Briefe nach Drachenfels

[Hailey Lynn Drachenfels]

24. Alatner 264, Bajard


Hallo Mutter,

ich hoffe, du hast dich wieder gut im Schoße der Familie eingefunden. Unser
jüngstes Wiedersehen, vor meinem Aufbruch auf Drachenfels, war leider sehr
kurz. Unsere Gespräche fehlen mir. Du fehlst mir.

Wärst du hier… Du würdest nicht glauben, was sich in so einer kurzen Zeit
getan hat. Ja, du würdest mich für verrückt halten, wenn ich dir all das erzähle.
Bajard ist kürzlich niedergebrannt und wurde in windeseile von seinen
Bewohnern und fleißigen Helfern neu erbaut. Du würdest das Dorf nicht
wiedererkennen. Diesen Baustil habe ich in dieser Art noch nie gesehen.
Ich hoffe du wirst eines Tages zurückkehren, um es mit eigenen Augen
sehen zu können. Weshalb der Brand zustande kam, ist mir leider nicht bekannt.

Adoran steht nach wie vor, aber du hast sicherlich nichts anderes erwartet. Es
steht und fällt mit seinen Einwohnern. Es gab kürzlich ein paar Ernennungen
und Änderungen, so kurz vor dem Jahreswechsel. Anwesend war ich jedoch nicht.

Es mag dich vielleicht schockieren, aber ich habe Adoran verlassen.
Nunja… nicht “verlassen” verlassen, aber ich wohne nicht länger dort. Mein Haus
wurde ohnehin geräumt und auch deines steht noch immer leer. Es ist seltsam,
durch deine Tür zu kommen und… nichts vorzufinden. Aber ich akzeptiere deine
Entscheidung. Du weißt, ich habe mich die letzten Jahre schon sehr schwer mit
dieser Stadt getan. Zu viele negative Ereignisse haben sich angehäuft, die mich
letztendlich bestärkt haben, weiterzuziehen. Einfach… woanders hinzuziehen und
einen Neuanfang zu wagen. Ich habe Mut gefasst. Ich denke, in dieser Hinsicht
wärst du stolz. Irgendwo, tief in meinem Herzen werde ich immer Adoranerin
bleiben. Aber dieses Kapitel werde ich vorerst abschließen.

Ich habe bei meiner Rückkehr eine Freundin in Bajard gefunden und sie hat mich
bei sich aufgenommen. Sie hat mich auf ihrem Hausboot wohnen und arbeiten
lassen. Mittlerweile ist sie fort und hat es mir überlassen. Ich habe noch nie eine
schönere Behausung gehabt! Mutter, ich bin wirklich begeistert! Ich dachte nie,
dass mich die Unterwasserwelt so faszinieren könnte. Es ist traumhaft, mit einem
solchen Blick aufzuwachen und Abends wieder zur Ruhe zu finden. Du würdest an
dieser Stelle sicher sagen: „Kind, dann schaff dir ein Aquarium an - aber muss es
wirklich Bajard sein?“. Ich würde grinsend nicken und du würdest ebenfalls grinsend
deinen Kopf schütteln. Du würdest aber wissen, dass ich, sobald ich mir etwas in
den Kopf gesetzt habe, es durchziehen würde. Und du wärst glücklich, mich
glücklich zu sehen. Letzt hatte ich gar eine interessante Begegnung mit einem
Kraken vor meinen Fenstern. Es war etwas gruselig, aber… ich war hin und weg.

Natürlich ist in Bajard nicht alles rosig, der Himmel schmeckt nicht nach Zuckerwatte
und man läuft nicht händchenhaltend durch die Straßen. Aber mit Details werde ich
dich nicht belästigen oder für Unruhe sorgen. Mir ist bewusst, dass du dir deinen Teil
dazu denken wirst. Und du hättest mit jedem Gedanken, den du dazu hast,
wahrscheinlich recht. Aber was soll ich sagen? Irgendwie gefällt mir das. Es gefällt
mir, nicht zu wissen, was morgen ist. Ich brauche nicht länger ein perfektes Leben
nach Handbuch. Ich möchte mein eigenes Buch schreiben. Ich möchte Abenteuer
erleben, mich ausleben und meinen Gedanken freien Lauf lassen. In der Stadt… trug
ich ein Korsett. Ein viel zu enges, das mir irgendwann die Luft zum Atmen nahm.
Ich fühle mich heute frei wie noch nie. Es ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl.

Apropo schöne Gefühle. Ich habe jemanden kennengelernt! Oder besser gesagt… schon
verlobt? Ich stelle mir dich gerade ziemlich schockiert vor, während du diese Zeilen liest.
Glaub mir, das bin auch ich! Noch immer! Niemals hätte ich nach so kurzer Zeit einen
Antrag erwartet. Er ist ein richtiger Spinner und wahrlich ein Mann der Tat, der jeden
Moment greifbar macht. Es ist verrückt! Wahrscheinlich bin ich nicht weniger verrückt,
weil ich „ja“ gesagt habe. Aber ich war auch noch nie so glücklich wie ich es jetzt bin.
Kaum etwas hat sich jemals so richtig angefühlt, wie dieser Entschluss.
Er macht mich sehr glücklich.

Du würdest ihn mögen. Vielleicht reisen wir eines Tages nach Drachenfels und du lernst
ihn besser kennen. Gesehen habt ihr euch scheinbar bereits. Das würde mich sehr freuen.

Hier bei uns ist mittlerweile der Winter eingekehrt. Ich vermisse die milden Winter auf
Drachenfels sehr. Drück meinen Bruder herzlich von mir und richte der Familie liebe Grüße aus.

Ich würd' mich freuen von euch zu lesen.