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Jenea Morwet - Anfang
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Jenea Morwet





 Beitrag Verfasst am: 11 Jan 2009 21:58    Titel: Jenea Morwet - Anfang
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Von Geschwistern

„Ha, so musst du das Schwert schwingen, meine Tochter!“, rief der graubärtige Mann und wuchtete sein Breitschwert in einer kräftigen Bewegung halbmondförmig durch die Luft. Dann nickte er der schwarzhaarigen Frau vor sich zu, auffordernd und zugleich ermutigend. Diese seufzte leise, dann hob sie ungeschickt das viel zu große und zu schwere Schwert an und zog es vor sich durch die Luft. Die Wucht der Waffe riss ihre dünnen Arme mit sich, dann entglitt der Griff ihren Fingern und mit einem dumpfen Geräusch landete die schwere Waffe im Sand. „Sie lernt es nie, Vater. Es gibt einfach Leute, die sind hoffnungslos plumb!“, kam eine gehässige Stimme hinter ihr hervor, dann trat ein kräftiger Junge mit einem schwarzen Strubbelschopf zu ihrer fallengelassenen Waffe hinüber, um sie aufzuheben. Trotz seiner erst fünfzehn Jahre war er bereits fast so groß wie ein Mann und nicht weniger kräftig. Hell schimmerte die Bergsonne auf seinem Haar und unter der Kleidung zeichneten sich seine harten Muskeln, die vom vielen Training in den Bergen gestählt waren, ab. Seine Schwester, ein unscheinbares Mädchen von etwa 13 Jahren wandte sich erbost in seine Richtung hinüber. „Das ist nicht wahr! Ich bin nicht plumb!“, rief sie ihrem Bruder aufgebracht zu, der sich mit einem überlegenen Grinsen zu ihr herumwandte und das Schwert aufhob. „Sicher nicht, Prinzessin. Ich nehme an, du wolltest deinen Feind mit dieser Waffe... totwerfen? Wenn er direkt vor dir steht?“, ätzte der Ältere weiter und verstärkte sein geringschätziges Lächeln noch, als seine Schwester erbost die Hände in die Hüften stemmte. „Nur weil du endlich mal was gefunden hast in dem du gut bist, du tumber Ochse!“, rief sie ihm aufgebracht entgegen. „Kochen kannst du nicht, du kannst Mutter nicht im Garten helfen und deckst niemals den Tisch, geschweige denn machst du den Abwasch! Und jetzt hast du herausgefunden, dass deine einzige Befähigung darin besteht, mit einem hässlichen, klobigen Stück Metall herumzufuchteln und machst daraus einen riesen Aufstand!“ Ihre Stimme wurde im Verlauf der Tirade immer lauter, während die dunklen, ebenfalls schwarzen Augen wütend blitzten. Dann, nach dem letzten Wort drehte sie sich ansatzlos um und verließ mit stampfenden Schritten den Kampfplatz, einem nahestehenden Waffenständer noch einen letzten Fußtritt versetzend. Ihr Bruder sah ihr einen Augenblick lang mit offen stehendem Mund nach, dann verfärbte sich auch sein Gesicht zu einem tiefen, zornigen Rot und er schickte sich an ihr hinterher zu stapfen. Dann hielt ihn eine Hand zurück. „Lass sie, mein Junge. Mädchen sind eben so... Lass uns lieber üben.“, murmelte er seinem Sohn leise ins Ohr hinein.

