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Der kleine Stein
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Viktoria Hamberg





 Beitrag Verfasst am: 21 Jun 2022 10:22    Titel: Der kleine Stein
Antworten mit Zitat

Viktoriiiiaaaa?

Hörst Du wie sich das Feuer in seiner Kehle bildet?
Dieses markerschütternde Rasseln und Fauchen?

Riechst Du den Gestank, der sich verbreitet?
Der Gestank deiner verbrannten Haut?

Schmeckst Du die Asche, die sich in der Luft sammelt?
Asche von den verbrannten Leibern um Dich herum?

Siehst Du die Flammen, die auf Dich niedergehen?
Das Feuer, dass alles um Dich herum verschlingt?

Fühlst Du den Schmerz in deiner Schulter?
Die Stelle, an der Dich der Drache bis runter auf den Knochen aufgerissen hat?

Viktoriiiiaaaa?


Mit einem Ruck saß Viktoria in ihrem Bett aufrecht. Die schnarrende Stimme des Kapitäns hallte noch in ihren Gedanken nach. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff wo sie war. Tief durchatmend schwang sie die Bettdecke zur Seite und lenkte die kurzen Beine in Richtung der Bettseite. Mit langsamer Bewegung glitt sie mit den kleinen Füßen auf den weichen Teppich. Wie so oft, spielten ihre kleinen Zehe mit dem weichen Stoff der Bodenmatte. Es gab Ihr ein Gefühl von Sicherheit. Sie erhob sich und ging sie zum Fenster, schob den Vorhang zur Seite und erblickte die Flammen.

Das Chaos, welches auf dem Schlachtfeld vor dem Nebelwald statt gefunden hatte. Das brennende Drachenblut, welches über Menekur niederging und der Drache, der Viktoria vor dem Kloster angegriffen und fast getötet hätte. Und inmitten der vermischten Szenarien stand der alte Kapitän, mit dem Glasauge und der schnarrenden Stimme. Er lachte höhnisch und deutet mit seinem rostigen Haken umher.

Die kleine Frau lehnte sich mit der linken Hand am Fenstersims an und rieb mit der Rechten über ihre linke Schulter. Nach den wenigen Wochen schmerzte es immer noch und es holte sie in die Realität zurück. Für einige Augenblicke schloss sie die Augen und beim wieder öffnen, sah sie nur das dunkle Schwingenstein und hörte die sommerlichen Nachtgeräusche.

Lydia war nicht da.

Viktorias erster Gedanken war, zu ihr hoch zu gehen. Aber es gab kein Hoch mehr. Sie selber bewohnte mit ihrem Schlafzimmer den ersten Stock des Hauses.

Sie war alleine.

Der Gedanke, dass sie Lydia auf dem Schlachtfeld verlieren könnte, hatte sie Dinge entscheiden lassen, die weniger schmerzhaft hätten sein sollen. Aber das waren sie nicht.

Im Gegenteil.

Leise seufzend betrachtet Viktoria noch einen kleinen Moment das nächtliche Schwingenstein und drehte sich um, zurück gehend zum Bett. Sie starrte es eine Weile einfach nur an, in dem wenigen Licht, welches im Raum stand, konnte sie es nicht mal wirklich erkennen.

Überhaupt jemanden zu verlieren, der ihr etwas bedeutete, hatte sie in den letzten Tagen gelähmt. So etwas kannte sie nicht von sich. Bisher war sie stets ein sehr rational denkender Mensch gewesen, aber die Zeit mit Lydia hatte etwas verändert. Nun war es mehr Gefühl, als Verstand, die ihre Gedanken so manches Mal in vollkommener Unordnung stürzten und ein Chaos im Kopf hinterließ, dem des Schlachtfeldes vor dem Nebelwald ähnelte.

Die kleine Heilerin, mit den hellen Haaren hatte eine Auszeit gebraucht. Hatte sich erst ein Mal allem entzogen und sich in ihrem Labor verschanzt. Solch ein Handeln blieb nie ohne Konsequenzen und irgendwo musste man anknüpfen und neu anfangen oder einen anderen Weg einschlagen. Vielleicht war es genau das, was sie nun brauchte.
Einen neuen Weg einzuschlagen.

Die Richtung würde sich bald zeigen.
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Viktoria Hamberg





 Beitrag Verfasst am: 23 Jun 2022 11:13    Titel:
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Es war einmal ein kleiner Stein,
so glatt und herrlich fein.

Er hüpfte einen Pfad entlang,
ohne Anhang oder gar Gespann'.

Einen wundersamen Ort wollt' er erreichen,
sein Wunsch wars' zu wachsen wie die Eichen.

So ließ er sich am Fuß des Hügels nieder,
während er wartete summte er leise Lieder.

Doch auch bei all' dem Sonnenlicht,
wuchs der kleine Stein einfach nicht.

Er wollte doch groß wie Felsen sein,
nicht so winzig und klein.

Traurig war nun der kleine Stein,
er würde niemals größer sein.

Er dacht', ihn hätt' niemals jemand lieb,
so schloss er die Augen und liegen blieb.

Also schlief er sehr lange,
denn sein Herz war ihm so bange.

Einige Zeit zog so ins Land,
er einsam lag an des Waldes' Rand.

Als ein Mädchen ihn so da liegen sah',
da kam sie dem Stein sehr nah.

