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Die Eigenheiten von Landgängen
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Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Allgemeines Rollenspiel » Die Eigenheiten von Landgängen
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 14 Dez 2009 18:25    Titel: Die Eigenheiten von Landgängen
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Die Eigenheiten von Landgängen

|| Die Abenteuer des Piraten Jaron Sylva auf der Inselwelt um Gerimor ||

| Seeepisoden in eigenem Abschnitt nachzulesen unter: Auf Kaperfahrt unter der Totenkopfflagge |




Episode I: Besuch


13. Alatner 252
Im Rahaler Hafenviertel



Nie hätte ich gedacht, in einer Heimstatt unserer Feinde, wie es Rahal darstellte, einmal regelmäßig zu verkehren; geschweige denn zwischendurch zu leben.
Doch es war diesmal wohl schon der vierte Landgang, den ich zu gut der Hälfte nicht auf der Nebelinsel, La Cabeza, bei den Kameraden und Rum zubrachte, sondern als "Lysander" unter Landratten im Hafenviertel Rahals. Selbstverständlich war mir deren Gesellschaft nicht gerade lieber – eher im Gegenteil, doch was tat man nicht alles für die eigenen mal mehr, mal weniger einträglichen privaten Geschäfte und Nebeneinkünfte, wenn gerade keine Kaperfahrt anstand? Zudem gab es da seit einigen Wochen noch einen personellen Grund, des Öfteren im Nord-Westen zu verkehren, einen, mit dem – oder besser der – ich eine Bude im Hafenviertel bezogen hatte, eine Kleingaunerin und Wahrsagerin namens Jane „Jacky“ Jack.

Der erste Tag des diesmaligen Landgangs begann, wie so oft mit Rücken- und Kopfschmerzen.
Zu viel gesoffen und geraucht...
Und die Jacky hatte im Laufe der Nacht natürlich mal wieder sämtliche Decken als die Ihren deklariert und mich als Wärmflasche missbraucht. Glücklicherweise hatte ich bei meinem letzten Landgang die Fugen in Mauer- und Holzwerk mit Teer abgedichtet, frei nach seemännischer Manier; was Wasser abhielt, würde auch schneidenden Wind abhalten. Somit zog es zumindest nicht mehr wie Hechtsuppe.

Bekleidet und nachlässig im Gesicht gewaschen führten mich meine Füße, kaum aufgestanden und den ersten Krautstängel des Tages geraucht, in die lokale Hafenkneipe.
Von dort aus hatten mein erster Maat Gr__, „Maria“ auf dem Festland genannt, einige Mitglieder der Bande der Vogelfreien und ich noch ein Geschäft am Wegkreuz zu erledigen.

Wieder in Rahal angekommen und um ein gutes Stück liquider stromerte ich erstmal zur Bude von Jacky und mir. Erwartungsgemäß war sie bereits daheim und kramte in einem der Lagerfässer herum – eine gut gelaunte Begrüßung und ein milder Stoß in den Hintern später lag sie auch schon nahezu komplett kopfüber darin, diente gar vorzüglich dem alleinigen Amüsement einer einzigen Person im Raum; nämlich mir. Allzu lange währte diese Schadenfreude leider nicht, denn mit kräftigem Schaukeln schaffte Jacky es recht rasch, sich aus dem dabei umgekippten Fass zu befreien und mich dazu zu nötigen, ihr aufzuhelfen. Dass sie im Anflug von Ärger zum Gürtel gegriffen hatte, als hätte sie ein Messer dort ziehen wollen (was sich keineswegs dort befand) war eine Geste, die sie schon öfters gebracht hatte. Zwar war ich im Augenblick ganz froh darüber, dass sie keines griffbereit hatte, beschloss aber nichtsdestotrotz, in der nächsten Zeit einen Messerschmied aufzusuchen und diese Lücke zu tilgen. Im Hafenviertel ohne ein richtiges Messer – nicht ratsam. Endlich machten wir es uns im Umfeld des Kamins gemütlich, sie auf 'em Hocker, ich im Schneidersitz auf dem verlausten Bärenfell am Boden, das wir unsere Liegstatt nannten; Rum und Wildkraut, zu Stängeln gedreht, machten uns die Wartezeit angenehm. Jacky hatte nämlich von einem Besucher gesprochen, der an dem gleichen Abend noch vorbei käme, eine Bekannte von ihr sei es.
Eben dieser Besuch führte sich gut eine halbe Stunde später durch zweimaliges Pochen an die Fronttür ein. Da man zur frühen Abendstund' in einem Viertel wie dem hiesigen stets wachsam sein musste, spannte ich den Hahn meiner Steinschlosspistole vorsorglich, griffbereit im Holster unter der aufgeknöpften Lederjacke. Nach dieser Vorbereitung wurde der Besucherin die Tür geöffnet: Ein kleines, junges Ding in Echsenleder-Montur. Nachdem sie sich zu erkennen gegeben hatte, ließ ich sie ein, entspannte so leise wie möglich den Hahn der Pistole und fläzte mich wieder auf das Bärenfell. Während die zwei Frauen rege zu palavern und schnattern begannen, beschäftigte ich mich damit, ausgiebige Proben von meinem Kraut an mir selbst auszuprobieren. Als ich durch den Nebel des Krautes das junge Fräulein mitten drin Jacky danach fragen hörte, woher sie denn das „Kerlchen“ kennen würde und, nicht genug damit, dass sie mich so betitelt hatte, mir auch noch unterstellte, „putzig“ zu sein, ging mein Temperament mit mir durch. Man hatte mich ja schon vieles genannt, doch PUTZIG war nie darunter gewesen! Ich grämte mich ja schon davor, dass meine Kameraden an Bord meinen Spitznamen „Lissy“, den mir Jacky verpasst hatte, mit bekämen... und nun auch noch PUTZIG, bei einem Fräulein, das Kuriere zu verfassen pflegte, folglich sicherlich wenig davon hielt, so etwas für sich zu behalten! Vor meinem inneren Auge sah ich mich schon im Boden versinken, während meine Kameraden den „putzigen Lissy“ zum Dauerbrenner an Bord stilisieren würden. NEIN! Das dürfte nicht passieren!
Als wäre das nicht genug gewesen, warf die überaus neugierige Ira mir auch noch die Frage an den Kopf, ob ich denn Seemann oder Pirat sei. Beflissen um den heißen Brei redend, machte ich ihr klar, dass ich ein Seemann sei und mehr nicht – in der Hoffnung, dass sie es dabei belassen würde. Wenn sie sang, würde ich mich genötigt sehen, sie zum schweigen zu bringen; somit nahm ich mir vor, nun, da sie schon hier war, künftig die Kurier-Ausgaben und ihre Verfasser sorgfältig im Auge zu behalten.
Zu meinem und ihrem Glück wurde das Thema auch schon auf allerlei Seemannsgarn und das, was die Landratten als solchen ansahen, gelenkt. Jacky wollte unbedingt ihre Wahrsager-Technik mit den Fischdärmen im Kurier herausbringen, der „Welt“ etwas geben, sozusagen. Wenn ich nicht selber an so etwas glauben würde, hätte ich wohl genauso skeptisch reagiert wie das Fräulein, doch wenn einen die See etwas lehrte, dann abergläubisch zu sein. Oft genug zeigte sich, dass auf hoher See Aberglaube und Realität nahe beieinander lagen: So sind Sirenen keineswegs Seemannsgarn, wie es die Landratten gerne zu glauben pflegen, viel mehr sind sie bittere, unvorsichtige Seeleute zerreißende Realität!



Im Verlauf des Gesprächs gelang es mir schließlich, dem Fräulein Ira etwas von meinem Kraut anzuempfehlen, so nahm sie einige Züge davon und, so wahr ich hier sitze und schreibe, in diesem Moment war sie dem Zeug verfallen. Mit Schnaps, Bier, Kraut und einer Menge zugedröhnter Sinne begaben wir uns wenig später auf das Flachdach unserer Hütte. Eponym wurde es durch seine Ausstattung mit Sitzposten, Fernrohr und so weiter, wie auch der treffenden Bezeichnung von Seiten Jackys: Auf ihren Vorschlag hin nannten wir unseren sicheren Hafen in der wogenden Umwelt des Hafenviertels „Krähennest“. Zu der feucht-fröhlichen Runde auf dem Flachdach gesellte sich auch noch „Otter“, ein Mann der Vogelfreien-Bande auf ein Bier dazu. Dass Ira ihn vorher mit dem Fernrohr in der Gosse entdeckt, in ihrem vom Kraut vernebelten Kopf in Menek'ur verortet hatte und dementsprechend völlig perplex war, ihn kurz darauf vor sich stehen zu sehen, brauche ich wohl nicht näher zu kommentieren: sie war gehörig durch den Wind.
Nachdem wir Ira der Obhut von „Otter“, der sie ohnehin kannte, anempfohlen hatten, begaben Jacky und ich uns einen Schnaps später hinab in die Hütte, denn der Mond stand schon hoch im nächtlichen Firmament, Alkohol und Kraut taten ihr übriges. Es war angebracht, Schlaf zu finden.
Dass daraus vorerst nichts werden würde, hatten wir dem Zweigespann Otter-Ira und meiner Hirnverbranntheit, Ira Kraut anzudrehen, zu verdanken. Dass ein junges Ding von kaum mehr als 50 Kilo Kampfgewicht mit dem Zeug ordentlich zu kämpfen hätte, war zu erwarten gewesen: Der Radau, den die beiden lieferten, wohl mehr torkelnd und hinfallend, als sich handelsüblich fortbewegend, war allgegenwärtig. Ich fürchtete sogar bei einem besonders heftigen Rummser, dass uns der Deckenputz herunter kommen würde – das war einfach zu viel! Mies gelaunt und zähneknirschend schlurfte ich also schon zielstrebig zu meiner entledigten Kleidung, um die Pistole bereit zu machen - „denen werd'ick heimleuchten“.
Jacky indes war es, die mich von diesem zugegebenermaßen etwas rabiaten Vorgehen abhielt, schlicht dadurch, dass sie mich überrumpelte: Nannte sie mich doch eiskalt und ohne mit der Wimper zu zucken „Schätzchen“ (wofür sie sich noch ein Kissen-Treffer mitten ins Gesicht einhandeln sollte), rief mich zurück in unsere verflohte Liegstatt aus einem Wust von Kissen, Fellen und Decken. Ohnehin viel zu schlaftrunken entsprach ich diesem Wunsch. Kaum lagen wir also wieder, bereit, den Schlaf zu begrüßen, krachte die Hintertür auf und die zugedröhnte Ira stolperte mit den genuschelten Worten „lasst euch nicht stören“ herein, ihren Mantel zu holen. Mit dem letzten Rest meiner strapazierten Nerven überging ich ihren Einwand und schloss die Tür hinter ihr, nachdem sie wieder hinaus gestolpert war – diesmal mitsamt Riegel.

Eine weitere Nacht an Land. Ruhe.

_________________
Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

"Krieg, Handel und Piraterie,/Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
Mephistopheles, Faust II


Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 07 Jun 2010 16:26, insgesamt 3-mal bearbeitet
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 21 Dez 2009 17:29    Titel: Episode 2 – Hinkebein
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Episode 2 – Hinkebein Teil I: Geistergeschichten enden gerne mit einem Knall!


19. Alatner 252
Im Rahaler Hafenviertel, am Wegkreuz und in Adoran



Irrungen und Wirrungen, irgend woher kannte ich diesen Ausspruch aus meiner Zeit als Kaufmann, woher genau, war mir schleierhaft. Wie schmerzhaft sie indes sein konnten, durfte ich heute erfahren und mir in Erinnerung rufen.

Der erste Tag des diesmaligen Landgangs begann, wie so oft mit Rücken- und Kopfschmerzen.
Zu viel gesoffen und geraucht... n' De ja vue, zum Teufel! Eigentlich war es streng genommen ja der zweite...
Gestern hatte mir Jacky bewiesen, dass auch Landratten so etwas wie Geister kannten – oder glaubten zu kennen.
Dabei war die Mühle den Landratten das, was der Mast den Seeleuten war: Ursprung allen Übels.
Besagte Mühle lag nahe dem Wegkreuz, unweit des Hofs von Elfie, der landpommeranzigen Matrone; sie wurde von der „Wollmilchsau“ betrieben, was unter dem Gesichtspunkt des Fehlens weiterer Mühlen im weiten Umkreis eines bedeuten musste: die Wollmilchsau musste damit gehörigen Profit machen! Das dürfte wohl auch ein Grund dafür sein, dass sie – abgesehen von den Schlafproblemen – so derart geplagt von einem angeblichen Geist war, der spukte nämlich, man wird es sich schon denken können... genau.. mitten in den Arbeitsräumen der Mühle!
Selbstverständlich hatte es Jacky, die eine gute Freundin von ihr war, nicht lange mit ansehen können und beschlossen, ihr zu helfen. Ebenso selbstverständlich war es dann auch, dass sie mich, ohne erst zu fragen, schon als denjenigen präsentiert hatte, der das Problem lösen würde.
Prächtig, aye?
Ein Seemann soll die Probleme von Landratten mit einem angeblichen Mühlengeist lösen, obwohl jedem Schiffsjungen schon klar sein sollte, dass Geister an Land der reinste Seemannsgarn sind!
Fällt da etwas auf?
Aye... Dementsprechend kann man sich vorstellen, dass sich meine Begeisterung für diese Geisteraustreibung in Grenzen hielt. Zu meinem eigenen Schaden fiel es mir allerdings schwer, meiner Mitbewohnerin Jacky einen Wunsch abzuschlagen, so wenig ich auch bereit war, das zuzugeben – somit hatten wir uns zur gestrigen Abendstunde in der besagten, vermeintlich verwunschenen Mühle eingefunden, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.
Heller, reich hervor quellender Rauch aus dem oberen Mühlenstockwerk begrüßten uns auf dem wie totenstill daliegenden Gelände. Jacky, die felsenfest an Land-Geister glaubte, war selbstredend davon überzeugt, dass es der Geist sein müsste und weigerte sich partout, nach oben zu gehen und nachzusehen. Da ich ohnehin nicht an diese Mär glaubte, hatte ich mir indes eine andere – für mich sehr logisch klingende – Lösung erdacht: Da mussten ein paar Knilche Kraut rauchen, und das OHNE MICH!
Da lag es in der Natur der Sache, dass ich zielstrebig die Außentreppe zum oberen Stockwerk nahm, um keine Zeit und damit Kraut zu verlieren. Oben angekommen stach mich dann doch die Nadel der Vorsicht – man wusste ja nie.. es könnten ja auch Häscher der Reichsjustiz sein, die eine Falle gelegt hatten! Also schob ich die Tür zum Mühlraum vorsichtig einen Spalt weit auf, gerade so weit, um hinein spähen zu können: Rauch, Rauch und nochmals umher wabbernder Rauch. Nichts als Rauch. Toll.. das versprach ja, heiter zu werden, denn als ich hinein roch offenbarte sich mir, dass es keineswegs der herrlich süßlich-schwere Duft unseres Wildkrauts war, der dort im Raum lag, sondern … eher geruchsloser, kühler. Als ich in den Raum trat, schob sich Jacky, die sich wohl nun ein Herz gefasst hatte, auch hinter mir hinein und wir tasteten und stolperten uns durch den dichten Rauch vorwärts. Ein abrupt aufleuchtendes Licht in einer Ecke des Raums und unterschwelliges Heulen durchbrachen, kaum dass wir einige Schritte getan hatten, die Stille im Mühlraum, gefolgt von Lauten der Überraschung aus unserer beider Münder.
Sollte es etwa tatsächlich Geister an Land geben? Ich schlurfte, Jackys Warnungen in den Wind schlagend, auf die Ecke zu, aus der all das kam. Mittlerweile war das Licht in ständiges Flackern übergegangen, was des vielen Rauchs wegen abgelenkt schon wie Blitze wirken mochte und mir lief doch ein leiser Schauer den Rücken hinunter. Da schälte sich doch wirklich eine lange, dünne Gestalt aus dem Rauch, deren durch und durch weiße und bleiche Gestalt von dem flackernden Licht einen unwirklichen Anstrich erhielt: Der Leib war komplett in weißes (Leichen?)Tuch gehüllt, das Gesicht eine einzige, verzerrte Fratze und die Hände.. die Hände schienen nur noch die baren Knochen zu sein! Jacky wollte mittlerweile nur noch raus aus der Bude und ich war in dem Moment geneigt, diesen Wunsch mehr als gut zu heißen und auch meine Beine in die Hand zu nehmen. Doch.. nein! Ob es nun der reichliche Krautkonsum im Vorfeld war oder nur blanker Irrsinn – in dem Augenblick bahnte sich ein Geistesblitz den Weg in mein Hirn. Vielleicht war das ja ein Verwandter vom Klabautermann! Ich meinte mich nämlich zu entsinnen, einmal in einer Hafenspelunke gehört zu haben, dass der Klabautermann – den es ja definitiv gab, davon konnten wir Seeleute ein Lied singen, egal, was die Landratten darüber dachten – Angehörige, vielleicht sogar ein Eheweib an Land habe; niemand habe sie bisher jedoch je gesehen. Wenn das einer von diesen Knilchen war... dann.. wäre ich der ERSTE SEEMANN, der diese Erzählungen mit Augenzeugenberichten untermauern könnte – das wäre DER Freibrief für spendierten Rum in den Spelunken sämtlicher Häfen der Weltmeere!



Angetrieben von dieser glorreichen Aussicht schlurfte ich also schon wieder in Richtung des vermeintlichen Geistes, der dazu übergegangen war sich in gar fürchterlichen, durch Mark und Bein gehenden Tiraden darob zu brüskieren, wie wir es wagen konnten, seinen Schlaf zu stören (Notiz: Land-Geister pflegten also, zu schlafen)! Das Geheule und Geschrei, Kettenrasseln und Lichtflankern tat auf Dauer auch seinen Dienst: Jacky, bereits völlig aufgelöst und erschrocken und ich, dessen vom Kraut zugedröhnter Kopf unter dem Lärm langsam zu bersten schien, verließen den Mühlraum zielstrebig, nachdem der Rauch begonnen hatte, sich zu lichten. Während Jacky die Treppen regelrecht hinunter flog und im Gebüsch auf dem Mühlengelände verschwand, wollte ich es wissen und luhrte nochmal durch die Tür: Zu meiner Überraschung war im Raum, in dem sich der Rauch jetzt gelichtet hatte, nichts zu sehen, niemand! Da überfiel es mich wie ein Sprung in eiskaltes Wasser – beim Barte des Klabautermanns, war das wirklich ein_echter_Geist?! Selbst das Kraut konnte diese Erkenntnis, die mich endlich – etwas verspätet, muss ich zugeben – überflutete nicht mehr zurück halten und ich rannte Jacky hinterher, einen lauten Ausruf des Schreckens vermochte ich nicht zurück halten!
Als wir dann beide im Gebüsch in Deckung lagen, trat die Wollmilchsau aus dem Untergeschoß er Mühle heraus, ihrem Äußeren nach hatte sie bis vor kurzem wohl geschlafen. Soviel zu schlafraubendem Gespenst! Nachdem wir uns bemerkbar gemacht hatten, begann sie schon, uns wegen des Lärms zu schelten – was ein abruptes Ende fand, als sie den Hintergrund erfuhr und...
ES sich oben an einem Fenster zum Mühlraum zeigte!
Jetzt war der Moment gekommen, da ich die Silberkugel einsetzen konnte, die ich mir extra für diese Nacht gegossen hatte! Was gegen Untote half, musste doch auch gegen Seelenlose, Geister oder was auch immer wirken! So zog ich ruckartig meine Steinschlosspistole aus dem Innenholster der gefütterten Lederjacke, Hahn schussbereit gespannt und zielte grob Richtung des Fensters.

BUUMMM!

Mit einem lauten Krachen und einer weit nach vorne ausladenden Welle von Feuer, Funken und Pulverrauch wurde die Silberkugel auch schon auf den Weg geschickt. Ihre schlingernde Flugbahn führte sich tatsächlich ins Fenster hinein, das unter dem Treffer zerbarst. Die Gestalt dahinter verschwand unter einem lauten Ausruf des Erschreckens, der mehr einem Quietschen glich – Gespenster quietschten doch nicht?! Nachsehen wollte ich jedoch trotzdem nicht, ob und was ich getroffen hatte, so ganz geheuer war mir das Ganze immer noch nicht.
Wenn einen zehn Pferde nicht irgendwo hin bewegen konnten, dann waren es zwei Weiber: Gezogen, gedrückt und verbal dazu gedrängt sah ich mich schließlich dazu gezwungen, doch nachzusehen. Oben im Raum angekommen, war es dann auch nur ein kurzes Suchen, bis ich eine zerborstene Laterne am Boden fand – der Ursprung des flackernden Lichts. Aha. So viel dazu.
Wenige Schritte weiter war der Boden mit den Scherben der Fensterscheibe bedeckt und nahe bei, im Eck daneben lag ein zusammen gekauertes Bündel in weißem Stoff, der „Geist“. Der Wollmilchsau, Jacky und mir wurde allerdings spätestens bei dem Entdecken eines von Blut getränkten Einschusslochs in dem Wust von weißen Laken klar, dass es wohl doch nicht so geisterhaft zuging, wie wir gedacht hatten. Welcher Geist würde schon bluten? In der Tat stellte sich heraus, dass sich unter dem weißen Gewand, den Knochenhänden (die tatsächlich Knochenhandschuhe waren) und der schrecklichen Fratzen-Maske das eben mäßige, schöne Gesicht der kleinen Schwester von Kiebitz zeigte. Das Kindchen musste wohl irre gewesen sein! Später sollte Jacky einmal die Vermutung äußern, dass sie vielleicht von einem Geist beseelt gewesen war, wie sonst hätte sie solche unmenschlichen Laute von sich geben können?
Im Moment spielte das jedenfalls keine Rolle, denn wir mussten zusehen, das Mädchen zu einem Quacksalber zu bekommen. Schusswunden kannte ich zur Genüge von den Kaperfahrten, sie waren besonders anfällig für Wundbrand und verheilten schlecht, wir dürften also keine Zeit verlieren. Mit Hilfe einer Wanderin, die die Frauen zu kennen schien und einem Pferd von der Wollmilchsau verfrachteten wir „Lockvögelchen“ zur Kutsche am Wegkreuz. Nun mehr zu dritt, Jacky, Lockvögelchen und ich, ging es direkt nach Adoran. Meine Gefährtin kannte dort eine Heilkundige namens Liliana van Drachenfels, obwohl blaublütig, sei sie sehr gutherzig und mitfühlend veranlagt – wollen wir's hoffen..!
In der neuen Hauptstadt der Grafschaft angekommen übernahm ich das verletzte Mädchen, sie war ja dankenswerterweise nicht gerade schwer, und Jacky führte uns sicher und rasch zum örtlichen Heilerhaus. Zu unserem Glück war die Dame Liliana auch anwesend und sofort bereit, uns zu helfen. Im Behandlungszimmer angekommen, das Mädchen auf dem Behandlungstisch abgelegt, übernahm die Heilerin das Heft, das Überleben von Lockvögelchen zu sichern.
Während sie die Verwundete versorgte, Jacky bleicher und bleicher wurde, bis sie schließlich den Raum verließ (sie hatte es noch nie so recht mit Blut gehabt), stellte die Dame erwartungsgemäß unangenehme Fragen über den Hergang der Dinge. Jacky hatte schon in der Kutsche davor gewarnt, so dass ich die Kugel noch kurz vor der Ankunft in Adoran mit Messer und beherztem Herumpuhlen aus dem Schusskanal entfernt hatte. Nichts dürfte auf mich weisen.
Wie abgesprochen, hatten wir der Heilerin dann die Geschichte mit dem Mühlengespenst in etwas abgewandelter Form aufgetischt, dass in dem Wirrwarr von dichtem Rauch und Lärm auf einmal ein Knall zu hören gewesen wäre.. und das Mädchen, Zack!, auf einmal zu Boden ging, getroffen.
Die Zweifel lagen der Dame Liliana ins Gesicht geschrieben, doch sie beließ es dabei und hatte das Mädchen nach gut einer halben Stunde versorgt und stabilisiert. Lockvögelchen musste für die nächsten Tage zur Beobachtung im Adorander Hospital bleiben, so zogen Jacky und ich ab, zielgerichtet in die nächste Taverne, um uns einige Flaschen Schnaps auf den Schrecken zu gönnen.
Jacky wollte später Kiebitz von dem „Unfall“ ihrer Schwester berichten, selbstredend in abgespeckter Form. Sie musste ja nicht alles wissen.
Das sollte den Hintergrund für einige Querelen der nächsten zwei Tage bringen.






Episode 2 – Hinkebein Teil II: Schuldfrage



20. Alatner 252
Im Rahaler Hafenviertel, Bajard und der Apotheke des Stranamorius



Der schmerzhafte Teil sollte in den darauf folgenden Tagen kommen.
Jacky war zu Kiebitz gegangen, um ihr mitzuteilen, dass ihre kleine Schwester im Adoraner Hospiz liege, verletzt. Die näheren Umstände wollte sie natürlich ein wenig anpassen – es gehörte nicht zu ihren Angewohnheiten, Freunde zu verpfeifen. Wie sehr sie sich diese Lebenseinstellung zu Herzen nahm, wurde mir später klar.
Es war bereits spät, als ich in unserer Hütte im Hafenviertel saß, Rum und Kraut als Mittel zur Beschäftigung. Minute um Minute war ich in der vergangenen halben Stunde unruhiger geworden, denn Jacky hätte schon längst von Kiebitz wieder daheim sein sollen. Klar, sie war eine Freundin und würde sie sicher trösten, aber gleich so lange? Zudem hatte Jacky durchblicken lassen, dass sie manchmal etwas merkwürdig war, dem rechnete ich im Kopf hinzu, dass man auf gefährliche Unfälle von Geschwistern gerne etwas scharf reagieren kann, gerade, wenn offensichtliche Gewalt im Spiel ist. Als das Kind einer vielköpfigen Familie kannte ich das zu gut: kleine Geschwister galten viel, da war man zu allem fähig. Also holte ich meinen ganzen Kram ans Kaminfeuer: die gefütterte Lederjacke mit Innenholster und Pistole darin, den Waffengurt mit Entermesser, Wurfmessern und den Kram zur Steinschlosspistole, wie auch ein paar weitere lose Messerchen. Wenn ich schon in die Höhle des Löwen ging, dann wenigstens mit auf Vordermann gebrachten Klauen und Fängen!
Nachdem Entermesser und Messer allesamt nachgeschärft und eingeölt, die Piston der Steinschlosspistole gereinigt, der Flint im Hahn erneuert und das System gereinigt und nachgeölt war machte ich mich bereit zum Abmarsch: der Gurt um die Hüfte, die Pistole im Innenholster der Lederjacke, ein paar der losen Messerchen in den Stiefeln... es konnte los gehen! Nachdem auch noch ein frischer Krautstängel angesteckt war stromerte ich nach einem letzten Schluck Rum in die verwinkelten Gossen des Hafenviertels hinaus. Zielstrebig ging es zu der Hütte von Kiebitz, wo ich Jacky immer noch vermutete, ein mulmiges Gefühl in der Magengegend trieb mich zur Eile an.
Wie sich herausstellen sollte auch mit gutem Grund. Angekommen und durch die Fenster gespäht zeigte sich mir ein Bild des blanken, zu allem bereiten Grolls: die zerzauste Jacky stand nahe der Tür in Abwehrhaltung, weiter hinten im Raum die nicht weniger zerzauste und von Zorn nur so sprühende Kiebitz mit einem Langdolch in der Hand. Verdammt, die mussten sich ja ordentlich gezofft haben, die Mädels! Aller höchste Zeit! Als dann Jacky, die mich bemerkt hatte, auch noch gegen die Tür bumperte und nach mir rief, zögerte ich nicht mehr. In vollem Lauf, die Arme zusammen gekreuzt, warf ich mich mit meinem ganzen Körpergewicht gegen die Holztüre, die mich von den beiden trennte. Zuerst schien das Holz zu federn und mich lausigen Knilch zurück werfen zu wollen – dann gab es jedoch gnädig nach, das Schloss wurde aus der Wand gerissen und verbogen, die Tür flog nach innen auf – und ich an ihr vorbei in den Raum hinein.
KRACK!
Einer der Abstelltische der Schneiderei bremste schließlich meinen Flug, indem ich hinein krachte und mit ihm zu Boden ging.
Uff.
Auf einmal kroch ein merkwürdiges Kribbeln meine Nase hinauf.. in den Augen begann es zu Brennen. Was zum...?! Ohne weiter nachzudenken hatte ich mir den Schal, den ich der Kälte wegen trug, fest um das Gesicht gebunden und eilte Richtung der mittlerweile umgekippten Kiebitz. Glasscherben am Boden und ein merkwürdiger Dampf darum herum fügten das Bild in meinem Kopf zusammen: Raus hier! Rasch half ich der Kiebitz auf und eilte, gefolgt von ihr, zur Türe hin, indes Jacky zu brüllend, sie solle ihren Arsch aus dem Haus bringen. Sicher und nach Luft ringend draußen angekommen, mochten wir ein merkwürdiges Bild abgeben: Gerötete Augen, uns die Lungen fast heraus hustend und um Luft ringend, kaum auf den Beinen konnten wir uns halten!
Was das für ein Teufelszeug war.. weiß der Henker, Kiebitz musste ein Händchen für Tinkturen haben – das war nun klar. Ein Grund mehr, ihr den Arsch aufzureißen – doch dazu sollte es nicht mehr kommen, denn während Jacky und ich noch nach Luft rangen, hatte sie sich fort in die Gosse geschleppt und war in deren dunklen Labyrinthen verschwunden.
Dazu kam noch ein aufkeimender Straßenkampf zwischen den Arkorithern und Parteigängern der Vogelfreien-Bande, so beschlossen wir, nachdem Kiebitz ohnehin unauffindbar sein würde und wir uns erst einmal erholen mussten, nach Hause zu gehen und unsere Wunden zu lecken.
Daheim erzählte mir Jacky dann, was passiert war. Sie hatte Kiebitz von Lockvögelchens Verwundung erzählt, dass es eine Schusswunde sei; Kiebitz hatte dann wissen wollen, wer auf ihre Schwester geschossen hatte und Jacky selbstredend keinen Namen preis gegeben. Sie waren sich dann im wahrsten Wortessinne in die Haare gekommen, Jacky schlussendlich im Keller eingesperrt worden. Wer sie kannte, wusste, wie schrecklich das für sie gewesen sein musste – mehrere Stunden eingesperrt in der Tiefe. Ich scholt mich einen Narren, in dieser Zeit ein geschäftliches Treffen mit „Jester“ besucht zu haben, es war zwar im Interesse der Bruderschaft und ihrer Kontrolle über das Hafenviertel gewesen, doch wenn ich früher los gezogen wäre...
Das war nun nicht mehr zu ändern. Jacky hatte es dann, als ich um Kiebitz Haus geschlichen war, geschafft aus dem Keller auszubüchsen, Kiebitz ihr bis an die Zähne bewaffnet auf den Fersen – sie war in Adoran gewesen und hatte versucht, aus ihrer Schwester und Liliana etwas heraus zu bekommen, ohne Erfolg.. somit wollte sie mit allen Mitteln einen Namen von Jacky. Ich preise jetzt noch den verstorbenen alten Perera, dass ich noch rechtzeitig gekommen bin und Schlimmeres verhindern konnte.

Am Folgetag hatten sich die Zustände im Viertel beruhigt und wir waren wieder frisch und erholt, so zogen wir aus, um Kiebitz ausfindig zu machen. Es gab da etwas klar zu stellen.
Bei ihrer Hüte angekommen fanden wir die ramponierte Tür unverändert offen vor und traten ein. Niemand.
Weiter in den Keller. Niemand.
Als wir wieder nach oben kamen, sah man noch Kiebitz hinfort huschen. Hinterher!
Gerade setze ich zu vollem Lauf an, da tat es einen leisen Schlag, wie von Metall auf Metall, aber auch.. etwas weicherem. Plötzlich war da ein Hindernis an meinem linken Bein und ich kippte vorn über auf die Knie.
Dann kam der Schmerz.