Das Mädchen ging trotzig den Pfad von der kleinen Hütte fort, hinunter in das winzige Bergdorf, in dem sie mit ihrer Familie lebte. Aufgebracht bewegte sie beim Laufen ihre Hände, als würde sie mit ihren Gesten zu irgendjemandem sprechen, dann schüttelte sie immer wieder den Kopf. Ihre Schritte führten sie an dem Dorf vorbei in Richtung der Berge, wo sie einem schmalen Pfad folgte. Immer schneller beschleunigte sie ihren Gang, bis sie schließlich die letzten Schritte zu einem Bergplateau hinauf rannte. Völlig außer Atem, mit Tränen der Wut in den Augen, kam sie schließlich oben an. Was erlaubt sich dieser Steinkopf eigentlich? Ich bin seine Schwester! Da muss er mich ermutigen und unterstützen und alles was er tut ist... mich zu verspotten. Ich hoffe er bricht sich heute bei seinen Übungen ein Bein... oder besser noch einen Arm!, dachte die junge Frau, während sie sich an den Rand des Felsplateaus setzte und hinaus starrte. Sie brauchte einen Augenblick um sich an die blendende Helligkeit hier zu gewöhnen, dann seufzte sie auf und ihr heftig schlagendes Herz beruhigte sich ein wenig, als sie der Schönheit ihrer Umgebung gewahr wurde. Hell, wie weißer Honig, floss das Licht der Sonne hinab auf die Täler und Berghänge ihrer Heimat. Zerklüftet war das felsige Gebirge, das im hellen Sonnenschein nur umso schärfer und zackiger aussah. Hie und da kämpften sich verkrüppelte Bergkiefern aus dem harten Fels hervor und klammerten sich beharrlich an das Gestein, während hier und dort funkelnde Silberfäden, Gebirgsbäche, zu sehen waren. Oh Eluive, wie schön diese Gegend ist, viel zu schön, um sie mit Gedanken an Thomal zu verunreinigen, seufzte das Mädchen in Gedanken, dann lehnte sie sich zurück, verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte hinauf in den blauen Himmel. Für einige Zeit lag sie so da, unwillig sich zu regen, während ihre dunklen Augen die Formen der Wolken nachzuvollziehen suchten.

Langsam versank der glutrote Sonnenball im Meer und tauchte die Berge in Schatten und ein blutiges Rot. Ein kalter Wind strich, jetzt wo die Bergflanken nicht mehr von den Strahlen der Sonne gewärmt wurden, über das Plateau hinweg. Das Mädchen, Jenea, richtete sich fröstelnd auf und rieb sich die Arme. Schon so spät...? Mama wird böse sein, wenn ich nicht rechtzeitig heim komme. , dachte sie, dann richtete sie sich auf und ging mit raschen, sicheren Schritten den Pfad hinunter in Richtung des Dorfes, um dann rasch zu ihrem etwas abgelegeneren Haus zu eilen. Es war bereits dunkel, als sie dort ankam und aus den Fenstern der kleinen Blockhütte, die sie sich mit ihren Vater, ihrer Mutter und ihrem Bruder teilte, schimmerte warmes Licht. Ein warmer, würziger Geruch zog an ihr vorbei und unwillkürlich lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Mhhh... Braten. Dann zog sie ihre Stiefel ordentlich vor der Haustüre aus und öffnete die Türe. „Mama, Papa, ich bin wieder da!“, verkündete Jenea fröhlich, ehe sie ihre Hände ordentlich in einer an der Türe aufgestellten Schale wusch. „Kind, wo bist du so lange gewesen? Wir haben uns Sorgen gemacht. Die Gegend ist nicht sicher...“, fragte ihre Mutter mit einem tatsächlich besorgten Unterton in der Stimme. Das Mädchen warf seine schwarzen Haare zurück und blickte in Richtung ihrer Eltern. Auch der Gesichtsausdruck der beiden war besorgt und so etwas wie Angst lag darin. „Ach, war nur oben auf der Sturmplatte... Da ist es nicht gefährlich...“, nuschelte Jenea dann, ehe sie sich ihre Hände abtrocknete. „Nein, wirklich.“, schaltete sich ihr Vater dann ein. „Torben war eben hier und hat berichtet, dass sich irgendwelche von den Dunklen hier herumtreiben... Bergarbeiter mit einigen Kriegern als Geleitschutz.“, schaltete sich ihr Vater dann mit ernster Miene ein. „Deswegen möchten wir nicht, dass du alleine da draußen herumstrolchst Jen.“, schloss ihr Vater dann und legte seine Hände übereinander. Kurz verzog er die Lippen, dann fügte er an: „Nicht bevor du dich selbst verteidigen kannst zumindest...“, was von einem breiten Grinsen ihres Bruders begleitet wurde. Arroganter Hornochse!, dachte sie und warf ihrem Bruder einen finsteren Blick zu, dann ließ sie sich an dem Tisch nieder, um zu essen.

