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Auf Kaperfahrt unter der Totenkopfflagge
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 15 März 2010 15:13    Titel: Auf Kaperfahrt unter der Totenkopfflagge
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Auf Kaperfahrt unter der Totenkopfflagge

|| Die Abenteuer des Piraten Jaron Sylva und seiner Kameraden unter Kapitän R. V. Perera ||

| Landepisoden in eigenem Abschnitt nachzulesen unter: Die Eigenheiten von Landgängen |



Episode 1 - Frühlingsgefühle


14. Lenzing 254
Auf La Cebza und in den cabezianischen Gewässern



Die schaurige Begegnung in der grünen Grotte lag mir noch in den Knochen, als ich zusammen mit einigen Kameraden an Bord eines befreundeten Karavellen-Kapitäns in der Bucht der Nebelinsel einlief. Noch in der letzten Nacht war die Order des Käptns an sämtliche unserer Männer, so auch mich, ausgegeben worden, sich an diesem frühen Morgen auf La Cabeza einzufinden; also hatte ich bereits vor Sonnenaufgang das gemeinsame Lager und meine geliebte Gefährtin verlassen und meine Ausrüstung zusammengeklaubt und sorgfältig gepflegt.
Der Marlspieker, der für die Arbeit an Segeln und Takelage unabdingbar war, hatte gehörig Rost im Laufe des Winters angesetzt – der musste abgeschliffen werden. Ferner die verschiedenen Messer nachgeschärft, poliert und frisch eingeölt werden – überhaupt kam dem polieren und Einölen ein besonderer Stellenwert zu: Die salzhaltige Meerluft, das immerfeuchte Milieu griffen Metall stets perfide an, wenn die Oberfläche nicht ordentlich gepflegt wurde. Um dem vorzubeugen, nahm ich mich ihrer mit ausgesuchter Sorgfalt an.



Ebenso erging es den Werkzeugen zum Segelflicken: Hohlfid, Fid, Bankhaken, Pricker, Locheisen, Segeltuchschere und Segelzange. All dieses Sammelsurium teils schon recht alten Werkzeugs hatte ich in meiner Zeit bei der Handelsmarine erworben oder von älteren Matrosen geschenkt bekommen, die mich in meine Tätigkeit als Toppsgast eingewiesen hatten. Dieses Arbeitsmilieu des Matrosen war den erfahreneren Seeleuten vorbehalten, die in den luftigen Höhen der Takelage ihrem Tageswerk nachgingen: Segel setzen und reffen, Takelagen justieren, Schäden in beiden beheben, den Ausguck im Krähennest übernehmen und so weiter. Da ich all das aus erster Hand erlernt hatte, nahm ich derartige Aufgaben auch an Bord der Toro wahr, das Bedienen von Kanonen hatte man mir zwar auch auf der Toro gelehrt, doch hatte ich im Laufe er Jahre feststellen dürfen, dafür kein Händchen zu haben. Gute Kanoniere waren da schon eher Kameraden wie der Grünschnabel Conde (Aye.. der hatte trotz seiner 18 Lenze ein gutes Zielwasser, man mochte es kaum glauben!), ich ließ die Finger davon, soweit es möglich war.
Wie sagte man doch dort im Nord-Westen, wo ich einmal diese alte Kräuterkundige traf (davon werde ich noch berichten.. später einmal..): „Is minic a bhí fear maith í seanbhríste.“
Doch so einfach war es in der Seefahrt dann doch nicht – ein guter Mann musste dort sehr wohl in guter Kleidung stecken, nicht in zerrissener. Wer einmal die schneidenden Winde an Bord, gerade in den Takelagen erlebt hat, wird das nachvollziehen können: Da bedurfte es fester, windundurchlässiger Kleidung, die idealerweise auch noch mittels Fett oder ähnlichem wasserabweisend gemacht wurde, damit man die langen Bordwachen gesund und trockenen Fußes überstand. Um zu vermeiden, dass die Kleidung ihre windfeste und wasserabweisende Fähigkeit verlor, war es regelmäßig von Nöten, sie zu reinigen, zu pflegen, neu zu beschichten.
Eine langwierige Arbeit, nach deren Vollendung ich mich noch einer Sache widmen musste, die für den Marodeur von Welt besonders ausschlaggebend war: Das Pflegen meiner Waffen; Entermesser, Pistole, Muskete und Wurfmesser.
Als schließlich alles für die Abreise bereit war – ich hatte mir noch geräucherten Stockfisch, Brot, gehörige Mengen Rum, eine Sonderration Kraut und etwas von Jackys Gewürzwein eingepackt – drückte ich meiner schlafenden Gefährtin einen Abschiedskuss auf und verlies unser Heim.

Das war nun schon viele, allzu lange Stunden her und die Sonne war schon längst auf bestem Wege, ihren Zenit zu erreichen, dieweil wir an Land gingen. Dort, weit vor der Bucht, noch im Schutz des die Insel wie einen Schutzkordon umgebenden Riffs lag die ‚Toro de Muerte‘, Flaggschiff unseres Packs, das Schmuckstück der Weltmeere – und zugleich der Fluch aller reichstreuen Skipper und Schiffseigner!
Mit gleichmäßigen Ruderschlägen trieben wir unsere Beiboote voran, Richtung des beeindruckenden Schiffs.
Unser Käptn Raul Vincente Perera, Sohn des alten Perera, der die cabezianische Nation groß gemacht hatte, erwartete uns bereits an Bord des monströsen Vierdeckers. Manch einer mochte glauben, dass solch ein großes Linienschiff, das gleich drei Kanonendecks aufwies, ausgemacht schwerfällig und träge im Manöver wäre – doch nichts davon traf auf die Toro zu! Ihr Rumpf war nach neuesten Erkenntnissen der Schiffsbautechnik aus massiven Eichenplanken gezimmert, die fugen- und überlappungslos ineinander übergingen und so eine spiegelglatte Rumpfoberfläche darboten. Wurde dieser Rumpf regelmäßig kielgeholt, glitt er durch die See, als würde er auf Eis dahineilen, eine wahre Freude für einen Seemann – und ein Schrecken für jeden reichstreuen Kaufmann; woran die weitreichenden Kanonen, eine Erfindung Dolgans, die sonst kein Schiff auf den Meeren (nicht einmal jene der Kriegsmarinen) kannte, sicherlich großen Beitrag leisteten.



Nachdem die Mannschaft versammelt war, nahm der Käptn einige von der Truppe – darunter die Offiziere, wie den ersten Maat Gracia und langgediente Matrosen wie meine Wenigkeit – mit in die Offiziersmesse, wo auf einem großen Tisch eine Karte La Cabezas und der umliegenden Gewässer bis an die Gestade Gerimors ausgebreitet war. Neben den Untiefen, schiffbaren Routen, Hauptwindrichtungen und Seetiefen in Fadenangabe befanden sich als temporäres Detail bewegliche Schiffsmodelle aus Holz auf der Karte: Mehrere aus heller Linde und ein paar aus dunkler Eiche – die hellen Modelle gaben die Reichsmarine wieder, die dunklen unsere Verbände oder jene befreundeter, unabhängiger Freibeuter. Perera schob eins der hellen Schiffe nahe an La Cabeza heran, blockierte ihnen den Weg dann aber sogleich mit dunklen: Die Reichsmarine hätte Schiffe auf Kurs nach Cabeza geschickt, diese seien jedoch von Freibeutern abgefangen und vernichtet worden. Ein Expeditionsverband, der die südlichen Gewässer hätte erkunden sollen. Dank der Freibeuter, die zwar mit uns befreundet waren, von uns aber in unseren Gewässern nicht geduldet wurden, war das Problem galant behoben worden.
Perera teilte uns mit, dass er so bald wie möglich mit der Toro auslaufen wolle und zeigte sich auf sonderbare Weise unruhig und fahrig. Mir fiel das im Speziellen auf, weil ich zugeben musste, vor diesem Mann Angst zu haben, echte, wirkliche Furcht. Dieser Mann, der mein Käptn war, gebot über meine Seele, die ich für zehn Jahre an Schiff und Soldbuch gebunden hatte – durch nicht mehr, als meine Unterschrift in Blut. Ein Akt, den viele Landratten und gewiss auch so mancher Seemann belächeln würden, doch ich trug nicht umsonst ein Sammelsurium an Amuletten bei mir: Für mich hatte dieser Pakt mehr als nur eine symbolische Bedeutung, ich_wusste_irgendwie, dass mehr dahinter war, als purer Seemannsgarn. Und meine Seele wollte ich wirklich nicht verlieren, also gehorchte ich dem Käptn stets und achtete auf jede Nuance in seiner Mimik und Gestik. Heute also schien er unruhig zu sein, man konnte regelrecht spüren, dass er es eilig hatte, das Schiff seetauglich zu machen.
Als dann auch noch ein fernes Grollen eins der Seebeben verkündete, die schon seit einiger Zeit immer wieder rundum La Cabeza den Meeresboden erzittern ließen und diese laut meinem Maat häufiger geworden waren, kam ich nicht umhin, mein Notizbuch aus er Tasche zu ziehen. Bevor wir ausgelaufen waren, hatte ich nämlich noch die grüne Grotte besucht, jene unterseeische Höhle, in der Shcmuggelgut für die Rahaler Bruderschaftszelle, die ich leitete, gelagert wurde. Eigentlich hatte ich nur den Lagerbestand prüfen wollen, doch die Sirenen-Schwestern, die dort hausten und die Grotte bewachten waren ungewohnt unruhig gewesen und hatten inständig aus der Dunkelheit Botschaften an mein Ohr gezischt, ohne sich zu zeigen. Als ob die reine Anwesenheit der Sirenen, die ich stets mit Fisch halbwegs in Schach zu halten wusste (jedenfalls hatten sie mich bisher nicht gefressen), nicht beunruhigend genug gewesen wäre, zermürbte dieses ständige einem Singsang ähnliche Gesäusel meine Nerven Schritt für Schritt. Schließlich hatte ich die Beine in die Hand genommen und war der Grotte geflohen, so schnell ich konnte. Jetzt, da ich hier in der Offiziersmesse stand und von den Seebeben und dem cabezianischen Vulkan hörte, ergaben die Worte der Sirenen einen Sinn: Sie hatten von Feuer gesprochen, das das Ende aller Tage herbeiführen würde und davon, dass wir fliehen sollten, immer wieder und wieder.. ‚FLIEHT!‘“. All das gab ich nun in geraffter Form an den Käptn und die Offiziere weiter. Tatsächlich verfinsterte sich die Miene Pereras, als er davon hörte und auch Gracia schien plötzlich der Sinn hinter den Ereignissen aufzugehen, oder besser, die Gefahr, denn sie sprach sich dafür aus, dass der Vulkan bald ausbrechen würde, ja musste! Und es wäre besser, wenn wir dann nicht mehr auf der Insel wären.
Also hatte Perera damit Recht behalten, dass wir die Toro so schnell wie nur möglich seetauglich machen mussten.

Rasch wurde, als wir wieder auf Deck waren, die Mannschaft in mehrere Arbeitsgruppen eingeteilt.
Gracia übernahm als erster Maat die Kontrolle der Matrosengruppen, die unter Deck alles auf Vordermann brachten: Den Rumpf mit Werg neu abdichten, die Planken polieren, Arsenal und Brigg auf Vollständigkeit überprüfen, Aufmunitionieren, und so weiter. Einige andere Matrosen und meine Wenigkeit übernahmen die luftigen Höhen von Takelage und Segeln. Als erfahrener Toppsgast war das ein Leichtes für mich und endlich eine gute Gelegenheit, um die Neulinge, die während des Winters an keiner Kaperfahrt hatten teilnehmen können, in ihr Handwerk einzuweisen.



Wie üblich hatte ich mich meiner Stiefel entledigt und stieg barfuß hinauf in die Wanten, meine Werkzeugtasche auf den Rücken bugsiert, damit sie nicht bei Klettern behinderte. Es ging langsam voran, denn einige der Grünschnäbel waren noch nicht an die Höhe gewöhnt, in der ein Matrose manchmal arbeiten musste. ‚Dat Pirat’nleb’n s’halt nich nur Souferei un’Beute, Kin’ers!‘, pflegte ich in solchen Fällen immer zu sagen und trieb sie zur Eile an. Wir hatten schließlich eingedenk des bösen Omens keine Zeit zu verlieren. Nachdem der letzte meiner Schützlinge endlich oben in den Wanten hing, verteilten wir uns auf beiden Seiten des Mastes auf der Rah des Hauptsegels, das in Brambesegelung getakelt war. Das Balancieren auf dem Fußpferd, Tauen, die in regelmäßigen Abständen an der Rah befestigt und U-förmig herabhingen, war für manche meiner jungen Kameraden nicht leicht und ein paar Mal hätten wir Abstürze gehabt, wären alte Hasen wie ich nicht zur Stelle gewesen, sie zu halten. Die Grünschnäbel würden sich sputen müssen, denn wir lagen hier in einer gesicherten Bucht, die würden sich anschauen, wenn sie erst einmal bei Sturmböen, Regen und mörderischem Seegang in klitschnassen Tauen hingen und Segel reffen sollten! Heute war das Reffen oder Packen der Segel jedoch nicht Thema, es hieß, die Segel abzunehmen und an Deck zu flicken, sollte Bedarf dazu bestehen. Als erfahrener Toppsgast machte ich es den jungen Kameraden vor: Mit Hilfe des Marlspiekers löste ich nach und nach das Segeltuch von der Rah, während ein Kamerad das Geitau raffte, um das gepackte Segel zu führen. Nachdem die Grünschnäbel gesehen hatten, wie es ging, kamen wir deutlich schneller voran, bis schließlich alle Segel von den Masten geholt und an Deck ein wildes Treiben herrschte: Überall lagen die Segelhaufen herum und mitten in, auf oder sogar unter dem Segeltuch hockten die Matrosen und flickten fleißig Schwachstellen und Löcher oder Risse, die mit der Zeit nun mal auftreten konnten. Zufrieden eilte ich von einem zum anderen, um die Arbeit zu überprüfen und hier und da Ratschläge oder Tadel zu verteilen, erst, als ich mich versichert hatte, dass alles gut lief, gesellte ich mich zu meinem ersten Maat Gracia unter Deck. Sie hatte den Rumpf zwischenzeitlich schon komplett neu abdichten lassen und wachte gerade über die Gefechtsklarmachung der Stückpforten. Wie ich wieder einmal feststellte, arbeiteten die Matrosen unter ihrem Kommando schnell und effizient, eine gut aussehende Frau als Offizier war halt doch ein besonderer Ansporn, gute Arbeit zu leisten – ein Schmunzeln stahl sich auf meine Lippen. Dabei konnte Gracia auch ganz anders, wenn man Mist baute oder die Rangordnung an Bord missachtete.
Entgegen des Bilds, das viele Menschen von den Piraten Pereras hatten, gab es an Bord nämlich eine klare Hierarchie, die mit eiserner Disziplin eingehalten und auch eingefordert wurde. Perera war die Spitze dieses Systems, kühl, gnadenlos und hart. Einen Käptn, wie man ihn auf einem Marodeur eben brauchte, den die Mannschaft zugleich fürchtete und respektierte, zugleich hasste und akzeptierte. Unter ihm fuhren die Offiziere: Maate, Bootsleute, Steuermänner, zu ihnen zählten Gracia, erster Maat, und Charlotte, zweiter Maat und Navigator. Unter ihrem direkten Kommando standen die Matrosen, nach Besoldungsstufen eingeteilt. Zuerst die erfahrenen, altgedienten (Voll)Matrosen, die mitunter auch spezialisierte Dienste an Bord verrichteten: Vallas der Smutje, Stede der Rumbrenner, Marcela der Oberkanonier, meine Wenigkeit, der Toppsgast. Ferner war da noch die Masse der Mannschaft, Matrosen (oftmals auch Grünschnäbel darunter) für jeden anstehenden Dienst, vom Kanonier bis zum Spiergast: Darunter befanden sich zum Beispiel der streitbare Sebastiano (er war für jede Schlägerei zu haben), mein Mitarbeiter in Rahal Enzo, Joaquin, Fidel, Vincent und Johann, wie auch all die anderen, die ich nicht mit Namen kannte. Allzu viele davon starben ohnehin wie die Fliegen, durch Skorbut, Verwundung oder Krankheiten, so dass es besser war, sich nur mit ausgesuchten Kameraden anzufreunden.
All diese Männer und Frauen sollten für die nächsten Tage damit beschäftigt sein, die Weisung Pereras in die Tat umzusetzen.
Heute waren der Rumpf, die Takelage und die Stückpforten auf Vordermann gebracht worden, in den nächsten Tagen würde der Rest des Schiffs folgen, ehe es daran ging, Vorräte zu fassen – Trinkwasser, Rum, Nahrungsmittel, Munition, Holzplanken, Segeltuch, Taue… was man nun einmal auf einer längeren Fahrt brauchte. Die schwierigste Aufgabe würden einige der Grünschnäbel bekommen, die dem Ruf des Käptns nicht gefolgt waren: Sie würden die „Ehre“ haben, den Zwergen und genialen Erfinder der Pulverwaffen Dolgan an Bord des Schiffes zu bekommen.
Wegen des drohenden Vulkanausbruchs würden wir nämlich die ganze Bevölkerung La Cabezas auf unseren Schiffen mitnehmen müssen und es war selbsterklärend, dass so eine wertvolle Fracht, wie der Zwerg Dolgan auf der Toro untergebracht werden würde. Freilich müssten wir umso mehr Rum an Bord nehmen, um den armen Bartträger damit halbwegs ruhig zu halten – dieses kleinwüchsige Volk hatte es ja nicht gerade mit Schiffen und Dolgan hatte sich geschworen, nie mehr auf ein Schiff zu steigen, nachdem er es einmal im Suff getan hatte (und auf Cabeza strandete). Aber was muss, das muss.
Neben Dolgan würden es besonders Minfay und ihre Mädchen sein, die „ausgesuchte“ Plätze an Bord erhalten sollten, ich glaube, ich brauche dem Leser nicht weiter ausführen, weshalb…
Für mich war es freilich nicht mehr von Belang, ich hatte meine críde, und auch ein Pirat konnte so etwas wie Treue hoch achten, selbst wenn kein Richter im alumener Reich das je glauben würde und ich hiermit die romantischen Träume mancher jungen Bürgersmaid zerplatzen lasse.

Als der Abend hereinbrach setzten wir bis auf eine Nachtwache, die an Bord zurückblieb, wieder auf La Cabeza über, um unseren müden Gliedern endlich Ruhe zu gönnen. So wie ich den Käpt’n kannte, würde er schon bei Sonnenaufgang wieder dafür sorgen, dass gearbeitet wurde, da hieß es, jede Minute Schlaf auszukosten. Was mich betraf, so wollte ich versuchen, zwischendurch nach Geirmor zu kommen, um Jacky auf meine bevorstehende Abwesenheit vorzubereiten.

Am nächsten Morgen hatte ich zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder Muskelkater, eindeutig: Schon bald ging es wieder auf See. Endlich!