Dieses Miststück hatte doch tatsächlich eine kleine Schlagfalle beim Kelleraufgang aufgestellt! Und bei meinem Glück hatte ich Trottel natürlich nicht hin geschaut, wohin ich trat und war voll rein gelaufen! Verdammt!
Gegen ein nahes Truhenregal gestützt riss ich mir den Stiefel vom getroffenen Fuß und umwickelte ihn dank der umsichtigen Jacky, die Binden dabei hatte, kräftig mit diesen – sie würden den Fuß wenigstens etwas stützen, bis wir zu einem Quacksalber kamen. Dann ging es auch schon weiter, jetzt hatten wir beide Blut geleckt – zumindest wusste ich das von mir mit absoluter Sicherheit. Schmerzen? Drauf geschissen! Jetzt wollte ich diese Hure um ihr Leben betteln hören! Scheiße, hatte ich zu dem Zeitpunkt eine Angst, dass der Fuß ab müsste!
Nach einer ganzen Weile des Herumsuchens und Aufstöberns waren wir auf der Höhe unserer Hütte angekommen und des Suchens überdrüssig geworden. Jacky begann aus vollem Munde, nach Kiebitz zu rufen und sie als Feigling zu bezeichnen – vielleicht würde sie sich davon heraus locken lassen. War ja so eine Sache mit dem Stolz. Kiebitz antwortete sogar mit Schmähungen und dem erneuten Wunsch, einen verdammten Namen zu hören zu bekommen, heraus kam sie indes nicht. Schließlich schaltete ich mich auch ein, der pochende Schmerz in meinem Fuß hatte mir den letzten Nerv geraubt, diesem Trauerspiel weiter zuzusehen: Ich ließ die Deckung fallen und benannte mich als denjenigen, der auf ihre "närrische, naive" Schwester geschossen habe, das es ein Unfall gewesen sei und tatsächlich, sie kam daraufhin aus ihrer Deckung, unweit von uns, Kryss und eine verdächtig aussehende Flasche bereit. Auf dem gesunden Bein balanciert und an die Rückwand unserer Hütte gestützt legte ich selbstredend meine schussbereit gespannte Pistole auf sie an. Wenn sie mit Waffen kam, dann wir auch.
Vollends vom Schmerz, wild brausendem Zorn übermannt und entnervt verkündete ich Kiebitz, dass ich ihre „verdammte Hure von kleiner Schwester“ und ihre ganze Sippe kalt machen würde, wenn sie nicht ihren Arsch hoch kriegen und die Waffen fallen lassen würde. Diese Kleingauner musste man an ihre Position erinnern, sie hatten schließlich nicht die Bruderschaft im Rücken.
Die Drohung erzielte Wirkung.
Kiebitz, offenbar ohnehin von der gesamten Situation arg mitgenommen (wer konnte es ihr übel nehmen? Ihre Schwester wäre fast zu Tode gekommen...), ließ die Waffen fallen und sank, jetzt nur noch zitternd zu Boden. Als Jacky auf sie zu eilte und sich mir die Szenerie so darbot, taten mir meine harten Worte schon wieder Leid. <<Nur nichts anmerken lassen.. hier geht es ums Prinzip>>
Ich schlurfte hinkend in unsere Hütte. Musste mich hinsetzen..
Jacky brachte die aufgelöste Kiebitz kurz darauf auch herein in die warme Bude, war schließlich kalt geworden draußen. Und, trotz allem, Feinde waren wir ja nicht, wir saßen irgendwo alle im selben Boot. Ohnehin hatte ich ihr die Falle schon wieder verziehen. Ich hätte bei einem meiner Geschwister genauso reagiert.

Bald darauf lösten wir die Runde, die zu einem klärenden Gespräch geworden war, auf, Jacky und ich machten uns auf die Suche nach einem Heilkundigen.
Nach gut einer Stunde erfolgloser Suche hatten wir den Weg zu einer sagenumwobenen Heilquelle eingeschlagen, von der Jacky gehört zu haben vorgab, irgendwo westlich von Bajard, nahe des großen Sumpfs. Diese Quelle stellte sich als morastiger Tümpel heraus, man wird sich denken können, dass mich erste Skepsis bei diesem Anblick traf. Aber den Zweifel schluckte ich hinunter, wenn es die alten Frauen Jacky so erzählt hatten, musste was dran sein.. also entkleidete ich mich rasch – Brrr, war das scheiß kalt! - und stieg in den Tümpel hinein. Nicht der Umstand, dass Jacky die ganze Zeit über am Ufer stand und mich beobachtete trieb mich schließlich relativ bald wieder aus dem morastigen Nass, sondern die Kälte. Das Wasser an sich war zwar überraschend warm, doch die zugige, von leichtem Schnee schwangere Luft schnitt trotz allem immer schärfer in meine Haut. Also war ich wieder hinaus gestiegen und hatte mich in die dicke Lederhosen und meinen Mantel gehüllt, während Jacky mich tadelte: Wie sollte mein Fuß genesen, wenn ich ihn nicht ausreichend in der Heilquelle badete? Also hockte ich mich an den nahen Steg und ließ den lädierten Fuß ins Wasser hängen. Das musste reichen.
Indes begann Jacky mir mehr über den Mythos der Quelle zu erzählen. Man müsse, so meinte sie, drei wichtige Erlebnisse aus seiner Vergangenheit an die Quelle weitergeben, laut aussprechen und dann ins Wasser spucken, um Heilung zu erhalten.

Erstens: Der erste leibliche Schmerz, den man erfahren hatte.
Nach einer Weile skeptischen Nachdenkens entschloss ich, mit zuspielen.
Der erste Schmerz in meinem Leben, an den ich mich erinnerte war der eines aufgeschlagenen Knies als kleiner Bub. Beim Herumtollen.. kennt man ja..

Zweitens: Wann hat man zum ersten Mal im Leben wirklich einer Sache wegen bitterlich geweint?
Das war ein harter Hund. Wir waren zwar alleine, aber immerhin.. Jacky war da. Das ansteigende, schmerzvolle Pochen in meinem Fuß kämpfte meinen Stolz jedoch rasch nieder und so gab ich der Quelle und Jacky etwas preis, das ich meinen Kameraden gegenüber stets verheimlicht hatte und weiterhin würde.
Damals, als ich nach meiner abgeschlossenen Kaufmannslehre bei der Handelsmarine zur See fuhr hatte ich einen guten Freund aus Kindertagen, Nils. Wir hatten auf vielen Schiffen so manche Teile der Meere dieser Welt gesehen, bis wir endlich an diesem einem entscheidenden Tage geentert worden waren – von Perera und seiner Meute. Die Überlebenden hatte man vor die Wahl gestellt: Bei Perera anmustern oder auf einem Beiboot ausgesetzt werden. Ich hatte Perera gewählt. Nils das Beiboot. Kaum zwei Seemeilen weiter waren sie in dem kleinen Boot von einem Brecher erwischt worden und gekentert. Nils und all die anderen waren vor unseren Augen ertrunken und ich konnte nur zusehen, nichts für ihn tun. Das hatte mich für viele Monate in den Nächten verfolgt und plagte mich noch heute immer wieder einmal. Würde wohl nie ganz aufhören.
Den plötzlich etwas schuldigen Ausdruck auf Jacky Gesicht bekam ich nicht wirklich mit. Zu sehr vertieft war ich in der Vergangenheit.

Drittens: Wer war die erste Frau, mit der man das Bett geteilt hat?
Manche alten Traditionen waren schon merkwürdig. Aber das war jetzt auch schon egal.
Javiera hieß sie, eine von Madames Mädchen aus dem cabezianischen Badehaus. Mehr war dazu nicht zu sagen.


Nach einer Zeit von Stille hob ich den Fuß auf Jacky Geheiß aus dem Wasser. Der fahle, erschrockene Ausdruck auf Jackys Gesicht ließ mich schlimmes fürchten: Und in der Tat, der Fuß war angeschwollen, die Bandagen von dem morastigen Wasser verdreckt, der Schmerz eher schlimmer, denn besser geworden.
Also Schluss mit der Tradition. Auf zu einem Heiler, aber hurtig!
Wir strebten nach Bajard, Jacky kannte dort eine Bäuerin namens Lairja, die uns vielleicht weiterhelfen oder zumindest kurze Rast ermöglichen würde.
Dort erhielten wir etwas Schnaps – für den Fuß, hossa, hat das gebrannt! Und natürlich zum Betäuben der Sinne. Dieser Brand, den sie uns mit gegeben hatte, war für festländische Spirituosen sogar sehr süffig. Davon musste ich mir, wenn mein Bein genesen war, mehr besorgen, das hatte ich mir bereits beim zweiten Schluck geschworen. Dem Hirn hatte er nämlich auf die Sprünge geholfen! Vor vielen Monden hatten mein erster Maat „Maria“ und ich in Rahal einen Blinden ausnehmen wollen, der Tarnung wegen uns dann aber als Helfer ausgegeben. Ich hatte ihn zu einem Apotheker namens Stranamorius geleitet... und zu genau diesem Mann reisten wir nun!
Manchmal war das Schicksal auch auf der Seite der Pechvögel – wir trafen den Herrn Stranamorius in seiner reichlich ausgestatteten Apotheke an.



Jackys Blicken konnte ich entnehmen, dass sie im Kopf schon durchrechnete, wie viel Profit mit dem beweglichen Gut in dem Domizil zu machen wäre. Vielleicht.. sollte man das wirklich im Hinterkopf behalten.
Der Heilkundige bat uns nach unten in seine Behandlungsräume und schnitt dort den versifften, groben Behelfsverband vom Fuß. Tadelnd ging er auf die Episode mit der Heilquelle ein und ging Verbandszeug und Tinkturen holen. Überhaupt war er ein Menschenschlag, den man oft im gehobenen Bürgertum der Städte antraf: Überaus selbstsicher, hochnäsig und dem Adel in der Art sich zu geben und dem Äußeren vielleicht doch etwas nacheifernd, bewusst oder unbewusst. Das alles hätte ihn mir durchaus unsympathisch machen können, aber schon bei dem ersten Besuch bei ihm war das nicht so ganz geglückt. Irgendwie konnte ich ihn nicht verabscheuen – dazu war er einfach zu gut in seinem Handwerk.
Das bekam auch mein Bein jetzt zu spüren. Er reinigte es komplett von dem Morast, angetrockneten Blut und abgerissenen Hautfetzen und „desinfizierte“ (Ärtze-Latein.. mit Hinweis auf die obige Charaktereinschätzung: Natürlich ließ er sich nicht dazu herab, diesen Begriff zu erklären) die gesamte Fußpartie, speziell die aufgeplatzten Bereiche um die direkten Trefferzonen des Schlageisens. Ich konnte von Glück reden, dass die Falle nicht so ein Monstrum gewesen war, wie man sie für Bären verwendete...
Eine Heilsalbe, von der er mir den Rest zum Auftragen mitgab und eine Phiole heilungsunterstützender Medizin später begann er schon, einen neuen Stützverband anzulegen und mir ein paar Hinweise für die kommenden Tage zu geben. Zu meiner Verwunderung und insgeheimen Hochachtung meinte der Heiler, dass die Salbe dafür sorgen würde, dass der Fuß in ein, zwei Tagen komplett verheilt wäre, wahrscheinlich schon am nächsten Tag.
Da war ich baff! Was musste das für ein Hammer sein, diese Salbe? Ob man die rauchen konnte...? Musste ich mal probieren. Jetzt, da mir 'Jester' den Drogenhandel in Rahal überlassen hatte, musste ich mich nach neuen Mitteln umhören.
Eine Viertel Stunde später und um 300 Taler ärmer (die ich in diesem Falle aber bereitwillig gab) waren wir endlich wieder daheim.
Wie üblich war von Ruhe aber nicht lange etwas zu spüren, denn wir sollten noch etwas Besuch bekommen, darunter ein alter Bekannter aus meinen Fahrten bei der Handelsmarine, Aron Sokonor.
Ein selten gewordener Menschenschlag, aus der Natur der Sache heraus, dss sie starben wie die Fliegen und sich immer weniger Irre für diese Art des Lebensunterhalts fanden: Auftragsmörder.

Später am Abend kehrte wieder die geliebte Ruhe ein. Nach einer Reihe von Tagen, die wir im Vorfeld so nicht erahnt hätten.
In einem waren Jacky und ich uns einig: Hospitale wollten wir für die nächste Zeit wenn, dann nur von außen sehen!

_________________
Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

"Krieg, Handel und Piraterie,/Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
Mephistopheles, Faust II
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 30 Dez 2009 01:50    Titel: Episode 3 - Wahrheit oder Mauschelei?
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Episode 3 – Wahrheit oder Mauschelei? Teil I: Mo chride


27. Alatner 252
Im Rahaler Hafenviertel



Fünf Kronen!
Fünf verdammte Kronen blanker Gulden!
Auch wenn sie von der Landratte Kimroth stammten, war ich mir indes nicht zu fein, sie abzuweisen, Abmachung war schließlich Abmachung - und Kim der engste Verbündete der Bruderschaft im rahaler Hafenviertel! Die Geschäfte am Wegkreuzen lagen jetzt zwar schon beinah einen Mondlauf zurück, die Auszahlung der letzten Rate für meine Mitarbeit hatte jedoch auf Grund von Ausfahrten und Kims Unpässlichkeit warten müssen. Umso zufriedener konnte ich nun dem Trinkwettbewerb mit meinem Maat Maria entgegen sehen, den wir zur Stunde in der Hafenkneipe in Rahal ausfechten wollten.
Mittlerweile hatten die eisigen Krallen des Winters die gerimorer Lande in ihrem festen Griff, überall war Schnee, Frost und Kälte in Aussicht oder Ansicht, so dass hier wie anderenorts in den Gestaden der Reiche das arbeitende Volk vermehrt in den Kneipen, Spelunken und Tavernen einzukehren pflegte. Gemütliche Wärme, warmer Grog und die Gesellschaft von mir angenehmen oder lieben Personen lieferten auch mir Grund genug, mehr als sonst in der lokalen Spelunke zu verkehren. Heute hatten sich neben meinem Maat auch Aron (er lebte immer noch… langsam müsste es sich lohnen, auf ihn Wetten abzuschließen) und Jacky zugegen, zu viert hatten wir den Erker-Tisch in Beschlag genommen – die wohl gemütlichste und vor allem durch ein Geländer auch etwas vom Schankraum abgegrenzte Sitzecke, die Ruhe und Wärme versprach. Sie war in dunklem, kräftigem Eichenholz gehalten, ohne übermäßig mit Zierrat überladen zu sein: In der Tat war sie wunderbar schlicht in Szene gesetzt und vermochte mich jedes Mal an meine Kindheit an Land, den väterlichen Hof zu erinnern. Der Runde hatte sich für eine gewisse Zeit auch ein Mann, der sich als Katarn vorstellte, angeschlossen – vielmehr: Er war schon dort gesessen. Seinem Verhalten und Worten nach zu urteilen, schien er seinen Lebensunterhalt mit dem Eintreiben von Schulden zu verdienen – und Kopfgeld, denn er suchte jemanden, den wir gut kannten…
In den Landen hingen zurzeit vermehrt Steckbriefe aus, mehr als sonst – eine Freundin von uns hatte offenbar einigen hochgestellten Leuten übel aufgestoßen. Aber das war nicht weiter von Belang für Fremde und Kopfgeldjäger, wie Katarn, also stellten wir uns so unbedarft-unwissend, dass ich schon insgeheim über dieses Meisterstück wegen Jacky auf die Schulter hätte klopfen wollen. Der glatzköpfige Kopfgeldjäger witterte nichts von all dem Kammerspiel, das wir ihm boten, verabschiedete sich schließlich auch: Er hatte noch ein Treffen mit Kim, würde also früher oder später zur Bande gehören, das war zumindest sehr wahrscheinlich.
Im Verlauf des Abends war es schließlich zu dem besagten Trinkwettbewerb gekommen, jedenfalls fast, Maria hatte unverhofft und ungeleerter Schnapsflasche abziehen müssen, was mir in gewisser Weise aufstieß. Einerseits war ich mir sicher darin gewesen, sie unter den Tisch zu saufen, andererseits hatte sie mich und Jacky im Laufe des Abends ziemlich … ich nenne es einmal vorgeführt.

Unverfänglich war das Palavern wie so oft zuerst verlaufen, bis Maria wieder damit begann, Jacky ihre Sprache beizubringen, die sie aus ihrer südlichen Heimat mitgebracht hatte. Seitdem unsere Fischdarm-Wahrsagerin einmal gehörig von Kraut, Alkohol und zu allem Übel auch noch einer medizinischen Salbe zu gedröhnt gewesen war (sie hatte mir seinerzeit Stranamorius für mein Bein mitgegeben) und dabei Maria alles Mögliche nachgesprochen hatte, war in meinem Maat der Ehrgeiz eines Sprachlehrers erwacht und Jacky… die war ihre Lieblingsschülerin. Zu unser beider Leidwesen erinnerte sich Maria im Zuge des Unterrichts wieder einer Phrase, die sie der damals zu gedröhnten Jacky beigebracht hatte: Mi amas Lissy – Ich liebe (dich) Lissy.
Seinerzeit hatte ich das ja noch amüsant gefunden, hatte sie doch wie ein Spiegel alles widergegeben, was man ihr vorgesprochen hatte – nur war das dann doch etwas anderes. Zumal sie jetzt, da auch Jacky klaren Geistes war, diese Kamelle wieder heraus kramen musste! Als Jacky dann, damit konfrontiert, erst sich einzuigeln schien, irgendwie betreten war, dann aber doch den Begriff „knuffig“ in Bezug auf mich fallen ließ, sackte mir das Herz in die Hose.
Ich würde mich selbst belügen müssen, wenn ich behaupten würde, keine Hintergedanken bei dieser Kleingaunerin zu haben – sonst wäre ich keinesfalls andauernd mit einer Landratte wie ihr unterwegs. Mir war ja schon recht bald, nachdem ich mit Jacky begonnen hatte, herum zu hängen, klar geworden, dass ich unruhig wurde, wenn ihr ein Mann zu nahe auf die Pelle rückte oder: mir ihretwegen Mal das Genick brechen würde – zumindest, wenn ich den Worten meines verstorbenen Freundes Niels glauben wollte: Frauen brächten einen um, pflegte er zu sagen. War natürlich blanker Unsinn, die machen schließlich erst die Würze aus. Offen zugeben wollte ich es freilich nicht, es hieß, unter den Kameraden einen Ruf zu bewahren – Pirat und eine Landratte? War schon absurd, irgendwie, zumal ich mir bei dem Mädel nicht sicher war, wie es reagieren würde. Dementsprechend behielt ich es lieber für mich und hoffte inständig, im Suff oder Schlaf (Erzählungen von Jacky zufolge schlafwandelte ich…) meinen Mund halten zu können. „Mo chride..“
Denn Maria war nicht gerade eine verschwiegene Frau, die wärmte jeden Tratsch gerne Mal auf und so sah ich mich schon im Boden versinken – wenn das an Bord kursieren würde… Maria indes amüsierte sich natürlich köstlich.
Mein Kumpel Aron war es schließlich, der mich wieder einmal aus einer misslichen Lage boxen konnte – freilich war es diesmal eine etwas andere, als sonst; Jacky hatte nämlich nach der Überwindung der peniblen Stille nach Marias Offenbarung und Nachfragerei damit begonnen (auch, um vom eigentlichen Thema abzulenken), über unsere Episode mit der Schlagfalle und dem Sumpf zu parlieren. Nicht auszudenken, wenn Maria ALLES zu hören bekommen hätte, was dort geschehen war! Bei Jacky konnte man da nie wissen, Frauen sind unberechenbar!
Dank Aron, der da mitten hinein geplatzt war, kam es nicht mehr dazu und ich konnte aufatmen.
Der Trinkwettbewerb, der nahebei zwischen Maria und mir ausgefochten, dann aber unvermittelt verschoben werden sollte, markierte schließlich das Ende des Spelunken-Abends. Die Runde hatte sich aufgelöst: Katarn war schon lange gegangen, Aron zog ab, um einen Auftrag zu erledigen und Maria wollte in ihre Bude.

Was unsere eigenen vier Wände anging, hatten wir ein heizungstechnisches Problem, das Jacky im Moment des Aufbruchs darzulegen begann: Irgendetwas hatte während meines Aufenthalts im sonnigen Süden (insbesondere den Aspekt des „sonnigen“ hatte ich an dem Tag Jacky oft genug unter die Nase gerieben) den Kamin verstopft, so dass sie sich halb Frostbeulen geholt hätte. Deswegen war es heute da drin so kalt gewesen!
Einige Stunden vor dem Besuch der Spelunke war ich mit einem erst jüngst angeheuerten Matrosen auf unserem Schiff in das „Krähennest“ gekommen, um vertraulich mit ihm zu sprechen. Der sich auf dem Festland als „Lacho“ ausgebende Bursche wollte in den Schmuggelhandel in Rahal einsteigen; da es nie schaden konnte, einen Mitarbeiter aus den eigenen Reihen zu installieren, vergab ich eine Aufgabe an ihn, um seine Befähigung zu prüfen: Er sollte eine Unze Wildkraut unter das Volk bringen, zum bestmöglichen Preis, doch nicht unter dem von der Bruderschaft festgesetzten Mindestpreis von eintausend Gulden. Sollte er es schaffen, ohne sich erwischen zu lassen, würde ich in Erwägung ziehen, ihn in das Netz der Bruderschaft in Rahal einzuführen.
Der Kamin war also verstopft.
Kaum war man mal wieder ein paar Tage unterwegs, geht etwas schief – wir sind schon zwei liebenswürdige Trottel… ich musste schmunzeln. Irgendwie ging es ohnehin drunter und drüber, seit wir uns kannten. Musste an „meiner“ Kleingaunerin liegen. Da man ihr keinen Wunsch abschlagen konnte, befanden wir uns wenige Minuten später zusammen mit Lacho, der uns in der abendlichen Gosse des Hafenviertels über den Weg gelaufen war bei unserer Bude, um den Kamin zu säubern. Nach einer kurzen Inspektion ging es los: Während Jacky und ich nach oben auf das Dach gingen, machte sich Lacho nach einer kurzen Einweisung meinerseits daran, von unten her in den Kamin zu kriechen und ein Seil nach oben an das Hindernis zu bringen. Ich stieg solange von oben her in den Kaminschacht hinein, Jacky blieb auf dem Kaminkranz und leuchtete mit einer Fackel. Eng war er und rußig – kaum einige Handbreit tief drinnen, waren schon mein gesamter Körper, das ganze Gewand schwarz von Ruß und Asche. Mit den Händen und Unterarmen an die Innenwände des Schachts gepresst, die des besseren Halts wegen nackten Füße in den Ritzen zwischen den Steinen, so ging es vorsichtig unter dem Lichtschein von Jackys Fackel hinab. Endlich dann etwas Weiches im Schacht, das Hindernis! Ich trat vorsichtig auf das Ding, da wurde klar: unter der weichen Oberfläche war etwas Hartes zu spüren, Stoff… ja, waren da Haare, die ich an den Zehen kitzeln spürte? Lacho hatte es inzwischen geschafft, das Seil von unten her an dem Objekt festzumachen und begann, daran zu ziehen – ohne Erfolg. Nach Absprache begannen wir damit, zeitgleich zu ziehen beziehungsweise zu drücken – doch bewegen wollte sich das Ding nicht so recht. Sack Zement!
Da flackerte das Licht über mir plötzlich kräftig, Ruß und Steinstückchen bröselten auf meinen Kopf herunter…. Ein Aufschrei von Jacky.. dann kam sie auch schon den Schacht auf mich herunter gebrettert! Sie war vom Schachtrand abgerutscht, als sie sich weiter herab gebeugt hatte, mir besser zu leuchten und krachte nun mit voller Wucht auf mich drauf. Hände und Füße verloren den Halt an den Schachtinnenwänden, wir flogen ungebremst auf das Hindernis hinunter und – ein kurzes Stocken. Uff! Nochmal Glück gehabt..?
Fehlanzeige. Zuerst langsam, ruckartig, dann in einem Rutsch ging das ganze Knäuel, bestehend aus Jacky, dem Hindernis und mir den Kaminschacht hinab! RRRUUMMMS! Eine weit ausladende, dichte Ruß-Welle ergoss sich über den Innenraum der Hütte, als das Knäuel unten im Brandraum aufschlug und heraus purzelte. Lacho hatte mit knapper Not noch entkommen und zur Seite springen können, so bot sich ihm der Anblick eines wirren Haufens aus Ruß, völlig geschwärzter Jacky und mir.. dem verrußten Hindernis.. ach ja.. den vieeeeelllen Ruß schon erwähnt?!
Hustend und schniefend krochen wir aus dem Wust an Ruß heraus und schöpften erst einmal Atem. Wie wir da so, bei jeder Bewegung Ruß bröselnd, aufstanden stellten wir zumindest fest, dass keiner von uns ernsthafte Verletzungen davon getragen hatte. Wir waren beide weich auf dem Ding gelandet, das im Kamin gesteckt hatte – und sich als ein menschlicher Körper heraus stellte!
Lacho zog es nun vor, abzuziehen und sich nach einer Schlafstätte umzusehen, somit blieb es an Jacky und mir, uns um dieses Problem zu kümmern.
Beim näheren inspizieren des leblosen Körpers zeigte sich, dass der Mann offenbar in den Kamin geklettert, dort stecken geblieben und dann erfroren war. Ein ganzes Bündel Dietriche und ein Brecheisen, das wir bei ihm fanden, ließen erkennen, wonach er getrachtet hatte: Er wollte bei uns einsteigen! Das war ordentlich in die Hose gegangen. Was hatte er bei uns gesucht? Allzu viel Besitz, der zu stehlen wert wäre, hatten wir nicht.. abgesehen… abgesehen von dem Wildkraut, das ich teilweise in unserer Bude lagerte! Verdammt nochmal, dieser Arsch wollte uns beklauen, womöglich noch mein Kraut? Mit kräftigen, weit ausgeholten Tritten begann ich die Leiche von Zorn beseelt zu traktieren. Wenn wir den armen Hund schon in der Gosse entsorgten, dann wenigstens mit eindeutigen Warnhinweisen für seine Genossen! Wer uns beklauen wollte, der wird alle gemacht, das sollte die Botschaft sein! Jacky fuhr mir energisch ins begonnene Werk: Ich könne doch keinen Toten treten! Der Geist von ihm könnte uns doch heimsuchen!
Selbstsicher zog ich da mein neues Amulett unter’m Hemd heraus: Der makellose Smaragd, den Jacky mir geschenkt hatte, eingefasst in ein schlichtes Silberamulett an silberner Kette. Das würde mich vor jedem Geist und allem anderen Unheil aus der jenseitigen Welt schützen! Sie war damit freilich nicht zufrieden, denn.. was war denn dann mit ihr? Sie hatte zwar nicht getreten, doch es gutgeheißen.. das war fast genauso schlimm! Hoo.. sie nahm das ja ganz schön genau. Während wir die Leiche in die Gosse hinaus schafften und auf einem freien Rasenstück zwischen alten Hütten ablegten und mit einer Bastdecke überdeckten nagte diese leise Furcht offenbar an ihr, denn kaum waren wir wieder daheim und begannen damit, uns bettfertig zu machen, bejammerte sie erneut diese fürchterliche Lästerung an den Toten, so dass ich mich in Versuchung geführt sah, ihr zu prophezeien, dass der Geist heut‘ Nacht käme und ihr Hirn fressen würde – meins sei ja durch das Amulett geschützt! Oh, welch üble Schadenfreue kroch da in mir hinauf, so fies es auch war: Ich fand es amüsant, Jacky an der Nase herum zu führen. Natürlich war der Spaß schnell verflogen, denn ihr machte das ganze wohl wirkliche Sorgen, so dass ich ihr einen Rettungsanker zuwarf: Wenn sie in meiner Nähe – und damit in der Nähe des Amuletts – bliebe, würde ihr nichts passieren. So geschah es auch, zuerst an meinem Hosenbein, dann ans Hemd geklammert, blieb sie mir stets so nahe, wie ich es mir manches Mal schon insgeheim gewünscht hatte.. Doch keine Zeit für solche belämmerten Gedanken, im Moment schwirrte mir mehr der Tote im Kopf herum. Die Patrouillen der Hafenwache würden die Leiche am nächsten Morgen sicher finden, tiefgefroren unter der Bastdecke, als sei der Mann im Suff dort liegen geblieben und erfroren. Das Problem würde sich selbst lösen – und wir fanden bald Schlaf.








Episode III – Wahrheit oder Mauschelei? Teil 2: Ein Geschenk

28. Alatner 252
Ebenda



Der Tag war recht ereignislos.
Als ich schlaftrunken irgendwann nach dem Mittagsläuten (an Land pflegte ich stets lange zu schlafen) endlich aufgestanden war, fand ich die Hütte recht rußfrei vor und keine Jacky in Sichtweite. Hatte sie etwa aufgeräumt? Ich machte mir darüber keine weiteren Gedanken und begann, den Kamin, den wir gestern Nacht noch gesäubert hatten, neu zu befeuern, es war empfindlich kalt hier drin. Die Angst vor dem Geist des toten Einbrechers hatte Jacky die Nacht über eng bei mir bleiben lassen, des Tags hatte sie die Furcht offenbar abgeschüttelt – ob Geister wirklich nur in der Dunkelheit kamen? Dem sollte man einmal auf den Grund gehen! Ich küsste sicherheitshalber mein Amulett, bevor ich mich anzog und nach einem kräftigen Schluck Rums nach draußen trat. Wenn Jacky zu der Tageszeit nicht daheim war, befand sie sich sicher an der Mole beim Fischen!
Und tatsächlich, da war sie auch, fleißig am Angeln. Dort an der Mole war das Wasser des Schiffsverkehrs, der noch lief, nicht gefroren und so gab es keine Einschränkungen für ihr geliebtes Hobby, das sie sich zum Nebenberuf gemacht hatte. Neben dem Dasein als Wahrsagerin und… tja, sie war halt doch meine Kleinganovin – überhaupt.. sie mochte diese Bezeichnung überhaupt nicht! Umso spaßiger machte es das, sie so zu nennen. Unverfängliche Kosenamen waren das, was ich im Moment brauchte, um den Vorstoß von Maria gestern Abend zu kaschieren. Das wurde mir bestätigt, als Jacky mir von den Begebenheiten der letzten Nacht berichtete. Ich hatte wohl wieder einmal schlafgewandelt… irgendein zeug daher gelabert, nachdem ich sie wie irre wachgerüttelt und dann hernach auch noch umarmt gehabt haben soll. Hasch mich… diese vermaledeite Schlafwandlerei, die mich manchmal überfiel (zumindest laut Jacky, die ja neben mir schlief) würde mich einmal Kopf und Kragen kosten… als ob es nicht schon genug Selbstbeherrschung kosten würde…

Kopfschüttelnd wischte ich diese Gedanken hinfort und seufzte leise. „Mach dich nicht kirre..“
Es kam mir gelegen, dass ich noch nach Bajard musste, um dort etwas Besonderes zu holen – ein guter Grund, um Abstand zu der Frau zu bekommen, die mir mittlerweile in manchen Momenten zu Kopf zu steigen drohte. Nach außen hin hieß es, sich nichts anmerken zu lassen, bis auf Weiteres.
Auf dem Weg nach Bajard musste ich erneut an den rahaler Apotheker Stranamorius denken, der mein Bein behandelt hatte – Jacky hatte sich der Salbe erinnert, die ihr seinerzeit so einen üblen Trip verpasst hatte, jene Heilsalbe… hm.. ich musste mir mehr davon besorgen, das war wohl ein guter Stoff, ideal für den Handel der Bruderschaft hier in Rahal. So würde ich auch dafür sorgen können, dass Jacky nicht mehr daran kam.. es war mir zuwider, sie so benebelt zu sehen. Es hieß, eine verlässliche Gruppe zusammen zu stellen, um bei dem Apotheker einen Bruch abzuwickeln. Doch alles zu seiner Zeit.
In Bajard angekommen waren es nur noch wenige Minuten Fußwegs bis zur lokalen Taverne, wo ich den Mann treffen sollte, den ich suchte. Wenige Worte, zwei kleine Pakete wechselten jeweils den Besitzer, dann waren wir beide schon wieder auf unseren Wegen – kaum vier Atemzüge hat es gedauert.

Zurück in Rahal traf ich Jacky dort an, wo sie vor gut zwei Stunden auch gewesen war: An der Hafenmole, angeln. Zähes Mädel… bei der Kälte so stoisch auszuharren, bis einer dieser verdammten Fische mal anbeißt. Ein leises Lächeln lag auf meinen Lippen, als ich mich neben ihr hinstellte, die Hände in den Manteltaschen. Ein wenig Palavern, dann zog ich die rechte Hand aus der Manteltasche, darin das mit Leinentuch eingeschlagene Paket, welches ich nun aus dem Tuch wickelte. Der Dolch, der darin eingeschlagen war, besaß eine beidseitig scharf ausgeschliffene Klinge mit Mittelgrat aus reinstem Diamant-Erz, die Beschläge der mit Leder bezogenen Holzscheide aus Messing gearbeitet.



Diesen Dolch reichte ich jetzt Jacky, das war das Gegengeschenk, das ich ihr schuldig war (sie hatte mir nach irgendeiner Tradition aus ihrer Heimat kürzlich Geschenke gemacht) und außerdem.. weil ich es wollte. Sie hatte schon seit Wochen immer wieder ein Messer oder Dolch nehmen wollen, den sie nicht besaß... irgendwann hatte ich das nicht mehr mit ansehen können. Es war mir zuwider, sie ohne ein gescheites Messer hier im Hafenviertel zu wissen, bei all den zwielichtigen Typen.. zu denen wir zwar auch zählten, doch... das war nicht dasselbe. Natürlich hätte es eine einfache Stahlklinge auch getan, doch die Creme de la Creme der Klingen, Diamant, war das nicht gut genug für mein ‚mo chride‘? Mit Freuden und auch leisem Stolz berichtete ich ihr von den interessanten Vorzügen solch einer Diamantklinge, war ihr Gesicht doch ein Spiegel unbändigen Frohsinns, der mich ansteckte und in dem Geschenk bestätigte. Als sie mich dann auch noch umarmte, mochte ich mich selig schimpfen, beließ es aber bei einem süffisanten Grinsen. Das war gelungen! Eine Weile standen wir noch an der Mole – ich hatte dezent meinen Arm um sie gelegt, was soll’s.. das war der beste, unverfänglichste Moment dazu.
Das Tagwerk beendete diesen mir sehr angenehmen Augenblick selbstredend schnell wieder, beide hatten wir noch Geschäfte zu erledigen, so dass wir bald auseinander gingen, jenen nachzugehen.
Ich war zwar nun nahezu pleite, doch umso besserer Laune – so geizig ich auch sonst war, diese Ausgabe, die einem finanziellen Selbstmord gleich gekommen war, mochte ich nicht missen.

