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De profundis
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Velvyr'tae





 Beitrag Verfasst am: 13 Feb 2023 10:18    Titel: De profundis
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Die schlanke Klinge tanzte, beseelt von der selbstvergessenen Trance des Kampfes. Ihr Sein stand in Flammen, verbrannte jeden Gedanken zu Asche. Nur der reine Instinkt, die pure Essenz aller Wahrnehmungen blieb zurück und verschmolz Körper und Waffe zu einer untrennbaren Einheit. Die Luft war geschwängert vom metallischen Geruch des Blutes, legte sich wie ein Schleier auf ihre Sinne. Ihr Blut, ihre Wunden, oder die ihres Gegners? Es war nicht wichtig. Jeder Tropfen steigerte ihren Rausch, jedes Rinnsal bahnte den Weg zum endgültigen Verlust des schrumpfenden Ich inmitten von Schmerz und Hass.

Ein Stocken der Bewegung, eine Axt, schwer und unelegant, die sich gehässig tief in ihre Schulter biss. Ein heiseres Röcheln, ihre Knie knickten ein und sie fiel mit der stillen Eleganz einer Raubkatze. Ein Aufprall, vorbei.


Mit einem schlaftrunkenen Keuchen fuhr sie hoch, den Umhang, der ihr notdürftig Wärme gespendet hatte, dabei zu Boden befördernd. Der Übergang von Traum und Realität war zu abrupt, ihr Blick irrte weiterhin umher, den längst vergangenen Gegner suchend. Nur mühsam ließen sich die gierigen Atemzüge beruhigen, und ihre Hände krallten sich in das raue Tuch ihres Hemdes. Sie kannte diese Träume, die aus dem Nachhall ihrer Erinnerungen ein blutiges Bild erschufen. Ihre Muskelstränge brannten wie Feuer, und sie konnte in den kribbelnden Fingerspitzen noch immer den Griff des Rapiers spüren, das schon seit langer Zeit verloren war.

Unmöglich noch einmal Ruhe zu finden, nicht jetzt. Unruhig setzte sie sich auf, die sehnigen, von kleinen Narben übersähten Hände um ihre Knie geschlungen.

Angst schneidet tief, fordert Härte heraus. Denn wer sich der Angst beugt, wird niemals stark.

Zwischen ihren Schulterblättern pochte die alte Narbe schmerzhaft und eigenartig beruhigend. Vergangener Schmerz, der sie daran erinnerte wer sie war und woher sie kam. Die Schmerzen gaben ihr Wurzeln, verankerten sie in einer Welt, in der sie keinen Platz mehr hatte.
Ihre nachtblauen Finger hoben sich, strichen gedankenverloren über ihren Nacken. Noch in der Vergangenheit der Träume versunken, erwartete sie dort die fein erhobenen Linien ihrer Runen zu finden. Doch natürlich war dort nichts als eine vernarbte Fläche, ein Trümmerfeld, dass sie als das Nichts auswies, zu dem sie wieder geworden war. Sie zwang ihre empfindlichen Fingerkuppen alles in sich aufzunehmen. Die Wellen des Verlustes, des Zorns und der Demütigung zu ertragen.

Dann erhob sich die Lethra, ihren Umhang um die Schultern ziehend. Sie trug nichts mehr bei sich, weder Waffen noch Ausrüstung, keinen Rang und auch ihr Körper hatte sie im Stich gelassen. Aber aufgeben war keine Option.

Schwäche ist nicht nur gefährlich. Sie ist unentschuldbar.

Sie verließ die kleine Höhle, in der sie den gefährlichen Tag verbracht hatte. Es war nicht mehr allzu weit, ehe sie den Ort erreichen würde der sie zu sich rief. Die Träume, die Erinnerungen, die sie tief begraben und vergessen glaubte, alles zog sie dorthin. Die geschundenen Fingerspitzen brannten, doch sie grub entschlossen die Finger wie Krallen fest in den Stein und zog sich auf den nächsten Felsvorsprung hoch. Die überanstrengten Muskelstränge taten trotz aller Schmerzen, aller Mattigkeit ihre Pflicht. Und so stand sie nach wenigen Augenblicken auf der Kante der Felsformation, hoch aufgerichtet und mit straff gespannten Schultern. Ein Bild der Wachsamkeit, der alten Geschmeidigkeit. Doch ihre tiefgrünen Augen verrieten den Zweifel, die Müdigkeit, waren immer schon verräterische Tore hinter die Masken der dienstbaren, unauffälligen Lethra gewesen.
Aber wenn ER rief, dann würde sie folgen, bereit sich im Fegefeuer seines Willens verbrennen oder neu schmieden zu lassen. Wachsen oder vergehen, ohne Kompromisse.
Die tiefschwarzen Wimpern senkten sich, begruben Zweifel und Schwäche.

