal, im Später. Ein lang' vermisstes Gefühl
von Ruhe empfinden, von Halt und Mir, ohne zu suchen.

Ich freue mich nicht nur das Meer in all seiner Pracht
wiederzusehen, auch dem nach Hause kommen sehne ich
insgeheim bereits entgegen, ehe wir losgefahren sind und das
obwohl ich einen großen Teil meiner Familie bei mir haben werde,
während wir einige Tage der alten Zeiten wegen hinaussegeln
werden. Zurück in meinem alten Zimmer, meinem Bett und
vieler, sehr vieler meiner Erinnerungen, Vergangenheit wie
auch Zukunft. Rhena ahnt es, ich sehe es ihr in jeder
Beobachtung an und frage mich, ob ich meine Gedanken so
verräterisch nach Außen trage oder man diese Zuneigung
einfach spürt. Wenn sie es auch nur ahnt, so weiß ich selbst
immerhin mit absoluter Sicherheit, wie wohl ich mich fühle,
kein Straucheln und kein "mal sehen ob" oder "was wäre wenn",
keine absichernden Planken und Sicherheitsnetze, sondern
ein naiver und alles riskierender Vertrauensvorschuss und
das verräterische Gefühl von Sicherheit. Gefährlich, doch
ich werde den Teufel tun mich dagegen zu sträuben,
solange es ehrlich ist, keine Spielchen.

Was besagte Planken angeht, so bin ich im Nachhinein
vielleicht doch erleichtert, früh genug die Reißleine gezogen
zu haben. Manchmal, wenn ich nun in den Morgenstunden
auf meinem Balkon sitze und den kräuselnden Qualm
meiner Zigarette beobachte, überlege ich, ob ich andere
Männer an dieser Stelle einfach hinausgeworfen hätte,
ob ich mich gekränkt hätte fühlen sollen - oder sollte?
Darüber dass ich mir Gedanken darum gemacht hatte,
jemanden zu verletzten und wie ich auch nur die
Frechheit eines "kleinen Mädchens" besitzen konnte ein
Wort wie Freundschaft in den Mund zu nehmen, als ganz
offensichtlichen Vorwand und als Ausrede. Als Ausrede
für was überhaupt, meine Empfindungen?! Doch ich würde
es ihm weder nachtragen noch böse nehmen, das hatte
ich unlängst beschlossen, einfach weil ich meine Worte
nicht als Floskel sondern ehrlich gemeint hatte.

Bald schon war es soweit, nur noch wenige Tage bis ich
sie alle sehen würde und die Zeit floss rasch durch die
Uhren. Gerade konnte ich mich nicht entscheiden ob
zu schnell oder nicht schnell genug, doch ich tendierte
zu Vorfreude, einfach weil ich Sivert soviele Monde nicht
gesehen hatte. Wenn man einen umtriebigen Vater hatte,
der an allen Kartenenden irgendeinen Bastard in die
Welt gesetzt, und die Mutter zuletzt mit Verachtung gestraft
hatte, so fiel es leicht einem Mann, der das halbe Leben
für das Wohl gesorgt und gekämpf hatte, diesen Platz im
Herzen zu vermachen und natürlich freute man sich
darauf seine Vaterfigur und all die dazugehörigen
Mannschaftsmitglieder und großen Brüder zu sehen.
Kein Abenteuer dieses Mal, nur rumgetränkte Erinnerungen,
laute und lange Nächte voller Kartenspiel und neuer
Geschichten, mitten auf dem Meer.






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 27 Feb 2024 11:18, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 15 Mai 2023 18:40    Titel: Tagebucheintrag 4 - 15. Eluviar - auf der Aurelia
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15. Eluviar


Wie schwer es zu beschreiben ist, das Gefühl, wenn man
in seine einst gewohnte Umgebung zurückkehrt und sich doch
soviel verändert hat. Die Zeit auch ohne die eigene Anwesenheit
weiter geflossen und gar geflogen ist und man selbst, möglichst
daran vorbeigelebt hat, um weder zu vermissen noch zu erinnern,
einst gefühltes nicht zu fühlen oder in weiser Voraussicht was da
kommen würde, könnte, sollte. Willkommen geheißen in familiären
und beschützenden Armen, geborgen und beheimatet. Doch..
was wenn das mühsam aufgebaute Konstrukt zu wackeln oder
zu bröckeln beginnt, der Windhauch auf ein Kartenhaus, nur
ein seichter Schubser in die Vergangenheit, alles was einmal
war bishin zu fernsten Kindheitserinnerungen. Seit drei Jahren
lebte ich nicht mehr ausschließlich auf der Aurelia und all die
Zeit über hatte niemand Anstalten gemacht mein Zimmer für
sich zu beanspruchen, obwohl ich ihnen gesagt hatte sie könnten.
Vasco hatte laut eigenen Erzählungen einige Male dort
genächtigt, wenn der Rücken es nicht mehr mit der Hängematte
aushielt und dennoch, war in dieser kleinen Blase fast alles
noch genauso wie ich es hinterlassen hatte. Über meiner Koje
hing noch immer das Fischersnetz, das ich mit verschiedenem
Kleinod geschmückt hatte, das verspielt hinab baumelte.
Seesterne, verschiedene Muschelpaare, Perlen und geschliffene
Steine. Ein alter, eingebauter Schrank, der nicht nur ein paar
meiner älteren Mäntel beherrbergte sondern auch meine
damalige Schiffstruhe, dessen Inneres einige Zeichnungen,
Kohlestift-Etuis, eigens vollgekritzelte und geschriebene Bücher
und auch die Zeichenkladde Abelardos enthielt, die ich
zusammen mit meinen Erinnerungen hier verschlossen hatte.

Sivert war mir schon am Steg entgegen gekommen und hatte
seine Arme wie gegenüber eines Kindes geöffnet, das man dazu
animierte loszulaufen, um sich mit aller Kraft hineinzuschmeissen.
Stattdessen war ich langsam und in restloser Andacht und in
Aussicht auf die Aurelia auf ihn zugegangen und hatte ihn zuerst
einen Moment betrachtet, ehe ich dem sehnsuchtsvoll ziehenden
Gefühl in meiner Magengegend und dem Kribbeln meiner Nase
nachgegeben und mich in seine Umarmung begeben hatte.
Wenn "Zuhause" ein Gefühl und kein Ort war, dann wusste ich
genau, wie es sich anfühlte. Hoffnungsvoll und vorfreudig,
glücklich und gleichsam wurde man kleiner und.. hilfloser, mit
dem bitteren Nachgeschmack, dass man sich schon in Bälde
wieder trennen und sich nie ganz sicher sein konnte, ob man
sich auch wohlbehalten wiedersehen würde. Es war grausam
und berauschend zugleich und in Siverts Armen kam mir diese
Bedeutung umso näher, als würde ich an Begegnungen mit
meiner Mutter oder Neroth denken, was mir gleichsam seichte
Tränen in die Augen trieb.