Fünf Tage später...
In der kleinen Kneipe des Dorfes war es rauchig und eng. Männer und Frauen drängten sich aneinander und ein unruhiges Gemurmel herrschte. Niemand hatte etwas zu trinken in der Hand, während alle mit von dem schlechten Talgrauch brennenden Augen zu einem runden Tisch hinüber starrten, an dem die Dorfältesten und die wichtigen Leute des Dorfes herumsaßen. Der Waffenmeister, Arion Morwet, der Schmied Gerron Tham und die oberste Jägerin Yuleia waren ebenfalls dabei, die drei wichtigsten Personen im Dorf, neben den vier Ältesten. Ernst sah der Vorsitzende, ein grauhaariger Mann von etwa 70 Sommern, zu den Dörflern hinüber und räusperte sich leicht. „Temoras Licht und Cirmias Geschick sei mit Euch, liebe Freunde. Ich freue mich, dass Ihr heute Abend so zahlreich erschienen seid.“, er setzte kurz ab, um jeden einzelnen mit seinen stahlblauen Augen ins Gesicht zu sehen und ihm dann mit einem förmlichen Ernst zuzunicken. Trotz seines Alters war seine kräftige, volltönende Stimme ungebrochen und seine Augen blickten aufmerksam und klar in die Welt hinaus. Seine Hände galten als die geschicktesten im Dorf, wenn es darum ging Holz zu bearbeiten und in seiner Jugend war er, so erzählten sich die Dörfler, einst ein großer Jäger gewesen, der selbst mit den geheimnisvollen Elfen der Wälder Freundschaft geschlossen hatte. Was davon wahr war und welches den Geschichten, die der Alte erzählte, zu verdanken war wusste niemand so genau. Fest stand allerdings, dass der Dorfälteste, dessen Name Lamon lautete, auf ein Leben voller Erfahrungen zurück blicken konnte und das Dorf stets gut angeleitet hatte. Im Sommer, wenn die Bergpässe passierbar waren, verkaufte man unter seiner Anleitung Felle aus den Bergen und einige Erze an die wenigen Kaufleute, die aus dem fernen Varuna hierher kamen.
Nachdem er jeden Einzelnen der Anwesenden so gemustert hatte, räusperte er sich erneut und fuhr dann mit weit tragender Stimme fort. „Die Anhänger des schwarzen Panthers sind in unsere Berge eingedrungen und graben hier nach Erzen und jagen unser Wild. Nicht lange, dann werden sie uns entdeckt haben.“, erklärte er die Dinge, von denen alle bereits wussten. Zorniges Gemurmel, leise Verwünschungen gegen die Anhänger Alatars, erhoben sich aus der Menge, die jedoch auf eine Handbewegung des Ältesten wieder still wurde. „Es ist eine kleine Truppe, zehn Bergarbeiter, angekettet und wohl Sklaven, sieben Waffenträger und fünf Kundschafter. Unserer geschickte Meisterin Yuleia hat sie ausgespäht.“ Mit einer kurzen Handbewegung und einem respektvollen, anerkennenden Nicken deutete er in Richtung der hochgewachsenen, braunhaarigen Frau. Diese drückte sich ein wenig mehr gegen ihren Stuhl und erwiderte das Nicken eher unsicher, während sie stumm blieb, den Blick gen Boden gerichtet. Einige Hände schoben sich vor und klopften ihr bewundernd auf die Schulter, was sie mit einem kleinen, stillen Lächeln zur Kenntnis nahm. Lamon wartete kurz, dann seufzte er schwer auf. „Liebe Freunde, wir müssen nun eine Entscheidung fällen. Hoffen wir darauf, dass sie uns nicht finden oder nehmen wir unsere Waffen, um unser so friedliches Leben zu verteidigen? Ich frage Euch... Denn dies könnte einige von uns das Leben kosten oder sie schwer verletzen. Und vielleicht kommen neue von dieser finsteren Brut...“

Spät in der Nacht