Ein Sprung, ein leises Rascheln, dann war sie verschwunden, verschmolzen mit den Schatten der Nacht.
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Velvyr'tae





 Beitrag Verfasst am: 17 Feb 2023 17:29    Titel:
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Ein vorsichtiger Blick über die Schulter, Stille. Nichts war zu hören außer den ureigenen Geräuschen des Axorns, die ihr schleichend wieder vertraut wurden. Noch reagierten ihre Sinne empfindlich auf diese Geräusche, ließen sie nur selten ganz zur Ruhe kommen. Aber bald würden sie gefiltert werden und ihr nur noch Abweichungen zur Norm die Ruhe nehmen.

Velvyr bewegte vorsichtig einen moosbewachsenen Stein, so groß wie ihre flache Hand. Dahinter öffnete sich ein kleiner Hohlraum, gerade groß genug um einen Beutel darin aufzubewahren. Ein seltsam zufriedenes Gefühl durchlief sie wie ein Schauer, rasch wieder zur Ordnung gerufen.
Sie war wieder Jemand – selbst als Made. Ein Teil einer Gemeinschaft, Teil Seiner Ordnung.
Natürlich war es demütigend die einfachsten Aufgaben zu übernehmen, eingeengt von strengen Regeln und Unterordnung. Demütigend, ihre vernachlässigten Muskeln zu den Bewegungen zu zwingen, die sie vor Jahrzehnten erlernt hatte. Schmerzhaft zu sehen, wie nutzlos ihr Körper geworden war. Und doch. Ein Teil ihrer Selbst wollte sich auflehnen, wütend die engen Grenzen aufbrechen und sich ihre alte Stärke und ihren Freiraum einfach nehmen. Aber manche Lektionen bleiben, hinterlassen ihre Spuren tief in Geist und Fleisch.

Demütigung und Schmerz waren notwendig, pflasterten den Weg hin zum Zorn. Einem Zorn, der in ihr wohnte, beherrscht und kultiviert, wie man es sie gelehrt hatte. Türen öffneten sich in ihrem Geist, ließen Erinnerungen aufsteigen – quälende und andere, tiefere.

Der Tetrarch, seine Hand drohend um ihre Kehle gelegt. Eine tiefgrüne, amorphe Masse, sich ihrem Blick immer wieder entziehend. Der Dämon Furmas, dessen Brüllen ihren Körper bis in die tiefsten Ebenen erschütterte.

Und dann eine Stimme, immer am Rande ihrer Wahrnehmung. Verlockend, voll herrlicher Disharmonie. Aber nie war sie wirklich greifbar, so wie es damals gewesen war, bevor ihr Versagen sie in die Bedeutungslosigkeit zurück schleuderte.
Und in ihr wuchs eine Sehnsucht, ein Verlangen diese Stimme wieder zu hören, unter ihrem Einfluss zu brennen. Wachsen, streben, weiter und weiter ohne Rücksicht.

Velvyr holte ein Büchlein aus einer der tiefen Taschen ihrer Robe. Es war lächerlich im Vergleich zu dem, was ihr einst zur Verfügung stand. Kein Verzeichnis, keine Karten. Keine gewachsene Bibliothek an Informationen. Aber es war ein Beginn. Und dieser Beginn wanderte nun in eine schützende Lederhülle, zurück in den kleinen Hohlraum. Ein Versteck, ein kleines Geheimnis, sorgfältig bewahrt. Lächerlich, ja. Aber ihres alleine.