_________________
Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

"Krieg, Handel und Piraterie,/Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
Mephistopheles, Faust II


Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 07 Jun 2010 16:27, insgesamt 5-mal bearbeitet
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 16 Mai 2010 20:12    Titel: Episode 2 – Wenn Vulkane husten
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Episode 2 – Wenn Vulkane husten Teil I: Die Abfahrt


13. Eluviar 253
Auf La Cabeza und in den cabezianischen Gewässern



Die Beben hatten sich in den letzten Tagen impertinent vermehrt und verstärkt, der bis dato eher leichten cabezianischen Architektur auf der einen Seite, der massiven aber wenigen Befestigungen auf der anderen Seite das Fürchten gelehrt.
Die schon lange zuvor getroffenen Vorbereitungen (unter anderem: KF Episode 1) trugen nun endlich Früchte, da es daran ging, die letzten verbliebenen Einheimischen von der Insel zu evakuieren. Das waren im Hauptsächlichen Angehörige des Rats der Bruderschaft, als auch die zähesten der Händler und – nicht zuletzt die Mannschaft der Toro de Muerte. Wir.
Mit den meisten Flüchtlingen ging es reibungslos von statten, selbst der wasserscheuste Mensch entwickelte eine ausgeprägte Vorliebe für Schiffe, wenn es darum ging, einer noch tödlicheren Gefahr zu entgehen, die der dem Ausbrechen nahe Vulkan par excellence bot. Nur einem Einwohner La Cabezas wollte die Logik hinter der Erkenntnis, dass Ascheregen und Magmaströme nur den Tod bringen konnte, nicht wahrhaben: Dolgan der Zwerg und Erfinder der Kanonen, die unsere Nation so groß gemacht hatten. Jeder, der sich einmal mit Zwergen hinlänglich beschäftigt oder ihre Bekanntschaft gemacht hat, weiß, dass sie zu den stursten und dickköpfigsten Wesen gehören, die die Götter je auf diese Welt gespuckt haben. Die Furcht vor dem Meer und allem, was darauf herumschwimmt, kann jedoch als noch weit größer als ihre Sturheit angesehen werden. Richtig, Furcht. So viel dazu, dass Zwerge keine Fucht kennen würden! Zudem sollte man bedenken, dass ein ängstlicher Zwerg ein fürchterlicher Zwerg ist – das dürften wir an diesem Vormittag schmerzhaft an vorderster Front miterleben.
Nachdem sämtliche Einwohner menschlicher Gestalt in den Schiffen der Flotte untergebracht waren und nur noch Dolgan fehlte, entschieden wir uns für eine Finte. Überreden konnte man einen Zwerg nicht, da hätte man genauso gut versuchen können, einem Stein das Schwimmen beizubringen. Also sollte es das Bier sein, das uns zum Sieg verhelfen sollte.
Der Käptn Perera, Gracia, Vallas, Stede und meine Wenigkeit umzingelten den misstrauischen und wachsamen Dolgan, allesamt gewappnet mit Tauen, die wir beflissentlich hinter unseren Rücken verbargen. Da ich noch ein Flasche Bier hatte finden können, fiel mir die zweifelhafte Ehre zu, Dolgan in Sicherheit zu wiegen und den Startschuss für die Überwältigung zu geben. Lasst mich nun von einem Ritual erzählen, dass wir Seeleute liebevoll „shanghaien“ nennen. Normalerweise wird diese Rekrutierungspraxis, die so alt ist wie die Seefahrt selbst, an jungen Spunden angewandt, an diesem Tag sollte es zur Abwechslung ein Zwerg sein.



Schritt eins für den gekonnten Shanghai: Das Opfer zulaufen lassen, dass die Leber halb krepiert. Dazu hatten wir jetzt natürlich nicht die Zeit (die Beben wurden stärker, je mehr Glasen vorüber klangen), zumal es bei einem Zwergen ohnehin nahezu unmöglich war, somit diente das Bier, welches ich Dolgan reichte nur zur Ablenkung. Kaum trank Dolgan, seines Misstrauens kurzeitig durch das kühle Elexier des Lebens beraubt, ging es ans Eingemachte.
Schritt zwei für den gekonnten Shanghai: Das Opfer ausknocken.
Während Dolgan noch die Bierflasche leerte, warf ich mich mit meinem gesamten Körpergewicht in seine kurzen Beine, um ihn zu Fall zu bringen. Krachend gingen wir zu Boden, ich schlang meine Arme und Beine so fest um seine kurzen Treter, wie ich konnte. Da waren schon meine Kameraden brüllend und johlend ins Handgemenge eingestiegen, hatten sich auf uns geworfen. Ein großes Ringen begann. Fäuste flogen, Tritte krachten da in Rippen, dort in Mägen, so manch ein Kiefer klapperte unter einem wilden, ungezielten Hieb – es war ein wildes Durcheinander, aus dem manches Mal ein Pirat heraus flogt, nur um sich wieder aufzurappeln und erneut hinein zu stürzen.
Irgendwann hatten wir den ruppigen, sturen Bock endlich bezwungen – mir war es gelungen, mein Tau um seine Beine zu winden, während der Käptn einen Arm auf den Rücken drehen konnte, das war der Moment, da der Kampf für Dolgan verloren war. Wenig später und um ein blaues Auge und ein paar Blutergüsse reicher stand ich Schulter an Schulter mit meinen Kameraden um das Paket aus vielen Tauen, einen zeternden und fluchenden Zwergen (die Flüche nachzuerzählen ist nahezu unmöglich, dem geneigten Leser möge seine Phantasie das Schlimmste vorgaukeln, was er sich nur vorstellen könnte: Damit wäre eine Nuance dessen erreicht, zu was ein gestandener Zwerg fluchen fähig ist!) und allzu vielen Zentner pure Muskeln, Fett, Bierbauch und Knochen. Nach zwei erfolglosen Versuchen, unseren Kanonenzwerg zur Barkasse zu heben, war es Vallas, der den zündenden Einfall hatte. Wir steckten ihn in ein Fass, das, umgekippt, es uns leicht machte, den Burschen bis zum Steg zu rollen und dort mit Hilfe des Lastkrans auf die Barkasse und damit zur Toro zu transportieren. An Deck wurde Dolgan zuerst an den Pranger gekettet, um ihn mit viel, sehr viel Rum (Flaschenweise..) ruhig zu stellen; später sollte er noch unter Deck gebracht werden. Der würde keinen Ärger mehr machen, solange er nur genug Rum im Blut hatte. Damit war Schritt drei des Shanghaiens erledigt: Der Transport an Bord des Schiffs.
Darüber war schon später Nachmittag geworden und es wurde Zeit, abzulegen.
Die Matrosen und Schiffsjungen nahmen allesamt ihre Plätze ein, die Maate Gracia und Charly teilten die Wachen ein, ich und Stede nahmen die Toppsmannschaften in die Takelagen hinauf mit, um die Segel bereit zu machen.
Der schrille Pfiff der Bootsmannspfeife markierte letztlich den Zeitpunkt zum Auslaufen – unter knatternden schwarzen Segeln, die sich vom Wind wölbten, ging es Gischt und Meerwasser zerteilend hinaus auf See, fort von La Cabeza – fort von dem nahenden Unheil.
Schwarz und unheilvoll trieb eine Aschewolke vom Vulkan über die Insel ins Meer hinaus, bis weit in das Firmament hinauf und tauchte die rote Abendsonne, die über den Ruinen des alten La Cabeza zu schweben schien in ein unwirkliches Schimmern. Noch befand sich die Toro, die als letztes Schiff des Konvois die Nebelinsel verlassen hatte nicht auf offenem Meer und so nahm ich den Geruch des Landes eindeutig wahr. In diesem Moment fürchtete ich, dass ich die Nebelinseln wie ich sie kannte nie mehr wiedersehen würde – die weiten Urwälder, die unberührten Strände, all die Ruhe dort, neben dem wilden Trieben im Hafen, vor dem selbst das Rahaler Hafenviertel blass aussah.
Das Knarren der Takelage holte mich wieder zurück in das Hier und Jetzt. Die jungen Halbmatrosen, die mir wie üblich bei den Arbeiten in den Masten zugeteilt waren, machten ihre Arbeit heute gut. Schnell und effizient. Sie hatten in den letzten Wochen oft genug üben können. Neben mir lag ein Bündel, bestehend aus einer dünnen Segeltuchdecke, meiner Lederjacke und Proviantbeutel, alles an den Mast angelehnt, der mittig durch den Boden des Krähennest hindurch ging und noch gut einen Klafter darüber hinaus ragte. Ich schlug die Hände über den Augen zusammen, um sie gegen das mild-rote Licht der Abendsonne abzuschirmen und blickte zur Flagge hinauf. Die schwarz-weiße Flage der großen cabezianischen Nation spielte ihr knatterndes, peitschendes und singendes Konzert des Windes und gemahnte mich wie so oft in diesen luftigen Höhen, wachsam zu sein. Den Ausguck im Krähennest hatte ich mir schon bei meiner Zeit in der Handelsmarine auerkoren und lieben gelernt: Dort hatte man seine Ruhe, war nahe den Takelagen und hatte alles im Blick. So war es nicht verwunderlich, dass ich vor vielen Jahren, als ich zu Pereras Pack überlief, wieder als Toppsgast die Segelgasten in die Takelagen führte und anleitete. Einmal ein Toppsgast, immer ein Toppsgast. Ein leises Lächeln lag auf meinen Lippen, als mir der Fahrtwind ins Gesicht schlug und der gewohnte Seegang in die Beine ging: Endlich wieder auf hoher See!
Was Jacky nun wohl tat…?
Bald wurde es stockduster und die dritte Wache begann mit dem Schlagen der Glasen.

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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

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 Beitrag Verfasst am: 17 Mai 2010 21:13    Titel: Episode 2 – Wenn Vulkane husten Teil II
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Episode 2 – Wenn Vulkane husten Teil II: Der Leviathan


16. Eluviar 253
Im Südmeer und vor der Küste West-Gerimors



Ein sanfter Stoß riss mich an diesem frühen Morgen aus dem kurzen, aber tiefen Schlaf, wie ihn jeder langjährige Seemann kannte und als ich hoch schaute, erkannte ich Vallas. Ein schiefes Lächeln blitzte ihm entgegen, als ich mich gähnend erhob und nach ausgiebigem Strecken und Zusammenlegen der Wolldecke meine gewohnte Position auf dem Krähennest wieder einnahm. Viele Matrosen mochten diese Arbeit so hoch oben in den Masten nicht, doch ich sah das anders.
Rund herum war die weite See in mildes Rot des aufkeimenen Morgens getaucht und die Kimm lag eines Sees von Blut gleich in der Ferne, Vallas hatte als der Smutje, der er war, eine ordentliche Ration Fisch und Rum mitgebracht, was mein Herz erfreute und zugleich vergrämte. Vallas hielt nichts vom Verdünnen des Rums, bei ihm war er auch an Bord stets hochprozentig – dabei hatte ich mir und Jacky doch geschworen, nicht zu trinken, bis unser Kind auf der Welt war. Aus der verzwickten Lage mochte mich auf das Äußern von Bedenken bezüglich des Ausgucks nicht retten, wachsende Unruhe keimte schon in mir auf, als ich mir dne Kopf zermarterte, wie ich dem Rum am unauffälligsten auskäme – und da war er. Ein Schatten, nur eine Silhouette im Augenwinkel, für wenige Momente da und schon wieder verschwunden. Ich fuhr mit dem Kopf herum und spähte auf das vorbeiziehende Wasser. Nichts.
Hier oben musste man sich auf seine Fähigkeiten verlassen können, die Fähigkeit, zu sehen und zu interpretieren wie ein Seemann. Für eine Landratte waren kaum auszumachende Farbflecken am Horizont Wolken, der erfahrene Seemann konnte sie jedoch als Segel identifizieren und manches Mal sogar die Besegelungsart direkt ausmachen! An diesem frühen Morgen sollten es nicht Segel sein. Schaumkronen in einer ovalen Anordnung, die Silhouette vor dem inneren Auge… eine Befürchtung brach sich gerade in dem Moment Bahn, da sie auch schon Realität wurde:
Eine gigantische Seeschlange mit tief moosig grünen Schuppen, die leicht die Größe einer Barkasse haben mochten, tauchte backbords in einem in der Morgenröte rot flimmernden Sprühregen aus Meerwasser auf, schlängelte sich am Schiff entlang und tauchte, einen ohrenbetäubenden Ruf von sich gebend wieder ab. Einige Lidschläge war es still an Bord. Dann kam Bewegung in Vallas und mich, die wir an Bord des schlafenden Schiffs als die wenigen, die Hundswache hielten, nun hellwach waren. Mein Kamerad tauchte, mit einem wilden Ruf in die Wanten ab, um die Stückmannschaften aus den Hängematten zu reißen, ich gab mit meiner Bootsmannspfeife ein schrilles Signal in Richtung Quarterdeck ab, ehe ich Vallas in die Wanten folgte. Auf dem Weg hinab, die Muskete geschultert, schrie ich zur Ergänzung der Pfeifensignale (an Bord schien ich bisweilen der einzige Seemann zu sein, der sich diese Angewohnheit aus der Marine bewahrt hatte) lauthals Warnungen zum Quarterdeck hinüber.
„Leee-eeviathan aaa-aachtern quee-eee-eraa-aab!“
In Windeseile kam Leben in das Schiff und seine Mannschaft. Der zweite Maat Charly übernahm das Kommando über die Batterien auf dem Oberdeck, der erste Maat Gracia das Zwischendeck und Vallas die armen Hunde, die von der Negro noch übrig waren auf dem immerfeuchten und modrigen Unterdeck.



Ich selbst, der ich gewohnt war, die Aufgaben eines Bootsmanns auszuführen – Arbeit in den Takelagen, Auspeitschen von Missetätern, Entern – schwang mich dieses Mal zu den Kanonieren dazu. Bis sämtliche Stückmannschaften wach und einsatzbereit waren, würde zu wenig Zeit bleiben, wieso also verzagen? Da ich nur die rudimentäre Grundausbildung mit den Kanonen durchlaufen hatte und mich ohnehin auf das Zielen besser verstand, übernahm ich die Aufgabe, die Kanone an den Brooktauen von der Bordwand nach hinten zu ziehen, damit die Geschützmannschaft (anfangs nur aus Vallas und mir bestehend, bis er abgelöst ins Unterdeck wechseln konnte) laden konnte. Vallas hätte in der Aufregung beinahe die Triebladung vergessen, so warf ich ihm rasch das in einem dünnen Leinensack abgefasste tonnenförmige Paket herüber. Er stopfte es mit dem Ladestock tief ins Rohr hinein, es folgte die von Stede wieder eingefangene Kugel, die Vallas mit dem Ansetzer festrammte. Währenddessen hatte ich das Piston, das stark an jene unserer Drachenrohre erinnerte, abschussbereit gemacht: Zuerst das in Riedgras eingewickelte Pulver, das als Zünder fungieren solle, hinein geschoben, dann mit einem dünnen spitzen Dorn, den ich stets neben meinem Marlspieker trug, durchgestoßen, um das Leinentuch der Treibladung zu durchlöchern. Dann war nur noch der Hahn zu spannen und das Geschütz mit den Brooktauen und Handspaken in Position zu bringen. Handspaken waren keulenartige Holzhebel, die dazu benutzt wurden, das Geschütz in der horizontalen zu justieren. Nachdem die Vorbereitungen erledigt waren, blieb nur noch eines zu tun: Ich ging neben dem Geschütz in die Hocke, um über das Rohr hinweg grob peilen zu können, die Hand an der Abzugsleine. Bei der Aufwärtsbewegung des Schiffs feuern, hatte man mir damals vor so vielen Jahren, da ich angeheuert hatte, klar gemacht, müsse man den Schuss abgeben. Das Schiff hob und senkte sich in der See, von dem Untier war nichts zu sehen. Wir warteten. Angespannt und bereit zum Schuss. „Fertig!“ hallte es immer wieder aus den unteren Geschützdecks an mein Ohr… die Breitseiten waren bereit.
Da brach das Ungeheuer ohne Vorwarnung wenige Lot von der Toro durch die Wasseroberfläche, die schlängelnden Bewegungen direkt auf uns zu!
„FEUER!“ erscholl da der Ruf des Käptns, der von den Maaten aufgegriffen und von den Kanonieren weitergetragen wurde. Ich zog bei die Abzugsleine, als sich das Schiff im Wellengang empor hob. Vor mir, unter mir und zu beiden Seiten knatterte ein wildes, ohrenbetäubendes Stakkato, als sämtliche Kanonen der Backbordseite Feuer gaben – nicht alle auf einmal, denn das hätte der Schiffsrumpf niemals verkraftet, sondern Deck für Deck. WUMM! WUMM! WUMM!
Drei gewaltige, nahezu synchrone Donnerschläge später wogten drei weiße Rauchwolken achtern davon und zerfaserten in der Luft. Wir warteten gar nicht erst, bis der Pulverdampf verflogen war und uns zeigte, ob wir getroffen hatten, sondern luden auf Befehl der Maate erneut. Die Kanonade dauerte nicht lange, denn der Leviathan tauchte unter dem Kiel der Toro hinweg zur anderen Seite des Schiffs. „BEMANNT STEUERBORD!“ donnerte der knappe Befehl des Käptns und so eilten sämtliche Geschützmannschaften auf die andere Bordseite, um die dortigen Geschütze klar zu machen.
Dann begann erneut das Warten. Zuerst ein dunkler, wabernder Schatten, dann zeichnete sich die Silhouette des Untiers ab, ehe es schnaubend und brüllend aus dem Meer aufstieg, im direkten Angriffskurs. Es hatte vor seinem Abtauchen und Seitenwechsel eine immense Wolke von Eis und Wasser über das Oberdeck ergossen, was einige Kameraden das Leben oder zumindest die Gesundheit gekostet hatte. Doch wir blieben eisern. Die Toro de Muerte war nicht nur irgendein Schiff und die Mannschaft, das PACK des Perera nicht irgendeine Mannschaft. Wir waren die Männer und Frauen des Flaggschiffs der cabezianischen Nation – das wendigste, größte und bestbewaffnete Schiff der Weltmeere bot uns Heimat. Andere Schiffe mochten unter den Angriffen der Seeschlangen vernichtet werden, doch die Toro hatte scharfe Zähne. Und die schlug sie nun in den Leib des Leviathans.
Die ersten Treffer waren noch mit den Vollkugeln aus Stahl gelandet worden, dann wechselten die Geschützmannschaften auf Kartätschen, um das verwundete Tier aus nächster Nähe mit einem Hagel des Todes zu überziehen. Die Kartätschen-Kartuschen waren im Grunde nur Stoffsäcke oder Holzeimer, in die altes Metallkleingerät (wie Nägel) und Musketenkugeln gekippt wurden, manchmal auch Glasscherben und sich nach dem Abfeuern zu einer breiten Wolke von Geschossen ausfächerte. Ideal gegen Weichziele – wie feindliche Matrosen oder… die Seeschlange. Als das Untier schon nicht mehr abtauchen konnte und kaum mehr mit dem Schiff auf einer Höhe bleiben konnte, die Angriffe ausblieben, die den Rumpf hatten krachen lassen, griffen wir zu unseren Handfeuerwaffen und Harpunen, um dem Vieh den Rest zu geben. Tot und regungslos schwamm es auf der Wasseroberfläche, während wir vor dem Wind kreuzten und es mit Tauen, Enterhaken und einer der Barkassen an Bord holten. Frisches Fleisch war nicht zu verachten, zumal die Schuppen der Seeschlange manchem Schiffsarzt als sagenhaftes Heilmittel gegen.. ach, wozu auch immer die Quacksalber es brauchten!



