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Ein Leben für das Leben
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Andarc Sardonn





 Beitrag Verfasst am: 30 Apr 2022 17:39    Titel: Ein Leben für das Leben
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Die Alarmglocken Bajards läuteten.

Das hatten sie seit dem großen Brand im vergangenen Jahr nicht mehr getan.

Sofort ließ Andarc alles stehen und liegen. Das Packen von Notrationen und Erste Hilfe Taschen war plötzlich viel unwichtiger geworden als noch gerade eben gedacht. Ohne weiter darüber nachzudenken, eilte er zu seinem Kleiderschrank, drei Schritte weiter in diesem kleinen Zimmer, das er sein eigen nannte. Mit schnellen Handgriffen entledigte er sich der zivilen Klamotte, um sie gegen den wattierten Waffenrock und die Ketten-/Ringrüstung zu tauschen. Zügig zog er noch den Wappenrock der Miliz über, damit er gleich erkannt werden würde.

Draußen ertönten panische Schreie von wehrlosen Zivilisten. Die Kameraden der Miliz, welche ohnehin schon im Dienst unterwegs gewesen waren riefen Anordnungen: "Zur Mine! Bringt euch in Sicherheit!" "Wasser! Wir brauchen Wasser!"

Während Andarc sich noch seine Feldscher Tasche umhängte und dann auch schon zur Haustüre rannte, dachte er sich noch: <<Das dauert alles zu lange.>> Er war aus der Übung, weil er geglaubt hatte, er müsste so etwas so schnell nicht mehr miterleben. Seufzend betrat der Medicus den Garten seines Haues und blickte reflexartig hoch zum Himmel. <<Viel zu dunkel schon>>, wollte er gerade noch denken als plötzlich ein schwarzer Drache im Sturzflug knapp das Hausdach hinter ihm verpasste und eine Straße weiter, direkt vor dem Miliz Gebäude landete. Kampfeslärm.

"Verflucht!"

Gedankenlos lief Andarc weiter. Das Gartengatter wurde seiner Funktion beraubt. Er hüpfte einfach darüber hinweg. Als er an der Straße nach rechts abbog sah er bereits ein zweites schwarzes Ungetüm landen und die wenigen Kämpfer - Milizionäre wie auch Auswärtige - einkesseln. Ein Kampf auf Leben und Tod entbrannte so schnell, dass Andarc kaum realisieren konnte, was da gerade vor sich ging. Gefühlt zwei Herzschläge später sah er Matteo zu Boden gehen. So unterlief er einen der von einem Plattenträger abgelenkten Drachen, um seinen Kameraden aus der Gefahrenzone herauszuziehen. Im Häuserschatten ums Eck hatte er nicht viel Zeit, um Matteo mit Wangen Tätscheln und etwas Riechsalz wieder zu Bewusstsein zu rufen. Nur sehr notdürftig wurde die erste klaffende Wunde mit einem mehr schlechten als rechten Druckverband abgebunden. Dann konnte der Medicus den Schützen auch schon nicht mehr still halten. Er stand auf und warf sich direkt wieder ins Getümmel.
Gerade recht, denn da kam auch schon Drache Nummer 3. Sofort drückte Andarc sich wieder in den Stand hoch und lief erneut, diesmal weg vom Feind. Er kannte das Spiel. Laufen und überleben, bis die Kämpfer Zeit für die Übernahme hatten. Also rannte er wie ein Hase vor dem Fuchs um den Häuserkomplex herum. Mehrere Male, und stellte intuitiv sicher, dass ihn weder Feuerodems, noch Krallen besetzte Pranken trafen. Als endlich die Kämpfer aus Bajard und dem Westen übernehmen konnten konnte Andarc im Grunde genommen auch schon wieder zum nächsten Gestürzten eilen. Wieder kam das altbewährte Riechsalz zum Einsatz. Er öffnete einhändig mit seinem Daumen die Phiole. Zeitgleich zog er dem Mann vor sich die Gesichtsmaske herab, um dann die sofort hinaus treibenden Gase in wohl bedachter Menge zur Nase des Bewusstlosen zu fächern. Der Geruch war stechend. Andarc versuchte dabei selbst so wenig wie möglich einzuatmen. Zu viel war giftig, reizte die Schleimhäute. Schnell verkorkte er die Phiole wieder und tätschelte dann auch die Wangen dieses Mannes. Bald kam der fremde Helfer wieder zu sich und rappelte sich auf. Andarc half ihm noch kurz. Dann teilten sie sich auf, damit jeder wieder seiner eigenen Aufgabe im Kampf nachgehen konnte.
So ging das eine ganze Weile. Andarc zählte nicht mehr. Er handelte einfach und war froh als endlich kein Nachschub an Drachen mehr aus dem Himmel herabstürzte. Wie automatisiert folgte er den Kämpfern nach draußen vor die Palisade, wo sie sich noch gemeinsam davon versicherten, dass wirklich kein Feind mehr lebte. Dann bedankten der hinzugestoßene Fiete und Andarc sich mehrmals bei den Helfern aus dem Westen. Sie stellten sich alle gegenseitig vor und zogen dann aber wieder ihrer Wege.
Erneut musste Andarc sich an diesem Abend um Matteo kümmern, da dieser sich in der Zwischenzeit hatte noch zweimal von einem Drachen schnappen lassen. "Übereifriger Südländer", dachte der nördlich aufgewachsene Medicus sich noch, war aber insgeheim froh, so einen tatkräftigen und erfahrenen Kameraden zu haben. Außerdem hatte er es immerhin überlebt! Seine Gedanken schweiften ab, weg zu den gefallenen zwei Milizionären, während er Matteo nun gewissenhaft versorgte und ihn dazu ermahnte, es die nächsten Tage möglichst ruhig angehen zu lassen. Andarc hasste Kämpfe. Er hasste es, Kameraden fallen zu sehen und er hasste es, nichts daran ändern zu können.
Fiete und die Besucher des eiligen Kuriers gaben sich später noch redlich Mühe, den emotional schwer mitgenommenen Medicus etwas von seinem Gedankenkarussel abzulenken. Vor allem Fiete musste Andarc wohl danken. Für eine Weile hatte er seine Sorgen tatsächlich über das Gespräch mit dem Ratskollegen vergessen.
Erst während er, Stunden später wieder zu Hause war, um sich weiter um die Notrationen zu kümmern und entschieden noch mehr Bandagenrollen einzupacken, ging die Selbstkritik, das Hinterfragen und Überdenken erneut los. Es war so schön einfach gewesen, sich nach all den Jahren einzureden, dass er drüber hinweg sei, was er als junger Knabe erlebt hatte. Er hatte sogar Patienten dabei geholfen, ihre eigenen Traumata zu überwinden, und jetzt stand er hier, mitten in der Nacht nach einem Drachenangriff, der vermutlich nicht einmal etwas Persönliches gewesen war, und musste sich selbst dazu ermahnen, sich zu konzentrieren, den Fokus nicht zu verlieren.