Der moosbedeckte Stein wurde mit Liebe zum Detail wieder an seinen Platz gesetzt. Dann wandte sie sich um, auf leisen Sohlen wieder in die belebteren Teile des Axorns wandernd. Zeit für neue Aufgaben.
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Velvyr'tae





 Beitrag Verfasst am: 24 Feb 2023 16:18    Titel:
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Schmerz lief zäh wie Honig ihre überdehnten Sehnen entlang als sie die Feder auf das Blatt senkte, süß und einlullend. Das Echo der heutigen Lehre blieb ihrem Körper als mahnende Erinnerung erhalten, sehr passend zum Thema.

„Das achte Gebot lautet…“ schrieb sie in ihrer akuraten Schrift, den Schmerz als notwendigen Teil der Übung annehmend.

Während die Hand mechanisch ihre Arbeit tat, wanderten ihre Gedanken durch die Ereignisse der letzten Tage. Nach ihrem Versagen und der langen Abwesenheit war es notwendig, ihren Wert erneut zu beweisen und zu zeigen, dass sie nach der Art ihres Volkes bereit war sich unterzuordnen, gleichgültig was von ihr verlangt wurde. Aber wichtiger – zumindest für sie selbst – war der Neuaufbau ihrer Kontakte. Sie fühlte sich leer und nutzlos ohne Wissen, ohne die sorgsam gepflegten Beziehungen, die ihr damals Einblick in die Ebene hinter den Geschehnissen gewährt hatten. Zeit und Mühe waren notwendig um auch nur einen Bruchteil davon wieder herzustellen.
Der erste Schritt würde es sein im Axorn zu sondieren, wie die Loyalitäten und Beziehungen zwischen den klaren Vorgaben der Hierarchie aussahen. Zu verstehen, wie diese Gemeinschaft funktionierte und ihren eigenen Platz darin zu finden. Ihre niedrige Position gab ihr immerhin Gelegenheit, während zahlreicher Belehrungen ihre Geschwister kennen und verstehen zu lernen.
Jyn’drarr, der Junglethoryx, würde vermutlich - hoffentlich - ihre Hauptquelle von Wissen und Fortschritt werden. Demonstrativ begannen ihre Schultergelenke wieder zu schmerzen, eine feine Erinnerung an seine Lehrmethoden die in ihrer Direktheit nur allzu vertraut waren. Aus Schmerz entstand Wissen und Fortschritt, aus Schmerz entstand am Ende jene Art von Stärke, die dem Einzelnen nur noch die Wahl lässt zu funktionieren oder zu brechen.

Der angehende Lethyr wiederum unterschied sich auf subtile Weise von den Anderen. Er war offener ihr gegenüber, ließ sie frei sprechen und schien tatsächlich zuzuhören. Velvyr gab sich keinen Illusionen hin. Qy’lhor hatte als Lethyr seinen eigenen, verzehrenden Weg vor sich und würde sie ohne Skrupel zur Umsetzung seiner Ziele benutzen. Es war die Art ihres Volkes und notwendig, um Alatars Willen gerecht zu werden.
Sie selbst würde für den Moment von seinem Wissen profitieren und ihn weiter beobachten um zu verstehen was ihn antrieb, ob er wirklich das Potential hatte zu wachsen und eines Tages Entscheidungen von großer Tragweite zu treffen. Es mochte sich lohnen, Loyalität aufzubauen und zu pflegen.

Die Feder wanderte weiter, die auferlegte Aufgabe erledigt, notierte sie nun Bruchstücke von Unterhaltungen und Listen an Besorgungen. Die Aufgabe des Letherx stand als nächstes bevor, nicht für sich genommen interessant. Aber die Hilfsmittel um seine Aufgabe zu erfüllen, waren es doch.
Wie stets beruhigte sie das leise Geräusch, die Art wie die Tinte sich unwiderruflich in das Pergament fraß. Sie schuf etwas Nachhaltiges, ihre eigene kleine Bibliothek, einen Raum außerhalb ihres Kopfes der nur für sie zugängig war.