Mit einem Lächeln hob sie ihn auf,
ihn schnell auf den Namen „Steinchen“ tauf'.

Aufgewacht aus dem langen Schlaf,
er sich seiner dunklen Gedanken straf'.

Liebevoll gedrückt ward er an des Mädchens Wange,
nun war dem Stein schon nicht mehr bange.

Das Herz des Mädchens brach entzwei,
verlor sie den Stein bei Ulkerei.

So lange suchte sie nach ihm,
er für immer verloren schien.

Doch eines Tages gar,
lag er an ihrer Wange und war wieder da.


    Eine Brise der kühlen sommerlichen Nachtluft spielte mit dem Vorhang an Viktorias Knöchel. Wie fast jede Nacht, in der sie keine Ruhe fand, stand sie am geöffneten Fenster und genoss die kühle Brise. Die Tage waren ihr einfach zu warm.

    Sie starrte mit resignierter Miene in die Flammen, welche sie immer zu sah, wenn ihre Gedanken sich selbstständig machen konnten. Die Flammen, Der Drache, der Kapitän und neuerdings auch Lydia. Mit klagendem Ausdruck in den Augen starrte sie mit blassen Lippen und verbrannter Haut zu Viktoria hoch. Das schlechte Gewissen plagte die kleine Heilerin. Sie gab sich alle Mühe, das Geschehene wieder gut zu machen. Jeder Entscheidung und Handlung trug ihre Konsequenzen. Sie mochten von guter aber auch schlechter Natur sein. Aber die schlechten überwogen stetig.

    Lydia hatte Recht gehabt. Es würde nie wieder so wie vorher sein.
    Und dafür büßte Viktoria nun.

    Die schmale Hand der kleinen Frau hob sich an ihre rechte Wange und die kleinen Finger strichen über ihre Haut. Auch wenn es nicht mehr ganz da war, konnte sie das Kribbeln noch darauf spüren. Ein kleines Geheimnis, welches sie stetig im Herzen trug. Jenes Kribbeln schickte die Flammen langsam fort. Auch der Drache verblasste und wurde von der dunklen Nacht abgelöst. Welche so klar und friedlich war. Die Stille im Raum wurde von dem leisen Seufzer Viktorias unterbrochen. Ihre Gedanken hatten sich auf etwas anderes fokussiert. Die Müdigkeit drang bei den friedlichen Gedanken allmählich in ihre Knochen und mit einem weiteren, leisen Seufzen suchte sie das Bett hinter sich auf.

    Der Körper war müde.
    Ausgelaugt von den langen Tagen, in denen sie sich fast nur im Wald aufhielt um Kräutervorräte zu sammeln. Meistens kam sie erst in den späten Abendstunden zurück, wenn das Licht im Wald nicht mehr für die Suche ausreichte.

    Der Geist war unruhig.
    Unstetig auf der Suche nach verlorenen Erinnerungen. Verlorene Gefühle und Momente, in denen man glücklich war. Das Erlebte mischte sich immerzu in ruhige Gedanken, und riss die Vorherrschaft an sich um Chaos zu stiften. Sie hatte bisher niemand erzählt, wie sie die Dinge gesehen hatte. Wie sie jene Dinge gespürt hatte oder wie sie daran arbeitete sie zu verdrängen. Zu ignorieren oder zu akzeptieren.

    Es war an der Zeit, endlich wieder Aufgaben anzunehmen und sich nicht weiter zu verstecken. Viktoria hatte noch so viel zu geben und sie gab auch gerne sehr viel. Sie wollte Teil von dem Ganzen sein und das gelang ihr nur, wenn sie sich nicht weiter in ihrem Labor verkroch und unzählige Stunden mit Kräutern und Bücher verbrachte.

    Eine Gabelung tat sich auf.
    Nun oblag es an ihr, ob sie die Abzweigung nahm oder stur gerade aus weiter ging.


Zuletzt bearbeitet von Viktoria Hamberg am 23 Jun 2022 18:38, insgesamt einmal bearbeitet
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Viktoria Hamberg





 Beitrag Verfasst am: 28 Jun 2022 22:18    Titel:
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    Fließend und silbrig schimmernd, schwebten die weißblonden Haare der Heilerin in der Schwerelosigkeit. Der Körper getragen von kühlem Seewasser, welches sie umschloss. Die Augen und der Mund geschlossen, mit einem friedlichen Gesichtsausdruck auf den feinen Zügen. Hier würden die Flammen sie nicht erreichen. Nicht ein Mal wenn Sie ihre Augen schloss. Sie sah nichts. Nur eine endlose Schwärze, in der sich nicht ein Hauch von Leben versteckte. Noch einen Moment, dachte die zierliche Frau. Nur noch einen winzigen Moment der Ruhe genießen. Aber der Druck in ihren Lungen zwang sie dazu wieder aufzutauchen. Der helle Schopf drang durch die Wasseroberfläche und Viktoria öffnete den Mund um kalte Nachtluft in ihre Lungen strömen zu lassen. Noch für eine Weile ließ sie sich vom Wasser tragen und starrte mit anhaltend zufriedener Miene in den Nachthimmel. Die einzelnen Sternbilder strahlten um die Wette und wollten ausgiebig betrachtet werden. Schon so oft hatte sie jene betrachtet und lag träumend auf Wiesen, Weiden, im Sand oder schwebte im Wasser.