Riechsalz!

Er würde mehr davon brauchen. Wenn die Drachen noch einmal kämen, könnte es öfter passieren, dass die Kameraden getroffen, aber nicht getötet wurden. Gerade bei so massigen Biestern wie den Schwarzdrachen lag so viel Wucht hinter den Kellen, die sie austeilten, dass man schnell einmal davon bewusstlos werden konnte. Vermutlich würden die meisten Betroffenen auch von selbst wieder wach werden. Bewusstlosigkeit hielt immerhin nicht ewig, aber - im Gegensatz zu einer Ohnmacht oder einem Kollaps doch länger als ein Sanduhrenlauf - und das war entschieden zu lange in einem tobenden Kampf. Da zählte jeder Wimpernschlag an Zeit, um größere Verluste zu vermeiden. Daher der Einsatz von Riechsalz. Seufzend holte Andarc eine kleine Holzschachtel aus seinem zuletzt stark wachsenden Lager und öffnete diese. Darin lag eine ganze Menge Riechsalz. Allerdings trocken, und somit uneffektiv. Erst durch das Hinzufügen von Feuchtigkeit wurden jene Gase freigesetzt, die so hilfreich beim wieder wach Werden waren. Im Kampf wäre das viel zu umständlich, müsste man es erst noch vor Ort zusammenmischen. Daher bereitete er immer wieder mal ein paar Phiolen vor, in welchen er ein paar Tropfen Wasser dem bis dahin trockenen Riechsalz hinzufügte. Schnell noch der Korken drauf und dann konnte das Gas sich in Ruhe bilden, ohne sich vorläufig verflüchtigen zu können. Bis er den Korken wieder abziehen würde, blieb es da und wartete ungeduldig auf seinen Einsatz.


Zuletzt bearbeitet von Andarc Sardonn am 18 Okt 2022 13:49, insgesamt einmal bearbeitet
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Andarc Sardonn





 Beitrag Verfasst am: 04 Jul 2022 00:08    Titel:
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Sein Kopf dröhnte. Er hörte alles wie durch Watte und wann immer er die Augen öffnete, hatte er Schwierigkeiten, geradeaus zu sehen. Alles tat ihm weh. Besonders der Rücken. Eine selten gespürte Entkräftung beherrschte seine Glieder und band ihn für die nächsten paar Tage ans Bett.

Dem Ein oder Anderen mochte es vielleicht auffallen, dass er in der Zeit weder im Heilerhaus arbeitete, noch auf den Straßen patrouillierte oder in der Spelunke mit einem Feierabendwein herum saß. Wer sich informierte, würde aber auch recht problemlos erfahren, dass die Kameraden aus der Miliz den Feldscher wohl in der Nacht vom 03. auf den 04. Cirmiasum ins Heilerhaus verfrachtet hatten. Manch ein aufmerksamer Nachbar will sogar gesehen haben, dass der Feldscher nicht auf eigenen Beinen hinein sei. Die Kameraden, welche in jener Nacht irgendwann wieder das Haus verließen, hätten allerdings allesamt zuversichtlich ausgesehen, dass Andarc bald wieder genesen sei.




[ooc: Ein paar Tage Päuschen fürs RL]
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Andarc Sardonn





 Beitrag Verfasst am: 25 Jul 2022 23:35    Titel:
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Als er in dieser Nacht heimkehrte steuerte er sogleich die Küche an und stellte dort das Frühstückkörbchen auf der Küchenzeile ab. Ein Blick darauf ließ ihn still vor sich hin lächeln. Das würde später, nach ein paar Stunden Schlaf mit Abstand das prächtigste Frühstück werden, das er sich jemals gegönnt hat. So viel mehr als bloß zwei Scheiben Graubrot mit gebratenen Eiern und vielleicht mal etwas Käse. Es klang so surreal als er darüber nachdachte. All die Jahre hatte er nie das Gold für so etwas gehabt, doch seit ein paar Monden war das Gold da. Er verdiente ein Vielfaches von dem, was seine Familie in Breitendamm zusammen verdient hatte. So viel, dass er sogar einmal eine fünfstellige Summe in die Hand genommen hatte, bloß um sich ein Kuscheltier zu kaufen. Ein Kuscheltier! Für solche Summen musste sein Vater früher bald eineinhalb Monde jeden Tag stundenlang arbeiten gehen. Fassungslos schüttelte Andarc seinen Kopf und sah sich im Raum um. Das Mobiliar war bescheiden, wie man es von ihm wohl auch erwarten würde. Er war nie der Mann von Prunk und Protz gewesen. Alleine die 100 Kronen, welche in den jüngsten Umbau des Heilerhauses gewandert waren kamen ihm so utopisch viel vor. Nach außen hin wirkte es nicht einmal so, als wäre viel Gold in die Einrichtung gewandert. Gemessen an gerimorianischen Standards war das vermutlich auch nicht viel. Wenn er sah, wie gelassen einige seiner Handelspartner und Freunde Summen in vielfacher Größe aussprachen, dann waren 100 Kronen vermutlich Taschengold hierzulande. Sein Blick fiel zurück auf das Frühstückskörbchen. Der Inhalt dessen war vermutlich auch wenige Kronen wert. Ein Wochenlohn seines Vaters. Für einen Morgen, eine Person. Nicht etwa die ganze Familie. Hier hatte er ja auch keine. Mit einem tiefen Durchatmen zwang Andarc sich dazu, das Lächeln auf seinen Lippen neuerlich aufleben zu lassen und setzte sich schließlich in Bewegung, um die Küche zum Garten hinaus zu verlassen.

