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Von Krieg, Zweifel und Veränderung.
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Orban Sirgen





 Beitrag Verfasst am: 28 Jun 2019 13:56    Titel: Von Krieg, Zweifel und Veränderung.
Antworten mit Zitat

Kapitel 1: Niemand wird als 'Soldat' geboren.


Vermaledeit!


Sie waren nun schon viele Minuten unterwegs; der Sonnenuntergang am hellorange schimmernden Firmament erkennbar, das Zwitschern der Vögel nachgelassen so man sich sicher sein konnte, dass selbst die tagaktive Tierwelt langsam das Bettchen sucht und auch der wäldliche Duft, der mit stetig sanfter Brise durch die Baumkronen in die Nasenhöhlen von Wanderern getragen wird, hatte abgenommen. Alles schien sich der Nachtruhe anpassen zu wollen, wäre da nicht das leise, beständige Stapfen der vier Füße auf dem Erdreich entlang der Waldstraße. Er sah auf und linste leicht zur Seite. Sanfte, weiche rosa-hauttönerne Gesichtszüge gerahmt von wallendem, rotem Haar sahen zu ihm herüber und schenkten ihm ein verträumtes Lächeln, ehe seine Augen wieder einen zufälligen Punkt am Boden suchten. Sie und er hatten sich den Abend nach dem Dienst reserviert und waren ausgebrochen. Weg vom ständigen Alltagstrott der Uniform. Weg von den ernsten, kontrollierten Mienen. Weg von eiserner, militärischer Disziplin. Auch wenn all dies sein Leben seit seiner Jugend prägte und es geradezu schon wie ein Gefühl von Heimat war, war es doch eine willkommene Abwechslung etwas gefunden zu haben, was eine Konstante dazu lieferte. Schließlich wurden Ihre Bewegungen langsamer und die ohnehin gemächliche Schrittgeschwindigkeit nahm ab, als er sanft aus den Gedanken gerissen wurde und sich die smaragdgrün schimmernden Gucker wieder auf die Umgebung fixieren sollten. Stille. Eine solche Pracht hatte sein in die Jahre gekommenes - für den eine müde, für den anderen erfahren - wirkendes Antlitz noch nie erblicken können. Ein um die 10-Fuß breiter Wasserfall, dessen ränderne Erscheinung von in prächtigen Farben blühenden Ranken und Pflanzen umrahmt war, und wessen Schlund sich weit nach unten geöffnet hatte, nur um in einen weiteren, etwa 20-Fuß breiten Wasserfall überzugehen, gerahmt von großen spitzen, und kleinen schmalen Steinvorsprüngen die allesamt wie ein wild gewürfeltes Schauspiel entlang aus dem Wasserspiegel ragten, gefolgt von einem kleinen Bächlein wodurch sich die elegante Wasserzunge schlängelte und sich irgendwo im Wald verlor. Und etwa leicht oberhalb des mittleren Wasserfalls eine kleine Plattform aus Grün und Grau, wie ein schmaler Vorsprung mit Höhlendecklein um sich im Rauschen des Wassers zu verlieren. All dies erreichbar durch eine schmale Brückenanlage gefertigt aus dunklem Bambus mit seilernem Geländer an den Seiten zum Schutz vor unbedachten Schritten. Dann, das Gefühl eines leichten Ziehens, als hätte sein innerstes Verlangen ihn näher an das Spektakel heranführen wollen, wanderten die Blicke auf den Ursprung dieser Empfindung. Es waren die weichen, filigralen Finger seiner Begleitung, welche sich sanft um seine eigene, linke Hand geschlungen hatten, während Ihre halb geschlossenen, aus einer Schräglage des Kopfes liebevoll bräunlich schimmernden Augen seine Lippen fixiert hatten. Es sollte eine eine fürsorgliche Bitte sein, um ihn zum folgen zu animieren. Und sie war von Erfolg gekrönt, wäre er Ihr doch überall hin gefolgt, ganz gleich der Intention, wenngleich die nächsten Schritte sehr bedächtig, schwang mit jeder Bewegung nämlich auch der lose, hölzerne Untergrund wie eine Feder so sanft im Rythmus der beiden Körper. Doch es sollte das Pärchen nicht davon abhalten, die frisch nach Tau und wehendem Schilf riechende Plattform zu erreichen, auf der auch ein mittelgroßer Holzstamm ruhte und ganz offenkundig seine Gäste dazu einlud, sich auszuruhen und zu entspannen um das Grün zu nutzen, von welchem aus sich die Schönheit der Szene erst so richtig entfalten sollte: fahles Mondlicht, dass nun vom Himmelszelt aus auf die ständig in Bewegung scheinende Wasseroberfläche traf und sich dort in tausend Funken spaltete, rötlich-gelb blühende Rosen und Blümchen zwischen den Wassergräben und Ranken welche ihren Weg von ganz oben vom ersten Wasserfall hindurch durch's seichte Blau gebahnt hatten und nun um die emporsteigenden Steinkanten schlängelten. Ein Glitzern umschlang diesen Ort, wie man es nur aus Geschichten kannte. Jetzt saß er nun hier, mit Ihr. Es hatte den Hauch einer surrealen Situation, vergliche man noch die Umstände in denen er vor seiner Ankunft auf Alumena steckte mit der Veränderung, die sein Leben jetzt brachte. Und doch hatten sie die auf sie wirkende Magie dieses Fleckchens zum Anstoß genommen, um sich etwas besser kennen zu lernen. Während die Augenpaare beider also so über die erhellte Wasseroberfläche streiften, legte er seinen linken Arm behutsam um Ihre Hüfte, während Sie Ihren Kopf sanft gegen seine Schulter lehnte und so in Gedanken verloren von der Heimat sprach. Familie, Landschaft, Werdegang, Essensangewohnheiten; vielerlei Dinge die man sich gerne einprägt, wenn einem der Gegenüber mehr bedeutet, als nur ein beiläufiges Nicken. Momente des Einklangs waren vergangen, als Sie schließlich das Köpfchen ein Stück weit aufrichtete und ihn nun mit großen, zugänglichen braunen Augen anschaute...

"Ich habe Dir nun etwas über mich erzählt. Jetzt möchte ich etwas über Dich erfahren."


...schwang es wie ein zartes Whispern im leisen Rauschen des Blau's über Ihre Lippen. Er guckte auf, und die füreinander Symphatie empfindenden Blicke trafen sich, wenngleich sich daraufhin Uneinigkeit auf seine Züge mogelte. Es war wie das Kapitel eines Buches, das er bei jedem Öffnen des Wälzers gerne einfach überblätterte. Doch er wusste, er war es Ihr in irgendeiner Form schuldig. Sie hatte sich ihm geöffnet, hatte ihn hinter die Fassade der starken, entschlossenen Frau schauen lassen. Vielleicht war dies der Zeitpunkt, endlich abzuschließen. Neue Wege zu gehen - Veränderung zuzulassen. Vom eisernen, durch Drill und Disziplin, durch Härte und Verlust geprägten Dasein. Sollte er tatsächlich hier jemals die Gelegenheit bekommen, seinen Wert für den Ritterschlag zu beweisen, musste er ohnehin endlich lernen, loszulassen. Nie konnte er den Menschen ein Lächeln schenken. Nicht, weil er es vielleicht nicht wollte. Viel mehr, weil in seinem innersten Sein ein Splittern wie eine Blockade herrschte. Eine Trostlosigkeit; eine Verlorenheit gar einer Resgination. Er drückte mit seiner Schildhand zärtlich in Ihre linke Körperseite, um Ihr seine Zuneigung auszudrücken, ehe er die Lippen benetzte. Die Zeit war gekommen, sich Ihr ebenso zu öffnen. Sie sollte erfahren, welche Entscheidungen der in die Jahre gekommene in seinem langen Leben bisher zu fällen hatte. Letztendlich räusperte er sich leise, die Stimme suchte nach Kontrolle, ehe die Smaragdgrünen sich wieder auf einen Punkt auf dem Wasserspiegel fixierten und er etwas zögerlich das Wort erhob...

"In Ordnung. Du möchtest meine Geschichte hören? Ich werde sie Dir erzählen. Doch wie Deine handelt sie nicht von Ruhe, schöner Kindheitserinnerungen und einem wohligen Dasein inmitten der Familie... viel mehr handelt sie von Verbitterung, von Selbstzweifeln und Trostlosigkeit."


...wenngleich seine augenscheinliche Aufmerksamkeit auf dem funkelnden Blau des Wassers lag, konnte er im Augenwinkel erkennen, wie sich Ihr Gesichtszug langsam verhärtete. Eine Mischung aus Mitgefühl und Sorgnis. Doch sie hingegen schmiegte sich etwas fester an den Soldaten, denn es sollte die Entschlossenheit und Hingabe ausdrücken, sich seiner Worte, gar seiner Seele anzunehmen und für ihn einzustehen. Er kannte, zumindest den Schein, dieses Gefühls, wenn man in seinem Gegenüber eine Person gefunden hatte, dessen Ausdruck auch mit Ernsthaftigkeit beseelt war, und so verschwand sein zögernder Unterton, die Tonlage wieder so gefestigt, wie Sie es von ihm gewohnt war. Er schnaufte einen Augenblick durch, denn es sollte eine Geschichte werden, wie sie noch nie zuvor erzählt wurde...

"Mein Name ist Orban Sirgen, aus dem Hause mit dem Wappen derer von Singfeld. Es ist ein schlicht verziertes Wappen - ein Schild mit darauf abgebildeter Faust dessen Seiten von weit emporragenden Greifenflügeln gerahmt werden. Unser Erbe ist das Gründungshaus meines Heimatdorfs in sechster Generation, welches nordwestlich gesehen vom alumenischen Reich, weit über dem großen Meer liegt. Es gehört zum Festland, zu einem der Herzogtümer angrenzend an den Inselkontinent Gerimor. Meine Eltern sind Tham und Ilona Sirgen, meine Großeltern Ulic und Beatrix Sirfalt. Meine Eltern hatten eine recht durchschnittliche Ehe. Wenn Sie streiteten, dann nur über Dinge mit wirklicher Bedeutung. Nie über Kleinigkeiten. Allerdings hielt sich die Zuneigung und Fürsorge welche sie mir entgegen brachten immer sehr in Grenzen. Meine Mutter war eher zurückhaltend; sie kümmerte sich um die Ernährung und das kleine Beet draußen im Garten. Ich selbst bin ein Einzelkind, weißt Du? Was wahrscheinlich auch erklärt, weshalb mein Vater immer besonders eisern und streng in seiner Erziehung zu mir war.

Er war ein Militär am Hofe des ansässigen Ritters, Sir Hadric Eisfels - 'der Eisberg'. So nannte man ihn im gemeinen Mund. Unser Dorf wurde einst von einem Bürgermeister verwaltet, bis er kam und seine Burg errichten ließ. Er hatte den Ruf, symphatielos zu sein, mit einem etwas zu ausgeprägten Ego und präziser Kühle. Er war gerecht, aber gab nicht viel auf die Meinung der 'kleinen Leute'. Mein Vater bekleidete in seiner Burg keine sonderlich hohe Stellung, er war ein einfacher Infanterist. Allerdings hatte er eine gewisse Art an sich, einen gewissen Charme gegenüber Außenstehenden - die er im Familienkreis nie zu Tage brachte, ich habe ihn seit Kindestagen an immernoch als den rastlosen Einzelgänger in Erinnerung, der er war - was ihn irgendwie das Wohlwollen des Sir's einbrachte. Demzufolge hatte ich es in der Kindheit schwierig, Anschluss zu finden. Ich hatte keine oder sehr wenige 'Freunde', denn vielen Leuten bereitete das relativ gute Verhältnis meines Vaters zu diesem Mann Unbehagen. Die anderen Dorfkinder wollten kaum etwas mit mir zu tun haben, denn es machte früh im Ort die Runde, dass ich als Page auf den Hof des Ritters kommen könnte. Und dieses Wissen ruft Neider und Zweifler auf den Plan, wie Du Dir sicher vorstellen kannst. Zu wissen, dass man sein eigenes Leben in ärmlichen Verhältnissen ohne wirkliche Aussicht auf Veränderung zu fristen hat, während der Nachbarsjunge 'eingeladen' wird, als Bediensteter in der ritterlichen Burg zu dienen, wo Gold und Silber nur so von den Wänden protzt. Zweifelsohne eine Titanenaufgabe, für die mein Vater Jahre des Schuftens und des 'Bettelns' hingelegt haben musste. Heute kann ich erkennen, wieviel meinem Vater dieser Schritt wert gewesen sein muss. Er wollte mir zu einem guten, ehrbaren Leben verhelfen, das ich mir damals nichtmal im Traum vorstellen konnte. Ich hatte kaum Sozialkompetenzen, hatte meinen eigenen Kopf. War oft blind vor Sturrheit oder Kurzsicht, hatt' ich mich einfach nur gesehnt nach einer blühenderen Erziehung wie die von Dir.