    Nur sie alleine.
    Nie teilte sie diesen Moment mit jemanden.

    Die Augen für einige Moment geschlossen, setzte sie sich in Bewegung und schwamm das kurze Stück zum Ufer zurück. Es war recht kühl, als sie aus dem Wasser stieg und nach ihrem sommerlich dünnen Kleid griff. Langsam ließ sie es über ihren Körper gleiten und der Stoff sog gierig das Seewasser auf. Es war nicht weit bis nach Hause. Nur wenige Augenblicke und sie würde wieder in ihrem Schlafzimmer stehen und aus dem Fenster blicken.

    An Andras und Beaks Haus vorbei schleichend, achtete sie darauf, ob noch Licht brannte.

    Es war dunkel.
    In der ganzen Siedlung brannte kaum mehr ein Licht.
    Es war spät.

    Die Füße sollten wenigstens von Sand und Wiese befreit werden, bevor Viktoria in ihr Haus zurück kehrte. Es war so furchtbar still. Kein Stimmengewirr, keine klirrenden Gläser und Flaschen und keine sich an murrenden Gäste. Der Abend vor ihrem kleinen Ausflug war anstrengend gewesen. Nur gegen Ende wurde die Stimmung friedlicher.
    Sie mochte ihre Gäste, sehr sogar. Aber diese feindselige Stimmung, welche gelegentlich in der Luft schwebte, laugte sie aus. Sie hatte manches Mal keine Kraft dafür und war froh, wenn sie einen friedlichen Moment für sich alleine hatte. Während sie über den Abend nachdachte, stieg die kleine Heilerin die Treppen ins Obergeschoss hoch und zog das klamme Kleid von ihrem Leib. Achtlos warf sie es über den Sessel an ihrem Schreibpult und ging in ihr Schlafzimmer. Dort stand sie eine ganze Weile, wie Eluive sie geschaffen hatte und starrte auf den geöffneten Brief auf ihrem Nachttisch. Das silbrige Mondlicht warf einen fahlen Schein ins Zimmer und gab nur wenig von den Malen der letzten Schlachten auf ihrem Leib preis. Noch wenige Momente nahm sie sich Zeit, den Brief anzustarren, ehe sie eine ihrer schmalen Hände ausstreckte und danach griff. Sie hatte ihn bereits gelesen und wusste noch ganz genau was die Zeilen enthielten.


    „ Denk an einen Moment in deinem Leben, in dem du dich wahrlich glücklich gefühlt hast, und dieses Gefühl von keiner anderen Person abhängig war.“

    Viktoria schloss die Augen und ließ die Worte in ihren Gedanken arbeiten.
    Sie dachte angestrengt nach. War das Glücklichsein stets von einer Person abhängig? Von einem Umstand, von einem Moment oder einer Tat?

    Was machte einen glücklich?

    Sie öffnete ihre Augen und ging mit dem Brief wieder zurück in ihr Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch stand eine kleine Schatulle, dessen Schlüssel Viktoria an einer feingliedrigen Kette um den Hals trug. Es war ein wahrlich winziger Schlüssel für eine winzige Frau. Und einer ebenso winzigen Schatulle. Sie neigte sich zu jener Schatulle und schloss sie behutsam auf. Der Inhalt war unspektakulär. Eine Reihe von gebündelten und zusammen gebundenen Briefe lag darin. Manche Schriftstücke hatten gebrochene Siegel, manche waren ungeöffnet. Und manche waren von Viktoria versiegelt, aber nicht adressiert. Den Brief aus ihrer Hand in die Schatulle legend, gleich neben einer zerknüllten und verschmutzen Grußkarte – nahm sie einen Stapel Briefe raus. Sie wusste was in jenen Briefen stand. Auf dem Kuvert war kein Empfänger.

    Niemals würden diese Briefe abgeschickt.
    Niemals würde ein Empfänger sie lesen.
    Niemals würde es eine Antwort auf ihre Zeilen geben.

    Einen Moment des Bedauerns und Aufseufzend, fanden die Geisterbriefe ihren Weg zurück in die Schatulle, welche umgehend wieder verschlossen wurde. Viktoria hatte gelernt, dass man einen schmerzenden Gedanken nicht verfolgen sollte. Denn aus einem kleinen Kratzer, wurde oft ein Messerstich. Gedanken konnten gefährlich sein. Und einem unnötig Leid zufügen.
    Den hellen Blondschopf schüttelnd, nahm sie das klamme Kleid vom Stuhl und trug es ins Schlafzimmer. Das offene Fenster bot sich wunderbar zum trocknen des Kleidungsstücks an. Sie hatte es bisher vermieden sich jenem zu nähern, denn es war schon lange nicht mehr nur ein Fenster.

    Es war ein Blick in ihre nächtlichen Albträume.

    Das Kleid über den Fenstersims ablegend, blickte sie aus Gewohnheit aus dem Fenster. Natürlich waren die Flammen da. Der Drache und der schnarrende Kapitän, mit dem widerlichen Glasauge. Welches von der Seeluft schon lange trübt und ranzig geworden war. Der Eisenhaken, der seine linke Hand ersetzte, hob sich in die Luft und er winkte ihr mit dem rostigen Metall. Wie einen alten Freund begrüßte er die kleine Heilerin.
    Aber an diesem Abend machte es ihr nichts aus. Denn ihr Blick suchte die Flammen ab. Und plötzlich hoben sich ihre feinen Mundwinkel, zum ersten Mal in dieser Situation bildete sich ein Lächeln auf ihren Lippen.