<<Gönn es dir, nur dieses eine Mal! Das ist ja nicht alltäglich.>>

Redete er sich selbst ermutigend ein, während er die Küchentüre hinter sich leise schloss und sich dann auf den Stufen davor niederließ. So wenig dafür bestimmt sie auch wirkten, sie waren in den vergangenen Wochenläufen zu einem Ort des Entspannens und tiefergreifender Gedanken geworden. Von hier aus konnte er, an den Obstbäumen vorbei und über den Gartenzaun hinweg auf die Westküste Bajards schauen. Leise plätscherte das Wasser dort vor sich hin, wann immer es sich an Land in kleinen Wellen brach. Verbunden mit Stegen, trieben die Hausboote seiner Nachbarn darauf und schaukelten leicht mit, wann immer eine Welle groß genug war, um sie zu bewegen. Alles hier war in steter Bewegung, aber es hielt zusammen. Mit einem Blick nach links sah Andarc die Hauptstraße Bajards. Vom Eingang des Freihafens aus führte sie hier, ein Haus von ihm entfernt weiter hinein, zum Wachhaus der Miliz und, eine Biegung nehmend zum Hafenkontor, Andarcs beiden anderen Arbeitsorten. Er liebte seine Berufe. In allen dreien konnte er Menschen helfen, was seine große Leidenschaft war. Das hatte er früh für sich entdeckt und dieses Verlangen war nur noch größer geworden mit den Jahren, in welchen er erlebt hatte, wie die Breitendammer unter dem Kriegstreiben Aschenfelds wie auch Drakons litten. Als Medicus verarztete er jene, die verletzt worden, wohingegen er als Landsknecht für Ordnung sorgte und seine Heimat inzwischen sogar wieder mit Waffe und Schild beschützte. Seine Tätigkeit als Bürgervertreter gab ihm schließlich sogar die Möglichkeit, sich offiziell um die Sorgen und Nöte, aber auch Interessen der Bajarder zu kümmern. Sie waren ihm in den vergangenen 8 Monden eine zweite Familie geworden. Viele von ihnen mochte er nicht mehr missen müssen und er fand es obendrein höchst interessant, von wo aus der Welt sie alles herkamen, welche Geschichten sie hatten oder welche Beweggründe sie nach Bajard getrieben hatten.

Zufrieden seufzte er und blickte sodann hoch gen Nachthimmel. Es war inzwischen einige Wochenläufe her, dass er sich so bedingungslos gut gefühlt hatte. So rundum glücklich, zufrieden, optimistisch... In den nächsten Tagen würde es auf eine Seefahrt gehen. Unbekannte Gewässer, hoffentlich sogar neues Land entdecken. Die Mannschaft eine bizarre Mischung aus Profis und Amateuren, Feinden und Freunden, aber alle mit großer Neugierde im Herzen, so wie er auch. Nach jahrelanger Studienreise durch sämtliche Ländereien des Festlandes vermisste er es zuweilen, einfach weiterzuziehen. Nicht, dass er vor hatte, seiner neuen Heimat so schnell den Rücken zuzukehren, aber die Ferne hatte ihn schon immer gereizt. Er hatte das Herz eines Entdeckers und wollte so viel wie möglich von der Welt sehen. Daher redete er auch so oft mit Vertretern verschiedenster Glaubensrichtungen, obwohl er für sich selbst bisher keine Konfession auserkoren hatte. Darum schaute er sich auch so gerne die Städte des Umlandes an und probierte fremde Kulinaritäten. Seit er denken konnte, war er ein Kind mindestens zweier Welten gewesen. Diese Offenheit für Neues wollte er sich unbedingt beibehalten. Mit einem kleinen Schmunzeln dachte er an den gerade vergehenden Tag zurück. So voll von Freundschaft, Handel, Natur und Erkundungen, dass es ziemlich repräsentativ für sein derzeitiges Leben war.

<<Wann hast du dir das letzte Mal gedacht: "So kann es bleiben"?>>

Schoss ihm die Frage seines besten Freundes in den Kopf und ließ ihn erneut lächeln.

<<Jetzt>>

Dachte er nur bei sich und genoss noch etwas die Stille der lauen Sommernacht. Still hing er dabei seinen Gedanken nach und ging erst zurück ins Haus als sein Körper ihn durch herzhaftes Gähnen daran erinnerte, dass er Schlaf benötigte.

Ja, doch, so durfte es gerne bleiben.

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"Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen." - Plato


Zuletzt bearbeitet von Andarc Sardonn am 18 Okt 2022 13:50, insgesamt 5-mal bearbeitet
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Andarc Sardonn





 Beitrag Verfasst am: 18 Okt 2022 12:45    Titel:
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Aber es blieb nicht so. Es verging, so wie alles andere im Leben auch. Freunde kamen und gingen wieder, und dann waren da noch jene, von denen man nur fälschlicherweise annahm, sie seien Freunde, doch im Endeffekt war alles eine große Lüge. Oder doch nicht? Wo fing böser Wille an und wo endete die Fahrlässigkeit der Menschen?

Andarc grübelte in den vergangenen Tagen und Wochen recht viel. Seit der Expedition in die Cabezik hatte sich einiges geändert in seinem Leben. Gleich zwei vertraute Menschen waren gegangen. Dafür war eine andere 'Beziehung' wieder intensiver geworden. Alles in allem wohltuend, und doch fragte der Bajarder sich stets, ob irgendwas davon mit ihm zu tun hatte; ob es persönlich war. Er ruhte noch immer nicht so sehr in sich, wie es angebracht wäre. Selbstzweifel schlichen sich von Zeit zu Zeit in seine Gedanken und paarten sich dort mit den immer gegenwärtigen Verlustängsten. Über das Frühjahr hinweg hatte er keinen Gedanken daran verschwendet, dass irgendetwas von den tollen Dingen, die ihm widerfahren waren bald schon vorbei sein könnte. Dass irgendwer ihn verlassen könnte. Selbst mit der Gewissheit, dass immerzu der Glaubenskrieg hier tobte, Drachen den Kontinent angriffen und Lich Magier das Land plagten war er sich irrtümlicherweise sicher gewesen, dass er diesmal seine Lieben halten könnte. Am Ende des Tages hatte weder das Eine, noch das Andere ihm jene Lieben genommen. Es war der Zahn der Zeit, die Art der Menschen gewesen und dieser Fakt ließ ihn ratlos zurück. Gegen Gewalt konnte man sich in gewissem Maße wappnen. Selbst Krankheiten konnte man bekämpfen und wenn es Streit gab, konnte man diesen schlichten, aber gegen Sinneswandel und Verderbtheit konnte man nichts tun. Man musste sie hinnehmen. _Er_ musste sie hinnehmen.