Kurz nach meinem zehnten Geburtstag lernte ich früh von meinem Vater die 'Grundzüge' des unbewaffneten Kampfes und der Grundstellung der Beine im Einhand- und Schildkampf, denn außerhalb der Burgmauern war es den Leuten strikt untersagt, Waffen mit sich zu führen oder gar zu benutzen, schließlich hatte die Burg einen eigenen Trupp an Fußsoldaten, die für den Schutz des Dorfes abgestellt war - sehr kurzsichtig, wenn man bedenkt, dass die Siedlung ohne brauchbare Verteidigungsanlagen und nah an zwei verschiedenen Waldlichtungen samt Bergstraße gebaut war. Unnötig also zu erwähnen, dass es für Landstreicher ein gefundenes Fressen gewesen wäre, im Fall der Fälle - aber sei's drum. Wenn ich mich zurück erinnere, fällt mir oft ein, wie ungeschickt ich mich mit Ihm immer angestellt hab'. Meinen Vater machte das oft wütend. Er hatte kaum Geduld und war schwierig im Umgang. Letztendlich, eines Tages - ich glaub' ich war zwölf Jahre alt - nahm mich mein Vater mit zur Burg des Ritters. Ich glaube, er hatte dabei einen psychologischen Hintergedanken. Ich sollte sehen, was mich 'erwarten könnte', sollt' ich mich nur besser anstrengen und endlich 'klar im Kopf' werden, so hat er es immer ausgedrückt. Heute weiß ich, dass er einfach nicht anders konnte. Es war sein Wesen so mit mir umzugehen. Doch damals als kleiner Junge hätt' ich einfach nur ein Lächeln von Ihm gewollt, mehr nicht.

Ich erinnere mich noch an die Burg, als wie wenn es gestern gewesen wäre. Es war das Fantastischste was ich bis dahin je gesehen hatte: die schmale Kieselstraße die zu den Burgtoren führte war gepflegt und geradlinig, ganz anders als die Wege im Dorf. Die waren mit Löchern übersäht, ungerade und überall lag Dreck herum von den Tieren, die sich die Leute in Ihren kleinen Gärten vor den Türen hielten. Ich blickte auf, hinauf zu den Toren. Mächtige, bedrohliche Zinnen strahlten in den Himmel, und dazwischen die Schießscharten, an denen prunkvoll gerüstete, uns mit stählernen Blicken musternde Schützen postiert waren. Ein Wall samt Wachturm, geschmückt mit Bannern und so dick, dass man zwei Triboks nur für eine Gerade brauchte. Und ein Zugtor aus dickem, hellen Holz. Alles wirkte sehr majestätisch und ich dachte mir, wenn die ersten zehn Meter schon so atemberaubend sind und wir noch nicht einmal das Tor passiert hatten, was würde mich dann wohl nur im Inneren erwarten? Schließlich kamen wir ans Burgtor, an denen zwei in prächtiger Eisenmontur gerüstete Wachleute standen. Ihre Mimik war so kontrolliert, so regungslos, dass es mir einen Schauer durch meine kleinen Knöchlein jagte, als Ihre eindringlichen Blicke mich trafen. Wäre mein Vater nicht dabei gewesen, hätt' mich die Furcht gepackt. Er aber blieb ruhig, ja sogar locker. Er sprach mit ihnen, als wären sie guten Kameraden, so vertraut klangen Ihre Stimmen. Wir erreichten den Innenhof, und ich musste mich dazu zwingen, weiter zu gehen. Er war rießig und... sprach' verschlagend. Wenn man hinein kam, war über die gesamte rechte Seite eine Bestallung gezogen, und in deren Stallboxen waren Rösser, jedes majestätischer als das andere. Jedes einzelne war in Eisenbeschlag gerüstet, welche verziert waren mit dem Wappen Sir Eisfels', umschlungen von sich ausbreitenden, in Goldstaub gefasste Rankierungen. Die Innenhofecken waren mit Statuen von gerüsteten Rittern ausgestattet, wovon jeder eine andere Waffe in der Hand hielt. Etwa mittig des Innenhofs war ein kleiner Trainingskreis, welcher ganz offensichtlich für Übungszwecke zwischen den Infanteristen, oder den Knappen genutzt werden sollte. Ich war mir nicht sicher. Schwer vorstellbar, dass hier so ein Reichtum herrschte, das angrenzende Dorf aber weiterhin in Ärmlichkeit leben musste. Mein Vater zog einmal energisch an meinem rechten Oberarm, um mich wieder aus dem Staunen zu reißen, ehe wir weitergingen nach links, richtung Eingangsbereich. Die Wachen, die dieses Tor bewachten, waren nicht weniger militärisch als die vorherigen. Einer musste wohl sofort meine wertlose Seele erkannt haben, denn er betrachtete mich so argwöhnisch und mit zusammengekniffenen Augenbrauen, dass es mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Doch mein Vater schliff mich weiter, ins Innere der Burg und somit die Eingangshalle. Nach allem, was ich im Innenhof schon bestaunen durfte, traute ich mich fast nicht, mich umzusehen. Nur meiner grenzenlosen Neugierde verdanke ich es, noch so klare Erinnerungen daran zu haben. Es war... unvorstellbar. Die Dörfler hatten recht. Es war eine langgezogene Halle, die Decke gestützt durch vier zu jeder Seite in jeweils zehn Meter Abstand zueinander gehaltenen Pfeilern aus dickstem Stein, von denen prunkvolle Wandteppiche herunterfielen, auf jedem einzelnen das breitgefächerte Wappen des Ritters in filigralem Gold und Silber eingearbeitet war. Spätestens hier war mir klar, dass Sir Eisfels' in der Tat viel Wert auf ein ästhetisches Äußeres legen musste, wenn allein seine Burg einem schon so den Atem verschlagen konnte. Während mein Vater diese Halle beschritt, als wäre es sein zweites Esszimmer, wurden meine Schritte immer kleiner und vorsichtiger. Ich hatte soviel Angst, etwas nur durch mein bloßes Hinschauen zu entehren, dass ich letztendlich an Ort und Stelle festgewurzelt war. Immerwieder sah ich zu meinem Vater auf, der akribisch genau darauf achtete, mir keine Erwiderung meiner Blicke zu gönnen. Aber ich konnte auch aus meiner kleinen, schäbigen Seitenposition erkennen, wie stolz sein Gesichtsausdruck war diese Hallen betreten zu können.
Ich machte mir ständig Gedanken: "wenn nun der Ritter kommen sollte... ich weiß nicht wie ich Ihn ansprechen muss. Ich weiß nicht, wo ich hinschauen darf." Es war, als würde mich mein innerstes Selbst verrückt machen. Doch ehe ich eine Antwort darauf fand, packte mich mein Vater an meiner rechten Hand und zerrte mich wieder aus der Halle hinaus in den Innenhof. Sein stolzer Gesichtsausdruck war verschwunden. Er war eisern geworden, geradezu mürrisch und zornig. Für Außenstehende muss es lustig ausgesehen haben: ein Ausgewachsener der ein kleines Balg wie einen Sack Kartoffeln hinter sich her schleifte. Doch für mich war es... eine Erniedrigung. Selbst in so jungen Jahren. Wie würden mich die Truppen dort in der Burg in Erinnerung behalten, sollte ich jemals dorthin zurückkehren? Als das kleine, plärrende 'Etwas'? Ich musste es über mich ergehen lassen. Schußendlich kamen wir vor den Zugtoren zum Stehen und mein Vater ließ meine Hand los. Enttäuschung zeichnete sich auf seiner Miene an. Ich erinnere mich noch, was er zu mir sagte, draußen vor der Burg:

'Hier könntest Du einmal leben. Du könntest etwas aus Dir machen! Aber was machst Du? Bist unnütz, hast Flausen im Kopf! Scherst Dich nicht um die Mühe die ich mir gebe um Dir etwas beizubringen!'


Ja, ich erinnere mich noch genau daran. Es traf mich wie ein Stich ins Herz. War das, was man seinem zwölfjährigen Sohn als Anekdote mit auf den Weg gab? Alles was ich damals wollte, war, dass mein Vater mich akzeptiert. Mir ein Lächeln schenken würde und mir Mut und Zuspruch geben würde. Er sich verhalten würde wie... wie ein Vater. Doch er wendete sich nur ab und ließ mich vor den Toren stehen. Ich traute mich nicht einmal mehr, mich umzusehen zu den Torwachen denn ich wusste genau, was ich in Ihren Gesichtern erblicken würde: Schelm und Verachtung. Zurückdenkend öffnete es mir die Augen. Ich wusste, ich war nicht unnütz, wie doch mein Vater von mir dachte. Ich handelte mir auch nie Ärger ein, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Doch ich hatte kein Ziel in meinem Leben. Nichts, worauf es sich in meinen damaligen Augen gelohnt hätte, hin zu streben. Ich war in einem Nebel der Einsamkeit und der Selbstzweifel gefangen. Ich steckte die Hände in meine Taschen und senkte den Kopf auf dem Heimweg, sodass niemand meine Traurigkeit erkennen könnte. Immerwieder schweifte mein Blick links und rechts des abfallenden Wegrandes der zur Burg hinauf führte ab, als könne ich dort meine Vernunft finden. Ich ließ mir extra Zeit mit dem nach Hause kommen, so lange, dass es zwischenzeitlich das regnen begann und meine Mutter sich wohl vor Sorgen in den Schlaf weinte. Aber ich scherte mich nicht darum. Auch nicht um meine durchnässte Kleidung oder die matschbesudelten Stiefel. Ich brauchte die Gelegenheit, meinen Kopf frei zu bekommen, mich zu fokussieren. In einer Sache hatte mein Vater diesbezüglich damals Recht: ich gab mir keine Mühe für seine 'Hilfestellungen'. Ich wollte mich bessern. Wollte ihm besser zuhören, wenn er mir etwas über den Kampf oder das Soldatendasein beibrachte. Tief im Inneren hatte ich ohnehin schon damit abgeschlossen, ein 'normales' Kindheitsleben zu führen. Väterlicherseits war das Wappen der Singfelds schon immer ein Militärtum. Ich fand auch oft Gefallen an den Gedanken an das Waffen- und Rüstungstum, nur wusst' ichs nie einzuordnen. Letzten Endes fand ich den Weg zurück durchs Dorf zu unserem Haus, doch die Lichter waren längst erloschen. Mein Vater wollte sich die Blöße nicht geben, dass er wartet bis sein einziger Sohn heil zu Hause ankommt, und meine Mutter... die hielt sich lieber aus den Angelegenheiten Ihres Ehemanns heraus. Aber abgesehen davon, wollte ich in dieser Situation Ihr Mitleid auch überhaupt nicht. Es brannte in mir wie der Trotz, meinem Vater zu beweisen, dass er Unrecht hatte. Ich wollte, dass er eines Tages vor mir steht. Doch nicht in seiner typischen, herunterspielenden Art, nein. Er sollte dort sein als Zeichen seiner Anerkennung. Dieser Ausflug, dieser Abend, dieses Verlangen trieb mich so sehr an, dass es mein Leben verändern sollte."

...seine Smaragdgrünen erhoben sich langsam wieder vom Wasser zurück zu der nun still gewordenen an seiner Seite. Mittlerweile stand der Mond so tief, dass er nicht mehr die Wasserfälle und das Gespiele dort befeuerte, sondern nurnoch ein kleines Stückchen des Bächleins und der übrig gebliebenen Baumkronen im Dickicht des Waldes. Seine Stimme musste die Umgebung aufgeschreckt haben, denn man hörte kein Zirpen mehr, keinen Gesang der Vögel. Das Leben rundherum der Beiden musste zum Stillstand gekommen sein. Er linste zur Seite, um die Andeutung Ihrer Erscheinung zu erspähen, doch sie klammerte Ihren rechten Arm fester um seinen Oberkörper und drückte Ihre Wange an seinen linken Oberarm. Und mehr noch: Sie lockte ihm sogar ein schwaches, doch von Herzen kommendes Lächeln auf seine Lippen. Es war, als hätte Sie die Blockade, diese ständige Unfähigkeit eine ernstgemeinte Emotion zu zeigen, umgangen - Er war mittlerweile ja weithin bekannt als jemand, der recht kontrolliert im Umgang mit der Art und Weise wie Menschen seine Gesten oder Gesichtszüge interpretieren, von Sprach- und Tonart ganz zu schweigen. Verglichen mit der Jugendzeit, war er doch angenehm ruhig, geradezu gelassen und objektiv geworden. Natürlich, eine stählerne Manier die einen immerzu seit der Kindheit begleitet läßt sich nicht einfach abschütteln, doch es war ein Anfang. Bestimmt auch eine dieser Nebensächlichkeiten die hohes Alter so mit der Zeit mit sich bringt - Er schnappte nochmal nach frischer Luft, wollte er sich jetzt sammeln um die Rekonstruierung fortzuführen. Ihre ungeteilte, mitfühlende Aufmerksamkeit hatte er zumindest...

"Es vergingen drei Jahre, bis zu meinem Fünfzehnten. Ich war mittlerweile ungefähr einen Meter und sechzig Zentimeter groß, hatte kurze aber wilde Haare und begann durchs anhaltende Training schon zu spüren, wie meine Muskulatur sich langsam entfaltete. Meine Erwartungen an mich selbst hatten sich in der Zwischenzeit gefestigt, und ich wusste genau, wohin ich kommen wollte. Mein Vater schien das immer öfter bemerkt zu haben, denn seine raue, forsche Art mir gegenüber hatte zumindest größtenteils nachgelassen und er suchte sogar von Zeit zu Zeit das Gespräch mit mir, oder wollte mir spezielle Schritte zeigen die er sich so über die Jahre im Kampf angeeignet hatte. Ich glaube, er sah wirklich Potential in mir als zukünftigen Soldaten und hatte vielleicht auch die Hoffnung, dass seine 'Übereinkunft' mit Sir Eisfels' Früchte tragen würde, würde dieser nur sehen, zu was sein zukünftiger Knappe fähig wäre. Schlußendlich ist es das, was Kämpfer am meisten schätzen: Ehrgeiz, Finesse und Kampftauglichkeit.

