[Q] Der Blick des Adlers

[Berenguer von Salberg]

Mit einem Ächzen wuchtete Berenguer den Bücherstapel vor sich auf den Tisch. Er kontrollierte noch einmal, ob er genug Kerzen neben sich auf dem Boden gestapelt hatte um im Zweifel die ganze Nacht durchzulesen.

Eigentlich war er kein Bücherwurm, er war eher ein Mann der Tat. Deshalb wäre eine Laufbahn im Konvent - selbst wenn er die Gabe der Liedwirker gehabt hätte - für ihn nie infrage gekommen. Nein er hatte stattdessen den Weg eines Kriegers gewählt und war irgendwann mehr zufällig zum Geweihten geworden. Aber selbst als Geweihter war er mehr ein Mann der Tat, was ihn dann auch irgendwann für die Position des Inquisitors ausgezeichnet hatte.

Doch auch ein Inquisitor war nunmal noch ein Geweihter und musste sich dann zumindest gelegentlich - auch wenn einem das weniger behagte - in staubigen Wälzern vergraben.

Wieso er sich in der Klosterbibliothek einigelte und sich in alten Seiten verlieren wollte? Nun, das hatte mit der Vision zu tun, die die Schildmaid den Geweihten der Temora und Meisterin Vala Hammergrund jüngst gesandt hatte. In dieser Vision hatte die Seherin vom "Blick des Adlers" gesprochen. Ein seltsamer Ausdruck und so wie er verwendet worden war, könnte damit durchaus ein Gegenstand oder etwas dergleichen gemeint gewesen sein. Leider hatten göttliche Visionen es so an sich, häufig zunächst einmal mehr Fragen aufzuwerfen als sie beantworteten. Die zentrale Frage dieser Vision war also: "Was beim gefiederten Arsch von Kra'thor ist dieser Blick des Adlers?"



Tja - und wie beantwortet man so eine Frage? Wenn man nicht gerade noch ein Ritual durchführen möchte um noch eine nebulösere Antwort zu erhalten, die dann ncoh mehr Fragen aufwirft, dann kann man ja auch einmal versuchen verlorengegangenes Wissen wiederzufinden. Und wo tut man sowas? In Büchern - und die findet man in einer Bibliothek.

Deshalb hatte Berenguer sich von Gnaden Oceana, der Bibliothekarsgehilfin erst einmal alle Bücher geben lassen bei denen Artefakte und Relikte der Temora Erwähnung fanden. Ein verdammt großer Stapel war das geworden! Aber alles jammern half ja nicht- also frisch ans Werk, die Nacht war jung und würde lange werden...

[Raia Lathaia]

Mitten in der Nacht als Raia ihren gewohnten letzten Gang durchs Kloster absolvierte, sah sie das Licht in der Bibliothek. Doch ihre Schritte lenkten sie zunächst in die Küche. Ein kleines Tablett mit naschbaren Kleinigkeiten, ein starker Kaffee und ein kühles Bier aus dem Gewölbekeller fanden darauf ihren Platz.

Vorsichtigen Schrittes suchte sie nun die Bibliothek auf und lächelte als sie Berenguer dort sitzen sah.

Still stellte sie das Tablett neben ihm ab, lächelt kurz und griff nach einem der noch geschlossenen Bücher... Gemeinschaft. Sie war froh etwas zu tun zu haben und in dieser Nacht nicht alleine zu sein. Dankbarkeit.

"Der Blick des Adlers..."

[Berenguer von Salberg]

Viele Tage waren vergangen seit er mit seiner Recherche begonnen hatte. Der Stapel der erfolglos durchforschten Bücher war in dieser Zeit gewachsen und gewachsen. Zu viele Tage und zu viele Bücher für einen Mann, der nicht zum Gelehrten taugte und doch hielt er es hier mit Boresal und der von ihm verkörperten Tugend der Tapferkeit: Er ließ nicht von seiner Aufgabe ab, so sehr sie ihm auch gegen die Natur ging. Selbst während seiner mehrwöchigen Klausur im Kloster, bei der er sich von der Außenwelt weitestgehend abschottete und tief in der Mediation versank, um sich in den Tugenden der Geistigkeit und der Demut zu üben kehrte er immer wieder in die Bibliothek zurück.

Und so wälzte er weiter Foliant um Foliant auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, was denn der Blick des Adlers sei. Er gemahnte sich selbst zur Ruhe und zum Durchhalten im Vertrauen darauf, dass Temora ihn schon eines Tages zum richtigen Buch würde greifen lassen...

[Der Erzähler]

*die Kerzen waren erneut fast heruntergebrannt, als Berenguer den Kopf von einem Buch hob und im Halbschlaf die nächste Seite umblättere. Ein kleiner, verblasster Zettel war dort zu finden, der beinahe durch das umblättern hinausgesegelt war*

"Der Blick das Adlers wird ihnen folgen und beflügelt vom Licht entgeht ihm nichts. Im Licht sowie in den Schatten und selbst in der vollkommenen Dunkelheit, werden seine scharfen Augen sein Ziel erspähen, es finden und es ergreifen."

*direkt neben dem Zettel, der scheinbar einst gut befestigt worden war, fand sich in dem Buch über Visionen eine Erklärung dazu*

Jener Auszug einer Vision, die ich bewusst als Beispiel notiert habe, zeigt uns im Grunde das wir als Geweihte auf die besondere Kraft Temoras als Seherin, vertrauen müssen. So wir unseren eigenen Blick aufmerksam auf das richten was wir zu Erreichen versuchen, werden wir durch die Kraft Temoras, neuen Hürden Stand halten und letzten Endes unser Ziel finden. Ob es sich hierbei um einen Feind handelt oder etwas das wir suchen oder versuchen herauszufinden, hilft uns die klerikale Kraft einen Adlerblick zu bekommen. Umso näher wir Temora stehen umso ausgeprägter entwickelt sich jene Fähigkeit.
Visionen wirken im ersten Moment zumeist verschlüsselt und verworren, doch schenken Sie uns wichtige Einblicke, die uns dann die Augen öffnen, uns leiten und somit für Klarheit sorgen, außerdem....*weitere Ausführungen über verschiedenste Visionen und Deutungen und wie jene zu verstehen waren folgten.*

[Berenguer von Salberg]

Der schon dem Schlaf nahe Inquisitor fährt wie vom Blitz getroffen hoch als er die Worte auf dem Pergament entziffert.

Endlich! Ein Ergebnis! Kein ganz so eindeutiges wie er es sich gewünscht hatte aber immerhin! Seine Recherchen hatten Früchte getragen!

Sofort fertigte er sich eine Abschrift der Notiz in seinem schlauen Büchlein an und nahm sich fest vor, dies auf der nächsten Geweihtenbesprechung einfließen zu lassen...