Andarcs Trost waren seine Abende in der Spelunke, die Gespräche mit den verbliebenen Vertrauten und freilich die Arbeit. Arbeit lenkte immer ab. Auch, wenn er nun - auf dringlichen Rat hin - das Labor immer öfter mal hinten anstellte, gab ihm das Bearbeiten von Kundenbestellungen eine willkommene Ablenkung von dem eigenen Chaos im Kopf. Gleichzeitig forderte die Miliz im positiven Sinne seine Aufmerksamkeit. Er wollte mehr aus ihr machen, ohne es zum Sport für sich oder die Kameraden werden zu lassen. Hier ein Ausbildungsunterricht, da ein Mannschaftsabend, dort eine öffentliche Veranstaltung... In den nächsten Wochenläufen würde er das ein oder andere ausprobieren, mehr Öffentlichkeitsarbeit leisten wollen, um zu sehen, was machbar war und was auf Zuspruch stieß. Auch seine Kampfübungen führte er weiter fort. Nicht nur um einen körperlichen Ausgleich zum vielen Sitzen zu schaffen, sondern auch, um sich abzuregen und gleichzeitig zu versuchen, seine tief verborgene, rauere Seite in sich wachzurütteln. Es war an der Zeit, sich selbst zu stärken, selbstbewusster auftreten zu können und definitiv vorbereitet zu sein, wenn die nächste Bedrohung auf Gerimor zuhalten würde.

Vor allem aber tat er das, um sich selbst daran zu erinnern, dass das Leben ein steter Kampf war und dass Stagnation/Stillstand den Tod bedeutete. Weiterentwicklung war des Menschen Trumpf.

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"Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen." - Plato


Zuletzt bearbeitet von Andarc Sardonn am 25 Dez 2022 20:07, insgesamt 3-mal bearbeitet
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Andarc Sardonn





 Beitrag Verfasst am: 13 Nov 2022 14:03    Titel:
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<<Atmen, Andarc! Atmen!>>

Kurz noch blinzelte er die Zimmerdecke über seinem Bett an. Dann schloss er gezielt die Augen.

<<Eiiin...auuus...Eiiin...auuus... Mal, gut dass der Schemen nicht gerade da war als Fiete zu Besuch war. Das hätte böse in die Hose gehen können.>>

Er schreckte auf und krallte entnervt in die Bettdecke auf seinen Beinen. Ein Schnauben und wieder starrte er voran. Dieser vermaledeite Kopf. Immer diese nervtötenden Sorgen, die einen kirre machten, bevor überhaupt etwas passiert war. Es war so schon schwer genug, nach all dem Erlebten in den letzten Tagen mal für ein paar Stunden am Stück zu schlafen. Erst das Fräulein Abendstern und Alina, dann er selbst... die Bilder aus vergangenen Schlachten, Fiete... das Gefühl von Hilflosigkeit, von Versagen... und kaum das verarbeitet, dann noch Nika und diese Studiosa, die zwar aus anderen Gründen ohnmächtig und panisch wurde, aber naja, auch sie hielt ihn bis nachts im Einsatz und immerzu musste er versuchen, für seine 'Patienten' ruhig zu wirken. Weil wie könnten sie sich beruhigen, wenn er als Medicus, der ihnen helfen sollte, es nicht selbst war? Wie sollten sie darauf vertrauen, dass wieder alles gut würde, wenn er sich insgeheim einen Kopf darum machte, wer als Nächstes dran wäre?

<<Laufen, wenn es bei ihm soweit ist! Warum nur?>>

Er seufzte schwer und massierte sich die Schläfen. Wieder schloss er die Augen.

<<Eiiin...auuus...Eiiin...auuus... Vielleicht hilft Mohnsaft? Nein! Mir geht es gut. Eiiin...aus->>

"Ach, ich geb's dran!", brummelte er resignierend und strampelte sich grob von der Bettdecke frei. Mit gar stapfenden Schritten ging er barfuß zum Kleiderschrank hin, zog dort das nächstbeste Schuhpaar und einen Mantel heraus und schlüpfte jeweils hinein. Normalerweise tat es ihm gut, sich mit Fietes Positivität zu umgeben, aber solange es keine Früherkennungszeichen für das Zuschlagen des Schemens gab, war das wohl weniger sicher im Moment. Also mussten altbewährte Hilfsmittel her, und damit es nicht wieder Drogen wurden, ging er also eine Runde durch Bajard spazieren. Irgendwie musste er sich abregen, so müde werden, dass der Körper sich zwanghaft nahm, was er brauchte, denn sein Kopf wollte es ihm nicht gönnen. Also spazierte er und ging...ging...ging... stundenlang durch den Freihafen, immer wieder seine Runden drehend, bis irgendwann der Himmel bereits farbiger wurde und die Dämmerung hereinbrach.

<<Na, toll. Also doch wieder starker Kaffee...>>

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Andarc Sardonn





 Beitrag Verfasst am: 10 Dez 2022 04:35    Titel:
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Der oder eher die Schemen hatten sich offenbar wieder zurückgezogen. Oder war das nur eine trügerische Stille? Er konnte es sich eigentlich kaum vorstellen. Bereits einen Mondlauf lang war nun kein neuer Fall mehr an seine Ohren gedrungen. Gut, zugegeben hatte er auch die meiste Zeit seit dem letzten Vorfall erschöpft im Bett verbracht, aber auf seinen Arbeitsschreibtischen hatte er keine entsprechenden Vermerke zu Vorfällen entdeckt und mündlich informiert hatte ihn über so etwas auch niemand. Daher klammerte Andarc sich an die leise Hoffnung, diese Bedrohung wäre endlich überstanden. Die Zeit der Sorgen und Ängste sollte endlich vorbei sein. Er war es leid, sich selbst damit fertig zu machen. Angst war des Menschen größter Feind. Sie schwächte einen, indem sie davon abhielt, Risiken einzugehen und sich zur Wehr zu setzen. Sie lähmte jeden, der sie zuließ. Das musste endlich ein Ende für ihn haben. Drei Wochenläufe lange Bettruhe, weil der eigene Körper einem den Dienst in jeglicher Hinsicht verwehrte mussten unbedingt Ermahnung genug gewesen sein. Sich fürchten und übermäßig einen Kopf um alles machen war kräftezehrend. Nicht allein deswegen, weil es einen um den Schlaf brachte.