Während die Männer unsere Ware zum Kraken schafften,
stieg ich bedächtig die Eichenholzplanken hinauf und sah mich
genaustens an Deck um. Kurz überkam mich ein vertrautes
Gefühl, als sei ich nur zum Einkaufen an Land gewesen und
würde zurückkehren, meine Errungenschaften wie Zeichenblätter,
Bücher und Farben an Bord bringen und sie in mein Zimmer
verfrachten, doch hier stand ich, nur mit einem Seesack beladen
und kehrte für einige Tage in mein altes Leben zurück. Wir
verließen den Hafen gen Süden und liefen auf die Cabezik
aus, unser Ziel die weite und offene See, kein Gedanke übrig,
um ihn an Gerimor oder etwas wie Alltag zu verschwenden,
wenngleich es mir nicht gänzlich gelang sie alle aus meinen
Gedanken zu verbannen, weder meine Familie noch die
lebhaften Tagträume unter denen ich gegangen war.
Ein paar neue Gesichter hatten sich unter die älteren, bereits
wettergegerbten Köpfe meiner Kameraden gemischt. Ossel
hatte endlich etwas unterstützung am Steuer bekommen und
Todor der alte Schlawiner hatte seine Frau zur Unterstützung
mitgebracht, die ihm nunmehr eineinhalb Jahre in der Kombüse
half. Außerdem waren zwei junge Burschen, Brüder, hinzu-
gekommen, Jasper und Leander, die den Haufen alteingesessener
Seebären ordentlich aufzumischen schienen. Neben Irmtraud,
Todors Liebsten, blieb ich allerdings die einzige Frau an Bord
und konnte nicht behaupten böse darum zu sein. Insgeheim
hatte ich die Jahre über bereits Sorge gehabt, dass jemand
anderes meinen Platz einnehmen würde, doch scheinbar hatte
ich mich völlig umsonst gesorgt und die Kindsköpfe waren
noch immer Kindsköpfe geblieben, meine.

Die Abende hier waren getränkt von gutem Rum, etwas Whisky
den ich mitgebracht hatte, aber auch verschiedensten
Erinnerungen, die wir gemeinsam erlebt oder auch denen, die
ich verpasst hatte während ich in Bajard heimisch geworden
war. Wir alle saßen noch bis in die nächtlichen Stunden an Deck,
hatten uns mit Hockern, Fässern oder unseren Decken ein
kleines Lager aufgebaut, um die nur noch selten vorhandene
Kombination aus Gästen in vollsten Zügen zu genießen.
Nachdem Ossel von seinem neuen Liebchen in Schwarzwasser
berichtet hatte, erzählte ich Vasco von Enrico und Knut, sodass
Anamir schon bald aus erster Hand von ihren Enkeln hören würde.
Ein kleiner Schwenker in mein aktuelles Leben zeichnete den
Umriss von meinen Geschwistern, dem Kraken, und auch von
Natharian ebenso wie von Zan'. Die verschwommenen Bilder
von seichten und oberflächlichen Begegnungen ließ ich direkt
weg, würden sie mich nur Zeit kosten, die ich hier und an dieser
Stelle nicht hatte oder bereit war zu geben.

Hier in meinem alten Bett fühlte es sich nach.. Unsicherheit an.
Als würden all die Erlebnisse, Streits, all die Zweisamkeit und
auch die Jahre meines Lebens, Holzflecken von vergossenem
Lampenöl oder jedes Stück Kleinod am Netz-Baldachin mir
meine Geschichte hier vor Augen führen und als hätte ich
verschiedenste Verluste die letzten Jahre vor mich hin-
geschoben, nur um jetzt mit Erinnerungen gestraft zu werden.
Ich sehnte mich nach dem nächtlichen Körper zum anlehnen,
den Griff um meinen Rücken oder meine Seite, den einen
Handstriff über meine Wange, der mich an soviel mehr
erinnerte und für soviel mehr stand als das, was ich aktuell
erlebte. Für meine Ankunft auf Gerimor und Begegnungen
in Tavernen oder am Jasmin, für mein gut verstecktes Hautbild
und mein Küstenhaus, Abende am Strand und nie vollzogene
Abschiede, ausgebliebene Küsse und zuviel Hoffnung, aber auch
für Vertrauen und Geborgenheit, etwas wie Heimat und Zuflucht.
Wie oft ich hier schon gelegen und geschrieben und wieviel
Tinte hier ihre Heimat in Papier und Pergament gefunden hatte.
Nur zweieinhalb Tage hatte ich mit ihnen allen verbracht und
die neue Woche dämmerte bereits über uns, sodass es Zeit
wurde mein Tagebuch zur Seite zu legen, all meine Gedanken
und Gefühle zurück in meine Schiffskiste und meinen Seesack
zu stopfen, um die restlichen Stunden mit meiner Mannschaft,
meiner Familie zu genießen. Sivert hatte eine kleine Ansammlung
von Sand-Gläschen für mich mitgebracht, aus all den Häfen die
sie in der Zwischenzeit ohne aber für mich angelaufen hatten.
Dennoch war dieses Mitbringsel nur ein sehr geringer Trost
dafür, die nächsten Monate oder das nächste Jahr ohne sie
alle zu verbringen. Nichts desto trotz sah ich Bajard mit einem
weinenden und einem lachenden Auge entgegen, ich war nur
kurz fort gewesen, doch am Ende des Tages war es auch
schön wiederzukehren, in gewohnte Umgebung, zu Familie
und denen, die einem am Nächsten standen, das galt beiden
Seiten meines Lebens, der Aurelia und auch dem Kraken.






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 27 Feb 2024 11:17, insgesamt einmal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 23 Mai 2023 10:54    Titel: Tagebucheintrag 5 - 23. Eluviar
Antworten mit Zitat



23. Eluviar


Mein lieber und lang vermisster "Küstenknabe",

ich ärgere mich schon zu Beginn meines Eintrages, da ich
versproch'n hatte Dir nicht mehr zu schreiben und immerhin
zu Teilen halte ich mich daran, da nichts davon je an Deine
Augen oder Ohren dringen wird. Aye, ich rede es mir schön,
denn dies ist nur mein Tagebuch, nur in meinem Kopf und nur
für meine innere Ordnung gedacht. Es ist schon einige Monate
her, dass ich etwas wie Melancholie empfand doch heute Morgen,
nachdem ich das warme Bett und meinen Nebenmann verlassen
und mich auf den Balkon gesetzt hatte, klammerte sich das
Gespräch des gestrigen Abends mit kalten Fingern an meine
nackten Beine. Weißt Du, ich habe es fast erfolgreich hinter mir
gelassen, doch nicht weil es gänzlich verheilt und abgeklungen
war, sondern weil ich mich bewusst dafür entschieden hatte,
wieder zu leben, frei zu atmen und zu alter Unbeschwertheit
zurückzufinden. Nichts desto trotz erinnere ich mich noch sehr
gut an unsere Gespräche, manchmal, umso weniger ich darüber
nachdenke auch an die zugehörigen Gesichtsausdrücke oder
Deine Stimme. Ich habe mir lange Zeit gewünscht die
Vergangenheit zu ändern, rückgängig zu machen was ich
empfunden habe wenn Du bei mir warst, hab mir eine zweite
Chance für einen anderen Abschied gewünscht, andere Worte zu
wählen und Dich viel genauer anzusehen, als hätte das
irgendeine Auswirkung auf Dein Verschwinden gehabt.