„Clericus Vindheim…“ schrieb sie auf eine bislang unbenutzte Seite ihres Büchleins, während sie sich die bernsteinfarbenen Augen des Mannes in Erinnerung rief, der sich zur Beobachtung der Lehre am Pranger eingefunden hatte. Der Tempel Rahals weckte andere Erinnerungen, hob Gesichter und Geschichten aus der Tiefe, lange vergangen und vergessen. Abseits der Höflichkeiten waren seine Worte tiefgründiger gewesen, als sie erwartet hatte. Sie würde vorsichtig nach Wegen suchen müssen dem Tempel näher zu kommen und zu sehen was es dort über die Denkweise der Menschen zu lernen gab.

Dann klappte ihr Büchlein wieder zu und sie machte sich auf den Weg, es wieder an seinem verborgenen Platz zu verstauen. Ohne Privatsphäre in der Madenhöhle war es nicht einfach, Geheimnisse zu bewahren. Aber sie hatte Übung darin sich ihren Raum zu nehmen und bislang interessierte sich niemand tiefer gehend für sie. Gut, wenn es außerhalb der Unterweisungen so blieb.
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Velvyr'tae





 Beitrag Verfasst am: 04 März 2023 19:03    Titel:
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Blut und Maden

Die Wundränder der Stichwunde wurden von einem Faden zusammen gehalten, das Muster nicht besonders kunstvoll, aber ausreichend für seinen Zweck. Noch war ihr Fleisch geschwollen und empfindlich, ebenso wie der Schnitt in ihrer Handfläche, der davon ausgehende Schmerz ein a-rhythmisches Crescendo das ihren Arm nach oben und wieder hinab kroch. Die Hülle erinnerte sich an ihre Lehren, Wunden schrieben ihre eigene Geschichte auf den Leib.

Sie nahm den Schmerz wie er kam, atmete routiniert durch ihn hindurch während sie eine selbstgemischte Paste aus Honig und Knoblauch an den Wundrändern verteilte.
Eine frische Bandage wurde mit Mühe und begleitet von einer neuerlichen Schmerzwelle um die Schulter gewunden. Ein zweites Paar Hände wäre hilfreich, aber sie wollte keine der Lethrusaren mit einer so banalen Aufgabe stören. Und den Besitzer der Hände, welche die Erstversorgung der Wunde unternommen hatten, wollte sie ebenfalls nicht um etwas bitten müssen. Eine flüchtige Erinnerung streifte sie wie Finger auf der Haut, hinterließ in ihrem Nacken ein leises Kribbeln. Ihr Blut, irgendetwas an ihrem Blut. Sie musste herausfinden, was es damit auf sich hatte.

Nachdem ihre Wunden frisch versorgt waren, dehnte sie vorsichtig die lädierten Muskelstränge ihres Körpers. Letharen kannten nichts anderes als den Dienst, keinen Müßiggang. Und nach viel Mühe, Schweiß und Blut kehrte langsam wieder ein Teil ihrer alten Geschmeidigkeit zurück, die Sicherheit in der Bewegung und damit auch das Vertrauen in ihre Fähigkeiten.
Aber das was sie im Grunde wollte, blieb ihr verwehrt. Ein Flüstern nur am Rande ihrer Wahrnehmung, gleichgültig gegen ihr Sehnen und Streben.
Eine stete Erinnerung daran, dass sie mit ihrer Vergangenheit nicht abgeschlossen hatte. Oder die stumme Erwartung ihre Vergangenheit abzuschließen und all ihre Kraft auf die Gegenwart zu konzentrieren? Sie wusste es nicht.
Was blieb, als Seinen Weg weiter zu gehen und zu hoffen, wieder im sengenden Feuer Seiner Antwort zu brennen. Brennen und aus der Asche wachsen oder vergehen, oft nur ein schmaler Grat.

Mit meditativen, gleichmäßigen Bewegungen legte sie ihre Rüstung an, Kettenglieder über leichter Unterkleidung, darüber die zweckmäßig geschneiderte Robe in den Farben des Tempels. Diese Farben wieder zu tragen erfüllte sie mit einer knochentiefen Befriedigung. Sie in Rahal zu tragen, dieser Stadt in der jeder Stein und jedes Gebäude, trotz der Veränderungen, Erinnerungen barg hatte etwas noch Tieferes in ihr berührt. Andere Menschen füllten die Straßen, andere Gesichter. Andere Menschen trugen die schweren, tiefroten Roben und sorgten dafür, dass Seine Worte ihren Weg in die oft so einfach gestrickten Gehirne fanden.
Und was sie gesehen hatte, lockte ihre Neugierde. Sie wollte mehr davon, besser verstehen und ihren Teil dazu beitragen lernen. Und der eine oder andere Mensch war doch interessant und komplex in seinen Motiven, auserwählt vom Einen oder auch nicht. Ihre Fingerspitzen kribbelten bei dem verlockenden Gedanken, diese Motive zu sezieren, wie eine Maschine freizulegen.