Doch wie wird man seine Ängste los? Wie wird man zuversichtlich, wenn das Leben einem unzählige Male unmissverständlich aufgezeigt hatte, dass die eigenen Sorgen und Ängste begründet waren? Angst war kein Hebel, den man nach Belieben umlegen konnte. Nichts, was man mal eben aussperren konnte.

Während Andarc im Rahmen eines morgendlichen Laufs durch Bajards Umland für die nötige körperliche Ertüchtigung in seinem wieder arbeitsreicher werdenden Alltag sorgte, ließ er seinen Gedanken freien Lauf. Unweigerlich musste er an Nikas Worte über das Leben im Jetzt denken. Er war zutiefst beeindruckt von der grundlegenden Idee dahinter, stets das zu tun, wonach einem war und die Angst vorm Tod beiseite zu schieben. Natürlich war ihm klar, dass er niemals so abgebrüht sein würde wie Nika es war. Dafür waren ihre Lebenswege viel zu unterschiedlich gewesen, aber womöglich konnte er sich doch eine Scheibe von ihm abschneiden?
Auch Fietes Worte darüber, dass Andarc nicht die Welt retten würde kreisten erneut durch seinen Kopf. Ja, bevor es ihn gegeben hatte, war Ala'thair auch ausgekommen und mit sehr großer Wahrscheinlichkeit würde es das auch, wenn er eines Tages das Zeitliche segnen würde. Niemand verlangte von ihm, dass er Tag und Nacht erreichbar sowie auch zurechnungsfähig war. Der Einzige, der das bisher von ihm verlangt hatte, war er selbst gewesen.
"Achte auch mal auf dich!", hatten so viele bereits zu ihm gesagt und sie hatten Recht damit. Das musste der Medicus sich eingestehen.
"Tot nützt du dem Herrn nichts", hatte er selbst einem einstigen Freund gesagt. Auch da war wohl etwas Wahres dran, das nicht nur für den ursprünglichen Adressaten dieser Worte, sondern für jeden Diener des All-Einen galt.

Und wenn er es einmal so betrachtete... Niemand war den jüngsten Bedrohungen Gerimors erlegen. Teils mit, teils ohne Andarcs Hilfe waren sie alle stark genug gewesen, diese weitere von unzähligen Prüfungen des Lebens zu bestehen. Alle seine Lieben waren noch bei ihm. All seine Sorgen und Ängste waren also zwar begründet, aber umsonst gewesen. Das Einzige, was sie ihm eingebracht hatten war diese sich ewig lang anfühlende, zwangsweise Auszeit, weil er noch nicht einmal mehr die Kraft dafür gehabt hatte, sich etwas zu Essen zu kochen, ohne danach wieder schlafen zu gehen. Einen knappen Mondlauf lang hatte er von seinem Ersparten leben müssen, statt weiter Gold über seine Arbeiten verdienen zu können oder seinen Körper weiter zu stärken, was er so zwingend nötig hatte, um künftige Bedrohungen meistern zu können. Nein, mittlerweile war er sich sicher: <<Das muss ein Ende finden.>>

Entschlossen führte er also seine Laufrunde zu Ende, ehe er sich zu Hause kurz frisch machte und dann einen Abstecher in den Hafenkontor und danach ins Wachhausbüro machte, um dort nach dem Rechten zu sehen. Das erste Jahr auf Gerimor hatte ihn sehr vieles gelehrt. Nun freute er sich auf sein zweites und war voller Zuversicht, dass es genauso spannend weitergehen würde.

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Zuletzt bearbeitet von Andarc Sardonn am 04 Feb 2023 21:49, insgesamt 4-mal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 21 Feb 2023 14:05    Titel:
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Die Nacht war kurz gewesen. Nicht nur, weil er erst jenseits der dritten Stunde ins Bett gekommen war, sondern auch, weil er aufgrund des Erlebten tatsächlich hatte kaum ein Auge zumachen können. In ihm rumorte es. Gefühle und Gedanken mischten sich wild durcheinander.

Fassungslosigkeit darüber, dass es jemals jemand geschafft hatte, ihn zur freiwilligen Anwendung von Gewalt zu drängen. Noch immer war er davon überzeugt, dass das für wahr kein Leichtes in seinem Fall war, aber Gustav Grann hatte es geschafft. Wie konnte ein Mensch nur so widerwärtig sein? Er begriff es nicht. Junge Frauen anmachen, kein "Nein" akzeptieren und erst recht die Unfähigkeit des Mannes, den Ernst einer Lage zu erkennen. Andarc war, was diesen Typen anging tatsächlich einfach nur noch fassungslos.

Besorgt war er oben drein nun wegen der Wellen, die die vergangene Nacht schlagen würde. Genau so was hatte er nie haben wollen. Streit, am besten noch öffentlich und das auch noch in einer Vorbildfunktion. Nika und Fiete gingen damit bedeutend souveräner um, hatten sie vermutlich auch weit mehr Erfahrungen auf diesem Gebiet. Er jedoch war so erzogen wurden, dass er sich nicht körperlich zur Wehr setzte, keine Intrigen schmiedete oder seine Macht ausnutzte. Ihm hatte man daheim beigebracht, nach dem Schlag auf die Rechte auch noch die Linke hinzuhalten. Unverschämtheit mit Freundlichkeit zu begegnen und sich so abzusetzen vom Pöbel. Das klappte hier nicht mehr. Nun musste er es auf die harte Tour durchziehen und das widerstrebte seinem inneren Wesen. Ja, er war besorgt. Aber auch vor allem um Fiete. Der Messerstich war die eine Sache. Als Medicus konnte er sehr wohl einschätzen, dass Fiete daran nicht versterben oder schlimme Spätfolgen davon tragen würde, aber Andarc sah eben, wie bereitwillig "Fiete" in diesen 'Streit' mit Grann gegangen war und er hatte mit angesehen, wie vermeintlich rücksichtslos der Blonde eigenen Schaden dafür in Kauf genommen hatte. Es war einfach ein unerträglicher Gedanke, sich vorzustellen, dass dem noch mehr folgen könnte.