Ich habe in den letzten Jahren einige, neue Gesichter erblickt,
neue Bekanntschaften geschlossen und tatsächlich, wenn ich es
mir rückblickend ansehe auch ein paar wirklich interessante
Menschen kennengelernt, die vermutlich viel Besseres als meine
halbherzige Aufmerksamkeit verdient hatten, die noch viel
zu sehr Dir gehörte. Ich habe mich zugleich hoffnungslos gefühlt,
da ich Dich nicht hatte retten oder bewahren können, ebenso
wie lächerlich darunter gelitten zu haben, selbst nicht genug von
mir haltend, als dass es Dir ähnlich ergangen sein könnte.
Doch dieses Mal ist es anders. An irgendeinem unbemerkten
Punkt habe ich zugelassen, dass die mühsam errichtete Mauer
erklommen wird. Vielleicht habe ich sie auch ganz bewusst
fallengelassen und ich kann es nicht einmal unterscheiden, da ich
nicht aufgepasst, sondern einfach genossen habe. Ihr könntet
verschiedener nicht sein und doch erinnert mich etwas, in mir
selbst, an Dich. Seine Sorge um mich, was sie mit mir macht,
aber auch die verworrenen Gedanken, deren Wahrheitsgehalt man
dem Dickicht aus Fantasie und Vergangenheit nur mit einer
gewissen Listigkeit entlockt. Aye, ich schreibe von wahrer und
nicht nur vorgetäuschter Neugierde, die seit langer Zeit mal wieder
wie sanfte Finger an meinen Haarsträhnen zupft und die man mit
"Alles" beantworten möchte, sollte Jemand fragen was genau
ich zu erfahren begehre.

Es ist soweit Natharian, ich habe mein eigens gegebenens
Versprechen, das Du ursprünglich nicht als Last auf meinen
Schultern zurücklassen wolltest, gebrochen, aufgehört zu warten.
Bekanntschaften und jedes Treffen, das der Kurzweil oder der guten
Gesellschaft diente thronte auf unsicheren Füßen, als hätte ich sie
auf das Kartenhaus aufgebaut von welchem ich schrieb, jederzeit
und ohne zu zögern bereit dazu, es selbst umzupusten, solltest
Du eines Tages Deinen Weg zu mir zurückfinden. Dieser Umstand
hat sich geändert, auch wenn es mir noch immer in der Seele
schmerzt, was vermutlich mehr für mich als für Dich spricht. Ich
weiß, dass Du immer nur wolltest dass es mir gut geht und es mir
nie nachtragen würdest, und auch wenn ich die gleichen Interessen
für Dich hatte, Deine Vergangenheit mit auf meinen Schultern
getragen hätte, so bin ich sehrwohl nachtragend wenn es um diese
Sache geht. Doch dieser Umstand ist nicht die ausschlaggebende
Kraft, nein. Ich fühle mich.. wach, zum ersten Mal wieder, als sei
ich erstmals wieder in der Lage irgendetwas zu fühlen. Etwas wie
Mut und Vertrauen, auch gegenüber anderen als nur meiner
Familie, Anziehung und etwas inniges, das im Nacken kribbelt und
sich zu einer Gänsehaut entwickelt wenn ich länger darüber nachdenke,
ja, sogar Verlegenheit und Du weißt wie selten die ist. Er hat Recht,
es ist beängstigend, ich kann es ebenfalls spüren und bei Gesprächen
wie Gestern nagt es unangenehm an meiner Standhaftigkeit. Doch
was wäre die Alternative dazu? - ewig einsam und allein zu bleiben aus
Angst? Ich denke ich muss es nicht ausschreiben, doch es liegt mir
nicht, mein Leben von Furcht bestimmen zu lassen, niemand sollte das!

Dennoch habe ich ihm eine Lüge aufgetischt, damit er selbst besser
mit dem ungewohnten Gefühl umzugehen vermochte, eine weitere
Zusicherung, von der ich nicht wusste ob ich sie halten könnte,
wenn es einmal soweit kam, schließlich hatte ich es schon bei Dir
versucht und war kläglich gescheitert, einige Jahre lang.
Wie nur, wie sollte man glaubhaft und vor allem in blinder Voraussicht
auf vielleicht Kommendes versprechen, sein Leben fortzusetzen,
als sei nie etwas gewesen? Ich selbst durfte nicht allzu lange darüber
nachdenken, vermutlich würde ich meine Aussage über Themen wie
Angst oder gesunden Respekt dann nochmal und entgegen meines
ersten Impulses überdenken. Das Gute an diesem Buch war jedoch,
dass kein Wort das ich schrieb bindend blieb, da ich all meine
Gedanken jederzeit komplett über den Haufen werfen und dann neu
ordnen durfte. Während ich schreibe und der beruhigend wirkende
Qualm des Glimmstängels bei vereinzelten Zügen meine Lunge
hinabfließt überlege ich, wieso ich das Bedürfnis hatte meinen Eintrag
an Dich zu schreiben. Vermutlich die Thematik, dass ich eines Tages
möglicherweise wieder vor'm gleichen Scherbenhaufen stehen würde,
man konnte nie genau wissen wie sich Dinge entwickelten, wann
ferne Sehnsüchte einschlugen oder unvorhergesehende Zeiten
anbrachen, sodass man getrennter Wege ging, wie Du und ich, nur
ohne mein Zutun oder eine bewusste Entscheidung, doch so war
es meistens, oder? In seltensten Fällen traf man gemeinsam die
Entscheidung einen Pfad zu beenden und sich an der nächsten
Weggabelung zu trennen. Egal und gleich wie es kommen würde, die
Chancen standen gut, dass ich es erneut überlebte, sowie bei Abel
und auch bei Dir. Freigeister.. ich hab einfach ein Händchen dafür
an solche zu geraten und so wie ich Dich kenne.. kannte..
kennengelernt habe, würdest Du ihn vermutlich sogar mögen,
allein weil er es fast vollständig begreift, mich wieder und wieder zum
Lachen zu bringen und aus viel mehr Nuancen als nur Schwarz und
Weiß besteht, viele dazwischen, mit und ohne Schatten,
unvorhergesehenem Schalk und tiefer Spontanität und
Kreativität statt Oberflächlichkeit.


Weißt Du, Du wirst wie Abelardo immer ein wichtiger Teil
für mich sein und bleiben, fast treibt es die Tränen in meine Augen,
wenn ich zu lange darüber nachsinne, doch nun ist meine Zeit, und
gefühlt ist es auch Seine, es würde mir nicht einfallen mich
dagegen zu wehren oder mich zu distanzieren. So vermag ich es,
mich an dieser Stelle von lang herbeigesehnten, zweiten Chancen zu
verabschieden, mich damit abzufinden, dass ich nie erfahren werde
was mit dir geschehen ist und zuzulassen,
dass es mir wirklich gut geht.






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 27 Feb 2024 11:17, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 17 Jun 2023 17:30    Titel: Tagebucheintrag 6 - 16. Schwalbenkunft
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16. Schwalbenkunft


In den Abendstunden liege ich am liebsten in der
Hängematte, dann wenn die antreibenden Wellen von Draußen
vom Meer langsam abschwächen und die Schiffe und Boote
im Hafen nur noch in seichten Zügen wiegen, während die
Abendsonne sich glaenzend umrandet hinter dem Horizont
zu verstecken beginnt. Die Luft ist noch warm genug um allein
mit einem dünnen Laken die Beine zu umschlingen und in aller
Ruhe zu schreiben während das Haus in absoluter Stille liegt.
Die hellen und nur noch leicht schimmernden Narben an meinen
Handgelenken fallen mir selbst nur noch auf, wenn ich ganz
bewusst nach ihnen schaue oder mich gezielt an ihre Herkunft
erinnere. Auch nach Jahren ihres Verheilens konnte ich das
Brennen noch immer fühlen, so ich es zuließ, nicht zwingend
an den Handgelenken selbst, sondern irgendwo tief in mir,
dort wo sie meinen stolzen und unnachgiebigen Geist für
einige Zeit gebrochen hatten. Nun, am Abend nach dem
Gespräch mit Zanadarian glühten sie förmlich unter meinen
Fingern, wie eine mahnende Erinnerung oder eine persönliche
Strafe, weil ich ihn nach seinen eigenen gefragt und mein
Glück ein weiteres Mal auf die Probe gestellt hatte, obwohl
ich genau wusste, wie ungern er sich den ernsten Themen stellte.