Viel Zeit zum Jubel und Erholung blieb der Mannschaft nicht, denn schon am Nachmittag zeichneten sich finstere Wolken an der Kimm ab, die schnell nahten und das Schiff umgaben, sich zu hohen Himmelsbergen aufwarfen. Unheil stand in den dunklen Gebilden geschrieben: Es roch nach Sturm!
Routiniert wurden die entsprechenden Befehle gegeben. Die Ladung tief unten im Rumpf, als auch die Geschützbatterien und alles bewegliche Gut an Bord wurden fixiert, damit es das Schiff nicht zum Kentern bringen konnte. Sämtliche Lichter bis auf jenes, das den Kompass am Quarterdeck erleuchtete wurden gelöscht, um die Feuergefahr zu minimieren, die Stückpforten, besonders jene des Unterdecks zusätzlich mit geteertem Werk abgedichtet. Ich jagte wieder die Toppmannschaften die Wanten hinauf, damit die Segel eingeholt würden. Die Erfahrung hatte gelehrt, nahezu sämtliches Segelwerk einzupacken und nur die Segel am Bugspriet zu belassen, um die Manövrierbarkeit des Schiffs sicherzustellen, ohne dass man Gefahr lief, Segel und Masten im Sturm zu verlieren. Nachdem die Arbeit getan war, schickte ich den Großteil der Toppsmannschaften hinab, um dem Befehl des 2. Maats zu entsprechen, dass sämtliche Männer, die nicht an Deck gebraucht wurden, in die Zwischendecks gehen sollten. Dort würde man ohnehin genug Männer brauchen, um die Lenzpumpen zu bemannen, die das ständig eindringende Wasser aus dem Unterdeck und der Brigg zu pumpen. Selbst das beste Schiff war in den Bereichen des Rumpfs, der unter der Wasserlinie lag nie wirklich dicht, so war es eine der wichtigsten Aufgaben der unerfahreneren Halbmatrosen, die Pumpen abwechselnd in Betrieb zu halten.
Hier oben, weit über dem Hauptdeck standen die Prioritäten anders. Hier war der Wind die größte Gefahr und so hielt ich es auch mit den Jungs, für die ich verantwortlich war: Sie sollten sich, genauso wie ich, mit einem Tau und einem Karabiner am Mast festbinden, um nicht fortgerissen zu werden. In dickem Ölzeug zum Schutz vor der Nässe harrten wir nun dessen, was da kommen möge. Alles war getan worden, um den Schaden minimal zu halten. Ich schickte ein Stoßgebet zum Klabautermann und hielt mein Amulett lange umklammert. Meine Gedanken galten meiner Gefährtin Jacky und unserem ungeborenen Kind.
Dann brach die Hölle über uns zusammen.
Ich weiß nicht mehr allzu viel von dem Sturm, nur eines: Er war äußerst heftig und der Klabautermann musste seine schützende Hand über mich gehalten haben. Denn irgendwann in diesem wilden Getöse schlug ein Blitz in den Großmast ein, auf dem ich mich im Krähennest befand. Es musste viel Glück und ein gehöriger Anteil Zufall dabei gewesen sein, jedenfalls fegte mich der Treffer eines der aus dem oberen Ende des Masts fortgesprengten Teile vom Krähennest. Das Tau, das mich hatte halten sollen war gerissen, von Splittern zerstiebt und qualmend, so dass mein Fall frei war, bis er abrupt und schmerzhaft gestoppt wurde. Ich hatte schon damit gerechnet, wie ein blutiger Anfänger vom Mast zu fallen, als sich mein rechter Arm mehr durch Zufall, als Absicht in einem der Fußpferde der Rah verfing und meinem Fall ein Ende setzte. Dass er davon ausgekugelt wurde, war eine schmerzhafte Erkenntnis danach, die ich angesichts des Überlebens nicht weiter verfluchte. Nur wie sollte ich da nun weg kommen? Ich war wie benebelt von dem ohrenbetäubenden Krachen, den zahlreichen Holzsplittern und glimmenden Resten, die mich fortgefegt hatten, vermochte mich nicht selbst hochzuziehen. Die jungen Spunde, die mit mir geblieben waren halfen mir nicht, starr vor Furcht, und so war es mein langjähriger Kamerad Vallas, der mir eine helfende Hand reichte, die ich nach einem Kalauer auch ergriff. Das Lachen war in solchen Momenten höchster Not eine Tugend, es brachte angeblich Glück.
Geschwunden und wund überließ ich den Krähennest-Posten einem Kameraden und begab mich von dem sturmgepeitschten Deck hinab in das Dunkel der Zwischendecks. Hier war das Krängen und Schwanken des Schiffs noch weit kräftiger zu verspüren und das Halbdunkel machte es mir, der ich zu allem Übermaß auch noch humpelte, den Weg zum Schiffsarzt nicht leichter.
Dort angekommen machte mir es der Umstand, der einzige Verletzte durch den Sturm zu sein, nicht gerade leichter. Und das wollte ein Bootsmann sein! So ein Pech konnte ja nur ich haben…
Wenigstens stand es um die Verletzungen besser: Der rechte Arm war ausgekugelt, was sich rasch und schmerzhaft korrigieren ließ, mein Fuß verstaucht und ein paar Holzsplitter hatten sich in den Oberarm gefressen, ansonsten war ich von ein paar Schürfwunden abgesehen heil davon gekommen. Zusammen mit dem blauen Auge, das ich von Dolgan kassiert hatte, als wir ihn an Bord brachten, ergab das ein ganz schön mieses Konglomerat. So viel zu „harmlose Verlegung“, wie ich diese Fahrt Jacky gegenüber bezeichnet hatte. Scheiße.
Den restlichen Sturm brachte ich in meiner Koje zu.

Tags darauf übergaben wir die Toten des letzten Tages der See.
Wenige Stunden später erreichten wir die Küste von West-Gerimor. Dort, weit südlich von Rahal ankerten wir beim Rest der Flotte.
Der Käptn wollte eine Einlaufgenehmigung in den Hafen von Rahal erwirken, das würde einige Zeit dauern – friedliche Lösungen waren manchmal eben wünschenswerter.
Die Drachenrohre der Toro de Muerte würden fürs Erste ruhen.
Mit der ersten Barkasse, die zur Küste fuhr, ging ich an Land, um den genehmigten Landgang auszukosten. Mal sehen, wie es Jacky aufnahm, wenn ich mit den Blessuren heimkam, ich fürchtete einen Moment lang um meinen Kopf, doch wischte diese absurden Gedanken beiseite.

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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

"Krieg, Handel und Piraterie,/Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
Mephistopheles, Faust II


Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 17 Mai 2010 21:20, insgesamt 2-mal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 13 Jun 2010 14:37    Titel: Episode 3 – Ein sicherer Hafen
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Episode 3 – Ein sicherer Hafen


12. Schwalbenkunft 253
In den rahalischen Gewässern und dem Hafen von Rahal



Die Vertragsverhandlungen hatten sich als vorteilhaft erwiesen und uns den Weg in den Hafen Rahals geebnet.
Drei Tage zuvor hatte man sich in den Gemäuern des rahaler Ratshauses eingefunden, um mit den Offiziellen die Ratifizierung vorzunehmen: Perera (Kapitän der Toro, König der Piraten), Vallas (Smutje, Gouverneur von La Cabeza) und meiner Selbst (Bootsmann, Capo der Bruderschafts-Cosche Rahal) auf der Seite der Piraten, Stranamorius (Statthalter von Rahal) und Sharay Lessard (Ahad, Befehlshaberin der Schwarze Armee) auf Seiten des Rahalischen Reiches.
Nach etwas organisatorischer Konversation ging es zum eigentlichen Thema des Tages über, indem Stranamroius den Vertrag an Perera aushändigte, damit dieser ihn nochmals durchsehe. Der Text basierte auf vorangegangenen Verhandlungen, deren genauen Verlauf ich nicht zu rekapitulieren weiß, da ich dabei nicht anwesend war. Kaum hatte der Käptn den Vertragstext durchgelesen, ließ er auch Vallas und mich den Inhalt begutachten – ihm wurde Wohlgefallen von uns allen zuerkannt. Die anfangs im Rathaus angedachte Ratifizierung des Vertrags wurde auf Pereras Wunsch hin auf die Toro de Muerte verlegt, ein kluger Schachzug meines Käptns, wie ich zugeben muss:
Auf diesem Wege würden die beiden Reichsrepräsentanten mit eigenen Augen sehen können, wen sie sich da als Partner holten und was jener vorzuweisen hatte. Namentlich, da es auf das Flaggschiff der Freiheitsflotte ging, einen Vierdecker mit Kanonendecks, die ich als Seemann nur als fürchterlich für jeden Feind bezeichnen kann.
Die Kanonendecks waren es dann auch im Besonderen, die ich auf Geheiß des Käptns den beiden Rahalern zeigte, als wir an Bord angekommen waren. Zuerst waren es freilich ein paar Takte zu der Betakelung und dem Rumpf, die ich den Landratten vor die Füße warf, mit dem Wissen, dass sie nur wenig damit anfangen können würden. Es war jedoch keine blanke Prahlerei gegenüber Landratten, als ich ihnen mitteilte, dass die Betakelung des Schiffs zu den besten der Meere gehörte und der Rumpf in seinem ergonomischen Aufbau selbst den schnellsten Fregatten der Reichsmarine davon fuhr – es war eine Tatsache, die mich jedes Mal mit tiefer Inbrunst und Freude erfüllte, da ich mich an Bord dieses Linienschiffs befand. In Folge dessen ging es zur Bewaffnung über – die Kanonen wurden insbesondere von dem Arzt und Statthalter Stranamorius mit höchstem Interesse bedacht, ehe es unter Deck zu den schwereren Kalibern des 1. Kanonendecks ging. Natürlich stand es um die Kaliberverteilung etwas durchwachsener, als ich die beiden Landratten wissen ließ – ich wollte nur eben so viel erläutern, um sie zu beeindrucken, ohne zu viel preiszugeben. Schließlich konnten sie in der Zukunft einmal wieder unsere Feinde sein – und würden es auch mit absoluter Sicherheit. Auf dem Spar-Deck befanden sich eher leichte Kaliber, wie 12-Pfünder, die auf Grund ihres vergleichsweise niedrigen Gewichts dort aufgestellt wurden, während die schweren Kaliber in den Batteriedecks im Rumpf ihren Platz fanden; unser Repertoire ging bis zu 36-Pfündern im untersten Batteriedeck – insgesamt über 100 Geschütze. Dadurch wurde eine Feuerkraft erreicht, die die Marine-Kampfmagier der Alumener Flotten gut und gerne pulverisieren konnte, von den im Alumener Vergleich schwachen Marinen der anderen Großreiche Rahals und Menek’urs ganz zu schweigen. Nach der Präsentation der Schiffsbewaffnung führte ich die Herrschaften auf das Quarterdeck und in die Offiziersmesse, dem Ort, an dem sich Perera und Vallas bereits eingefunden hatten, um die Vertragsunterzeichnung vorzunehmen. Jene wurde schließlich auch mit jener Schreibfeder getätigt, die mich seinerzeit an das Schiff und den Käptn gebunden hatte – eines jener seltenen Schreibgeräte, die eine Unterschrift unbedingt verbindlich machten, dass selbst der findigste Betrüger ihr nicht entkommen konnte.
Damit war das Bündnis zwischen der Nation der Piraten mit ihrer Freiheitsflotte und dem Heiligen Alatarischen Reich offiziell.
Und die Einlaufgenehmigung in ihre Häfen erlangt.

Seit dem heutigen Vormittag lag die Toro in Sichtweite vor der Mole des rahaler Hafenviertels vor Anker. Die restlichen Schiffe unserer Flotte hatten sich in weitem Umkreis als eine Art Schutzkordon positioniert oder patrouillierten in den umliegenden Gewässern, um vermeintliche feindliche Schiffe aufzubringen. Einige Barkassen von der Toro befanden sich in ständiger Bereitschaft, um die Mannschaft übersetzen zu können.
Heute Abend sollte es auf Matrosen-Fang, in seemännischer Zunge auch als „shanghaien“ bezeichnet, gehen.
Frischfleisch für den bevorstehenden Krieg, denn nun hieß es wieder…

Schwarze Segel über Gerimor!



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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 13 Jun 2010 14:41, insgesamt einmal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 26 Okt 2010 21:23    Titel: Episode 4 – Transportunternehmen ‚Rum und Hering‘
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Episode 4 – Transportunternehmen ‚Rum und Hering‘ Teil 1: Früh übt sich, wer…


20.-21. Goldblatt 253
In der Grünen Grotte und entlang der Küstengewässer Westgerimors



Viele Eltern sind der Auffassung, dass sie ihre Kinder wie Glucken vor allen widrigen Umständen des Lebens schützen zu müssen. Ich dagegen fand, dass eine gehörige Backpfeife einem mehr beibringen konnte, als das Dasein in einem ‚goldenen Käfig‘.
Viele Eltern lassen ihren Kindern, kaum, dass sie Schule oder Beruf erlernen – so sie zu diesen Gesegneten gehören – außerhalb dieser Pflichten kaum Freiheiten. Ich dagegen heiße es gut, wenn ein kleiner Racker seine Freizeit mit dem Wühlen im Dreck oder Schlägereien verbringt.
Viele Eltern sind schließlich der Meinung, ihr Kind sei ein Halbgott. Ich dagegen bin da viel bescheidener, denn mein Sohn ist ein Pirat!
Es mag jetzt so aussehen, als ob ich viel Ahnung von Erziehung, Kindern und dem ganzen Gedöns hätte oder Kinder auch noch mag. – Weit gefehlt! Ich verstand seinerzeit, als Jacky und ich Eltern wurden, herzlich wenig davon, was es hieß, ein Vater zu sein. Und Kinder… die mochte ich damals nicht, und so auch heute. Jedenfalls, wenn es nicht meine eigenen sind.
Wenn man es genau nimmt, kann einem Piraten und Drogenschmuggler nichts Schlimmeres zustoßen, als ein Kind zu haben – der erste Grad der Schattenwelt. Na ja, abgesehen vielleicht davon… mehrere Kinder zu haben! Das alles traf auf den Gutteil meiner Kameraden zu, doch nur bedingt auch auf mich. Eigentlich hätte ich an jenem 07. Searum, als meine Gefährtin Jacky unseren Brösel zur Welt brachte die Beine in die Hand nehmen und mein Heil in der Flucht suchen sollen. In den ersten Jahren beim Pack hätte ich das vielleicht auch getan, jedoch war ich zu der Zeit, da mein Sohn Esteban in den Kreis unserer kleinen Familie trat schon seit geraumer Zeit Bootsmann – als Deckoffizier hieß es, Verantwortung zu tragen. Das änderte, zusammen mit dem Umstand, dass ich mich einfach nur zum Teil mit den Klischee-Vorstellungen der Landratten in Deckung fand alles.
Und schließlich… wer konnte schon von sich behaupten, ein hartes Herz angesichts eines lachenden Neugeborenen aufrecht zu erhalten, von dem man noch dazu wusste, dass es das eigene war?
Piraten sind eben auch nur Menschen. Oh ja, du, der du diese Zeilen vielleicht einmal liest – glaube den Erzählungen deiner Herren und Obrigkeit nicht blind, wenn sie über unseresgleichen berichten!

Jedenfalls, der kleine Esteban und seine Eltern hatten nicht vor, sich zu verhalten wie die meisten anderen es taten.
Und so gingen mein Sohn und ich in der Nacht von gestern auf heute auf eine fröhliche Schmuggel-Fahrt!
Immerhin war der Kleine mit seinen Monden schon alt genug, um einmal eine echte Seefahrt mitzuerleben – auch, wenn es nur in den Küstengewässern sein sollte.
Zuerst ging es von Rahal aus mit meinem kleinen Kutter, den ich mir für diese Arbeit und kleinere Reisen im Rahaler Hafen vertäut hielt, Kraft des Segels zu einem Schmugglerlager der Bruderschaft unweit der Schwarzen Stadt. Die Bruderschaft der Küste hatte an nahezu allen Küsten mehrere dieser geheimen, durch ausgetüftelte Sicherungsvorkehrungen geschützte Depots, in denen sie ihre wertvolle „heiße“ Ware bunkerte. Von dort wurde an die Hehler in den Städten und auf der Straße weiterverteilt. Als „Kräuterbaron“ war mein Ressort im Allgemeinen der Krauthandel, im Speziellen das Schmuggeln sämtlicher erdenklichen Rauschmittel und hochprozentigen Alkoholika, die die Reiche entlang der Weltmeere hergaben – im Besonderen auf dem Gebiet des alatarischen Reiches und den angrenzenden Gebieten.
In der „Grünen Grotte“ nahm ich etwa zur Zeit des zweiten Glasens der Hundswache Ladung auf – kistenweise Rauschkraut, einige besonders exquisite Exemplare menekanischer Wasserpfeifen (auf direkte Bestellung durch unsere Abnehmer) und natürlich ein paar Kisten des cabezianischen Rums.
Nach vier Glasen war alles sicher im Laderaum vertäut, die eigentliche Schmuggelfahrt konnte damit beginnen. Doch bevor es soweit war, gab es etwas, was mich von anderen Vätern dieser Gestade nicht unterscheidet. Ich musste mich um das Wohl des kleinen Esteban kümmern; mehr schlecht als recht, um ganz ehrlich zu sein, aber ein halbes Glasen und gefühlte zwei Liter Schweiß später nahmen wir endlich Fahrt auf und der fröhlich lachende Esteban hing in seinem Bündel wohl untergebracht neben mir an dem Laternenhaken unweit meines Platzes am Steuerruder.
Überhaupt zeigte mir diese Nacht auf See, dass unser Sohn tatsächlich zum Piraten geboren zu sein schien.
Der Seegang, mochte er noch so wild sein nötigte ihm nur ein müdes Grinsen ab oder auch einmal ein heiteres Kudern. Anzeichen von Furcht oder Seekrankheit zeigte er, der er da neben mir am Laternenhaken in seinem Bündel baumelte, nicht ein einziges Mal. Viel eher noch hatte ihn das ständige, gleichmäßige Rollen des Kahns bald in den Schlaf gewiegt, der ihn bis zu unserer Ankunft nicht losließ. So hatte ich viele stille Stunden mit meinem Sohn unter dem klaren Nachthimmel, bei denen ich mit Kraut und Rum über alles und nichts nachdenken konnte.
Die Welt war im Aufruhr. Ein Vulkan, offenbar unter Wasser, 12 Seemeilen vor der südgerimorischen Küste hatte dafür gesorgt, dass die See sich zu Teilen erwärmte und wenigstens die in unmittelbarem Umfeld lebenden Wesen der See an Land trieb – oder, so sie es nicht vermochten, hinfort in andere Gestade. Es war gut, dass ich in Adoran und anderswo nur vorgab, Walfänger zu sein, denn sonst hätte ich nun so manches Erwerbsproblem. Von einigen unserer Informanten hatte ich ein Bild der Szenerie gezeichnet bekommen: Ein See-Drache war zusammen mit allerlei anderem Getier aufgekreuzt (wir Seeleute nannten solche Wesen in der Regel „Leviathan“) und insbesondere dieses Mal vielbeinige, mal flossenreiche Beiwerk hielt die Handelsstraßen und Ansiedlungen in sämtlichen Reichen Gerimors in Atem. Was mich anging, so juckte es mich wenig, denn ich schmuggelte über See, nicht über Land.