„Was werdet ihr tun?“, fragte die Frau mit leiser Stimme und betrachtete ihren Mann fragend. Der seufzte leise und lehnte sich gegen den langsam erkaltenden Ofen. „Kämpfen, mein Herz. Wir werden sie vertreiben und es wie einen Steinschlag aussehen lassen. Die Sklaven befreien wir und bringen sie über die Bergpfade nach Varuna oder Berchgard, wo die Leute ihnen sicherlich Unterschlupf geben werden. Morgen Abend, im Schutze der Dunkelheit, gehen wir los. Gebe Temora dass wir Erfolg haben und möge Kra’thor hungrig bleiben.“, flüsterte er leise, wobei er die letzten Worte fast nur hauchte, als habe er Angst, den Namen zu laut auszusprechen. „Die Kinder?“, erkundigte sich seine Frau besorgt. „Thomal kann mich begleiten – wenn er sich bereit dafür fühlt“, meinte der Mann und strich sich langsam durch seinen grauen Bart. Dann gingen die Eheleute ins Bett und das ganze Haus kam zur Ruhe. Das letzte, was sich regte, war das letzte Funkeln der ersterbenden Glut in dem Kamin.

Der nächste Tag
Das Dorf war geschäftig. Waffen wurden hervorgeholt, Pfeile mit neuen Federn versehen und Bogensehenen ausgewechselt. Man holte alte lederne Rüstungen, manch einer sogar eine Kettenhaube, die schon rostzerfressen war, hervor. Grimmig rüsteten sich die Bewohner zum Kampf, manche scherzten über die anstehende Gefahr, andere warteten lediglich stumm darauf, dass die Sonnenscheibe sich langsam senken möge, damit es im Schutz der Nacht los ging.
Das Haus des Waffenmeisters lag still dort, der Sandplatz war verlassen und Arion saß gelassen vor seiner Hütte und zog den Wetzstein über sein Schwert. An seiner Seite saß sein Sohn Thomal, der das gleiche mit konzentrierteren und lange nicht so routinierten Bewegungen tat. Der Wind strich kühl über Vater und Sohn hinweg und brachte die Gräser und Farne in der Nähe zum Wispern. Leise klang von dem hinteren Teil der Hütte ein Mähen hinüber, von den drei Schafen, die die Familie hielt. Der Vater blickte kurz zur Seite und musterte die versunkenen Bewegungen seines Sprösslings, dann seufzte er und legte die Waffen zur Seite. „Weißt du wo Jen ist?“, erkundigte er sich dann leise, während er nach den Händen von Thomal und korrigierte sachte die Führung des Wetzsteins. Der brummte leicht auf, dann hob er die Schultern an. „Was weiß ich.“, entgegnete er dann mit mürrischer Stimme. „Ihr habt Euch wieder gestritten...“, sagte Arion gelassen, ohne einen Tonfall der Anklage, eher voller Resignation. „Sie hat angefangen. Hat mich einen Steinkopf genannt, als ich aus Versehen gegen den Tisch gestoßen bin und eine Wasserkaraffe umgestoßen habe.“, murrte er leise. Der Vater betrachtete ihn kurz, dann hob er eine Augenbraue. Jungen... Wie kann man nur so tollpatschig sein, während er auf dem Kampfplatz so geschickt ist? Junge, du musst in jedem Bereich des Lebens mit den Gedanken dabei sein.. . „Das war sicher nicht alles oder?“, meinte er dann leise und lehnte sich gegen eine Holzstrebe, die in die Höhe führte. „Naja... Ich hab Ihr gesagt, dass sie sich nicht so aufzuregen braucht, nur weil das gefährlichste, mit dem sie verletzungsfrei umgehen kann ein Küchenmesser ist...“, meinte der Junge dann etwas leiser und schluckte leicht. „Ich kann mir fast vorstellen, was sie entgegnet hat...“ „Sie hat mich verwünscht. Dass mir einer der Dunklen heute...“, fuhr Thomal dann fort, ehe er abbrach. Für einen kurzen Moment lang wirkte sein Gesicht so erschüttert, dann schüttelte er den Kopf. „Ist nicht so wichtig.