Ich erinnere mich, dass es ein sonniger Tag werden sollte. In den Morgenstunden hatten sich schon fahle, gelb-orange glimmende Strahlen auf den noch im Grün haftenden Tau der Vornacht geworfen. Meine Mutter weckte mich früh, denn sie hatte Kunde von meinem Vater, dass es ein 'besonderer Tag' werden sollte. Wie üblich war das Frühstück eher schmal bestückt. Nicht, dass wir es uns nicht hätten leisten können. Mein Vater hatte durch den Sold in der Burg ein geregeltes Einkommen, doch ohnehin war ich schon immer jemand, der morgens ersteinmal zu sich kommen musste bevor der Magen mitspielt - heut' hätt man gesagt: "Trink 'nen Schnaps, dann kommt der Kreislauf in Schwung!". Ich trat hinaus an die frische Luft und musste die darauffolgenden Sekunden erst meine Augen an die Helligkeit gewöhnen. Mein Vater hingegen stand schon im Hof und hatte Schwert und Schild in der Hand, übte er wohl gerade die Perfektion der Grundstellung des Duellkampfes - Es war eher eine Seltenheit, dass die Theorie in diesem Fall auch in der Praxis angewendet wurde, doch war man auf einem Schlachtfeld und die ersten paar Augenblicke der Unruhe und Verwirrung waren verstrichen, war es keine Seltenheit, dass man sich Auge um Auge mit einem anderen Soldaten im Gefecht stand und der richtige Schritt, das richtige Führen des Schildes über den nächsten Atemzug entschied - und schien vertieft, sodass ich die Gelegenheit hatte, das Treiben ein Weilchen zu beobachten. Es war faszinierend. Immer schon träumte ich seit meiner 'Offenbarung' irgendwie davon, in seine Fußstapfen zu treten, war er als Soldat doch überaus geschickt und diszipliniert. Er hingegen hatte mich allerdings schon lange bemerkt und wollte mir wohl nur nocheinmal eindringlich beweisen, wie meine Zukunft aussehen könnte. Schließlich lockerte er die Haltung, senkte die Bewaffnung, drehte den Kopf zu mir und sprach in fester Stimme.

'Also, Sohn. Heute ist Dein Glückstag. Wir werden zur Burg vom Eisberg gehen, und Du wirst dort den Ritter treffen.'


Seine Stimme hallte wie ein Donnern in meinem Kopf. Nochmal zur Burg? Auch noch den Ritter persönlich treffen? Ich? Ich war starr vor Begeisterung und zugleich Ehrfurcht. Wenn man bedenkt, wieviele 'gemeine Leute' den Ritter höchstselbst antreffen, und ich einer von ihnen sein sollte. Ich hatte mir schon oft insgeheim vorgestellt, wie es denn wäre, Ihn zu sehen. Normalerweiße kennt man solche Persönlichkeiten nur von Pergament und Siegel oder Hörensagen. Gewiss war er nämlich auch keiner, der sich fürs einfache Volk gern zur Schau stellte. Mein stummer Blick ruhte auf den eisernen, unangefochtenen Zügen meines Vaters. Ich war hin und her gerissen, doch mein alter Herr wusste ganz genau, wie er mich zur Vernunft brachte.

'Hörst du mir zu, Junge?! Gnade Dir die Schildmaid, wenn Du Dich nicht benimmst. Und geh zu Deiner Mutter und lass Dir gefälligst etwas anständiges zum anziehen geben! Wenn Dich der Sir so sieht, schmeißt er Dich hochkant in den Burggraben und ich darf es für Dich ausstehen!'


Ich brachte keinen Ton über die Lippen. Nur ein sehr energisches Nicken als ich sofort kehrt machte und zurück durch die Haustür stolperte. Meine Mutter hatte, als hätt' sie die Konversation mitangesehen, schon einige recht annehmbare Kleidungsstücke auf dem breiten Kastanientisch im Esszimmer ausgebreitet. Es war eine einfache Stoffhose in eher dunklerem Farbton und einem kurzärmligen, aber sehr dezent geschnittenen Hemd in weiß. Neben dem rechten Tischbein standen außerdem schlichte Schnürstiefel in dunklem Wildleder. Ich glaube, es war sogar das erste Mal, dass ich keine durchlöcherte, schmutzige Kleidung trug. Ich hatte meine Gedanken immer woanders, als das ich Wert auf ein 'ehrhaftes Äußeres' gelegt hätte. Früher nur bei meinen Sorgen, und dann nurnoch beim Training. Mein Leben änderte sich rasant in den fünf Jahren bis zu meinem Fünfzehnten, um mich in die Laufbahn zu rücken, in der ich heute bin. Doch damals hatte ich darüber keinen Überblick, oder eher gesagt... kein Gespür dafür. Die Art und Weise, wie meine Mutter mittlerweile mit mir umging, war ebenfalls irgendwie herzlicher geworden. Sie kämmte mir die Haare mit einem angefeuchteten Kamm aus Holz zu einem feinen, dezenten Seitenscheitel zurecht und passte die Kleidung formschön an - es war wie ein Traum für einen Knaben in meinem Alter, weißt Du? - Ich sah auch äußerlich zum ersten Mal wie jemand aus, den man nicht auf Anhieb verurteilen würde. Meine Mutter war stolz. Ich war stolz. Mir gefiel der Gedanke immer mehr, eigene Verantwortung übernehmen zu müssen. Sich weiterzuentwickeln. Vom Nebenraum hörte ich schon das Kruschteln meines Vaters in einem der alten Schränke der Großeltern, welches durch dumpfes Knarren und Quitschen der Eisenbeschläge und Hölzer unterlegt wurde. Man wusste sofort, dass er es war, denn die Art und Weise wie seine Stiefelsohlen auf dem Holzboden auftraten, verrieten Ihn. Fest und zielstrebig, ohne Zögern, ohne Zaudern. Schließlich ging die Tür auf und er trat ins Esszimmer. Es war immer ein unbehagliches Gefühl wenn er den Raum betrat. Die Stimmung wurde schlagartig angespannter und kühler. Doch dieses Mal lächelte meine Mutter plötzlich, als Sie zu Ihm schaute. Er hatte einen alten, kleinen Wams aus dem morschen Schrank gekramt, etwa in meinem Brustumfang. Es musste wohl sein eigener Wappenrock gewesen sein, als er in meinem Alter war. Er war edel verziert und sehr feinfühlig gestrickt mit leichtem Grünschimmer und allerhand kleinere Symbole waren auf der Frontseite eingestickt. Die Zufriedenheit sprang Ihm geradezu aus dem Gesicht, jetzt, da die Zeit wohl gekommen war, ihn an mich weiter zu reichen. Und es war ein schönes Gefühl. Das Gefühl, endlich anerkannt zu werden.

'Das hier war mein Wappenrock als ich in Deinem Alter in den Dienst trat. Ab heute wird er Dir gehören. Trag ihn mit Ehre!'


Waren seine Worte. Mit 'Ehre tragen', sagte er. Ich wusste genau, was er meinte. Und ich war bereit, es Ihm zu beweisen. Wir verließen das Haus und machten uns auf den Weg zur Burg. Schon immer verfolgten mich die Blicke der anderen Dorfbewohner mit Argwohn wenn ich Ihr Augenlicht kreuzte, doch an diesem Tag war es der offenkundige Neid der Ihnen in Ihre Fratzen gewaschen war. Doch es war mir egal. Es war mir egal, weil ich wusste, dass Sie Unrecht hatten; das sie mich zu unrecht verurteilten; das ich mich geändert hatte - nicht, dass ich es irgend jemandem von Ihnen hätte je beweisen müssen. Unsere Schritte hinauf zur Burg waren ohne Eile, aber zielstrebig. Wir sprachen nicht miteinander. Nicht, dass es mich gewundert hätte, denn mein Vater war schon immer jemand der nur den Mund aufmachte wenn es sich gelohnt hat. Ein typischer Militär. Drei Jahre waren seit meinem letzten Aufenthalt in der Burg vergangen und doch hatte sich so überhaupt nichts am äußeren Erscheinungsbild davon geändert: der Pfad hinauf zur Burg war immernoch gepflegt und sehr neutral, und auch die Patroullien an den Wehrgängen waren gleich geblieben. Ich hätte sogar schwören können, dass es immernoch dieselben Personen waren, die tag ein tag aus dort Ihren Dienst schoben. Wir kamen an den Zugtoren an und ich spürte, wie die Demut in mir immer stärker wurde, so dass meine Hände sogar das Zittern begannen. Eines jedoch hatte sich geändert, was mir auf Anhieb auffiel: die früher noch eher abweisenden Blicke der Wachleute waren mittlerweile sehr neutral geworden, man hätte fast schon 'freundlich' sagen können. Vielleicht hatte mein Vater Ihnen von meinem 'Werdegang' in den drei Jahren erzählt, oder aber mein Erscheinungsbild würde einfach ein anderes Licht auf mich werfen. Ich hatte keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, denn ehe ich mich umsehen konnte, mussten wir eintreten. Mein Atemrythmus wurde immer unregelmäßiger, mein Zittern stärker. Und als wir gerade den Innenhof betraten, stand er dort, und es verschlug mir den Atem."

...seine Stimme brach ab, und er musste sich fangen. Die Augen hatten sich indessen wieder von Ihr gelöst und waren bis zur kantigen Spitze des ersten, großen Wasserfalls hinauf gewandert...


Zuletzt bearbeitet von Orban Sirgen am 09 Jun 2020 18:39, insgesamt 18-mal bearbeitet
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Orban Sirgen





 Beitrag Verfasst am: 21 Jul 2019 13:18    Titel:
Antworten mit Zitat

Kapitel 2: Soldat und Politik ist wie Ratte und Gift.

Vermaledeit!

...dort harrten sie also, seine Augen. An den sich schlängelnden Wasserströmen, die sich entlang der Klippe windeten und in einem tosenden Rauschen herab preschten, um sich mit ebenso kühler Härte mit dem kleineren Geschwisterchen zu verbinden. Er musste durchschnaufen und seine Gedanken neu formieren. Vieles konnte er durch diese wohltuende Reinheit, diese angenehme Stille der Natur rekonstruieren; und als er so dort saß und sich das, mittlerweile Dunkelblau durch die Dunkelheit gewordene, Sprudeln des Monstrums ansah, dachte er zurück an das verschwommene Erscheingsbild des Sir's. Sie hatte inzwischen den Kopf von seiner Schulter gehoben und sah ihn mit großen, braunen, Stärke verleihenden Augen an während ihre rechte Hand sorgsam an seiner rechten Rückenseite auf und ab streichelte. Sie wusste, dass es ein Unwohlsein in ihm hervorrief, von seiner Vergangenheit zu sprechen; - sollte nicht jeder Mensch eine wohlig warme, traute Jugend erleben dürfen? Was war es nur für ein Gefühl, dem er sich hier hingeben konnte. Geborgenheit, Zuspruch. Hatte er jemals eine Ähnlichkeit zu dieser Emotion empfunden? Er hätte es nicht einmal mehr genau sagen können. Zu viel Zeit war vergangen; zu viel Trubel hinter sich gelassen; zu viele Sorgen durch seine Gedanken gespukt; zu tiefe Narben in seiner Seele hinterlassen worden. Er hob den Blick vom steinernen, flüssigen Ungetüm ins Firmament: fahle, schmale Sternenbilder begannen sich in der Düsternis aufzubäumen. Schimmernde, funkelnde, glänzende, grellgoldene eckige Gebilde. 'Was ist das Liebste, dass Du zu verlieren fürchtest?' - schlich es verstohlen durch seine Gedanken. Seine Augen senkten sich hinab auf die junge Frau an seiner Seite, die ihn nun schon begleitete seit er damals ins Hospital kam um seine Tauglichkeit für's hießige Militär abzulegen. Erst nur als Bekannte. Dann als Kameradin. Dann als Freundin; und schließlich...

...Sie war es. Er biss die Zahnreihen aufeinander und kniff sorgenvoll die Brauen zusammen. Auf Ihren Lippen hatte sich indess ein schmales, aber doch ganz gewohnt freundliches Lächeln gebildet. Für ihn war es aber nicht nur ein Lächeln. Für ihn war es das Lächeln. Die helfende, aufmunternde Geste die er brauchte, und sich so dringend danach verzehrte sie in Ihrem Antlitz zu entdecken, auch um wieder Anschluß an seine Worte finden zu können. Seine Mundwinkel begannen sich wieder langsam zu bewegen und die Gesichtszüge zu entspannen, ehe er einen maginalen Atemzug durch die Nasenhöhlen einsog. Er wollte auch nicht als unnötig sentimental abgestempelt werden, schließlich sollte es ja doch nur eine... 'Geschichte' werden...