Mal sehen, wie es meinem „Schmuggel-Azubi“ Lacho so ging...

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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 30 Dez 2009 12:22, insgesamt einmal bearbeitet
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 03 Jan 2010 16:49    Titel: Episode 4 – Neue Nachbarn
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Episode 4 – Neue Nachbarn

1. Hartung 253
Im Rahaler Hafenviertel und in Bajard



Die Nächte waren mittlerweile klirrend kalt geworden, so dass selbst die morastigen Trampelpfade in den Gassen des Hafenviertels steinhart gefroren waren. An Schifffahrt war nur noch mit schweren Kähnen zu denken, deren massive Kiele das Küsteneis durchbrechen konnten. Ohnehin saß ich nun schon… beim Hut des Klabautermanns! Es mussten schon 13 Tage an Land sein! Am Stück!
Die harte Zeit des Winters hatte mich jetzt endgültig eingeholt.
Fahr doch einfach mit so einem schweren Kahn zur See, du Nase… könnte man jetzt schimpfen. In der Tat, das könnte ich, doch so einfach ist das dann auch wieder nicht.
Während des Winters herrscht bekanntlich Frost, besonders in den Stunden der Nacht. Auf See, bar jeden Hindernisses, können die kalten Winterstürme ungehindert umher pfeifen, sind die Schiffe auf hoher See der Unbill dieser harschen Jahreszeit ungeschützt ausgesetzt. Der Seemann von Welt kann sich dagegen halbwegs schützen, indem er warme und windundurchlässige Kleidung anzieht, nicht länger als zwei bis drei Stunden Deckwache schiebt und sich reichlich mit nahrhafter Kost eindeckt. Nicht so das Schiff, auf dem er dient.
Kiel und Rumpf haben in Küstennähe mit dem schroffen Eis zu kämpfen, was meist kein Problem darstellt, sollte man wenigstens auf einem Zweidecker angeheuert haben, da deren Verdrängung und Rumpfstärke in der Regel ausreichend ist. Anders sieht es schon bei der Takelage und den Segeln aus: Waren die Taue und Segel erst einmal vom schneidenden Wind gefroren, konnten sie bei Belastung jederzeit Schaden nehmen oder sogar zur Gänze brechen oder zerreißen – selbst für eine Landratte sollte klar sein, dass dadurch Segeln nur unter großen Risiken und Ausfällen oder überhaupt nicht möglich ist.
Dementsprechend hatte ich mich bereits darauf eingestellt, dass aus den bisher dreizehn Tagen an Land noch ein paar mehr werden würden. Grund genug, das Umfeld unserer Bude im Auge zu behalten. Seien es nun grundlose Paranoia oder nicht… jedenfalls wollte ich lieber wissen, wer sich rundum das Heim von Jacky und mir herum trieb, im Besonderen neue Gesichter.
Zwei davon fielen mir tatsächlich bei meinem heutigen Rundgang auf.
Die beiden Männer schleppten allerlei Kisten und Säcke in eine Hütte, die nördlich von der Grasfläche, die an unsere Bude grenzte, stand. Ein sogar für die Verhältnisse des Hafenviertels etwas verfallener Bau mit enger Raumeinteilung und schlechtem Dach.



Neugierig geworden stieg ich auf unser Flachdach hinauf und begab mich auf die Dächer und Stege, die über den Gassen des Hafenviertels entlang führten und so typisch für dieses verwinkelte Kleinod kriminellen, aber freien, einfachen Lebens waren. Gebückt und sorgsam darauf bedacht, unbemerkt zu bleiben, begab ich mich auf die Höhe der besagten Hütte, um die zwei Männer besser beobachten zu können: Der ältere von beiden trug eine sorgfältig rasierte Glatze, der jüngere indes Haar und Bart. Nicht gerade aussagekräftig.. musste näher heran, vielleicht könnte man etwas aufschnappen. Auf dem Weg näher zur Hütte machte sich einer der beiden, der Glatzkopf, fort und verschwand in einer Gasse nach Norden. Sollte mir Recht sein, dann würde ich eben das gezielte Gespräch mit dem Jüngeren suchen!
Ein beherztes Klopfen und ausgesprochene, neutral-freundliche Grüße später befand ich mich auch schon in der noch leerstehenden Hütte, überall standen die Kisten und Säcke herum, die sie herein getragen hatten: Ihre Besitztümer. Der Mann, der sich als Karl (Kaaaaaaaarl!) vorgestellt hatte, war offenbar keine Gefahr und mir sympathisch: Er bot mir breitwillig eine Flasche Korn und einen Sitzplatz auf der einzigen bereits stehenden Bank an. Wer das nicht gutheißen mochte…!
Nachbarliche Gespräche verliefen ja immer recht förmlich, zugleich aber irgendwie kollegial ab, so palaverte man ein wenig über das Viertel, dass man ja nun Nachbarn sei, wo man wohne.. und so weiter. Das übliche.
Interessanter wurde es dann, als sich zeigte, dass Karl dem Kriegshandwerk nachging, namentlich wohl dem Schwertkampf. Zur Gänze überzeugte mich der Junge dadurch, al er auf meine Frage, ob er denn in der Stadtwache dienen wolle, vehement negierte und meinte, er suche andersgeartete „Arbeit“. Das war mal ein guter neuer Nachbar!
Sogleich gab ich ihm dezent den Hinweis, sich in der lokalen Spelunke ab und an blicken zu lassen, dort gäbe es bisweilen Arbeit… fürderhin sollte er meinen Kumpanen vorgestellt werden – Jacky, Elfie, Kiebitz… wie sie alle hießen. Vielleicht konnte man Verwendung für ihn in unserem Ring haben. Als wir uns auf die Suche nach seinem entschwundenen Mitbewohner namens Xalfein machten, sollte sich alsbald heraus stellen, dass das Vorstellen gar nicht mehr notwendig war.
Wir trafen ihn bei Kiebitz und ihrer Schwester an, man kannte sich schon, wollte sogar gerade zusammen nach Bajard zum Alterchen Knochenbrecher reisen. Das war also schon einmal vom Tisch.
Kiebitz Schwester Lockvögelchen hatte, kaum dass sie meiner ansichtig geworden, auf mich einstürmen wollen, nur ihre beherzte Schwester hielt sie davon ab: Aye, das Kindchen hatte mir den Schultertreffer immer noch nicht verziehen, dabei war es doch selber schuld, das junge Ding! Wer wäre schon so leichtgläubig und spielt einen Geist, ohne mit Konsequenzen zu rechnen?
Sei’s drum. Wir würden bald eine Aussprache unter vier Augen führen, das wäre das beste… ehe ich meine ausgesprochene Warnung an dem Kindchen doch wahr machen müsste. In jedem Fall wäre es weit angenehmer, es friedlich zu regeln, das musste ich mir eingestehen: Alles andere bedeutete nur umständliches Aufräumen und Bestechen von Patrouillen.
Wir zogen schließlich, nachdem sich das Kindchen etwas beruhigt hatte, zusammen nach Bajard – eine Geduldsprobe für meinen Magen, denn wir fuhren mit der Kutsche, dem wohl abartigsten Kind des Erfindungsgeistes der Landbevölkerung.
In Bajard ging es zielstrebig zum neu eröffneten Laden des Alten „Knochenbrecher“, dort sollten unsere beiden neuen Nachbarn von dem alten Schmied ausgerüstet werden. Mich riefen indes Geschäfte hinfort.



2. Hartung 253
In Bajard



Tags darauf befand ich mich noch immer in Bajard. Die Nacht war schnaps- und krautreich vorübergezogen, nur an Schlaf, daran hatte es gemangelt. In der Herberge, in der ich genächtigt hatte, war kaum eingeheizt worden – nicht verwunderlich bei den paar Groschen, die mich das Bett gekostet hatte. Mit klammen Fingern und Füßen ging es also direkt auf die andere Seite der Landzunge, zur Schmiede vom alten Knochenbrecher, der erwartungsgemäß schon geöffnet hatte.
Da ich schon dort war, ließ ich mein Entermesser überholen, das in der letzten Nacht in der örtlichen Taverne Schaden genommen hatte: In einer Kneipenschlägerei hatte ich den Knauf einem Kontrahenten über den Schädel gezogen, der offenbar einen ziemlichen Dickschädel gehabt haben musste: Das Heft hatte es etwas verzogen, was nun korrigiert werden musste.
Der Alte stellte sich dabei jedoch behände an, so dass es nach recht kurzer Zeit wieder seine Ordnung hatte. Zu meiner stillen Freude tat er diese Reparatur für nicht mehr, als das Wort des Dankes; er würde uns und den ganzen „Gaunern“ für so etwas kein Geld abknöpfen. Guter Mann, zumal er zu uns gehörte. Da wir kürzlich einen schweigsamen Schmied, der keine Fragen stellte, verloren hatten, nahm ich mir vor, den Alten als Ersatz der Bruderschaft vorzuschlagen.
Im Zuge eines immer wieder wegen Arbeit unterbrochenen Gesprächs, begleitet von Korn, in dem der Alte mir offenbart hatte, dass er nach Jackys Weissagung auf eine Insel mit einer „Madame“ müsse, sonst würde er vor seiner Zeit sterben (diesbezüglich würde ich noch mit Jacky reden müssen. Ich hatte es ihm zwar ausgeredet, vorerst, doch es war einfach zu riskant. Konnte man ihm trauen? Sie hatte eindeutig auf cabezianische Gewässer angespielt.) kam Xalfein vorbei, frisch von einer Jagd, mit verschmiertem und gedelltem Rüstzeug. Knochenbrecher machte sich postwendend daran, alles wieder auf Vordermann zu bringen: Für jeden Waffen- und Rüstungsschmied war es ein Graus, ungepflegtes Waffen- und Rüstzeug zu sehen, so auch für den Alten.
Der Lärm war zwar unerhört, doch die wohlige Wärme in der Schmiede machte das wieder wett: Mit Krautstängel und Korn ließ ich mich vom Alten noch einen weiteren Kunden lang nach Xalfein aushalten, ehe ich es dann doch vorzog, abzuziehen und meiner Wege zu gehen.
Ich wollte wieder zurück nach Rahal, zu Jacky. Hatte sie schon ein paar Tage lang nicht mehr gesehen, es wurde Zeit…

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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

"Krieg, Handel und Piraterie,/Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
Mephistopheles, Faust II


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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 05 Jan 2010 02:45    Titel: Episode 5 - Das Experiment
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Episode 5 – Das Experiment

03. Hartung 253
Im Rahaler Hafenviertel und am Wegkreuz



Mit Kutschen hatte ich es nicht sonderlich. So skurril es sich auch für einen Seemann anhörte, das Schaukeln war das Problem daran, während der Fahrt sorgte es stets für ein gehöriges Durcheinander in meinem Magen und ließ mich schneller mein Mahl wieder sehen, als mir lieb war.
Begonnen hatte diese Abscheu schon in meinen jungen Jahren, als ich als junger Bursch die Kaufmannslehre bei dem Tuchhandel „Stavanger & Lindstörm“, dessen Besitzer, der Kaufmann Lindström, mein ungeliebter Onkel war. Er hatte mich in diesen schweren Jahren, in denen ich zwar Schreiben und Lesen und derlei Bürgerliches, aber auch die bürgerlich-adelige Gesellschaft zu hassen gelernt hatte, zu so manchem gezwungen, das mir zuwider gewesen war – doch am schlimmsten war noch das Reiten gewesen. Pferde waren böse Tiere, sie bissen einen, wenn man ihnen im Anflug von Sentimentalität einen Apfel geben wollte, sie traten einen, wenn sie einen unaufmerksam wussten. Böse Tiere. Und ich sollte auf den Mistviechern reiten! Als es dann auch noch daran ging, in den von ihnen (bis zu vier, gar sechs auf einmal waren möglich!!) gezogenen zwei- oder vierrädrigen Gefährten durch die Weltgeschichte zu kurven, war der Spaß für mich endgültig vorbei gewesen – und nach den ersten gepflegten Offenbarungen all dessen, was ich über den Tag gegessen
hatte, zog mein Onkel es vor, mich in keine Kutsche mehr zu stecken. Hernach, als ich dann zur Handelsmarine gekommen, später dann vor die Wahl gestellt worden war – Leben bei den Piraten oder Tod auf See in einem Beiboot.. seitdem hatte ich mit meiner geheimen Angst nicht mehr kämpfen müssen. Das hatte sich seit einigen Monden jedoch geändert, seit ich vermehrt meine Landgänge in Rahal mit Geschäften und… bei Jacky zubrachte.



Diese Abscheu vor der Übelkeit und den Kutschen, den Pferden noch dazu war zur Zeit noch groß genug, um selbst bei den teilweise oder völlig zugefrorenen Küstenstreifen lieber den Versuch zu starten, mit meinem eigenen kleinen Kahn nach Rahal zu fahren, anstatt mit dem Viergespann.
Das stellte sich zweifellos als sehr schwierig heraus, besaß ich doch nur einen kleinen Kutter mit kleiner Schonerbesegelung und Takelage, die es erlaubte, dieses kleine Schiff, das mehr einem größeren Boot glich, alleine manövrieren zu können. Diese Sorte Schiff war einzig für die Küstenschifffahrt denkbar und besonders bei kleinen Fischern beliebt – oder bei Schmugglern. Natürlich war ich offiziell stets auf Fischgrund-Suche, es brauchte ja nicht die Runde machen, was meine ‚besonderen, seltenen Fische‘ wirklich waren. Oder besser: Was sich in ihnen eingenäht befand.
Diesmal war es fürwahr keine Schmuggelfahrt, die mich dazu trieb, mich mit mühseliger Kleinstarbeit durch die vereinzelt vereisten Küstengewässer zu kämpfen, sondern eine Art „Lustfahrt“, wie man es im gehobenen Bürgertum und dem Adel schimpfen würde. Eine Lustfahrt mit Reisecharakter, versteht sich. Da mein Kutter weder eine hohe Verdrängung, noch einen wuchtigen Kiel hatte, musste ich auf der Reise, die mich den ganzen späten Nachmittag und Abend des 02. Hartung und die Nacht zum 03. Hartung kostete, immer wieder bei zu dickem und dichtem Eis anhalten. Normalerweise konnte man momentane Vereisungen in dieser Zeit des Jahres noch umfahren, noch gab es Lücken, doch allzu oft empfing mich auf dem Weg nach Rahal eine geschlossene Wand von Eis, die zu umfahren mich in das offene Meer genötigt hätte; bei dem kleinen Kutter nicht zu empfehlen, schon gar nicht bei den tückischen Winden. Also musste ich in solchen Situationen das Schiff am Eis vertäuen und mir einen Weg durch das Eis mit der Schiffsaxt freihauen, um weiter voran zu kommen – dass das viel Zeit und Mühe in Anspruch nahm, wird man sich der geneigte Leser denken können.



Als endlich der Morgen graute und das dunkelrot der aufgehenden Sonne den Horizont in einen phantastisch anmutenden Schleier hüllte atmete ich erschöpft, aber erleichtert auf: Dort, in dem milden Morgenrot war kaum zwei Seemeilen entfernt das Mauerwerk Rahals und die Mole des Hafens zu erkennen. Ein wohliges Gefühl überkam mich da, welches die beißende Kälte in meinen Gliedern etwas erträglicher machte, ein Gefühl von Heimat. Nicht so, wie ich es bei La Cabeza verspürte, das war gänzlich eigen und würde ich niemals irgendwo auf dem Festland finden – die Nebelinsel war der seltene rote Diamant unter den Edelsteinen, das Rahaler Hafenviertel dagegen nur der Saphir, den ich im Stillen mit den Augen Jacky verband. Muss so eine Manie unseres Menschenschlags sein, einem liebe und teure Personen mit Wertegenständen zu vergleichen, die einem auf andere Art lieb und teuer sind… sollten sich die Pfaffen mit so was befassen, mir war das Schnuppe. War so, wird immer so sein. Nichtsdestotrotz war das Hafenviertel als Möglichkeit zum Nebenverdienst seit der Übergabe der Schmuggelgeschäfte der Bruderschaft seitens Jesters, darüber hinaus als Ort der Entspannung und des Rückzugs von den Strapazen der Kaperfahrten, den Querelen in La Cabeza wertvoll für mich geworden.
Nachdem ich im Hafen eingelaufen war, der dank seiner Anlage und des trotzigen Durchhaltens der hiesigen Fischer und Händler relativ eisfrei geblieben war, waren nur noch wenige Förmlichkeiten zu erledigen, die mich von der Ankunft im „Daheim diesseits der Meere“ abhielten, das im Gegensatz zu dem „jenseitigen“ keineswegs so sicher und vor allem warm war, aber das bot, was ich auf der Nebelinsel vermisste: Eine Nuance von dem Leben, das ich hinter mir gelassen hatte die ich in vor allem in Jacky, fürderhin all den anderen Landratten, selbst den Geschäftskollegen der Vogelfreien lodern sah. Das Leben an Land, wie es meine Eltern und Geschwister, meine übrige Verwandtschaft weiter verfolgte, im Glauben, ich sei auf See umgekommen – zumindest hoffte ich es; würden sie erfahren, dass ich Pirat geworden war, würde ich alumener Reichsgebiet trotz meiner Tarnung meiden müssen. Sollte ich etwa tatsächlich noch sentimental werden? Jaron „Neun Finger“ Sylva, Matrose des großen Raul Vincente Perera, von Eingeweihten „der knuffige Gemütsmensch“ genannt? Da könnte ich mir gleich die Kugel geben. Mit einem guten Schluck Rums, der der Kälte in meinen Gliedern zusätzlich den Kampf ansagen sollte, wischte ich diese Gedanken hinfort und wandte mich dem Jetzt zu: Die Hafengebühr war im Wachhaus der Hafengarnison zu entrichten, hernach ging es weiter in die verwinkelten Gassen des Hafenviertels hinein.
Wie meist, wenn ich von der See zurückkam, fiel mir als erstes der Geruch hier auf. Im Gegensatz zu La Cebza lag hier stets mal latenter, mal penetranter Gestank nach modrigem, brackem Wasser, Abfällen, Exkrementen und manchmal.. manchmal auch Tod, Fäulnis, in der Luft. Der Geruch von verruchten Hafenvierteln an all den Küsten der Meere, die die Bruderschaft befuhr und deren Handelsrouten sie wie reife Weinreben aberntete. Nach einigen Tagen, manchmal schon nach wenigen Stunden fiel mir der Geruch nicht mehr auf, indes gehörte es zwischenzeitlich schon zum Ritual der „diesseitigen“ Heimkehr dazu, den dem Hafenviertel Rahals eigenen Odeur (oder besser Mief) wissentlich zu erkennen. Spätestens, wenn ich wie dieses Mal die Schwelle zum gemeinsamen Heim von Jacky und mir hinter mir ließ, schloss ich mit der kalten Winterluft auch den Gestank aus, wurde von leisem Duft nach Rum und dem Geruch, der altem Holz anzuheften pflegte umfangen. So war es auch dieses Mal.
Als ich so in den Wohnraum hinein sah, die übliche Unordnung in mich einsog, Jacky, die mich gegrüßt hatte, zurück grüßte, wie ich sie da in der Ecke vor der Trennwand stehen s… Moment. Da traf es mich, wie eine Faust ins Gesicht: In der Trennwand klaffte ein großes Loch! Mit herunter geklappter Kinnlade deutete ich, im Schock zu keinem Wort fähig auf das Loch, vor dem Jacky mit formvollendeter Unschuldsmiene stand. Erst ihre unverblümte Frage, ob mit mir etwas nicht stimme, riss mich aus der momentanen Erstarrung und ich begann sie völlig irritiert und perplex zu fragen, was denn passiert sei; während ich in abwartend und ich glaube, wohl auch ziemlich abgespannter Weise mit den Armen in den Seiten dastand und ihren Ausführungen folgte, entglitt mir meine Mimik zusehends. Sie hatte doch glatt etwas von der Heilsalbe, die mir Stranamorius seinerzeit für meinen Fuß gegeben hatte, aufgetrieben und damit herum experimentiert! Dabei hatte ich ihr doch ausdrücklich untersagt, mit der Salbe etwas anderes zu tun, als das, wofür sie gedacht war: Nicht rauchen (was wir beide ja bereits hatten, mit schlimmen Folgen für Jacky), nicht essen, nicht trinken.. was auch immer, nur auf Wunden damit. Das hatte sie in den Wind geschlagen und da hatten wir nun den Salat: Sie hatte die Salbendose am Kamin sitzend geöffnet, hatte sich dabei wegen eines lauten Geräusches, allein wie sie des Nachts gewesen war, erschrocken (der „Geist“ des unglücklichen Diebes hing ihr immer noch nach) und hatte die Dose ins Feuer entgleiten lasen, worauf es eine Detonation gegeben zu haben schien, die sie ans andere Ende des Raums befördert und in die Trennwand das Loch gerissen hatte (überdies hatte sie in der Erzählung des Aspekts: „ganz alleine_und_einsam, kalt_und_kälter“ besonders betont), zu meiner Erleichterung war ihr dabei nichts nennenswertes zugestoßen. Das hielt mich nicht davon ab, ihr eine Standpauke darüber zu halten, dass sie mit dem Zeug nicht experimentieren solle, schließlich könne ihr dabei mal etwas zustoßen und so weiter.. sie verglich mich sogar in diesem Zuge mit ihrem Vater, doch das war mir gleichgültig: Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn sie bei dem Scheiß‘ drauf ginge oder „ihr Hirn ‚roushout mit’em Zeuch“, was ihr ziemlich egal zu sein schien, ob sie sich selbst schade oder nicht fatalistisch das Mädel.. erst meine Äußerung, dass es mich scheren würde, brachte sie halbwegs begleitet von einem Kichern zur Vernunft. Und mich an den Rand des Wahnsinns: Bloß nichts anmerken lassen, bloß nichts anmerken lassen, Junge. Glücklicherweise hatte sie sich ihrer neuesten Erfindung, wie sie es nannte, zugewandt, derentwegen wir derweil auf das für unser „Krähennest“ eponyme Flachdach gestiegen waren: Mit der Heilslabe von Stranamorius hatte sie geräucherten Fisch bestrichen und wollte ihn zum Verzehr anbieten, als ewiges Leben verheißende Mahlzeit. Da konnte ich nicht mehr an mich halten: Recht amüsiert mokierte ich, dass das nun wahrlich kein Fleisch von Meerjungfrauen sei! Denen sagte man unter alten Seeleuten nämlich nach, dass es beim Verzehr Unsterblichkeit verleihen könne – oder fürchterlichen, sofortigen Tod; ein Roulette für all jene glücklichen Seemänner, die es überlebten, eine Meerjungfrau lebend zu fangen. Bisher gab es da niemanden, dem das je gelungen wäre – oder keinen, der davon erzählen könnte.
Aber Geschäftsidee war Geschäftsidee, es gab genug abergläubische Idioten an Land, die ihr diese Mär abkaufen würden. Aberglaube war zwar auch ein Teil meines Lebens, aber ich pflegte ihn eher „seemännisches Gespür für Übernatürliches“ zu nennen, das war etwas völlig anderes!
Ehe man den präparierten „Wunderfisch“ unters Volk bringen konnte, musste er natürlich erprobt werden – man konnte ja kein Gift verteilen, da würde man schneller einen Mob am Hals haben, als einem lieb wäre – und so kam es, wie es kommen musste und von mir schon erwartet wurde: Mir fiel die glorreiche Ehre zuteil, diese Jacky’sche Erfindung auf Verträglichkeit zu erproben.
Das sollte auf Elfriedes Hof am Wegkreuz stattfinden, nicht im Rahaler Hafenviertel. Da würde ich mich im Notfall ungesehen einige Tage hinlegen können, wenn es schief lief.
Gut eine Glasen und eine schreckliche Kutschenfahrt später (Jacky und Schiffe.. das ging bekanntlich gar nicht) fanden wir uns am Hof von der alten, herzigen Landpomeranze ein, die der Kopf des in Entstehung befindlichen Bundes werden sollte.



Wie immer empfing uns dort beinah schon großmütterlich anmutende Wärme und Gastfreundschaft, bei Kost und vorzüglichem Apfelmost ließ es sich dort in der Wohnstube gut aushalten – besonders zur Winterszeit!
Weitere Gäste waren heute Ira, wie auch unsere neuen Nachbarn Xalfein und Karl, eigentlich Sinus und Johann genannt, wie wir an diesem Nachmittag erfuhren, als man sie in die Ideen und Ziele des Bundes einweihte, waren sie doch vom selben Schlage in Geschäfts- und Arbeitsinteressen, wie die Männer und Frauen um Elfriede, denen ich lose neben zur Seite stand. Es war immer besser, für die Bruderschaft einen Fuß in der Tür zu haben.
Im Zuge der geschäftlichen, aber auch eher alltäglichen Gespräche kam Jacky letzten Endes auf das Experiment zu sprechen, das wir ausführen wollten („wollten“ war wirklich ein guter Schenkelklopfer, aber was sollt ich schon machen.. so dämlich die Bitte auch war, ich krautverrauchter Trottel konnte natürlich nicht nein sagen..). So kam es, dass ich das mundgerechte Stück behandelten Räucherfischs in Händen hatte und keine andere Wahl hatte, als mich selber zu verfluchen und das schon so abscheulich riechende Stück Fisch in den Mund zu stopfen. Stopfen, wenigstens würde ich es so in einem Aufwasch hinunter würgen können, und so kam es auch, dank reichlichen Nachspülens mit dem Apfelmost. Zuerst war da nichts als unaussprechlicher Ekel. Vom verfaulten Zwieback voller Maden und brackem mit Rum versetztem Wasser war ich ja an Bord einiges gewohnt, doch dieser … Fisch, mir treibt es jetzt noch den Schweiß aus allen Poren bei der Erinnerung! Die schlimmste Plörre war dagegen Ambrosia! Und so breitete sich schon bald eine mulmige Kälte in meinem Magen aus, begleitet von aufkeimender Übelkeit, mein Gesicht verlor zunehmend an Farbe… und mir ging es einfach nur noch elend. Wie ich da so vornüber auf der Tischplatte lag wie ein nasser Sack.. da vernahm ich nur mit halbem Ohr, zu sehr mit diesem Elendsgefühl von tiefer Übelkeit geplagt, wie Ira Jacky eine Närrin schollt – wir seien durchgeknallt, verrückt, alle beide! Trotz des inneren Kampfes, den ich gegen meinen aufbegehrenden Magen ausfocht, musste ich schwach Schmunzeln.. verrückt? Ach was… nur ein wenig irre.
Da wurde mein Kopf plötzlich heurm gerissen und im selben Aufwasch das hintere Ende eines Pfeils in meinen Mund geschoben, hinten in den Rachen, was unweigerlich den Würgereiz auslöste: Ich kotze nach Herzenslust nach rechts auf den Boden, nur mit viel Glück entkam die Pfeilschwingerin Ira dem Erbrochenen. Sofort fühlte ich mich ein wenig besser und nahm, mit etwas zittrigen Händen, den von Ira heran geschobenen Schnaps entgegen, wovon mehrere tiefe Schlucke meine Speiseröhre hinab wanderten. Die wohlige Wärme, die der starke Schnaps in meinem Magen verbreitete, brannte das restliche Übelkeitsgefühl förmlich hinfort, Schluck um Schluck wurde es mit der Zeit besser. Farbe kehrte in mein Gesicht zurück, meine Sinne wurden klarer – abgesehen von dem leichten Nebel des Alkohols wegen. In dieser Phase der Erholung waren unsere neuen Mitarbeiter und Ira gegangen und Jacky, die mir noch irgendetwas bezüglich des Abends, an dem wir die Salbe geraucht hatten, ins Ohr geflüstert hatte (der Sinn entbehrte sich mir, ich musste sie mal darauf ansprechen..), hatte sie ein wenig nach draußen geleitet. Als sie zurück kam, war ich so weit fit, dass wir abziehen konnten; nachdem Elfriede noch einen Kunden bedient hatte, der Wolle kaufen wollte, zogen wir zu dritt ab, wir wollten heute Abend noch einen Coup hinlegen, der uns etwas Geld in die Kassen spülen sollte.
Die kalte Winterluft, die uns unter frühabendlichem Himmel empfing vertrieb rasch den letzten Nachhall an das Salbenfisch-Experiment aus meinem Leib und guten Mutes ging es voran, nach Rahal, Vorbereitungen für das Gaunerstück treffen.

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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 05 Jan 2010 02:53, insgesamt einmal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 09 Jan 2010 17:20    Titel: Episode 6 – Von Verrätern und Geistern
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Episode 6 – Von Verrätern und Geistern Teil 1: Das Exempel