Und zu der bloßen Sorge mischte sich nun tatsächlich auch noch Angst. Ja, pure Angst. Was bisher nur eine vage Möglichkeit war, über die er sich viele Gedanken gemacht hatte, war nun Realität geworden. All das drüber Grübeln hatte ihn nicht im Geringsten darauf vorbereiten können, "ihn" kennenzulernen. Während Andarc bei einer Tasse besonders starkem Mocca so seinen Gedanken hinterher hing, lief ihm ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Er bereute es inzwischen regelrecht, so etwas wie eine berufliche Neugierde für das gestern erlebte Phänomen verspürt zu haben. Am liebsten würde er die Zeit zurückdrehen und dann den Teil überspringen, an dem er mit diesem... ja, mit "ihm" halt in Kontakt getreten ist. Er atmete tief durch und schüttelte dann für sich den Kopf, ehe er seine Nasenwurzel zur Beruhigung massierte. Das einzig Positive - und in dem Fall vermutlich seine Lebensrettung war gewesen, dass er entgegen all seiner Instinkte den früheren Rat und die Bitten von Fiete sowie Nika befolgt hatte. Dass er weder eingeschritten war, noch versucht hatte, "ihn" von irgendwas abzuhalten. Dass er "ihm" dabei zugesehen hat, wie er jemanden mit dem Leben bedroht hatte und jenes Leben auch beinahe beendet hätte. Wie vergangene Nacht schon, konnte Andarc auch jetzt nur ein verzweifeltes Fluchen ausstoßen und betete, "ihm" so schnell nicht wieder begegnen zu müssen.

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Zuletzt bearbeitet von Andarc Sardonn am 21 Feb 2023 14:11, insgesamt 4-mal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 20 März 2023 15:02    Titel:
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Wieder zu Hause.

Ruhe...

Alleinsein - Keine quälende Einsamkeit, sondern wohltuendes Alleinsein. Fern von Menschen, die meinen, sie hätten irgendein Recht darauf, sein Leben zu bewerten, nur weil sie denselben Familiennamen tragen. Weit weg von sogenannten Familienmitgliedern, denen wichtiger ist, dass die Familie ihren 'Ruf' nicht verliert, anstatt sich um ihre einzelnen Angehörigen und deren Wohlergehen zu kümmern.
Welchen Ruf überhaupt? Den einer über zwei Landstriche verstreuten Familie aus ärmlichen Verhältnissen, die sich zwischen zwei verfeindeten Reichen gegen den Krieg positioniert hat und lieber sterben als ihre Heimat aufgeben würde?
Wen kümmert es da noch, ob diese Familie fromm lebt, ob sie hiesiger Sitte entspricht und ihren Namen an folgende Generationen weitergibt? In Drakon sind sie mit ihrem Hang zur Temora Gläubigkeit Ketzer und in Aschenfeld interessiert sich schlicht niemand für die Familie Sardonn. Kaum wer kennt sie überhaupt, und auch die Heirat Laras mit diesem - zugegebenermaßen bemühten Bibliothekar wird daran nichts ändern. Lara heißt nun nicht mehr "Sardonn". Ebenso wenig wie Maria. Anna wird in wenigen Jahren spätestens nachziehen und dann würde alles an ihm - einem schwulen, Alatar gläubigen, auf Gerimor lebenden Sohn hängen bleiben.

Nein, gestrichen! Dann würde der Name eben aussterben. Andarc würde nicht dieselbe feige Entscheidung treffen, wie sein jüngster Schwager und 'für die Familie' so tun, als sei alles 'normal'. Er würde nicht nur für den unbedeutenden Ruf seiner Familie eine Frau heiraten und Kinder mit ihr zeugen. Auf gar keinen Fall! Das konnten sie nicht von ihm verlangen. Und doch taten sie genau das. Sogar ohne das Wissen darüber, dass seine ausbleibenden Erfolge, eine Frau für sich zu gewinnen an seiner Sexualität, und nicht an irgendwelchem Pech scheiterten. Er versuchte es ja nicht einmal, und das hatte er ihnen auch gesagt. "Du solltest darüber nachdenken, deine Ansprüche an dein zukünftiges Weib herunterzuschrauben" hatten sie naiv gesagt. Dass der einzige Sohn dieses Familienzweigs schwul war, wurde offensichtlich nicht einmal in Erwägung gezogen. Wieso denn auch? So was tat man schließlich nicht! Wer wäre schon freiwillig gerne schwul?

Andarc rollte mit den Augen und atmete schwer aus, womit er seine Gedankengänge entschieden unterbrach. Zurück in Bajard wollte er sich darüber nicht mehr den Kopf zermartern. Er hatte die Reise nach Aschenfeld überstanden, nicht gelogen, sein Wort gehalten und Lara gratuliert, ihr Beistand an ihrem großen Tag geleistet und sie zum Altar geführt, an Vaters statt. Pflicht erfüllt. Fertig - abhaken. Nun freute er sich lieber darauf, all seine Freunde und Kameraden wiederzusehen. Schöne Abende im Kurier zu verbringen und seinen Arbeiten als Medicus sowie Hauptmann nachzugehen. Denn bei all dem konnte und durfte er so sein, wie er eben war. Niemand hier verlangte von ihm, dass er eine platonische Ehe einging, Nachfahren zeugte oder sich einer Glaubensgemeinde anschloss, deren Geweihten selbst kaum halten konnten, was sie predigten. Hier musste er einfach nur "Andi" sein. Das war genug. Mehr verlangten sie hier nicht.

Ja, Bajard, dessen Bewohner und ein paar ausgewählte Freunde von außerhalb bildeten wohl seine wahre Familie. Die, zu der er sich verbunden fühlte und die, für die er alles in seiner Macht Stehende tun würde. Hier war seine wahre Heimat. Hier fühlte er sich wohl.