Der Leuchtturm des Fischerdorfes Bajard war schon ein fernes Lichtblinken, als wir die Ausläufer der erhitzten Wässer durchliefen. Bei dem Barte des Klabautermanns, ich beschwöre, dass ich in dieser kühlen Nacht Dampf habe aufsteigen sehen! Es war ein eigentümliches Gefühl und ich war insgeheim froh, dass mein Kutter eine stabile, schnittige Konstruktion war, die uns rasch aus diesen unheilvollen Gestaden fortbrachte. Im Stillen hatte ich beschlossen, den Seegeistern und im Besonderen dem Klabautermann ein Rumopfer zu spenden, wenn diese Fahrt heil vorüber war. Um meinen Sohn machte ich mir indes keine Sorgen – der schwebte immer noch in den Sphären der süßesten Träume.
Kaum drei Stunden später hatte ich sie auch, als ich nämlich die Ware an unsere Hehler weitergab und das Gold afür kassierte. Zwar würde ein guter Teil davon als Gewinnanteil an den Einnahmen der Rahaler Cosche an unsere Hauptstelle auf La Cabeza fließen, aber ein hübsches Sümmchen würde schon übrig bleiben.
Grund genug für einen Piraten, um zu träumen.







Episode 4 – Transportunternehmen ‚Rum und Hering‘ Teil 2: Traue keiner Landratte


24. Goldblatt 253
In rahalischen Gewässern



Ich hatte mich schon zu fragen begonnen, wann die Querelen um diesen Meeresvulkan auch an unserer Tür anklopfen würden. Kürzlich war es dann soweit gewesen.
Über Nalock Maran, einen Vogelfreien, der uns als vertrauenswürdig galt und Anele Namok, eine Bekannte von Jacky, wurde uns von der Problematik berichtet, die ich bereits im vorherigen Kapitel zur Genüge ausgeführt habe.
Im Gegensatz zu den Informationen, die uns von Seiten der Informanten vorlagen, enthielten diese Botschaften allerdings etwas Neues: Man wünschte unsere Beteiligung. Im Näheren waren „Man“ die Angehörigen der Akademie-Magieschulen, Arkorither (mit denen wir schon des Öfteren gearbeitet hatten), vereinzelte Letharen und Menekaner. Im Großen und Ganzen verband diese bunt zusammengewürfelte und eigentlich zu Teilen bis aufs Blut verfeindete Truppe zweierlei: Zum einen waren sie allesamt Magier, vermochten das Lied Eluives zu hören, wie sie sagen. Das war schlecht, denn ich will behaupten, dass ich nicht allein damit stehe, wenn ich sage, dass man Magier ungern an Bord eines Schiffes sieht – ihresgleichen zündelt gerne.
Zum anderen wollten sie gegen den Vulkan vorgehen und das Gleichgewicht wieder herstellen, wie genau war mir gleich. Das war gut, denn das sagte mir, dass es ihnen wichtig war und sie somit gut für unsere Hilfe zahlen würden.
Bald nach der ersten Kunde seitens Nalocks und Aneles hatte man im Rat der Bruderschaft und mit dem Käptn beraten und war zu dem Schluss gekommen, Kontakt aufzunehmen. Wenige Tage später, nachdem nähere Umstände wie die Wahl der Verhandlungspartner und so weiter geklärt war, zu einem Zusammentreffen Angesicht zu Angesicht. Von dem ersten weiß ich nicht viel zu berichten, außer, dass man grundsätzlich überein kam und ein zweites anberaumte. An jenem vermochte ich teilzunehmen, das war der 24. dieses Mondes. Wie üblich übernahm unser Smutje und Gouverneur La Cabezas, Vallas Amarth die Rolle des Sprechers. Er war wortgewandt und vermochte es durchaus, einem König die eigene Krone für ein paar Groschen abzuschwatzen.

Im übertragenen Sinne, versteht sich.

Verhandlungen sind nicht meine Stärke, allzu rasch werden sie eintönig und langweilig, also will ich den geneigten Leser nicht mit Einzelheiten langweilen. Nach langen, zähen Verhandlungen, die von der offenkundigen Zerstrittenheit der Magier nicht gerade beschleunigt wurden, war man übereingekommen.
Sie hatten für die Mannschaft und jeden Passagier sieben Kronen pro Kopf zu bezahlen, ob die Expedition nun von Erfolg gekrönt war oder nicht. Zusätzlich kam bei Erfolg noch hinzu: Achtzig Kronen Gold von Seiten der Menekaner, dazu fünf Sklaven aus ihren Lagern. Ferner hatten sich die Arkorither und die Magier der Academia Arcana dazu bereit erklärt, eine Blutschuld in dem ‚Buch‘ zu unterzeichnen. Jenes Buch, durch das auch ich an Schiff und Kapitän gebunden war… wie ein guter Teil meiner Kameraden, der „harte Kern“.

Ob die Magier nun Erfolg hatten oder nicht, Vallas hatte es gut auf den Punkt gebracht: Was mit dem Festland passiert, war uns einerlei, solange die See nicht verdampfte, war für uns Piraten alles in bester Ordnung.



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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 27 Okt 2010 11:20, insgesamt 4-mal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 17 Dez 2010 03:46    Titel: Episode 5 – Das Ganze im Paket bitte!
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Episode 5 – Das Ganze im Paket bitte!


16. Alatner 253
In rahalischen Gewässern



Ria, Roberto, Baptiste, Juan, Arturo, John…
Das waren nur ein paar der Namen, die ich in letzter Zeit in Logbuch und Mannschaftslisten eingetragen hatte, zusammen mit Heuer und Verwendung an Bord. Im Allgemeinen betraf dies den einfachen Matrosendienst, wie jeden, der als Frischling an Bord kam. Die meisten Kameraden würden über den Mannschaftsbereich auch kaum je in ihrem Leben hinauskommen, doch Hand aufs Herz: Wer konnte schon von sich sagen, auf der Toro de Muerte, dem Schwarzen Schiff, angeheuert zu haben? Nicht viele. Die wenigen Hundert Mann, die es auf dem schnittigen Linienschiff mit seinen drei Kanonendecks brauchte, waren zum guten Teil die „Ersten Hundert“ unter dem Pack. Das Beste, was die freie Nation vom großen Perera zu bieten hatte. Freilich gab es auch unzählige Ausnahmen, denn Ausfälle gehörten zum Alltag an Bord eines Schiffes. Manche Dienstbereiche, wie etwa jener der Entertrupps und „Pulveräffchen“ verzeichnete die meisten Ausfälle im Kampf, jener der Bilg- und Lenzgasten während normalem Seebetrieb, letztere besonders durch Ruhr und Cholera. Das Leben als Seemann war eben nie so romantisch, wie es die Landratten idealisierten. Diese mehr oder weniger regelmäßig auftretenden Ausfälle wurden in der Regel bei Absenz von unserem Stützpunkt auf La Cabeza vor Ort aufgefüllt. Wie es momentan der Fall war: Vor Rahals Küsten. Also schickten wir immer wieder Presskommandos in das Hafenviertel, um all das Gesindel aufzuscheuchen, das sich in den Hafenvierteln naturgemäß aufzuhalten pflegte. Betrüger, Spieler, Fahnenflüchtige, Gauner, Diebe, Halsabschneider, Mörder, Huren, desertierte oder arbeitslose Matrosen, Veteranen, fehlgeleitete Lehrlinge oder Gesellen…. Kurzum alles, was sich „verwerten“ und von den Versprechungen „Abenteuer, Reichtum und ferne Länder“ locken ließ. Neben allzu vielen Fehlgriffen, die rasch in die Hafenmole zurückgeschmissen wurden, gab es dabei auch so manchen Glücksfund: So etwa den alten Torre, der als Hilfskoch unserem Smutje Vallas zur Hand ging.
So war ich voller Zuversicht, dass auch unsere jüngsten Frischlinge sich als fähig oder zumindest nützlich erweisen würden. Denn wie jeder vernünftige Mensch weiß, ist die See die wahre Schule des Menschen. Erst sie formt uns richtig, macht echte Männer und Frauen aus uns. Und damit es so weit mit den Frischlingen kommt haben sie mich. Den Bootsmann.
Abgesehen von Juan, Arturo und John war ich mir der Neuen schon recht sicher, dass sie ihre Arbeit gut machen würden. Juan war noch sehr jung und mir war klar, dass es sehr schwer für einen jungen Kerl sein konnte, mit den harten Lebensumständen an Bord, noch dazu eines Kaperschiffs, klar zu kommen. Glücklicherweise schien er in der Matrosin Ria eine Freundin gefunden zu haben, Verbrüderung war stets hilfreich für einen neuen Matrosen. War der Kamerad erst einmal auch ein Freund, konnte man sich in allen Belangen voll vertrauen, was auf See und im Kampf einmal überlebenswichtig werden könnte. Über den Matrosen Arturo konnte ich mir indes noch kein solides Bild bezüglich seiner Seemannschaft machen, doch ihn würde ich noch früh genug in die Wanten jagen können, um das herauszufinden. Spätestens, wenn es heimwärts in den Süden ging.
Schließlich war da noch John Tiefsee. Ein Mann, der mir Kopfzerbrechen bereitete. Er war jüngst an Bord gekommen, einfach so, hatte sich mit einer Jolle wohl längsseits bringen lassen und war einfach die Fallreep hochgekraxelt! Zuerst hätte ich ihn fast über Bord schmeißen lassen oder Schlimmeres. Hatte sich doch herausgestellt, dass dieser plötzliche Besucher sogar vorgab, einmal Commodore bei der alumener Flotte gewesen zu sein. Das schien mir schon anhand seines geringen Alters sehr unwahrscheinlich, Admiralität mit vielleicht Mitte oder Ende zwanzig? Unwahrscheinlich, wahrlich. Zudem stellte sich im weiteren Gespräch, von dem ich bekennen muss, es eher wie ein Verhör aufgestellt zu haben – erst durch das prächtige Mitwirken von Marcela und den anderen perfekt geworden – heraus, dass er sich offenbar schwer damit tat, das Luv von Bord aus zu erfassen. Mit Mühe und Not und so mancher Hilfestellung hatte er es dann doch noch radebrecherisch geschafft. In mir wuchs also die Vermutung, dass er ein Betrüger war. Mochte er aufgeflogen und deswegen des Reiches geflohen sein? War er einfach ein unfähiger Nautiker und durch Günstlingswirtschaft emporgestiegen? Was auch immer, mir war es gleich; er wäre nicht der erste Seemann aus einer der Reichskriegsmarinen gewesen, der zur Freiheitsflotte La Cabezas übergelaufen wäre. Freilich hatten wir stets ein Auge auf solche Neuzugänge, bis wir uns ihrer Loyalität klar waren. Bei John schien es allerdings fast so, als müsse man eher Acht geben, dass er nicht auch uns übers Ohr hauen wollte. Eine ungesunde Sache, da dies im Pack zumeist tödlich ausging.
In den nächsten Winterwochen würde sich jedenfalls die Spreu vom Weizen trennen. Es hieß, das Schiff seeklar zu machen und durch die winterliche See nach La Cabeza zu navigieren. Stürme und schwere See waren typisch für diese Jahreszeit, es würde also eine wahre Feuertaufe für unsere Neuen werden. Schlaflose Wachen für mich und die Maate mitinbegriffen, wenn es hieß, die Frischlinge vor sich selbst und der Unbill der See zu schützen.



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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 17 Dez 2010 03:51, insgesamt einmal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 06 Jan 2011 22:07    Titel: Episode 6 – Nach Hause Teil 1
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Episode 6 – Nach Hause Teil 1: Eile mit Weile


06. Hartung 254
In rahalischen Gewässern



Die gefährliche und an den Nerven zehrende Zeit der winterlichen Stürme war endlich vorüber, das Eis an den Küsten dünn genug, um sämtliche Routen wieder ansteuern zu können. Der Käptn hatte uns Offizieren kundgetan, dass die Flotte bald heimkehren würde, heim nach La Cabeza, unserem Hauptstützpunkt. Entsprechende Vorbereitungen waren zu treffen: Unser Smutje und Gouverneur von La Cabeza Vallas wollte dem Stadthalter von Rahal ein kleines Präsent zum Zeichen unserer Verbundenheit im Namen unserer Nation überreichen, hatten sie uns doch Liegschaft in den rahalischen Häfen ermöglicht. Was mich anging, so mochte ich die Wochen zählen, bis wir wieder gegen sie kaperten! Vor gut einer Woche hatte ich bereits einen großen Bestand an Segeltuch in Bajard erstanden, um die geschrumpften Vorräte im Hellegat zu füllen. In den Tiefen des Schiffbauchs befand sich dieser für die Verhältnisse unter Deck großzügig angelegte Schiffsraum, in dem sämtliches Inventar gelagert wurde, dass meine Wenigkeit, Schiffszimmermann, Segelmeister und ihre Gehilfen zur Instandhaltung des Schiffs benötigten. Von Segeltuch über Taue, Fässern voll Teer und Werg bis zu Hölzern in allen Formen und Größen – sollte der Kahn in einem Sturm, einem Feuergefecht oder schlicht auf Grund von Abnutzung Reparaturen benötigen, mit dem Material ließen sie sich erledigen. Mittlerweile waren die Lager von den Gehilfen mit dem erworbenen Nachschub aufgefüllt worden, was ich bei einem Probegang überprüft hatte. Als mich meine Schritte an dem Abend weiter in die Lagerräume für den Proviant führten, hatte ich zufrieden feststellen können, dass hier der Vorrat an Süßwasser, Rum, Schiffszwieback, Trockenfleisch und –fisch, als auch –kraut bereits gemehrt wurde. Bei Weitem noch nicht vollzählig, aber bis zum Abfahrtstermin würden die Lager ausreichend gefüllt sein.

Jener Stichtag war der morgige siebente Hartung in diesem unserem neuen Jahr 254.
Die Mannschaften waren durch die Bank über den Abfahrtstermin informiert, wenn sie nicht schon seit Tagen in die Vorbereitungen eingebunden waren. Viele Matrosen hatten Landgang und würden wohl erst am Tag des Ablegens an Bord erscheinen, ein Umstand, der in den Reichsmarinen undenkbar wäre! Entfernte sich der einfache Matrose zu weit von Schiff und Offizieren, so war es in der Regel der Fall, dass er desertierte. Gänzlich anders sah es bei den Männern, Frauen und Kindern aus, die auf unseren Schiffen zur See fuhren: Freidenker, Abenteurer, Glücksritter und so manch Gauner und Schwerstkrimineller, manches Mal auch ehemalige Seeleute aus den Reichsmarinen… kurzum die verschiedensten Couleur von Menschenschlägen, die eines vereinte – der Drang nach einem freien Leben auf See. Idealisten flohen ihre Ideale in der Regel nicht. Somit hatten wir bis dato Desertion selten erlebt.

Diese Fahrt war in gewisser Weise eine Besondere. Gewiss, so wird sich der aufmerksame Leser nun denken, das Piraten-Pack fährt in die heimischen Gefilde zurück, die ihnen der Vulkanausbruch streitig gemacht! Das käme ja nicht oft vor, so ein Naturschauspiel... oder gar ein Fluch?! Freilich, wir würden nach Hause fahren, doch so besonders war das nun auch wieder nicht. Der Vulkan brach immer wieder einmal aus und dem kräftigen Einsatz von fleißigen Cabezianern war es zu verdanken, dass der Feuerspeier seine Wut in den Norden der Insel gerichtet hatte, nicht in den besiedelten Süden. Das war mir erst kürzlich von Vallas berichtet worden, der Kunde unserer vorausgeschickten Späher aus den Reihen der Bruderschaft erhalten hatte. Wirklich besonders war, dass wir morgen so viele frische Leichtmatrosen an Bord haben würden, wie schon seit mindestens einer Saison nicht mehr. Das hieß, dass wir erfahrene Seeleute Augen und Ohren nicht nur gegenüber der See und dem Schiff offen halten mussten, sondern jedes Quentchen an verfügbarer Aufmerksamkeit auch noch auf die Frischlinge zu richten hatten. Schließlich musste Sorge dafür getragen werden, dass sie reibungslos in den laufenden Bordbetrieb Einzug fanden, was während der Zeit der Liegschaft nur bedingt möglich gewesen war. Da mir die Deckaufsicht und das Wohl des Schiffs an sich gesondert zur Aufgabe galt, würde es an mir liegen, die Neulinge zu drillen. Ein hartes Stück Arbeit, doch eines, das ich schon oft genug und gerne vollbracht hatte; es war eine wahre Freude, anfängliche Landratten sich in echte Seeleute wandeln zu sehen, da kamen am Ende sogar richtige Menschen dabei heraus! Oder das, was mir jedenfalls als der Menschenschlag mit Vorzug erschien. Wenn der Klabautermann uns hold war, würden vielleicht sogar alle von ihnen die Heimfahrt überleben… oder auch die nächsten paar Kaperfahrten. Selten, zugegeben, aber durchaus im Bereich des Möglichen. Und beim Hut des Klabautermanns, ich wünschte es mir von Herzen! So hart einen die Seemannschaft auch machte, es war mir stets ein Übel, Matrosen an die Unbill von See und Kampf zu verlieren, hatte ich als Bootsmann doch ebenso sehr über sie zu wachen, wie über meinen wichtigsten Schützling: Das Schiff. Oh, welch Wut durchfuhr mich ein jedes Mal, da der Käptn einen weiteren toten Leib der See übergeben musste! Es scherte mich nicht, dass viele meiner Kameraden – ob nur nach außen oder tatsächlich – keinen Deut darauf gaben, ob Kameraden fielen oder lebten… was mich anbelangte, so scherte es mich sehr wohl. Zumal seit kurzem meine Lebensgefährtin und baldige Frau Jane Jack und meine Cousine Noemi Sylva angeheuert hatten und zu dem Kontingent meiner Schützlinge dazu gestoßen waren.
Während ich bei meiner Gefährtin sicher war, dass sie mit den Strapazen zu Recht käme und ihr Leben bewahren könnte, so nagten heftige Zweifel bezüglich Noemis an mir. Sie hatte in ihrem Leben nur einmal mit einem Schiff die offene See befahren, nämlich als sie sich aus unserer Heimat Drachenfels nach Gerimor ausgeschifft hatte. Eine ausgemachte Landratte war sie, Grund genug, um meine Nerven auf eine Zerreißprobe zu stellen, nicht wahr? So sehr die Kleine eine Nervensäge war, seitdem sie so liebevoll mit unserem Sohn umging, hatten Jacky und ich sie zusehends bei uns akzeptiert. Auch mein kleiner Bruder Ilbert hatte sie erneut ins Herz geschlossen, wenn auch unter Qualen, schien sie ihm doch ebenso aus der bürgerlichen Lebenswelt unserer Ahnen entflohen, wie ich dereinst. Jedenfalls wäre es eine Schande gewesen, würde sie bei ihrer ersten Fahrt den Tod finden; soweit es mir möglich war, wollte ich dem vorbeugen.
Ohne sie mit Vorzug zu behandeln, freilich. Denn sowohl Jacky als auch Noemi waren von dem Moment an, da wir in See stachen Matrosen wie alle anderen auch, und so würde ich sie auch während meiner Wache behandeln.