08. Hartung 253
Im Rahaler Hafenviertel und auf La Cabeza



Mit brummendem Schädel und einem langen, herzhaften Gähnen wühlte ich mich an diesem verfluchten Tag aus dem Wust an Decken und Fellen, den Jacky und ich unsere Schlafstätte nannten – dieser Tag an Land (der 20. Tag, ohne auf hoher See gewesen zu sein! Hoffentlich würde der Frühling bald kommen..) begann für mich, wie schon des Öfteren, erst mit dem späten Nachmittag. Erwartungsgemäß lag Jacky nicht neben mir, kruschelte wohl irgendwo in unserer Bude herum; somit stand ich auf, genehmigte mir einen „morgendlichen“ Schluck Rum und machte mich daran, mich einzukleiden. Von Jacky war keine Spur in der Hütte.
Merkwürdig. Wenn es nun früher Morgen wäre, was es ja nicht war, hätte ich mich nicht gewundert: Da fischte sie immer mit Vorliebe, wo war sie jetzt also? Sonst kruschelte und räumte sie um die Tageszeit immer wie eine Wilde in unserem Saustall herum, als wollte sie etwas Ordnung herein bringen – was natürlich nicht ihr Interesse war, beim Mammon, zum Glück..
Fertig angekleidet, die gefütterte Lederjacke noch nicht zugeknöpft, vernahm ich endlich einen dumpfen Singsang durch die geschlossene Hintertür: Er schien von der freien Grasfläche nördlich unserer Hütte zu kommen und die klare Stimme hörte sich verdächtig nach Jacky an! Da war sie also! Kurzerhand stiefelte ich also zur Hintertür hinaus, mit angezündetem „Morgen“Krautstängel und Rumflasche im Petto, um mir das Schauspiel auch anzusehen, was ich akustisch vernommen hatte.
Dieses Schauspiel entpuppte sich als Geisteraustreibung, ein Ritual, das viele Gesichter und Ausformungen kannte, Jacky indes hatte das dreifaltige Feuer-Blut-Ritual ausgewählt und beinahe komplett in die Tat umgesetzt. Beinahe, aye.. denn es bedurfte nicht nur dreier brennender Fackeln als Lichtspender, sondern auch dreier Blutspender – da kamen „Karl“, der gerade vorbeistiefeln wollte und von dem skurrilen Anblick aufgehalten wurde, wie auch ich gerade Recht.
Geisteraustreibungen… für die meisten Bürger der Reiche war so etwas Humbug, für uns, die wir frei nach unseren Ansichten lebten, als Seeleute auf den Meeren allzu oft Tod und Dingen ins Auge sahen, das die meisten Menschen als Aberglaube oder Hirngespinst abtun würden... mit dem Wissen, dass Geister tatsächlich existierten bekam für uns so ein Ritual einen ernsten, wahrhaftigen Charakter. Und Jacky hatte nicht von ungefähr damit begonnen: Der unglücklich in unserem Kaminschacht erfrorene Einbrecher, den wir auf der Grasfläche verbuddelt hatten, hatte nämlich offenbar als Wiederkehrer damit begonnen, unsere Bude heimzusuchen. Letzte Nacht hatte ich es freilich nicht mitbekommen, offenbar gepennt wie ein Stein… doch Jacky verzapfte selten Mist, somit musste da ja was dran sein. Lieber auf Nummer sicher gehen… wir hingen schließlich beide an unseren Seelen. Also traten Karl und ich dazu, um mit kurzen, flachen Schnitten an Hand beziehungsweise Unterarm etwas Blut zu zollen. Alsdann ging es zum Abschluss daran, dass ein jeder von uns dem Geist zu befehlen hatte, hinfort zu gehen: „Weiche!“ hallte da drei Mal über den freien Platz in die kalte Winterluft hinaus. Ich begleitete das ganze mit ordentlich Wildkraut-Rauch, kannte ich so ein Vorgehen doch von den Voodoo-Einheimischen der Nebelinsel.. und wie gesagt: lieber alles anwenden, was man kennt.. auf Nummer sicher!
Karl empfahl sich kurz darauf, er hatte noch etwas zu erledigen und entschwand Richtung seiner und Xalfeins Hütte an der Nordseite des Platzes.
Als ich nun Jacky nach dem vollendeten Ritual so taxierte musste ich den Kopf schütteln und setzte das um, was ich mir schon vorhin beim Heraustreten bei ihrem Anblick in den Kopf gesetzt hatte.
Jacky hatte sich für die Geisteraustreibung einen sehr sauber genähten, dünnen Zwirn in pastellfarbenem hellem Ton angezogen, ein wahrlich schönes Kleid, das ihr gut stand, das musste ich mir eingestehen – doch keineswegs statthaft bei so einer Mordskälte, zumal sie auch noch barfuß unterwegs war! Somit bugsierte ich sie sanft, aber bestimmt zurück in unsere Hütte und überließ ihr den Rum, damit sie davon zum Wärmen trinke. Drinnen sollte sie sich erst einmal auf den Hocker neben dem Kamin setzen, denn ich wollte ihre Füße kontrollieren; nicht auszudenken, wenn sie sich einen Zeh abgefroren hätte! Glücklicherweise und zu meiner Erleichterung waren ihr Füße zwar gehörig frostig kalt und etwas blau, beginnende Erfrierungen waren aber nicht auszumachen. Mit der Weisung, sie solle sich die Füße in Decken gehüllt aufwärmen, keinesfalls aber am Kaminfeuer, entließ ich sie: umziehen wollte sie sich. Besser so.. es fiel mir zunehmend schwerer, mich im Zaum zu halten, betonte das Kleid doch ihren Leib umso genauer, akzentuierter.. Verdammt! Mit einem tiefen Zug vom Kraut, der mir für einige Augenblicke Nebel ins Hirn pustete und dem verbissenen Bestreben, den Kamin neu anzufachen, verdrängte ich die aufkeimende Gelüste halbwegs – doch nicht lange. Jacky hatte sich mittlerweile des Kleids entledigt und kramte, nur im Untergewand, in den Fässern nach ihrer üblichen Kleidungskombination. Beim Barte des Klabautermanns, die Frau würde mich eines Tages noch wahnsinnig machen… allzu lange blieb mein zweideutiger Blick freilich nicht unbemerkt, denn Jacky schenkte mir einen schiefen Blick und fragte mich kess, was es denn da zu gucken gäbe, „eh?“. Puh… irgendwann wird’s mir Mal herausrutschen, und beim toten alten Perera, ich hoffte inständig, das der Schuss nicht nach hinten los gehen würde…!
Fürs Erste wandte ich mich wieder dem Geist zu, um von der delikaten Situation abzulenken, von dessen Herumspukerei hatte ich nämlich in der Nacht nichts bemerkt. Prompt gelang dieses Ablenkungsmanöver auch: Jacky sprang darauf an und beschwerte sich darüber, dass ich, wenn ich so penne wie ein Stein nicht gerade der beste Beschützer wäre. Pah, zuerst die Sache in der Mühle und nun das: Geistergeschichten verfolgten mich an Land ja jetzt beinahe so hartnäckig, wie auf See. Der Geist schien dreister geworden zu sein: übliche Spukereien, wie das Herumwehen von den Vorhängen, wie aus dem Nichts zu kommen scheinender Gesang… doch was ihr nun endgültig zu viel geworden war, das war das kriechen unter unsere Decke. Dass der Geist sie dann auch noch begrabscht hätte, ließ mich halb an meinem eigenen Krautrauch ersticken: Scheiße, nun war’s um mich geschehen, das war nie und nimmer der Geist gewesen… sondern ich! Während ich mich schon innerlich von meinem schönen Kutter „Dhun sleagh“ verabschiedete, fuhr Jacky schon damit fort, dass sie ja zuerst an mich gedacht hätte. Rumms! Da sackte mir das Herz in die Hose. Aus. Vorbei. Hätte das ja schon mehrmals getan, wenn ich besoffen war und so… scheiße, tatsächlich?
Das war einer dieser Momente, wo man hin und her gerissen war: Einerseits hoffte man, dass es nicht wahr war, andererseits hätte man irgendwie auch nichts dagegen, das Erzählte in die Tat umzusetzen – ohne Suff. Ob Jacky mich auf den Arm genommen hatte oder nicht, konnte ich am Ende dann nicht mehr sagen, revidierte sie ihre Aussagen doch mit der rhetorischen Frage, ob ich auch alles glauben würde und im Schlaf eigentlich immer „brav“ wäre.. wie ein Stein, erst einmal hingelegt und schon weg gepennt. Was davon nun wahr war oder nicht.. ich nahm mir vor, vorerst in Maßen zu trinken.
Ein wenig palaverten wir noch, dann machte ich mich auf die Socken, um endlich, nach 20 zehrenden Tagen wieder eine Fahrt aufs Meer hinaus zu wagen. Natürlich nicht mit meinem kleinen Kutter, sondern auf der Karavelle eines mit der Bruderschaft vertrauten Walfängers, der für uns inoffiziell Kraut anstatt Trans in den Hafen Rahals verfrachtete und dafür auf See unbehelligt von uns blieb. Ziel der Reise, die dank des kundigen Navigators nur den Nachmittag brauchte: La Cabeza.
Kristallklares, in dem grellen, Wärme versprühenden Sonnenlicht wie Smaragde grün leuchtendes Wasser begrüßte mich, als ich in der Bucht an Land ging. Nur mancherorts war die Lagune aufgebrochen und ziemlich wüst, denn seit einigen Monden war die Sozietät daran, unseren Hafen der Freiheit in eine Bastion umzubauen und zu befestigen. Bisher war die Fortifikation der Lagune nur teilweise erfolgt – das sollte nun in massivem Stein vollendet werden.
Der eigentliche Grund meiner Reise war die Sehnsucht nach den südlichen, warmen, stets sommerlichen Gewässern um die Nebelinsel herum, die Sehnsucht nach dem Meer. Hintergründig wollte ich natürlich auch eine neue Ladung cabezianischen Rums und Wildkrauts bereit machen lassen, da die Vorräte unserer Rahaler Zelle der Bruderschaft zur Neige gingen. Nachdem die Formalitäten erledigt waren betrat ich unsere Spelunke, um mir nach vielen Tagen der Entbehrung endlich wieder einen cabezianischen Rum zu gönnen – und wurde von einem unerwarteten Anblick überrascht: mein Maat Gracia „Maria“ Orthez stand dort im Schankraum zusammen mit dem erst seit kurzem bei uns angeheuerten Matrosen Joaquin „Levin“ N. Klees (ein in Ungnade gefallener ehemaliger Marineangehöriger Rahals) mit einem Mann der Vogelfreien, wie an dessen Kleidung dem Eingeweihten gut erkennbar war. Einer von Kims Leuten, hier auf la Cabeza? Hatte Gracia noch nichts von dem Überfall auf Vallas mitbekommen?
Wie sich herausstellte, wusste mein Maat durchaus Bescheid: Lorne, ein noch recht neues Mitglied in Kims Bande war an dem Überfall auf Vallas beteiligt gewesen, sie hatte es sogar von Kimroth selbst mitgeteilt bekommen, der diesen Fehltritt offenbar ehrlich bedauerte und ihr den Unseligen überlassen hatte. Sie war mit ihm hierher, in sichere, heimische Gewässer gefahren, um Vallas zu informieren, den sie aber nicht angetroffen hatte. So standen wir nun hier und wägten ab, ob wir für unseren Kameraden brüderliche Rache nehmen sollten oder Lorne lieber einsperren sollten, bis Vallas es selbst übernehmen könnte. Letzten Endes beschloss mein Maat Gracia nach einem klärenden Gespräch, dass wir die Rache und Blutgeld hier und jetzt einfordern würden.
Gesagt, getan.
Lorne erhielt für den Schuss, den er auf Vallas in Bajard abgefeuert hatte einen Pistolenschuss in die Schulter – gleiches mit gleichem. Zusätzlich forderten wir ein Blutgeld von ihm ein, das er reichhaltig und seiner misslichen Situation, um sein leben fürchtend, bereitwillig und übereifrig gab. Nicht genug, mussten wir feststellen: Den Rest würde Gracia von seinem Boss Kim einfordern, schließlich war der für seine Jungs und ihre Taten verantwortlich. Nach einer groben Überprüfung, ob es Lorne nicht zu schwer erwischt hätte und dem Einsacken des ersten Teils vom Blutgeld machten wir uns zu viert zurück auf den Weg nach Rahal. Dank des großen Walfängers war das Küsteneis, das uns nahe des Rahaler Hafens gütlich empfing kein großes Hindernis, so dass wir noch am selben Abend einlaufen konnten. Während unser Kontaktmann den „Stoff“ in ein altes, leer stehendes Lagerhaus bringen ließ, schickten wir den verwundeten Lorne voraus zur Schenke. Er sollte, versehrt und verschreckt wie er war, Kim selber unter die Augen treten und das restliche Blutgeld von neun Kronen fordern. Recht bald rauschte der erwartungsgemäß ziemlich angepisste Kimroth auch schon zu uns an die Mole heran – Geiz war unter unseresgleichen weit verbreitet, wie hieß doch ein Leitspruch der Bruderschaft: „Nimm, was du kriegen kannst und gib nichts wieder her!“, doch Kim war da noch eine Koryphäe, ein Geizhals schlechthin, den es wie Feuer brannte, ganze neun Kronen an Gulden an uns abtreten zu müssen. Für die Dummheit einiger seiner Leute.
Es blieb zu hoffen, dass der Affront damit ausreichend gesühnt war, Gracia hatte Vallas dazu eine Notiz hinterlegt. Ob es auf Ebene der Organisation, der Bruderschaft der Küste, damit erledigt war, war offen: Ich konnte mir gut vorstellen, dass es noch Konsequenzen größerer Ordnung haben würde, um weitere Zwischenfälle dieser Art in Zukunft zu unterbinden. Das würde die Zukunft bringen – für den Fall der Fälle wollte ich weiterhin mein Versprechen Vallas gegenüber halten, mit einigen Aussteigern von Kims Bande zu sprechen, Informanten waren stets von Nutzen, wenn es auf die Planken ging.








Episode 6 – Von Verrätern und Geistern Teil 2: Geisterstunde

08. Hartung 253
Im Rahaler Hafenviertel



Nach der Klärung des Blutgelds war für Maria und mich die Sache vorerst erledigt, so dass wir uns schnurstracks in Kimroths Spelunke an der Hafenmole begaben. Auf dem Weg dorthin schloss sich uns Jacky zu meiner Freude an, die derselbe Gedanke hierher gebracht hatte: Sie wollte warmen Grog trinken.
Unser Stammplatz am Erkertisch, der durch eine kleine Veranda vom restlichen Schankraum abgetrennt war, begrüßte uns vier mit gähnender Leere, die wir bereitwillig ausfüllten. Kim, der freilich noch des Blutgelds wegen etwas stinkig war machte sich daran, den gewünschten Grog bereit zu machen, was gehörig Zeit in Anspruch nahm: schließlich musste das Gesöff erst über dem Feuer erhitzt werden. Die Wartezeit überbrückten wir mit belanglosen Gesprächen, wie auch Vorstellung der beiden Unbekannten am Tisch untereinander – Jacky und Joaquim, der sich hier Levin nannte. Als Jacky dann von dem Geist zu berichten begann, bekam das Ganze etwas mehr Würze: Offenbar hatte der sich nämlich zwischenzeitlich erneut mit bemerkbar gemacht, das Ritual war wohl ohne Wirkung geblieben, wie es schien. Und wie so häufig, wenn es um Übernatürliches ging, gaben sich Geist und Seemannsgarn die Klinke in die Hand: Es ging rasch weiter zu Walen und all den Mythen, die sie umgaben; im Besonderen hatten es der Tischgesellschaft diesmal die Erzählungen angetan, dass Wale bisweilen Walfänger hinunter schlucken würden und diese im Bauch des Wals, um nicht verdaut zu werden, ein Feuer machten, damit der von der Hitze geplagte Wal sie wieder ausspucke. Eine alte Erzählung, die seit Urgedenken von den Walfängern in den Spelunken der Hafen aller Weltmeere erzählt wird, manches Mal auch mit immer neuen aberwitzigen Details ausgeschmückt wird. Während Jacky klar die Seite der Befürworter vertrat, nahm ich den Widerpart ein: So gern ich selber Seemannsgarn sponn, in einem Wal, wie wir sie in unseren Gestanden fingen (und ich gab mich nicht nur zum Schein als Walfänger aus, eine Saison habe ich es tatsächlich des Geldes wegen als solcher auf See zugebracht) war meines Erachtens die Chance gering, brennbares Gut zu finden.. darüber gerieten wir uns eine Weile in die Haare, erst ein beherzter Rippenstoß von Jacky nahm mir den letzten Sinn danach, weiter gegen sie zu bestehen – konnte ein wirklich starrsinniger Brocken sein, das Mädel.
Der Grog war dieses Mal merkwürdig wässrig und hatte einen schalen Beigeschmack von Putzwasser, was uns dreien, die wir davon tranken wenig Begeisterung abrang – Maria hatte indes feinsten Rotwein bekommen, Kimroth war halt immer noch ein formvollendeter Schürzenjäger… auch, wenn er ihr (wohl als leise Rache für das Blutgeld) zwei Kronen dafür abgeknöpft hatte. Zumindest schien der Wein vorzüglich zu sein. Um sich davon zu überzeugen, ließ sich mein Maat es nicht nehmen, von Kimroth eine Führung durch den Weinkeller zu erhalten, die einen guten Teil unserer gesprächszeit und den Disput über Wale im Besonderen einnehmen sollte. Als sie schließlich wieder aus dem Keller kam, im Kielwasser von Kim, kam sie nicht mehr zu uns an den Tisch zurück, sondern gesellte sich zu einem Mann in Rot, der erst kürzlich eingetreten war, um mit ihm ein geflüstertes, intensives Gespräch zu beginnen. Irgendwoher kam mir die Visage des jungen Mannes bekannt vor, wie ich ihn so von der Seite musterte.. nur woher, wollte mir nicht in den Sinn kommen.
Da krachte auf einmal die Tür zur Spelunke auf, als wolle sie aus den Angeln fliegen und ein gehörig angepisst aussehender Nalock stürmte wie ein Gewitter herein auf Kimroth an der Theke zu. BAMM! Da ging schon Nalocks Faust auf Kims Gesicht nieder. Eine ausgemachte Schlägerei zwischen den beiden war die Folge, in deren Verlauf sie sich gegenseitig nicht nur im Dreschen, sondern Niederbrüllen zu übertrumpfen suchten. Aufschlussreich war die Schlägerei obendrein: Einige von Kims Jungs hatten wohl Mist gebaut, darunter Lorne (den hatten wir schon abserviert) und Katarn, Nalock war zurück gelassen worden – wo auch immer – und hatte sich selber befreien müssen… interessant. Hatte Kim Probleme, Ordnung in seiner Bande zu halten?
In jedem Fall würde ich das in meinem monatlichen Bericht an die Bruderschaft erwähnen.
So interessant die Schlägerei auch war – ich hatte mir sogar überlegt, mitzumischen, war lange her, die letzte Kneipenkeilerei – Jacky entschloss sich dazu, ins Krähennest zu gehen. Somit schloss ich mich ihr an, war ohnehin schon reichlich spät.
Nach wenigen Minuten durch das nächtliche Hafenviertel waren wir daheim in der heimlichen warmen Stube und machten es uns gemütlich. Jacky wetterte ein wenig über den aufgeblasenen Geck Kim – sein Gebaren war ihr gerne ein Dorn im Auge – und einen kurzen Bericht über den Vallas-Überfall später fanden wir uns in den Decken eingemummelt wieder. Draußen hatte es begonnen, zu regnen, was sich schon bald zu einem ausgewachsenen Gewitter wandelte. Regen, der der Kälte wegen zu Graupel und Hagel wurde, prasselte zu Hauf auf das Dach und die mit Wolltüchern verhangenen Fenster nieder; wir waren beide, die eine mehr als der andere, froh um die warme, gemütliche Liegstatt. Damit ließ sich das Gewitter gleich viel besser aushalten, diese Urgewalt, die vielen Menschen zu Recht Furcht einflößte.



Als wäre das nicht genug gewesen, begannen auf einmal allerlei Dinge in der Bude umzufallen, herumzuwehen oder zu klappern! Vor Schreck klammerte sich Jacky unter der Decke an mich, während mir die Furcht leise in die Knochen schlich – der Geist! Das musste der Geist sein! Als dann der Globus sich wie wild zu drehen begann, einer unserer Dreispitze vom Regal neben unserer Schlafstätte herunter_segelte (nicht einfach flog!), da war es eindeutig: Es spukte immer noch, trotz des Rituals von heute Nachmittag! Tief in die Decken und Felle vergraben harrten wir zusammengekauert aus, während der Spuk um uns immer neue Höhen erlangte: Schließlich erklang wieder der Männergesang, von dem Jacky mir berichtet hatte. Und wahrlich: Das konnten nur Stimmen von Wiederkehrern sein!
„Was willst du?“, scholl unvermittelt Jackys Frage in den Raum hinein, als erwarte sie eine Antwort.
Stille.
Auf einmal war der Spuk vorbei, so schnell, wie er begonnen hatte. Oder…?
Weit gefehlt.
Draußen vor der Tür, die sich zur Hafenallee hin öffnete vernahmen wir ein Rumpeln, Kratzen und Rütteln: Jemand.. oder etwas.. fuhrwerkte an der Kiste herum, die Jackys dort für Tauchhandel aufgestellt hatte! Dann folgte noch ein abschließendes Klopfen an der Tür – Stille.
Eine ganze Weile war nur das Knistern des Kaminfeuers und unser beider leiser, stoßweiser Atem zu hören, dann durchschnitt Jacky die Stille mit der gezischelten Aufforderung, dass ich nachsehen solle, was da vorgefallen sei. War ja klar. Blieb mal wieder an mir hängen. Wenn der Geist mein Hirn fressen sollte, würde ich halt Jacky künftig heimsuchen..
Vorsichtig und zögernd machte ich mich auf leisen Sohlen auf zur Türe, Messer in der Rechten (als ob mir das gegen einen Geist geholfen hätte!) und öffnete die Tür einen Spalt weit, um hinaus zu linsen. Die Gasse war leer, kein Wunder zu dieser Uhrzeit. Ganz geöffnet, ging ich hinaus, um nach der Kiste zu schauen. Sogleich drang mir die eisige Kälte vom blanken Straßenpflaster in die nackten Füße und durch das dünne Hemd… so machte ich rasch: Zuerst mit dem Messer, dann mit den Händen klappte ich den Deckel auf, denn irgendetwas hatte da im Mondschein geblitzt, als ich sie angestoßen hatte. Und tatsächlich: zwei Flaschen 80%igen Rums waren darin! Leck mich am Arsch, köstlich… das musst Ja… da schluckte ich schwer, als mir das Etikett auffiel: Eine detailgetreue Abbildung unseres Krähennests! Schnurstracks, bleich im Gesicht, kehrte ich zu Jacky zurück, die schon ungeduldig nach mir gerufen hatte, zurück unter die Decken. Wortlos gab ich ihr eine der Flaschen – auch ihr entglitt die Mimik, als sie des Etiketts gewahr wurde. Der Rum musste eine Botschaft vom Geist sein, nur was er damit bezwecken wollte, wussten wir noch nicht.
Wir wussten nur eines: Trinken würden wir den Rum erst einmal nicht, zumindest nicht mehr heute Nacht. Morgen würden wir weiter sehen.

_________________
Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

"Krieg, Handel und Piraterie,/Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
Mephistopheles, Faust II


Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 09 Jan 2010 17:23, insgesamt einmal bearbeitet
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 11 Jan 2010 18:12    Titel: Episode 7 - Zusammenkunft
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Episode 7 – Der Zusammenkunft erster Teil oder: Wie ich lernte, die Schaufel zu lieben

10. Hartung 253
Im Rahaler Hafenviertel und am Wegkreuz



Jacky hatte die letzten zwei Nächte, nachdem wir den merkwürdigen Rum vom Geist bekommen hatten, in Berchgard geschlafen, während ich die Stellung im Krähennest gehalten hatte. Meine Vermutung, dass der Geist nur nach Jacky trachtete und mich unbehelligt ließ, hatte ich dabei bestätigt: Jacky hatte nämlich, als wir von einem Abstecher nach Dunkelsee heimgingen, davon gesprochen, dass der Geist wortwörtlich nach ihr verlangt habe, eines Nachts. Das war freilich zu viel des Guten – Ehret die Toten, dass ich nicht lache!
Des Problems wollten wir uns heute nach der Zusammenkunft bei Elfriede widmen, in einer finalen Lösung.
So ging es denn am späten Nachmittag auf zum Wegkreuz, oder besser: an die Küste in dessen äußerstem Nord-Westen. Das alte Leidwesen mit den Kutschen ließ mich auch dieses Mal den Kampf mit dem Küsteneis bereitwillig aufnehmen. Zu meinem Leidwesen musste ich dabei erkennen, dass es zunehmend schwerer wurde, Passagen zu finden oder freizuhauen, womit mir alsbald keine andere Wahl mehr bleiben würde, auf die verhassten Pferdegespanne umzusteigen.
Als ich bei Elfriede ankam, empfing einen wie üblich die wohlige, bäuerlich-bodenständige Wärme eines Bollerofens in der Wohnstube des Hofes, zusammen mit der Bäuerin selbst und einigen derer, die zu diesem Treffen zusammen kamen: Geschäftspartner aus Rahal und Umgebung, darunter einige Aussteiger aus der Bande von Kim, aber auch viele neue Gesichter. Von denen waren natürlich bisher nur ein paar zu sehen: neben Elfie waren immerhin schon Vierzehn und Karl anwesend. Wenigstens kam ich nur gefühlte Augenblicke zu spät, dachte ich leise schmunzelnd bei mir und ließ es mir in der Tischgesellschaft mit einem guten Rum gut gehen. Kurz darauf trottete auch schon Jacky durch den Flur herein, ein Abbild von Schlaflosigkeit und Müdigkeit. Die Betten in den Herbergen von Berchgard waren wohl nicht die besten – oder der Geist hatte sie selbst dort gefunden; ich tippte Mal auf letzteres, Jacky war nicht eine dieser verwöhnten Weibsbilder, die auf sieben Himmelbetten schliefen und sich selbst da noch beschweren mochten. Wie das Glasen so voran rann kamen immer mehr von all jenen zusammen, die der Bund zu scharen begonnen hatte: Da waren es schließlich Elfie, Kiebitz, Lockvögelchen, Karl, Jacky, Aron, Vierzehn, Xalfein, Wollmilchsau samt ihrem Bruder Raubmöwe und später dann noch der Alte Knochenbrecher und unser Küken, das Lamm, wie auch meine Wenigkeit. Bis auf wenige Ausfälle waren alle gekommen.



Als erste Formhandlung ging es um die Festlegung des Protokollanten: Eingedenk des Umstandes, dass die meisten nicht Schreiben konnten, gestaltete sich das zuerst ein wenig zäh, bis ein schiefes Schmunzeln meinerseits wohl Elfie auf mich aufmerksam machte. „Lysander.“
Scheiße. Eigentlich wollte ich die Zeit ja damit totschlagen, einen neuen Satz Krautstängel zu drehen, während die ihr Zeug besabbelten.. Der schnippische Einwurf von Lockvögelchen, dass es bei meiner Sauklaue nicht zu empfehlen wäre, das Protokoll abzufassen machte mir einen Strich durch die Rechnung. Es gab Momente, da brauchte man keine Feinde – so ging der Stolz mit mir durch und mir entfuhr, dass ich einmal Kaufmann gelernt hätte und somit sehr wohl ordentlich schreiben könne! Eigentor.
Wenig später saß ich also da, statt des Krauts und abgetragenen pergamentschichten zum Stängeldrehen ausgerüstet mit Kohlestift und einem großen Pergamentfetzen zum Notieren. Na toll.
Da diese Formalie nun geklärt war, ging es auch schon feucht fröhlich zu den Tagesordnungspunkten über.
Wie sich im Zuge mehrerer Gespräche und Vorfälle herauskristallisiert hatte, schien Saremus oder auch „Otter“ genannt, ein käufliches Mundwerk zu haben. Er war seinerzeit in Adoran gefangen gesetzt und wegen Fahnenflucht (er hatte kurzeitig im Hohenfelser Regiment gedient) vor Gericht gekommen, letztlich aber unverhofft früh wieder frei gekommen. Das stank freilich zum Himmel. Die Verdachtsmomente hatten sich verhärtet, weswegen man überein kam, dass die Mitglieder und Partner des Bundes Vorsicht im Umgang mit Saremus walten ließen oder den Umgang nach Möglichkeit ganz mieden. Die Gefahr, verraten oder verkauft zu werden, war schlicht zu groß. Fürderhin wurden Pläne gefasst, ihn bei nächster Gelegenheit zum Verstummen zu bringen.
Das führte auch schon zum nächsten Punkt: Es war an der Zeit, den Bund aufs Parkett der Unterwelt zu führen und durch Tätigkeiten einzuführen.
Unter anderem hatten da Jacky und ich etwas im Petto.
Vor einiger Zeit waren wir bei dem rahalischen Stadthalter und Apotheker Stranamorius gewesen, um meinen von einer Schlagfalle lädierten Fuß behandeln zu lassen ( Episode 2: Hinkebein). Dort war uns die überaus reiche Ausstattung an Mobiliar und anderem beweglichen Gut aufgefallen und seitdem wir die interessante „andere“ Wirkung seiner Heilsalbe kannten, war eines klar gewesen: Dort wollten wir einsteigen. Dies sollte nun mit einer kleinen Botschaft begleitet werden, auf dass die feinen Pinkel der Residenzstadt um ihren auf dem Rücken der Armen und kleinen Leute ergaunerten Besitz schlotterten! Ein genauer Zeitpunkt war noch nicht gefunden, ebenso hielten wir es mit den Rahmenbedingungen, es war besser, wenn es so wenige, wie nur möglich wußten – am besten nur wir zwei. Nicht, das ich meinen Geschäftspartnern nicht traute…. Na gut, Hand aufs Herz: Ich traute ihnen nicht. Bei Jacky war es etwas anderes, so sehr sich mein Instinkt auch dagegen aufbäumte („Du wirst noch baumeln, wenn du nicht aufpasst!“), ihr schenkte ich so ziemlich als einzige Landratte ehrliches Vertrauen.
Gut, ein Einbruch. Zielperson: Stranamorius, Rahal. Durchführende: Lysander, Jacky.
Gegebenenfalls würden wir noch jemanden zum Schmiere stehen hinzu ziehen, aber das würde sich noch zeigen.
Es ging schon weiter zum nächsten Besprechungspunkt: Es hieß, eine Einigung darüber zu erzielen, ob und inwieweit der Bund eine geschlossene offizielle Tarnung annehmen wolle. Die Argumente für eine Tarnung als Gesellschaft (etwa eine Handelsgesellschaft) und dagegen wechselten sich fliegend ab, bis man zu dem Konsens kam, darüber zu schlafen und die Entscheidung zu vertagen. Vorerst würde es bleiben, wie gehabt: Ein jeder für sich, zu großangelegten Geschäften als Gemeinschaft.



Als nächstes kam ein Knackpunkt zur Sprache: Der Verrat, den einige Mitglieder von Kims Bande an der Bruderschaft der Küste begangen hatten. Mein Kamerad Vallas („Jester“) war von einigen Jungs der Bande überfallen und übel zugerichtet worden, Maria und ich hatten zusammen mit Levin einen der Täter bereits heimgeleuchtet und Blutgeld eingefordert. Es stand indes in den Sternen, ob der Rat der Bruderschaft diesen Affront so auf sich sitzen lassen würde oder weitergehende Satisfaktion fordern würde und somit war ich als der Vorsteher der Rahaler Zelle er Bruderschaft damit betraut worden, Kontakte zum Bund zu knüpfen, der sich die Elster zum Zeichen erwählt hatte. Viele Aussteiger aus Kims Bande versprachen schließlich auch vorzügliche Informationsquellen zu sein. Nachdem ich der Tischgesellschaft die Lage geschildert hatte (die Devise: Für uns oder gegen uns?), erwies sich Elfies im Vorfeld ausgesprochene Zustimmung als richtige Einschätzung: Man sprach sich durch die Bank für die Parteinahme für die Bruderschaft in einem möglichen Bandenkrieg aus. Es lief wie geschmiert, das würde Jester und den Rat erfreuen.

Nach einer Neuaufnahme und der erneuten gegenseitigen Bekanntmachung der Mitglieder untereinander löste sich die Gesellschaft am fortgeschrittenen Abend langsam auf.
Jacky, die über die Maßen dem Rum und meinem Kraut zugesprochen hatte und wegen des Konsums wieder hell wach war, wollte mit mir das Geistproblem lösen gehen: Der Rum, den er uns gegeben hatte, war der Auslöser für die Idee gewesen, die Leiche des Unglücksraben auf einen Friedhof zu verfrachten. Schließlich trank man hochprozentiges gerne zum Totenschmaus?
Da Jacky, wie auch ich ziemlich bedröppelt vom Rum und Kraut waren nahmen wir bereitwillig die Unterstützung von unserem vierzehnten Mitglied an, der den glorreich-einfallsreichen Namen Vierzehn bekommen hatte. Die Schaufel, die Jacky mir überlassen hatte, ging es also zu dritt zur Kutsche am Wegkreuz, mein Kahn war ohnehin um diese Nachtzeit festgefroren.. also musste man in den sauren Apfel beißen.
In Rahal angekommen machten wir uns erst einmal auf die Suche nach dem örtlichen Friedhof. So lange ich auch schon hier lebte, für den Todesacker hatte ich mich nie sonderlich interessiert, so dass es eine Weile brauchte, bis Jacky es war, die uns auf die richtige Fährte brachte. Im äußersten Norden des Hafenviertels war ein alter Friedhof, der besonders von Seeleuten genutzt wurde: Und da kam es auch mir wieder, dort hinten war das Grab des einstigen Admirals der rahaler Flotte, wie auch einige Hütten, die ich … wer war das denn gewesen? Na ja, irgendwann mal irgendjemandem gezeigt hatte, da sie leer standen und dieser jene auf Wohnungssuche gewesen war… egal.
Schnurstracks ging es also zu unserer Bude, dem Krähennest, das wir auch noch in Schnelldurchgang Vierzehn zeigten, ehe es weiter auf die bewachsene Freifläche hinter der Hütte ging. Jenseitig war in der fahlen Dunkelheit die Hütte von Karl und Xalfein zu sehen… dank einer Fackel, mit der Vierzehn uns leuchtete, konnten wir in der hereinbrechenden Dunkelheit noch zu Werke gehen! In Voraussicht der bevorstehenden Hundsarbeit überließ ich Jacky meinen Mantel, die schlotterte sowieso gerne bei dieser scheiß Kälte.. und schon ging es los, mit der Schaufel dem teilweise gefrorenen Boden den Kampf anzusagen.
Erwartungsgemäß ging es mehr als zäh voran. Immer wieder waren tiefgefrorene Brocken oder Schichten regelrecht zu zerschlagen und brockenweise mit der Hand heraus zu heben, ehe es weiter gehen konnte. Eine von rechts kommende Katze – Unglück! – und der fehlgeschlagene Versuch, sie abzuknallen später (zum Glück waren die Torwachen auf der Hafenallee allesamt geschmiert..) war der erste Arm endlich freigelegt. Der Anblick der jetzt immer mehr freigelegten Leiche des unglücklichen Einbrechers, der in unserem Kaminschacht stecken geblieben und umgekommen war, erregte in mir überraschenderweise keinen Ekel. Ich hatte im Laufe meiner Zeit auf der Tesoro wohl schon zu viele Tote gesehen, wie es den anderen erging, konnte ich teils zu erahnen: Jacky jedenfalls hatte offenkundig mit aufkommender Übelkeit zu kämpfen. War ihr nicht zu verübeln, irgendwie, vor einigen Jahren wäre es mir noch genauso ergangen.. schon merkwürdig und irgendwie erschreckend, was Perera, diese Pest der Weltmeere, aus einem Menschen machen konnte, wenn er erst deine Seele hatte. Der Anblick dieser gefrorenen Leiche, die dadurch zu meiner Freude kaum zu faulen und zu stinken begonnen hatte, nötigte mir leise Aufregung ab: Ich könnte wetten, dass keiner meiner Kameraden so was schon gesehen hatte, ha, das wäre die ideale Geschichte für die Spelunke!
Als ich den gefrorenen Block mit der Schaufel heraus gehebelt hatte, begannen Vierzehn und ich, den Toten in eine alte Bastmatte einzuwickeln – man musste ja beim Abtransport nicht zu viel Aufsehen erregen, selbst in einem Viertel wie diesem hier, in dem es niemanden wirklich interessierte. Leichen gehörten hier zum Alltag – erfrorene Zechbrüder, erschlagene Raubopfer, erwürgte Huren… nichts Besonderes mehr in diesem Pfuhl von Sünde, wie es die Pfaffen der Reichskirchen nennen würden. Während Jacky uns mit der Fackel leuchtete, ging es – Vierzehn und ich hatten den eingewickelten Toten geschultert – durch die verwinkelten, dunklen Gassen des Hafenviertels, hinauf in den Nordteil. Dort öffneten sich die Gassen hin zu einer kleinen, verwachsenen Freifläche, auf der Ruinen, schon lange aufgelassene Hütten und der alte Friedhof des Hafens lag. Die meisten dort Bestatteten waren Seeleute oder Hafenarbeiter gewesen, unser „gemeinsamer Freund“ hier würde einer der wenigen Ausreißer sein – ein Einbrecher mit zu viel Pech, oder zu wenig Grips in der Birne. Nachdem wir uns einiger streunender, tollwütiger Hunde und eines Wiedergängers entledigt hatten, schlichen wir auf dem Friedhof zu einem frisch ausgehobenen, noch leeren Grab, nahe an der Krypta des Admirals. Dort legten Vierzehn und ich ihn ab, ein beherztes Schubsen, da rollte und fiel der in die Bastdecke eingerollte Tote in das Grabloch hinab. Während ich mich daran machte, mit der Schaufel das daneben gehäufte Erdreich zurück in das Grab zu schippen, legte sich Vierzehn ein paar improvisierte Worte zur Bestattung bereit, die nach dem letzten Schaufelzug in einem Moment ruhiger Andacht gesprochen wurden.
Religiös war niemand von uns so wirklich, doch niemand von uns war so selbstmörderisch, die Totenruhe auf die leichte Schulter zu nehmen. Jacky und ich hatten einen Fehler gemacht, als wir den armen Jungen einfach im Dreck vergraben hatten und er hatte sich dafür bei uns beschwert und uns fast ire gemacht – bis wir die Botschaft endlich verstanden hatten.
So vollführten wir noch einen Umtrunk mit dem Rum, wobei ein jeder von uns noch ein wenig davon aufs Grab schüttete – der obligatorische Schluck für den Toten. Dann traten wir ab – anstatt gleich abzuziehen warfen wir noch einen Blick in die Admiralskrypta. Während die anderen recht schnell wieder hinaus traten verblieb ich dort ein wenig und verharrte in Stille, der Admiral war als Kommandant der rahalischen Kriegsflotte zwar mein Feind und der meiner Kameraden gewesen – doch Seemann war Seemann. Schließlich verließen wir den Friedhof so schnell und unbemerkt, wie wir ihn betreten hatten – Jacky hatte noch ein paar Äpfel als Totengabe auf dem Grab hinterlegt – und trennten uns kurz vor dem Krähennest: Vierzehn ging seiner Wege, während wir in unsere gute Stube gingen. Ein paar kalte Glieder brauchten dringlich die Wärme eines Kamins.