Doch so war das Leben nun einmal, es fügte uns wo es konnte
die verschiedensten Narben zu. Zur Erinnerung, zur Mahnung
oder Bestrafung - Äußerlich, für jeden sichtbar und auch im
Inneren, Verletztungen in unserer Persönlichkeit, unserer
Seele, Beschädigungen unseres Willens oder ehemaliger Stärke.
Verschwiegene Geheimnisse, die man aus Scham, Selbstschutz
oder aus Verdrängung für sich selbst behielt. Wahre Krämerseelen,
die ihre Verletzungen in einer Finsternis aus tragischem Geäst
verschwinden lassen konnten, wo niemand, manches Mal
nicht einmal sie selbst, die einstige Wahrheit wiederfanden.
Natürlich hatte auch ich meine Erlebnisse geschönt, doch der
grobe Umriss meiner Geschichte stimmte. Wehrlos und ohne
jegliche Vorahnung auf mein Gegenüber hatte ich mich ihren
gierigen Händen gestellt, ich hatte geschrien und mich gewehrt,
hatte versucht zu beißen und zu treten, bis ich irgendwann
aufgegeben und alles nur noch schweigend über mich hatte
ergehen lassen. Ich konnte Zan', was seine Reaktion darauf
anging, nur schwer einschätzen doch ich wusste, dass meine
Brüder und auch Sivert sich nur zu gern einer verzehrenden
Rache hingegeben hätten, die vermutlich nicht mit dem Leben
endete. Es brachte Niemandem etwas, wenn ich eine nicht mehr
auszumerzende Wut oder Rachegelüste auf einen nicht mehr
vorhandenen Gegner lenkte, denn der wahre Feind hauste
dort, wo niemand außer ich selbst ihn bekämpfen konnte,
in meinem Inneren. Vermutlich war es dennoch natürlich,
dass man die Person die man, ja,... liebte vor all den düsteren
und furchtbar verschlingenden Teilen seiner Vergangenheit
bewahren, sowie seinen und somit auch den eigenen Feind
kennen wollte. Für gewöhnlich sah man sich mehrmals im
Leben und was, wenn dann nicht die richtigen Waffen zur
Verfügung standen um sein Gegenüber aus den Schlieren
der Finsternis zu ziehen? Ehe ich duldete, dass eine dieser
Personen von der Vergangenheit verschlungen wurde, würde
ich eher nach seiner Hand greifen und mit ihm hinabsteigen
oder dem Fährmann, wenn es sein musste, persönlich seine
Münzen klauen - wohl auch der Grund wieso ich versucht
hatte etwas mehr darüber zu erfahren.

Ich hatte etwas wie Respekt oder sogar Angst erkannt,
gleichsam hatte ich beides in kurzem Anflug von Unsicherheit
am eigenen Leib erfahren. Wenn man sich selbst diese Zuflucht
von Fantasie und Geschichte suchte, ein Konstrukt um die
so zerbrechlichen Erfahrungen der Vergangenheit baute, fand
man dann einen Weg durch das Dickicht, zurück und hinaus?
Nur allzu gut wusste ich, wie einfach es war sich darin zu
verlieren, als würde man dem Rauschen des Meeres lauschen,
während man den Kopf unter die Wasseroberfläche getaucht
hatte. Zuerst war es noch ein wenig zu laut, ein bisschen zu
verschwommen, doch dann überblendete das Rauschen all
die andere Dinge, berauschend, einnehmend und zu manchen
Teilen machte es regelrecht abhängig, wie auch immer diese
Mauern sich darstellten. Durch Schweigen, sowie ich es ein
Jahr lang getan hatte um die Stille um meine Gedanken gar
trotzig und gekränkt, sogar verletzt auszuweiten, damit niemand
je von meinem Erlebten erfahren musste. Durch eine geschönte
Geschichte, eine Version des Geschehenen, die mit der Wahrheit
am Ende soviel zutun hatte wie Johannisbeeren mit Kartoffeln,
oder auch durch komplette Wesensveränderungen. Wie
selbstsüchtig war es also gewesen zu fragen, mehr erfahren
zu wollen über eine ungewisse Vergangenheit, die womöglich
einen deutlicheren Umriss um das Wesen des Gegenübers
gezeichnet hätte? Die wichtigste und alles entscheidenste Geste
war erst noch gefolgt und dennoch fühlte es sich an, als hätte ich
ihm eine schallende Ohrfeige verpasst, weil ich nur einen winzig
schwachen Moment an dem Hier und Jetzt gezweifelt hatte,
ich dämlicher Vollidiot, wo das doch die einzige Wahrheit war,
auf die es in Wirklichkeit ankam. So oder so, egal was er
preisgeben konnte und wollte, ich stand auf keinen Fall mit
leeren Händen da, schon eine Weile nicht mehr.






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 27 Feb 2024 11:17, insgesamt einmal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 13 Jul 2023 13:24    Titel: Tagebucheintrag 7 - 13. Cirmiasum
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13. Cirmiasum



-Getarntes Herz-

Hat doch auch niemand gesagt, dass man seine Einträge an
Jemand bestimmtes adressen müsste, damit es echter und
realer wird, besser aussieht oder sich im Nachhinein besser
liest. Es gab Zeiten, da schrieb ich nicht nur dem Leben
sondern auch verschiedenen Geistern Briefe, manches Mal auch
heute noch. Ich glaubte ihnen mehr zu sagen zu haben als den
Menschen um mich herum, dachte mehr Verständnis auf den
Pergamentseiten zu finden als in den Augen meiner Gegenüber.
Auch jetzt bläuen mir manche Gedanken einen Heidenrespekt
ein, da sie auszusprechen meine mühsam aufgebaute Fassade
aus Direktheit und Gleichgültigkeit in Flammen aufgehen lassen
würden. All die Dinge auf die ich zuvor keinen Wert gelegt habe,
zumindest nie offen ausgelebt vor meinen Geschwistern.
Natürlich hatte ich einmal Wert auf sie gelegt, hatte auch
damals schon die Zweisamkeit mit Abelardo genossen, den
Reiz von Nähe und Vertrauen, sogar das einlullende Gefühl
von Verliebtsein, ja, richtige Liebe. Wenn ich absolut und
vollkommen ehrlich zu mir war, dann hatte ich das alles nicht
wegen meinen Geschwistern zurückgehalten, sondern aus reinem
und egoistischem Selbstschutz. Der Eine war des Nachts aus
meinem Bett verschwunden um sich meinetwegen an seinem
Vater zu rächen und war dabei getötet worden, der Andere war
wie vom Erdboden verschluckt nie wieder aufgetaucht und
beide Male hatte das Leben mich zurückgelassen, zwischen den
Trümmern meiner eingerissenen Mauern sitzend, allein.