Bereit, ihre Pflichten wieder aufzunehmen, holten ihre Finger noch etwas Kleines aus den Tiefen der Robentaschen hervor. Die dicke, speckige Made wurde auf der flachen Hand angehoben und sinnierend betrachtet. Noch ein Spiel, noch eine Möglichkeit. Oder ein Angebot? Die Made verschwand zwischen ihren Lippen, ihrem Daseinszweck zugeführt. Ein Risiko, natürlich. Aber was war das Leben ohne ein wenig Risiko wert?
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Velvyr'tae





 Beitrag Verfasst am: 27 März 2023 10:12    Titel:
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Die warme, stickige Luft des Axorns bewegte sich nur selten. Doch heute wurden die Vorhänge immer wieder von einem leichten Hauch in Bewegung versetzt. Die aufgeladene Wolke, welche über der Lethrixorenhöhle schwebte, sorgte für ungewohnte Ströme in der Stille. In Bewegung geraten war vieles, mehr als sie für möglich gehalten hatte. Nach all den Jahren hätte sie wissen müssen, dass die Dynamik des Lebens manchmal in kurzer Zeit mehr durcheinander warf, als es Jahrzehnte in Ruhe aufbauen konnten.
Manchmal, in den seltenen Momenten der Stille, tauchte vor ihrem inneren Auge ein schmerzhaftes Bild auf. Ein winziges Geschöpf, tiefblau und zornig seinen ersten Schrei in die unerbittliche Welt eines längst vergangenen Axorns brüllend. Ein Letharf, glücklicherweise. Es war die einzige Verbindung, die sie sich je mit diesem Geschöpf zu fühlen erlaubt hatte – Erleichterung, dass ihr Körper unter Blut und Schmerzen ein Kind des richtigen Geschlechts in die Welt gestoßen hatte. Eine Befreiung von einer verhassten Pflicht, von Demütigung und abstoßender Nähe.
Seine Geburt, aber auch die ihre – ein Neubeginn.