    Sie war fort.

    Die anklagend dreinblickende Lydia, mit der verbrannten Haut und den blassen Lippen war fort. Viktoria schluchzte leise auf. Die Erinnerung an die Umarmung am Abend, welche sie von Lydia erhalten hatte, ließ sie flüchtig auflachen. Ein erlösendes Lachen, welches die Zweifel mit einem Mal davon wischte. Ein kleiner Gefühlsausbruch, der die Dinge in ein anderes Licht rückte. In jenem Moment vergab sich Viktoria selber.
    Es könnte wieder so werden, wie es war. Mit einem Stück Arbeit und viel Zeit.

    Es würde wieder so werden, wie es einst war.

    Noch einige Augenblicke blieb sie am Fenster stehen und dachte über die frische und glückliche Erinnerung nach. Der Kapitän schnarrte, der Drache bildete rasselnd und fauchend Feuer in seiner Kehle und Viktoria tat etwas, was sie nie für möglich gehalten hatte.

    Sie hob ihre Hand an und zeigte den Albträumen mit entschlossener Miene den Finger.


Zuletzt bearbeitet von Viktoria Hamberg am 28 Jun 2022 22:26, insgesamt 3-mal bearbeitet
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Viktoria Hamberg





 Beitrag Verfasst am: 05 Jul 2022 10:19    Titel:
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    Kein Hohn, kein Spot und keine schnarrende Stimme. Es war ruhig. Die Flammen loderten nur minimal unter den Füßen des Drachens und der Kapitän stand neben ihm und Beide blickten Vitoria nur an. Vollkommen wertneutral und ohne Urteil im Blick. An diesem Abend würden sie sie einfach schonen.

    In Ruhe lassen.


    „Eigentlich will ich nur meine Ruhe haben“

    Viktoria spielte stets mit offenen Karten. Sie verbarg nie etwas im Ärmel oder setzte auf das reine Glück. Sie reflektieren, wägte ab und beobachtete. Auch wenn es ihr in manchen Dingen an Erfahrung fehlte, wusste sie ganz genau, was sie wollte. Sie hatte eine Richtung, einen Weg, welcher ab und zu neue Abzweigungen auftat und nur manchmal, wich sie vom Hauptweg ab und ging bereitwillig ein Risiko ein.

    Ein Abenteuer.
    Eine Reise.

    Manche Reisen endeten, bevor man überhaupt wusste, in welche Richtung es gehen sollte. Eine gewisse Ungeduld hatte dazu geführt, dass der Fall eingetreten war.
    Die Reise war zu Ende.

    Seufzend wendete Viktoria den Blick von den Träumen ab. Sah sich im Raum um. Starrte einfach auf einen unbestimmten Punkt und ließ die Gedanken kreisen. Stets wurde man um Ehrlichkeit gebeten, man wollte Aufrichtigkeit. Aber je härter und kühler der Kern der Wahrheit war, desto weniger wollten die Menschen sie hören. Sie wollten unbewusst belogen werden. Man musste gefallen. Hätte sie gefallen sollen, anstatt zu sagen, wie es ist oder sein könnte? Dass sie einfach Zeit brauchte, um Zuneigung zu entwickeln. Kopfschüttelnd verließ die kleine Heilerin das Zimmer und steuerte die Schatulle an, in der sie ihre Briefe aufhob.
    Ihre zierlichen Finger spielte behutsam an den kleinen Muscheln an der Kette um ihren Hals. Die Erinnerung welche bei der Berührung aufkam schmerzte sie. Leise durchatmend, streifte sie die Hände in den Nacken und öffnete den kleinen Verschluss der Kette. Einige Momente nahm sie sich Zeit, um die Kette zu betrachten, ehe jene behutsam in die Schatulle gelegt wurde. Verschlossen, bei all den anderen Dingen, die man nicht wegschmeißen konnte, weil es einem zu sehr schmerzte. Und jene Dinge, die man nicht mehr sehen konnte, weil es ebenfalls Schmerz auslöste.

    Ein neues Kapitel tat sich auf, neue Erlebnisse und Erfahrungen wurden nieder geschrieben. Aus Fehlern wurde gelernt und ein stetiger Drang, nach Veränderung kam auf. Manchmal war es einfach besser etwas zu verschweigen, als sich zu öffnen. Denn selbst die Wahrheit konnte in mancher Situation mehr schaden anrichten, als etwas nicht zu sagen. Wieder etwas für die Zukunft gelernt.
    Man muss gefallen. Aber man soll so sein, wie man ist. Dinge verschweigen. So tun als ob.

    Abermals schüttelte sie den Blondschopf und ging zu dem Sofa rüber, an dem sie am vergangenen Abend ein Wechselbad der Gefühle gehabt hatte. Jetzt war es leer. Empfing sie dennoch wie ein alter Freund und schloss sie in die Arme. Die kleine Heilerin legte sich auf jenes Sofa und starrte eine Weile in die Flamme der kleinen Kerze, welche auf dem Tisch neben ihr flackerte.