“, murmelte er dann leiser. Arion starrte ihn für einen kurzen Augenblick lang an. „Oh doch. Selbst im Zorn darf man so etwas nicht sagen – nicht zu seinem Bruder. Man darf es nichtmal denken. Aber auch du bist nicht um vieles besser. Wir gehen heute kämpfen, Menschen werden sterben! Sind es wirklich Vorwürfe und Beleidigungen, was du deiner Schwester vielleicht als Letztes gesagt haben willst?“, die Stimme des älteren Mannes wurde lauter, dann erhob er sich. „Und mir Ihr werde ich auch ein Wörtchen reden“, knirschte er, ehe er dann mit raschen Schritten fortging. Thomal hatte unwillkürlich die Luft angehalten. In solchen Momenten wirkt er sehr bedrohlich. Und er... schlägt nie. Seine Vorwürfe schmerzen vielfach mehr, als jeder Schlag es könnte. Vielleicht ist er deswegen der beste Kämpfer... Weil er nicht kämpfen will?

Das Mädchen ging unruhig auf dem Plateau hin und her, während der Wind langsam anhob, mit stärkerem Atem zu pusten. Sie schmeckte den Vorgeschmack von Sturm in der Luft, während sie aufgebracht von einem Rand der Plattform zur anderen lief. „Dieser verfluchte Hornochse! Warum tut er das? Egal was ich mache, er sorgt dafür, dass es misslingt! Er.... alles!“, rief sie hinauf in den stärker werdenden Wind und warf die Hände in die Luft hinein, während Tränen in ihren Augenwinkeln schimmerten. Vielleicht hätte ich nicht gleich so wütend werden sollen... Aber er hätte auch einfach „Entschuldigung“ sagen können..., dachte sie, dann schüttelte sie unwirsch den Kopf, um diese gnädigen Gedanken zu vertreiben. Sie wollte jetzt nicht an sich selber herumkritisieren, sie wollte wütend sein. Eine ganze Weile rief sie ihre Wut in den Wind hinein, dann legte sich mit einem Mal eine Hand auf ihre Schulter. Erschrocken fuhr sie herum, hob die Fäuste zu einer Abwehrhaltung und duckte sich leicht ab, um ein kleineres Ziel zu bieten. Dann erstarrte sie, als sie ihren Vater vor sich stehen sah, der sie mit einem fast ausdruckslosen Gesicht betrachtete. Oh, er hat es alles... gehört? , dachte sie, ehe sie voller Scham errötete. „Setz dich mit mir ein wenig hin, Tochter“, sprach er dann sanft und ging zum Rand der Plattform, an der er sich geschmeidig niederließ und neben sich auf den Stein klopfte. Mit leicht gesenktem Kopf folgte sie ihm und schluckte leicht. „Ich... es...“, brachte sie stotternd hervor, dann brach sie ab. Dieser Tonfall. Das ist schlimmer als alles. Wenn er wenigstens wütend werden würde, aber er ist immer so... gelassen. Und doch so ernst. Es ist ihm ernst – und doch drückt er es auf eine so merkwürdige Art und Weise aus... Mit einem ungeschickten Plumpsen setzte sie sich auf den Stein neben ihm und zog die Knie an die Brust, während sie sich eine Haarsträhne in den Mund schob und darauf herumkaute. Das deutlichste Zeichen für ihre Nervosität. Eine Weile saßen sie beide schweigend nebeneinander und betrachteten die zerklüfteten Berge. Arion schien gelassen, einfach nur den Ausblick genießend, während seine Tochter von Augenblick zu Augenblick nervöser wurde. Dann schluckte sie leicht und brach das Schweigen. „Ich... es... es tut mir leid.“ „Tut es das, Jenea?“, entgegnete der Mann mit fragendem Tonfall und wandte seinen Blick von der Landschaft ab. Ein weiteres Zeichen, dass er mir böse ist. Oh Vater, ich will nicht, dass du mir böse bist., flehte das Mädchen in Gedanken stumm. „Ja... Wenn er nicht... Nein... Ich weiß nicht. Er ist so schwierig!