Sie erhob sich von ihrem Schreibtisch, den in der Bewegung entstehenden Schmerz an ihrem Nacken genussvoll auskostend. Ein eigener Platz, Privatsphäre und Raum. Ein Luxus, der kaum in Worte zu fassen war, immer eine Warnung mit sich tragend. Jeder Lethar wusste, dass nichts geschenkt wurde, alles musste verdient werden und konnte ebenso rasch wieder vergehen.
Aber die Gemeinschaft hatte sie geprüft und akzeptiert, die dazu gehörende Qual war süss wie die kleinen, knusprigen Milben, die im Axorn gerne verspeist wurden. Lustvoll.

~~~~~~~~~~~~~~
Das Gebräu des Junglethoryx brannte in ihrer Kehle und hinterließ feurige Spuren auf seinem Weg hinab in ihren Magen. Die lauernden Blicke ihrer Geschwister auf ihrer nackten Haut wie unwillkommene Berührungen, schwand die Kontrolle über ihre Sinne immer weiter. Ein unbehagliches Grollen in ihrer Kehle, hasste sie dieses Gefühl und begehrte doch in diesem Augenblick alles daran. Die raue Binde über ihren Augen verschloss ihr die Sicht, doch ihre Haut war überempfindlich, ihr Gehör gestochen scharf. Das grobe Flüstern des Atems des Lethrixors, der kalte, unebene Boden des Ritualkreises unter ihren Zehen, und Stimmen…


Solltest du zweifeln, die wahre Treue nicht wahren können dann Velvyr'tae, wird das Feuer niemals in dir lodern, du wirst im Angesicht der unerreichten Leidenschaft verblassen und vergehen.
Du versagst.


Eine Welle des Zorns rollte über sie, Schauer über ihren überempfindlichen Körper fließen lassend, Feuer und Eis zugleich. Versagen war keine Option, nicht hier, nicht in Zukunft. Die Vergangenheit war auferstanden in diesem Ritualkreis, spöttisch flüsternde Stimmen, Klingen in ihrem Weg, Brutalität und Demütigung.
Ihr Atem ging rasch, tief versunken in die Wirkung des Gifts in ihren Adern, Schweißtropfen bahnten sich ihren Weg über den entblößten Körper. Rote Augen in der Dunkelheit, desinteressiert und doch stechend, Bernsteinaugen wollten ihr ihren Wert entreißen, sie zurück in das Nichts stoßen, aus dem sie geboren wurde.
Ein wilder Schrei, das Raubtier riss die Barriere vor ihr nieder. Ihre Vergangenheit, ihre Schwäche, alles verging unter dem Zorn des Augenblicks.


„Ich werde nicht weichen. ER hat mein Versagen bestraft. Und nun trete ich wieder vor IHN.“

Und die Antwort folgte, eine schwere Hand an ihrer Schulter die sie führte, sie in die Mitte des Ritualkreises bewegte, ein Tritt der sie in die Knie zwang. Unterwerfung unter SEINE Ziele die einzige Option.


„Kassâe xrul Alk'Atar uleth'xunae con gôrma Opolôthar.“

Klinge und Worte begannen ihr blutiges, extatisches Werk, zeichneten ihren Körper und ihren Geist.
~~~~~~~~~~~~~~


Ein kehliger Atemzug riss sie aus der Erinnerung, Gänsehaut kroch über ihr Rückgrat empor. Zwei Schritte führten sie vor den kleinen Hausaltar, den eine Schnitzerei zierte, eine Pantherstatue mit einem erstaunlich eindringlichen Blick. Der hagere Künstler mit dem losen Mundwerk hatte gute Arbeit geleistet, was sie ihm aber natürlich niemals offen sagen würde. Ihre Finger strichen über den silbernen Dolch, der daneben lag, sanft und verträumt. Noch eine Erinnerung, eine die ihre tiefste Überzeugung über den Haufen geworfen hatte.

~~~~~~~~~~~~~~

Gehorche. Dulde. Ertrage. Verrate nie zuviel. Gib nichts über dich preis.

Doch seine giftgrünen Augen hatten einen Weg hinter ihre Fassade gefunden, verhasst und doch willkommen. Eine Dualität, die ihren Beißreflex ebenso hervor rief wie ihren Spieltrieb. Eine Loyalität die unerbittlich gefordert und zugleich gegeben wurde.
Sie hatte oft genug gedient, mit ihrem Körper und ihrem Wissen. Viele hatten sie als Werkzeug benutzt und doch hatte niemand die letzte Grenze überschritten. Es war bequem gewesen, auf eine gewisse Weise – mochten sie ihren Nutzen daraus ziehen, sie zog den ihren daraus.
Aber diese Grenze war gefallen, ohne Gewalt oder Zwang, unter einem Spiel, unter dessen Oberfläche tödlicher Ernst lauerte. Und sie fühlte...ja, was? Zufriedenheit? Nein. Eine Lust an dieser Vereinigung, die sie so nie erwartet hätte. Sicherheit, dass seine und ihre Stärken die Schwächen im Zaum halten würde, sie einander zu Höchstleistungen anspornten. Ein gemeinsamer Dienst am EINEN, schrankenlos in den Möglichkeiten.
~~~~~~~~~~~~~~


Sie sank vor dem Altar auf die Knie, die Finger noch mit dem Griff des Dolches verbunden.

Leite mich Vater,
dein Hass sei mein Blut,
dein Wille mein Streben allein.

Wahrheitsfinder, Traumtöter,
wird mein Name sein,
meiner Klinge Schneide rot vom Blut.