    Sie hatte es aussprechen wollen.
    An diesem Abend hatte sie es sich vor genommen.
    Sie hatte es ausgesprochen.

    Aber es traf auf taube Ohren. Auf blinde Augen und dunkle Gedanken. Wie sollte sie es je wiederholen? Das erste Mal und dann solch eine Reaktion? Ein leises Aufseufzen und der Wind vom Drehen ihres Körper, ließ die Kerze noch mehr flackern. Viktoria hatte sich umgedreht. Den Blick zur Sofarückenlehne, die Wolldecke über ihren Leib gezogen und die Hände unter ihre Wange geklemmt. Nach einer Weile schloss sie die Augen. Schlaf sollte nun diesen Abend davon tragen und ein neuer Morgen, bot neue Möglichkeiten an.

    Es war vielleicht noch nicht verloren.
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Viktoria Hamberg





 Beitrag Verfasst am: 28 Jul 2022 10:56    Titel:
Antworten mit Zitat

Im ersten Moment konnte sie gar nicht recht sagen, was sie geweckt hatte. Die Apotheke lag so friedlich, idyllisch und vollkommen still im weißgüldenen Licht der Sterne. Stille! Mit einem Ruck setzte sie sich auf und lauschte angestrengt, während die Fingerspitzen klammer wurden. Ja, es war unsagbar still. Kein Rufen der Nachtwächter, kein Gröhlen eines Betrunkenen und kein nächtiger Vogelruf. Nicht einmal das obligatorische Dielenknarzen oder leises Rascheln der Vorhänge. Mit Vernunft wurde die Panik wieder herabgedrückt, die Unsicherheit, wie auch die Bettdecke, beiseitegeschoben, ehe sie die Füße die Treppe hinab und in die Küche trugen. Ein kleiner Becher Wasser, um das Gemüt und die Nerven zu beruhigen. Vielleicht ein Tropfen Baldrian?
Kaum ist der Gedanke erfasst, da mischt sich endlich wieder ein Geräusch in die Totenstille. Hell, kreischend und scharf, wie Fingernägel über Glas – das Fenster! Der Kopf ruckte herum und fixiert das Fensterlein, dann scheint das Blut wortwörtlich in den Adern zu gefrieren. Ein metallischer Haken an einem verstümmelten Handstumpf kratzte schabend und suchend beharrlich über das milchige Butzenglas und eine schnarrende Stimme drang untermalend zum grausigen Crescendo an die blassen Ohren:
„Viktooooriaaaaa, du warst ein unartiges Kind!“

Die kleine Heilerin war blass wie Schnee. Die Luft vor Schreck angehalten, hörte sie das Blut in ihren Ohren rauschen. „Graubart...." keuchte sie ausatmend und sog die Luft schneidend wieder ein. Nun war sie wie versteinert. Sie starrte das Fenster an. Sie erinnerte sich mit einem Mal, wie der alte Seemann mit dem toten Auge und seinem Haken statt Hand am Hafen stand und die Bewohner des Fischerdorfes Beobachtet hatte. Die Alten hatten sich einen Spaß daraus gemacht, den Kinder zu erzählen, dass Graubart unartige Kinder des Nachts aus ihren Betten holte, um sie mit auf sein Schiff der Toten zu nehmen. Natürlich hatte auch Viktoria daran geglaubt, denn ihr Vater hatte es ihr ebenfalls erzählt, wenn sie mal wieder bockig oder eigensinnig war. So wie viele Kindheitsängste verloren gingen, war auch diese Angst vor Graubart verblasst.

Aber sie hatte den Haken doch gerade gesehen?
Seine schnarrende, alte Stimme gehört?
Viktoria kniff sich in den Oberarm um zu prüfen, ob sie wach war.
Es tat weh.
Die Augen in voller Panik aufgerissen, drückte sie sich an die Küchenzeile und starrte keuchend das Fenster an.

„Viktooooriaaaaa, du warst ein unartiges Kind!“ ertönte es erneut.

„Nein... nein... nein... Du bist nicht echt, Du bist tot! Du bist vor Jahren gestorben, Graubart!“

Die Worte kamen nur flüsternd, keuchend aus dem Mund der kleinen Frau. In dem blassen Mondlicht wirkte sie noch kleiner als sonst. So blass und zerbrechlich, wie eine Porzellanpuppe. Das kreischende Geräusch der Fensterscheibe erklang wieder, der Haken blitzte auf und pochte gegen die Scheibe.

„Viktooooriaaaaa!“ Pock … pock … pock …

Wie ein schweres Pendel einer Standuhr pochte es an die Scheibe. Mit lautem Krachen schlug der Haken das kleine Fenster ein und gierte nach der Frau, verletzte ihren Unterarm und zog einen blutigen Kratzer darüber. Ein schnarrendes lachen erklang und Viktoria schreckte auf.

Sie keuschte schwer, als sei sie die Kellertreppe mehrfach rauf und runter geeilt. Sie saß an ihrem Schreibtisch, über Bücher und Abschriften eingeschlafen. Nach einem Moment des Orientierens schob sie hastig ihren Ärmel hoch und sah nach ihrem Arm.

Nichts.

