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Das Rad des Waldes
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Cedras Aeneithes





 Beitrag Verfasst am: 22 Mai 2022 21:02    Titel: Das Rad des Waldes
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1. Die Saat und der Regen
Milchig-matte Sonnenstrahlen des am Horizont dahin ziehenden Tageslichts kämpften sich wenig zahlreich durch das dichte Blattwerk des Waldes, in dem Nadelhölzer im Laufe der Zeit die Überhand gewinnen sollten. Aber noch hatten sie den Boden nicht gänzlich für sich beansprucht - ebenso wenig wie die Sonne noch nicht bereit gewesen war, ihre Farbe zu wechseln und damit die heraufziehende Nacht langsam auch für die wenig geschulten Sinne greifbar zu machen. Noch war es nicht Zeit. Das durch das Blattwerk kriechende Licht erwärmte ein letztes mal die auf dem Grün haftenden Regentropfen, die ein kürzlicher Schauer auf dem Mantel des Waldes hinterlassen hatte. Während das graue Laken an Wolken auch das Nass mit sich genommen hatte, verblieb sein Geschenk wie durchlässiger Nektar auf den Pflanzen und sättigte die Luft mit frischen Waldaromen verschiedenster Blattwerke, die sonst vom erdig-holzigen Duft allzu stark übertönt wurden. Nicht, dass es nicht am Fuße der Bäume, die schon viele Tage wie diesen gesehen hatten, nach wie vor so riechen würde - das Orchester an Gerüchen war schlicht um einige Instrumente reicher geworden und sang ungehört seine Melodie in einen von der Zivilisation weitgehend unberührten Wald.

Dort unten, am Stamme eines alten Baumes, der duldsam seine Krone über sich aufspannte, fanden vor allem verschiedenste Frösche und Eidechsen eine Heimat, die über weite Strecken in der Stille des Blättermeers seinesgleichen suchte. Ein aus alten Ästen, Nadeln und Moos zusammengetragener Wetterschutz beharrte penetrant darauf, seine Existenz nicht wieder zu einer undefinierbaren Sammlung dessen werden zu lassen, was den Waldboden ausmachte. Der Mensch, der unter diesem Unterstand - nicht mehr als eine halbhohe, schräg gestellte Fläche aus Moos und anderen Walderzeugnissen - gelebt hatte, war lange weitergezogen. An Orte, die er dem Schatten seiner Heimat nicht anvertraut hatte, da ihm das Geheimnis seiner Reise ebenso verborgen blieb, wie den Pflanzen und Tieren, mit denen er diesen Ort geteilt hatte. Betrachtete man den Unterstand eingehender, fielen bereits die ersten Anzeichen ins Auge, dass er den Kampf schlussendlich gegen die Vergänglichkeit verlieren würde. Ebenso sicher wie die Sonne der Nacht weichen musste, ebenso sicher wie die letzten Tropfen des mittlerweile andernorten aufhältigen Regens im letzten Lichte ihr Dasein in dampfigem Nebel als letztes Hauchen einer flüchtigen Existenz fristen würden, so würde auch dieses fremd wirkende Gebilde aus Holz und Moos in sich zusammenfallen. Die Feuchtigkeit würde sich Morgen für Morgen auf das alte Geäst legen und es langsam auflösen und in diesem Prozess noch einigen Käfern und anderen Insekten als Behausung dienen, bis auch jene ihren Teil dazu beigetragen haben würden, das Holz wieder zu Erde werden zu lassen.

Doch dieser Spiegel war dem Getier, das unter dem verlassenen Schlafplatz wimmelte, verborgen und würde es immer bleiben. Auch sie würden weiterziehen, wenn das Gestell zusammenfiel und den Ort einer einstigen, sonderbaren Heimat bald schon vergessen haben.

In diesem Zwiespiel der Vergänglichkeit löste sich ein Tropfen aus dem oberen Blätterdach eingedenk eines beharrlichen Lichtstrahls und begann die letzte Reise als festes Gebilde in die Ewigkeit. Doch anstatt auf dem Wetterschutz aufschlagen und totem Gehölz oder durstigem Getier eine dürftige Erfrischung zu sein, fiel es durch eine kleine, unscheinbare Öffnung, die sich im Moosdach des Unterstandes gebildet hatte. Eine Öffnung, die sich erst im Laufe der Zeit wie eine klaffende Wunde weiter aufziehen und jegliche Substanz mit sich nehmen würde. Der Tropfen fiel ungebremst durch das kaputte Dächlein und hätte vermutlich in einer Unzahl anderer Konstellationen einfach nur den Waldboden bereichert. Doch nicht heute und nicht an diesem Ort, der sein eigenes Wunder in die Welt gebar, indem er jeder Wahrscheinlichkeit trotzte, als eben jener Tropfen auf die zarten Triebe eines jungen Pflänzchens traf, welches sich gerade eben mühsam aus dem provisorischen Waldbodenbett herausgeschält hatte. Grüne Triebe hatten die erdfarben-braune Decke abgestorbener Pflanzenreste durchbrochen und präsentierten sich in ihrer schlichten Schönheit auf dem Grund des Ozeans, der vom Blätterdach des Waldes beschrieben wurde. Der Tropfen verging und seine Essenz glitt, einer phantomhaften Erscheinung gleich, am Blattwerk und Stengel entlang, bis in das Blätternest, aus dem der Trieb entwachsen war. Die Feuchtigkeit durchglitt den Körper des jungen Gewächses gleich einer stillen Balz. Im Ergebnis für das Auge des Betrachters, so es einen gegeben hätte, änderte sich nichts: Der Tropfen war vergangen, der junge Spross hielt der Witterung stand.

Doch so wie die Wochen, Monate, vielleicht Jahre für den Mann, der an diesem Ort, in diesem Wald gehaust hatte, ihm eine Ewigkeit gewesen sein mussten, war diese Zeit nur ein Wimpernschlag für den Wald, der seine eigene Wandlung durchlebte. Er würde selbst weiterziehen: Die Zedern würden diesen Ort übernehmen und das Mischlaub andernorts frische Wurzeln schlagen. Aus dem kleinen Spross würde eine neue Pflanze wachsen, die diese Entwicklung in ihrer Wahrnehmung von Zeit miterlebte, bis das Ende auch für sie gekommen sein würde, sie dem Wassertropfen von einst nachfolgen und im Augenblick eigener Vergänglichkeit etwas Neues schaffen sollte. Etwas, das neues Leben bringen würde. Eine neue Saat, die aufgehen und den Ort weiterbewegen würde. Ein neuer Regen, der im Lichte eines anderen Tages vergehen und im stillen Lied des Waldes ausgeatmet würde.

Der Mann, mittlerweile an einem Ort der so fern wie Gerimor war, würde sich vielleicht dieses fernen Tages an den Ort erinnern, an dem er im Frieden des Waldes eine Fußnote im Wimpernschlag ewiger Momente gewesen war. Und er würde ob des tiefen Friedens lächeln, den er dereinst an diesem Ort empfunden hatte.

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