Diese und so manch andere Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, als ich dicht gefolgt von Schiffszimmermann und Segelmeister von Deck zu Deck, Station zu Station das Schiff durchlief und einer eingehenden Inspektion unterzog. Spanten, Kiel und Beplankung mitsamt ihrer Kalfaterung erhielten hier neben der Takelage eine besondere Aufmerksamkeit, waren sie alle doch die wichtigsten Garanten der Seetüchtigkeit, Schwarzes Schiff und Fluch hin oder her. Ich verließ mich auch bei unserem glorreichen, furchterregenden Flaggschiff nur auf meine eigene Erfahrung und meine eigenen Augen, wenn es um die Sicherheit meiner Kameraden und dem Erfolg unserer Mission ging. Spät in der Nacht war die Inspektion beendet und die Männer, versorgt mit ihren Aufträgen und entlassen, strebten in Richtung ihrer Schlafstätten. Meine eigenen Schritte führten mich an das äußere Fallreep, um mich von einem Matrosen in der dort bereitliegenden Jolle an den Pier bringen zu lassen. Er war geheißen, mich morgen zeitig wieder an selber Stelle aufzunehmen und an Bord zu bringen, ehe ich meinen Weg zu meinem Ziel fortsetzte: Dem Krähennest.
Meine Gefährtin Jack hatte unsere alte Bude ausgeräumt, um alles Gut verladen und mitnehmen zu können, denn die Zeit in Rahal war beendet. Dieses Kapitel unseres gemeinsamen Lebens sollte ein Ende finden und ein neues auf La Cabeza beginnen. Ich saß noch einige Zeit auf dem Flachdach unserer alten Hütte und arbeitete an dem Büchlein, das ich zum eigenen Nachschlagezweck aber auch zum Anlernen etwaiger Bootsmannsmaate, die ich in der Zukunft vielleicht an meine Seite berufen wollte anlegte. Es war einer der seltenen Momente, da ich meinem Vater dankbar dafür war, dass er mich durch die Schule des Kaufmanns gezwungen hatte: Ohne die Schrift wäre mir es unmöglich gewesen, diese Arbeit durchzuführen. Der Morgen graute bereits, als ich mich zu meiner schlafenden Gefährtin und unserem gemeinsamen Sohn legte, um die letzte gemeinsame Nacht im rahaler Hafen zu verbringen.
Morgen um dieselbe Zeit würden wir in einem gemeinsamen Haus auf La Cabeza wohnen und meine kleine Familie sollte meine neue Heimat endlich wahrhaft und fassbar kennen- und (hoffentlich) lieben lernen.



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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

"Krieg, Handel und Piraterie,/Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 06 Jan 2011 22:08, insgesamt einmal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 14 Jan 2011 16:46    Titel: Episode 6 – Nach Hause Teil 2
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Episode 6 – Nach Hause Teil 2: Halt den Schnabel, Krake!


07. / 08. Hartung 254
In rahalischen Gewässern vor dem Kap Alatar, in den Gestaden um Menek’Ur und dem Südmeer



Wer zur See fuhr, lernte rasch, dass es mit dem Abenteuer nicht weit her war, beziehungsweise die Routine jene Momente überwog, in denen abenteuerliche Hitze durch die Adern schoss. Auf der Heimfahrt nach La Cabeza sollte mir das wieder einmal bewusst werden.
Ganz Routine war das Ablegen.
Kaum hatte der Morgen gedämmert, waren die restlichen Matrosen unter Deck gebracht und all jene, die Wache hatten an Deck. Gut die Hälfte der mittlerweile wieder auf Sollstärke befindlichen mehre Hundert Seelen zählenden Mannschaft hatte die letzte Nacht an Land bis zuletzt ausgekostet – mit Huren, Suff, Glücksspiel und Gaunereien. Dementsprechend waren es auch vor allem jene, die bereits Tags zuvor an Bord gewesen waren, die die Deckwache stellten, schließlich brauchte man Männer und Frauen mit klarem Geist in der Position. Die Lenzpumpen tief unten im Bauch es Schiffs konnte auch ein verkaterte Mann bedienen, so duster wie es dort war; in die Wanten konnte man einen solchen nicht schicken, wollte man nicht ihn und andere gefährden. Normalerweise duldeten auch wir Piraten keine übermäßige Trunkenheit an Bord, so galt unsereins eine Flasche Rum immer noch als erträgliches Maß. Nur war das Pack schon so lange fern Cabezas gewesen, dass man ihnen dieses Lapsus das eine Mal durchgehen ließ. Sie würden ohnehin noch früh genug Klarschiff gemacht werden, spätestens, wenn man sie mitten in der Nacht in das kalt-nasse und ohrenbetäubende Milieu eines Orkans hinaus in die Wanten peitschte! Meine Erfahrung sagte mir, dass es mit Gewissheit dazu kommen würde. Fürs Erste hieß es allerdings, die Deckwache auf Vordermann zu bringen, nachdem sich nun alles, was an beweglichem Gut und Menschen nicht an Deck sein dürfte im Bauch des Schiffes befand. Zu den Matrosen, die zur gegenwärtigen Wache gehören sollten, waren neben all den anderen Matrosen, Schiffsjungen und Maaten unter anderem der Kombüsengehilfe Torringrane, der 1. Kanonier Sebastiano und die Matrosen Jane Jack, Baptiste und John. Nachdem ich ein letztes Mal zusammen mit Arrelius, John und einigen anderen ein paar Segeldefekte behoben hatte, hieß ich die Deckwache mit den schrillen Signalen der Bootsmannspfeife vor dem Achterdeck antreten. Der Dienst sah vor, dass vor dem Ablegen eine Inspektion der Wache durch den Käptn erfolgte, respektive einen seiner Offiziere. So stand Raul Vincente Perera, die Pest der Weltmeere, am Kopf der Achterdecktreppe und mustert einen jeden Mann, eine jede Frau aufs Schärfste, während ich die Reihen abging, hier und da lobte oder tadelte. Besonders die Frischlinge unter den Matrosen erhielten besondere Aufmerksamkeit, für die meisten war es die erste „richtige“ Fahrt, Aufregung war da nur natürlich. Der vermeintliche ehemalige alumener Schiffsoffizier John Tiefsee bereitete mir schon an dieser frühen Morgenstund‘ Kopfschmerzen: Er hatte die Verknüpfung von „Pirat und Rum“ offenkundig zu wörtlich genommen.
Als die Visite beendet war, gab der Kapitän den Befehl, sämtliche Vorbereitungen zum Ablegen zu treffen: Deck schrubben, Segel breitmachen, Kanonen zum Salut vorbereiten und Tauwerk aufschießen.
Dem Befehl wurde sogleich entsprochen. Einen Gutteil des frühen Vormittags brachte die Deckwache damit zu, das gesamte Hauptdeck mitsamt Achterdeck und Backdeck zu schrubben, bis es auf Hochglanz gebracht war. Eine Tätigkeit, die mit Bürsten, Besen, Bimssteinen und viel Wasser und Seife durchgeführt wurde. Von vielen als Schikane missverstanden, war es eine unbedingt notwendige Arbeit, wurde doch dafür gesorgt, dass die Planken frei von Verschmutzung waren und somit weder Gefahr liefen, vor ihrer Zeit zu verrotten, noch einem unvorsichtigen Seemann den sicheren Stand zu kosten. Zwecks schnellerer und effektiverer Arbeit hatte ich die Jungs in zwei Gruppen eingeteilt, sich sich von achtern und back aufeinander zu arbeiteten, während ich mit einigen meiner Jungs sämtliches Tauwerk an Deck neu aufschoss. Nachdem das Deck blitzblank war, verblieb keine Zeit zur Atempause: Eben noch auf ebenem Boden, ging es hinauf in die luftigen Höhen. In der Welt von Masten, Wanten, Segeln und Tauen trug ich sorge dafür, dass jedem Frischling ein erfahrener Seemann zur Seite gestellt war, als es daran ging, die Segel abfahrtsbereit zu machen. Als sämtliche Großsegel vorbereitet waren, hieß ich eine Segelmannschaft die Segel am Vordersteven setzen, um das Schiff schon einmal in den Wind zu bringen. Als das erledig war, gab es nur noch eines zu erledigen: Die Kanonen für den Salut. Also schickte ich einen der Maate in die unteren Kanonendecks, um die dortigen Mannschaften entsprechend zu instruieren, während ich selbst die Kanonen auf dem Hauptdeck laden ließ. Während es im mittleren und unteren Kanonendeck rasch und routiniert verlief, dauerte es auf dem Hauptdeck freilich etwas länger, da hier sämtliche Neuzugänge in unsere Mannschaft eingeteilt waren. An jedem Geschütz befanden sich zu gleichen Teilen erfahrene Seeleute und Frischlinge, um sicherzustellen, dass die Jungspunde rasch und präzise direkt bei der Arbeit lernten. Schließlich waren alle Geschütze bereit und die Zündschnüre gesichert, so dass die Deckwache wieder vor dem Achterdeck antreten konnte, während ich dem Käptn Bericht erstattete.
Dieser überlies es nun der jüngst an Deck gekommenen Gracia, 1. Maat und Stellvertreter des Käptns, das Manöver zur Vollendung zu bringen.
Auf ihr Geheiß, die Anker zu lichten und Segel zu setzen jagte ich die Männer auf ihre Posten. Das im gesamten Schiff wahrnehmbare Krachen und Ächzen ließ uns noch vor dem aufkommenden Fahrtwind spüren, dass wir an Fahrt gewannen; als das Schiff einige Fuß gefahren war, wurde der dadurch aus dem Meeresboden geheißte Anker gelichtet und die Toro de Muerte war auf Kurs ins offene Meer. Der 1. Maat ließ so dann sämtliche Geschützmannschaften auf Position gehen, um den geplanten Abschieds-Salut in Richtung Rahals zu senden: Aus drei Kanonendecks erscholl an diesem Vormittag des siebenten Hartung ein Stakkato aus dutzenden Drachenrohren, gleichsam Abschied und vage Vorahnung künftiger Schrecken. Das Grollen und Zittern durchlief das ganze Schiff, die Leiber jedes Einzelnen an Bord, es war das Gefühl von Freiheit und Heimkehr! Denn die Toro de Muerte fuhr wieder zur See, dicht gefolgt von der restlichen Freiheitsflotte Cabezas.



Ganz Routine war der erste Teil der Fahrt.
In regelmäßigen Abständen erfolgte Wachablösung nach dem Takt, den das Läuten des Glasens jedem Matrosen auferlegte. Der 1. Maat Gracia, die Navigatorin Charly und ich selbst teilten uns abwechselnd die Deckwache, während der Käptn allenthalben anzutreffen war. Es war sein Schiff und so war es nicht verwunderlich, dass er alles im Blick behielt. Manch Matrose munkelte, er könne mit dem Holz des Schwarzen Schiffs hören und sehen… Humbug, Seemannsgarn! Nichtsdestotrotz war ich auf der Hut und trug Sorge, dass kein Fehlverhalten während meinen Wachen zutage trat.
Etwas abenteuerlicher wurde da schon die Nacht. Wir hatten es den scharfen Augen meiner Gefährtin Jacky zu verdanken, dass wir es rechtzeitig bemerkten: Ein vehementes Aufkreuzen von Seeschlangen (oder Leviathane, wie wir sie nannten). Für uns alte Seebären war es nicht das erste Mal, der geneigte Leser wird sich indes aber vorstellen können, wie sehr es manch einen der Neulinge bis ins Mark traf, solch ein Untier der Meere hautnah zu erleben. Hautnah, jawohl.. denn wir hatten einen seltenen Fall von Leviathan-Treffen: Gleich drei Monstren machten uns die See und das Schiff streitig! Nur dem beherzten Einsatz der reichen Feuerkraft und der Tapferkeit jedes Einzelnen der Wache vermochten wir, jede Unbill von Schiff und Mannschaft fernzuhalten. Am Ende blieb nur die nackte, kalte Stille gepaart mit dem Geruch von verschmortem Fleisch und Blitzpulver zurück, wir waren sicher. Doch nicht für lange! Wenig später hatten wir eine regelrechte Invasion von Krakengetieren zu bekämpfen, die die Bordwand hinauf an Bord kletterten und über jeden unachtsamen Matrosen herfielen, derer sie habhaft wurden. Mittels einer vom Käptn höchstpersönlich geführten, rasch aufgestellten Kampftruppe vermochten wir das Deck von ihnen unter spürbarem Blutzoll zu säubern. Einige Tote und zahlreiche Verwundete hatten wir zu beklagen, zu letzteren zählte auch ich. Einer jener Viecher hatte seinen rasiermesserscharfen Schnabel in meinen linken Arm gegraben, so dass für mich die Fahrt an Deck hiermit vorbei war.
Den Rest der Heimreise brachte ich auf dringlichen Wunsch des Schiffsarztes unter Deck – wer unseren „Doc“ kennt, der weiß, was das heißt: Wenn er sagt, du bleibst unter Deck und schonst dich, tust du gut daran, es zu tun, denn sonst wird es erst richtig hässlich!
Zu allem Übel bahnte sich kurz, nachdem ich unter Deck war und unter des Schiffsarzt Messer lag, ein Sturm an. Gerade da hätte man mich an Deck gebraucht, beim Barte des Klabautermanns. Letztlich verlief es jedoch glimpflich, schließlich wussten der 1. Maat und der Käptn, was sie taten, auch wenn ich mir schwertat, ruhig liegen zu bleiben und einfach nur darauf zu warten, was kommen möge.
Die restliche Reise verlief ohne jede nennenswerte Störung. Als wir in den Gestaden La Cabezas einliefen, hatten wir eine Bilanz von vier Toten und dreizehn Verwundeten – die meisten davon hatten sich Prellungen und Knochenbrüche beim Einsatz in den Wanten oder unter Deck zugezogen. Es war besser verlaufen, als gedacht: Alle Frischlinge kamen heil auf La Cabeza an, was mich sehr beruhigte. Nicht zuletzt wegen meiner Cousine und Jackys.

Die Freiheitsflotte, ihr voran die Toro de Muerte, war wieder in ihrem Heimathafen. Eine neue Saison von Kaperfahrt und Plünderung konnte beginnen!

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 Beitrag Verfasst am: 03 Nov 2011 19:46    Titel: Episode 7 - Auf Prisen-Jagd Teil 1
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Episode 7 – Auf Prisen-Jagd Teil 1: Angriff auf die Karavelle „Stahl“


Einträge von den Prisefahrten mit der Razee „Canarias“ zwischen Cirmiasum und dem 31. Ashatar 254
In den Gestaden süd-östlich von Gerimor



Wenige Wochen, nachdem meine Gefährtin und ich uns wieder zusammengerauft hatten, hatte es mich fort auf See gezogen.
Nicht mit dem Flaggschiff Toro de Muerte, denn das Schiff lag zu der Zeit sicher in der Bucht von la Cabeza vor Anker.
Auch nicht als Bootsmann des Flaggschiffs, sondern in einfachen Seemannsslops und Seesack auf den Schultern.
Denn nun, da die Vermählung mit Jacky vor der Tür zu stehen schien (*hier befindet sich eine Notiz zwischen den Zeilen: „Heute weiß ich es freilich besser, aber Jacky wäre nicht Jacky, würde sie es einem leicht machen.“) wollte ich mich noch einmal dem ungezügelten Abenteuer hingeben. Keine Schmuggelfahrt mit meinem Kutter oder den Schonern oder Manöver und Kaperfahrten mit der Toro de Muerte – nein.
Etwas viel ursprünglicheres!

Und so fand ich mich an einem warmen Abend im Mond Cirmiasum am Kai eines kleinen Schlupfwinkels der Bruderschaft mitten im östlichen Meer.
Die Insel hieß „El gañón“ - der Schlund.
Diese Bezeichnung kam nicht von ungefähr, denn einerseits besaß diese kleine Insel – kaum dreimal so groß wie die ehemalige Grabinsel vor Cabeza – eine herausragende Landmarke in Form einer tiefen kraterhaften Höhle in ihrem Zentrum, andererseits verschwand dort so mancher erbeuteter Reichtum.
Viele der Piraten, Schmuggler und Menschenhändler, die auf diesem Stützpunkt verkehrten deponierten regelhaft Teile ihrer Beute – seien es nun Goldschätze, edle Tücher, Hölzer oder Sklaven – in diesem tiefen Höhlenschlund. Ein regionaler Aberglaube, wie ich sehr wohl wusste. Und als guter Seemann, der ich war auch beherzigte, denn kaum war ich an Land gekommen, hatte ich einige Dukaten in das fahle Dunkel der Höhle hinab geworfen. Ein unheimliches Loch, das kein Ende zu haben schien, so lange fielen die Münzen, bis ich entfernt und leise ihren klimpernden Aufprall vernahm. Dann ein Platschen. Stille.
Ein leiser Schauer erfüllte mich auf dem ganzen Weg zurück zu eben dem Kai, an dem ich nun saß. Hätte ich nicht meine Amulette bei mir gehabt, ich hätte tatsächlich um meine Seele gefürchtet. Nun ja – wenn ich sie nicht durch Eid an die Toro de Muerte gebunden hätte. Sei's drum.
Woher das Brauchtum mit dem Höhlenopfer kam, konnte man sich vorstellen. Die Gründe waren eindeutig auszumachen:
1. Der Seemann ist die Sorte Menschenschlag, die den Aberglauben gleichsam einer Lebensauffassung pflegt und wacker gegen Unbill und Einflüsse durch „aufklärerische“ und halsstarrige Festländer verteidigt.
2. Wer sein Leben mit der See teilt, der lernt früh, dass sie einem Freundin, Geliebte, „Göttin“, Lebenssinn aber auch Tod sein kann. Da ist es nur natürlich, jede Form von Sicherheit im Vorfeld einer Fahrt zu absolvieren. Und wenn man verschiedensten Göttern und Geistern opferte? Was sollte es! Je mehr, desto besser.
3. Als besonderer Fall der Höhle von „El gañón“: Irgendwann würde irgendjemand sicher versuchen, die Höhle zu plündern. Fluch hin oder her! Da jeder hoffte, selbst einmal dieser Glückliche zu sein, warf man gerne Wertvolles hinein!

Das Dumme an dieser Erkenntnis war, dass die Punkte allesamt auf mich zutrafen, Seemann der ich war. Aber ich war nicht auf diesem Eiland, um düsteren Gedanken über Flüche und Bräuche nachzuhängen.
Der genuine Grund meiner Anwesenheit lief wenig später im kleinen Hafen, der aus einem einzigen Kai bestand, ein.
Die Kaper-Razee „Canarias“.
Das Schiff war ursprünglich einmal als Kampfschiff fünfter Kategorie mit über 40 Kanonen vom Stapel in La Cabeza gelaufen, hatte so manchen harten Kampf er- und überlebt, bis die Bruderschaft es schließlich an assoziierte Freibeuter weiterverkauft hatte. Bevor der Handel abgeschlossen wurde, hatte man allerdings ein Batteriedeck abgenommen, um einen wendigeren Eindecker mit knapp 20 Kanonen zu erzielen. Von Aufbau, Eindecker, und Bewaffnung her war die „Canarias“ ab dem Moment also eine Fregatte (wenn auch die meisten Fregatten oft bis zu 44 Kanonen besaßen!). Diese von Schiffsbaumeistern zumeist als „Razee“ bezeichneten zu Fregatten umgebauten Batterieschiffe hatten den reien Eindeckern gegenüber Vor- als auch Nachteile:
Da sie ursprünglich Schiffe mit mehreren Batteriedecks gewesen sind, warne sie deutlich massiver gebaut, als genuine Eindecker-Fregatten, besaßen dieselbe Wendigkeit und Schnelligkeit wie diese.
Andererseits lagen die Stückpforten ders einzigen Batteriedecks auch etwas niedriger, als bei den reinen Fregatten, was den Seekampf bei schwerer See komplizierter gestaltete. Nichtsdestotrotz konnte man größere Kaliber auf diesen Schiffen fahren, ihrer massiveren Bauweise wegen.
Alles in Allem also der ideale Schiffstypus für unsere assoziierten Freibeuter in den Weltmeeren: Schnell, wendig, feuerstark, stabil und besaß mit seinen gut 300 Mann Besatzung ausreichend Mannstärke für Entermanöver.



