Alev Wikrah
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Verfasst am: 15 Apr 2022 15:33 Titel: Sigrblot – Eine Ahnung vom Frühling |
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Das Blut spannte ein Netz aus kleinen Rinnsalen über ihren Handrücken und tropfte schließlich von den Fingerspitzen in das grobe Gewebe des Kilts, um dort zu versickern.
Der Elch hatte sein Leben mit einem letzten Schnaufen ausgeatmet. Er lag nun regungslos auf dem Acker und die Erde unter ihm sog sein Blut in Gestalt einer Rune auf. "So nutzen mey Berkana, dey Rune des Sigrblot, dey Rune des Wachstums, um dieses Feld für das
kommende Jahr zu segnen." Des Geisterrufer sprach seinen Segen in den aufkeimenden Wind.
Alev hörte die Worte gedämpft durch ein Rauschen, das vor lauter Aufregung in ihren Ohren laut geworden war. Schließlich brach die Erde zu ihren Füßen auf und mit den hervorsprießenden Blüten, die den leblosen Kadaver des Elchs säumten, wich auch die nervöse Anspannung.
Als der Geisterrufer schließlich seine Arme senkte, erstarb auch der Wind und die Erde, die Blüten und Gräser, die sich in einem Wirbel in die Höhe geschraubt hatten, rieselten sanft zu Boden. Eine Ahnung vom bevorstehenden Frühling und all seinen Verheißungen ergriff ihr Herz und die anwesenden Clanner erhoben vom selben Gefühl getragen ihre Trinkhörner auf die Geister und Ahnen. Und auf die nächste Ernte und die Ernten, die noch kommen würden.
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Das Lachen vertrauter Stimmen, der Geruch von gewürztem Met, der schwer und satt in der Luft hing, die gemütliche Atmosphäre der holzvertäfelten Stube, das leise Knistern des Feuers – all das hatte sie bei der anschießenden Feier schläfrig gemacht. Als sie spät nachts wieder aufwachte, roch sie in dem Fell, in das sie gewickelt war, einen bekannten Duft. Die geleerten Tonkrüge glänzten im Lichtkegel der schwachen Glut - sie war allein in der Stube.
Die Winterkälte hatte die Frühlingsnacht noch fest im Griff, als sie vor die Tür hinaus trat. Die Umrisse des leblosen Elches zeichneten sich im fahlen Licht einer sternenklaren Nacht vor dem Hintergrund des schwarzen Ackerbodens ab. Ein bodennaher Nebelschleier glänzte im Mondlicht.
Sie wollte gerade aufbrechen, da kam ein leichter Wind auf und ihr war, als verdichte sich der Nebel über dem Kadaver und nehme die Gestalt eines Elchs an. Sie blinzelte verschlafen, da zerstob die Gestalt mit einem kräftigen Windstoß und wurde von einem Wirbel ergriffen in die Luft gezogen.
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Am Morgen nach dem Sigrblot liegt Alev mit blutigen Wangen und Händen in den Fellen ihres Vaters. Das Blut auf ihrem Kilt ist längst eingetrocknet.
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