Episode 7 – Der Zusammenkunft zweiter Teil oder: Im Süden.. dort.. wo die Gewässer von Alumenas auf jene Menek’Urs treffen

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Im Rahaler Hafenviertel und am Wegkreuz



Nun, da der Geist gebannt war, sahen wir der hereinbrechenden Nacht viel gelassener entgegen. Nachdem wir uns der unnötigen Kleidung des Tages entledigt hatten, machte Jacky die Schlafstätte vor dem Kamin bereit: Ein Wust an Decken und Fellen landete noch auf dem Bärenfell, das dort sonst als Sitzgelegenheit den Tag über lag. Dazu noch ein paar Kissen und fertig war das Bett, das ich jedem Himmelbett der feinen Herren, wie es etwa mein Onkel war, vorzog. Währenddessen schob ich eine neue Ladung Feuerholz in das fast niedergebrannte Kaminfeuer, das daraufhin unter Einsatz des Schurhakens rasch an neuer Intensität gewann und den Raum mit einer wonnigen Welle von Wärme überflutete. So ließ es sich aushalten, zufriedenen Gesichtsausdrucks kroch ich zu Jacky unter die Decken und machte es mir gemütlich, im Gegensatz zu der liegenden Jacky noch im Schneidersitz. „Wir könnten Ira opfern“ Diese Worte von Jacky geisterten mir noch kurz durch den Kopf, wie wir gerade noch etwas über den Geist gesprochen hatten, ob er denn wohl nun wirklich Ruhe fände und so weiter…. Nonsens. Es war vorbei, der käme sicher nicht wieder. Ira…tz.. unter feinen Pinkeln lebte sie und war trotz allem (oder gerade deswegen?) eine Wildkraut-Konsumentin der übelsten Sorte geworden, seit ich ihr einmal Kraut angedreht hatte.
Ira war in der letzten Nacht, die Jacky vor ihren berchgarder Herbergsbesuchen hier verbracht hatte zu schier unmenschlicher Stunde auf der Schwelle gestanden und hatte mich aus dem Schlaf geklopft, als sei eine Flut im Anmarsch. Zu ihrem Glück hatte sie Jacky dabei nicht geweckt, doch das hätte sie eh nicht interessiert, so abgewrackt und auf dem Zahnfleisch daher kriechend wie sie ausgesehen hatte: Ich hatte schon befürchtet, sie könnte mir die Augen auskratzen, so hatte sie um neues Kraut gebettelt, um den Monat irgendwie „zu überstehen“. Eine Unze hatte ich ihr verkauft und sie wieder vor die Tür gesetzt… Die würde noch zu meiner treuesten Kundin werden – und wer weiß? Vielleicht hoch edle Kundschaft anlocken! Was sich da an Vermögen machen lassen könnte!
Und so ging es mit dem Palavern weiter, der eigentliche Plan, zu schlafen nämlich, rückte in weite Ferne.
Von belanglosen Spaßecken wie dem gegenseitigen Taxieren auf Alterserscheinungen, Witzeleien über Vergänglichkeit, Jugend und Alter… ja, sogar eine Anekdote bezüglich Ira gab Jacky zum Besten, was der lockeren Stimmung keineswegs Abbruch tat: Sie hatte einmal zu Jacky gemeint, dass sie zu alt dafür sei, Kinder zu gebären. Ich musste zugeben, ich empfand die Anekdote einerseits sehr amüsant, konnte man damit Jacky als „zunehmend verbraucht“ und so weiter aufziehen, das übliche, kennt man ja… andererseits hielt ich mich etwas zurück: Es war mir fremd, derartige Dinge abzuhandeln, das war Milieu der Hebammen und Heilkundigen. Sie nahm es natürlich nicht hin, als alt dazustehen und so wurde mir mein Blickfeld allzu rasch von einem Kissen zu einem schwarzen Nichts eingeschränkt. Flott und agil war Jacky auf mich drauf gerollt, meine Arme zwischen uns einklemmt und hatte damit begonnen, mich an einer meiner schlimmsten Schwachstellen zu packen: Sie kitzelte mich nach allen Regeln dieser ausgemacht grausamen Kunst, während sie von mir wissen wollte, wer hier denn nun alt sei? (Natürlich der lahme Jaron, der sich von’em Weib hat überlisten lassen..) und schon bald mochten meine Lungen, Bauch- und Gesichtsmuskeln es nicht mehr, auszuhalten – ich gab auf. „Iiiiiickk!“ kam mir die gewünschte Antwort ganze drei Mal, bis sie gnädig pausierte. Diesen Moment wusste ich auszunutzen und machte meine Hände frei, sie an den Handgelenken zu packen, was nur halb gelang, denn eine Hand bekam sie rasch wieder frei und begann, mich von neuem an meinen Flanken zu traktieren: Diesmal wusste ich mich freilich zu wehren und machte Anstalten, gleiches mit gleichem zu vergelten. Das zeigte Wirkung. Gnädig entließ mich Jacky, als sie fluchtartig zur Seite zurück an ihren Platz unter den Decken rollte und ich unterdrückte den Drang, mich ihr hinterher zu wälzen. Genug, Junge. Genug. Ruhe. Da kam ihr Kopf wieder unter der Decke hervor, ein Spiegelbild von Frohsinn und Schalk.
Jacky kannte heute (wohl aus Erleichterung wegen des erledigten Geistproblems oder des übermäßigen Rumkonums?) keine Scham oder Zurückhaltung – was mich eingedenk der Erlebnisse bezüglich Badehäusern und ihrer offenkundigen, aus ihrer Vergangenheit her nachvollziehbaren Scham wunderte – und schoss fröhlich weiter, „neues“ Ziel… den Vergleich mit Edeldamen. Diese, so ihre knallharte Argumentation, dürfe man schließlich nicht kitzeln (ich hatte zwischenzeitlich Anstalten gemacht, es bei ihr zu bewahrheiten, sie war zu höchstem eigenem Amüsement zurück gezuckt – von wegen, nicht kitzlig, das Mädel!). Wie wir dann so Edeldame und Gemeine verglichen, kamen wir auf die letzten Begegnungen in Dunkelsee zu sprechen, das wir erneut besucht hatten. Dort war mittlerweile rege Ansiedlung der Lehensleute der Baronin von Seranyth zu verzeichnen, und genau diese Baronin war Jackys Ansinnen. Schön sei sie doch, nicht wahr? Dem pflichtete ich unter der Einschränkung bei, dass sie ja noch jung sei, indes mit der Schneiderin Mwyn, bei der wir gewesen waren, nicht mithalten könnte. Bamm. Da schwang auf einmal leiser Groll in ihrer vorher rein fröhlichen Stimme mit, als sie zuerst zögerlich, nach Luft ringend, dann schnippisch darüber herzog: Solle es doch einfach mal bei ihr versuchen, zu nächtigen und so!
Eiderdaus. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Als ich mich so ähnlich über das Fräulein schon in Dunkelsee geäußert hatte, war sie bereits so schroff gewesen. Da lag etwas im Busch. Irgendwie beflügelte mich dieser Umstand aber auch, sollte das Mädel eifersüchtig sein? Hoh, den Spaß ließ ich mir jetzt nicht vermiesen und schlug kräftig in dieselbe Kerbe: So ernst und ehrlich bedauernd, wie es mir nur möglich wahr (ich hoffte, dass es echt klang) sinnierte ich darüber, dass es mir, einem Seemann doch ohnehin nicht möglich wäre, eine gutbürgerliche Schneidermeisterin mit „schickem Hous, schicken Kleedern un’sou..“ zu umwerben und, ziemlich zweideutig: „wat man da allet abjreifen könnt..!“. Tatsächlich stieg Jacky darauf ein und fragte kurzangebunden – man hörte ihrer Stimme an, dass sie sich um Haltung bemühte – „abgreifen?“, und fuhr damit fort, dass ich als Seemann schon Chancen haben könnte, meine Zunft umgäbe ja etwas Geheimnisvolles, Exotisches… und so drückte ich den Rücken durch, Kinn vorgeschoben, um das Kammerspiel zur Vollendung zu bringen: Ein Ausdruck wahren Hochgemutes, als sie sich mir zuwandte und mich fragte, ob ich es denn gerne wolle.
Der Tonfall dieser Frage ließ mich mein albernes Theater vergessen, ich sackte in meine legere Körperhaltung zurück, wie ich sie sonst mein eigen nannte. War das jetzt zu dick aufgetragen?
Jacky hatte ein dickeres Fell, als ich gedacht hatte, denn sie drehte den Spieß direkt um, indem sie weiter darüber sinnierte, dass sie mich ja gehen lassen würde, wenn ich denn unbedingt (mir drehte sich der Magen um) wollte, andererseits.. andererseits.. müsse auch sie sich mal umsehen. Der Blick, den sie dabei an sich herabwandern ließ, machte mir klar, dass sie dabei auf Iras Worte anspielte. Da war es nun an mir… meine Mimik entglitt mir und, dessen gewahr, wandte ich mich geistesgegenwärtig nach rechts ab, mir vordergründig den Rücken zu kratzen – hintergründig natürlich, um Zeit dafür zu gewinnen, meine Züge wieder unter Kontrolle zu bekommen. >> Scheiße Mann, das hast du jetzt von deinen blöden Sticheleien, jetzt is’e dir beleidigt! << Ein Husten, um meine Kehle zu klären, in der plötzlich ein Klos zu stecken schien, später holte mich die neckische Frage von Jacky zurück auf den Boden der Tatsachen, ob ich denn erkältet sei?
Ein dickes Fell, das hatte sie.. doch geschenkt bekam ich nichts, volle Retourkutsche: Denn es ging schon weiter, in demselben Tonfall, wie davor. Sie fragte sich nämlich, ob sie als „ehrbares Mädel“ einen ordentlichen Mann bekommen könne, hier im Viertel, nicht so einen Schürzenjäger wie Kim… resigniert, aber auch irgendwo eine Spur erheitert stieg ich darauf ein und verbat mir jede Verknüpfung von „Ehre“ mit ihr, mir oder irgendeinem anderen Bewohner des Hafenviertels. Ehre war etwas, das die Bürger und Adeligen dieser Lande nur sich selbst zuerkannten, nicht der Unterschicht und Verbrechern. Bestenfalls sah man unseresgleichen als ehrenrührig an, das war es aber auch schon. Leisen Schwermut konnte ich dabei nicht aus meiner Stimme verbannen, als sich mir dabei der Gedanke aufdrang, wie mein Vater wohl reagieren würde, wenn er wüsste, dass ich nicht auf dem Meer ertrunken, sondern zu den Piraten Pereras übergelaufen war. Der Sohn eines ehrbaren Tuchhändlers ein mordender, raubender Pirat? Doch das war Vergangen. Das Hier und Jetzt zählte – Jacky räkelte sich nämlich gerade förmlich auf den Decken, um sich in bestmöglicher Pose zu präsentieren: Mein Mund wurde abrupt trocken und ich musste mir verlegen an die Nase fassen. Verdammter Mist. Da senkte ich mein Haupt und gab mich geschlagen: Aye, sie hätte etwas ehrbares.. und direkt nach diesem genuschelten Bekenntnis hatte ich mir ein Kissen auf das Gesicht geknallt, um meine Zähne fest und tief in den Stoff zu graben. NNNNGGGGGG! Nur mit Mühe brachte ich meine Mimik und meinen Körper wieder unter Kontrolle und bekam Jackys neckische Frage mit, wie ich denn darauf käme, sie ehrbar zu nennen. Die Frau war gnadenlos. Dabei hatte ich doch nur gesagt, dass ich die Schneiderin ganz nett fand.. das „nette Ding“ hätte ich vielleicht bleiben lassen sollen.. aber trotzdem, hatte es ja nicht ernst gemeint, nicht ganz, jedenfalls! Es war, als ob Jacky wüsste, wie sie mich irre machen konnte! Um mich nicht noch auffälliger zu verhalten gab ich rasch Antwort auf ihre Frage, indem ich ihr zugestand, den meisten hohen Damen den Rang ablaufen zu können. So, jetzt war’s raus. Zu meiner unendlichen Erleichterung rang es ihr nur blanke Überraschung ab, schließlich war die ganze Spannung endlich mit einem Knuff auf den Arm erledigt.
Ein harmloses Geplänkel über Kinder, die womöglich auf Semänner wie mich irgendwo an den Küsten der Weltmeere warten könnten, nahm die letzten Spannungen aus der Luft und der lockere Schalk brach sich wider Bahn: Man stelle sich allein solch eine Szene vor… Die Tesoro macht einen Zwischenstopp in einem befreundeten Hafen, um Proviant und Wasser zu fassen; an Land treffe ich auf eine „alte Bekannte“, die mir erst mal eine gehörige Watschen verpasst und zetert, wo ich denn so lange geblieben sei. Zu allem Übel kommt dann noch ein kleiner Brösel daher und versetzt mir einen gehörigen Tritt ins Schienbein! Dann wird alles klar… und ich dachte mir: Scheiße, hoffentlich würde das nie passieren!
Als Jacky, nach herzhaftem Gelächter über diese Anekdote wohl wieder völlig die Alte auch noch nachhakte, wie ich es denn mit „den Mädels“ so machen würde, wegen Nachwuchs und so.. am Ende könnte ich ja doch schon irgendwo Kinder haben… da langte ich ohne Federlesens herüber, um ihr die Rumflasche zu entreißen, aus der sie gerade wieder trinken wollte. Muss zu viel gesoffen haben, anders konnte ich mich das nicht erklären, auf was wir heute alles kamen! Bei meinem Glück (respektive Pech) ging das natürlich schief, sie konnte die Flasche hochreißen, es kippte und ein guter Teil vom kostbaren Rum ergoss sich über mein Hemd! Fluchend und den vorher ausgesprochenen Tadel, dass sie nicht so viel saufen sollte in den Wind schlagend riss ich mir das Hemd vom Leib und wrang es über meinem weit geöffneten Mund aus, um den wertvollen Tropfen so gut es ging zu retten! Was für eine Verschwendung! Das vom Rum feuchte und verklebte Hemd musste für die Nacht nahe des Kamins landen... prächtig. Musste ich diese Woche doch noch meine Kleidung waschen gehen.. Indes spöttelte Jacky darüber, dass wir doch andauernd zusammen saufen warne, uns beim Saufen kennen gelernt hätten.. und ich manchmal auf sie aufpassen würde, als wäre sie meine kleine Schwester. Pah! Lächerlich! Um ihr das zu demonstrieren verpasste ich ihr wiederholt einen dieser sanften, symbolischen Knuffe und holte zu einem erneuten mit den Worten aus, dass ich bei meiner Schwester gehörig zu dreschen würde – bei ihr jedoch nicht. Das mache den Unterschied! Zu dem Vergleichs-Knuff kam es jedoch nicht, denn sie überrumpelte mich mit einer plötzlichen Umarmung, wobei sie mir mitteilte, dass ich „knuffes Kerlchen“ das doch eh nicht könnte. Da sackte mir mal wieder das Herz in die Hose und für einen kurzen Moment wähnte ich mich im siebten Himmel. Dass ich dabei ziemlich betröppelt ausgesehen haben muss, war offenkundig, denn kichernd ließ mich Jacky wieder fahren und bemerkte, wie schüchtern ich doch sei. Nach vehementem Negieren blieb mir doch nichts anderes übrig, als es zuzugeben. Ein schüchterner Pirat. Tja, scheiße... soll es geben, nicht? Solang das meine Kameraden nur nicht spitz bekamen, war alles gut so, wie es war.
Endlich hatten wir uns unter den Decken zusammengekuschelt und es gemütlich gemacht, die Müdigkeit forderte nämlich langsam ihren Tribut. Als wir noch einmal auf den Geist zu sprechen kamen, dessen Körper nun in Frieden auf dem Totenacker ruhte, musste ich eines los werden, das mir schon länger im Kopf herum schwirrte – da wir ja gerade von Friedhöfen sprachen. Jacky war eine der wenigen, denen ich außerhalb meiner Mannschaft vertraute, womöglich sogar mehr, als meinen Kameraden. So war es nur natürlich, dass ich sie darum bat, dafür zu sorgen, dass ich gemäß des Falles, dass es mich einmal erwischte, nicht auf dem Friedhof bestattet würde, sondern auf See.



„Im Süden.. dort.. wo die Gewässer von Alumenas auf jene Menek’Urs treffen.“
Als ich ihre schon schlaftrunkene Zusicherung gegeben hatte schloss auch ich meine Augen, um den Schlaf zu empfangen.

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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

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 Beitrag Verfasst am: 16 Jan 2010 19:03    Titel: Episode 8 - Schießübungen
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Episode 8 – Schießübungen

13. – 16. Hartung 253
Auf La Cabeza



Es war nun schon wieder fast eine Woche her, seit diese mir zugleich so fremde und in selben Maß angenehme Nacht verstrichen war. Noch am 11. Hartung verlies ich die noch schlafende Jacky, diesmal sogar zu für meine Verhältnisse an Land früher Stunde, so dass ich pünktlich zu drei Glasen während der Morgenwache an Bord des Walfängers eintraf, der mich wie so oft zu meinem fernen Ziel bringen würde. Die Zahl der Kapitäne, die nicht direkt zu den Männern Pereras gehörten und trotzdem den Weg zur Nebelinsel kannten, konnte man an einer Hand abzählen – vertrauensvolle alte Weggefährten der Bruderschaft, in denen das Schmugglerblut dicker war, als alles andere.
Die dickbauchige Karavelle „unseres“ Kapitäns war selbst noch zu dieser Jahreszeit in der Lage, der Unbill der winterlichen See zu trotzen, den zahlreichen heftigen Stürmen, dem immer dicker und lückenloser werdenden Küsteneis, das sie allein durch ihre Masse überwinden konnte. Dass auch die Takelage eines solchen großen Potts nicht gegen die Kälte gefeit war, zeigte sich mir unterdessen auf der Fahrt durch den hohen Ausfall an Tauen und Segeln, die immer wieder rissen, brachen oder so steif gefroren waren, dass an ihren Einsatz nicht mehr zu denken war. Dank der Anwesenheit des Klabautermanns – ein jeder Kapitän war stets gut damit beraten, an der Tafel einen Platz für den Klabautermann frei und decken zu lassen – konnten schlimmere Unfälle oder sogar Verluste unter der Mannschaft vermieden werden; so manches Mal hätte ich gerne selbst mit angepackt, das Seemannsblut pulsierte allzu heftig in solchen Momenten der Seefahrerei in mir, doch war es wie immer, wenn man mit angeworbenen Agenten der Bruderschaft unterwegs war: Die Männer der Bruderschaft wurden ausgewählt behandelt, wodurch ich mich mit der Zeit wie auf einer Lustfahrt fühlte, denn auf einer Arbeitsfahrt. Die Beine auf der Bugspriet liegend hochzunehmen und den klaren Himmel, der der klirrenden Kälte zu verdanken war, zu bewundern, während um einen herum die Mannschaft schuftete, hatte schon etwas. So rechte Urlaubsstimmung kam freilich erst in den Gewässern um La Caebza auf, da seitdem wir auf Höhe emiratischer Gewässer schifften es von Längengrad zu Längengrad wärmer geworden war. Auf La Cabeza angekommen hatte dies eine Spitze erreicht, wie ich sie selbst im Reich der Wüste nicht erlebt hatte. Dort war es wenigstens staubtrocken, was die brütende Hitze erträglicher machte; auf der Nebelinsel gesellte sich anstatt dessen jedoch eine nahezu dampfige Feuchtigkeit in der Luft dazu, wie man sie selten bis nie auf Gerimor erlebte. In den ersten Monaten bei Pereras Leuten hatte mich das viel Mühe und Schweiß gekostet, mich an das Klima zu gewöhnen, mittlerweile, nach den vielen Jahren unter dem Pack, das mir mittlerweile zu einer Art Familie geworden war, mochte ich das cabezianische Klima nicht mehr missen! Gerade jetzt, während auf Gerimor klirrender Winter Einzug hielt, war es umso herrlicher hier im Süden auszuhalten. Wenn man dann auch noch Arbeit mit Vergnügen verbinden konnte, war es perfekt.
So wie heute: Ich wollte bei „unserem“ Zwergen Dolgan vorbei schauen, um eine Auftragsarbeit in Empfang zu nehmen, auf die ich schon viele Monate gewartet hatte. Der kundige Handwerker und Erfinder, der, von seinem Volk verleidet, schon unter dem verstorbenen Perera dem Älteren auf der Nebelinsel gewaltet, geforscht und gearbeitet hat, war der visionäre Erfinder der Pulverwaffen und des Treibmittels dafür, dem Blitzpulver. Wachsam und schon nahezu neidisch hatte er seitdem darüber gewacht, dass das Wissen gewahrt blieb und seine Werkstatt nicht verließ, lag doch großes Machtpotential in dieser Technologie, die für uns von äußerstem Wert war: Sie stellte die einzige wirkungsvolle Waffe gegen die gefährlichen Kampfmagier der Reichsmarinen dar, die auf deren Kriegsschiffen neben den für uns wenig gefährlichen Ballisten feurige Arbeit leisteten. Heute ging es natürlich nicht um eine der großkalibrigen Kanonen Dolgans, sondern um ein Geschütz mit weit kleinerem Kaliber. Vor ein paar Monden hatte ich bei dem Meister einen gehörigen Batzen cabezianischer Goldstücke über den Tresen gehen lassen, damit er mir eine ordentliche Muskete herstellte. Die in Aussicht gestellte Wartezeit war in der Tat recht lang ausgefallen, doch das Ergebnis würde sich lohnen, soweit jedenfalls Dolgan.
Tatsächlich war es auch so. Als ich bei ihm in der Werkstatt vorbei kam, um die fertige Flinte abzuholen, konnte ich das wohlige Kribbeln, das den Körper stets dann überfiel, wenn man außerordentliche Freude über neuen Besitz oder Errungenschaften errang, verspüren.
Der innen glatte Lauf war aus einem Stahlblock gefräst, auf der Außenseite rund und poliert und fast zwei Ellen lang, am vorderen Ende mit einem kleinen Korn zum Anvisieren versehen. Der Schaft bestand aus dunkel gebeizter Nussbaumholz, in das an den Griffbereichen seichte Fischgrätenmuster in Kerbschnitt eingebracht waren, das System war aus Stahl gearbeitet. Der einzige Zierrat dieser schlichten Waffe befand sich an der Pulverpfanne (ein am Rand entlang laufendes Flechtbandmuster) und auf der Systemplatte nahe des Hahns (eine stilisierte Gravur eines Segelschiffs). Alles in Allem reichte mir die Muskete bis kurz unter die Schulter und hatte somit eine brauchbare Länge für ihr Anwendungsfeld, das sich besonders auf die Nutzung an Bord bezog – etwa im Krähennest zum Liquidieren von Deckoffizieren vor dem Entern.



Nach reicher Dankesrede auf den Meister Dolgan (Zwerge waren bekanntlich sehr stolze Genossen), die in diesem Fall vollkommen ernst gemeint war, ging es mit der Neuerwerbung auf in den Ostteil der Insel. In dort liegenden Ruinen pflegten wir Kampfübungen aller Art zu praktizieren, im Besonderen Schießübungen. Ich hatte bisher nur ein einziges Mal eine Muskete abgefeuert, als ich meine Feuertaufe beim Anheuern hatte, so war es mehr als sinnvoll, ein wenig zu üben.
Zuerst machte ich es mir an einem Lagerfeuer, das mit dem reichen Findlingsholz des überall dominanten Urwalds rasch beisammen war, bequem. Bleiblöcke, kleine Schmelzpfanne, Kneifzange und die eigens von Dolgan für die Muskete angefertigte Kugelkokille legte ich mir für die erste und wichtigste Tätigkeit eines Pulverschützen bereit: Das Gießen der Munition.
Blei war dankenswerterweise rasch zum Schmelzpunkt gebracht, weswegen es mich insgesamt kaum mehr als eine halbe Stunde kostete, einen ordentlichen Satz an Bleikugeln in der Kokille zu gießen; weit mehr Zeitaufwand bedeutete da schon die Nachbearbeitung mit der Kneifzange, um überstehende Bleikanten und den Gusskanal von den Kugeln zu entfernen.
Nachdem diese Vorarbeit erledigt, die Kugeln in der Munitionstasche verstaut und der Füllstand der Pulverflasche überprüft war konnte es endlich an das eigentliche Üben gehen.
Während für die Steinschlosspistole eine Entfernung jenseits der zehn Klafter zu einem Glücksspiel avancierte, konnte man mit der Muskete, dank ihres längeren Laufs und höherer Treibladung wie auch Geschoßgewicht, auf bis zu 50 Klafter mit einem halbwegs vertretbaren Trefferergebnis rechnen. Dass das bei ungeübten Gewehrschützen nur theoretisch war, konnte ich an diesem Tag an mir selbst erkennen.
Das ewig wiederkehrende, zeitraubende Ritual des Ladens war die einzige Konstante an dem Ganzen (viel konnte man da ja nicht falsch machen) und einige alt gediente Männer hatten mir den Rat gegeben, so schnell wie möglich ein immer gleich durchgeführten Ladevorgang einzuprägen, das würde das Handeln in der Stresssituation des Kampfes regelrecht automatisieren. Das hatte ich mir dann auch bei der Steinschlosspistole zu Herzen genommen und in den Jahren antrainiert, bei der Muskete sollte es nun ebenso gelingen, wenn auch der Ladevorgang deutlich aufwendiger war.
Vier Eichmengen Blitzpulver kamen zuallererst in den Lauf der Muskete hinein (im vergleich: bis zu zwei waren es bei der Pistole), wurden durch mildes Aufstampfen des Schafts nach unten verfrachtet und mit dem Ladestock die letzten Körnchen, die an der Laufinnenwand hängen geblieben sein konnten, in die Ladekammer hinab getrieben. Direkt darauf folgte die in Filz eingewickelte Bleikugel (auf diesem Weg konnte man sich den ersten Filz als Teil der Verdämmungsschicht sparen, den man sonst separat vor der Kugel hätte einführen müssen), die des langen Laufs wegen mit kräftigen Stößen des Ladestocks hinab getrieben werden musste, was den anstrengendsten Teil des Ladevorgangs ausmachte. Nachdem die Kugel endlich am Laufboden über der Treibladung verbracht war, folgte zum Abschluss noch ein weiterer Filzpropfen zur Endverdämmung, ehe es an das System ging; der Hahn war bereits zu Beginn des Ladevorgangs in die Laderast gebracht worden, um die Gefahr einer vorzeitigen Zündung zu vermeiden, so dass nun ungehindert eine kleine Prise des feinkörnigeren Zündpulvers aus der igenen kleineren Pulverflasche auf die Pulverpfanne gehäuft werden konnte, das durch das herunterklappen des Schlosses vor Wind und Herausrieseln geschützt wurde. Nur noch den Hahn in Spannrast gebracht, dann war die Muskete schussbereit. Alles in Allem konnte ein geübter Schütze den Ladevorgang in einer Minute oder sogar weniger abrollen, was freilich viel Übung brauchte: Mir gelang es bei der Pistole mittlerweile halbwegs, bei der Muskete… pah! Lag noch in weiter Ferne!
In weite Ferne rückte auch die Zielscheibe oder besser gesagt die Treffer, die darauf hätten sein sollen: Am Ende meiner Schießpraxis, in der 63 Kugeln über den ganzen Tag und frühen Abend verteilt verschossen worden waren, hatten gut ein Drittel die Stroh-Ballen, die das Ziel darstellten, verfehlt oder nur gestriffen. Von den Treffern konnte man indes nicht sagen, dass sie einem regelmäßigen Muster folgten, es passte eher der Begriff „Streuung“.
Doch mein Mut sank dadurch nicht im Geringsten, kannte ich dieses ständige Auf und Ab doch noch von der Pistole, mit der ich nun ja schon ein vorzüglicher Schütze geworden war.

In den nächsten Tage wiederholten sich die Musketen-Schießübungen in fliegendem Wechsel mit Spelunken-Besuchen, Gesprächen mit dem Rat der Bruderschaft, Kielhol-Arbeiten an der Toro de Muerte und was sonst so an notwendigen Arbeiten anfiel (etwa Schanzarbeiten an der im Bau befindlichen Küstenbefestigung).
Dementsprechend ausgelaugt, aber wieder etwas braungebrannter und von der paradiesischen Wärme durchflossen, ging es schließlich in der Nacht zum 17. Hartung wieder auf die Heimreise mit dem befreundeten Walfänger. Da wir diesmal Schmuggelgut geladen hatten, war es ratsamer, bei Nacht in gerimorer Häfen – oder an ausgewählten Schmuggelplätzen entlang der Küste – einzulaufen. Ich brannte darauf, Jacky dieses Prachtstück der Waffentechnik vorzuführen.

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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 17 Jan 2010 11:12, insgesamt einmal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 18 Jan 2010 22:08    Titel: Episode 9 - Laghfearg
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Episode 9 – Laghfearg

17. Hartung 253
Im Rahaler Hafenviertel



Das Mittagsläuten war schon seit mehreren Glasen verklungen, als wir im Hafen Rahals einliefen.
In den zurückliegenden Stunden waren sämtliche Bruderschaftszellen und Schmuggelnester entlang der Küste angesteuert worden, um die dortigen Magazine mit neuen Waren zu bestücken – Wildkraut, menekanisches Salz, cabezianischer Rum, Teppiche, kostbare Stoffe, Gewürze, Spirituosen der Wüste und was sonst noch an wertvollem, seltenem Handelsgut in den Reichshäfen mit Zöllen belegt oder schlicht schwer zu bekommen war. Einen Großteil der Ladung ließen wir in den Umschlagplätzen der Bruderschaft, wie es etwa ein solches in Rahal gab, die naturgemäß an den größten Absatzmärkten konzentriert waren. Da meine Rahaler Zelle nun wieder volle Lager hatte, konnte ich guter Dinge in den nächsten Tagen eine Lagebesprechung mit meinen Mitarbeitern anberaumen und mit der Verteilung auf unsere Straßenhändler und Fassaden beginnen.
Doch genug der geschäftlichen Erwägungen, soeben kam die Karavelle von den Tauen an Pollern der Mole gehalten zum Stehen und die Stege wurden ausgefahren. Während Hafenarbeiter sich schon daran machten unter Anleitung des ersten Maats die in unverfänglichen vermeintlichen „Weinfässern“ verstaute Ware mit Hilfe von Laufrädern betriebener Lastkräne zu löschen, verlies ich nach der Verabschiedung vom Kapitän des Walfängers das Schiff, Ziel: das östliche Hafenviertel.