“, brachte sie dann hervor. „Er hat mich hässlich und mager genannt...“, fügte sie dann leise an und senkte den Kopf herab, um ihr Gesicht mit den Händen zu bedecken. „Ich weiß – auch, dass du ihm den Tod gewünscht hast... Tust du das wirklich Jenea?“, fragte er dann, mit seiner weichen Stimme, die an die eines erfahrenen Sängers erinnerte. Sie erinnerte sich, dass er früher oft für sie gesungen hatte, Abends, in kalten Winternächten. Sie selber hatte seine Stimme geerbt, aber nicht sein Geschick. „Nein! Ich war so wütend auf ihn... Er macht mich immer so wütend. Da habe ich... Oh ich hätte das nicht sagen sollen!“, brach es aus ihr hervor, dann zuckte sie unter einem Schluchzen zusammen. „Er ist immer so gemein zu mir...“, schluchzte sie hervor, sich für einen Moment nach seiner warmen, tröstenden Umarmung sehnend. Doch sie wusste genau, dass die nicht erfolgen würde. Aber dies war auch nicht der Grund, warum sie weinte. „Es könnte sein, dass dein Bruder heute stirbt. Es könnte sein, dass er schwer verletzt wird – lebenslang zum Krüppel gemacht. Willst du, dass das letzte, was du ihm gesagt hast, diese Worte waren? Oder wirst du ihm, wenn er einen Arm oder ein Bein verliert, noch in die Augen sehen können? Kannst du dir danach selber in die Augen sehen Jenea?“, die weiche Stimme schien mit diesem Mal, obgleich ihr Vater nicht lauter oder eindringlicher sprach, schärfer als jedes Schwert und schmerzhafter als alles, was sie bisher erlebt hatte. „Nein... ich... es tut mir so leid! Ich will so etwas nicht wieder sagen!“, klagte sie mit gebrochener Stimme, während Tränen über ihre Wangen rannen. „Er ist doch mein Bruder...“ Ja, er ist mein Bruder. Ein dickköpfiger, manchmal abscheulicher oder gemeiner Bruder. Aber... haben wir nicht auch so oft zusammen gelacht? Gespielt? Hat er mich nicht so oft getröstet...? , dachte sie, während ihr ihre Reue immer tiefer in die Glieder kroch. „Ich werde mich bei ihm entschuldigen... Vater! Sofort!“, mit den Worten drückte sie sich zitterig vom Boden hoch, wurde jedoch von Arions sanfter Hand zurückgezogen. „Nein, das wirst du nicht tun. Du wirst ins Dorf gehen, zu Yaron, dem alten Heiler. Du wirst mit ihm Bandagen und Kräutertränke vorbereiten, Wasser aufkochen und Betten beziehen. Du wirst ihm zur Hand gehen wo immer du kannst und deinen Bruder nicht sehen! Deine Strafe ist diese Nacht, während du dich hoffentlich um sein und unser Leben sorgst!“, sprach ihr Vater dann mit ruhiger Stimme und drückte kurz ihre Schulter. Die ganze Nacht... aber... wenn er wirklich... „Aber wenn ihm etwas geschieht... ich könnte“ „Dann wird es dir eine Lehre für dein Leben sein, dass du niemals mehr jemanden aus Leichtfertigkeit verwünschst, Jenea.“, entgegnete er, während sich ein eiserner Tonfall in seine Stimme hinein schlich. Dann erhob sich der Vater gemeinsam mit seiner Tochter und betrachtete sie kurz. „Tu das und ich werde niemals stolzer auf dich sein können, mein Lieb“, flüsterte er ihr dann ins Ohr, als er sie in den Arm nahm und dort festhielt, während Jenea zitternd an seiner Schulter weinte. Oh Kinder! Warum hat mir niemand gesagt, dass es so schwer ist Kinder zu erziehen? Shen... Hättest du mir das nicht sagen können Liebste? Aber du würdest mich nur auslachen, wenn ich dir das jetzt vorwürfe.