"Er stand mit dem Rücken zu uns gedreht vor dem kleinen Trainingsgezäun - vor ihm im Ring einer seiner Soldaten und ein Bursche, etwa genauso groß wie ich - und schien das Spektakel zu beobachten. Sein in dunkelblaue Seide gearbeiteter, mit filigranen Goldnähten verzierter Umhang hing ihm weit über den Rücken, während seine langen, losen, rabenschwarzen Haare die Schultern bedeckten. Der Wind hatte begonnen zu pfeifen und ließ den unteren Saum des Umhangs bei jedem Luft holenden Schwung beben, und die Strähnen seiner Haare flattern. Breite Oberarme, und ein stämmiges Gestell das in eine silberne, protzige Rüstung gehämmert war, deren Wert sich sogar von jener ungenauen Rückansicht hätte gut einschätzen lassen können. In diesem Moment ahnte ich schon, warum er diesen sonderbar zweifelhaften 'Ruf' im Dorf genoss, doch war ich mir noch uneins. Erst, als ich die Ansätze seiner Schwertscheide die geschickt an seiner Linken herabhing erblickte, dämmerte es mir dann doch: fein verarbeitetes, dunkles Leder. Goldstriemen die sich über die gesamte Halterung zogen. Die Seiten gerahmt mit kleinen, funkelnden Bernsteinen. Es war eine Pracht, und hätte so manchen Adeligen vor Neid erblassen lassen. Ja, eindeutig, dieser Ritter machte keinen Hehl aus seinem Reichtum. Ich war wie versteinert. Noch nie hatte ich solch Prunk an einer einzelnen Person gesehen, der sichtlich aus dem Rest der Anwesenden herausstach, welcher in geradezu ehrdarbietendem Abstand zum Sir standen. Ich erinnere mich, dass ich mich nichteinmal richtig traute, ihn in dieser Pose anzusehen. Wie sollte das dann werden, wenn er sich ersteinmal umgedreht hatte? Ich sah hinauf zu meinem Vater und warf ihm einen hilfesuchenden Blick zu. Doch der ignorierte mich. Vielleicht in diesem Augenblick nicht gewollt, wenn ich zurück denke. Man sah ihm die Anspannung ins Gesicht geschrieben und die Versteifung seiner Muskulatur an. Es war ein... ungewöhnlicher Anblick für mich. Mein Vater - der kontrollierteste, strammste Militär den ich bis zu diesem Zeitpunkt kannte - unsicher in der Anwesenheit einer anderen Person? Gleichzeitig stellte es mir aber auch die Nackenhaare auf. Was musste dieser Ritter für einen Eindruck auf seine Untergebenen machen, wenn er es schaffte, solche Emotionen in den Menschen um ihn herum auszulösen? Wollte ich es wirklich herausfinden? Meine schmalen Hände vergruben sich immer tiefer in den Seiten meines Gürtelsaums. Doch ich hatte keine Wahl. Wir konnten nicht umkehren. Es war zu spät. Was würde es auch überhaupt für ein Bild auf mich werfen; - den nächsten 'Pagen' der Burg Eisfels. Zittrig, ängstlich, scheu und rattenhaft? Auf keinen Fall. So eine Erscheinung stand mir noch nie, auch in meiner Zeit vor meinem 'Wandel' nicht. Ich hatte stark zu sein, eisern zu sein, kontrolliert zu sein - wie mein Vater. Ich hatte den Eindruck zu erwecken, es wert zu sein, ausgewählt zu werden. Und dies war die beste Gelegenheit, den 'Eisberg' davon zu überzeugen.

Mein alter Herr postierte uns etwa vier Meter vor dem Trainingsgehege und im Rücken des Ritters. Ich war in der Annahme, mein Vater würde irgendwie auf sich aufmerksam machen. Doch er ließ uns einfach dort stehen, die Körperhaltung gestrafft. Allerdings schätze ich, bedurfte es ohnehin keinem Laut um seine Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, standen doch noch einige andere Soldaten in voller Montur und durchdringender Blicke um das Trainingsgelände und hatten dem Ritter schon mit einem knappen Nicken die Neuankunft signalisiert. Doch den kümmerte es nicht. Er sah weiter dem Geschehen zu. Ich erinnere mich, dass ich es schaffte, einen verstohlenen Blick am Ritter vorbei in den Ring zu werfen um mir der Situation gewahr zu werden. Ich schaffte es sogar für einen kurzen Augenblick, die Erscheinung des anderen Knaben zu mustern. Wir hatten in etwa denselben Körperbau. Schlank, aber nicht schmächtig. Eher schon leicht antrainierter Natur. Blonde, gelockte, vom Schweiß durchtränkte Haare hingen ihm durch Gesicht und über die Seiten. Markante und sehr ernst wirkende Gesichtszüge. Er machte einen Gesichtsausdruck, wie ich es sein wollte. Sein Leibrock und die Lederhose waren an einigen Stellen mit Schmutz- und Staubflecken beseelt, doch es wirkte alles nicht... heruntergekommen. Trotz der Makel an seiner Kleidung schien es im Großen und Ganzen edel zu wirken; - kennst Du dieses Gefühl? Wenn Du einem Adeligen gegenüber stehst und der trotz einer falsch gesetzten Naht immernoch Überlegen wirkt? - Solch einen Eindruck machte der Bursche damals auf mich. Irgendetwas war an ihm, dass ihn wie einer vom besonderen Stand kennzeichnete. In Burgnähe sah man früher desöfteren den Adel und Ihren Spross ein und aus gehen, und alle trugen sie diesen typischen, arroganten Ehrgeiz in den Augen. Normalerweiße läßt sich das 'gemeine Volk' von soetwas leicht einschüchtern, doch mir war das in diesem Moment egal. Ich wusste, ich hatte etwas zu beweisen.

Der Lärm, den die beiden machten schien den Ritter zu amüsieren, obwohl das ganze Gespiele für mich als damalig amateurhaften Kämpfer sehr geschickt aussah. Er wog immerwieder den Kopf von Seite zu Seite, gefolgt von seinen Haarsträhnen. Ich wollte gerade nocheinmal zu meinem Vater aufschauen, da tönte es aufeinmal missbilligend aus der Richtung des Sir's:"

'Pass gefälligst Deine Beinarbeit an, du Rotzlöffel! Adalric! Was macht das denn für einen Eindruck auf Deinen Onkel? Was habe ich Dir beigebracht?! Pffze!'


"Mein Blick war wie aufgescheucht, sah zurück zum Ritter, dem Gelände und den Kämpfenden. Der Bursche schnaufte schon wie ein Ross kurz vor dem ersterben und trotzdem schien das dem Schwertadel zu wenig. Wollte er den Soldaten anspornen, den Knaben umzubringen? Ich sah hinauf zu meinem Vater, der keine Miene verzog. Hatten sie nicht so ein gutes Verhältnis zueinander? Lügten die Dorfbewohner? Andererseits, aus meiner heutigen Erfahrung und Perspektive heraus gesehen, hatte mein Vater wohl keine große Wahl als einfach die hingebungsvolle Zinnfigur zu spielen. Ich weiß noch, dass ich es schwer hatte, mit so einem rauen Tonfall zurecht zu kommen; und das, obwohl es nichteinmal mich betraf. Aber warum hätte ich schon Mitleid mit dem Jungen empfinden sollen? Mir war in meiner Kindheit auf ungeschönte Art und Weise beigebracht worden, sich nicht um das Befinden von anderen Leuten zu kümmern - hatte sich doch auch nie einer der Dorfkinder um mich gekümmert. Ich atmete durch; sah zurück zu den Kämpfenden, als es wieder aus dem Mund des Sir's gebellt kam:"

'Du bist eine Schande für die Mühe Deines Onkels, Adalric! Eine Schande! Was soll das Gesocks vor den Toren denn denken, wenn Du Dich außerhalb der Burg präsentierst?!'


"War dies sein derzeitiger Knappe? Sah so das Kampftraining auf dem Weg in den Ritterstand aus? Ich hatte soviele irritierende Gedanken. Wollte ich das wirklich? Mich vom Sir niedermachen zu lassen gegen einen offensichtlich überlegenen Gegner? Und wie er über die Menschen sprach.. Der Soldat gegen den der Bursche antritt war mindestens drei Köpfe größer als er, und um das doppelte breiter. Seine Schlagtechnik war kraftvoll und mühsam zu blocken, seine Selbstverteidigung gut geübt. Ich schluckte. Allerdings könnte ich ja 'nur' Page auf dieser Burg werden, nicht wahr? Andererseits... wenn er mit dem Burschen schon so umsprang, und ich mir nicht sicher sein konnte, welchen Stand er vertritt, wie würde er dann mit einfachen Pagen sprechen? Ich sah nochmal hinüber zu dem Jüngling, dessen Haltung immer schwerfälliger geworden war und der nun mitterweile schon mit Hilflosigkeit in unsere Richtung blickte."

'Es tut mir leid Onkel! Ich kann nicht mehr! Er ist zu geschickt!'


"Man sah ihm die Resignation deutlich an. Der Ritter hingegen schüttelte nur mit dem Kopf."

'Lausig. Lausig! - Soldat, lasst ab und zurück auf Euren Posten, aber zackig! - Und du, Adalric... Du wirst Dich jetzt gefälligst am Riemen reißen und hierher kommen! Wir haben hier noch jemanden.'


"Richtete der Ritter plötzlich seinen rechten Arm auf, fuhr herum und deutete mit der Waffenhand auf mich. Plötzlich schreckte ich innerlich auf. 'Noch jemanden'? Er meinte mich. Nun konnte ich auch den Rest seiner Erscheinung erkennen. Markante, auffällige Gesichtszüge; zusammengekniffene, eiskalte Augen - seine Mimik war trotz der niederschmetternden Worte emotionslos. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie mein Vater seine Körperhaltung korrigierte als wolle er mich streng dazu auffordern, dasselbe zu tun. Ich zog wie aus Reflex die Hände aus dem Gürtelbund und begradigte den Oberkörper. Eine sanfte Gänsehaut bildete sich auf meiner Hautoberfläche als sich das Blickwerk der gesammelten Mannschaft im Hof auf meinen alten Herrn und mich richtete - als wäre ein verlorenes Rehkitz gerade auf eine einsame Waldlichtung gestolpert, auf der schon ein Rudel Wölfe sehnsüchtig lauerten. Was meinte er mit 'noch jemanden'? Wollte er damit auf unseren Besuch hindeuten, oder eher darauf, dass ich nun zu dem Knaben stoßen sollte? Ich war verunsichert. Während sich mein Vater nicht rührte, winkte mich der Ritter in einem sehr militärischen, auffordernden Wisch heran. Ich stolperte den ersten Schritt, kam leicht wankend und unbeholfen etwa einen Meter vor dem Sir zum stehen."

'S..Sir. Mein Name..'


"Erinnere ich mich, wie ich kaum einen Ton heraus brachte, ehe mir der Schwertadel ins Wort fiel. Ich war überrumpelt von der Situation, wollte mich selbstverständlich erst gebührend vor dem 'Eisberg' vorstellen. Doch der verzog keine Miene und benutzte die Waffenhand kurzum um pfeilgerade auf den Hartplatz zu deuten in dem der Blonde noch schnaubend vor Erschöpfung verharrte."

'Rein mit Dir zu Adalric. Zeig uns, was Dein Vater Dir beigebracht hat.'


"Sprach der Ritter mit undefinierbarer, rauer Stimme zu mir. In meinen Ohren aber hallte es wie ein Dröhnen. Alles schien so verschwommen, so unübersichtlich. Der Adrenalinfluss hatte mich umklammert; pumpte unaufhörlich durch meine Adern. Nicht nur, dass er von mir verlangte, gegen einen offensichtlich ohnehin völlig erschöpften Kontrahenten anzutreten - er würde auch öffentlich meinen Vater bloß stellen, sollte ich auch noch ungeschickt genug sein, das kommende Duell zu verpatzen. Ich wusste, dass dies unehrbar war; aber welche Wahl hatte ich? Ich hatte zu große Furcht, zu großen 'Respekt' vor meinem alten Herrn als ihn zu enttäuschen. Andererseits wollte ich den Blondling nicht demütigen, hatte er doch kurz vorher schon eine ohnehin voraussehbare Niederlage einstecken müssen. Wollte ich es mir bei seinem zukünftigen Knappen auch direkt verscherzen? Es war ein nagender Zwiespalt, der meine Gedanken nicht mehr los ließ. Ich folgte dem Deut des Sir's und trat in den Ring - bekam von einem der neben stehenden Soldaten ein Holzschwert und -Schild und richtete meinen smaragdgrünen Blick auf den Kontrahenten. Er war vom Training gezeichnet. Schweißtropfen perlten ihm über die Haut; Haaransätze und Strähnen samt Oberbekleidung durchnässt durch die Anstrengung. - Nein, das war nicht, was man unter einem fairen Duell verstand! Aber ich hatte zu gehorchen. Ich musste. Es stand zu diesem Zeitpunkt einfach zu viel auf dem Spiel: Ansehen und Respekt vor Vater - er würde mich nie wieder ansehen, würde ich ihn frustrieren - und Ritter samt Soldatenschaft; Pagendasein; die Chance auf eine Knappschaft. Einfach alles hing von den nun folgenden Minuten und dem gnadenlos urteilenden Blick des Sir's ab."

...lösten sich seine Iriden wieder von den Gesichtszügen seiner Angebeteten an seiner Seite. Er hatte mittlerweile den Kopf ein kleines Stück nach vorne abgewinkelt, denn Ihr Haupt lag wieder Trost spendend auf seiner linken Schulter; ihre langen, wellenden roten Haare hatte sie sorgsam hinter das linke Ohr geschlichtet, sodass der Rest ihrer Haarpracht einen Teil seines Rückens bedeckte. Auf seiner Stirn hatten sich mittlerweile leichte Fürchchen gebildet, die als 'Auffangstation' für schmale Tautropfen dienten - die Rekonstruierung der Vergangenheit kostete ihn viel Kraft; schließlich war es nicht alltäglich, dass man seine Lebensgeschichte bis ins kleinste Detail wiedergibt. Und so saßen die beiden dort; dem sanften, wärmenden Schein des Mondlichts ausgesetzt...


Zuletzt bearbeitet von Orban Sirgen am 30 Jul 2019 22:32, insgesamt 7-mal bearbeitet
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Orban Sirgen





 Beitrag Verfasst am: 23 Jul 2019 17:49    Titel:
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Kapitel 2.1: Soldat und Politik ist wie Ratte und Gift. (Fortsetzung)

Vermaledeit!