Nachdem die Razee angelegt hatte und vertäut war, begab ich mich mit meinem Seesack auf den Schultern zum Schiff. Das Löschen der Ladung hatte bereits begonnen und wurde von einem der Maate koordiniert: Münzgeld, Schmuck, kostbare Möbel waren darunter, vor allem aber Getreide, Fässer voller gutem Wein und haufenweise Pökelfleisch. Beute eben, wie sie die Regel für die „kleinen“ Freibeuter war, besaßen sie doch schlicht nicht die Feuerkraft und das Agenten-Netzwerk der Bruderschaft. Trotz allem waren sie nützliche Verbündete, wenn nicht eher zu sagen Werkzeuge: Denn es war nicht unüblich, unliebsame Kapitäne und ihre Schiffe zu opfern, sollten sie zu sehr danach streben vom Werkzeug zum Verbündeten aufzusteigen.
Auf dem Schiff eines dieser Kapitäne, freilich eines Mannes, der seinen Platz kannte, heuerte ich an diesem Tage an. So bekannt die Mannschaft der Toro de Muerte auch war, die verfluchten Männer des Piraten-Königs Raul Vincente Perera, dder Geißel der Meere... so weit im östlichen Meer gab es kaum jemanden, der mein Gesicht wirklich kannte. Um also nicht aufzufliegen, hatte ich meine Insignien als Bootsmann – Peitsche, Bootsmannsstab und -pfeife – sorgfältig im Seesack verstaut und die Narbe, die mir der Pakt mit dem Schwarzen Schiff eingebracht hatte gewissenhaft verborgen.
Was tat man nicht alles, um einmal wieder als normaler Seemann zur See zu fahren, ohne als der Bootsmann des Schwarzen Schiffes vom kriminellen Pack der Weltmeere erkannt zu werden. Außerdem gab es mir die Gelegenheit, die Effizienz unserer „Werkzeuge“ aus erster Hand zu überprüfen.
Der Maat hatte mich an Bord geschickt, wo ich mich im Mannschaftsbuch einschrieb und, ganz die Rolle des ahnungslosen Matrosen spielend, zu meinem Maat begab, um die Einweisung zu erhalten.
In derselben Nacht stachen wir in See.

Bereits wenige Tage nach der Abfahrt war mir klar geworden, dass die Freibeuter es nicht so ernst mit der seemännischen Ordnung nahmen, wie die cabezianichen Piraten der Bruderschaft. Die Wachen wurden schlampig geführt, Wachwechsel blieben biswielen sogar völlig aus. Das Schlagen der Glasen war ein Unding – die Glocke hatte nämlich einer der Matrosen schon vor Jahren versetzt, wie man mir sagte... an und unter Deck war das reinste Chaos: Die Taue nicht aufgeschossen sondern wirr in Haufen, die Planken faulig und zerschlissen und die Besegelung hatte ihre besten Zeiten offenkundig lange hinter sich.
Da wunderten sich diese Stümper noch, dass wir sie nicht als gleichwertig erachteten?
Was noch schlimmer war: Dieser miese Zustand wurde vom Käptn und seinen Offizieren nicht etwa eingedämmt, sondern gefördert! Entgegen der Ansicht vieler Landratten gab es auf den Schiffen der Bruderschaft eine harte Disziplin, die von Offizieren durchgesetzt wurde, denn nur aus ihr erwuchs Effizienz. Auf der „Canarias“ sah ich da jedoch schwarz. Der Käptn war ein paranoider Choleriker, der hinter jeder Ecke einen Meuterer vermutete. Sein 1. Offizier war schlichtweg unfähig ein Schiff zu navigieren und was meinen Bootsmann-Kollegen anging, der doch eigentlich die Disziplin aufrecht erhalten sollte: Ich hätte ihn am liebsten an Ort und Stelle den Kopf abgerissen!
Nach kaum zwei Wochen auf See lief ich schon auf heißen Kohlen und war drauf und dran, meine Tarnung auffliegen zu lassen. Als Bootsmann des Piraten-Königs hätte ich problemlos die Kontrolle übernehmen können. Doch ich tat es nicht, jedenfalls noch nicht, denn die Sichtung eines Segels an der Kimm hielt mich davon ab. Vielleicht tat ich ihnen unrecht und diese Stümper bräuchten nur einen richtigen Kampf, um zu Höchsform aufzufahren.
Wie sich herausstellte, gehörten di Segel zu einer Karavelle aus Drachenfels. Es war lange her, dass ich ein Handelsschiff aus meiner Heimat geentert hatte, so durchströmte mich eine ungewöhnliche Vorfreude, als der Käptn die „Canarias“ gefechtsbereit machen ließ.
Die Geschützmannschaften besetzten das Batteriedeck und luden die Kanonen, wobei sie vorerst nicht ausgerannt wurden und die Stückpforten geschlossen bleiben. Erst im allerletzten Moment würde man sie öffnen. Das hatte nicht nur den Sinn, Seewasser abzuhalten, sondern erwies sich allzu oft auch als erschütternder Anblick für den Feind. Oft genug war nach solch einer Zurschaustellung die Flagge kampflos gestrichen worden.
Ich selbst war bei den Enterkommandos gelandet und scherte mich nun nicht mehr um meine Tarnung. An meinem breiten Seemannsgurt hingen wieder Bootsmannsstab und neunschwänzige Peitsche neben Entermesser, Munitionstasche, Messer und Pistole. Zusätzlich hatte ich mir einen der Säbel aus dem Bordarsenal genommen und überprüfte sorgfältig dessen Schneide, während sich die Schiffe immer näher kamen. Die raubeinigen gesellen um mich herum ließen mich meine Zweifel an ihnen schnell vergessen; im Angesicht des nahenden Kampfes zeigte niemand von ihnen Furcht, sondern vielmehr Vorfreude und wachsame Erregung. Angst war nichts verkehrtes und weiß der Klabautermann, jeder an Bord einschließlich mir kannte sie, doch sich von ihr übermannen zu lassen war der sichere Tod in den dreckigen, gnadenlosen Kämpfen auf den engen Schiffsdecks dieser Weltmeere.
Als wir nur noch zwei Kanonenschußlängen von der Karavelle entfernt waren, ließ der Käptn die Flagge hissen: Eine Variation der schwarz-weißen cabezianischen Totenkopf-Flagge.
Das Handelsschiff reagierte erwartungsgemäß, indem es abrupt den Kurs änderte und volle Segel in dem Versuch setzte, zu entkommen. Die Drachenfelser hätten es gar nicht erst versuchen sollen! Die „Canarias“ lag besser am Wind und besaß einen schnittigeren Rumpf.. und so holte sie rasch und zügig auf. Hörbares Poltern unter Deck verriet, dass die Stückpforten geöffnet und die geladenen Kanonen ausgerannt wurden. Die letzte Warnung, ehe der Kampf beginnen würde!
Das mir unverständliche passierte – die Händler setzten Ersatzsegel, glaubten wohl, die könnten damit mehr Fahrt machen. Dachten diese armen Schweine wirklich, sie könnten entkommen und die Warnung in den Wind schlagen? Vielleicht ging dem einen oder anderen Händler sein Fehler noch auf, als die Hölle über sie herein brach.
„Feuer!“
Der Befehl des Käptns wurde unverzüglich von zehnfachem Donnern der abgefeuerten Breitseite geschluckt, begleitet von einem Poltern und Rumpeln, das durch Mark und Bein ging. Das geschäftige Schaben unter Deck verriet, dass sogleich nachgeladen wurde. Unterdessen lagen wir Enterkommandos hinter der Reling auf der Lauer und spähten zum vom Pulverdampf verhüllten Handelsschiff hinüber, von dem leise Schmerzensschreie herüber drangen. Langsam begann sich die Rauchwand zwischen den Schiffen aufzulösen und gab den Blick auf eine Schlachtbank frei: Der Gro0mast knickte eben in dem Moment zur Seite weg und riss die Takelung und zahlreiche Matrosen mit in die See. Das Mitteldeck der Karavelle war praktisch nicht mehr vorhanden: Ein Meer von Trümmern, Körperteilen, Verwundeten und Sterbenden. Nur auf dem Achterdeck hielten sich noch tapfere Verteidiger um den Käptn des Handelssschiffes aufrecht und unter Deck würden gewiss noch einige Widerstandszellen sein.
Was nun zu tun war, brauchte niemand befehlen – ich griff mir eines der vom Besanmast der zur Seite krängenden Karavelle hängenden lose geschossenen Taue und schwang mich ohne Federlesens zum feindlichen Achterdeck hinüber. Der erschrockene Blick des Kapitäns, der mir nichtsdestotrotz tapfer mit der Waffe in der Hand entgegen trat, weckten sämtliche Kampfgeister in mir.
Ehe mein Säbel den Leib des tapferen Kapitäns aufschlitzte, flogen schon die ersten Enterhaken zum Handelsschiff hinüber, damit das Enterkommando mit der Säuberung des Schiffs beginnen konnte.
Das würde gewiss ein kurzer, aber harter Kampf werden...


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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 04 Nov 2011 00:04, insgesamt 2-mal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 05 Apr 2012 16:01    Titel: Episode 7 – Auf Prisen-Jagd Teil 2
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Episode 7 – Auf Prisen-Jagd Teil 2: Übernahme und Heimkehr“


Einträge während Prisefahrten mit der Razee „Canarias“

Zwischen dem 31. Ashatar 254 und Cirmiasum und Wechselwind 255
In den Gestaden süd-östlich von Gerimor und in den Gestaden La Cabezas



Der Kampf war in der Tat ein harter und kurzer gewesen.
Nachdem der Kapitän und das Gros seiner Offiziere gefallen, das Oberdeck und Zwischendeck geklärt worden waren, hatte der dritte Offizier der „Stahl“ seinen Säbel übergeben und die Flagge streichen lassen. Überbordender Jubel hallte aus unzähligen Kehlen aufs Meer hinaus.
Die Vorgänge danach waren routiniert und jedem bekannt, der daran teilnahm:
Die „Stahl“ wurde ausgeschlachtet – alles an beweglichem Gut, was nicht für die Heimfahrt der Prise benötigt wurde, ging über auf die „Canarias“. Es stellte sich heraus, dass die Ladung des drachenfelser Handelsschiffes aus wertvollen Stoffen, Säcken voller Getreide und Tee.
Zusammen mit der Prise war abzusehen, dass sich ein ansehnliches Prisengeld herausschlagen ließ. So waren die Männer der Canarias guter Dinge und ließen nur die wenigsten Drachenfelser über die Klinge springen – ein Großteil der Mannschaft dürfte auf der Canarias anheuern und künftig auf eigene Kosten fahren. Mir, der ich meine Tarnung hatte fallen lassen, übergab man das Handelsschiff ohne Federlesens, um es mit einer Prisenmannschaft aus Canarianern nach La Cabeza zu überführen. Zusammen mit einem Bericht über die Effizienz der Freibeuter.
Die Bruderschaft musste schließlich stets auf die Effektivität ihrer Assoziierten achten.

An Bord der Karavelle „Stahl“ fuhr ich schließlich mit 30 Mann Prisenbesatzung Wochen später in die Lagune von La Cabeza ein und ließ an einem der Stege des Hauptpiers festmachen.
Mein Weg führte mich von da an wieder in den heimischen Gewässern umher.

Einige Schmuggelfahrten und Kreuzen im Umfeld des Südmeeres, bereits im Jahre 255 später wollte ich mich wieder verstärkt der Ausbildung der Matrosen der Toro zuwenden.
Unser Flaggschiff hatte aufgrund ihres Fluchs und häufiger Einsätze ohne Rücksicht auf Verluste einen hohen Durchsatz bei der Crew. Gewiss, viele Brüder und Schwestern fuhren auf ihr einige Monde zur See, um ausgebildet auf assoziierte kleinere Schiffe zu wechseln. Viel mehr noch starben jedoch auf See.
Dadurch war stets ein hoher Anteil an relativ unerfahrenen oder zumindest nicht aufeinander eingespielten Matrosen an Bord, die jedes Jahr zur Zeit der Frühlingsstürme Kopfzerbrechen bereitete und harte Arbeit erforderte.
So auch dieses Jahr. Die Lage war denkbar schlecht.
Die Disziplin innerhalb der Mannschaft ließ zu wünschen übrig. Man soff und hurte nach Belieben, hing mehr in den Spelunken herum, als auf den Schiffen und tat überhaupt wenig, um sich fit zu halten. Eines Abends im Weinkeller platzte mir da der Kragen. Ich wollte eine Schießübung mit den Matrosen machen, um gerade den vielen frisch hinzugekommenen Männern und Frauen – darunter Raissa, die solide Seeerfahrung aufwies und Naurin – die Materie näher zu bringen. Je eher man damit begann, desto besser… und je näher an der Saison, desto besser. So blieb es frisch und abrufbereit, wenn es erst einmal ernst wurde. Wenn ich jedoch gedacht hätte, dass die „Kinners“ spurten, hatte ich mich getäuscht! Der Erste Maat Gracia und ich stießen auf eine Mauer von Ignoranz, schallenden Schacherns und Konversation. Ein im Keller ohrenbetäubend wiederhallender Schuss mit der Pistole gab mir letztlich die erwünschte Aufmerksamkeit und so jagte ich den Sauhaufen fort von Rum und Faulenzerei hinaus an die Küste.
Mit der Barkasse ging es hinaus zur Toro de Muerte, die ihres Tiefgangs wegen am äußersten Rand der Lagune vor Anker lag.
Um die Sache einfach zu halten, ließ ich die übliche Kommandostruktur außen vor und wollte mich auf das Erklären der Abläufe und praktisches Schießen beschränken. Mit den leichten Stücken auf dem Oberdeck, die einfacher zu bedienen waren, sollte der Abend heute zugebracht werden.
Es waren denn also zwei Batterie-Schichten, die ihre Schüsse unter den wachsamen Augen Gracias und mir abfeuerten, hier und da wurden Verbesserungsvorschläge angebracht, selten gerügt (häufig vergaßen sie gerade das Ausrennen der Lafette, die Folgen für die Kameraden im Falle des Abfeuerns wären verheerend gewesen!). Das würde alles noch kommen, wenn sie die Abläufe blind beherrschten. So wie Alessio und Leandro, die schon oft genug die Drachenrohre hatten bedienen müssen.
Freilich war das Nachtschießen ein schwieriges Unterfangen und so war es kein Wunder, dass keine der Batterie-Crews einen Treffer in das Riff, das ich als Trefferzone deklariert hatte, verbuchen konnte. Nahe war man tatsächlich gekommen, doch mehr auch nicht. Erfolgreiche Entfernungsschüsse traute ich, wenn ich ehrlich zu mir selbst war, auch nur dem 1. Kanonier Sebastiano zu. Sie waren auch nicht das, worum es hauptsächlich ging: Im Falle einer Kaperfahrt musste die Mannschaft ihre Kanonen schnell und auf kurze bis mittlere Distanz effizient abfeuern können, schnell vor allen Dingen. Geschwindigkeit war alles, um die Takelung und Decks des Opfers zu klären. Der Rest war ohnehin blutige Arbeit des Enterns.

Auf Geschwindigkeit zu gehen, davon konnte man unterdessen nur träumen. Noch waren die Abläufe nicht in allen Köpfen fest verankert, gab es Verbesserungsbedarf bei den Handgriffen und dem Zielen. Das Gefühl für diese Waffen musste erst erlernt und, ja, gelebt werden.
Das brauchte Zeit.

Abschließend muss ich meine Einschätzung bestätigen, die ich in das Logbuch eingetragen hatte.
Die Kameraden mussten wieder mehr gefordert und regelmäßig gedrillt werden, um ihnen das Gemeinschaftsgefühl zu geben, dass sie brauchten. Gewiss, sie fühlten sich alle als Cabezianer, doch auch als Kameraden zur See?
Die Disziplin hatte jedenfalls über den Winter sehr schwer gelitten; träfe ich mit der diesjährigen Mannschaft auf ein vollgetakeltes Kriegsschiff aus Alumenas würden wir es zwar versenken, das war schließlich das Schwarze Schiff, doch unter beträchtlichen Verlusten. Überdies würde man sich vor dem Käptn blamieren….
Ehe ich das tat, würde ich intensiv von der Neunschwänzigen Gebrauch machen.

...Und es trotzallem mit Humor sehen:
Sagt der Walfisch zum Thunfisch: "Was sollen wir tun Fisch?" - "Du hast die Wahl Fisch!"

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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 05 Apr 2012 16:14, insgesamt 3-mal bearbeitet
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 19 Aug 2012 14:53    Titel: Episode 8 – Vorbereitungen
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Episode 8 – Vorbereitungen


19. Ashatar 255
In den Gestaden La Cabezas



Der Ruf war endlich wieder ertönt. Der Käptn und sein Schwarzes Schiff riefen nach uns, den Verfluchten, den gebundenen Seelen im Pakt des Blutes.
Denn die Toro hat schon seit Monaten keine offene See mehr gesehen, so dass sowohl Schiff, als auch Crew an Seetüchtigkeit eingebüßt hatten. Im Falle des Schiffs war das eher metaphorisch zu sehen, denn die Toro war kein Schiff, wie man es kannte… Seeuntüchtig würde sie niemals werden, ihr Rumpf niemals durchfaulen, ihre Segel niemals eine Flaute spüren, noch das Ruder brechen. Wenn wir uns, geneigter Leser, der Mannschaft zuwenden, sieht das Bild freilich anders aus. Ich hatte mich ja bereits im Frühjahr über die Problematik des hohen Durchsatzes ausgelassen, und es würde gewiss so lange weiter bestehen, wie das Schiff Bestand hatte – ein ewiger Kreislauf.
Jener Kreislauf sollte in Bälde neuen Antrieb erhalten; und das in der einzigen Form, in der er ihn erhalten konnte: Durch frische Seelen.
Der Käptn gedachte nicht einfach nur auf Kaperfahrt und Abenteuer auszulaufen – Nein. Er wollte einen Coup wiederholen, den er schon oft durchgeführt hatte; außerplanmäßig sollte es Gaunern, Halunken, Dieben, Verlorenen und Glücksrittern… all dem Pack, das die verdorbene Gesellschaft der Landratten hervorbrachte ermöglicht werden, anzuheuern. Da galt es natürlich, Vorbereitungen zu treffen.
Seit meiner Beförderung zum Ersten Offizier – oder, wie man es in der cabezianischen Freiheitsflotte nannte: Erster Maat – des Käptn Raul Vincente Perera hatte der Verwaltungskram mich nahezu erdrückt. Pflicht war nun mal Pflicht.. und wenn der verfluchte Käptn rief, musste man folgen, ob man wollte oder nicht. Ich wollte, denn Perera war ein genialer Seemann und der grausamste Mensch, den ich kannte (offen gesprochen, sofern er überhaupt einer war!). Ich zollte ihm Respekt. Und so hielt ich die Arbeit, bürokratischen Mist (den es, welch Wunder, selbst bei den Piraten gab. Das würde so manche Landratte sicher niemals glauben) und Querelen mit den Offizieren und der Crew so gut es ging von ihm fern.
Rasch hatte ich in meinem Kameraden Alessio Moranys einen Nachfolger als Botsmann gefunden, bei dem ich wußte, dass er die neunschwänzige Katze schwingen würde, wie kein Zweiter. Der junge Kamerad Leandro Aviaro Santos löste den verstorbenen Steuermann am Ruder ab, er war ein echtes Naturtalent in der Nautik und würde mir und dem Käptn gute Dienste leisten.
Was die Crew anging, so hatten wir die übliche Spanne von altgedienten Seebären wie Santiago dem Mohren oder dem 1. Kanonier Sebastiano, bis hin zu den unerfahrenen Matrosen dieses Frühjahrs. Jedoch würden selbst die Letzteren den baldigen Neuzugängen einiges an Kenntnissen und Fertigkeiten zur See voraushaben… der geneigte Leser, der womöglich auch aus der Seemannschaft stammt, wird mir mein Leid nachfühlen können. Das würde eine harte und nervenaufreibende Woche mit den Frischlingen werden! Ich konnte froh sein, wenn die Leichtmatrosen die Segel reffen konnten, ohne sich dabei die Finger abzuquetschen!