Was genau war mir so unangenehm daran, wenn etwas, das
normalerweise nicht zu meinem offenen Verhalten passte, direkt
vor ihren Augen passierte. Das vermeintliche Liebeslied, das mir
ob der Geste beinahe Tränen in die Augen getrieben hatte,
während die anderen wie Aasgeier auf eine falsche Bewegung
oder Reaktion meinerseits warteten. Zan' hatte Recht, ihre
wichtigste Aufgabe im Leben war es vermutlich, den eigenen
Geschwistern das Gefühl zu geben, sich mit jeder Faser lächerlich
zu machen, während sie im Ernstfall immer da sein würden um
den Rücken des Anderen freizuhalten. Zuerst hatte ich den
angedeuteten Kniefall gefürchtet, die triezenden Stimmen im
Hintergrund hatten meine Anspannung wegen der doch
ungewohnt romantischen Geste nur noch weiter geschürt, doch
nur kurze Zeit später, als die Beschreibung sonnengelber
Segel an meine Ohren drang, hatte ich alles andere in den
Hintergrund geschoben und mich im Geschenk und der
Beschreibung meines Gegenübers verloren, nur einen Moment
in dem mein Kopf in absoluter Stille und ich auf dem Deck der
Aurelia lag, den Geruch von Meer und Salz in der Nase.
Und natürlich meinte ich mit 'Kniefall' nicht diese Art von Kniefall,
etwas, von dem ich mir ohnehin nicht einmal sicher war, ob es
im Ernstfall sein Stil gewesen wäre ohne einen Spaß daraus
zu machen.



"Pik Dame", höre ich seine Stimme noch in meinen Ohren
klingen, als hätte er mich erst jetzt eben angesehen, überlegt und
dann eine blitzschnelle Einschätzung oder Meinung abgegeben.
Nicht nur wegen der Farbe also, sondern weil es irgendwie ein
verstecktes Herz ist, welches sich nur als scharfkantige Speerspitze
tarnt. Er hatte mich also erwischt, die Wahrheit erkannt, absolut
scharfsinnig oder ich hatte mir schlichtweg keine besondere
Mühe mehr gegeben etwas sein zu wollen, das ich in Wahrheit
garnicht war, nicht mehr. Es war soviel einfacher sich an die
Kleinigkeiten und Besonderheiten zu erinnern wenn es so
nah und so greifbar war und.. echt. Kein 'was wäre wenn'
mehr und auch kein 'vielleicht wäre es anders gekommen',
keine Vorstellungen und falschen Tagträume, wenn man nur
die Finger nach dem warmen Körper neben sich ausstrecken
und begreifen konnte. Ob Huckepack-tragen, warme und
knisternde Feuer, ein erster, begehrlicher und versprechender
Kuss, Regenbogenbroschen und ihre weniger glänzenden, gar
stumpfen Partner mit ganz eigener Bedeutung. Offengelegte
Worte, verklungene Erinnerungen und manches Flüstern, das
man möglicherweise schon zurücknehmen wollte, nachdem
es eigensinnig über die Lippen gepurzelt war. Ich hatte ihn
ganz. Schlichte Worte und für einen Freigeist wie ihn vermutlich
kaum zu übertreffen.

Hier, beim Schreiben in der Hängematte, den Kater und
das Buch auf dem Schoß, liegt auch der kleine Kompass
hier, der sonst stets um meinen Hals hing. Jetzt, wo eine andere
Halskette ihren Platz eingenommen hat, muss ich Enrico darum
bitten, die Glieder um einige mehr zu erweitern, damit ich ihn
zumindest zusätzlich bei mir tragen kann. Es war über die Jahre
so natürlich geworden sie um meinen Hals zu legen, dass ich
beinahe vergessen hatte, dass meine Brüder ihn mir geschenkt
hatten, gleich nachdem ich die Aurelia verlassen und mich
hier auf Gerimor zu ihnen gesellt hatte. Die Zeit war durch
die Bäche geflossen und das meistens viel schneller als man
ahnen würde, doch jedes Jahr zu meinem Geburtstag hatte ich
mich an das vorherige Jahr erinnert, ganz bewusst, um den Lauf
der Entwicklungen, Erinnerung und Erlebnisse nie gänzlich aus
den Augen zu verlieren. Doch im letzten Jahr hatte ich
nicht geschrieben, ich erinnerte mich auch so. Absichtlich
hatte ich mich davon abgehalten, während ich einen etwas
längeren Ausflug mit meiner Mannschaft gewagt hatte. Auch
konnte ich mich an das erdrückende Gefühl erinnern, all die
bisher verlebten Erinnerungen in überschwemmten
Trümmern vorzufinden, weggeschwommen, abgetrieben oder
schlichtweg unter den Wassermassen zerbrochen. Doch
all das gehörte der Vergangenheit an, nicht mehr frisch genug
um erneut über die Ironie zwischen meiner Liebe zum Meer
und ihrem Einfluss auf mein persönliches Leben nachzudenken.
Es gab ein anderes Küstenhaus, das auf welches es nun und
zu diesem Zeitpunkt ankam, mit neuen Geschichten und
anderen Empfindungen, vor allem aber mit einer ganz
anderen Art von Freiheit. Wie hatte Zanadarian gesagt?
Die Fangarme der Kette sind eher wie ein Nest gedacht und
sollen nicht so wirken, als wollte sie den Vogel mit aller Macht
festhalten. Natürlich liebte ich es, wenn der Wind der
See mir beim Aufenthalt auf der Aurelia in den Haaren lag,
aber so wie es sich anfühlte, konnte man Freiheit auch
anders finden. Im eigenen Heim, vielleicht im Gegenüber
oder auch in der eigenen Persönlichkeit, dann, wenn man
einen Teil eines längst vergessenen Ich's fand oder es
sich mehr und mehr normal anfühlte, man selbst zu sein,
mit allem was man dachte, fühlte oder wollte.






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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 28 Sep 2023 13:26    Titel: Tagebucheintrag 8 - 28. Searum
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28. Searum


Wer kannte sie nicht, aus Geschichten und Erzählungen,
den Unterweisungen der Eltern oder der umliegenden Natur,
die Tiere, welche sich zu gewisser Zeit zum Winterschlaf in
ihre Bauten und Nester zurückzogen und sich eine bestimmte
Weile vor der Außenwelt abschotteten. Es galt die kalte Zeit zu
überstehen, sich zu erholen und neue Kraft zu schöpfen, zu
schlummern, in friedlicher Ruhe mit Nichts als dem eigenen,
ruhigen Atem. Der Jagdtrieb wurde eine Weile unterdrückt,
tägliche Gewohnheiten hinten angestellt und die Welt stand
für kurze Frist absolut still. Das Heimkommen nach Bajard,
die Gesellschaft meiner Familie und vor allem auch Zan hatten
eine ähnliche Wirkung auf mich gehabt. Ich hatte verbitterte
Seiten an mir mehr und mehr vergessen, Wut und Ärger über
vergangene Verluste und Geschehnisse waren abgeklungen,
Schmerz und tiefe Pein, die wie Kerzenwachs an meinen
Fingerspitzen gehaftet hatten, waren versiegt, einfach auf
und davon. Ich hatte etwas wie zerbrechlichen Frieden
gefunden, denn natürlich konnte jederzeit etwas lauern,
dass eben jene Zufriedenheit in Gefahr brachte.
Wie dünn das Eis des Winterschlafes war konnte man nur
ahnen, darüber spekulieren und es erst dann wirklich wissen,
wenn der Zeitpunkt des Erwachens erneut gekommen war.