Enden wird alles Lachen,
erstickt an Lügen,
verklingen wird das letzte Lied,
ertränkt in Schmerz und Qual.
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Velvyr'tae





 Beitrag Verfasst am: 05 Mai 2023 09:21    Titel:
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Stille, nur durchbrochen von den ureigenen Geräuschen des alten Tempels. Das monotone Tropfen des Blutes, Wind, der sich im löchrigen Gewölbe fing und seine eigene Melodie erzeugte.
SEINE Stimme war in dieser Nacht leise, selbst an diesem geweihten Ort. Sie war hier, sie war in ihr, wie stets. Aber in dieser Nacht kämpfte die Lethra gegen ihre Dämonen, ihren Zorn und die Worte, die durch ihren Geist hallten wie spöttische Geister.
Sie konnte IHN nicht hören durch den Aufruhr, den aufgewühlten Stolz und das Aufbegehren gegen Vorwürfe, berechtigt und unberechtigt. Aber es war ihr Fehler alleine wenn sie nicht in der Lage war, sich zu kontrollieren.

Vater, zeig mir den Weg und ich will ihn gehen
vom Schmerz in den Zorn
vom Zorn zur Stärke.
Zeig mir deinen Willen und ich will nach ihm handeln.

Bilder stiegen hoch, krochen ungefragt durch ihren Geist, der sich weigerte zur Ruhe zu kommen. Der Knappe am Boden unter der Waffe der Ketzerin. Ein Rücken, blutig geschlagen. Der Tempel im Axorn. Zorn, der sich wandelte und etwas schuf. Stärke, eine Verbindung.
Sie zwang sich dazu, die Bilder festzuhalten und den Zorn zuzulassen. Waren ihre Motive wirklich zu Seinem Nutzen gewesen oder hatte sie aus irgendeinem persönlichen Grund gehandelt, aus dem Moment, einem Gefühl?
Kühle Stimmen überlagerten einander, holten andere, längst vergangene aus der Erinnerung hoch.
Sie war an Demütigung gewöhnt und doch wogen manche Worte schwerer als andere. Immer noch war sie empfindlich, einfach zu treffen, auch nach so vielen Dekaden. Wie ein Kind, hatte der Junglethoryx mit Treffsicherheit festgestellt und ihre Strafe war verdient. So wie sie sich bewusst war, dass sie Grenzen überschritten hatte, das heutige Rahal noch nicht so verstand, wie es als Mitglied des Tempels notwendig war.
Und so lächerlich sie sich auch damit fühlte, schmerzte es doch. So viel Kraft und ihre Hingabe steckten in dieser zweiten Chance ihren Wert zu beweisen. Und die Worte, die ihr diesen Wert absprachen, sie eine Enttäuschung nannten, machtbesessen, dumm, saßen wie ein Stachel in ihrem Fleisch.


Herr, zeig mir den Weg und ich werde ihn gehen
das Gleichgewicht zu wahren
dir dienen unter den Menschen und deinen Kindern.

Herr, zeig mir die Worte und ich werde sie hören
wachsen und lernen.
Schwäche werde ich nicht dulden
Sie verbrennen unter im Feuer deines Zorns.


Ihr Kopf sank immer wieder müde nach unten, die Schwellung in ihrem Gesicht pochte, ihr Körper schrie nach Ruhe. Doch heute würde sie keine finden, nicht auf dem Lager, dessen Felle und die Nähe darin sie schmerzhaft entbehrte. Aber ihr Geist hielt sie hier fest, versagte ihr jede Erholung. Zuerst musste sie begreifen was den Schmerz auslöste und ihn bezwingen. Morgen würde sie wieder aufstehen und ihren Weg fortsetzen, klüger, hoffentlich. Und nie wieder so schwach, wie sie heute gewesen war, unfähig den Leitgedanken Rechnung zu tragen. Unfähig...nutzlos...schwach...wisperten die spöttischen Stimmen in ihrem Geist, aus der Erinnerung befreit. Aber sie würde ihnen nicht erlauben zu gewinnen. Nicht mehr.
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Velvyr'tae





 Beitrag Verfasst am: 20 Okt 2023 18:08    Titel:
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Der Palast lag im Dunkeln, der Umriss so vertraut und das Innere doch fremd. Schwer zu glauben, dass es eine Zeit gab, in der sie durch die verschlungenen Gänge des Axorns in dieses Gebäude hätte gelangen können, willkommen und erwartet. Fort und vergangen, wie die Verbindung zum Tempel der heiligen Stadt. Sie war diesen Weg so oft gegangen, damals, als Rahal neu aus Trümmern erstand. Lautlos und verborgen, bis sie gebraucht wurde.