Auf dem Weg durch die verwinkelten, engen und selbst am Tage gerne dunklen Gassen nahm ich das unverkennbare Odeur des Viertels auf, das sich so gänzlich von dem auf La Cabeza unterschied. Während dort das Meer alles beherrschte, wiesen hier neben dem üblichen Gestank nach Gosse seit Winterbeginn der vermehrte Geruch von verbranntem Holz den Charakter des Viertels aus. Die reiche Heizpraxis hatte in den kalten Monaten eine regelrechte Rauchglocke über dem Hafenviertel, letztlich der gesamten Stadt entstehen lassen, die hier in den engen Gassen teilweise bis in Kopfhöhe hinab reichen konnte. Manchen neuen Besucher mochte so etwas abschrecken, gerade wenn er vom ländlichen Dorf kam, doch in mir weckte selbst diese rußige Luft das Gefühl von Heimat. Kein roter Diamant, aber immerhin… der Saphir.
Das brachte mich auch schon zu der Person, die ich in meinem Ziel, dem Krähennest, anzutreffen hoffte, stand sie doch nicht an der Hafenmole, wie so häufig, wenn ich von einer Fahrt zurück kehrte. Dementsprechend konnte sie eigentlich nur daheim oder in der Spelunke sein, gerade um diese Tageszeit. Mein Bauchgefühl, das sich mit den Jahren auf See verfeinert hatte, lotste mich auch dieses Mal richtig: Daheim in unserer Bude, dem Krähennest, herrschte gähnende Leere. Selbst der Kamin war fast ausgegangen, da das Holz nahezu komplett niedergebrannt war. Scheiße. Doch falsch? Sei’s drum, ich schlurfte erst einmal zum Kamin, um neues Holz nachzulegen und es mit dem Schürhaken herum zu schichten, bis es richtig brannte. Zwar war es schon weit nach Mittag, doch in der Nacht war aus ersichtlichen Gründen an Schlaf nicht zu denken gewesen, so entglitt mir jetzt doch ein langes, ausgiebiges Gähnen. Die dem Feuer entspringende Wärme ließ mich erst die Müdigkeit in meinen Gliedern spüren…
Da flog die Tür zum Hinterhof auf und zusammen mit einem Schwall klirrender Kälte und Schneeflocken stiefelten Jacky und Lockvögelchen herein. Erst, als die Tür geschloßen und sie schon weiter den Raum durchmessen wollten, bemerkten sie mich, wie ich da noch ausgiebig gähnend vor dem Feuer stand und mir den Rücken kratzte – musste ja ein besonders vorteilhaftes Bild ergeben haben… Jedenfalls nahm das Kindchen Iriel sogleich etwas Abstand zu mir ein und ihre Mimik sprach Bände: Sie hatte Angst. Öhha. Das war neu. Hatte ich in den Tagen auf See und im sonnigen Süden etwas verpasst?
Als dann Jacky das Mädel auch noch dezent, aber bestimmt in den hinteren Teil der Hütte bugsierte und wieder allein zu mir zurückkam, roch es nach meinen Verhältnissen schon nach Ärger. Irgendwas war da faul. Davon konnte die freundliche Begrüßung Jackys, die mir sonst das Liebste an der Heimkehr war auch nicht ablenken und tatsächlich: Da schaute Jacky mich schon ernst an und sprach von einem Problem, das wir hätten. Während ich mir vor meinem inneren Auge schon ausmalte, wie „der Geist“ als Wiederkehrer aus dem Grab gestiegen (besonders die Maden, die überall aus ihm heraus krabbeln mussten, stellte ich mir bildlich mit leisem Schauern vor!) und des Nachts um unsere Hütte gestriffen wäre, eröffnete mir Jacky den Sachverhalt, der mich rasch auf den Boden der Tatsachen zurück holte. Besser gesagt das Öffnen meiner Jacke brachte es zum Ausdruck: Als ich sie nämlich zurückstrich und die Hände in die Hosentaschen steckte, war der Blick auf das Innenholster mit der darin ruhenden Pistole (ich nannte sie liebevoll „laghfearg“. Das Betiteln der Bewaffnung war so eine Macke, der nicht nur Rittersleut‘ frönten, sondern in hohem Maße auch Seeleute..) frei, so dass Jackys starrender Blick auf sie mir nicht lange verborgen blieb. Unterdessen hatte auch Iriel die Pistole erkennen können und war ziemlich bleich geworden – was mir in dem Moment nicht aufgefallen war – und Jacky begann endlich, das Problem beim Namen zu nennen. Jedenfalls, Schritt für Schritt. Iriel verzog sich zuerst aus der Bude und die nun sichtlich nervös gewordene Jacky eröffnete mir, das sie mich nun einweihen würde. Ich schickte eine Lobpreisung im Stillen zum Klabautermann, denn mittlerweile war ich wegen des merkwürdigen Gehabes der beiden Frauen ein wenig irritiert. Das Kindchen Iriel verhielt sich wie der letzte Trottel und Jacky rang auf einmal um Worte? Verkehrte Welt! So beschloss ich, das Ganze etwas zu beschleunigen und goss mit der Frage Öl ins Feuer, ob das Kindechen, gemeint war also Iriel, denn einen Einlauf bekommen hätte! Jacky bejahte das sogar, indem sie vorgab, dass dieser Einlauf sogar einen Namen hätte – aha, also war das bildlich zu sehen, und ich dachte schon…. Holla die Waldfee! – nömlich… Lissys Emma. Spannungskruve auf Null. Lissys Emma? Meine Emma? Ich kannte nicht mal ein Mädel mit dem Namen Emma! EMMA! Was zum Henker..?
Entsprechend baff fragte ich nach, was sie denn damit meine, als Antwort deutete sie auf meine Steinschlosspistole, zu der ich dem Deut folgend hinab luhrte. Als Referenz gab sie den „Großvater“ Hamprecht an, der seine so nennen würde, wodurch die Glocken der Erkenntnis endlich in meinem Kopf läuten wollten. Der Mann, der sich auf dem Festland Hamprecht nannte, war einer der ältesten Kameraden in unserer Truppe, er hätte fast mein Vater sein können und war einer der erfahrensten Seebären, die ich kannte. Besonders auf See bedeutete hohes Alter umso mehr. Er nannte seine Pistole „Emma“, aye… somit war dieser merkwürdige Vergleich geklärt. Was das nun mit dem Problem auf sich hatte, klärte sich in Folge dessen. Jacky und ein paar andere waren jüngst bei Kiebitz zu Besuch gewesen, darunter auch Hamprecht; Lockvögelchen war dazu gekommen und als gerade ein Streitgespräch zwischen Kiebitz und Hamprecht rund um Gold entbrannte, in dessen Verlauf der Alte Kiebitz nahelegte, den Streit ruhen zu lassen, sonst würde er ihn mit „Emma“ beenden. Lockvögelchen war daraufhin regelrecht ausgetickt und hat den Alten und seine „ganze Rasse“ kurz gesagt an den Meeresgrund gewünscht. Sie hätte die ganze Zeit über die Schulter gehalten, an der sie meine Kugel erwischt hatte und wäre nahe dem Heulen gewesen. Hätte immer nur auf die Pistole gestiert wie von Sinnen. „Verstehst du, Lissy?“, ihre Augen, die ich so gerne mit Saphiren verglich, lagen auf den meinen und ich hätte zu gerne bejaht, nur um ihr zu gefallen. Doch ich verstand nicht, worauf sie genau hinaus wollte und gab mit einem Schwall Krautrauchs ratlos zurück: „Matsch im Hirn?“
Danach sah es mir nämlich aus. Hysterisches Verhalten, als sei sie von einem Dämonen besessen.. pfui, das konnte unangenehm in der Nähe eines Pfaffen werden.
Sie sei krank und Jacky kenne die Heilung darauf – und ich ebenso. Ohha! Sie wusste mehr über mich, als ich selbst… ich kannte die Heilung für Iriel? Dabei war sie doch gar nicht krank, nur irre?! Schwer von Begriff, wie ich war, hatte Jacky doch recht viel Geduld mit mir und fasste es in einem Wort zusammen, das sie Buchstabe für Buchstabe aussprach: Sie sei t r a u m a t i s i e r t!
Traumati-wat für’n zeuch?! Jetzt war es mir doch etwas zu viel des Guten, hatte Jacky womöglich wieder etwas von der Salbe geraucht, oder was war da schief gegangen. Sie formulierte es, meiner offenen Irritation gewahr um und bezeichnete es einfach damit, dass Iriel eine Macke davon getragen hätte.
Aha, sie hatte also ein Rad ab, war durchgeknallt, ein Rohrkrepierer auf Kopfebene! Sachen gibt’s..
ABER! Das wusste sie zu betonen, es gäbe da eine Möglichkeit, sie zu heilen. Durch Jacky und durch mich – Ich sei die Lösung. Zumindest sah es Jacky so, weshalb, wurde mir auch bereitwillig eröffnet: Ich sollte vorher allerdings schwören, dass mir Lockvögelchens Gesundheit am Herzen lag, dem ich mit gewissen Vorbehalten auch nach kam – die Neugier war zu stark. Iriel müsse mit meiner Pistole auf mich schießen, damit sie die Macke loswerden würde.
Da klappte mir die Kinnlade nach unten und mit der Beherrschung war es auf einen Schlag vorbei!
ICH sollte mit MEINER Pistole auf MICH schießen lassen?!



Automatisch brachen sich absurde Bilder in meinem Kopf Bahn, wie mir von dem jungen Ding Iriel der Kopf weg geschossen wurde… aus Rache für den damaligen Schulterschuss oder was auch immer! Scheiße! Ich war vielleicht manchmal etwas irre, aber lebensmüde noch lange nicht!
Darüber brach sich ein lauthals geführter Streit zwischen uns Bahn, mit reichhaltigem Gebrüll und Gestik, in dessen Verlauf ich mich brütend an den Kamin lehnte und von innerlich wallendem Zorn ergriffen achtlos auf meinem Krautstängel herum kaute. Erst, als ich so vor mich hin köchelnd etwas zur Ruhe kam, bemerkte ich den äußerst unappetitlichen Batzen in meinem Mund und spie ihn ins Feuer aus. Ich zog die Nase hörbar hoch, als Jacky, die zwischenzeitlich zu den Lagerfässern gestiefelt war, mit einer Flasche menekanischen Kaktusschnaps zurückkam und mir diesen überreichte. Das hieß wohl Frieden. Bereitwillig nahm ich einen Schluck von dem exotischen, sehr süffigen Schnaps und stierte missmutig zu Jacky hin. Die wollte mich durch ein ausgenommen freundliches Lächeln und den Hinweis, nicht brummig zu sein besänftigen. Brummig, pah. Das war blanker Irrsinn, nichts anderes und genauso sagte ich es ihr auch, begleitet von einem sehr abschätzigen Schnauben. Beim Leben hörte Freundschaft und auch… mehr auf. Mit einem Vergleich Iriels mit einer kleinen Schwester wollte sie das Ruder herum reißen, doch darauf wollte ich nicht eingehen: Ich hatte tatsächlich eine kleine Schwester, in meinem früheren Leben, da sollte sie mir nicht mit so etwas kommen! Blut war etwas anderes, doch das Kindchen war nicht mein Blut!
Letzten Endes beließen wir es vorerst bei dem Patt und verlagerten uns auf meine Abwesenheit. Jacky hatte wie so oft meine Abfahrt nicht mitbekommen, war ich schließlich noch zu einer Uhrzeit abgezogen, zu der sie noch schlief. Veränderungen an meinem Äußeren nahm sie dabei wie so oft bei meiner Heimkehr wahr: Die natürliche Bräune meiner Haut hatte durch die Tage unter der brütenden cabezianischen Sonne wieder den Kampf gegen die fahle Blässe des gerimorer Winters gewonnen und die Oberhand bekommen. Leises Frohlocken erfüllte mich, als ich ihres milden Neids gewahr wurde, den sie jedes Mal verspürte, wenn ich gebräunt und von der herrlichen Wärme dort im Süden schwärmend von meinen Reisen berichtete. Umso fröhlicher war ich dieses Mal, führte es uns doch von dem ernsten Thema fort, dessentwegen ich sogar meine críde angeschrien hatte.
Abermals kam Iriel zur Bude und klopfte an. Nach dem Einlass war auch schon wieder das Thema mit dem Eigenbeschuss zu klären. Lockvögelchen war zuerst wenig begeistert, ja nahezu verängstigt, als es hieß, sie solle dazu meine Pistole_anfassen_und_abfeuern. Wenigstens das hatten wir gemeinsam, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen. Letztlich gaben sowohl Iri wie auch ich dem inbrünstigen, fleißigen Bestreben Jackys nach und stimmten dem Vorgehen zu. Jacky hatte nämlich die irrige Idee gehabt, auf sich schießen zu lassen, da ich doch so vehement dagegen sei, auf mich zielen zu lasen. Das war dann wirklich zu viel, bevor man auf sie schoss, dann lieber auf mich! Freilich hatte ich das nicht ohne Hintergedanken getan, war ja nicht blöde – die beiden Frauen kannten die Technik nicht, somit würde ich die Pistole einfach manipulieren, zum Beispiel die Kugel weg lassen oder nur einen Bruchteil der üblichen Treibladung einbringen… und das ganze wäre eine für mich völlig harmlose Farce. Hauptsache, das Trauerspiel hatte ein Ende.
Während Iri schon zu Kiebitz vorging, wo man sich zu einem Coup treffen wollte, an dem wir beteiligt sein sollten, bleiben wir noch kurz zurück, um uns einzukleiden.
Mit einem Wort des Dankes eilte da Jacky zu mir hin und drückte mir einen Kuss auf, ehe sie ebenso rasch durch die Tür gen Hinterhof entschwand, um Lockvögelchen zu folgen. Ich konnte nicht anders, als einen Moment lang zu verharren und diesen Augenblick auszukosten. Mit einem verstohlenen Lächeln zog ich mir den Mantel über und stapfte hinaus, Jacky hinterher. Mir war klar geworden, dass ich mir ihretwegen aller vorher geäußerter Widerrede zum Trotz jederzeit eine Kugel einfangen würde.

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 Beitrag Verfasst am: 27 Jan 2010 21:10    Titel: Episode 10 - Der Ordensbruder
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Episode 10 – Der Ordensbruder

25. Hartung 253
Im Rahaler Hafenviertel & in Bajard



Die Kralle des Winters, die Gerimor vollends in ihrem eisigen Griff hatte, streifte nicht allzu lange spurlos an uns vorüber. Jacky war vor gut einer Woche von einer heftigen Erkältung erwischt worden, die sie die nächsten Tage teilweise komplett ans Lager fesselte. Des Nachts hatte ich sie zu diesen Tagen manches Mal niederhalten müssen, wenn sie im Fieberwahn drohte, herumzuwandern oder zu fantasieren, ein schweißgebadetes, zitterndes und zugleich glühendes Bündel in Wolldecken. Meine von der rauen See gestählte Konstitution vermochte mich nur eine Zeit lang davor bewahren, selbst zu erkranken – am Ende ging es schneller, als es mir lieb war. Kaum zwei Tage nachdem es Jacky erwischt hatte, hatte sie mich bereits angesteckt und so lagen wir eines Nachts beide hustend, schniefend und elend beisammen. Zwei Trottel, die wie Kletten aneinander hingen, selbst in der Krankheit. Eigentlich der Stoff für eine Komödie, nur mit dem Unterschied, dass mir nicht gerade nach Lachen zumute war.
Meine Kleingaunerin war es dann schließlich, die sich als erste wieder fing und zu der adoraner Heilerin Liliana gereist war, um dort Medizin zu holen, die in einem wilden, nicht zu definierenden Sud von uns konsumiert wurde. Man musste sich ja doppelt absichern, wieso also nicht zusätzlich die Hausmedizin in Form einer warmen Brühe dazu geben? Tatsächlich half diese absurderweise recht schmackhafte Mixtur sogar sehr rasch, denn im Laufe des Vormittags des zweiten Tags voller Husten und Schniefen konnte man sich davon verabschieden und war überraschend rasch putzmunter. Konnte indes auch an den Unmengen Rums, heißen Grogs und Krauts liegen, das ich mir gegönnt hatte, um meine Körpersäfte gehörig in Wallung zu bringen – irgendein Schiffsarzt aus meiner Zeit bei der Handelsmarine hatte mir einmal in seiner näselnden Art erzählt, dass Säfte (ich glaube, es waren vier) im Körper für Gesundheit und Krankheit sorgen würden.. irgendwas mit Gleichgewicht.. war mir auch gleichgültig, jedenfalls war ich wieder gesund! Und nur das zählte.
Nicht auszudenken, wenn es bereits Frühjahr gewesen wäre und der jüngere Perrera eine Kaperfahrt gestartet hätte; mit Fieber in den Wanten zu hängen war keine Freude, zumal es kein Kätpn gerne sah, wenn seine Mannschaft an Land Schindluder mit sich trieb und dann kaum einsatzfähig war, wenn es hinaus auf See ging. Zur Feier des Gesundens war es dann auch zielstrebig in die nächste Spelunke gegangen. Der Weg führte uns hierzu nach Bajard, in Begleitung von Kiebitz und Iri.
Vor Bajard angekommen hatten Jacky und ich noch einen Abstecher in den nahen Wald gemacht, damit ich ihr meine jüngst erstandene Muskete vorführen konnte.
Ein Hase hatte dafür sein Leben aushauchen müssen und sollte uns am Abend als saftiger Braten Gaumenfreunden bereiten. Nicht umsonst waren die Feldhasen für ihre Haken, die sie bei der Flucht vor ihren Häschern anwandten berühmt – mir, der ich zwar nun schon des Öfteren mit der Muskete geübt und mich an sie gewöhnt hatte, entkam er beim ersten Schuss ins Dickicht, bis ihn Jacky wieder heraus gescheucht hatte und mein zweiter Schuss ihn fällen konnte. Wenigstens hatte ich keine bearbeitete Kugel verwendet (wie ich sie etwa extra für Untote zu verfeinern pflegte, was sich Kerbungen oder Hohlgüsse umfasste), sonst wäre da nicht mehr viel Fleisch zum Verzehr übrig gewesen..



Gut zwei Tage später, wir hatten den 25. Hartung, sah die Welt wieder aus, wie wir es gewohnt waren. Kalt und reich an Schnee und Eis zwar, doch mit gesundem Körper und freier Lunge war das eindeutig besser zu ertragen, als fiebernd. So waren wir dementsprechend wieder auf Achse, auch wenn das Ziel recht eintönig ausfiel: Spelunken. Aber wo sonst konnte man schon kalte, müßige Wintertage und –abende besser verbringen, als in einer beheizten Taverne mit (meist) gutem Alkohol und (viel seltener) gutem Essen? Dazu steuerten wir wieder einmal Bajard an. Ständig in der rahaler Hafenschenke einzukehren, würde auf Dauer sonst öde werden.. man musste andere Geschmäcker, andere Gerüchte aufnehmen. Ein ganz besonders exquisiter – manche empfindlichere Nase hätte eher das Wort „sekkant“ bevorzugt – Odeur nach frischer Wandfarbe und jungem Holz lag dort in der Schankstube, der sich auf eigentümliche Weise mit den üblichen Geruchseindrücken von abgestandenem Alkohol, Schweiß und Tabaksrauch, wie auch Eintöpfen aller Couleur mischte. Was mich anging, so gefiel mir dieses exotische Konglomerat – und zwar so sehr, dass ich ihm im Laufe des Abends in fröhlicher Drolligkeit einen guten Teil süßlich-schweren Krautaromas beifügte.
Seit dem Gespräch mit Conde bei unserem Besuch hier vor zwei Tagen, das beinahe in einem offenen Zwist geendet wäre, hatte sich hier nicht viel verändert. Conde war ein junger Matrose, neu bei unserem Pack und vielleicht 18 Lenze alt; dafür, dass er noch nicht einmal richtigen Bartwuchs hatte, war er jedoch ausgewählt frech und vorlaut, so dass er mich an diesem einen Abend vor zwei Tagen nahezu dazu gebracht hätte, mit ihm eine Keilerei vom Zaun zu brechen: Der Junge hatte Jacky (MEINE Jacky!) ausdauernd und pausenlos beleidigt, nicht einmal unterlassen, als ich ihn daraufhin gewiesen hatte, wen er da verbal anging und hatte es ganz offensichtlich auf eine Schlägerei abgesehen. Noch etwas angeschlagen von der ausgestandenen Grippe hatte ich mich darauf jedoch nicht eingelassen, sonst wäre gegen eine kleine gepflegte Schlägerei unter Kameraden unter EInbezug sämtlicher Schankgäste und der Inneneinrichtung nichts einzuwenden gewesen. Das nächste Mal vielleicht.
Am heutigen Abend waren wir jedenfalls zu fünft. Iri, Kiebitz, Zarek, Jacky und meine Wenigkeit hatten es uns an der Theke auf den Hockern gemütlich gemacht und umlagerten die neue Wirtin mit Rum, Grog, Wein, Bier.. Runde um Runde. Zarek hatte nämlich heute die Spendierhosen an und sämtliche Runden gingen auf seine Kappe, somit ließen wir uns selbstverständlich nicht lumpen und hoben so manchen Humpen. Jetzt reime ich schon.. muss eine Nachwirkung von Lilianas Medizin sein.
Jedenfalls wurde der Abend von Humpen zu Humpen fröhlicher und, was mich anging, lockerer. Dieses Mal ließ ich es mir nicht nehmen, meiner Kleingaunerin nahe zu bleiben: Hier ein Stoß, da eine Umarmung oder einfach nur ein Schachern. Sei’s drum, was meine Freunde (ich sah sie mittlerweile durchaus als solche an, auch wnen sie immer noch blutige Landratten waren und immer sein würden) sich dachten - Iri sprach bisweilen von den „Turteltauben..- was die Vorlauteste von ihnen anging, eben diese Iri.. die war ja schon auf den Boden der Tatsachen zurück geholt, mit einem „Trauma“, wenn ich mir die Worte von Jacky richtig ins Gedächtnis rufe. Es ließ mich immer noch schmunzeln.. was für eine gequirlte Pfaffen-Scheiße! Und die „Therapie“, um Iris Hirn wieder auf die richtige Bahn zu bringen, stand noch bevor. Ein schauerlich-schönes Schauspiel, eine Farce aus Jaron’scher Feder.
Im Laufe des Abends gesellten sich noch Aron, der nun seine ständige Maskerade abgelegt hatte und im zivilen Leben einen An- und Verkauf in Bajard betrieb, ansonsten seinem eigentümlichen Handwerk jedoch weiter nachging und mein Mitarbeiter Lacho zu uns. Dem Burschen musste ich noch ein paar Anweisungen weitergeben, fürderhin bedurfte er einer Aufstockung seiner Kraut-Vorräte, derentwegen wir uns für einige Zeit von der Tischgesellschaft absonderten, um das, was für die Ohren der Bruderschaft allein galt auch nur diesen zuteil werden zu lassen. Der sich anbahnende Konflikt mit Kims Bande war vorerst durch Blutgeld abgewendet worden, somit fuhr ich die Alarmstufe wieder herunter, die ich für meine Rahaler Bruderschaftszelle ausgerufen hatte, die Entermesser würden erst einmal in ihren Scheiden bleiben. Ferner ließ ich ihn wissen, dass wir einen neuen Schmied des Vertrauens für uns hatten, der im Süden Gerimors ansässig war und unseren Leuten zu guten Preisen oder sogar umsonst seine Dienste anbot. Diese Information musste ich auch noch nach La Cabeza durchgeben.. schließlich gab ich noch die Information an ihn weiter, dass irgendein Käufer unseres Krauts es weiter verhandelte, wogegen wir grundsätzlich nichts hatten, das verwischte die Spuren für die Justiz. Doch diese Landratte, wer immer sie war, vertickte das Zeug zu Spottpreisen oder verschenkte es sogar! Dem musste Einhalt geboten werden, es hieß Augen und Ohren offen zu halten, ehe der Markt dadurch Schaden nahm.
Nachdem Lacho noch eine neue Ladung Kraut mit entsprechender Weisung bezüglich der Gewinnaufteilung zum Vertrieb erhalten hatte, kehrten wir wieder zu der Tischgesellschaft zurück und tranken weiter kräftig mit. Einen Grog später war es aber für Jacky und mich vorbei mit der Herrlichkeit, denn wir waren wider Erwarten nach der Grippe noch nicht wieder auf dem alten Stand der Trinkfestigkeit, weswegen wir uns recht bald verabschiedeten und die Taverne verließen.
Es ging nach Hause zum Krähennest.

Als wir beieinander in dem Wust an Fellen, Decken und Kissen lagen, der unser Schlaflager bildete, fand ich eine geraume Zeit lang keinen Schlaf, wagte aber nicht mich groß herum zu wälzen, hatte ich die schlafende Jacky doch an meiner Seite. Schlafende Frauen weckt man besser nicht. Der Hausfrieden könnte dadurch in Gefahr geraten.
Da mir an dem gerade viel lag, beherrschte ich meinen Bewegungsdrang und widmete mich dem Grund meiner Schlaflosigkeit: Der Ordensbruder.



Wir trafen ihn auf dem Weg zur Spelunke kurz vor der Dorfgrenze Bajards an. Hoch zu Ross – ein kräftiges Tier, das mir sofort unsympathisch war (wie ich diese Viecher hasste!) – ritt er da daher, in voller glänzender Rüstung und gekleidet in der Heraldik des Ordens der Temora. Ein Mann des Glaubens, nicht nur das: Ein Krieger, ein Schwert des Glaubens. Gefährliche Männer, sofort schrillten sämtliche Alarmglocken in meinem Kopf und meine Beine entwickelten ein Eigenleben: Sie entschlossen sich dazu, stehen zu bleiben – erst zögerlich, dann endgültig. Ich starrte, musterte, taxierte. Misstrauisch, auf der Hut, angespannt.
Und der Recke starrte zurück.
Der Ordenskrieger war kein besonders großer Mann, eher von durchschnittlicher Statur. Wir mochten in etwa gleich groß sein, mit dem Unterschied, dass der Ordensmann kräftiger und kompakter gebaut war, als ich. Sein Gesicht war markant, besonders durch die zahlreichen Schnittnarben, die er sicherlich im Verlauf seiner Soldatenzeit erworben hatte und würde mir dadurch umso besser im Gedächtnis bleiben. Merken wollte ich mir diesen Knilch nämlich. Ich hatte ihn schon des Öfteren angetroffen und langsam wurde ich stutzig: Als abergläubischer Mensch, der ich war, glaubte ich an schicksalshafte Fügungen – und wenn das nicht langsam Formen einer solchen annahm, wusste ich auch nicht weiter. Die Finger meiner rechten Hand strichen über die lange Schnittnarbe in meinem Gesicht, die ich mir bei einer Messerstecherei zugezogen hatte und ein leises, feines Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Zwei Narbengesichter. Ein Mann der Götter und ein Mann des Mammons. Eine gläubige Seele und eine verlorene Seele. Es passte immer besser.
Als meine Begleiter, insbesondere Jacky langsam stutzig wegen meines in ihren Augen sicherlich komischen Verhaltens wurden, riss ich mich vom Anblick des Ordensbruders los und zog mit ihnen weiter.
Ein mir nicht erklärlicher Frohsinn ergriff mich nun, da ich all das noch einmal Revue passieren ließ, denn mir wurde klar: Ich hatte den Gegner gefunden, den ich brauchte, er würde mir Tür und Tor öffnen. Ich nahm mir vor, am nächsten Tag einen unserer Agenten auf den Recken anzusetzen, um mehr herauszubekommen.
Dieser Last entledigt fand ich bald schon neben meiner Kleingaunerin Schlaf.

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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

"Krieg, Handel und Piraterie,/Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
Mephistopheles, Faust II


Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 27 Jan 2010 21:15, insgesamt einmal bearbeitet
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 03 Feb 2010 19:50    Titel: Episode 11 - Cogadh
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Episode 11 – Cogadh

02. Eisbruch 253
Im Rahaler Hafenviertel und am Wegkreuz



Die Ereignisse überschlugen sich in den letzten Tagen.
Als ich jüngst von einer Schmugglerfahrt heimkehrte und meinen Kutter vertäut hatte, begrüßte mich ein absonderliches Schauspiel an der Rahaler Hafenmole. Kimroth, der mit seiner Bande einen guten Teil des obertägigen Hafenviertels kontrollierte und für unseren Schmuggel im Rahaler Land somit einen nicht unwichtigen Schutzfaktor bedeutete, wurde von einer maskierten Gruppe entführt! Mit Waffengewalt führte die Meute ihn zusammen mit Nalock, einem seiner Männer, zu einem bereitstehenden Segler fort, womit sie zügig auf die winterliche See hinaus steuerten. So rasch war das von statten gegangen, das ich nur noch zu Maria gelangen und sie fragen konnte, was da denn abliefe.. als es schon vorbei war. Mein Maat hatte das Schauspiel auch kaum länger ins Auge fassen können, wie ich und war ebenso überrascht darüber. Kim hatte viele Feinde, aye, wie wahrscheinlich jeder von uns.. doch da war er, mitten im heimatlichen Umfeld aufgegriffen und eingepackt. Dass die Hafenwache nicht eingriff, wunderte mich nicht: Zwar bestachen sowohl Kim, als auch die Bruderschaft die rahaler Hafengarnison regelmäßig, damit sie wegsahen, wen es uns dienlich war. Doch für einen Kriminellen wirklich den Finger rühren? Bei aller Bestechlichkeit ging das den Offizieren dann doch zu weit. Maria und ich beschränkten uns indes nur auf das Beobachten, wir waren schließlich nur zu zweit gegen eine ganze Meute. Als die Entführer mit ihren zwei Opfern in See gestochen hatten kamen schon ein paar Verfolger aus Kims Bande heran gestürmt – aber zu spät. Zusammen mit diesen, unter anderem waren es die Rysk-Gebrüder, gingen wir in die von Kim betriebene Hafenschenke, um uns zu besprechen.
Hitzig und nach Rache gelüstend waren es dann auch die Rysk-Brüder, die einen Gegenschlag und die Befreiung von Kim besonders forderten und vorantrieben. In diesem Eifer wollte Katarn Maria und mich wortwörtlich anheuern, um für sie bei diesem Gegenschlag zu arbeiten. Ich musste harsch an mich halten, um nicht ausfallend zu werden. Diese Kleinkriminellen, deren Tätigkeiten sich vor allem auf Rahal beschränkten, wussten langsam wirklich nicht mehr, wo ihr Platz in der Unterwelt war! Einhellig waren Maria und ich der Meinung, dass es einmal Zeit würde, mit einem großangelegten Rundumschlag den Landratten wieder einzubläuen, vor wem sie zu kuschen hatten. Doch das sollte bis zum Frühjahr warten. Katarn hatte indes auf einen dezenten Hinweis hin eine andere Formulierung gewählt, die uns schon beser gefiel: Wir würden ihnen den Gefallen tun und unsere Feuerrohre für einen Gegenschlag anbieten, wenn man es uns entsprechend vergüten würde. Dies wurde abgeklärt und war somit vom Tisch. Für etwaige Gegenschlags- oder Befreiungspläne wurden wir zwei auch zu dem geheimen Trumpf erklärt: Als Heckenschützen sollten wir die Meute niederhalten. Da ich im Verlauf des Gesprächs abzog, um zum Wegkreuz zu gehen, Informationen einzuholen, bekam ich den Rest der Planung nicht mehr mit. Maria berichtete mir später, dass man in einer Zangenbewegung vorgehen wolle.. oder so ähnlich.
Auf dem Weg zu Elfies Bauernhof hatte ich genug Zeit und Muße, sich mit Überlegungen von der aufkeimenden Übelkeit abzulenken, die mich bei Kutschen nun einmal zu überfallen pflegte. Die Leute rundum Elfriede, die man als Schuldige in Verdacht hatte (diese Vermutung hatte sich durch die Nachforschungen einer Rabendienerin erhärtet), waren nicht nur meine Geschäftspartner, sondern zu einem guten Teil auch Freunde an Land geworden. Menschen, zu denen man gehen konnte und wusste: Dort erhielt man Unterschlupf; im Inland, wohin der Einfluss der Bruderschaft nicht reichte, ein unschätzbarer Wert. Dies alles musste ich nun auf die Probe stellen: Mein Maat Maria hatte ein persönliches Interesse an de Befreiung Kims, dergestalt, dass ich schlicht nicht anders konnte, als ihr zu helfen. Letzten Endes musste ich mich doch für die Mannschaft, für meine Leute entscheiden, so schwer es auch fiel.
Um wenigstens den etwaigen Schaden zu begrenzen, nahmen Maria und ich uns vor, uns am Tag des Einsatzes zu verkleiden und so weit wie möglich unkenntlich zu machen. Es gab schließlich genug Kameraden, die nicht Teil der Bruderschaft waren, somit war die geschäftliche Zusammenarbeit mit Elfies Leuten nicht gefährdet. Man würde sich herausreden können.
Ferner würde ich dafür sorgen, dass Jacky am Tag der Abrechnung nicht zugegen war, damit sie nicht in die Feuerlinie geraten würde – wie ich das anstellen sollte, war mir jedoch noch schleierhaft. Zudem wollte Maria dafür sorgen, dass Kims Bande Jacky von etwaigen Übergriffen aussparte: somit wäre zumindest sie sicher.
Am Bauernhof von Elfie angekommen, bot sich mir das Bild eines fortifikatorischen Werks vom Lande. Schlicht in der Aufmachung, aber effektiv.
Palisaden umschlossen die empfindlichen Eingangsbereiche und schirmten sie halbwegs von feindlichem Beschuss ab, besser als nichts.
Drinnen wurde ich auch direkt von Jacky in Empfang genommen, die mich in den Keller bugsierte, vorbei an eben der Rabendienerin, die zuvor schon den Vogelfreien Informationen zugeschanzt hatte – wie es für diese Leichenfledderer üblich war, spann sie wohl eifrig ihre Intrigen.. denen war nicht zu trauen. Aber das mussten die Leute um Elfie selber erkennen. Ich hoffte heimlich, dass die Erkenntnis sie nicht erst im Tod ereilen würde, als Opfer für den Seelenfresser.
Wie sich herausstellte war Kimroth bereits an die Adoraner verkauft worden, die ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hatten. Nicht unbedingt die feine Art, muss ich zugeben – normalerweise verkaufte man „seinesgleichen“ nicht an die Reichsjustiz – aber der Zweck heiligte nun einmal die Mittel. Was Elfies Leute anging, so war dies, den Vogelfreien vor Augen zu führen, dass sie nicht unangreifbar waren. Das war geglückt.
Um mein Gewissen – ja, manchem Leser wird das nun sicherlich wundern, doch auch ein Marodeur des Raul Vincente Perera konnte so etwas haben, freilich.. etwas anders geartet, als der gutbürgerliche Snob – zu beruhigen, gab ich nun Iri und den anderen „Vögeln“ Informationen über ihre Gegenseite, die Vogelfreien. Angriffspläne, zu erwartende Angreiferzahl, die Rolle von Maria und mir und derlei mehr. Das würde wenigstens halbwegs für Chancengleichheit sorgen. Die Chance, dass es zu einem Angriff kam, sank jedoch gegen Null, seitdem bekannt war, dass Kim in adoraner Gefängnissen saß.
Den kommenden Tag brachte ich mit Gesprächen mit meinem Maat Maria wie auch dem Flicken meiner Ausrüstung zu. Die Fronten bezüglich Jackys wurden geklärt – sie würde weder von Maria, noch von Kim, noch von seinen Leuten für die vermutete Teilnahme an Kims Entführung belangt werden, ebenso wenig unser Krähennest. Das war eine gute Nachricht.
Eher schlecht stand es da schon um meine Ausrüstung, die ich langsam für die Tätigkeit auf der Toro de Muerte auf Vordermann bringen musste. Im Einsatz auf meinem kleinen Seelenverkäufer-Kutter mochte es ja gut genug sein, doch an Bord des Dreideckers musste da noch einmal Hand angelegt werden.
Der Marlspieker, der für die Arbeit an Segeln und Takelage unabdingbar war, hatte gehörig Rost im Laufe des Winters angesetzt – der musste abgeschliffen werden. Ferner die verschiedenen Messer nachgeschärft, poliert und frisch eingeölt werden – überhaupt kam dem polieren und Einölen ein besonderer Stellenwert zu: Die salzhaltige Meerluft, das immerfeuchte Milieu griffen Metall stets perfide an, wenn die Oberfläche nicht ordentlich gepflegt wurde. Um dem vorzubeugen, nahm ich mich ihrer mit ausgesuchter Sorgfalt an.