Der Arm war unverletzt.
Es war auch nicht still im Haus, sondern ein leises Klacken drang vom Untergeschoss zu ihr rauf. Die kleine Frau zog sich einen Morgenmantel über und stieg die Treppen zum Untergeschoss hinab.
Das Fenster.
Das Fenster in der Küche war nicht zerbrochen, aber es zog sich ein langer Kratzer darüber. Viktoria erschauderte.




Der Umbau war abgeschlossen. Das Schlafzimmer größer, das Fenster das Gleiche. Neben dem Fenster war nun eine Türe zu einem Balkon, auf welchem Viktoria im Morgenrock stand. Sie hörte das Krachen und das Tosen des Windes. Die Aggressivität, welcher der Sturm im Osten mit sich brachte, war zum greifen nah. Es war angsteinflößend.
Aber auch ein Prozess der Reinigung. Der Sturm fegte über Adoran hinweg und riss marode Häuser, Dächer und Wände ein. Hoffentlich waren alle unversehrt aus der Stadt entkommen. Es war nicht auszudenken, was unter den Trümmern verborgen lag. Die Heilerin schüttelte den finstren Gedanken ab und blickt runter zum Teich vor ihrem Haus.

Der Kapitän stand dort.

Er stand immer gleich neben dem Gewässer. Er hielt seinen rostigen Eisenhaken hoch und winkte ihr. Das Grinsen höhnisch und mit einer reihe fauler Zähne gespickt. Die kleine Frau seufzte resigniert.

Er war wieder da.

Er war nie fort. Auch der Drache nicht. Dazu hatten sich andere Gestalten gesellt und blickten mit bleichem Gesicht zu Viktoria auf. Mit Vorwurfsvollen Blicken versuchten sie sie regelrecht zu durchbohren. Die Ablenkung hatte nicht lange angehalten. War es überhaupt Eine gewesen oder war es eher Verdrängung? Es spielte keine Rolle mehr.

Er war wieder da.

Er erinnerte sie immer wieder an die Heimat und den schweren Verlusten, die Viktoria am Anfang des Jahres erlitten hatte. Erst hatte sie ihre geliebte Großmutter zu Grabe getragen, alleine, ohne den Vater. Und nur wenige Wochen später war der Handelsfrachter ihres Vaters auf einer routinemäßigen Fahrt verschollen. Die letzten Worte an ihn waren im Zorn gesprochen.

Er war fort.

Und der Kapitän grinste um so breiter. Viktoria schloss die Augen. Es schmerzte immer noch viel zu sehr. Aber es lähmte nicht mehr. Nicht mehr so wie am Anfang des Jahres, als sie sich eine Auszeit genommen hatte. Eine verdiente Auszeit. Für die sie niemandem Rechenschaft schuldig war. Es war ihr gutes Recht gewesen, mit ihrer tiefen Trauer für sich alleine zu sein. Sie hatte alle Aufgaben abgegeben und es anderen überlassen, was sie daraus machen. Und dennoch hielt man ihr vor, aufgegeben zu haben. Nennt sich das so, wenn man trauert, dass man aufgegeben hat?

Nein.

Das war reine Oberflächlichkeit, weil man den Menschen keine Rechenschaft gab. Sie waren unwissend. Und sie würden es auch bleiben. Das trauernde Herz lähmt alle Sinne, jedes andere Gefühl und den Körper. Der Verstand ist benebelt und nicht mehr in der Lage klare Gedankenstränge zu spinnen. Unüberlegte Entscheidungen sind das Resultat von gelähmter Trauer, die einem hinterher leid tun. Aber sie lassen sich nicht ändern.

Ein weiteres Krachen aus dem Osten riss die Heilerin aus ihren Gedanken. Der Kapitän hörte auf zu winken, grinste dennoch weiterhin sein ekelhaftes und süffisantes Grinsen. Ein Gefühl der Hilflosigkeit machte sich in ihr breit. Sie hörte, was der Sturm für eine Verwüstung anrichtete und sie konnte nicht helfen. Noch nicht. Aber das würde sie. So wie jedes Mal, wenn Lichtenthal oder die verbündeten Völker Hilfe benötigten. Sie war da.
Es spielte keine Rolle, ob sie in einer Taverne, Heilstube oder Bibliothek arbeitet oder einfach nur Viktoria war. Alleine ihre Taten zählten. Ihre Fähigkeiten und Entscheidungen.
Ein weiteres Krachen drang aus dem Osten und es wurde spät. Die kleine Frau verließ den Balkon und ging zurück in ihr Schlafzimmer. Es war leer.
Dieser Zustand breitete sich nun auch als Gefühl in ihr aus. Zur Hilflosigkeit gesellte sich die Leere dazu. Diese Art von Leere, die nach Verlust und Trauer aufkam, welche sich nicht füllen ließ.
Leise seufzend setzte sie sich auf ihr Bett, zog den Morgenmantel enger um sich und rieb ihre Hände aneinander. Es war kühl. Ihre Hände waren kühl, die Stirn fiebrig warm und ein pochender Schmerz breitete sich hinter ihrer Stirn aus.

Es würde wieder eine schlaflose Nacht werden.


Zuletzt bearbeitet von Viktoria Hamberg am 28 Jul 2022 16:13, insgesamt 3-mal bearbeitet
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Viktoria Hamberg





 Beitrag Verfasst am: 05 Aug 2022 13:40    Titel:
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Es pochte lautstark an der Türe, Viktoria schreckte aus dem Schlaf auf.