"Ich war also bereit, alles was es galt aufs Spiel zu setzen für diese eine Gelegenheit und hatte den begründeten Eindruck, dass mein Gegenüber nicht weniger bereit war zu geben. Ich verengte meine Augen. Als sich mein noch vor Adrenalin bebender Blick auf meinem Kontrahenten fokussierte, verhärteten sich meine Gesichtszüge; es war die eiserne Entschlossenheit, wie die eines Stiers im Angesicht des Überlebenskampfes - das unnachgiebige Schimmern seiner Pupillen wie die eines Löwen kurz vor dem Sprung auf seine hilflose, unbeholfene Beute die mir das Blut in meinen Adern zu Eis gefrieren ließ und einen Schauer durch die Knochen jagte. Hier wusste ich, hatte ich es trotz seiner Erschöpfung mit einem Charakter zu tun, der unter dem unnachgiebigen, stählernen Amboss eines kaltherzigen Lebens geschmiedet wurde. Was musste das nur für ein erbärmliches Bild abgegeben haben. Wie ich dort stand, so zwiegespalten zwischen einer Entscheidung, die meinem Gegenüber mit Sicherheit mehr als leicht gefallen wäre: stürmen, überwältigen, siegen. Wenngleich diese Taktik im offenen Feldkampf seit jeher angewandt wird und immerwieder überraschend Früchte getragen hatte, war es doch alles andere als die Devise, nach der ich hier vorgehen wollte. Ich wollte einen sauberen Kampf. Einen ehrlichen Kampf. Einen ehrbaren Kampf. Ich wollte einen Kontrahenten, der mir und dem ich das Wasser reichen konnte ohne faule Tricks und Mogeleien. Sonderbar, dass der 'Eisberg' dies überhaupt gut hieß. Hatte er als Ritter nicht eigentlich bestimmte Prinzipien zu vertreten? Tugenden wie Würde?

Doch ich hatte keine Zeit nachzudenken. Denn mein Gegenüber ließ mich nicht sinnieren, welcher Plan nun der bessere gewesen wäre. Er hatte während ich noch innerlich am streiten war schon seinen Schild leicht seitlich links vor die Brust gehoben und sein Holzschwert nah zu seiner rechten Körperseite mit Spitze voran aufgerichtet und war auf mich los gestürmt. Das Scharren seiner Stiefel im Staub war die einzige Vorwarnung, die mich aufschreckte und verhinderte, dass ich einen fatalen Hieb seiner Waffenspitze abbekam. Ja, ich erinnere mich, dass ich es gerade noch schaffte, einen Ausfallschritt zur Rechten zu machen um seinem Angriff zu entgehen. Es ärgerte mich. Ich hatte soviel Zeit in Gedanken verschwendet, dass er genug Gelegenheit hatte, sich trotz seiner vorangegangenen Anstrengung auf mich vorzubereiten und mich eiskalt zu erwischen. Ich wagte es nicht, meinen Blick von ihm zu lösen um durch die Gesichter der Beobachtenden zu schauen; was würde ich schon sehen? Belustigung, Schelm - ein Gemisch aus Ungläubigkeit und Enttäuschung. Nein - abgerechnet würde hier erst am Ende und nicht vorher. Jetzt gab ich mir einen Ruck, schnaufte durch, straffte meine Sinne und konzentrierte mich. Ich festigte meinen Augenschein auf meinem Gegenüber und hätte schwören können, ein kurzes, schiefes Zucken seines Mundwinkels erkannt zu haben - ganz, als wollte er mir ein aufmunterndes Lächeln zuwerfen. Irritierend, doch ich ließ mich nicht davon ablenken. Ich tat es ihm nun gleich: meinen Rundschild schnürte ich etwas fester um die Schildhand und brachte ihn in Grundstellung zum Oberkörper.

Mein Vater brachte mir schon früh bei: 'Ein guter Soldat dreht nicht seinen Schild zum Hieb, sondern bewegt den Körper unter dem Schild. Es spart Kraft und hilft, das Gewicht besser zu verlagern.' - Nach diesen Worten richtete ich mich. Mein Oberkörper sollte den Schild führen, nicht anders herum. Ich schob meinen linken Fuß leicht in die Front und winkelte das Knie an, um mein Körpergewicht auf eben jenes zu verlagern. Mein rechter Fuß sollte hierbei nur eine unterstützende Rolle einnehmen, denn diesen drehte ich leicht ein. 'Das ist die Grundstellung, Junge. So wirst Du einen Kampf bestreiten' - hallte die Stimme meines alten Herren in meinem Kopf wie in einem Traum. Meine Waffe fand hierbei seitlich unter dem Schild Position, denn sie sollte nur eine nachrangige Bedeutung einnehmen. Das effektivste und wichtigste in einem Duellkampf ist es nämlich, seinen Kontrahenten mit dem Gewicht des Schildes zu überrumpeln. Die Klinge ist immer zweitrangig, solange der Gegenüber noch mit einem eigenen Schild bewaffnet ist, weißt Du? Spezielle Dinge, die mir mein Vater bei uns auf dem Hof beibrachte, welche man nicht in regulären Übungen gelehrt bekommt. Es sind Lektionen, die man nur durch Alter und Erfahrung lernt. Aus dem Augenwinkel konnte ich einen kurzen Anflug von Stolz im Zucken der Wangenknochen meines Vaters so aus der zweiten Reihe erspähen. Er musste wohl bemerkt haben, dass ich es nicht vergessen hatte.

Ich ließ mich von dem kurzen Lächeln des jungen Burschen allerdings nicht aus der Fassung bringen, wenngleich ich auch zugeben muss, das es mich etwas zum überlegen brachte. Psychologische Kriegsführung eines kalkulierten Geistes? Oder doch nur ein freundschaftliches Zeichen? Ersteres erschien mir im ersten Augenblick sinniger, war der Knabe wie sich, nach dem Wortverlauf herausstellte, offenkundig der Neffe des Ritters und Blutsverwandte sind ja bekanntermaßen häufig aus demselben Holz geschnitzt. Doch hier war irgendetwas anders. Mein Bauchgefühl entwickelte irgendwie Symphatie für den Blondling. Möglicherweiße doch nur ein weiteres Opfer eines gefühl- und taktlosen Mentors? - Keine Zeit darüber zu grübeln! Der Spross war wieder in den Angriff gegangen, hatte den Schildarm nun aber unvorsichtig etwas weiter vom Körper weggedreht und stürmte mit weit in der Luft geschwungener Waffe auf mich zu. Ich jedoch tat mich leicht, hier den Fehler zu analysieren und fand schnell seinen Schwachpunkt: ich verharrte in Defensive, wartete bis er etwa einen halben Meter auf Distanz gerückt war und schob mich samt meines Schildes unter seinen vom Körper fälschlicherweiße abgeneigten Schild, war also vollkommen geschützt vor seiner Waffe, während er seinen Arm samt Waffe nicht über den meinen hinaus brachte und ich ihm mit der Kante meines Beschützers einen kräftigen Hieb gegen die Brust verpasste worauf er schmerzerfüllt aufschrie.

Ich war nun in bester Ausgangsposition: ich schaffte es in wenigen, präzisen Bewegungen ihm den wuchtigen Rand meines Schildes unter die rechte Achsel - also seinen Waffenarm - und einen Teil des Halses zu drücken und somit seine gesamte rechte Seite handlungsunfähig zu machen, während mein Waffenarm hingegen freies Spiel unter seinem Rundling hatte. Ich konnte den Griff meines Holzschwertes im Handgelenk drehen sodass die Schwertspitze nun gen Boden deutete und der grobgeschnitzte Knauf der Waffe auf Bauchgegend meines 'Gefangenen'. Es war ein Akt von Sekunden, denn der daraufhin erfolgende Knaufhieb direkt in den Magen Adalric's ließ den armen Burschen in sich zusammen sacken, rückwärts zu Boden und seine Bewaffnung fallen; - wäre dies ein echter Kampf gewesen, auf offenem Schlachtfeld unter realen Bedingungen, hätte ich meinem Angreifer die gesamte Klinge durch den Rumpf gestoßen und ihn kurzerhand getötet. Ein unglaublicher Fehltritt für jemanden, der von einem Sir oder zumindest dessen persönlichen Wachleuten trainiert wurde. Doch ich wollte das Schauspiel so unspektakulär wie möglich halten. Ohnehin war mein Gegenüber noch angeschlagen und völlig überrumpelt, ächzte nach Luft und spuckte schon Galle, dass man sehen konnte wie sich sein Inneres umdrehte. Sein vorangegangenes Auflächeln und diese nun unglückliche Lage bereitete mir solch ein schlechtes Gewissen, dass ich das Trainingszeug zur Seite legte und mich seitlich zu ihm herunter kniete um mich seines Zustands zu vergewissern."

'Geht es Euch gut, Adalric?'


"Legte ich ihm meine Rechte zur Unterstützung auf seine linke Schulter und beäugte den Knaben mit besorgtem Gesichtsausdruck. Der hingegen aber hatte Mühe sich zu fangen, krümmte sich vor Leid. Es war falsch, so grob vorzugehen. Doch es war eine Gelegenheit, und ich hatte sie zu ergreifen. Es vergingen einige Momente bis sich der Junge wieder fing und ich ihm meine Waffenhand reichte um ihm auf die Beine zu helfen - während dieser Zeit konnte ich aus dem Augenwinkel die gemischten Reaktionen der Umstehenden erkennen: Belustigung, Zorn, Ungläubigkeit. Schließlich schaffte es Adalric mit meiner Hilfe auf wackelige Beine. Doch es dauerte auch garnicht lange, da spottete der Ritter auch schon."

'Pffze. Ein Desaster. Das war ja wirklich eine Glanzleistung, Neffe; - na, Sirgen? Seid Ihr zufrieden?'


"Wir drehten uns zu den beiden um, und sahen wie die beißenden Augen des Sir's auf meinen Vater gerichtet waren, dem man die Uneinigkeit im Gesichtsausdruck ansehen konnte. Hier ein Hauch von Stolz auf seinen Sohn, dort ein Splitter Bedauern für den Ritter's Spross und alles so unter dem typischen Zwang, jetzt bloß nicht das falsche gegenüber dem 'Eisberg' zu sagen vermischt. Mein Vater nickte knapp. In der Tat, er konnte 'zufrieden' sein und ja, es herrschte eine gewisse Ungleichheit in diesem Aufeinandertreffen - hätte aber nicht jeder getan, was ich tat?"

'Nun, Sirgen - Euer Bursche hat sich stümperhaft aber akzeptabel geschlagen. Adalric war ohnehin vollkommen aus der Puste. Kein Meisterstück also, ihn so zu besiegen.'


"Warf mir der Ritter dabei einen kurzen, geradezu kühlen, vorwurfsvollen Blick zu, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf meinen alten Herrn richtete. Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Stümperhaft geschlagen? Meinen Gegenüber trotz Chancenungleichheit besiegt? Er war doch derjenige, der darauf bestand!"

'In der Tat, Sir Hadric. Es war ein wenig unausgeglichen. Aber hättet Ihr dem Knaben noch eine Minute gegeben um sich zu fang...'


'Ausruhen, wozu?! Auf dem Schlachtfeld hat man auch keine Gelegenheit für ein kurzes Kränzchen mit der Verwandschaft, Sirgen! Umso früher der Bursche das lernt, desto besser!'


'Ich stimme zu, Sir.'


"Verblieb mein Vater knapp mit seinen Antworten, auch wenn sein Unterton nicht sehr nach Einverständnis klang. Schließlich hatte er mir den ganzen Kram über Ehre und Tugenden beigebracht, oder zumindest gehofft es würde etwas hängen bleiben."

'Sei's drum. Sieg ist Sieg, das sei anzuerkennen. Knabe, komm hierher. Und Du, Adalric... wasch Dich aus!'


"Drehte der Sir seinen Kopf über die Schulter zurück zu Adalric und mir. Seine Aufforderungen waren forsch und bestimmend. Ich sah zurück zu Adalric, der noch deutlich gezeichnet war. Er nagte immernoch an dem Magenhieb den ich ihm verpasste. Doch bevor ich mich entschuldigen konnte, löste er sich von meiner helfenden Seite und humpelte wortlos und zähneknirschend ins Burginnere. Ich hingegen atmete ungehört einen Herzschlag lang durch, klopfte mir die Hände an meinen Oberschenkeln ab und trat in höflichem, meterweitem Abstand vor das Antlitz des Sir's; - Kennst Du dieses Gefühl, wenn alle Augen plötzlich und unabdingbar auf Dich gerichtet sind, Du im Mittelpunkt des Seins stehst und kein Laut, kein Zirpen und keine Bewegung mehr auszumachen ist? So fühlte es sich an als sein wortloser, abschätzender Blick an mir auf und ab wanderte."

'Sir...'


"Wollte mein Vater gerade den Mund öffnen, als ihn Sir Eisfels auch schon unterbrach."

'Der Junge soll sprechen, Sirgen. Euer loses Mundwerk kenne ich schon. Jetzt will ich wissen, wie weit der Apfel vom Stamm gefallen ist.'


"Preschte der Schwertadel da mit feixend sarkastischem Tonfall los. Mein Vater verstummte abrupt, begradigte den Oberkörper und trat wieder in den Hintergrund. Es war also soweit: meine Chance den Ritter verbal zu 'überzeugen' war gekommen, genau wie mein Vater es sich wohl erhofft hatte. Aber was konnte ein Fünfzehnjähriger schon zu einem Ritter sagen, wenn Taten scheinbar nicht ausreichten? Ich wurde wieder nervöser. Ich musste meine Worte mit Bedacht und soviel Charme wählen, wie man von einem Jüngling eben erwarten konnte um das ergraute Gemüt eines Egozentrikers zu erheitern. Schließlich antwortete ich wohl nicht schnell genug, denn der 'Eisberg' fiel mir wieder ein."

'Wie ich es erwartet hatte. Kein Rückgrat. Sirgen, was habt Ihr Eurem Knaben nur beigebracht?'


"Da merkte ich, wie der schroffe, zurechtweisende Blick meines Vaters mich abstrafte. Doch der Ritter fuhr fort."