~ Das Spiel der Masken, nie mehr als ein Schatten hinter den wahren Trägern der Macht. ~


Fluch und Segen war das Spiel zugleich gewesen. Sie war ein Nichts, lange genug zu ängstlich um einen Platz zu behaupten. Immer am untersten Ende der Nahrungskette. Bis...ja. Bis sie entdeckt hatte, wo sie hin gehörte.
Der Lethyr Syrr’ael hatte sie dorthin geworfen, nachlässig und mit Verachtung und Unverständnis für ihr Wesen. Nach Rahal unter Menschen, Beziehungen knüpfend. Sie, die Niemand war, konnte ein Netzwerk aufbauen. Loyalitäten schaffen. Informationen lenken für IHN.
Niemand landete im Palast des Alkas und wurde zu Jemand.

Doch Jemand wurde selbstherrlich. Jemand fing sich in den Fäden ihres eigenen Netzes. Sie vertraute, ließ Gefühle und Bindungen in ihr Wurzeln schlagen. Und versagte dort, wo man sie platziert hatte:


~ Zwischen den Stühlen. ~


Hier schloss sich der Kreis zu heute. Es war eine Ironie, die ihr nicht entging.
Alles war heute anders, das Reich, die Gemeinschaft des Axorns. Ihre Position, denn ein Niemand war sie nicht mehr. Und auch kein Jemand mit vielen Masken, sondern eine Vicaria, eine Junglethoryxae, immer sichtbar in der blutroten Robe. Niemand mit Macht, aber in Reichweite davon.
Und doch.


~ Zwischen den Stühlen. ~


Wieder begann sie zu vertrauen, wo es ihr die Erziehung verbot. Begann Sympathie zu empfinden, vielleicht sogar mehr. Band sich an Menschen. Denn die Menschen sahen eine Facette von ihr, die ihre Geschwister nicht verstehen konnten. Und sie eine Facette in ihnen, die nur wenige ihres Volkes wahrnahmen.
Doch heute verstand sie zumindest, dass es ihre Aufgabe war, keine Schwäche. Sie war zwischen den Stühlen am richtigen Platz, denn sie gehörte weder ganz zu ihrem Volk noch zu den Menschen. Die vielen Jahre im Reich hatten ihr zu viel Verständnis für die Denkweise der Menschen verschafft, ließen viele der härteren, älteren Letharen misstrauisch werden. Und angesichts der Konflikte der vergangenen Jahre würden manche Menschen ihr als Lethra nie wirklich trauen.
Es war eine vernünftige Einstellung, wenn auch bedauerlich.

Aber zwischen den Stühlen konnte sie vermitteln, hatte die Möglichkeit eine Verbindung schaffen. Ob es gelang, würde die Zeit zeigen.

Es gab viele Wege das zu tun. Und der Weg, der ihrem Wesen nahe lag, war der Aufbau von Bindungen.
Sie wusste schmerzhaft genug das diese immer in beide Richtung funktionieren mussten, denn sonst würde sich das Wesen am anderen Ende irgendwann lösen – verletzt, ausgenutzt, nutzlos.
Um IHM den größtmöglichen Gewinn zu bieten, musste sie einen Teil von sich opfern, den unweigerlich folgenden Schmerz in Kauf nehmen.
Sie war nicht von Bedeutung, nur was sie IHM zu geben hatte.

Sie hätte auch damals gehandelt, ausgelöscht, was sie hasste und auf eine verdrehte Art liebte. Aber ihre Arroganz und die Bindung an die Macht...und die Person...hatte sie den Moment nicht sehen lassen.
Aber es war müßig, darüber nachzudenken. Vergessen aber...nein. Vergessen würde sie ihr Versagen nicht.
Die Lethra wandte dem Palast den Rücken zu, im Schein der Laternen einen Schatten auf das Pflaster der Oberstadt werfend. Mehr als nur ein Schatten. Mehr als ihr Versagen.
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