Die Crew war das eine, die Vorräte das andere. Auch ein Schiff, wie die Toro de Muerte brauchte ab und an Reparaturen, so selten das auch vorkam: In diesem Sinne hatte ich dem Schiffszimmermann Falco Pendri angeordnet, die Lagerbestände an Holz in allen nötigen Maßen aufzufüllen. Ich selbst war erst heute auf Lameriast gewesen, um mir bei den Thyren Segeltuch zu besorgen, denn diese Wilden waren zwar.. nun ja, halbe Wilde.. aber sie produzierten hervorragendes Segeltuch!
In enger Zusammenarbeit mit dem Quartiermeister Lorenz ging ich in den letzten Tagen also Schritt für Schritt die Lagerbestände durch: Holz, Werg, Taue, Tampen und andere Ersatzteile waren nun abgehakt. Die Funktionalität des Schiffs war gesichert; jetzt fehlten nur noch Proviant und Süßwasser.
Das Fassen des Letzteren wollte Lorenz persönlich übernehmen… das hieß, dass es spätestens morgen Abend erledigt war, denn er Mann war ein echter Sklaventreiber – im wahrsten Wortessinne; er hielt sich eine Heerschar von Sklaven, um die Schiffe der Freiheitsflotte mit Proviant und Wasser zu beladen, wann immer dies nötig war. Ein interessantes Detail zur Toro war, dass ich von „unserem“ Zwergen Dolgan nigelnagelneue Wasserzisternen in die Bilge hatte einbauen lassen; von ihm und mir entworfene, neuartige Modelle, die den Wasserverlust im Vergleich zu den Vorgängern deutlich reduzierten.
Proviant wollte zwar auch der Quartiermeister Lorenz besorgen, vor allen Dingen war das aber ein Feld, das mein Freund und ehemaliger Gouverneur La Cabezas, Vallas Amarth bestritt. Denn er war wie gehabt Smutje an Bord; nicht unbedingt ein Gourmet, aber man konnte essen, was er auf die Tische in der Messe stellte.

Alles in Allem war ich zuversichtlich, dass der Proviant als letzte Maßnahme pünktlich zur Abfahrt an Bord wäre.

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 Beitrag Verfasst am: 23 Aug 2012 15:16    Titel: Episode 9 – Die Schatzsuche Teil 1: Anker lichten!
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Episode 9 – Die Schatzsuche Teil 1: Anker lichten!


22. und Nacht auf den 23. Ashatar 255
In den Gestaden La Cabezas und im Südmeer



Das war verdammt nochmal meine erste Abfahrt, die ich unter Deck verbrachte! Das Schlimmste daran war, dass ich es mir selbst auferlegt hatte…
Als erster Offizier hatte ich das Schiff am Laufen zu halten und möglichst viel Unbill vom Käptn fernzuhalten, aye… und devot wie ich war, hatte ich mir deswegen ordentlich Arbeit aufgehalst.
Während nämlich der Käptn die Abfahrt an Deck koordinierte und meinen Bootsmannsnachfolger Alessio auf Herz und Nieren prüfte, saß ich unter Deck in meiner Kajüte und kämpfte mich durch Unmengen an Seekarten, Strömungskarten, Logbucheinträge und Seehandbücher, um sicherzustellen, dass wir auf sämtliche Eventualitäten vorbereitet waren. Der Käptn war der Seemann schlechthin, gewiss, und Raissa, die an die Karte gekommen war, die uns Reichtum versprach, war keine schlechte Navigatorin... doch ich fuhr zu lange zur See, als dass ich mich auf andere verließ – ob sie nun mein Käptn oder Untergebene waren.
Es wunderte also nicht, dass ich wenig bis gar nichts von dem mitbekam, was an Deck passierte, denn ich hatte die Weisung erteilt, mich nur im Notfall zu alarmieren und ansonsten die Kajüte nicht zu betreten. Ich wollte meine Ruhe, um zum Wohle des Schiffs und meiner Crew zu arbeiten. Diese Arbeit, oder eher Suche nach der Nadel im Heuhaufen, dauerte den ganzen Tag und gute Teile der Nacht: Am Ende hatte ich einen Haufen Notizen und konnte mir sicher sein, so ziemlich jede Untiefe, Strömung und Winde zu kennen, auf die wir während unserer Reise vermutlich treffen würden.
Irgendwann während des späten Abends hatte der Tisch in meiner Kajüte angefangen, von den Erschütterungen der Kanonen zu vibrieren. Prompt hatte ich mir Wachspfropfen von der Kerze, die den Raum erleuchtete, in die Ohren gesteckt; entweder ließ der Käptn die Männer und Frauen an den Kanonen exerzieren oder man bekämpfte eine Prise, Feind…was auch immer. Jedenfalls beunruhigte es mich keineswegs, so dass ich es nicht für müßig hielt, meinen Posten zu verlassen. Perera und Alessio würden das Schiff heute auch ohne mich schaukeln.

Gegen vier Uhr Nachts löste ich mich von der Arbeit und zog mich deckfertig an, ehe es hinauf aufs Achterdeck ging. Kurz, nachdem ich das Achterdeck betreten hatte, schlug die Schiffsglocke zu 8 Glasen der vorherigen Wache an – meine Wache begann und würde acht Glasen bis in den Morgen dauern. Ich stellte mich vorne an die Reling des Achterdecks und überblickte das Schiff… während die üblichen Manöver vollzogen wurden, die eine Deckwache die andere ablöste, um hinab unter Deck in ihre Hängematten zu verschwinden. Vier Stunden Schlaf, bevor es wieder heißen würde „Alle Mann!“.
Die Toro lag ruhig in der See und hatte einen klaren Kurs; ich rief den Rudergänger und einen Maat zu mir, um den aktuellen Kurs zu klarieren und den Befehl zu geben, das Log auszuwerfen. Die üblichen regelmäßigen Ansagen des Maats folgten, der das Log führte…immerhin, gemütliche 9 Knoten. Bei ruhigem Wind und der gegenwärtigen Segelfläche zufriedenstellend. Schließlich trug ich die Position des Schiffs, die ich in Ermangelung der Sonne um diese Tageszeit schätzungsweise anhand der Geschwindigkeit und anliegendem Kurs errechnet hatte, in das Logbuch ein. Dann ging es wieder auf Station.
Bis der Morgen vollendet wäre…



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 Beitrag Verfasst am: 27 Aug 2012 15:05    Titel: Episode 9 - Die Schatzsuche Teil 2
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Episode 9 – Die Schatzsuche Teil 2: Wenn man Gorgonen und Harpien kreuzt


24.-26. Ashatar 255
Weitab im Südmeer, auf Layross und in den Gestaden La Cabezas



Die Tage vergingen wie im Fluge, gingen ineinander über, jeder glich dem vorherigen und dem kommenden. So war der Alltag auf See – ich liebte diese Art, zu leben, denn die Regeln waren klar, die Aufgaben von jedem einzelnen ebenso.
In der Mannschaft sah man es aber offenbar teilweise ein wenig anders. Während der Zeit auf See hatte ich durch die Bank mit den kleineren und größeren Problemen eines ersten Offiziers an Bord eines großen Kaperschiffs zu kämpfen: Neue Matrosen wussten noch nicht so recht, wie ihnen geschehen war und mussten alten Seebären, wie Bartos und Gonzales, an die Hand gegeben werden, um sicherzustellen, dass sie sich nicht gleich am ersten Tag den Hals brachen. Man musste mit frisch ernannten Offizieren arbeiten, die nur teilweise ihre Position in der Hierarchie kannten und oft erst noch lernen mussten, ihre eigene Person hinten an zu stellen. Und zu allem Übel machte sich der Käptn wieder rar und schloss sich in seiner Kajüte ein, um irgendeinem vermaledeiten Ritual nachzugehen, weswegen ich obendrein einen großen Ritualkreis aus Knochenmehl, Blut und anderem Seeschlangen-Kadaver mitten auf dem Oberdeck tolerieren musste. – Ganz und gar nicht seemannschaftlich, alles in allem!
Es ist daher nicht verwunderlich, dass ich als Stellvertreter des Käptns an seiner statt von achtern nach mittschiffs, von steuerbord zu backbord, vom Achterdeck zu irgendeinem Unterdeck und zurück, manches Mal auch in den Wanten selbst hin und her eilte, immerzu in professioneller Hast. Denn auf See konnte man nichts dem Zufall überlassen und schon gar nicht trödeln! Windrichtungen konnten sich jederzeit ändern, Stürme kommen und gehen… da hieß es, keine Minute zu verlieren.
Eben diesen Drang zu professioneller, korrekter Ausführung von Befehlen und Tätigkeiten an Bord war noch für viele der neuen Matrosen nicht unbedingt heimatlich. Deswegen wunderte es mich nicht, hier und da Flüche auf meine Person zu hören oder missmutige Gesichter zu sehen. Nichts Beunruhigendes… denn mit der Zeit würden sie sich wie die alten Seebären daran gewöhnt haben und selbst korrekt, schnell und effizient sein. Und ungenaues, langsames und ineffizientes Landratten-Gehabe wie die Pest hassen.
So wie ihr erster Offizier.

Letztlich lief aber alles seinen geregelten Gang, was meinen Offizieren, dem Steuermann Santos (ein echtes Genie in der Nautik) und der resoluten Navigatorin Raissa zu verdanken war, die mir so manches Mal die notwendige Luft ermöglichten, die ich für den Kram brauchte, der sonst des Käptns Aufgabe war. Der Ruf des Ausgucks verhieß uns am zweiten Tag der Fahrt, überraschend schnell also – was an der ausgemachten Schnelligkeit und Seetüchtigkeit der Toro liegen dürfte – die Schatzinsel, nach der wir trachteten.
Wir gingen gut neunhundert Yards vor der Insel vor Anker, so nah wie es uns das Korallenriff erlaubte, welches sie umgab. Rasch war eine Landungstruppe zusammengestellt und eine Barkasse zu Wasser gelassen. Während meine Navigatorin Raissa das Ruder übernahm und die Matrosen an den Riemen Platz nahmen, begab ich mich ins Heck des Bootes und klappte mein Fernrohr aus.
„PULLT IHR HUNDE!“, kam bellend mein Befehl und da schoss die Barkasse wenig später im schneller Fahrt auf die Insel zu, deren Küstenlinie ich mit meinem Fernrohr ausspähte.
An Bord zurück blieb der Steuermann Santos mit der übrigen Mannschaft, um über das Schiff zu wachen und uns den Rücken freizuhalten.
Wir waren kaum hundert Yards gerudert, da erfasste die Barkasse eine unerwartet heftige Strömung, die uns nahezu ohne Eigenaufwand zur Insel trieb. Das würde eine harte Arbeit werden, das Boot wieder zum Schwarzen Schiff zu pullen.
Dann landeten wir an.
Die Küste war mir während der Anfahrt nicht verdächtig vorgekommen, nichtsdestotrotz schwärmten die Kameraden aus, um jene zu decken, die das Boot sicher an Land zogen. Keiner wollte schließlich, dass es von der Tide hinaus in die See gesogen wurde – ohne uns.
Mit Entermessern ging es der verwilderten Umgebung an den Kragen, als wir uns in einer langgezogenen Kolonne den Weg durch das Dickicht schlugen. Ins Landesinnere, wie ein Blick auf die Karte nahegelegt hatte. Einige hundert Schritt später tauschten wir die schwüle Hitze im hohen Gras und Dickicht, versucht mit Stechmücken und anderem Geziefer, mit der feuchten Kühle von dichtem Urwald. Kein ungewohntes Klima, denn auf La Cabeza war es nicht anders.
Nur irgendetwas war merkwürdig, seit dem Moment an, da wir Fuß auf das Eiland gesetzt hatten.
Schließlich sprach es einer von den Männern aus: Es herrschte allenthalben eine Totenstille. Und tatsächlich – kein Singen aus unendlich vielen Vogelkehlen oder andere Laute von Getier, wie man es sonst kannte. Stille, als hätte das Leben, was über Stechmücken und Geziefer hinausgeht, hier keinen Platz.
Raissa hatte aus der Karte und Notizen herausgelesen, dass wir es mit Basilisken oder Gorgonen zu tun bekommen könnten – dass sie mit der Totenstille in Verbindung stehen könnten, bewies eine Vielzahl versteinerter Tiere, auf die wir zunehmend stießen. Nach einer Weile des Wanderns fanden wir einen alten Tempel, der zu einem guten Teil schon vor langer Zeit eingestürzt war und dessen Gelände sich der Urwald zurückgeholt hatte.
Die Bauart dieser Anlage war mir nicht unbekannt, man fand sie oft auf Inseln im äußersten Rand des Südmeers, nur der figürliche, wie ikonographische Dekor war mir unbekannt und neu. Mit Schrecken erkannte ich bei der näheren Begutachtung des Tempelinneren, dass die Statuen keineswegs Dekor, sondern im Moment höchsten Lebens zu Stein erstarrte Menschen waren! Die Mannschaft suchte das Tempelinnere nach dieser Erkenntnis mit umso vorsichtigerer Genauigkeit ab – da wurden Wände auf der Suche nach Hohlräumen abgeklopft, Bodenplatten untersucht… aber auch der Eingang geschützt. Bei aller Gier nach Beute wollten wir ja doch alle wieder heil aus der Sache heraus kommen!
Selbst das Wasser in dem zentralen Brunnen war zu Stein erstarrt… überhaupt war die Brunnenanlage äußerst prominent positioniert. Der Vollmatrose Bartos war es, der einen Luftzug an der Bunnenfassung bemerkte. Ein Tunnel? Nachdem ich eine kleine Statuette im hinteren Teil des Raumes von ihrem Podest gehoben hatte, vernahm man ein Klicken. Ein Blick zu Raissa, die an der gegenüberliegenden Statuette stand genügte… wir hoben sie gemeinsam erneut an. Zweimal ein Klicken… und da gab der Brunnen den Weg hinab frei.
Durch einen dunklen Tunnel ging es via Tauen einige Fuß hinab. Vor uns eröffnete sich ein weitläufiges Tunnelsystem, das wir im Fackelschein und wachsam durchquerten. Überall fand man arme Seelen vor, versteinert im Moment von Furcht, Kampf oder Überraschung. Lebensmomente, auf ewig festgehalten.
Festhalten wollten einige Kameraden auch einen reichen Goldschatz, den sie auf dem Weg fanden.. und da es ihr gutes Recht war, Beute heimzubringen, ließ ich sie. Wir gingen weiter… und kamen schließlich in einen großen Raum, der sich um einen Thron herum befand. Auf diesem Thron saß…. Eine Gorgo! Und um sie herum – unzählige weitere Versteinerte, viele davon eindeutig in Seemannskleidung. Eines der Gesichter, von einem jungen Mann, kam sogar entfernt vertraut vor.
Raissa bildete seitdem wir im Tunnel waren die Vorhut.. und so war sie es, die den übermütigen Medras vor dem versteinernden Blick der Gorgo retten wollte, die uns natürlich längst entdeckt hatte. Die Mannschaft der Toro de Muerte schwärmte aus, nahm hinter den Versteinerten und Ecken Deckung vor dem Gorgonen-Blick… und der Kampf nahm seinen Lauf.
Zäh und hart war er, kaum einer blieb unverletzt und am Ende waren es der Gorgonen mehrere, die von unzähligen Entermesser-Hieben und Kugeln aus meiner Muskete und den Pistolen der Kameraden getroffen vernichtet wurden. Da zeigte sich mir, weshalb mein Freund und Smutje Vallas in Raissa seine neue Frau gefunden hatte – sie war eine reinste Furie… überdies, kein einziger der Kameraden machte mir Schande an diesem Tag; sie alle kämpften wie man es von Pereras Pack erwartete! Im Kampfgetümmel hatte auch einer der Versteinerten seine Existenz ausgehaucht, nunmehr ein ekliger Fleischhaufen, nachdem der Fluch durch den Tod der Gorgonen gebrochen worden war.
Es stellte sich heraus, dass das bekannt erscheinende Gesicht zum verlorenen Sohn des Alten gehörte: Juan Aurelio Perera. Jetzt war auch klar, was ihm und seiner Mannschaft vor fünf Jahren zugestoßen war.
Von seinen Leuten war nur noch ein Bruchteil übrig… und so machten wir uns nach einem raschen und oberflächlichen Plündern der Gewölbe daran, einen Weg hinaus zu finden. Ein Matrose namens Djarmon konnte letztlich helfen… und so ging es endlich wieder an die frische Luft.
Mit deutlich mehr Männern, als zuvor, kehrten wir auf das Schwarze Schiff zurück.
Ich teilte die Männer und Frauen in die Mannschaft ein und ließ die Anker lichten, Segel setzen und das Schiff auf Kurs nach La Cabeza bringen. Es gab keinen Grund mehr, länger vor dieser verfluchten Insel zu liegen.
Danach wurde den ausgemergelten Leuten vom jungen Perera eine Auszeit gegönnt, die sie bitter nötig hatten. Fünf Jahre waren an ihnen vorübergezogen, fünf Jahre ihres Lebens gestohlen worden. Einige, wie eine gewisse Nameha, hatten offenbar geistig darunter gelitten (wie sich später herausstellte, nur temporär), andere fanden sich rasch wieder ein.

Die letzten Tage auf See verliefen nahezu ohne Zwischenfälle. Die Leute des jungen Perera arbeiteten an Bord, wie es jeder zu tun hatte, der mit uns fahren wollte. Die Sonderbehandlung hatte mit dem Weckruf zur morgendlichen Musterung geendet.
Ein einziger Zwischenfall trat noch am Tage der Ankunft vor La Cabeza auf: Ein Harpien-Angriff, ungewöhnlich für die Breiten in denen wir segelten. Zum Zeitpunkt des Angriffs war ich unter Deck und schlief meine vier Stunden zwischen den Wachschichten… der Lärm hatte mich zwar geweckt und alarmiert an Deck eilen lassen, jedoch war der Angriff da schon abgewehrt worden. Einige Harpienkadaver lagen auf dem Deck verteilt und so mancher verwundeter Seemann lag oder stand lethargisch herum. Darunter auch einer meiner Offiziere, Raissa… und zahlreiche wertvolle, weil fähige, Seeleute wie Bartos. Zu meiner Erleichterung hatte es weder meine Frau Jacky, noch meinen Sohn Esteban ernsthaft erwischt… und so tat ich das, was ich tun musste: Mit der angebrachten Eile wurden Gruppen eingeteilt, um die Verwundeten unter Deck zu schaffen und zu versorgen. Raissa trug ich selbst hinab, um mit gutem Beispiel voran zu gehen. Ich bleib nie lange an einem Ort, hetzte und wetzte wieder einmal von hier nach dort, damit alles glatt lief.
Die Verwundeten waren kaum halbwegs versorgt, da musste ich schon alle zur Verfügung stehenden Hände an Deck rufen, um das Schiff für die Ankerung vor La Cabeza bereit zu machen. Die verwundete Raissa ließ es sich nicht nehmen, ihre Station am Ruder zu übernehmen und so steuerten wir das Schiff sicher durch die cabezianichen Riffe, die nur wenige in ihrem wunderlichen Eigenleben kannten. Mit Handlot und dem letzten Rest meiner Stimme bewaffnet dirigierte ich in enger Zusammenarbeit mit dem Ausguck und dem Ruder die schwierige Fahrt… und endlich hatten wir das Riff hinter uns gelassen und konnten das Schiff in den Wind drehen, um zu ankern und die Segel einzuholen.
Nachdem wir einige Beiboote zu Wasser gelassen hatten, wurden zuerst die Verwundeten und die Beute an Land geschafft und dann die übrigen Mannschaftsmitglieder. Zuletzt ging ich von Bord und übergab nach der Landung baldmöglichst dem Hafenmeister die notwendigen Anweisungen, um die Schiffswache an Bord zu schicken.