'Der Bursche gegen den Du gerade angetreten bist war Adalric von Lossegg, mein Neffe. Page auf dieser Burg. Sein Vater ist ein sehr angenehmer Freund und dem würde es garnicht gefallen, wie Du seinen Sohn zugerichtet hast. Aber Du hast Mut und wenn auch amateurhaft gekämpft, bin ich neugierig.'


"Nun ergriff ich die Gelegenheit beim Schopf und entgegnete dem Sir."

'Ich habe Potential und den Willen, geformt zu werden, Sir Eisfels.'


"Die Gesichtszüge des Ritters entgleisten und quittierten meine Worte mit einem amüsierten, kurzlebigen Schmunzeln. Doch anhand der Anzeichen erkannte ich, dass der Ritter mir wohl zustimmte."

'Also, Knabe. Wie ist Dein Name?'


"Löste sich die Waffenhand des Älteren aus seiner Verschränkung und deutete mir eine auffordernde, rollende Geste. Ich räusperte mich und antwortete dem Sir wie aus der Pistole geschossen."

'Orban, Sir.'


'Orban also.'


"Der Ritter nickte."

'Orban, es kostete Deinen Vater viel Herumgehampel und Spucke um mir einen Lausbub wie Dich unterzujubeln. Aber ich bin bereit, Dich auf meiner Burg einzuquartieren. Für's erste.'


...hier atmete er einmal müde aus. Eine Etappe schien getan, zumindest aus damaliger Sicht zu jenem Zeitpunkt. Er sah zurück zu Ihr, und ihrem noch immer seitlich abgesenkten Schopf und konnte ein schwaches aber von Herzen kommendes Lächeln auf Ihren Lippen ausmachen. Dann begannen die Augen wieder zu wandern. Der Mondschein fing langsam an zu verblassen und sich aufzulösen, hatte es doch am Horizont schonwieder angefangen zu dämmern um den Tagesanbruch einzuläuten. Breite, dickige Wolkenschichten standen hoch über ihnen am Himmel und schienen die ersten schwächelnden Strahlen der sich langsam erheben wollenden Sonne zu blockieren. Langsam wurde es auch Zeit, sich um die Verpflegung zu kümmern. So vorsichtig wie möglich um Ihre Haltung und den Moment nicht zu stören wanderte seine Rechte hinab zum Proviant, der angelehnt an den Baumstamm verweilte, wo neben schmalen Brotecken in dünnem Saum eingewickelt auch ein mittelgroßer Wasserschlauch verfrachtet war. Hier, so nah an der Quelle dürfte es ein leichtes sein, frisches Bergwasser zu erhaschen. Erzählerei macht durstig und fördert den Hunger, und sie konnte ja nicht ahnen, dass der Geschichtsverlauf ab dieser Stelle eine sehr rasante, verbitterte Wendung nehmen sollte...


Zuletzt bearbeitet von Orban Sirgen am 12 Mai 2020 18:27, insgesamt 8-mal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 31 Jul 2019 13:26    Titel:
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Kapitel 2.1.1 (Zwischenspiel)

Vermaledeit!

...Sie konnte nicht ahnen, dass der Geschichtslauf eine unerwartete, verbitterte Wendung nehmen sollte. Aber konnte er es denn? Nach dem vorangegangenen Abschnitt seines Kapitels schien er fast schon aufgebauscht, hatte sogar ein einigermaßen zufriedenes Gemüt an den Tag gelegt. Wohltuendere Erinnerungen waren es, die ihm da durch den Kopf spukten; - ein sicherer Platz als Page auf Burg Eisfels und das anscheinende aufblühende Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater als er es dann doch geschafft hatte, den Sir zu überzeugen. Aber ob es von Dauer gewesen sein sollte? Denn ihm blieb die Gelegenheit leider aus, mit seiner Geschichte fortzufahren. Was war die letzten Wochen passiert?

...Die beiden würden bestimmt immernoch dort an dem kleinen Plateau sitzen und sich den natürlichen Fluss des Wassers, die verschiedenen Farben und Gespiele der Lichteinfälle, das gedankenverlierende Wippen der vom Wind umspielten, aufbäumenden Pflanzen und die leisen Zwischenrufe der Vögel anhören - hätten sich ihre Wege nicht auf halbem Weg getrennt. Er erinnerte sich noch gut daran: Ihr Kopf so nah auf seiner Schulter, ihre beider Nähe zueinander um sich gegenseitig Zuneigung zu zeigen. Er selbst fand sich in einem Gefühlszustand wie in Trance wieder. In seiner Rechten herrschte immernoch dieses knautschige Gefühl, als hätte er den Wasserschlauch in der Hand, bereit aufzustehen um etwas der kühlen, aufpeppelnden Flüssigkeit aus dem laufenden Bach abzuschöpfen. Doch seine Gedanken spielten ihm einen Streich...

...Denn sie waren nicht mehr dort am Wasserfall. Er saß alleine im Obergeschoss seines Hauses, dort an seinem Arbeitstisch umgeben von Pergamenten, Schreibutensilien, und dieser kleinen Laterne die das einzige war, was ihm die letzten Tage Helligkeit und 'Trost', wenn man es so nennen konnte, gespendet hatte; die Unterame kraftlos gegen die Tischkante gelehnt, die Augen starrten aus dem Fenster hinaus ins Leere. Immer öfter nahm der Regimentsdienst Besitz von der freien Zeit die den beiden hätte bleiben können. Immer seltener sah er sie. Noch seltener trafen sie sich um Worte, oder zumindest ein Lächeln auszutauschen. Ein Umstand, von dem beide zu Anfang schon wussten, dass er herrschen würde und ihn bereitwillig in Kauf genommen hatten - doch es fühlte sich an, als würde er wieder in den einsamen Trott dieses Einzelgängers der er vor seiner Ankunft auf dem Inselkontinent Gerimor war, verfallen. Er schloss die Augen und durchlebte ihr letztes Gespräch nocheinmal; - sie standen im Untergeschoss seines Hauses während er auf einen dicken, in weißem Leder gerahmten Wälzer deutete, der auf der Wandablage über dem Essenstisch lag. Eine Abschrift des Ritterkodex den er in der Regimentsbücherei gefunden hatte. Zum ersten Mal hatte ihr Lächeln das sie sonst auf den Lippen trug etwas undeutbareres, als er auf die Frage, ob er sich das zum Ziel gesetzt hatte mit einem Nicken antwortete. Da öffnete er die Augen wieder und es dauerte einen Moment, bis die Steifheit die üblicherweiße herrscht wenn man gedanklich woanders ist dem gewohnten Schimmern seiner Smaragdgrünen wich...

...Lange hatte er sie danach nicht mehr gesehen. Viel war passiert. Diebereien, Scharmützel, Wegelagerer, ominöse Nachrichten, Disziplinarsmaßnahmen durch den Feldwebel. Ereignisse, für die man mehr als einen dicken Wälzer brauchen würde um sie alle bis ins Detail zu erzählen. Und alles hinterließ irgendwie Spuren an ihm. Spuren, die für unbeteiligte Außenstehende nicht auf Anhieb zu erkennen wären - aber für eine Person die sich mit ihm auseinandersetzen würde wohlmöglich ein Leichtes wäre, zu deuten. Er sah wieder herab auf die wirr herumliegenden Briefe und Fetzen auf seinem Arbeitstisch und benutzte schließlich die Rechte dazu, einen unter dem Berg an Papier hervorstechenden Wisch heraus zu kramen. Er erinnerte sich, wie er noch recht euphorisch an einem Schreiben an sie hing um ihr von dem ganzen Trubel den er alltäglich durchmachte zu berichten, vielleicht um auch wieder einen Hauch Nähe zu ihr herzustellen. Aufwendig und lang waren die Seiten geschrieben. Schließlich wollte er keine Details auslassen für einen Menschen, dem er so nahe stand wie ihr - dem er vertraute. Seine Iriden gingen einmal die Umrisse und Kanten des Schreibens ab, ehe er wieder zum Fenster hinaussah, die Brauen verengte und versuchte sich an einige genauere Zeilen zu erinnern, die in seinem Brief standen...


'Liebes,

es ist viel passiert seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Immer herrscht irgendein Trubel, und ich schaffe es scheinbar jedesmal recht geschickt Mittelpunkt dieses Trubels zu sein. Dabei versuche ich mich nur auf meinen Weg zu konzentrieren.

Ich vermisse Dein Lächeln und Dein wellendes, rotes Haar.

Ich hoffe, wir werden bald wieder etwas mehr Zeit füreinander haben.

Du fehlst mir.

Orban.'


...Schließlich schloss er die Augen wieder und ließ die Schultern einsacken. Mittlerweile hatte er das in den Händen haltende Briefkuver gedankenversunken geöffnet und den Wisch darin hervorgeholt. Als sich seine Augen wieder öffneten, war da die gewohnte Schreibart die er so lange nicht mehr gesehen hatte. Ein Grund zur Freude normalerweiße. Doch in diesem Fall... war es ein niederschmetterndes Zeugnis. Eine Reaktion, die er nicht erwartet hatte. Hatte er etwas falsches gesagt? Sie erbost? Vielleicht nicht offen genug zu ihr in der Vergangenheit gewesen. Oder aber zu offen - denn als er so die dort geschriebenen Zeilen überflog, überkam ihn abermals der Schmerz der Enttäuschung. Dieses typische Pochen, wenn man sich einem Menschen anvertraute und dann nur Ungewissheit herrscht, bis der endgültige Stich eintrifft.

'Orban,

es ist scheinbar wirklich viel um Deine Person passiert. Du hast Dich entschieden, einen Weg zu gehen auf dem Dir viele Leute Steine in den Weg legen werden um Dich zum stolpern zu bringen. Doch ich möchte keiner dieser Menschen sein. Hiermit gebe ich Dich frei.

Ich werde Dich immer als Mensch schätzen.'


____________________________________________

Die zweite Tugend des Ritterkodex besagt: 'Trockene Tränen - der ritterliche Mensch nimmt auch schreckliches Schicksal an und verzagt nicht im Angesicht der Not. An ihm wollen sich die wirklich Schwachen anlehnen, er soll sie im Namen der Göttin aufrichten, nicht einer der ihren werden.'

____________________________________________


...Er atmete langsam und leise aus. Die Tugenden der Ritterschaft waren für ihn schon als junger Erwachsener ein Leuchtfeuer, nach dem er sich richten wollte. Selbstverständlich hatte er bisher in keinster Weise irgendetwas mit dem Orden zu tun und würde von sich auch niemals behaupten, zu unrecht in dessen Namen zu handeln - doch für ihn war es ein persönlicher Wunsch, nach diesen Richtlinien und Geboten zu leben. Mit trockenen Tränen über dem eigenen Schicksal zu stehen um so ein Feuer der Hoffnung für alle zu sein, die weniger Stärke in Charakter und Glaube hatten wie er. Dort nicht zu weinen, wo andere im Fluss der Trauer untergehen; dort nicht zu weichen, wo andere vor Angst und Furcht fliehen; dort nicht zu beugen, wo andere ihren Schmerz als gegeben hinnehmen. Er hatte weiter zu machen - gerade zu stehen; aufrecht zu gehen. Seinem Weg zu folgen und nicht zu verzagen. Er verpackte das Schreiben zurück ins Briefkuver und legte es zurück zum restlichen Papierberg. Eine gute Sache hatte die Angelegenheit: er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, offener über sein Erlebtes zu sprechen. Doch er hatte niemanden mehr, dem er die Geschichte anvertrauen konnte. Er sah auf, blickte über die rechte Schulter auf die sich hinter ihm aufbäumenden Bücherregale. Dort im hinteren rechten Eck ragte einer der noch unbeschriebenen, dickeren Wälzer aus einem der mittleren Fächer. Es tat seiner Seele gut, den Ballast los zu werden - möglicherweiße war sogar die Zeit gekommen, seine Geschichte nieder zu schreiben. Immerhin war sie ja noch lange nicht zuende erzählt...


Zuletzt bearbeitet von Orban Sirgen am 31 Jul 2019 20:47, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Orban Sirgen





 Beitrag Verfasst am: 09 Aug 2019 17:24    Titel:
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Kapitel 2.2: Soldat und Politik ist wie Ratte und Gift. (Kapitelende)

Vermaledeit!

...Leises Brasseln des Laternenfeuers, das so wohlig und willkommend warm seinen Arbeitstisch und das damit verbundene Papierzeug erhellte. Draußen begann mittlerweile schon der Mond an den Horizont zu steigen um die Nacht heraufzubeschwören. Er schob ein etwas größeres, scheinbar für einen mehr auffälligeren Termin gedachtes Pergament zur Seite und warf einen Blick aus dem Fenster auf die gegenüberliegende, karge Hausfassade des Nachbaranwesens. Dort hatte er auch schon seit Ewigkeiten kein brennendes Licht mehr entdeckt; - die Nachbarn mussten wohl ausgezogen oder verschollen sein, nachdem schon einige Wochen ins Land gezogen waren und das rege Treiben das dort sonst immer herrschte abgeebt schien. Wer würde wohl anstattdessen dort einziehen, sollte das Haus von der Stadtverwaltung her wieder zur Vermietung freigegeben werden? Händler? Eine Familie mit Kindern? Oder gar vielleicht ein anderer Soldat? Wer wusste das schon; - sagen konnte man es ohnehin nicht nachdem der Zufall immer entgegen des Uhrzeigersinn entschied, statt mit dem natürlichen Lauf der Dinge zu gehen. Ein kurzlebiger, schwacher Schmunzler umspielte seine Lippen - amüsante Anschauungsweise die ihm da durch den Kopf spukte...