Ebenso erging es den Werkzeugen zum Segelflicken: Hohlfid, Fid, Bankhaken, Pricker, Locheisen, Segeltuchschere und Segelzange. All dieses Sammelsurium teils schon recht alten Werkzeugs hatte ich in meiner Zeit bei der Handelsmarine erworben oder von älteren Matrosen geschenkt bekommen, die mich in meine Tätigkeit als Toppsgast eingewiesen hatten. Dieses Arbeitsmilieu des Matrosen war den erfahreneren Seeleuten vorbehalten, die in den luftigen Höhen der Takelage ihrem Tageswerk nachgingen: Segel setzen und reffen, Takelagen justieren, Schäden in beiden beheben, den Ausguck im Krähennest übernehmen und so weiter. Da ich all das aus erster Hand erlernt hatte, nahm ich derartige Aufgaben auch an Bord der Toro wahr, das Bedienen von Kanonen hatte man mir zwar auch auf der Toro gelehrt, doch hatte ich im Laufe er Jahre feststellen dürfen, dafür kein Händchen zu haben. Gute Kanoniere waren da schon eher Kameraden wie der Grünschnabel Conde (Aye.. der hatte trotz seiner 18 Lenze ein gutes Zielwasser, man mochte es kaum glauben!), ich ließ die Finger davon, soweit es möglich war.
Wie sagte man doch dort im Nord-Westen, wo ich einmal diese alte Kräuterkundige traf (davon werde ich noch berichten.. später einmal..): „Is minic a bhí fear maith í seanbhríste.“
Doch so einfach war es in der Seefahrt dann doch nicht – ein guter Mann musste dort sehr wohl in guter Kleidung stecken, nicht in zerrissener. Wer einmal die schneidenden Winde an Bord, gerade in den Takelagen erlebt hat, wird das nachvollziehen können: Da bedurfte es fester, windundurchlässiger Kleidung, die idealerweise auch noch mittels Fett oder ähnlichem wasserabweisend gemacht wurde, damit man die langen Bordwachen gesund und trockenen Fußes überstand. Um zu vermeiden, dass die Kleidung ihre windfeste und wasserabweisende Fähigkeit verlor, war es regelmäßig von Nöten, sie zu reinigen, zu pflegen, neu zu beschichten.
Eine langwierige Arbeit, nach deren Vollendung ich mich im hereinbrechenden Abend der allabendlichen Tätigkeit widmen konnte: Das Pflegen meiner Waffen; der Entermesser, Pistole, Muskete und Wurfmesser. Erst, als all das auf Vordermann gebracht war, konnte ich ruhigen Gemüts an ein Abendessen oder Umtrunk mit Jacky denken.
Bald schon würde das Küsteneis wieder aufbrechen und wir konnten endlich wieder mit unserem Kapitän Perera die Handelsrouten und Küstenstädte unsicher machen. Stets auf der Suche nach Beute!


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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 03 Feb 2010 22:41, insgesamt einmal bearbeitet
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Jaron Sylva





 Beitrag Verfasst am: 05 Feb 2010 17:01    Titel: Episode 12 - Tatsachen
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Episode 12 – Tatsachen Teil 1: Kerker und Südseeinseln

04. Eisbruch 253
Im Rahaler Hafenviertel und in Bajard



Zu einem Umtrunk mit Jacky war es nicht gekommen. Zu meinem Bedauern war sie noch auf Elfies Hof gewesen, um dort dem Sperling, der jetzt den Hof weiter führte, zur Hand zu gehen.
Elfriede war Hals über Kopf losgezogen und im nächsten Hafen auf das nächstbeste Schiff gestiegen, um ihr Kind zu suchen – was man ihr nicht verübeln konnte. Ich selbst hatte zwar keine Kinder und hasste sie sie sogar, diese nervigen, verstandslosen Bälger, verstand sie aber trotz allem.. ich war ja auch einmal ein Sohn gewesen. Schließlich kam es, wie es kommen musste: Jacky hatte kürzlich eine Flaschenpost aus dem eisigen Wasser gefischt, und bei dem Glück, dass diese „meine“ Chaotin nun einmal gerne hatte, war die Botschaft von Elfie gewesen. Sie saß auf’ner Insel fest, mit Sandstrand, Hitze und was sonst so zu den südlichen Gefilden der Meere gehörte.
Prächtig.
Also hatte ich mich alleine in der Spelunke zulaufen lassen und mir den Kopf darüber zermartert, wo die Alte (so würde ich Elfie freilich niemals offen nennen) nun stecken könnte. Seekarten, die ich im Laufe meiner Zeit bei der Pestbeule der Weltmeere Perera erlangt hatte, sei es durch Tauschhandel, Beute oder Kauf, lagen an diesem Abend quer verteilt auf dem Tisch, den ich in der Taverne in Beschlag genommen hatte. Doch selbst nach ein paar Stunden und so manchem Humpen Met und Grog wollte sich mir kein Muster zeigen. Die Elfie konnte überall sein! Da gab es dutzende kleinerer Inseln, etliche Inselgrüppchen, Atolle.. bis wir sie da gefunden hatten, könnten Mondläufe vergehen! Das Südmeer war groß..



Unzufrieden mit der geringen Ausbeute und mit einem vom Alkohol dröhnenden Kopf hatte ich mich schließlich zu später Stunde – es hatte gerade zur zweiten Nachtwache geschlagen – endlich zurück ins Krähennest begeben und schlafen gelegt. Weiß der Klabautermann, ob Jacky da auch schon daheim war, ich war zu benebelt, um derlei überhaupt zu registrieren.
Tags darauf, am vierten Eisbruch war sie es jedenfalls. Wie so oft nach durchzechten Nächten an Land erwachte ich erst im Laufe des Nachmittags. Während ich mich nach einem gedehnten Gähnen, das von meinem Wachwerden kündete, durch den Wust an Decken, Fellen und Kissen wühlte, brach sich ein Geruch zu mir Bahn, der offen dem schalen Alkoholdunst der von mir ausging, den Kampf ansagte: Der Geruch nach frisch gebackenem Brot.
Nachdem ich mich aufgesetzt und etwas pausiert hatte, um das leicht schwankende Gefühl aus meinem Kopf zu bekommen streckte ich mich ausgiebig, begleitet von einem erneuten Gähnen. Als ich mich schwerfällig und die Augen reibend erhob und umsah, wurde ich Jackys gewahr, die an den Lagerfässern auf der Ostseite unserer Bude herumwerkelte. Jetzt erst, da meine Sinne langsam klarer wurden, wurde ich des Brotgeruchs gewahr und sah mich blinzelnd um.
Ein müdes "„oin“ später standen wir zwei schon am Kamin, wo sie mir stolz die überm Feuer befindlichen Brotlaibe und jene auf dem Kaminsims präsentierte, die bereits fertig gebacken waren. Während sie mir einen der frisch gebackenen Brotlaibe reichte, erklärte sie frählich, dass Sperling es ihr beigebracht hätte – das verhieß Gutes, denn die Dame hatte die Mühle in der Nähe von Elfies Hof geführt, verstand sich also auf alles, was mit Mehl zu tun hatte. In der Tat empfing mich ein köstlicher Geruch, als ich die Brotkruste aufbrach um in das noch warme Innere hinein zu riechen. Rasch wurde mir da gewahr, dass ich seit gestern Nachmittag nichts mehr gegessen hatte und riss ein Stück ab, um es in den Mund zu schieben. Meine liebe Kleingaunerin war so umsichtig, mir vorher meinen angezündeten „Morgenkrautstängel“ aus dem Mund zu stibitzen, was ich gerne geschehen ließ: Der hätte doch etwas behindert beim Essen. Da standen wir nun also vorm warmen Kamin, sie buk und rauchte dabei geschäftig mein Kraut, ich aß das Brot Stück für Stück auf.
Jacky musste einen Kochwahn bekommen haben, denn ihr gefiel das Ganze offenbar sehr – sie hatte sogar ein paar Eier aufgeschlagen und auf’er Platte überm Feuer gehängt, eines dieser Spiegeleier bot sie mir dann zum Brot an. Spiegelei war ja eine köstliche Sache, gerade am Morgen, an Bord bekam man leider nur selten Ei, es hielt sich einfach nicht gut. Umso erfreuter war ich darüber. Da sie sich darüber pikierte, dass wir kein Salz hätten (ich beschloss, mal wieder einen Abstecher zu den Schmuggelposten auf Menek’Ur zu machen), schlug ich ihr eine Notlösung vor, derer ich mich manchmal befleißigte: Eine kleine, wohl gemerkt wirklich klein dosierte Menge Blitzpulver auf’s Essen, das konnte Wunder wirken! Diese Art „Würze“ war natürlich nicht jedermanns Sache, so manchem verschaffte der zweifelhafte Genuss Magenkrämpfe und Übelkeit; glücklicherweise zählte ich nicht zu denen. Und war auch nicht so dumm, es bei offenem Feuer zu verwenden. Also aß ich das Spiegelei zusammen mit dem Brot ohne diese Würzung Jaron’scher Prägung. Und genoss das perplexe Gesicht von Jacky.
Wir beließen es dabei und sprachen über die letzten Tage, in denen wir das Kunststück vollbracht hatten, uns nicht anzutreffen, obwohl wir unter demselben Dach lebten. Als sie dann noch diese absurde Frage stellte, ob ich denn beim Saufen gewesne bin, beugte ich mich zu ihr vor und schenkte ihr dieses unvergleichliche Konglomerat von Kraut, Alkohol, Spiegeleiern und frischem Brot. Das langte als Antwort und mir zum Amüsement, Jacky indes dazu, mir eine neue Kreation zu präsentieren, das sie „das Zeug“ (gemeint ist der Alkohol) nicht mehr unbedingt brauchen würde. In einige Brotlaibe hatte sie nämlich „die“ Salbe eingebacken, so abgefahren das auch klang. Sofort warf ich einen skeptischen Blick auf den restlichen von mir angefutterten Brotlaib, den ich zum Mitnehmen in ein Leinentuch gewickelt hatte. Zu meiner Erleichterung hatte sie dort aber nicht von dem Zeug hinein gemischt, nicht auszudenken.. nach dem Fisch-Versuch seinerzeit wollt ich mit dem ekelhaften Zeug nichts mehr zu tun haben! Als sie dann auch noch von mir und opfern sprach, war ich gänzlich irritiert und machte dies auch deutlich. Da erntete ich nur einen naschsichtigen Blick und die Frage, ob ich ihr denn je richtig zuhören würde.. tatsächlich hatte sie es negiert, mir ein Salbenbrot zu verpassen, da sie mich NICHT opfern wollte. Aha! Das machte Sinn! Als sie mich dann abschließend als noch irrer bezeichnete, als sie selbst wäre, war ich zufrieden. Das Brot war mit Sicherheit sauber. Nur der arme Nalock, der nun in Gefangenschaft bei den Schwestern war, tat mir Leid: Jacky wollte ihm etwas von dem speziellen Brot verpassen und sehen, was passiert. Der Arme.
Wegen Nalocks machten wir uns jetzt auch reisefertig. Nachdem Kim an Adoran verkauft woden war – was nicht die Zustimmung aller Leute von Elfie genoss – war nur noch Nalock in ihren Händen und da sie zurecht einen Gegenschlag der Vogelfreien fürchteten (ich hatte mich von den Rysk-Brüdern zusammen mit meinem Maat zur Unterstützung bitten lassen und natürlich zugestimmt. Besser man hatte seine Ohren überall.) wollten sie ihn vom Hof fort bringen, an einen sicheren Ort.
Der befand sich am Fischerdorf Bajard.
Nachdem wir eingekleidet waren, sie maskiert und eingemummt mitsamt ihrer Lederrüstung (sie fürchtete seit der Entführung ein Messer in den Rücken zu bekommen), ich diesmal mit Dreispitz und meinem bestickten roten Gehmantel, den ich meist für Maskeraden oder besondere Anlässe heraus kramte, die Muskete noch geschultert, dann ging es los. Mit der Kutsche, doch das war mir diesmal gleichgültig.



Im Süden Gerimors angekommen trafen wir auch schon die anderen Leute der Bande an, die den Entführten in einen auf Lasttieren mitgebrachten Sarg verfrachteten, um ihn so unauffällig in das Dorf zu schaffen, zum Friedhof. Von dort aus wurde er schnell und ungesehen zum Versteck geschafft.
Tief im neu angelegten Kellergewölbe des Verstecks befand sich hinter einer Geheimtür in der Wand eine kleine Kerkerzelle, die gerade genug Platz für ein Bett, Eimer für Abort und etwas Freiraum zum Auf- und Abgehen bot. Massive Eisengitter trennten es vom Vorraum ab. Dort wurde Nalock hinein bugsiert, immer noch mit umgebundener Augenbinde, wie überhaupt die ganze Zeit über. Zur Tarnung hatten alle, die namentlich genannt wurden, andere Namen erhalten: Durion etwa nannte sich Hektor und hatte in Zusammenarbeit mit den Mädels dafür gesorgt, das Nalock in ihm eine Art „Vertrauten“ sah. Heute hatte ich meinen ersten Auftritt in dieser Runde, als „Sander“ sollte ich mit meinem Feuerrohr für Rückendeckung bei einer Zellendurchsuchung sorgen. Sie hatten nämlich den Verdacht, dass der findige Bursche Dietriche eingeschmuggelt hatte. Und das am ersten Tag dort unten in dem Loch!
Nach einer Weile des intensiven Suchens durch den Alten und „Hektor“ war man fündig geworden. Der Bursche hatte doch glatt einen ganzen Satz Dietriche in der ausgehöhlten Sohle von einem seiner Schuhe versteckt! Was für ein durchtriebener Schlawiner!
Dafür sollte er die Nacht durch in der Kälte des Kellers versauern und über diesen Fehler nachdenken.
Wir besprachen indes oben die neue Lage bezüglich Elfies, die ja im Südmeer festhing. Wie ich erwartet hatte, sollte ich mit Rat und Tat zur Seite stehen, schließlich war ich er einzige Seemann in der Runde… und mir war es so gar nicht recht, vor dem Frühjahr überhaupt auf solch eine Expedition zu fahren, geschweige denn all die Landratten mitzunehmen. Bei einigen, wie dem Alten war ich mir nämlich nicht sicher, ob sie es überleben würden. Nicht, dass mich das geschert hätte, tatsächlich war es mir bei den meisten relativ gleichgültig, ob sie draufgingen oder lebten, da sie nicht mehr als Geschäftspartner warne.. doch wenn ich an meine Jacky dachte.. oder an die Schwestern, dann mochte mir das so gar nicht gefallen. Ihnen war mein Einwand, erst im Frühjahr eine Fahrt in Angriff zu nehmen, natürlich nicht lieb… doch vorher war es zu gefährlich. Das letzte Wort war da noch nicht gesprochen.
Als der Abend herein brach, begaben wir uns wieder auf den Heimweg.
Jacky hätte noch gerne eine Taverne besucht, mir war es jedoch irgendwie heute völlig zuwider, auch nur eine Spelunke von innen zu sehen. Also einigten wir uns auf der Kutschenfahrt nach Rahal darauf, uns einen gemütlichen Abend im Krähennest zu machen.




Episode 12 – Tatsachen Teil 2: an leannán… mo críde

04. Eisbruch 253
Im Rahaler Hafenviertel



Zu Hause angekommen entledigen wir uns der dicken Wollkleidung und Maskerade und machten es uns bei den Lagerfässern gemütlich. Während Jacky damit begann, an den Lederschürungen ihrer Lederrüstung herum zu pfriemeln legte ich neues Holz im Kamin nach und verstaute Mantel und Muskete sorgsam. Als ich mich auf den wackeligen Stoß frischen Holzes setzen wollte, den dieser ominöse Holzfäller für sie gehackt haben soll, fummelte sie immer noch mit wenig Erfolg an der Schnürung herum. Sie kam schlicht nicht heran, so gelenkig man auch war.. irgendwo waren da halt Grenzen gesetzt. Also war es nicht verwunderlich, dass sie mich darum bat, ihr dabei behilflich zu sein – da hatte man es sich kam gemütlich gemacht und… aber gut, was tat man nicht alles.
Ich ging zu ihr herüber und kniete mich hinter der auf einem Hocker sitzenden Jacky hin, um die an den Flanken und Rücken liegenden Schnürungen zu öffnen; so einfach, wie ich gedacht hatte, war das dann jedoch nicht: Anstatt Schnallen zu verwenden, hatte sie die her altmodische Knotenschnürung an ihrer Torsorüstung, das bedeutete also umständliches und langwieriges Aufknoten. Stück für Stück.
Im Verlauf dieser Tätigkeit kam ich nicht umhin, Jacky eingehend von hinten ins Auge zu fassen, wann hatte man schon, abgesehen von der Nacht, Möglichkeit dazu, unbemerkt zu taxieren? Freilich schaute sie bisweilen über die Schulter, um meinen Fortschritt zu überprüfen (ihr ging das ja viel zu langsam.. und ich muss zugeben, dass ich mir auch extra Zeit ließ) und fragte mich immer wieder und wieder, was „es“ denn nun heiße..
Auf dem Heimweg hate sie mir nämlich das Versprechen abgerungen, dass ich ihr die Bedeutung von „mo críde“, mit dem ich sie schon seit längerem anzusprechen pflegte, endlich zu offenbaren. Bisher hatte ich mich gut darum drücken können, doch heute würde es mir wohl ans Leder gehen. Scheiße, meine Finger zitterten jetzt beim Aufknoten schon genug; aufgeregt wie ein mieser, kleiner Schiffsjunge, so eine Scheiße.. wenigstens waren wir unter uns. Dann würd‘ das kein Kamerad mitbekommen. Nachdem sie mich das vierte oder fünfte Mal gefragt hatte beziehungsweise aufgefordert hatte, endlich zu reden, kam ich nicht mehr aus, sonst wäre es auffälliger als ohnehin scho geworden. Der letzte Knoten der Schnürung war offen und so begab ich mich um Jacky herum und hockte mich neben ihr auf eines der Lagerfässer, im Schneidersitz, die darauf stehende Rumflasche im Schoß, um mit den Fingern auf ihr herum zu trippeln. Dass meine Hände unruhig wurden und nach Bewegung trachteten, war ebenso verdächtig und typisch, wie meine Geste, mir na die Nase zu fassen. Jacky hatte mittlerweile gelernt, diese Gesten zu deuten: Sie machten klar, dass ich nervös war oder nicht wusste, was ich tun sollte. Diesmal wusste ich es: ich druckste herum.
Nachdem Jacky ihren Lederharnisch abgelegt hatte und nun im Leinenhemd vor mir hockte, warf ich ihr den erste Brocken hin: „mo“ hieß in unserer Zunge so viel wie „mein, meine, meines“, so dass Jacky auch recht schnell mit Spekulationen begann. Unter anderem verglich sie „críde“ mit Kreide, was aber verständlicherweise keinen Sinn in dem Zusammenhang machte.. oder auch mit Krähe, wegen des Krähennests. Das war wiederum gar nicht so dumm, aber traf auch nicht zu, denn das wäre „caróg“ oder „préachán“ gewesen. Nach so einigem hin und her entschloss ich mich, ihr einen Tipp zu geben: „críde“ sei eine Kosebezeichnung für Menschen, die einem lieb und teuer waren, aber nicht zur Blutsverwandtschaft, der „dearbhfhine“ gehörten, Menschen, die man unter den „an leannán“ zusammenfassen konnte. Den Geliebten. Das brachte ich freilich erst nach einem ausgiebigen Schluck Rums heraus, indem ich mir die Flasche, die Jacky mir zwischenzeitlich entwendet hatte (wahrscheinlich wegen des nervigen Getrommels auf dem Glas) zurückgeholt hatte.
Jacky hakte, die Flasche bier, die sich sich gegriffen hatte in der Schwebe, sogleich nach: Was würde nun also „críde“ heißen?
Tja, jetzt kam ich nicht mehr aus, sie hatte mich festgenagelt.
Also gab ich ihr die Entsprechung, die es in unserer Sprache hatte: „“críde“ sage man zu jenem Menschen, den man als seinen oder seine „an leannán“ ansehe, als seine Liebe oder wortwörtlich sein Herz.
Jacky setzte die Bierflasche ab und starrte mich für einige Augenblicke mit weit geöffnetem Mund an, ehe sie ihn schloss und wissend grinste, indem sie kundtat, dass sie es doch irgendwie geahnt hätte. Mein Herzrasen beruhigte sich etwas, immerhin hatte sie es ja gut aufgenommen, denn das war meine schlimmste Furcht gewesen: Dass sie darob brüskiert reagieren würde und all das auseinander brach, was mir an Land Rückhalt bot. Beide nahmen wir einen Schluck von unserem jeweiligen Alkohol und überbrückten damit die entstandene Stille, die von ihr gebrochen wurde, indem sie mir aus der Seele sprach: „Seltsam.“
Das war es in der Tat für uns beide. Wie wir uns jetzt am Kamin nebeneinander einfanden, sie direkt vorm Feuer, ich daneben an die Kaminmauer gelehnt, sie im Blick, musste ich dem zustimmen. Keiner von uns war es eigentlich gewohnt, all das.. wir hatten seit jeher für uns gelebt, hatten niemandem wirklich vertraut – bis auf den jeweils anderen, seit wir uns kannten. Das hatte einiges geändert, für uns beide. Es gab ein Sprichwort, dass ich von der alten Frau gelernt hatte, dort im Nord-Osten, wo ich die Sprache das erste Mal vernommen hatte: Is fearr an t-i graigh na an t-uaigneas – Besser die Liebe, als die Einsamkeit.
Worte, die einer weisen alten Frau würdig waren – weise war sie nämlich gewesen.
Worte, die ich insgeheim begrüßte und ebenso dachte.
Worte, die ich vor meinen Kameraden indes verlachte – dort war der raue Matrose und Pirat in mir gefragt, nicht diese andere Seite an mir.. da wurde man nur zu schnell zu einem Opfer von Späßen, böswillige wie gutwillige, die einen das ganze Leben über an Bord begleiten würden.
Als Jacky unsere Sumpf-Episode anschnitt, die der geneigte Leser in den vorderen Kapiteln der Notizen finden wird, wurde es mir warm ums Herz. Damals hatte ich, so glaube ich heute, den Weg eingeschlagen, der mich hierher neben diese Kleingaunerin geführt hat. Ich hatte es nicht bereut.
Wie wir dort so am Kamin beieinander standen, ein wenig unbeholfen, möchte ich es heute nennen, fasste ich mir endlich ein Herz und tat es, wie es mein Vater mich gelehrt hatte. Möge er in Frieden ruhen, selbst er, der er einer dieser reichen Pfeffersäcke gewesen ist.
Ich stieß mich von der Kaminmauer ab, legte Jackys rechte Hand in die meine und stellte mich aufrecht und überaus korrekt vor ihr hin. Es war zwar schon viele Jahre her, dass ich als Kaufmann meines Vaters und meines Onkels gereist war und ich war froh, dass ich all das hinter mir gelassen hatte.. doch es war wie mit dem Schwimmen: Hatte man es einmal gelernt, konnte man es für den Rest seines Lebens.
Jackys rechte Hand in der meinen machte ich somit einen formvollendeten Kratzfuß, indem ich das linke Bein in einem Halbkreis nach hinten rutschen ließ, sachte in die Knie gehend und vornüber hinab gebeugt, während meine freie linke Hand in einer wedelnden, kreiselnden Bewegung zur Seite geführt wurde. Auf dem Zenit dieser Verbeugung setzte ich einen Kuss auf den Handrücken von Jackys Rechter, dabei den Blickkontakt zu ihr suchend, und richtete mich in ebensolcher Weise wieder auf, wie ich begonnen hatte. Formvollendet (mein alter Herr wäre stolz gewesen..).
Ich schloss mit den Worten: Fräulein, darf ich es wagen?“
Sie stierte zuerst ziemlich überrascht drein, zog sich dann aber na mich heran und meinte unter schallendem Lachen, dass ich ja nicht zu so einem „gelackten Gepuderten“ werden solle. Das hatte ich ja zum Glück schon hinter mir, denn so einer war ich einmal in der Jugend – so fiel ich in das Lachen ein. Und es brach den Bann, der über uns lag.
Sanft zog ich sie hinter mir her zu unserer Liegstatt aus Kissen, verlausten Fellen und Decken, um es sich dort gemütlich zu machen. Kissen im Nacken fläzte ich mich mit Blick zum Feuer hin, Jacky vor mich, ihren Kopf in meinem Schoß. Eine Weile sprachen wir über Belangloses.. Sperling und Suesann und ihre vermeintliche Vorliebe für Schwitzbäder.. was so eben anfiel. Bald würde es Frühjahr werden und der Ruf der See, der mich immer wieder an meinen Eid erinnerte und zum Folgen zwang, würde mich wieder an die Seite meines Kätpns auf Kaperfahrten führen. Jetzt, da ausgesprochen war, was so lange verborgen gehalten worden war, machte ich mir Sorgen um Jackys Sicherheit während dieser Kampagnen, die gerne viele Wochen in Anspruch nahmen. Doch sie beruhigte mich, es hätte sich nichts geändert, wir seien, wie wir nun mal seien… und wenn sie einmal im Knast landen sollte, würde ich sie doch eh raus holen. Ich musste leise lächeln, während ich ihr das Haar aus dem Gesichts strich; aye.. das würde ich in der Tat. Egal, wie.



Schließlich holte Jacky einen vorzüglich riechenden Apfelkuchen heran, den Sperling uns gebacken hatte. Gemeinsam aßen wir ihn, indem ich ihr immer wieder Stücke davon in den Mund schob. Nicht mal einen Finger musste sie rühren. Das war ein seliger Abend, an den ich mich gerne zurück erinnere.
Später am Abend, als wir Arm in Arm beieinander lagen – der Kuchen war längst vertilgt – und über Gott und die Welt (na ja, so hoch gestochen vielleicht auch nicht..) sprachen, war es Jacky, die durch ihr provozierendes Gehabe es vollbrachte, mich feigen Hund endlich aus der Reserve zu locken. Ein Kuss war schon eine feine Sache, doch sich dazu durchzuringen, „frisch“ liiert, das war nicht immer so einfach, jedenfalls, was mich anging. Ich ähnelte da meinem Vater so gar nicht, der mit Fug‘ und Recht als ein Schürzenjäger bezeichnet werden konnte, aber einer mit Anstand und Ehrgefühl – möge er in Frieden ruhen. Wie sie mir da so gerade von ihrer Vergangenheit erzählte war es eine an sich harmlose Geste – das Zurückstreichen von einer Haarsträhne – das mich dazu brachte, mir ein Herz zu nehmen und mich herabzubeugen, die Distanz zwischen unseren Gesichtern zu überbrücken. Zurückhaltend, wie ich solchen Dingen nun mal war, fiel der Kuss dezent aus – wurde jedoch sogleich von Jacky erwidert. Sie kicherte amüsiert, ich sei ja doch nicht so feige… HO! Da musste ich Schmunzeln. Innerlich hatte ich förmlich Blut und Wasser geschwitzt, aber was meine críde nicht weiß…
So lagen wir beieinander und zogen die Decken und Felle über uns.

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Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

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 Beitrag Verfasst am: 08 Feb 2010 01:29    Titel: Episode 12 - Tatsachen Teil 3: Gefälligkeit bei Nacht
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[OOC: Verweis Klick mich!]

Episode 12 - Tatsachen Teil 3: Gefälligkeit bei Nacht

In der Nacht vom 07. auf den 08. Eisbruch 253
In Adoran, vor der adoraner Küste und in Rahal


Die Nacht lag wie ein gnädiger Schleier über den Mauern Adorans, der Residenzstadt des hiesigen Herzogtums des Reichs Alumenas.
In gleichmäßigen, langsamen Zügen stieß ich die Riemen ins Wasser, stets darauf bedacht, so wenige Geräusche wie nur möglich zu erzeugen – es war zwar nicht das erste Mal, dass ich mit meinem kleinen Kutter durch die Bucht in Adoran einfuhr, unter den Brücken hindurch, doch man konnte ja nie vorsichtig genug sein. Zumal es heute nicht um Schmuggel ging, sondern um eine Rettungsaktion… und einen Gefallen für einen Kameraden.
Kimroth saß seit einigen Tagen im Gefängnis in Adoran, seit die Elstern ihn an die Justiz verkauft hatten. Ich billigte die Entführung von ihm als einen üblichen Akt der Konfliktbewältigung unter Banden, bei dem Verkauf an die Reichsgerichte sah das allerdings anders aus. Dementsprechend hatte ich sofort eingewilligt, als mein erster Maat auf mich zugekommen war und mich darum gebeten hatte, ihr eine Gefälligkeit zu tun, nämlich ihr zu helfen, Kim aus den Klauen des Reiches zu befreien.
So hatte ich noch am selben frühen Abend im Schutz der herein brechenden Dämmerung meinen kleinen, leichten Kutter zu einer vertrauten Fischerin nahe Adoran gebracht und dort verwahren lassen.
In Adoran hatten wir uns dann gemeinsam umgehört und nachdem Gracia ihren Charme hatte spielen und einige Münzen den Besitzer wechseln lassen, wußten wir, wo wir zu suchen hatten: Sie hatten Kimroth an den Pranger gestellt, eine Form der Sühne, der häufig in der Rechtslehre der Reiche für allerlei Straftaten zu begegnen war. Zielstrebig ging es also weiter vor das Haupttor im Westen der Stadt. Zwischen den Vorwerken und em Tor befand sich eine kleine Insel, an deren West- und Ostflanke die Kanäle in die Bucht mündeten. An der Nordseite befand sich eine Brücke, die neben einer Wassermühle auch den Zugang zur Prangerinsel gewährte. Erwartungsgemäß fanden wir zur späten Stunde nur noch einen einzelnen Wachmann vor, der pflichtschuldig bei der Eiseskälte in Vollharnisch seinen Dienst schob – allerdings ohne Helm, wie wir zufrieden feststellten. Das sollte uns noch von Nutzen sein.
Während ich einige Äpfel, die ich vorsorglich mitgenommen hatte, aus der Tasche kramte und mit dem Wachmann, der offenbar wegen der langen, immer gleichen Haltung in der Kälte schon etwas umgänglicher geworden war, ein Gespräch anfing, näherten wir uns dem Areal bis einige Schritt. Zur Begründung wurde das Bewerfen des „vermaledeiten Sträflings“ mit den Äpfeln vorgebracht, dank der Dunkelheit, die durch die wenigen aufgestellten Fackeln nur leidlich bekämpft werden konnte, war freilich für den Wachmann nicht auszumachen, ob die Früchte faulig waren oder nicht. Es war nicht meine Absicht, Kim zu demütigen, so reichte ich Gracia für das folgende Gauklerstück auch einen Apfel – frisch wie die anderen, um letztlich mit dem großen Werfen zu beginnen. Dabei gingen die Würfe nicht auf Kims Leib nieder, sondern fielen als leichte Bogenförmige Würfe aus, die ihm die Äpfel vor die Füße beförderten. Ich hatte gehofft, er würde sie sich nehmen und essen können, sah er doch wie ein Hungerhaken aus.. doch es stand elender um ihn, als gedacht. Bei näherem Hinsehen war er bis auf die Knochen durchgefroren, die Lippen blau, das Haar von Schneeregen oder derlei nahezu festgefroren. Er sah malträtiert aus. Und tat mir in dem Moment sogar irgendwie Leid.
Gracia hatte sich während meines ständigen Palaverns mit dem Gardisten, dem ich jetzt auch Äpfel anbot, zum Essen oder wenigstens, um sich auch „etwas Spaß“ zu gönnen – respektive den Gefangenen zu bewerfen. Vorgesetzte seien doch ohnehin nicht vor Ort. Der Mann schien tatsächlich von der Möglichkeit, ein Gespräch zu führen, angetan zu sein, denn er achtete meiner mehr, als Gracias, die sich dadurch in aller Ruhe außerhalb seines Blickfelds an ihn heran machen konnte. Von hinten, von dem erhöhten Podest herab schlug sie ihn mit einem geübten Schlag des Pistolenknaufs nieder. Dank der bedingten Diensteifrigkeit, die im Fehlen des Helms Niederschlag fand, eine Leichtigkeit. Ohne zu Zögern tauschte ich die Äpfel mit meiner Muskete, die ich unter dem langen Mantel, den ich extra dafür angezogen hatte, aus und eilte, diese weiter unter dem Stoff verbergend, von der Prangerinsel. Wie abgesprochen, ging es zu der vertrauten Fischerin, um das Boot wieder in Empfang zu nehmen. Dabei sah ich mich auch noch gründlich um, ob es Anzeichen davon gebe, dass die Torwachen etwas bemerkt hatten. Dank der Dunkelheit und Eiseskälte sahen die wenigen Wächter, die draußen standen jedoch herzlich wenig. Wir hatten Glück.
Am Steg angekommen überließ ich unserer Agentin einige cabezianische Goldmünzen und stieg in meinen Kahn. In aller Eile, aber ohne einen unüberlegten Griff zu machen, baute ich die Takelage ab und legte den Mast um. Die Rah kam der quer dazu und alles wurde, zusammen mit der gerefften kleinen Schonerbeseglung ordentlich verzurrt. Das war notwendig, damit mein Kutter unter den Brückenpfeilern durchpasste – von der Breite her ging es sich gerade so aus, doch mit dem aufgestellten Mast wäre ich dort nie durchgekommen. Zudem wäre es zu auffällig gewesen. So ruderte ich gemächlich, leise und vorsichtig.. immer wieder anhaltend, um zu lauschen, durch das dunkle Wasser in ebenso finstrer Nacht. Es dauerte gut eine viertel Stunde, bis ich endlich die Brücke hinter mir gelassen hatte und die letzten Fuß zur Prangerinsel zurücklegen konnte.