Sie war alleine im Haus.

Es pochte erneut. „Viktoria, bist Du da?“ Die Stimme kam bekannt vor. Es musste einer der Klosterwächter sein. Die kleine Heilerin schwang sich rasch aus dem Bett und griff zu einem der Morgenmäntel am Bettpfosten und warf sich diesen über.
Erneut pochte es und die Stimme von draußen rief ein weiteres Mal nach ihr. Sie verstummte erst, als Viktoria eine Kerze entfachte und sich der Haustüre näherte. Jene Holztüre wurde vorsichtig geöffnet, es knarze lauter als gewollt und zwei müde dreinblickende graublaue Augen blickten im Kerzenschein zu den beiden Klosterwächtern. In ihrer Mitte befand sich ein junger Mann mit bluttriefender Stirn, nicht mehr aufrecht gehend, hing er in den Armen der Wachen. Der Blick der Heilerin wurde klarer, die Wachen sagten nichts. „Der Eingang zur Heilstube ist an der Südmauer, bringt ihn rein.“ Die Wachen sahen mit dankbarer Erleichterung zu der kleinen Frau und schafften den Bewusstlosen, dessen Füße über den Boden schliffen, in die Heilstube.
Viktoria war die Treppenstufen ins Schlafzimmer rauf geeilt und hatte sich rasch etwas angezogen. Gerade knöpfte sie noch die letzten Stücke der Bluse zu, als sie die Innentüre der Heilstube erreicht hatte. Sie ließ nicht auf sich warten und schritt zugleich durch Jene. Den Bewusstlosen hatten die Wächter auf die Liege bugsiert und ein einziger Blick reichte aus, um zu sagen, dass der Mann fremd war.

„Wisst ihr, wer er ist?“ Die kleine Frau mustert die Wachen einen Moment, ehe sie mit den Händen Gesten formte, welche ihr Platz im Raum verschaffte.
„Nein, hat sich volltrunken in der Adlerklaue mit einem Anderen geprügelt. Der ist allerdings davon gerannt und hat das arme Schwein hier einfach liegen lassen.“

Viktoria dankte den Wächtern und überließ sie wieder ihrem Nachtdienst. Mit nachdenklich gerunzelter Stirn suchte sie das Material zur Wundversorgung zusammen und begab sich nebst Tablett in der Hand zu dem Mann auf der Liege. Eine Weile lang musterte sie ihn, streckte ihre Hand aus und fühlte an seiner Stirn, an den Wangen und am Hals. Er hatte kein Fieber. Er fühlte sich kühl an. Ein ordentlicher Schlag, volltrunken auf die Stirn. Während sie den Mann behandelte, schweiften ihre Gedanken in vergangene Tage und Erinnerungen zurück.

Rückblende.

Das Lautenspiel war schnell, aufregend und passend zur Stimmung in der Schenke. Eine Hafenschenke, wie man sie sich vorstellte. In einem Hafendorf, wie man es kannte. Schäbig, müffelnd und voller betrunkener Fischer. Die gerade wieder ein Mal dabei waren, sich gegenseitig die Visagen mit zerbrochenen Bierflaschen zu polieren. Inmitten dieser tobenden Masse, voller Blut, Spucke und Erbrochenem, stand die kleine Heilerin, mit Ihrer abgenutzten Ledertasche und drückte einer Schankmaid eine Bandage auf die Stirn. Nicht ein Mal vor dem Schankpersonal machten die räudigen Hunde Halt. Selbst Oleandea hatte es erwischt, die Rothaarige beugte sich weiterhin zu der Heilerin runter und ließ sich die Stirn behandeln. Lange hielt der Moment nicht an. Während Viktoria die Wundsalbe auspacken wollte, wurde sie von einem breitschultrigen Kerl angerempelt und er hatte ihr dabei aus versehen seine abgebrochene Bierflasche in die Hüfte gerammt.
Ein Hüne von Kerl, schubste den betrunkenen Seemann von der kleine Frau weg und griff nach einem Handgelenk von Viktoria. Sie hatte keine Erinnerungen mehr daran, wie er sie aus dem Laden raus gebracht hatte, seufzte aber sehr erleichtert, als sie die frische Luft auf ihrer Haut spürte. Sie atmete diese ein und wollte für den Moment nichts mehr anderes.

„Ich kann noch selber laufen.“ Protestierte sie, als der Mann sie unter Taille und Knie auf seine Arme hob.
„Ich frage mich, warum Du überhaupt noch in dieses Drecksloch von Schenke gehst, Viktoria!“ Auch wenn Sorge in seiner Stimme und den Worten mit schwang, hörte die kleine Frau doch den Vorwurf daraus.
„Weil Oleandea meine Hilfe brauchte.“ Ein kehliges Brummen war die Antwort auf ihre Worte.
„Du solltest Dein Leben nicht für eine Hafendirne aufs Spiel setzen.“ Leise seufzend antwortete sie ihm: „Jedes Leben ist kostbar und verdient seinen Erhalten, Vater.“
„Nicht für jene, die es nicht zu schätzen wissen.“