...Zufälle und Schicksale die sich nach einfachen Launen richteten? Was für ein Unsinn. Schicksale waren bisweilen jedem verborgen geblieben und machten sehr selten Anstalten, einem Hinweise zu geben wie man sich zu richten hatte. Und dieser unpässliche Kerl namens 'Zufall'? Die Überraschungen die jener 'Kerl', für ihn zumindest, parat hielt waren oftmals nicht sehr erfreulich gewesen. Aber möglicherweiße gab es daoben ja irgendjemanden, der mit gezinkten Würfeln spielen würde und nur darauf wartete, ihm einen Zug in die Tasche zu spielen wenn er es am wenigsten erwartete...

...Sein Schmunzeln wurde etwas ersichtlicher. Er schüttelte den Kopf und warf einen weiteren Blick über die Schulter. Unweigerlich fasste er da nochmals den dicken Wälzer der da so griffbereit aus dem Bücherregal ragte ins schimmernde Smaragdgrün seiner Iriden. Geschichte, ja... da waren nun schon einige Tage vergangen seit er sich das letzte Mal die Mühe machte, einen Gedanken daran zu 'verschwenden'. Allerdings hatte er gerade ohnehin nicht viel zu tun und für's Bett war es noch zu früh. Zumindest zu früh für ihn. Schlaflose Nächte plagten ihn die letzten Tage; Kopf- und Wirbelsäulenschmerzen und schlechte Träume machten es ihm schwer zur Ruhe zu kommen. Die Ursache? Wer konnte das schon sagen. Es war allerdings auch eine Gelegenheit. Eine Gelegenheit sich weiter zu offenbaren, und sollte es nur dazu dienen, sich selbst eine Ruhepause zu gönnen. Er lehnte sich aus dem Stuhl, griff nach dem Wälzer und bettete jenen einladend auf die feingeschliffene Eichenoberfläche vor sich. Einige Seiten wollte er überspringen und irgendwann anders nachholen; nun galt es ersteinmal seine Geschichte dort fortzusetzen, wo er stehen geblieben war. Der 'Beginn' der Pagenschaft - was für ein Abenteuer, oder nicht? Er atmete tief durch, langte nach der mitteilsamen, in tiefes Schwarz gehüllten Federspitze und begann, die ersten Buchstaben seiner Memoiren anzusetzen...


"Mein Vater hatte eine so zufriedengestellte Visage aufgesetzt als der Ritter uns den Rücken zukehrte und ins Burginnere stapfte, dass es mich selbst schon grauste; - ich nahm schon früh dieselben Charakterzüge an wie er. Das Adrenalin in meinem Körper schien langsam abzuebben und ich begann, mich wieder auf die Umgebung konzentrieren zu können. Das Gespräch mit dem Sir ließ abermals meine Nackenhaare aufstellen; - sei es aus Ehrfurcht seiner Anwesenheit gegenüber gewesen oder aus verdienter Vorfreude vor dem Vermeintlichen, was mich erwarten sollte. Trotz des unterschwelligen Stolzes das man meinem Vater im Blitzen seiner Augen ankannte, machte er keine Anstalten sich von seiner Position zu lösen um mir Beifall zu spenden. Er blieb streng; ließ mir aber wohl absichtlich einige Momente, um zur Ruhe zu kommen und zu realisieren, wozu mich mein Einsatz und meine 'Mühe' gebracht hatten. Ich sah dem flatternden Umhang des 'Eisbergs' hinterher und kam nicht drumherum, auch an seinen Neffen zu denken. Welche Herabwürdigungen musste er wohl nun über sich ergehen lassen nach dem ganzen Spektakel? Er tat mir leid. Ich erinnere mich, dass ich mir zumindest vornehmen wollte, ihn um ein richtiges Duell zu bitten sollte ich ihn das nächste Mal wiedersehen. Das war ich ihm schuldig. Allerdings war es wohl dumm von mir zu glauben, dass der Bursche nicht ohnehin Rachegelüste hegen würde für jene Demütigung, die er durch mich und wohl auch seinen Onkel erfahren hatte. Konnte man es ihm verübeln? Wie wäre es mir ergangen, wäre ich anstatt seiner gewesen? Ich kannte mich und mein damaliges, undurchdachtes Denken - nicht das ich behaupten würde, heute nicht weniger impulsiv zu sein als zu damaligen Zeiten; - ich denke, manche Charakterzüge legt man niemals so richtig ab, aber im Gegensatz zu heute fiel es mir damals schwer, besonnene Schachzüge zu machen. Ich denke, heute könnte ich mir ein unbedachtes Vorgehen garnicht mehr leisten, bedenke man doch was alles auf dem Spiel steht - erneut. E..."

...Hier sah er auf und beäugte missbilligend den versehentlichen Klecks den er statt eines Satzanfanges machte, was ihn dazu zwang einige Zeilen weiter unten fortzufahren. Daran hatte er sich erst zu gewöhnen.

"Erst klopfte ich meine Hände an meinen Oberschenkeln ab und versuchte dann schließlich den Wappenrock den mir mein alter Herr vermachtete wieder in Form zu bringen. Einige Falten und etwas Schmutz hatte das arme Stück abbekommen und es war mir geradezu peinlich, so vor meinen Vater treten zu müssen - doch der nickte mir lediglich knapp zu, drehte den Oberkörper gen Burgtore und deutete in Richtung des Dorfes. 'Wir haben Dich auf einiges vorzubereiten, Bursche. Ab nach Hause.' - Waren seine Worte, die mit gewohnt bestimmenden Unterton erklangen ehe er mir noch einen letzten, prüfenden Blick schenkte. Er konnte es wohl selbst kaum glauben, dass durch meine wertlosen Adern dasselbe Blut fließt wie durch seine. Ich ließ die Arme hängen und warf noch einmal ein Auge auf den Burgeingang, dessen breite Stahltore gerade im Begriff waren, von den Wachleuten zugezogen zu werden nachdem die Umrisse des Ritters hinter ihnen im Dunkel verschwanden. Schließlich wendete sich mein Vater vollends von mir ab und ging voraus, während ich mit meinen kurzen Beinen hinter ihm her stapfte. Der folgende Marsch zurück ins Dorf war eher eintöniger Natur. Kaum Vorkommnisse, wenig Treiben der Natur und ausnahmsweise kein Regen. Wir sprachen nicht viel miteinander, aber es wäre ja nicht so gewesen das ich es nicht gewöhnt war. Hier und dort analysierte er lediglich das vorangegangene Duell: falsch eingedrehter Fuß während des Blocks, mögliche Konsequenzen bei zu langsamen Konter, unnötiger Magenhieb aufgrund des ohnehin schon geschwächten Kontrahenten - solche Dinge. Es 'faszinierte' mich, dass er kein Wort über den Sir und seine gnadenlose Unverfrorenheit verlor; - der Ritter musste für ihn wahrlich den Stand einer gleißenden, unverfehlbaren Lichtfigur haben. Wir marschierten pfeilgerade und recht zielstrebig durchs Dorf zu unserem Haus, wo die Garten- und Haustür schon geöffnet und angelehnt offen stand. Meine Mutter stand mit leicht ineinander geschobenen Armen im Garten und schien uns zu erwarten. Sie hatte für solche Dinge irgendwie ein fünftes Gespür, denn auch ohne Bescheid geben hatte sie es meistens im Bauch, wann ihre beiden Männer eintreffen würden. Es war schön sie so zu sehen, denn zumindest ihre Lippen umspielte ein zärtliches Lächeln als sie uns ins Auge fasste. Diese Geste verblasste aber auch relativ zügig als mein Vater mit einem weiteren, schlichten Nicken einfach an ihr vorbei zog und uns im Garten zurückließ. Ich sah ihm hinterher und schließlich zu meiner Mutter und konnte noch für einen Atemzug diese versteckte Traurigkeit im Schimmern ihrer mattblauen Augen erkennen als sie da so abgewiesen zur Seite ins Gemüsebeet blickte. Ich denke, ihr fiel auf dass ich jenen Trübsinn in ihrem Gesichtszug bemerkte und richtete ihre Iriden, gemeinsam mit dem Versuch eines etwas offeneren Lächelns um ihre Melancholie zu überspielen, wieder auf mich. Sie trat an mich heran, öffnete ihre Arme und legte ihre kleinen Hände auf meine vom dicken Stoff überlappten Schultern."

'Wie verlief Euer Treffen mit Sir Eisfels, mein Schatz?'


"Ihr Stimmton war das gewohnt sanfte, sorgende Whispern während sie versuchte den Blickkontakt zu mir zu suchen und sich ihre filigranen Finger in dem Wappenrock vergruben. Ich sah zu ihr auf während sie gerade den Kopf etwas zur Seite legte und konnte da noch diese offene, traurige Leere in ihren Augen erkennen. Ich erinnere mich, dass es mich versteifen ließ - ein abkühlender Moment in dem Leben eines jungen Burschen wenn er feststellt, einer für ewig verlorenen Seele gegenüberzustehen die auch noch zu allem Überfluss eigentlich seine eigene, vor Liebe und Lebensfreude strotzende Frau Mutter sein sollte. Aber ich hielt ihrem Blick nicht stand. Zu aufwühlend war das matte, sorgenvolle Schimmern ihrer Augen als das ich ihr weiter ins Gesicht hätte schauen können. Ich griff nach ihren Händen und versuchte sie langsam und ohne viel Druck von meinen Schultern zu lösen."

'Gut, Mama. Ich darf als Page auf die Burg kommen.'


"Ihre Reaktion sah ich dank meines abgewendeten Blickes nicht, aber ich hoffte, es wäre eine Glückliche gewesen. Hätte ich mir damals allerdings mehr Gedanken darum gemacht, wäre ich schnell zu dem Entschluss gekommen dass es wohl das Gegenteil in ihr auslöste. Ihr einziger Sonnenschein würde nun auch das Haus verlassen - sie sollte zurück bleiben im zur Gewohnheit gewordenen Trist. Sie vergrub ihre Arme wieder vor der Brust und sah mir hinterher, während ich langsam ins Haus ging. Innerlich war ich jedoch egoistisch froh. Ich würde endlich weg von Zuhause kommen; weg von diesem ewig währenden bedrückenden Gefühl das dort herrschte. Weg von der angespannten Stimmung die sich schleichend entlang der Holzdielen eingenistet hatte und auf Schritt und Tritt lauerte. Auf zu neuen Gefilden; neuen Möglichkeiten. Ich wollte gerade über die Küchenschwelle zu meinem Vater, als der schon dort vor dem Küchentisch bereit stand und einige Dinge zurecht gelegt hatte. Unteranderem auch einen für meine Größe angepassten Waffengurt - selbstverständlich ohne Waffe, war das tragen von Bewaffnung ja wie schon einmal erzählt außerhalb der Burgmauern verboten und nur für Soldaten im aktiven Dienst vorgeschrieben. Ich sah zu ihm auf, während er die Oberarme vor dem Brustkorb verschränkte und mich mit kurzen, kritisch prüfendem Blick empfing. Schließlich wendete er sich zu mir und begann in gewohnter, strenger Manier zu sprechen."

'Sohn,
passende Kleidung für Deine Zeit auf der Burg bekommst Du von den Dienern dort.

Du wirst heute früh zu Bett gehen damit Du morgen ausgeschlafen bist,
Du wirst alleine zur Burg gehen und beim Sir vorstellig,
Du wirst eisern und konsequent bleiben,
und Du wirst tun, was man von Dir verlangt.

Es wird eine harte, unnachgiebige Zeit.'


"Ich nahm diese vorbereitenden Worte mit eisernem Bewusstsein auf, während ich aus dem Augenwinkel bemerkte wie meine Mutter nur knapp über der Türschwelle stand und das Geschehen um ihre beiden Männer mit gedankenverlorenen Blicken verfolgte. Ich nahm den leeren Waffengurt vom Küchentisch, ließ meine Eltern alleine in der Küche zurück und verschwand auf mein Zimmer. An diesem Abend ging ich früh zu Bett, wie es mir mein alter Herr anordnete.

Der Morgen brach an und ich erinnere mich noch, dass ich schon erste Schwierigkeiten hatte aus den Federn zu kommen. Nicht, weil ich faul war sondern weil ich in unumgänglicher Vorahnung vor dem kommenden Tag kaum eine Stunde die Augen zubekam. Es sollte ein großer Tag werden; - mein großer Tag. Ich ließ das Frühstück saußen und richtete mich soweit zusammen, dass es für eine Audienz bei einem Ritter nicht allzu unrühmlich aussah bevor ich mich letzten Endes eher schlecht als recht von meinen Eltern verabschiedete und mich auf den Weg in die Burg machte. Der Gang dorthin erschien mir wie eine Ewigkeit und umso näher ich kam, desto deutlicher stand mir die Aufregung ins Gesicht geschrieben. Die Wachleute an den Toren ließen mich ohne größere Umschweife passieren bis ich schlußendlich wieder dort an meinem Ausgangspunkt ankam: der große Innenhof vor den kühlen Augen des Sir's. Der hatte jedoch kaum Umschwänglichkeiten für mich über und empfing mich mit einem sehr knapp gehaltenen: 'Willkommen auf Burg Eisfels, Page.' - während seine Waffenhand mich auf eine der schon wartenden Mägde vor den Eingangstüren abwies. Ein junges Dirndl - etwa in meinem damaligen Alter - mit sehr ordentlich zum Dutt geflochtenen, strohblonden Haaren, schwach schimmernden haselnussbraunen Augen und für ihr Alter durchschnittliche aber ansehnliche Proportionen. Ihr offenes, strahlendes Lächeln aber war es, was mir den ersten Schock des Ankommens nahm. Es hatte etwas herzliches, etwas aufmunterndes. Sie empfing mich sehr einladend und wies mich ins Burginnere. Mein Dasein als Page begann."