Eine Schwachstelle hatte ich jedoch schon immer gehabt,
die Menschen die ich liebte. Auch als Frau brach an dieser
Stelle ein unberechenbarer Beschützerinstinkt über mir ein,
wenn einer von ihnen absichtlich in Gefahr gebracht wurde.
Natürlich wusste ich um das lose Mundwerk an meiner Seite,
das Herz das auf der Zunge lag, für einen Spaß, eine Gaukelei
oder einen frechen Spruch, in Aussicht darauf das Jemand
Freude oder gespielten Ärger daran empfand. Das heimliche
Ziel, die Süßspeise unter den Süßspeisen war die Reaktion
derer, die er unterhielt. Wenn man den Schalk am gestellt
ernsten Mundwinkel zupfen sah und die Augen schon ein
verräterisches Grienen zeigten ehe die Lippen sich dazu
hinreißen ließen. Mir war bewusst wie schnell ein solches
Mundwerk in Gefahr brachte und ebenso wusste ich darum,
wie oft es ihn bereits in unangenehme Situationen gebracht
hatte, doch aus irgendeinem Grund hatte ich ihn hier, bei
mir und bei uns, in heimische Sesshaftigkeit gelockt, in
Sicherheit vermutet und auch gewünscht.

Im einen Moment war noch alles wunderbar gewesen,
ich hatte mich nicht einmal über die berobte Gestalt am
Wegesrand gewundert, doch das fragwürdige Verhalten Micha's
hatte mein Unterbewusstsein bereits geschärft und argwöhnisch
aufhorchen lassen. Die Information, dass Zan sich scheinbar
wegen irgendeines lichtenthaler Adelsaffen von einem Diener
des Raben hatte angreifen lassen brachte besagte Eisschicht
unter meinen Stiefeln zum knacken. Ein feiner Riss, der
Wasserbläschen unter der Oberfläche löste und sie kunstvoll
blubbernd und sichtbar an der entstandenen Kante entlang
tanzen ließ, als bräuchte das Gesagte einen Moment länger
um in meinem Kopf zu gelangen. Einzig der Gedanke, dass
es sich bei Zanadarian um einen erwachsenen Mann handelte,
der sein bisheriges Leben auch ohne einen Beschützer
ausgekommen war, hinderte mich daran meinen Waffengurt
aus der Kiste zu greifen, einfach weil mein erster Impuls
mich dazu aufrief. Unweigerlich fühlte ich mich zurück in
meine Vergangenheit katapultiert, zum Morgen als Sivert
mir eröffnet hatte, dass Abel ohne Abschied losgezogen war
um einen Alleingang zu wagen und mir nichts weiter
geblieben war, als zu warten - erfolglos.

Ich hing dieser Sache grundlegend nicht mehr nach, etwas
das passiert war konnte man nicht mehr rückgängig machen,
dennoch blieben Hilflosigkeit und Ungewissheit vermutlich
für immer meine größten und dunkelsten Feinde. Dieser
Frau, die sich Emilia schimpfte und die ich bisher als eher
freundlich empfunden hatte, wollte ich nichts desto weniger
mit bloßer Hand ins Gesicht schlagen, als sie die Frechheit
besaß sich auf einem unserer Plätze niederzulassen und
das nicht einmal weil sie einer Gottheit huldigte, der ich
nichts abgewinnen konnte. Sie hatte einen der Unseren,
einen Teil unserer Familie angegriffen, wie schwer oder
nicht blieb aktuell noch herauszufinden sobald ich dem
vielsilbigen Mann Solcherlei aus der Nase ziehen konnte.
Neutralität war schön und gut, doch sobald jemand
begann an der falschen Stelle anzusetzen war ich
jederzeit dazu bereit das gerissene Eis unter meinen
Füßen selbst zu durchbrechen und einen Teil meines
schlummernden, einstigen Selbst entweichen zu lassen.
Eigentlich hoffte ich selbst, dass es nicht soweit
kommen würde.






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 27 Feb 2024 11:16, insgesamt einmal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 05 Dez 2023 23:37    Titel: Tagebucheintrag 9 - 05. Alatner
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05. Alatner


-Winternacht-

Da flackerte sie also, die Kerze die zum Gedenken an
Natharian auf unserer Treppe stand. Eine Geste um
verlorenen, nicht heimgekehrten Menschen zu gedenken
und zu trauern. Trauerte ich noch? Nein. Nicht mehr.
Dennoch hatten er und das was er mir gegeben hatte es
verdient, dass man sich daran erinnerte. Ich hatte wirklich
lange Zeit gedacht ich wartete auf ihn, auch zwei Jahre
später noch, bis mir aufgefallen war, dass man auf nichts
warten konnte, das einfach nicht kam. Einfach weil warten dann
nicht warten sondern nur stehen bleiben war. Unsere Treppe,
ganz Recht, unser Küstenhaus, unser Zuhause. Im letzten
Jahr hatte sich einiges getan, einiges auch zum ersten Mal
in meinem Leben. Ein ganzes Jahr war ins Land gezogen und
eine reinweiße Decke lag schützend über den ermüdeten Pflanzen
und nackten Ästen, das Feuer prasselte erneut im Kamin und
ich erinnerte mich nur zu gern an den vorherigen Winter.

Während die Kälte des vorangegangenen Verlustes mein Herz
in schützende Taubheit gehüllt hatte, hatte sich ein neues Gesicht
unter die Gäste im Kraken geschlichen. In gar jedem Augenblick
blitzte der Schalk im grünen Augenpaar auf und erzählte bereits
vom nächsten, sich anbahnenden Scherz, einer kinderleicht
platzierten Zweideutigkeit und einer stets vorhandenen, guten
Laune. Sein Humor hatte meine Nerven zu kitzeln begonnen,
ein leises Triezen hier, ein zartes Zupfen dort, eine
unausgesprochene Herausforderung, der ich früher oder später
nicht zu widerstehen wusste. Lange Zeit hatte ich mir eingeredet
dass es niemals jemand passenderen als Natharian
für mich geben würde, die eine Meeresseele, dessen Augen von
Sturmessehnsucht und verblassten Erlebnissen erzählten, all
das was ich auch gefühlt hatte nachdem ich als Einzelgänger
an Land gekommen war. Ich hatte etwas Heimat in ihm gesehen,
das geborgene Gefühl, welches ich auf der Aurelia empfand, wenn
ich zwischen vertrauten Stimmen und Menschen lebte.

Dennoch hatte ich mich getäuscht, kläglich. Zan' sprach eine völlig
andere Seite von mir an, nein, eigentlich alle zusammen.
Nicht nur eine einzelne meiner Facetten sondern genau das, was
ich in eben jenen Momenten sein wollte, konnte oder auch musste.
Den Freigeist, ein bisschen frech und ungestüm, die Seefahrerin,
immer bereit über Navigatorenrum und Piratentorten zu sinnieren.
Die Geschichtenerzählerin, um gemeinsam in eine neue, wilde
Geschichte abzutauchen oder auch eine selbstbewusste und
begehrenswerte Frau, keinen Zweifel daran lassend, dass er
zum jetzigen Zeitpunkt nie auch nur irgendeine Andere in Betracht
ziehen würde. Kontrastreich dazu durfte ich aber auch die Seite
von mir zeigen, die ich eigentlich ausschließlich für mich behielt.
Unsicherheit und Verletzlichkeit. Dort wo ich viele Jahre am
langen Arm verhungert war, lag ich nun Nachts in seinem Arm
und stopfte mir das Herz voll. Kitschig, aye.. aber so
unfassbar wohltuend.