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Andarc Sardonn





 Beitrag Verfasst am: 29 Mai 2023 10:40    Titel:
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Rückblende: Breitendamm, 29.05.261

Ich atmete keuchend ein und aus. Ein Automatismus. Die verqualmte, nach Tod und Verderben riechende Luft um mich herum hielt mich am Leben. Mein Blick schwenkte hektisch hin und her. Ich versuchte mir ein Bild davon zu machen, wie die gegenwärtige Lage war. Gerade eben noch hatte hier eine Schlacht getobt. Jetzt war alles plötzlich still. Ich hörte nur mich atmen und meine Schritte auf dem Blut durchtränkten Schlammboden. Sie trugen mich an gefallenen Kameraden vorbei. Den meisten sah ich leider nur allzu eindeutig an, dass sie ihr Leben für unsere Heimat gelassen hatten. - Abgetrennte Köpfe, aufgerissene Brustkörbe - Die groteskesten Bilder, die ich seit Jahren gesehen hatte. Es war kaum zu ertragen, aber ich hatte keine Zeit, jetzt darüber nachzudenken.
Wie ferngesteuert lief ich weiter. Es musste doch noch Überlebende geben! Sie konnten nicht alle gefallen sein. In meiner Verzweiflung erhöhten sich meine Atem- und Herzschlagfrequenz immer mehr. Die Landschaft zog an mir vorbei, ohne dass ich groß auf sie achtete. Ich wollte nur noch einen Funken Hoffnung finden. Dann, endlich, hörte ich ein Röcheln, dicht gefolgt von einem Husten. Sofort blieb ich stehen und wandte auf der Stelle herum. „Kommandant!“, rief ich aus als ich Reinhard am Boden erkannte. Ich eilte bereits zu ihm, da hob er schon seine Hand schlapp an, als wollte er abwinken. „Die weniger Verletzten haben sich östlich von hier gesammelt“, erläuterte er mir gurgelnd.
Ich stockte, kniete schnell an seiner Seite nieder und stierte ihn verständnislos an. Da sah er mich ernst von unten, aus seiner liegenden Position heraus an und meinte: „Für mich ist es zu spät. Rette, wen du noch retten kannst, Andarc!“ Er hustete. Sofort hielt er sich den Bauch. Ich streckte meine Arme zügig aus, wollte nach seinen Verletzungen sehen, doch er schob seine Hand dazwischen und knurrte mich nun deutlich harscher an: „Wag es dich nicht, nur einen von ihnen meinetwegen im Stich zu lassen!“ Ein erneutes Husten unterbrach ihn kurz. Doch ich war ohnehin nicht in der Lage ihm ins Wort zu fallen. Ich war sprachlos; wusste nicht, wohin mit mir. „Von jedem hätte ich vielleicht erwartet, mich zu retten…“ Er atmete feste durch. „…aber nicht von dir, Medicus. Du hast anderes geschworen.“ Während er das sagte, bemerkte ich, wie er immer blasser wurde und die dunklen Schatten unter seinen glasigen Augen deutlicher hervorstachen. Ein dünnes Blutrinnsal stahl sich allmählich seinen Weg aus seinem Mund und befleckte seinen Mundwinkel. Fassungslos stieß ich einen Schwall Luft aus. Dann sah er mich ein letztes Mal ernst an und so verharrte er schließlich. In mir zog sich alles zusammen. Ich wollte mich jetzt nicht bewegen. Also strenggenommen doch, aber ich konnte es nicht.


nächtliche Gedanken in Bajard, 29.05.266

Ich wollte nicht mehr an Reinhard denken müssen. Jedenfalls nicht so. Nur an seine letzten Worte, seinen letzten Befehl - auch wenn er ihn nicht direkt als einen solchen ausgesprochen hatte. Ich wollte dem Folge leisten; seit Jahren nun schon. Niemanden mehr sterben lassen, nur weil mir meine Gefühle in die Quere kommen; aber das ist leichter gesagt als getan. Während andere ihre Gefühle zu unterdrücken lernen und sie der Außenwelt gekonnt vorenthalten, habe ich das nie getan. Meine Gefühlslage ist ein offenes Buch. Ich komme nicht dagegen an. In mir wehrt sich alles dagegen, sich in irgendwelche Bahnen lenken zu lassen.
Ich weiß, dass ich nicht immer alle retten kann. Ich weiß, dass es manchmal einfach so sein soll, dass jemand stirbt - auch, wenn er einem wichtig ist. Manchmal sind auch uns Heilkundigen die Hände gebunden. Manchmal können wir nichts für jemanden tun und dann liegt es an uns, das nicht bloß zu erkennen, sondern darüber hinaus auch zu akzeptieren. Wir dürfen uns nicht lähmen lassen von dem unbändigen Willen, alle zu retten. Auch wir sind Menschen, und es darf nicht der Schaden eines anderen sein, dass wir am einen festhalten. Vor jenem Tag im Jahr 261 dachte ich, ich wüsste das. Großonkel Arndt hatte es mir ewig lange eingetrichtert, aber was diese Worte wirklich bedeuten, habe ich erst verstanden als mir in fünf Jahren zwei geliebte Menschen unter den Händen weggestorben sind. Es hat mich innerlich zerrissen, und doch würde ich mich niemals mehr umentscheiden in diesem Leben. Ich glaube fest daran, dass der Weg des Medicus meiner ist. Das, wozu ich hier auf Ala'thair wandel.
Und wenn ich so liebe Post erhalte wie letztens, als eine anonyme Person mir vollkommen unerwartet für meine Arbeit und Hingabe gedankt hat, dann weiß ich auch wieder, für wen ich mir das ganze Mitbangen und Leiden antue. Ich liebe meine Mitmenschen und ich werde nicht müde werden, für eine etwas bessere, etwas friedlichere Welt zu arbeiten.

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"Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen." - Plato


Zuletzt bearbeitet von Andarc Sardonn am 29 Mai 2023 13:00, insgesamt einmal bearbeitet
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Andarc Sardonn





 Beitrag Verfasst am: 10 Sep 2023 22:03    Titel:
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[ooc: sicherheitshalber TW Depressionen]



Die vergangenen Monde sind nahezu ereignislos verstrichen. Gut, abgesehen von der Tatsache, dass um Bajard herum die Welt wieder einmal fast untergegangen wäre. Ich weiß, dass ich zu der Zeit, und kurz danach echt an diesem Umstand zu knabbern hatte. Ich konnte noch immer nicht gut damit umgehen, dass Leute in Gefahr waren, und ich hasste es nach wie vor, nichts gegen ein vorherrschendes Leiden unternehmen zu können. Aber irgendwas hatte danach irgendeinen Hebel in mir umgelegt. Ich war so sehr abgestumpft, dass ich mich selbst kaum wiedererkannte. Das schien auch meinen Freunden aufzufallen. Sie frugen immer wieder nach, ob es mir gut ginge, ob sie mir irgendwie helfen konnten und erinnerten mich daran, dass ich mein Sozialleben ziemlich vernachlässigte. An wenigen Tagen schaffte ich es endlich mal wieder raus, in lieb gewonnene Gesellschaft und spürte, dass ich es genoss, auch wenn ich das nicht durchgehend zeigen konnte. Es war einfach viel zu anstrengend geworden, meine Gefühle nach außen zu tragen. Mittlerweile glaube ich, war es dem vergangenen halben Jahr verschuldet, in dem ich mehr gefühlt hatte als mir lieb war. Vielleicht war das gerade so eine Art Schutzmechanismus. Ich war mir nur noch nicht sicher, ob ich das für gut befinden konnte.