Damit war die kurze Unterhaltung auch schon beendet. Viktoria sah ihrem Vater sehr ähnlich. Die markanten Gesichtszüge, die in weiblicher Form bedeutend schöner waren. Das weißblonde Haar und die graublauen Augen. Die Körpergröße war ein gewaltiger Unterschied. Die Größe hatte sie von der Mutter, welche einst mit pechschwarzem Haar gesegnet war. Die Erinnering an jene, war verblasst. War sie doch nach Viktorias Geburt im Wochenbett gestorben und selten sprach der Vater über sie.
Viktoria wurde nach Hause getragen, kein Laut gaben sie noch von sich. Es war dunkel, spät und sehr still in der Gasse, wo die kleine Hütte stand. Die Türe knarzte sehr laut und Viktorias Vater sog scharf die Luft hinter die Zähne. „Psscht, Du weckst noch Nan auf.“ Murmelte die kleine Heilerin. „Das muss sie auch, ich kann Deine Wunde nicht versorgen.“

„Warum seid ihr Beide noch so spät unterwegs?“ Die alte Frau, die ebenfalls großgewachsen und schon weißhaarig war, erhob sich schwerfällig von ihrer Schlafstätte am Kamin und blickte zu den Beiden rüber. „Deine Enkelin hat sich in der Schenke herumgetrieben und wurde dabei verletzt.“ Viktoria gab keinen Laut von sich, als der Vater nach ihr sah, hatte sie bereits das Bewusstsein verloren. „Schnell jetzt.“ Mahnte die Großmutter und deutet auf die Feldliege am Fenster. „Leg sie darauf, die Flasche steckt ja immer noch. Ich muss sie raus holen.“ So sanft und behutsam, wie er nur konnte, legte er seine Tochter auf den angewiesenen Platz ab und strich ihr mit sorgenvoller Miene über die Stirn. „Geh, Viktor und hol mir heißes Wasser aus dem Kessel.“ Die alte Frau schritt zitternd rüber zum Tisch und sammelte ihre Materialien ein um sich anschließend neben Viktoria nieder zu lassen.
Keiner der beiden sagte mehr etwas. Sie wirkten konzentriert und sehr besorgt. Die Behandlung dauert eine Weile und im schwachen Kerzenschein ging es nur sehr langsam voran. Das Glas musste entfernt, die Wunde gereinigt und anschließend vernäht werden. „Sieh es Dir an.“ Drang die Stimme der alten Frau durch die Stille in der Hütte. „Eine aufkommende Blutvergiftung. Ich muss Sie zur Ader lassen.“ „Denkst Du wirklich, das ist notwendig, Mutter? Sie hat Dir doch schon vor Wochen Alternativen gezeigt? Ihre Gegengifttinkturen. Helfen die denn nicht?“ Viktor wurde mit jedem Wort lauter, ernst und aufgebracht war er. „Das ist neuartiger Humbug. Ich praktiziere nach meiner Methode, so wie ich es gelernt habe.“ Erwiderte die alte Frau mit wedelnder Hand, ihm damit ihre Meinung aufdrängen wollend. „Aber wann hat Aderlass jemals wirklich geholfen, Mutter? Ich verbiete Dir, an meiner Tochter deine barbarischen Heilmethoden zu gebrauchen. Nimm ihren Trank. Sofort!“ Und mit seiner herrischen Tonlage, drückte er der, nun in sich gesunkenen, alten Frau die Phiole in die Hand. „Vertrau Deiner Enkelin, sie weiß, was sie tut. Und nun gib Ihr das Mittel, sonst übersteht sie die Nacht nicht. Und das würde ich Dir nie verzeihen.“

Mit verärgertem, lauten Schnaufen wendete Viktor sich von den beiden Frauen ab und ging im kleinen Raum auf und ab. Die Hütte, in der die drei lebten war sehr klein, keine sechs mal sechs Schritt groß. Auf dem Dachboden war die kleine Schlafkammer von Viktoria, die mehr Bücher und Schriftrollen, denn ein Bett beherbergte. Im unteren Raum, war durch eine hölzerne Abtrennung der Schlafbereich des Vaters und vor dem Kamin jene der Großmutter. Schon lange hatte der Vater darüber geklagt, dass es so nicht weiter gehen konnte. Dreiessig Jahre waren ins Land gezogen und Viktoria war zu einer wundervollen Frau herangewachsen. Sie verdiente in seinen Augen etwas besseres. Mehr. Mehr von dieser Welt. Die Neugierde seiner Tochter war so grenzenlos, dass er ihr eine bessere Ausbildung bieten wollte, als die altertümlichen Methoden seiner Mutter. Diese hatte vor Jahren in einem Frauenkloster das Handwerk gelernt und hatte sich nicht einen Tag weiterentwickelt. Aber so war seine Tochter nicht. Viktor hielt inne und betrachtete Viktoria. Sie war eine so hübsche und gebildete Frau. Hier würde sie nur eingehen, wie eine Rose ohne Sonnenlicht. Mit barscher Bewegung schüttelte der Hüne den Kopf. „Sie wird nicht bleiben, Mutter. Sie hat mehr verdient.“ Die alte Frau versorgte die schlafende Viktoria, blickte nicht auf, aber nickte. „Gleich Morgen kaufe ich die Fahrkarte. Sie wird in einer Woche fahren.“

„Wohin, wird sie fahren, Viktor?“

„Nach Lichtenthal.“


Zuletzt bearbeitet von Viktoria Hamberg am 05 Aug 2022 13:45, insgesamt einmal bearbeitet
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