...Er sah von seinem leise knarzenden, langsam austrocknenden Federkiel auf und warf einen kurzweiligen, sinnenden Blick rechts aus dem Fenster. Wie sollte er fortfahren? ...Selbstverständlich - mit einem nachtunken im Tintenglas. Er senkte den Blick wieder auf seinen Wälzer, rührte den Stiel etwas im schwärzlichen Gläschen und begann, erneut anzusetzen...

"Es verging etwa ein Jahr auf der Rittersburg bis zu meinem sechzehnten Geburtstag. Ich war wieder um etwa fünf Zentimeter auf nun einen Meter und fünfundsechzig gewachsen, hatte einen sehr ordentlichen Haarschnitt dank der leitenden Hände der Burgmägde und hatte mich zu einem recht ansehnlichen, fleißigen Burschen gemausert. Ich hatte mich beiweilen gut auf der Burg eingelebt und ehrgeizig alle Arbeiten übernommen, für die sich die älteren Pagen und selbstverständlich Knappen zu schade waren. Hier und dort hatten die hübsche Burgmagd die mich zu Beginn des Jahres einwies, Ella, und ich versucht anzubandeln - wir trafen uns häufig für gemeinsame Arbeiten und schenkten uns gegenseitige lieb gemeinte Lächeln; - doch ich wollte kein zu großes Aufsehen erregen und der Sir sah es nicht gerne, wenn Bedienstete untereinander mehr auf seiner Burg zu tun hatten als die anfallenden Pflichten. Trotz der vermeintlichen Demütigung die der Neffe des Ritters, Adalric, einstecken musste hatte er wider meiner Erwartungen keinen Groll gegen mich und so konnte ich auch zu ihm eine gut gepflegte Freundschaft entwickeln. Es stellte sich heraus, dass er schon ein Jahr früher vom Ritter als Pagen auf die Burg berufen wurde und seither, wie wohl ich auch, auf eine Gelegenheit, eine Chance wartete. Hin und wieder drängte sich mir die Vermutung auf, dass der Sir ihn bevorteilen würde aufgrund seines Standes und des Verhältnisses welches er zum Vater des Burschen hatte - denn der Sir beorderte ihn weitaus öfter zu eher ansehnlicheren Terminen, gab ihm Lehrkunde in bestimmten Themen und kümmerte sich auch persönlich einschlägiger um seine Kampfausbildung, welchen Pagen eigentlich ohnehin kaum zu Gute kam. Ich nehme an, ich war einfach in dem Glauben ein gerechtes Auswahlverfahren, wie jeder andere, zu durchlaufen und dachte mir oft nicht viel dabei. Ich schaffte es oft, bei den Übungsstunden die der Sir dem Adelsspross gab zuzusehen oder ab und an sogar mitkämpfen zu dürfen, wobei der 'Eisberg' oftmals sogar erkennbare Anerkennung für mein Durchsetzungsvermögen und eher aggressiveren Kampfstil beurkundete. Er nannte mich dann und wann einen 'Hoffnungsschimmer am Firmament' wenn Adalric sich wieder ungeschickt einen Schlag einfing - auch wenn ich damals schon wusste, das es eher trockener Natur war als das er es wirklich ernst meinen würde. Meine Freundschaft zu Adalric ging soweit, das er es mir ab und an ermöglichte, heimliche Zweisamkeit mit dem Burgmädchen zu verbringen während er den Sir ablenkte und loderndes Interesse an trockener Lektüre vorgaukelte; - im Gegenzug dafür trainierte ich in unseren freien Stunden mit dem Spross und zeigte ihm einige Schritte und Hiebe die mir mein Vater selbst beibrachte. Wir verstanden uns gut, und ich war... ja, glücklich. Von meinen Eltern sah ich nicht viel. Meine Mutter war ohnehin mit den Arbeiten zuhause im Dorf beschäftigt und den Pagen war es untersagt, sich mit den Soldaten abzugeben, doch ich konnte ihn zumindest hier und dort mal auf Patroullie oder am Tor erspähen. Alles in Allem war es mir allerdings recht. Ich hatte kein Interesse daran, mit ihm auf der Burg in Verbindung gebracht zu werden sodass man später hätte behaupten können, ich wäre nur dank seines Einflusses an Kreuzung A oder Abkürzung B weitergekommen.

Der Sir quittierte mein Engagement oft recht positiv und schien geradezu überrascht, wie geschickt und zuvorkommend ich mich in Bewirtung seiner Gäste anstellte, die Akribie mit der ich bei Sauberkeit der Burg und Ausführung der Pagenpflicht vorging und wie wissbegierig ich bei außerweltlichen Themen und Lernstunden bezüglich der Kampfausbildung war. Ich konnte mir nicht sicher sein, ob er ehrliches Interesse für mein Können entwickelte oder nur ein guter Schauspieler war. Er ließ es zumindest soweit nicht durchscheinen, dass ich abends ohne mir Gedanken darüber zu machen zu Bett, und morgens ohne Kopfschmerzen wegen vorangegangenem Gehirntumult aufstehen konnte.

Schließlich verging ein weiterer Monat und in der Burg machten Gerüchte die Runde, der Sir wäre bereit einen neuen Knappen aus den Reihen seiner Pagenschaft zu ernennen. Der Augenblick, auf den so einige Pagen innerhalb der Burg schon ihre halbe Jugend warteten; - auch Adalric und ich, auch wenn ich noch nicht halb so lange innerhalb der Burgmauern wandelte wie andere der Burschen. Allerdings hatte mir der Sir dann und wann Andeutungen gemacht, es durchaus in Erwägung zu ziehen mir diese Chance einzuräumen. Man muss sich vor Augen führen, was allein jene Vorstellung für einen Gedankengang bei einem jungen Burschen auslöst. Unter dem Banner eines Ritters, Seite an Seite zum Sir in den Kampf zu ziehen; das Wappen des Schwertadels in die Schlacht und am Leib tragen zu dürfen; - in seinem Namen Wort und Tun walten zu lassen. Einmal selbst... Ritter zu sein. Barmherzig und gerecht, glaubensstark und mit eiserner Disziplin sich das Privileg erworben zu haben im Namen der Krone handeln zu dürfen. Ein Märchentraum und selbstverständlich ist der Alltag eines Ritters von soviel mehr als nur Schein und Glanz geprägt - auch von Pflichten und der Verantwortung ein Vorbild für das Volk abzugeben. Allein die Vorstellung ließ mein Herz höher schlagen; - doch ich erinnere mich, dass es ein kühler, grauer Morgen war als aus jenen Gerüchten schließlich Tatsachen wurden und der Ritter Adalric und mich in den großen Burgsaal beorderte. Ich war aufgeregt und wollte nicht darauf hoffen, das sprichwörtliche 'große Los' gezogen zu haben denn letzten Endes hätte es mir nur das Herz gebrochen wäre ich enttäuscht worden. Ich kam allerdings trotzdem nicht daran vorbei, mit einem Lächeln an Adalric's Seite vor Sir Eisfels zu treten. Der jedoch schien keinen Grund zu sehen, die Miene zu verziehen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah uns an. Wir waren herausgeputzt, alle beide. Die Haare frisch gekämmt, die Kleidung gestriegelt. Ich warf einen sehr kurzen Blick zur Seite zum Adelsspross und musste mich wundern: er schien etwas angespannt, gar bedrückt und suchte nicht den Blickkontakt. Vielmehr waren seine Augen seitlich auf ein Banner dort gerichtet als hätte er eine gewisse Vorahnung, während ich zurück zum Ritter schaute, dessen bohrender kalter Blick mich ergriff und er seine raue Stimme erhob."

'Orban, du hast mir bisher entgegen meiner Erwartungen gut gedient. Du hast dich bewiesen und scheinst fähig, für den Deinigen und den Namen Deines Ritters leben zu können.'


"Ich hob langsam die Augenbrauen und schien nicht erwarten zu können, welche Worte als nächstes folgen würden."

'Doch weißt Du, Orban...
Ich hege eine gute Freundschaft zu Adalric's Vater und es wäre dem nicht sehr zuträglich, würde ich seinen einzigen Sohn als Pagen auf meiner Burg verrotten lassen während ein namenloser Bursche die Knappschaft antritt mit der er ohnehin nichts anzufangen weiß. Sein zukünftiger Stand als Knappe und Ritter wird die politische Beziehung zwischen diesen Familien fördern.'


"Meine Augenbrauen senkten sich wie zeitverzögert und das smaragdgrüne Schimmern in meinen Augen wurde leerer. Es traf mich wie eine tödliche Wunde. Meine Lippen pressten sich instinktiv aufeinander und ich sah nochmals zur Seite zum Adelspross, der meinen Blick nun erwiderte; - doch anstatt Häme und Schelm konnte ich auch in seinem Gesichtszug nur den entschuldigenden Hauch der Hilflosigkeit erkennen. Alles wofür ich mich einsetzte und wofür ich als Person also stand hatte ohnehin keinen Wert, denn ich hatte keinen politischen Mehrwert. Ja, er hatte Recht: ich hätte ihm in dieser Beziehung nicht weiterhelfen können doch hatte ich nicht wieder und wieder meinen Wert und meine Tauglichkeit in die Fußstapfen eines Ritters zu treten bewiesen? Ich löste meine Augen vom Sir und sah mich ein letztes Mal im Saal um. Wie gewohnt erschien alles in edlen Farben. So lange Zeit hatte ich nun auf dieser Burg verbracht. Ich hatte immer und immer wieder um die Aufmerksamkeit des Schwertadels gekämpft, war bis an mein Äußerstes gegangen und das für jemanden, der ohnehin nicht dazu bereit war, es zu würdigen. Mein ganzer Frust staute sich an; ich wurde so zornig, dass ich es nicht länger aushielt, eine Gesichtsentgleisung zurückzuhalten - doch der Ritter lächelte mir nur schief und präzisiert entgegen und winkte mich mit seiner Waffenhand zur Seite."

'Du darfst Dich wieder Deiner Pflichten widmen, Page.'


"Betonte er hierbei süffisant das Wörtchen 'Page'. Ohne nocheinmal zurückzusehen machte ich auf dem Absatz kehrt und preschte aus dem Burgsaal. Die Emotionen überkamen mich. Ich schaffte es auf dem Weg vor die Burg niemandem mehr in's Gesicht zu blicken und die Soldaten und Bediensteten die ich durchquerte verzogen ohnehin schon ungläubig die Züge. Ich peitschte mich selbst durch die rießigen Festungstore und kam einige hundert Meter und in guter Distanz zur Burg zum stehen, wo ich innerlich in mir zusammenbrach. Ich konnte - ich wollte nicht mehr dorthin zurück. Wie würde es weitergehen sollen? Ich gönnte Adalric seine neue Berufung, doch unter diesen Umständen? Unter dieser Erklärung? ...Reagierte ich vielleicht über? Möglicherweiße hätte ich mich ja einfach nur gedulden müssen, hätte dann vielleicht ein oder zwei Jahre später nochmal die Gelegenheit bekommen. Aber was wäre passiert, wäre in dieser Zeit noch irgendein 'befreundeter Adelsspross' auf die Burg gekommen? Es war aussichtslos. Es sollte nicht sein. Und zu allem Überfluss hatte ich niemanden: keine Freunde außerhalb der Burg, keine Perspektiven und konnte auch nicht mehr auf die Burg zurück - ich hätte es nicht ausgehalten. Nein, in der Tat. Ich konnte nur nach Hause und dort auf eine Art Einsicht meines alten Herren hoffen. Doch als ich gerade das Garteninnere unseres Hauses überqueren wollte, schoss mein Vater auch schon aus der Tür und passte mich mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck ab. Er musste wohl eine Ahnung gehabt haben, nachdem ich so unverhofft dort auftauchte - war es doch äußerst unüblich dass ein Page die Burg verließ."

'Vater. Ich habe die Burg verlassen. Sir Eisfels hat Ada...'


"Brachte ich noch innerlich aufgewühlt und zerschlissen über die Lippen. Doch es verging kein Herzschlag, da fuhr mein Vater förmlich außer sich vor Zorn."

'Du Versager! Wie stümperhaft wirst Du Dich angestellt haben, dass er diesen Nichtsnutz als Knappen gewählt hat?! Ich wusste, dass Du einfach zu nichts wert bist! Weißt Du überhaupt, wie unangenehm mir das nun auf der Festung wird?! Du bist kein Sirgen, Du bist ein Niemand! Verschwinde!!'


"Machte er mich an Ort und Stelle nieder, während er mit seiner Rechten nach einem an der Hauswand aufgestapelten Holzscheitel packte und damit nach mir warf. Ich konnte diesem Wurf gerade noch ausweichen und sah meine Mutter, weinend vor Bedauern mit vor das Gesicht geschlagene Hände halb im Türrahmen kauern. Mein Vater hingegen war so von Zorn und Verachtung, von erneut bestätigter Enttäuschung beseelt das er nach einem weiteren Holzscheitel griff - doch ich sprang vor den Gartenzaun und lief ohne Ziel los."

...Er setzte die Feder wieder ab und schnaufte langsam und angespannt aus, während sein mattes Smaragdgrün noch auf dem letzten Buchstaben verharrte. Sein Traum schien mit einem großen, abrupten Knall geplatzt zu sein...


Zuletzt bearbeitet von Orban Sirgen am 12 Mai 2020 18:27, insgesamt 6-mal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 12 Mai 2020 18:26    Titel:
Antworten mit Zitat

Kapitel 3: ...

Die Reise geht weiter.
Bald...


Zuletzt bearbeitet von Orban Sirgen am 12 Mai 2020 18:27, insgesamt einmal bearbeitet
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