Dann ging es nur noch an zwei Orte:
In Alessios Weinkeller, um frischen Rum zu besorgen und den sich dort einfindenden Kameraden für ihre gute Arbeit zu danken… und heim ins Krähennest, zu meiner Familie.

Eine weitere Fahrt unter der cabezianischen Flagge hatte ein gutes Ende gefunden.

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 Beitrag Verfasst am: 22 Okt 2013 18:28    Titel: Episode 10 – Zweibeinig hinaus, einbeinig zurück
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Episode 10 – Zweibeinig hinaus, einbeinig zurück

Eisbruch bis Ende Goldblatt 256
Auf La Cabeza, den alathairischen Meeren und Küsten



Du weißt, dass du ein echtes Problem hast, wenn das einzige, das dich vom Tod durch Ertrinken und dem Überleben trennt eines deiner eigenen Beine ist. Dein verfluchtes rechtes Bein, das zwischen dem Hundsfott von Ruder und der Drecksbordwand feststeckt! Und das bei einem Kutter, der gerad absäuft, als wolle er einen neuen Rekord im Erreichen des Meeresgrunds aufstellen!
Man kann sich vorstellen, wie wenig erbaut ich über diesen Umstand war, zumal Ersaufen – und das im eigenen Kahn – nicht gerade zu meinen bevorzugten Wegen galt, abzutreten.
Und während ich da also wie ein Schwachsinniger am Ruder herumpullte und –zerrte entschied sich das Schicksal, noch mehr Schindluder mit mir zu treiben. Massives Eichenholz war gewohnheitsgemäß stabiler, als Fleisch, Sehnen oder Knochen. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Kanonenschlag – als ich am eigenen Leib erfuhr, dass auch ein halb ertrunkener Einbeiniger ein nixengleicher Schwimmer sein konnte.
Als ich mit nach Luft gierenden, beinah berstenden Lungen die Oberfläche durchstieß, wurde mir klar: Das war die schlechteste Schmuggel-Fahrt, die ich je unternommen hatte! Schiff weg, Jungs tot, und um mich stand es nicht viel besser. Zumal, wenn man bedachte, dass die Häscher des Königs mir dicht auf den Fersen waren. Nur wegen diesen Lackaffen war ich erst in den Sturm manövriert! Abhängen wollte ich diese unfähigen Landratten, da ich mir bewusst war, dass sie in Sachen Nautik mir nicht das Wasser reichen konnten. Was ich dabei außer Acht gelassen hatte, war, dass mein alter Kutter dem Sturm nicht gewachsen war. Nun ja. Man konnte nicht ewig Glück haben. So war ich eigentlich sogar ganz froh, dass mich die vermaledeiten Königstreuen in der aufgewühlten See fanden, mehr tot, als lebendig. Wenigstens fühlte ich den Schmerz des abgetrennten Beins nicht vor Erschöpfung.
Das sollte sich an Bord des Reichsschiffs ändern. Ein kleiner, wendiger (jedenfalls für alumenische Verhältnisse) Drei-Master von guter Lage am Wind mit einem ehrgeizigen jungen Kapitän. Ein Kerl, der seine Männer bedenkenlos für den eigenen Aufstieg opferte. Genau die Sorte königstreuer Seeleute, die unser Geschäft so gefährlich machten. Ich hasste ihn vom ersten Moment an.
Der Schiffsarzt, zu dem man mich brachte, war keine große Überraschung. Er hatte den Auftrag, mich so weit zusammenzuflicken, dass ich die Heimfahrt und den Prozess überstünde. Eine Aufgabe, der selbst ein Bader (denn mehr war dieser „Arzt“ nicht, nicht unüblich auf See) gewachsen war. Eine Nacht voller Agonie, ungebührlichen Flüchen, die jede Edeldame hätten erröten lassen und einige ermattete Stunden Schlafs später fand ich mich in der Brigg wieder, ordentlich angekettet und sporadisch verpflegt. An dieser kargen Unterbringung änderte auch die Ankunft im Hafen nichts (den Kapitän Ehrgeizling sah ich dort zum dritten Mal auf der ganzen Fahrt, das erste Mal durch mein eigenes Fernrohr, das er mir übrigens beim zweiten Aufeinandertreffen unter des Baders Messer abgenommen hatte). Eisenketten, miefige, stinkende Zelle, schlechter Fraß. So wartete ich auf meinen Prozess. Und alles nur wegen einem Informanten, der sich von zwei Seiten bezahlen ließ! Das konnte die Bruderschaft besser! So eine Schande!
Wenigstens konnte ich mir gewiss sein, dass meine Frau nichts davon erfahren würde, ehe es zu spät wäre. Sie würde trotz unserer zurückliegenden Probleme alles versuchen, meinen Hals vom Strick zu schneiden, ehe ich den Todestanz vollenden könnte. Nur wäre das auch ihr Tod. Keine Option.
Die Optionen gingen mir in diesen düsteren Tagen von Fieber, Wundbrand (mein Beinstumpf hatte noch während der Überfahrt zu stinken und eitern begonnen) und Scheinprozess schlichtweg aus. Am Ende waren wir alle nur Vogelfreie... egal, ob Matrose oder 1. Offizier. Eigentlich war mir schon immer klar gewesen, dass der Galgen mein Leben beenden würde.
Allerdings nicht dieses Mal. Denn während ich mir selbst nicht helfen konnte, waren es andere. Geschäftspartner aus dem Schmuggelnetz der Bruderschaft in Gestalt von vermeintlichen Kerkerwächtern und Latrinenreinigern – ein närrischer Plan, der wider Erwarten von Erfolg gekrönt war. Dank der fäkalreichen, unrühmlichen Methode des Schleusens durch die Wachposten warf mich die Befreiung freilich wieder aufs Krankenbett. Der Beinstumpf war weit entfernt davon, verheilt zu sein… Der Sommer nahte gerade, was meinem fiebrigen Wahn kaum Abhilfe schaffen mochte. Einer der Schmuggler versteckte mich bei sich, eine unscheinbare, aus Torf gebaute Hütte an der Küste. Wenn Nachbarn vorbei kamen oder sonst eine Situation eintrat, in der es besser war, nicht gesehen zu werden, verfrachtete er mich unter Mithilfe seines Sohnes (wie viele Männer seines Fachs baute er allein auf Blutsbande bei den Mitarbeitern) stets unter die Dielen des Hohlbodens. Eine Einrichtung, die er extra für seine Ware gegraben hatte; und damit indirekt dem Profit der Bruderschaft und mir. Jetzt rettete sie mir sogar das Leben. In den langen Stunden, die ich dort unten in der stickigen Dunkelheit zubrachte, wurde ich mir erst langsam meines Zustands bewusst. Ich hatte meinen Kutter verloren, das Informanten-Netz in Adoran war unterwandert und mein rechtes Bein Knie abwärts war Haifutter! Verdammte Scheiße, wie sollte ich jetzt noch ins Krähennest hinauf klettern? Ewiglich verdammt dazu, vom Achterdeck aus wie ein alter Mann nur noch zusehen und anleiten? Schöne Zukunft. – Pah! Ab dem Tage (dieser war der 13. Eluviar) hörte ich auf, Schindluder mit mir zu treiben und mein Schicksal zu beklagen. Wenn man nur noch ein Bein hatte, musste eben das verbliebene noch stärker werden – und die Arme erst recht! Keine Schiffswand oder Wanten mehr erklettern, das wollte ich nicht akzeptieren.
In den Sommer-Monaten verheilte mein Bein weitestgehend, begann zu vernarben. An einem späten Abend im Cirmiasum kam Endres (so hieß der Schmuggler, der mich bei sich versteckte) mit einem Holzbein zurück. Ein schlichtes, offenkundig gebrachtes Modell, was sich beim Anpassen des ledernen Schuhs an meinen Beinstumpf als richtig erwies. Saß schlecht und, wie sich in den kommenden Tagen zeigte, wetzte mir immer wieder die noch dünne und verletzliche Haut um das Narbengewebe auf. Aber man musste mit dem leben, was man kriegen konnte. Schließlich wusste ich nicht einmal, ob ich in diesem Jahr noch nach La Cabeza zurück gelangen würde, wenn überhaupt. Mitten in Aluemans als gesuchter Pirat, rechte Hand von Raul Vincente Perera, der Geißel der See. Wenigstens war mein Sohn sicher auf dem Schiff eines Freundes untergebracht und lernte als Rudergänger die Seemannschaft vom Riemen auf. Falls ich vorzeitig starb, ohne Esteban ein Kommando verpassen zu können, hatte ich die Zusicherung Wort, dass er als Maat auf dem Kahn würde bleiben können. Wenn er so weit war.
Und Jacky.. die kam ohnehin auch gut ohne mich klar. Auch, wenn ich um ihretwillen (oder des Packs, eher) doch lieber schon gestern zurück auf der Insel wäre. Sie würde das Pack sicher aufmischen, in der Suche nach mir. Oder auch nicht. Wer weiß, wo wir letztlich standen.

Nachdem ich etwas sicherer auf dem Bein und Holzbein war, begann ich, Endres zur Hand zu gehen. Man konnte die Saison wegen einem verlorenen Bein ja nicht gänzlich sausen lassen! Außerdem wollte ich in Form bleiben, denn nichts lag mir ferner, als als Invalide angesehen und behandelt zu werden. Die See war mein heimatliches Gefilde, wie das Achterdeck und die Wanten eines Schiffes gleichermaßen. Ob nun mit zweien, oder einem Bein!
Bei einem dieser Ausfahrten, es war bereits Herbst im Mond Goldblatt, sollte ich schließlich endlich meine Heimat wieder sehen. Oder zumindest deren verlängerten, finsteren Arm aus Holz, mehreren tausend Kilo Eisen Breitseite und schwarzen Segeln. Die Toro de la Muerte!
Während sie für mich eine Ankunft war, hatte sie für den treuen Endres nur das Ende parat.
Denn einige Seemeilen, bevor wir die Fahrwasser der Toro kreuzen sollten, gerieten wir in einen dichten, unerklärlichen Nebel auf hoher See. Weder war ein Sturm in der Nähe, noch etwaige Eilande, von denen wir wussten. Woher also dieser Nebel?
Als sich Silhouetten aus der weißen Wand zu schälen begannen und mit ihnen der Gestank nach Tod und Verwesung kam, wurde uns rasch klar, dass das Woher und Weshalb reichlich egal war.
Wir halsten und nahmen unter allem Zeug, das wir setzen konnten, volle Fahrt auf! Doch es war zu spät. So wie uns der Nebel wie dicke Suppe einkreiste, so hatten uns diese Wesen eingekreist. Untote.. Wassergeister…oder was auch immer sie waren, das wussten wir nicht. Nur eines war uns klar – sie wollten uns ans Leder. Bald begann das Feuergefecht, das uns über viele Seemeilen und Stunden begleiten sollte. Auf ihrer Seite fielen viele. Doch für nichts – denn ebenso viele rückten nach. Und sie pullten wie die Hunde! Selbst unter Vollzeug hielten sie mit uns Schritt! So kam das unausweichliche – sie enterten backseitig. Bald war das Ruder an sie verloren, bald das ganze Achterdeck, achtern und schließlich fanden wir uns im Vorschiff eingekeilt. Zwischen uns und dem Tod durch Untote nur noch die See und… eines ihrer angeenterten Boote! Unsere Entscheidung war mit einem Blick gefasst und wir setzen zum Ruderboot über, Endres agil und gewandt.. ich hölzern und nur gerade so. Ich wäre vor Scham errötet, hätte ich Zeit dazu gehabt. Doch wir mussten das Tau des Enterhakens durchhacken, die Riemen auslegen und bei all dem noch die geifernden und nach uns krallenden Untoten abwehren. Dem Klabauter sei Dank schafften wir es irgendwie und fanden uns rasch auf offener See (mal abgesehen von dem vermaledeiten Nebel).
Wäre die sich kurz darauf aus dem Nebel schälende Toro nicht gewesen, wir hätten beide den Tod gefunden. Sie waren bessere Ruderer als wir. Erst das geballte Feuer der Batterien und Handfeuerwaffen des Schwarzen Schiffes schlugen diese Wesen zurück. Für Endres zu spät, ihn traf noch weit vor der ersten Salve ein Speer des Feindes. Ich musste ihn der See übergeben, um das Boot leichter zu machen. Dann ruderte ich nur noch… unter dem schützenden Feuer der Toro de la Muerte, deren Kanonenkugeln knapp über meinen Kopf vorbeipfiffen.
An Deckempfingen mich altbekannte Gesichter, fingen mich kräftige Hände auf. Sie alle lächelten und waren zugleich bestürzt (ich musste schrecklich aussehen). Doch das war alles egal. Auch, dass der junge Perera das Kommando hatte, dass wir viele neue Frischlinge an Bord hatten und überhaupt ein wenig Chaos herrschte. Alles egal.
Denn ich war zurück.
Und ich war am Leben.

_________________
Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

"Krieg, Handel und Piraterie,/Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
Mephistopheles, Faust II


Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 23 Okt 2013 14:30, insgesamt einmal bearbeitet
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 30 Jun 2014 13:17    Titel: Episode 11 - Missstände
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Episode 11 - Missstände

29. Schwalbenkunft 257
In der Buch von La Cabeza



Viele Monde sind in's Land gezogen, seit ich mein rechtes Bein abwärts des Knies voriges Jahr verloren hatte. Damals dachte ich, dass die schwerste Zeit mit meiner Ankunft auf der Toro vorbei gewesen wäre, doch es sollte anders kommen.
Das feucht-warme Klima auf La Cabeza zeigte sich ebensowenig förderlich für den Heilungsprozess, wie meine forche Ungeduld. Von Anfang an wollte ich wieder an Deck stehen und alles im Blick behalten, die Kontrolle behalten. Doch wie viele Schwerverletzte und Kranke musste ich erst einmal eine wichtige Lektion lernen: Kontrolle abzugeben, um Heilung zu finden.
Bis es so weit war, hatte ich drei Rückfälle gehabt - das volle Programm mit Wundbrand, Fieber, Nahtoderfahrungen.
Dann erst war ich endlich geläutert und verlebte einige Monde in ruhiger Abgeschiedenheit an Bord der Toro de Muerte. Die Vorzüge, die man als Erster Offizier genoss, waren dabei sehr hilfreich, wenn auch diese Position nur in dieser Hinsicht Bestand in dieser Zeit hatte. Denn ich hörte so gut wie nichts von der Lage des Schiffs, der Mannschaft oder der Insel. Man wollte mich tatsächlich schonen! SCHONEN!!
So sehr mich das ärgerte, es war gut für mich, Abstand zu haben.

Als ich dieser Tage im Schwalbenkunft dann endlich seit ein paar Wochen frei von Fieberschüben war, es mit dem Laufen wieder besser klappte, wollte ich sehen, was ziwschenzeitlich aus dem Werk geworden war, das Vallas und ich geschaffen hatten.
Es war ernüchternd.

Auf La Cabeza regnete es offenbar seit vielen Wochen ohne Unterlass, und das fern der Regenzeit - und keinen vom Pack schien es zu jucken! Als alter Seemann wußte ich jedoch, wie Holz, Fachwerk und Tuch auf Dauerregen reagieren würden, früher oder später. Und aus was bestanden unsere Hütten, Lagerhäuser, Werften vor allem?
Das schrie zum Himmel! Wenn uns erst mal alles unter'm Arsch wegfaulte, was dann? Dann würde das Gemaule losgehen - von denen, die lieber ihre Eier schaukelten, als ihr Hirn zu benutzen.
Nicht besser stand es um Mannschaft und Schiff. Ja, sogar schlimmer.

Am Abend des 29. hatte der Alte an Bord gerufen, um eine ganze Meute von Frischlingen anzumustern. Da ich wieder auf dem Damm war, stand ich am Abend auch an Deck.
Etwas abseits von der halbwegs ordentlich aufgereihten Mannschaft (einziger Lichtblick) mit Gesicht zu den Reihen, um die Jungs und Mädels im Auge zu behalten. Eigentlich hatte ich vor, sie zu mustern und mit einer kleinen Ansprache einzustimmen, wie es üblich war zu einer Meldung an Deck.
Allerdings schien der Alte, Raul Vincente Perera, wie ausgewechselt. Er handelte diesen Abend nicht wie der skrupellose aber erfahrene Seemann, als den ich ihn als junger Mann kennen gelernt habe.
Dementsprechend chaotisch ging die Anmusterung der Frischlinge von statten. Ich schämte mich so sehr, dass ich nicht einmal dazwischenging. Nicht, als die Meute selbst während der Ansprachen des Käptns - und diese waren ungewohnt zahlreich und kraftlos - wild durcheinander schnatterte. Auch nicht, als ich einige Frischlinge in den Reihen bemerkte, die an Bord des Schiffes rauchten. Auch nicht, als ein paar Leichtmatrosen gegen den Pakt aufbegehrten. Und selbst dann nicht, als ich diesen vermaledeiten Tisch samt Stühlen MITTEN auf dem Deck zwischen Kanonenstellungen und Gräting stehen sah.

Warum stand ich einfach nur da und sah mir das Trauerspiel tatenlos an?
Aus Scham, Entrüstung, Unverständnis - vielleicht auch Desillusioniertheit. Auf der Toro de Muerte schien es seit meinem Aufenthalt in der Krankenstation nur noch wie in einem Tollhaus zuzugehen. Von Seemannschaft war da nichts mehr zu sehen, noch zu hören, noch zu spüren. Bartos als mein 2. Maat vermochte zwar durch seine wuchtige Erscheinung einzuschüchtern, doch ein grundsolider Nautiker war er nicht. Vielleicht würden wir gemeinsam Ordnung schaffen können. Vielleicht.

Der Käptn, der wie ausgewechselt schien, sprach obendrein zum Schluß davon, bald eine Kaperfahrt starten zu wollen.
Bei allen Geistern der See - mit dem gegenwärtigen Schiff und einer Mannschaft in dem Zustand kam das einem Himmelfahrtskommando gleich! Schwarzes Schiff hin oder her. Es war am Ende auch nur ein Schiff, das unter schlechter Führung und mit einer chaotischen Mannschaft... wertlos war.
Vallas würde sich in seinem nassen Grab umdrehen, wenn er das hätte mitansehen können!
Ob ich die Kraft habe, das Ruder herumzureißen?
Anderenfalls...

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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

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