Dort erwarteten mich bereits Gracia und Kim, der von ihr gestützt wurde. Mein erster Maat hatte in der Zwischenzeit sowohl Kim aus dem Pranger geholt und von den Ketten befreit (sie war ja gewandt in solchen Dingen) als auch den Soldaten, den sie niedergeschlagen hatte, in die Ketten gelegt, die zuvor Kim banden. Vertauschte Rollen. Hätte ich es gewagt, Lärm zu machen, hätte ich vor Amüsement aufgelacht. So beließ ich es bei einem leisen Lächeln in der Dunkelheit, während ich Gracia dabei half, den geschwächten Kim an Bord meines kleinen Seelenverkäufers zu schaffen. Nachdem wir alle drei an Bord waren, stieß ich den Kahn mit einem der Riemen vom Ufer ab – in gleichmäßigen, ebenso leisen Riemenschlägen ging es auf dem anderen Kanal hinaus aufs Meer. Ein Dieb nahm nie dieselbe Route hinaus, wie hinein. Das galt irgendwo auch für Schmuggler. Oder eben.. Gefangenen-Retter. Was auch immer. Ich war nur froh, wenn ich das endlich hinter mir hatte. Trotz der Handschuhe waren meine Finger nach einer halben Stunde intensiven Ruderns bereits klamm, so dass es mir schwer fiel, Mast, Takelagen und Segel wieder bereit zu machen. Gracia half mir dankenswerterweise dabei, kümmerte sich ansonsten jedoch nur aufopfernd um „ihren“ Kim – und ich konnte es ihr nicht verübeln. Das war nur natürlich. Die fahrbaren Rinnen im Küsteneis waren verstreut, so dass wir bisweilen anhalten mussten, um mit Haken und Eisen neue Wege frei zu schlagen; Mühe lohnte sich bekanntlich, denn nach ein paar anstrengenden Stunden waren wir endlich in Rahal und liefen in den Hafen ein. Gracia wollte sich weiter um Kim kümmern, für mich hingegen war die Gefälligkeit mit der Ablieferung in Rahal erledigt.
Nachdem mein Kutter ordentlich vertäut und im Hafenregister vermeldet war, begab ich mich nach Hause zu Jacky, die wohl schon lang schlief. In der Tat lag sie dort unter dem Wust an Decken und Fellen, den wir unsere Schlafstätte nannten; ich war erleichtert, dass ich ihr diese Befreiungsaktion verheimlichen konnte, sie war auf keinem guten Fuß mit Kimroth. Für mich war er nicht mehr als ein Geschäftspartner, doch aus Loyalität zu meiner Kameradin… riskierte man halt doch den Kopf. Wenn Jacky von der Befreiung erfahren sollte – und das würde sie – würde ich meine Hände in Unschuld waschen.
Nicht umsonst hatte ich mich heute Nachmittag mit Schnaps zulaufen lassen, der freilich mit Wasser verdünnt war. Manchmal musste man eben zum Wohl derer, die einem lieb und teuer waren, ein kleines Täuschmanöver aufführen.
Welcher vom Alkohol komplett Gefällter würde schon an einer bewaffneten Befreiungsaktion teilnehmen können?
Mit dieser Sicherheit im Hinterkopf legte ich mich leise zu meiner Liebsten und erwartete den Schlaf, der sich schon bald gnädig zeigte.

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 Beitrag Verfasst am: 12 Feb 2010 17:28    Titel: Episode 13 - Glatteis
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Episode 13 – Glatteis

11. Eisbruch 253
Im Rahaler Hafenviertel, in Bajard und in Berchgard



Zufrieden ging ich auf unserem Flachdach entlang.
Unsere Hütte war zur Hälfte mit Bodenplatten und –dielen gedeckt, die mit dem verwirrenden System von Gängen, Stegen und Brücken verbunden waren, die sich durch große Teile des Hafenviertels zogen – oder besser gesagt, darüber. Dieser Teil des Daches war massiv und hatte bisher keine Probleme gemacht, anders hatte es bei der anderen Dachhälfte ausgesehen, die klassisch als Firstdach mit für das Viertel üblichen Holzschindeln gedeckt war. Dort hatte Jacky letztens einige Lücken ausfindig gemacht, durch die Schmelzwasser in unsere Bude gedrungen war.
Da Dachdecker teuer waren und wir uns ebenso wenig neue Schindeln kaufen wollten – reine Verschwendung! – warne wir über das Stegesystem zu einem benachbarten Haus gegangen, das schon seit vielen Monden leer stand. Dort bedienten wir uns großzügig an dem bestehenden Dachmaterial, was auf manchen Passanten, wie einen auf merkwürdige Weise unproportioniert wirkenden Letharen, offenbar befremdlich gewirkt hatte. Mir unverständlich, denn jeder, der halbwegs logisch denken konnte, wusste doch, dass Verschwendung unangebracht war! Es fiel letztlich mir zu, die Lücken auf unserem Dach zu schließen, Jacky schien es nicht sonderlich mit Balance und Höhe zu haben, da hatte ich als Toppsgast einen Vorteil: die paar Fuß über dem Boden waren nichts im Gegensatz zu den luftigen Höhen, in denen man auf dünnen Tauen herumklettern musste, um die Rahsegel einzuholen…
Das alte, verfaulte Restmaterial der Holzschindeln, die teilweise durch Feuchtigkeit und Frostsprengung vergangen waren, trat ich achtlos mit dem Fuß fort, um Raum für die neuen zu schaffen. Angenehmerweise waren die Dachbalken aus massivem, dickem Eichenholz, dem die Feuchtigkeit nichts anhaben konnte, so machte ich mich frohen Mutes daran, die von Jacky hinauf gereichten Dachschindeln an der Unterseite mit den zugehörigen Zapfen zu versehen, die, erst einmal in das zugehörige Loch eingesteckt, die Schindel auf dem Quergebälk halten würden. Schindel für Schindel wurde also daran eingehakt und überlappend aneinander geschichtet, bis die Löcher endlich geschlossen waren. Als die Dachhaut so wieder in neuem Glanz dem Wetter den Kampf ansagen konnte, stieg ich zufrieden wieder vom Dach zu Jacky herunter und verfrachtete mit ihr die übrig gebliebenen Holzschindeln (Vorräte davon konnten ja nie schaden) unter die vorkrängenden Dachränder, damit sie vor Wind und Wetter geschützt wären.
Diese Arbeit lag jetzt schon ein paar Tage zurück, als ich zufriedenen Lächelns über das Flachdach schlenderte. Ein Kontrollgang, so hatte ich mir heute früh vorgenommen, musste sein. Erwartungsgemäß war alles in Ordnung – Jacky hatte mich kürzlich gefragt, woher ich denn das Dachdecken könne... ich hatte nur müde gelächelt. Als Matrose und Freibeuter des großen Perera musste man weit mehr können, als nur Säbelrasseln. Wir hatten schließlich mehr, als nur ein Schiff, das es zu pflegen und reparieren galt, wir hatten auch eine Insel mit Hafen, Siedlung… da gab es immer genug zu tun. Für jeden von uns. Denn nur Arbeit und Leistung galt dort etwas. Und Loyalität.

Jacky hatte ich nicht daheim angetroffen, weswegen ich mich allein auf einen Spaziergang begab. Die Vermutung, sie am Hafen anzutreffen, tapfer in der Eiseskälte Eisfischen betreibend, hatte sich als falsch herausgestellt. Also ließ ich es dabei bewenden und ließ meine Neugier und Kurzweil das Heft in die Hand nehmen: Es ging nach Berchgard, in die Minen-Exklave des alumener Reiches, denn mir war von einem unserer Leute zu Ohren gebracht worden, dass sich ein großes Kontingent an Ordens- und Reichstruppen dort versammeln wolle, um zusammen mit Freiwilligen der Blutkobold-Pest, die über den Süden Gerimors, aber auch andere Teile des Landes, herein gebrochen war ein blutiges Ende zu bereiten. Beim Barte des Klabautermanns, ich hatte natürlich nicht vor als Freiwilliger anzutreten! So sehr es mich auch nach einem dieser geflügelten Dämonen trachtete (aus Teilen ihrer Flügel oder den Fängen ließ sich sicher ein hervorragendes Amulett zur Abwendung von Unheil anfertigen!) siegte doch meine Furcht, die ich freilich vor Jacky nie offen zugeben würde. Bevor so ein Mistvieh mir an die Kehle gehen sollte, würde ich lieber mit Mann und Maus auf See absaufen! Sollten sich die Reichstreuen mit den Viechern herumschlagen, ich würde mich aufs Zusehen beschränken.
Und deswegen kam ich auch nach Berchgard: Um mir den Heerhaufen anzusehen und zu gaffen, hatte heute ja sonst nichts Wichtigeres zu tun. Die versammelte Mannschaft von eisenbewehrten und vor Waffen strotzenden Soldaten, Ordenskriegern und Freiwilligen fand ich nach einer Weile am West-Tor Berchgards vor. Langsam schritt ich um die Meute herum, die Männer und Frauen eingehend zu taxieren. Da war der kleine Giftzwerg von Magiefuchtler, der mir so gar nicht geheuer war und mich und Jacky einmal aus Adoran verwiesen hatte. Möge ihm einmal einer seiner eigenen Zauber den Kopf wegsprengen! Die Person, nach der ich im Speziellen Ausschau halten wollte, fand ich jedoch nicht – den Ordensbruder, dessen Name, wie ich mittlerweile dank unserer Agenten wusste Alessandro Marquez lautete. Er war mir so bekannt vorgekommen, sein Gesicht.. das Gehabe.. und nun, da ich den Namen erfahren und mit dem Mann sogar gesprochen hatte, hatte ich Klarheit. Er war einer der Mistkerle, die mit meiner Vergangenheit an Land verknüpft waren.
Und er hatte eine kleine Schwester.

Als ich Jackys ansichtig wurde, die in sicherer Entfernung zur Ansammlung mit einer anderen Frau beisammen stand, wischte ich die Gedanken beiseite und stiefelte zu den zweien hinüber. Neben Jacky angekommen größte ich beide und nahm, froh sie zu sehen, meine críde ihn den Arm. Wie sich herausstellte, hatte sie dieselbe Kurzweil hergeführt wie mich, sie wollten Gaffen. Die Begleiterin von Jacky stellte sich als jene Frau heraus, von der mir meine Gefährtin kürzlich erzählt hatte… die potentielle Interessentin für den Bund. Kalindra hieß sie und war ein wahres Mannsweib – gut einen Kopf größer als ich, breiter und kräftiger gebaut obendrein. Und hatte eine Vorliebe für Harnische, Schwerter, Hellebarden…. Schauerlich. Aber sie wäre sicher eine Bereicherung für Elfies Meute, noch jemand fürs Grobe. Es kam Unruhe in den Heerhaufen, offenbar wollten sie sich abmarschbereit machen – es war Zeit für uns, abzuziehen. Nicht, dass man uns für Freiwillige hielt und in den Heereszug presste.
Auf dem Weg zum Osttor wurden wir halb von der Heilerin Liliana und einem sie begleitenden Ordensbruder niedergeritten, was mich zu einer unflätigen Äußerung und Ausspucken reizte. Liliana war aber eine kluge Frau, die schon so manches Mal zu helfen gewusst hatte und so bedauerte ich es bereits, kaum dass die Spucke meinen Mund verlassen hatte. Sie mochte eine dieser hochnäsigen Adeligen sein, die glaubten, ihnen gehöre die Welt mit allem, was darin war – doch sie war freundlicher, als ihre Standesgenossen. Somit gaben wir ihnen trotz des Matsches, den uns ihre Rösser auf die Kleidung gespritzt hatten die gutgemeinte Auskunft, sich zu beeilen, wenn sie noch zum Heerhaufen stoßen wollten, da dieser bereits im Abmarsch befindlich wäre. Da sprengten sie auch schon davon, nachdem sie sich bei uns entschuldigt hatten. Eben diese Entschuldigung bestätigte mich darin, der Dame van Drachenfels weiterhin freundlich zu begegnen und sie nicht mit den anderen über einen Kamm zu scheren. Gute Heilkundige musste man bei Laune halten – man wusste ja nie, wann man sie einmal brauchen konnte.
Mit der Kutsche ging es nach Rahal, wir wollen Kalindra das Hafenviertel und unsere Bude zeigen.
Nach einem kurzen Intermezzo in Form einer Schneeballschlacht kamen wir im Viertel an und zeigten ihr das Wichtigste.. vor allen Dingen den Hafen selbst, der so wichtig für alle war, die dort lebten – die Lebensader, das war er in der Tat für viele, nicht nur Männer wie mich. Selbstverständlich mochte Kalindra das Meer (oder, wie wir Seeleute es nannten: Die See) nicht, wie viele andere Schwertstreicher auch nicht. Wäre ich in einer schweren Eisenrüstung und Bewaffnung unterwegs, die noch einmal so viel wiegen konnte, wie man selbst… ich würde auch Schiss vor tiefem Wasser haben! Alles Irre.. als ob die Unmengen an Kettenpanzern, Metallplatten und so weiter, die einen immens schwerfällig machten, vor dem Tod schützen könnten! Ich pflegte bestenfalls ein Kettenhemd unter der Jacke zu tragen, wenn wir einmal auf Kaperfahrt gingen.. oder auf Plünderung in Küstenstädte. Das war aber auch schon die Spitze des Eisbergs, der sich sonst auf Leder oder schlicht Nichts beschränkte. Wenn es einen erwischte, dann erwischte es einen… egal, wie viel Metall man am Leibe trug. Wieso also großes Aufhebens darum machen?
Nachdem sie den Hafen gesehen hatte, nahmen wir Kalindra mit zu uns nach Hause, um bei Rum, frisch gemachtem Spiegelei und Speck beisammen zu sitzen und zu plaudern. Das Mannsweib zeigte sich interessiert an der Seemannschaft, stellte hier und da Fragen darüber… doch mir war klar, dass so ein Mensch auf See keine Chance hätte. Schließlich begann sie auch, über die Elstern zu fragen und nach einer Weile war für uns klar, dass wir ihr den Hof zeigen würden. Es schien uns an diesem Abend, als wäre sie auf selber Wellenlänge mit unseren Leuten.
Im Verlauf des Abends, Kalindra hatte sich bereits verabschiedet, beschloss Jacky, mir ihre neuesten Erwerbungen beim Schneider vorzuführen. Als wir letztens nämlich in Bajard beim Saufen waren, hatte sie mir stolz einen packen neuer Kleidung gezeigt – Nachthemden und derlei mehr. Nun war es an der Zeit, sie mir vorzuführen. Ich brannte darauf. Von den verschiedenen Aufmachungen – mal haarscharf am Hauch von Nichts, mal den winterlichen Temperaturen angepasste, aber immer noch äußerst einladende – war es für mich die Erste, die den favorisierten Platz einnehmen sollte. Ein rostroter dünner Zwirn, der die Arme und Teile der Schulter, wie auch einen guten Teil der Oberschenkel frei ließ und ansonsten auch das Herz höher schlagen ließ. Das waren Freuden im Leben, die man nicht missen wollte, nicht wahr?
Man musste mir die Anspannung angesehen haben, denn Jacky schlug zuckersüß vor, dass wir uns vielleicht erst mal eine Abkühlung gönnen sollten. Abkühlung.. Himmel hilf! Heut‘ Nacht würde es eine geben!

Fürs erste sollte es aber Bajard sein, wohin es uns zog. Eigentlich hatten wir vor, uns in er Spelunke gegenseitig unter den Tisch zu saufen, wie wir es gerne taten, doch ein merkwürdiges Schild hielt uns am Ortseingang davon ab. „Eislauf“ stand in ordentlichen gemalten Lettern darauf.
Eislauf…. Klingt wie Einlauf.
Kaum, dass dieser Vergleich meine Lippen verlassen hatte, brach Jacky in lautes Gelächter aus. Es war ja auch zu köstlich… die Bajarder hatten sich wohl das Hirn aus dem Leib gefroren? Während wir von der Neugier angetrieben der Beschilderung zur Bucht folgten, klärte mich Jacky über den Begriff auf: Eislaufen war eine Tätigkeit, bei der man mit Kufen (meist aus Holz oder Bein, für die Betuchteren auch aus Metall) über das Eis glitt, sie hätte es einmal als Kind in ihrer Heimat ausprobiert. Aha. Übers Eis gleiten, auf kantigen Dingern? Das konnte ja heiter werden.



Am Endpunkt der Beschilderung erwartete uns eine Frau, die uns schließlich auch je ein Paar Kufen aushändigte. Während Jacky schon auf das Eis hinausfuhr – etwas unsicher zwar, aber man merkte ihr an, dass sie es nicht zum ersten Mal tat – bleib ich am Rand auf dem Ufer sitzen und stellte meine Füße auf dem Eis ab. Die Kufen hatte ich unter die Stiefelsohle geschnallt. Das war eine wackelige Angelegenheit, auf diesen schmalen Kanten zu laufen! Unsicher und äußerst schwankend stand ich vorsichtig auf.. und wäre fast hingeschlagen! Mit der Zeit wurde aus dem wild rudernden, schliddernden Gewanke ein halbwegs sichereres Unterfangen, die Feuertaufe eines kräftigen Sturzes konnte eben Wunder wirken. Und irgendwann stellte ich fest, dass es an sich ja nicht groß anders war, als auf dünnen, vom Wind herum gepeitschten Tauen entlang zu balancieren, die vom Wasser rutschig waren. Gewappnet mit dieser Erfahrung und der charmanten Unterstützung von Jacky hatte ich bald den Dreh so weit heraus, dass ich sicher gleiten konnte. Kunststücke, wie sie Jacky darbot, ließ ich getrost bleiben – nachdem ich auf Jackys Bitten hin eine Drehung versucht hatte, war ich auf voller Länge hingeschlagen – und beschränkte mich aufs gemütliche Fahren und Genießen. Neben mir die vor Glück strahlende Jacky, um uns nichts als die kalte Winterluft, über uns das klare von Sternen nur so strotzende Nachtfirmament. Ein schöner Abend, an den ich mich noch heute gerne zurückerinnere.
Letzten Endes gaben wir die Kufen wieder zurück und machten uns auf den Heimweg. Ich freute mich schon darauf, sie in dem Rostroten zu sehen – die Nacht versprach noch weit schöner zu werden, als der Abend.

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Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 12 Feb 2010 20:24, insgesamt 2-mal bearbeitet
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 Beitrag Verfasst am: 22 Feb 2010 14:56    Titel: Episode 14 – Eide Teil 1
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Episode 14 – Eide Teil 1: Eine Hochzeit der etwas anderen Art

14. Eisbruch 253
Im Rahaler Hafenviertel und auf La Cabeza



Das lange Warten sollte heute ein Ende haben und ich kam nicht umhin, mich darüber zu freuen – für jene beiden, um derentwillen man heute zusammenkommen würde.
Die Rede war von zweien meiner Kameraden: Vallas „Jester“ Hune, Verwalter von La Cabeza und Smutje, wie auch Charlotte „Charly“ Laquar, Navigator und zweiter Maat. Es war schon seit langem offenkundig, dass sie sich voneinander angezogen fühlten, auf ihre Weise. So war es keineswegs überraschend gewesen, dass sie eines Tages als Gefährten auftraten und nun, für die einen früher als erwartet, für andere später… wollten sie sich einen Schwur leisten, den manch „zivilisierter“ Bürger der Reiche unsereins nicht zugestehen wollte – oder konnte. Jenen der Ehe.
Ursprünglich hatte ich vorgehabt, alleine zu der Zeremonie nach La Cabeza zu fahren, da ich mich nicht getraute, eine Außenstehende, noch dazu Landratte, zu dieser internen Angelegenheit mitzubringen, unser Käptn war schließlich nicht umsonst berüchtigt. Und bevor ich Jacky in Gefahr brachte… nein.
Es war indes Vallas, mein Kompagnon in der Bruderschaft, der mich ausdrücklich wissen ließ, dass ich meine Gefährtin doch mitbringen möge. Solch eine Zusage vom Bräutigam galt etwas – für ihre Sicherheit wurde garantiert.
Also ging ich an diesem späten Nachmittag an die Hafenmole in Rahal, um Jacky über die heutigen Abendpläne in Kenntnis zu setzen. Wie immer um diese Zeit stand sie dort und fischte nach Kräften – nach Fischen, freilich, aber so manche Flaschenpost oder abgesoffene Kiste mit mal mehr, mal weniger wertvollem Inhalt war auch ab und an dabei. Mein críde zeigte sich sichtlich davon überrascht, zu dieser Zeremonie eingeladen worden zu sein und vergaß darüber fast den Grund ihrer Anwesenheit an der Mole und die Angel selbst. Ich frohlockte insgeheim, denn Jacky war immer recht einfallsreich, und so hatten wir schon bald ein passendes Geschenk gefunden, das dem Brautpaar dienlich sein sollte. Eine Halskette aus zahlreichen Muscheln und dazwischen eingefädelten Perlen und durchlöcherten Münzen; die beiden letztgenannten Bestandteile waren reiner Zierrat, Nonsens, viel interessanter waren da die Muscheln: Sie stammten aus allen Weltmeeren, die wir mit dem verfluchten Perera bereits befahren hatten und sollten im Verbund ihren Besitzern Schutz auf all diesen Gewässern gewähren.
Während wir zum Krähennest heimkehrten, um uns vorzubereiten, erzählte mir Jacky noch von einem Traum, den sie letzte Nacht gehabt hätte. Sie hatte von Dhran, ihrer alten Freundin aus ihrer Heimat, die vermeintlich ertrunken wäre, geträumt.. und von Ered Luin. Das Reich der Elfen.
Sie nahm mir noch das Versprechen ab, dass ich sie begleiten würde, um der Sache auf den Grund zu gehen, was ich gerne tat. Oder zumindest musste – konnte ich meine Kleingaunerin doch nicht allein los ziehen lassen!
Im Krähennest angekommen ging das große Kramen dann los: Jacky begann wie wild in den Lagerfässern, in denen ihre Kleidung steckte, herum zu wühlen und sich währenddessen darüber zu beschweren, wie ich sie nur erst so spät davon hatte in Kenntnis setzen können! Und was sie überhaupt anziehen sollte?!
Ich sah ihr schmunzelnd dabei zu und beließ es dabei, meine übliche Kleidung durch den roten Gehmantel und meinen Dreispitz zu ergänzen – beides Kleidungsstücke, die ich nur für besondere Anlässe zu tragen pflegte. Der Dreispitz war in der bürgerlichen Tracht der Landratten zwar bekannt, aber nicht sonderlich häufig, in der Marine hingegen kam er schon öfter vor, da er dort zur Uniformierung der Offiziere und Unteroffiziere gehörte. Den Matrosen war er im Allgemeinen verwehrt. Bei uns Piraten sah es anders aus, dort trugen auch einfache Matrosen solch eine Huttracht, wenn es ihnen gefiel. Was mich betraf, sah ich das jedoch anders, war ich doch einige Zeit für die Handelsmarine auf See gewesen. Als Toppsgast, erfahrenere Matrosen, die für die Segel, Takelage und derlei mehr eingesetzt wurden, mied ich es meist, den Dreispitz zu tragen, war er für mich doch eigentlich immer noch Zeichen der Deckoffiziere, nur eine Freiheit gönnte ich mir nun, da ich zum Pack gehörte: Ihn zu feierlichen Anlässen zu tragen. Und das gefiel mir, sehr sogar.

Nachdem wir beide soweit waren, ging es zum Hafen und einem alten Bekannten, der uns und ein paar meiner Brüder zur Nebelinsel übersetzen sollte: Der Walfänger, von dem ich schon mehrmals berichtet habe.
Für Jacky war es eine immense Überwindung, die nur mit einem guten Anteil Rums vonstattengehen konnte, an Bord des Schiffs zu gehen. Diese Reise dürfte ihre längste Seefahrt seit langem gewesen zu sein, seit dem Tage, da sie hier auf Gerimor gestrandet war und die Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben. Ich konnte es ihr nicht verübeln, sie war schließlich fast ertrunken… und nahm sie nur in den Arm, in der Hoffnung, sie durch die Geste zu beruhigen.
Später, so genau wusste ich es nicht, denn wir waren zwischenzeitlich eingeschlafen, kamen die Riffe der Nebelinsel in Sicht.
Überhaupt so weit zu kommen war eine Besonderheit unter den Navigatoren und Kapitänen dieser Meere. Denn die Insel la Cabeza war auf keiner Seekarte der Reichsmarinen oder Kaufleute verzeichnet, es gab sie schlichtweg nicht. Wir, die wir eingeweiht waren, sahen das natürlich anders.
Und nur die wenigsten unter jenen, die überhaupt von dem Standort der Insel wussten konnten auch durch diese Rifflandschaft hindurch manövrieren, die so unzählige Male ahnungslose Skipper in die kalten Tiefen des Meeres gerissen hatte.
Das feucht-heiße Klima der Nebelinsel begrüßte uns schon Stunden vor dem Erreichen der Riffe, so dass wir uns nun, da wir hindurch manövrierten, der warmen Überkleidung entledigten und sie an Bord verstauten (wir würden mit dem Walfänger auch wieder heimkehren). Jacky hatte ihr rostrotes Kleid angezogen, das mir so sehr gefiel – dünner Stoff, der ihre adrette Figur vorteilhaft zu betonen wusste. Sollten meine Kameraden ruhig gaffen, das war mir gleichgültig, denn sie gehörte zu mir. Das wussten sie, somit waren die Fronten klar.



Nahe des Ablegers, an dem die Ruderboote vertäut waren, die zum Übersetzen auf die Neggro gedacht waren, traf man sich.
Da waren neben dem Brautpaar, beide herausgeputzt bis aufs äußerste, der Käptn, mein Mitarbeiter in der Bruderschaft Enzo, Fidel, Stede, Gracia, und Jo, wenn ich die Kameraden, die ich beim Namen kannte, noch aufzuzählen weiß, neben all jenen, die ich zu wenig kannte. Allessamt setzten wir mit den Ruderbooten auf die Neggro über, das alte Flaggschiff, das nun ausgemustert nur mehr zur Absicherung der Bucht diente und heute Ort der Zeremonie sein sollte.
Perera war es, der die Trauung durchführte. Wie es so für unseren Käptn üblich war, sprach er einige einleitende Worte, markig und eingängig („Halunken, Gauner, Pack, Diebe, Gesetzlose und vor allem: Piraten! […]), ehe er das Wort an das Paar übergab, bevor es zur eigentlichen Zeremonie gehen sollte. Vallas, der das Wort für die beiden führte, begrüßte einen jeden von uns, die er beim Namen kannte gesondert, und ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir nicht die Brust etwas vor leisem Stolz geschwellt wäre, als er mich als seinen „Krautbaron“ bezeichnete – zum Glück wusste Jacky mit ihrer Betitelung als „meine Ische“, nicht sonderlich viel anzufangen. Ich hatte auch nicht vor, es ihr zu erläutern.
Als die einleitenden, dankenden Worte an die Gäste gesprochen waren, ging es zur Zeremonie über, die der verfluchte Perera mit griffbereiter Pistole durchführte – ein jeder, der etwas gegen diese Verbindung zu sagen hätte, wäre mit einer Kugel im Kopf über Bord gegangen. So lautete die Tradition, der Käptn versprach seine Leute einander und er sorgte dafür, dass ihr Anspruch gewahrt blieb. Er sorgte für seine Leute.
Kaum waren die gegenseitigen Schwüre ausgetauscht, hob Perera seine Pistole gen Himmel und gab einen Schuss ab, jene unter uns, die eine Schusswaffe besaßen, folgten seinem Beispiel, so dass ein vieltöniges Donnern in den Himmel geschickt wurde und sich eine wabernde Pulverrauchwolke über uns bildete. Das begleitende Johlen ging dabei nahezu komplett unter.
Hernach ging es direkt in die Offiziersmesse an Bord, wo bereits zahlreiche exotische Gerichte und Unmengen an Rum aufgetischt waren, um uns den Abend so angenehm wie möglich zu machen. Ohne zu Zögern ging die Festgemeinschaft freilich darauf ein und schon bald fand sich eine feucht-fröhliche Tischgesellschaft, die nur von den anfänglichen Glückwunschs-Gängern unterbrochen wurde. Bei Weitem nicht alle Gäste aus der Mannschaft taten diesen Gang zum Brautpaar, abgesehen von den oben namentlich genannten Kameraden, der Rest war erwartungsgemäß rasch sturzbetrunken. Unter den Glückwünschlern waren auch Jacky und ich, die den beiden unser besonderes Amulett übergaben, begleitet von unser beider Glückwünsche und einer Erläuterung zu den Hintergründen des Geschenks. Sie freuten sich beide offenkundig darüber, doch ist es mir bis heute schleierhaft, ob sie den Wert dieses Amuletts wirklich überrissen haben – der Aberglaube war zwar stark in unseren Reihen, doch bei Weitem nicht jeder nahm ihn so ernst.
Ernst war die ganze Abendrunde ohnehin nicht. Im Verlauf des Abends brachte Vallas einen ganz besonderen Gast herein, einen großen Affen, der abgerichtet wie er war den Festgästen so manchen Schabernack trieb, ehe er als Komparse für ein Lied diente, das Stede und Vallas zum besten gaben. Eine vorzügliche Parodie, die einem die Lachtränen in die Augen trieb!
Dieses Infernal an spontanen Gesangs- und Dichteinlagen zog sich durch den gesamten Abend, da waren etwa Jo und Fidel, die ein humoristisches Lied darboten, dass sich die Balken bogen, oder die Braut Charly mit einem Gedicht über einen Piraten, den man lieber nicht an Bord haben wollte. Die Krönung des Abends war freilich Vallas mit seiner Intonierung vom Lied des Volkes von La Cabeza:

Hört ihr wie das Volk erklingt
Von unserer Wut erzählt der Wind
Das ist die Sinfonie von Menschen
Die nicht länger Sklaven sind
Jedes Herz schlägt wie es kann
Unsere Hezen trommeln laut
Alles fängt ganz von Neuem an
Wenn der Morgen graut!

Wenn die Barrikade ruft
Dann bebt der Feind vor unserem Schrei
Wir bauen eine Welt
Ganz ohne Hass und Tyrannei!

Drum schließt euch uns an
Jede Frau, jeder Mann, und seid frei

Hört ihr wie das Volk erklingt
Von unserer Wut erzählt der Wind
Das ist die Sinfonie von Menschen
Die nicht länger Sklaven sind
Jedes Herz schlägt wie es kann
Unsere Herzen trommeln laut
Alles fängt ganz vom Neuen an
Wenn der Morgen graut!

Wenn du kämpfst mit ganzer Kraft
Hat bald ein Ende alle Not
Mancher wird dahingerafft
Stirbt einen ehrenvollen Tod!
Die Erde von Gerimor:
vom Blut unserer Helden hellrot!

Hört ihr wie das Volk erklingt
Von unserer Wut erzählt der Wind
Das ist die Sinfonie von Menschen
Die nicht länger Sklaven sind
Jedes Herz schlägt wie es kann
Unsere Herzen trommeln laut
Alles fängt ganz von Neuem an
Wenn der Morgen graut!


Unter dem Beifall der Tischgesellschaft begab er sich zurück an seinen Platz neben seiner Angetrauten und wir, von diesem UNSEREM Lied noch weiter aufgestachelt, gaben uns dem Feiern umso mehr hin. Es floss viel Rum an diesem Abend.
Später verabschiedeten Jacky und ich uns dann, denn beide waren wir etwas mitgenommen von dem übermäßigen Alkoholgenuss und der langen Überfahrt. Überdies würde er Walfänger auch nicht ewig auf uns warten können, wenn er einen günstigen Wind erwischen wollte.

So ging es noch in derselben Nacht zurück nach Rahal, nach Gerimor, in die winterliche Kälte.

_________________
Jaron "Lysander" Sylva, Kapitän der Namenlosen

"Krieg, Handel und Piraterie,/Dreieinig sind sie, nicht zu trennen."
Mephistopheles, Faust II


Zuletzt bearbeitet von Jaron Sylva am 22 Feb 2010 15:08, insgesamt einmal bearbeitet
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