Noch kitschiger war vermutlich nur mein Geschenk gewesen.
Der alte und zuvor kaputte Kompass meines Vaters, eine
meiner ersten Errungenschaften mit Bezug zur Seefahrt.
Schon früher war er, auch mit gebrochenem Glas, ein großer
Schatz für mich gewesen, etwas Besonderes, das mir
irgendwann den Weg weisen würde, wäre es erst so weit
selbst zu See zu fahren. Doch sein großer Tag war nie
gekommen, niemand konnte einen Kompass mit kaputtem
oder zersprungenen Glas gebrauchen. Doch Zan's Gedanken
darüber, dass es vielleicht eines Tages keine Erinnerung an
einen von uns geben würde, weil man nie wissen konnte
wohin es verschlug oder was passierte, hatte mich nachdenklich
gemacht, bevor mir meine alte "Schatzkiste" im Haus meiner
Eltern eingefallen war. Neben dem zerbrochenen Instrument
hatte Sivert mir auch eine alte und leicht brüchige Lederpappe
mitgebracht, die eine Sammlung meiner ersten Pinsel und
verschiedenen Kohlestifte geborgen hielt. Außerdem eine
kleine Bergkristalldruse meiner Mutter und einen Holzfisch,
den mein Vater irgendwann für mich geschnitzt hatte, sowie
eine Muschelkette, die Ecki mir gebastelt hatte. Das
Wichtigste war allerdings der Schiffskompass gewesen, den
ich mithilfe Enricos wieder auf Vordermann hatten bringen
können. Während ich mich der Kompassrose angenommen
hatte, hatte der Schmied sich um das zerkratzte Gehäuse,
die Nadeln und auch die Innengravur gekümmert.

Ob es offensichtlich genug gewesen war, was ich mit dem
geschwungenen 'Z' im Pik-Symbol hatte sagen wollen?,
dem getarnten Herz? Hoffentlich, denn ich würde mich
vermutlich nicht trauen es beim Namen zu nennen, auch
wenn es dumm war. Natürlich war es kein Ring gewesen,
auch wenn Amergio sich bereits seit einiger Zeit immer
wieder andeutend darauf berief, dass ein weiterer
Barasthan unserer Familie gut tun würde, die Botschaft
dahinter war eine andere gewesen wenn auch garnicht
so weit vom Stamm fallend. Er sollte immer wieder Heim
finden, wenn er es denn wollte, und sich sicher sein, dass
er das so lang vereiste und versteckte Herz von Tamyr
Barasthan besaß, alle Achtung. Was alles Andere anging,
war ich der Meinung dass dies in Händen der Männerwelt
lag, ganz gleich welcher Zeitpunkt und welches Jahr
das Richtige war.


Die unstete Flamme der petrolfarbenen Kerze neben mir
flackerte im vorbeifliegenden Luftzug und ich wusste,
wenn die Winternacht kam, würde es mein eigener Atem
sein, welcher der Kerzen ihren Lebenshauch löschte,
zumindest für dieses Jahr. Der Abend an dem wir alle vor
Bajard zusammenkommen, gemeinsam essen und einfach
beisammen sein wollten diente auch dazu sich neue Dinge
zu wünschen und sich von alten und schmerzhaften
Erinnerungen loszusagen doch.. ich war vollends zufrieden
und hatte das Vergangene nach wie vor losgelassen.
Doch nun.. war es an der Zeit das Buch zuzuschlagen und
rasch ins Innere des warmen Hauses zu huschen.






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 27 Feb 2024 11:15, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 12 Dez 2023 19:05    Titel: Tagebucheintrag 10 - 12. Alatner
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12. Alatner


-Winternacht Teil II-

In den Abendstunden, jetzt da der gestrige Abend gänzlich
an mir vorüber gezogen ist, nutze ich die Zeit während Zan
für Hafenarbeiten unterwegs ist, sitze draußen auf den
Stufen und schreibe. Die Kerze flackert nicht mehr und hat
ihren Platz mit einem Glas Rum und einem Aschenbecher
getauscht, in dessen Inneren der ein oder andere,
angefangene Glimmstängel begraben liegt. Der Rum
schmeckt nach Kirsche, eine Note von Zimt erinnert an
besinnliche Wintertage, die man mit Abenden vorm Kamin
verbringt, in Decken gewickelt, während man aus dem
gleichen Glas trinkt und über das vergangene Jahr sinniert.
Es ist -mein- Rum, eine liebe Geste Irvins, die ich durchaus
zu schätzen weiß. Abgesehen davon bin ich mir im jetzigen
Moment aber nicht sicher, ob ich ihn lieber ohrfeigen oder
bis an's Ende Nharams jagen möchte, dafür, dass er dieses
Thema aufgekocht hat. Darüber hinaus frage ich mich, wieso
es mir soviel ausmacht und seit wann? Wann, bei allen
Meeresgöttern, war ich zu dieser Frau geworden, zumindest
zu einem Teil oder einer Version, die ich nie sein wollte?

Ich wusste noch genau wieso ich niemals zu einer dieser
Frauen hatte werden wollen. Weil ein Leben auf See mit
schreienden Bälgern kaum möglich geworden wäre und mit
einem Mann, den ich nur alle paar Monde an Land sah, schon
garnicht. Doch irgendwo zwischen Krakengeschwistern,
Jasminbüschen, Erdbeertorte, Regenbogenbroschen und
Kirschweinküssen hatten sich die Grenzen dieses Bewusstseins
verschoben, als hätte man einen Tropfen Farbe auf eine nasse
Leinwand gegeben. Die Linien verflüchtigten sich und
schwammen auseinander, verspielt und unkontrolliert, aber
auch ein wenig beängstigend, da man nie wusste wie weit
die Farbadern verliefen. Ich wusste nicht ob ich darüber
weinen oder lachen sollte, doch die Menschen in meinem
Umfeld und auch die Zeit an Land hatten mich verändert
und nun.. ja nun, war ich eine dieser Frauen. Noch immer
keine von denen die sich nach schreienden Kindern sehnte,
beim Klabautermann nein, aber eine, die ihre Schwester
darum beneiden würde, wenn ihr und Irvins großer Tag kam.

Vielleicht würde ich ihn auch irgendwann erleben, doch auch
ich kannte diese Stimmen, von denen Zan in ruhigeren
Momenten zu sprechen begann. Sie hatten sich viele Jahre
in schwächeren Momenten an meinem Geiste sattgefressen,
hatten mich des Nachts in tiefe und dunkle Abgründe gezerrt,
wie Hände, die nur darauf warteten, dass man einen Fuß zu
weit aus dem Bett hielt. Sie waren verstummt als wir nach
Bajard gegangen waren, immer ein wenig mehr und vollends,
als Zanadarian mit mir in dieses Haus gezogen war. Doch hin
und wieder, in den passenden Augenblicken konnte ich die
kalte Hand beinahe in meinem Nacken spüren, den bittersüßen
Hauch der triezenden und hässlichen Stimme, die auch mir
zu Gute kommen ließ, was sie am besten konnte.
Selbstzweifel.

"Was, wenn er eines Tages gehen würde?"
"War ich es überhaupt wert seine Gewohnheiten zu ändern?"
"Was, wenn ich einfach nicht genug war, um zu bleiben?"
"Wie würde ich einen weiteren Verlust überstehen?"
"Ob ihm bewusst war, dass ich ihn wirklich liebte?"
"Was, wenn er nicht das Gleiche empfand?"


All das hatte ich bisher gutmöglich zurückgeschoben und
verdrängt. Ich war bisher immer eine starke und selbstbewusste
Frau gewesen, mindestens nach Außen hin, und ich hatte nicht
vor etwas daran zu ändern. Er selbst kannte vermutlich schon
viel zu viel von mir um schwache Moment vor ihm zu verstecken,
doch für die anderen sollte möglichst verborgen bleiben, was
in meinem Inneren vorging. Er fürchtete sich von der Zukunft,
ich denke sogar das hatte er schon immer, auf seine Weise,
aber in Bezug auf mich glaubte ich, war es nicht sein eigenes
Schicksal das ihn ängstigte, sondern meines. Ich schämte
mich für gestern Abend, zutiefst, ich wollte keine dieser Frauen
sein und doch hatte ich ihm meine glasigen Augen gezeigt,
einfach weil mir Worte nicht richtig gelingen wollten und ich
ihn wissen lassen wollte, dass das hier keine Laune von mir
war. Keine Spielchen, wie wir es am Anfang beschlossen hatten.
Es hatte sich beängstigend entblößend angefühlt, aber es
war echt gewesen, wahrhaftig und ehrlich. Eine solche Frau
war ich ihm gegenüber immer bereit zu werden.