Meine Gedanken wurden seit ein paar Tagen hin und her gerissen zwischen der Skepsis des Seelenheilers in mir und dem verletzten Mann, der einfach mal seine Ruhe, seinen inneren Frieden haben wollte. So sehr ich mich auch freute, Zeit mit Fiete, Ennika, Byuli, Nika, Mairi, Nea, den Barasthans samt Anhang und allen anderen zu verbringen, so sehr strengte es mich gerade auch an. Um ehrlich zu sein, war ich mir selbst ja schon anstrengend genug. Umso mehr tat es gut, zu wissen, dass es auch jemanden in meinem Leben gab, dem ich mich nicht erklären musste. Der schlicht hinnahm, wenn ich mal weniger gut drauf war. Weil er wusste, dass ich inzwischen auch sehr bemüht war, es ihm gleich zu tun, wenn er selbst schlechtere Tage hatte. Menschen neigen dazu, immer nur das Positive hochzuhalten. Sie verlieben sich in die schönen Aspekte anderer und suchen krampfhaft nach dem Guten in sich selbst. Auch ich. Aber das ist nicht alles, was uns ausmacht. Der Schatten gehört zwangsläufig zum Licht und ohne die Vergangenheit gäbe es keine Gegenwart. Ohne den schlechten Tag heute sehe das Morgen anders aus. Ich versuche, dieses Wissen für mich zu verinnerlichen und danach zu leben. Doch das ist schwerer als gedacht. Es den eigenen Patienten vorreden ist immer viel leichter - natürlich.

Kürzlich war dann doch wieder ein Tag dazwischen, an dem mich meine Emotionalität unerwartet überrollt hat. Ich weiß gar nicht, was ich an diesem Abend nicht gefühlt habe. Zuneigung, Neugierde und Sorge; Fassungslosigkeit, Unbehagen und Angst; Wut, Reue und Schuld, aber auch Erleichterung, Verlangen und Hilflosigkeit. Die erste Nacht war eine ziemlich lange mit wenig Schlaf und mit noch weniger Erholung. Den Folgetag hatte ich vollkommen erschöpft verschlafen und auch danach hing ich mehr meinen Gedanken nach, als es gesund war. Wie konnte sich das eigene Leben zu solch einem Widerspruch in sich selbst entwickeln? Wie konnte mir jemand so wichtig sein, der Dinge getan hatte, für die ich andere verhaften würde? Wie konnte man jemanden gleichzeitig verurteilen, und doch aufrichtig lieben? Ich verstand es im Moment noch nicht. Genauso wenig wie ich wusste, wohin das alles führen würde. Ich wusste nur eins, und diese Erkenntnis stimmte mich nervös: Ich würde es auf mich zukommen lassen, um es herauszufinden.

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Andarc Sardonn





 Beitrag Verfasst am: 13 Jan 2024 19:46    Titel:
Antworten mit Zitat

4 Monde sind bereits wieder ins Land gezogen. 4 Monde, in denen mir eines nun endlich klar geworden ist: Ich muss hier raus, brauche eine Pause, Abstand und vor allem Ablenkung, um auf andere Gedanken zu kommen.

Ich liebe Bajard. Es ist mehr meine Heimat als jeder andere Ort auf Ala'thair, aber es ist trotzdem auch genauso umgeben von Hässlichkeit wie jeder andere Ort. Missgunst, Skepsis, Hass und Schwachsinn ... ich ertrage das alles nicht mehr; will es nicht mehr ertragen. 2 Jahre lang habe ich das, weil ich mich für meine Heimat verpflichtet habe. Weil ich mich in der Verantwortung sah, ihnen etwas zurückzugeben, dafür, dass sie mich so herzlich aufgenommen hatten. Weil ich mich hier willkommen fühlte und gerne anderen Leuten helfe. 1,5 von diesen 2 Jahren aber habe ich eine Rolle gespielt, die ich nicht bin. Ein Amt bekleidet, das mir nicht steht - auch, wenn die Rückmeldungen von außen meistens sehr positive waren.

Ich bin kein Hauptmann - kein Anführer - kein Soldat.
Ich bin Medicus - Alchemist - Seelenheiler.
Man kann von mir Empathie, ein offenes Ohr und Opferbereitschaft erwarten, aber keine Strenge, Durchsetzungsvermögen und politische Weitsicht.
Das bin ich nicht. Das ist nicht mein Stil.

Die vergangenen Monde, größtenteils fern Bajards, fern meiner Verpflichtungen haben mir das sehr deutlich gemacht. Ich sehe nun, da ich mich erstmals nach ewiger Zeit wieder erholen konnte, wie offensichtlich meine Abgestumpftheit ein Warnzeichen dafür war, dass eine Grenze überschritten worden war. Und so bin ich - endlich - zu dem Entschluss gekommen, dass dieses Schauspiel sehr bald bereits ein Ende finden wird. 18 Tage noch.

Am 19. Tag, mit dem Beginn eines neuen Mondes, mit Beginn des Eisbruchs würde ich aufbrechen nach Siebenwacht, Fiete hinterher. Dem Mann hinterher, der mir die Augen geöffnet und mich dazu ermutigt hat, nur einmal wenigstens an mich zu denken. Meine Bedürfnisse an erster Stelle zu positionieren und diesen Schlussstrich zu ziehen. Sicher, einige hier auf Gerimor werde ich vermissen. Auch, wenn ich ihnen ehrlicherweise versichert habe, irgendwann, zwischendurch mal wieder vorbeizuschauen. Es wird kein Abschied für immer sein. Das habe ich ihnen versprochen. Denn ich gehe ja nicht, weil ich nichts mehr mit Gerimor zu tun haben will. Ich gehe, weil es notwendig ist. Weil anderes gerade wichtiger ist, und weil ich Kraft schöpfen muss, bevor ich mich in neue Abenteuer rund um die Wiege der Götter stürzen kann.

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