Ich lehne mich zurück, spüre das feste Holz der Eichentür
an meinem Rücken und lasse etwas Tabakqualm in den
kalten Abendhimmel emporsteigen. Der Rum schmeckt
nach Kirsche und der Zimt erinnert mich an warme
Kaminabende und eine Decke.. und ihn.
So habe ich mir gewünscht, dass er bleibt.






Zuletzt bearbeitet von Tamyr Barasthan am 27 Feb 2024 11:15, insgesamt 3-mal bearbeitet
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Tamyr Barasthan





 Beitrag Verfasst am: 27 Apr 2024 09:35    Titel: Tagebucheintrag 11 - 26. Wechselwind
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26. Wechselwind


Zeit ist etwas Sonderbares. Wartet man auf etwas
Bestimmtes, so kann man den feinen Sandkörnern förmlich
beim Hinabrieseln zusehen. Träge, trocken und meistens auch
viel zu hoffnungsvoll gesellen sie sich Sekunde um Sekunde
und Sekunde zu ihren Gefährten. Lässt man die Zeit erst einmal
los, schließt mit bestimmten Dingen ab und lässt es einfach
geschehen, so verliert man rasch den Überblick. Tag um Woche
und Monat purzeln hindurch, sie ist unwichtig aber gleichsam
doch so gewichtig wie nie zuvor. Heute war es genau vier
Jahresläufe her, dass ich Ihm das erste Mal begegnet war.
Unheilvolles graublau, rauchblaue Schwalbenflügel und lang
beklagte Sturmtrauer. Ich hatte schon vor einiger Zeit aufgehört
die Tage zu zählen, festgestellt dass auf etwas zu warten das
nicht kommen würde, nicht mehr zurückkehren wollte oder für
immer verloren blieb, ein trost- und rastloser Zeitvertreib war.
Wenn man einem Geist nachtrauerte, würde kein Licht am Ende
des Tunnels kommen, gefangen im Stillstand und im Kerker
des eigenen Kopfes. Heute und Jetzt gab es allerdings keine
Sturmtrauer mehr für mich, zumindest keine die durch
vorbeigezogene Möglichkeiten, verflossene Liebschaften oder
Dinge wie Jasminblüten, vollzogene Rachepläne und
ausbleibende Heimkehr eintrat.

Heute gedachte ich anderer Dinge. Huckepack-Spaziergängen
durch den Schnee, Erdbeersahne, verschenkten Heimbringern
in Form von alten, einst zerbrochenen Kompassrosen, Broschen
in Farben des Regenbogens und stumpfem Silber, Glanzlichtern
und Mattierungen, Kissenburgen, Baumhaus-Nächten,
Bergkristall-Vögeln, in Rum eingelegte Früchte, Kirschwein,
Schlafliedern, Fingerfarben, Geborgenheit, Übernachtungsabenden,
Geschichten-Abenteuern, Piratentorten und zu guter Letzt auch
unverblümte Wahrheiten, Erkenntnisse. Ein ganzes Jahr war
ins Land gezogen, seitdem eine gänzlich andere Farbe allen Raum
für sich beansprucht hatte. Tiefes, einnehmendes und sattes
Grün, etwas das mich mit all seiner Macht mit dem Leben an
Land und auch dem Meer verband, da ich nie ohne eine Erinnerung
an meine alte Heimat schlafen musste, wenn ich es nicht wollte.
Ich würde lügen, würde ich behaupten dass es dieses Mal
ohne die vielgehassten Unsicherheiten von Statten gegangen war,
denn das erste Mal hatte ich erlebt wie es war, die Kontrolle teilen
zu müssen, es auch zu wollen, um mögliche Freiheiten zu bieten,
das was jeder Freigeist schlussendlich brauchte. Nichts desto
weniger war auch für mich der Drang in die Ferne geschmolzen,
ich hatte mich also am Ende wirklich eingelebt, nun da der Kraken
und auch er in Bajard Wurzeln geschlagen hatten. "Wo das
Herz in Freiheit gebunden" war so treffend, dass vermutlich
nicht anderes diesem Satz je gerecht werden würde.

Wie oft ich immer wieder gefürchtet hatte, dass es sich
möglicherweise um einseitige Empfindungen handelte. Nicht weil
man mir das Gefühl gegeben hatte, sondern weil ich immer
wieder die Zweifel und Ängste zur Zukunft vernommen oder
gesehen hatte. Doch seine Erkenntnis war auch die meine
gewesen, endlich. Wer brauchte schon das Wörtchen Liebe alle
Nase lang hören, wenn man sie sehen und spüren konnte, in
Blicken, Berührungen oder auch in gänzlich andere Worte
gekleidet. Liebe berauscht, sagt man. Sie ernüchtert oft, sag
man. Liebe lässt klar sehen, sagt man. Sie macht blind. Liebe
verdirbt, Liebe veredelt, sie stärkt, bringt Pein und gleichzeitig Glück.
Doch wer ist eigentlich dieser "Sagtman"? Liebe macht garnichts,
wir selbst machen sie zu dem, was sie uns wird, zu dem was wir
brauchen, zu dem was uns glücklich und zufrieden macht.
Ganz einzigartig und alleinstehend, mit viel Abstand zu anderen
Dingen. Ein Jahr, dreihundertfünfundsechzig Tage, unzählbare
Momente, ein guter und kein verschwendeter Grund sie zu
zählen und ein guter Beginn für viele, viele Stunden die noch
folgen würden. Heute hatte ich keine Angst mehr vor dem Morgen,
nicht vor kommenden Unsicherheiten und auch nicht vor ein
wenig Geduld, alles hatte seine Zeit. Ich hatte gedacht mein
Tagebuch wirklich nachlässig zu behandeln, es viel zu lange nicht
mehr in der Hand gehabt zu haben, aber jetzt, da ich geschrieben
habe wird mir bewusst, dass es vielleicht garkein schlechtes
Zeichen ist, wenn kein Drang besteht auf das stumme, offene Ohr
zurückzugreifen, dessen Seiten man durch einen dicken
Einband verschließt.

Vier Jahre war es her. Drei, dass ich angefangen hatte
meine Gedanken um alles dagewesene im Kreise zu drehen und
nach jedem Strohhalm zu greifen. Hatten sie mir geholfen?
Ganz und garnicht. War ich klüger daraus hervorgegangen?
Man wusste es nicht genau, aber ich hatte meine Augen und
schlussendlich auch mich selbst für andere Dinge geöffnet.
Würde ich es wieder tun? Ja und Nein. Für diese Person, die mich
Jahre meines Lebens hatte warten lassen, nein, diese Reißleine
war schon vor langer Zeit gerissen. Für diesen einen Menschen,
der hin und wieder nach einem Abenteuer griff und von dem
ich sicher war, dass er seine Heimat in uns, in mir, sah?
Ja, weil ich ihm bedingungslos vertraute und ich nun zu ihm
gehörte. Zeit ist etwas Sonderbares,
Liebe auch.






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