Oh bitte, Temora, Phanodain, Cirmias und Eluv‘. Haltet Eure schützende Hand über meinen Bruder. Bitte Bitte Bitte. Und auch du Kra’thor... bitte lass ihn nicht vor dich treten, lass nicht ihn vor dich treten..., betete sie stumm zu allen Göttern, während sie durch das Dorf in Richtung der Hütte des Heilers ging. Ihre Wangen waren immer noch verschmiert von den Tränen, die sie wegen ihrer eigenen Torheit geweint hatte. Und du..., begann sie, ehe sie ihre Gedanken schlagartig unterbrach und mit der flachen Hand ihre Stirn berührte. Nein! Auch nur an ihn zu denken beschwört Unglück auf uns herab und Ihm drohen zu wollen erst recht.
Als sie in der Hütte des Heilers ankam, hatte sie sich ein wenig beruhigt. Auch wenn vor der Hütte ein Wasserfass war, wusch sie sich die Tränenspuren nicht vom Gesicht. Trotzig trug sie diese wie ein Krieger seine Narben auf dem Gesicht in die Hütte des Heilers hinein. Der sah kurz auf, als sich die Türe öffnete und jemand hinein trat. „Ja? Wenn Ihr noch Bandagen bringt, die kommen...“ „Ich bin nicht hier um etwas zu bringen, Meister Yaron. Ich will... ich will helfen.“, entgegnete sie mit leiser Stimme. Der Alte Mann, einer der Dorfältesten, runzelte die Stirn, dann winkte er mit seiner von Altersflecken gezeichneten Hand in Richtung der Türe und fuhr sich über den kahlen Kopf. Er war ein recht kleiner Mann, von etwa einem Schritt und 65 Halbfingern Größe, trug einen Bauch vor sich her und hatte verkniffene graue Augen, mit denen er nicht mehr so gut sah. Sein Gehör funktionierte allerdings noch hervorragend und er hatte ein wahnsinnig gutes Gedächtnis, so sagte man. Auch waren seine Finger, obgleich vom Alter gekrümmt und fleckig, stets noch sanft und geschickt bei der Arbeit, wo es Wunden zu vernähen galt und stark, wenn es darum ging einen Bruch zu richten. „Komm ins Licht, damit ich anschauen kann, wem diese kleine Stimme gehört.“, krächzte er und richtete sich leicht auf, dann klappte er ein Buch zu. Jenea sog tief den Geruch der Heilkräuter in ihre Nase, dann trat sie leicht zitternd etwas näher. Yaron war ihr unheimlich, denn als einer der Wenigen im Dorf konnte er lesen und schreiben und besaß so etwas wie Bildung. Es hieß, er habe an einer kleinen Heilerschule zu Varuna seine Kunst erlernt... Böse Zungen flüsterten, es wäre dort, wo sie auch Leichen zu Versuchszwecken aufschnitten... Andere hielten ihn für einen Zauberer. „Ahh... Die kleine Jenea. Lange her, seit ich dich gesehen hab. Das letzte Mal, als du beim Klettern ausgerutscht bist und dir den Fuß verstaucht hast.“, meinte er dann nuschelnd und betrachtete sie, wobei er heftig blinzelte. „Bist groß geworden. Fast schon eine junge Frau – Wirst bestimmt mal so hübsch wie deine Mutter.“, lamentierte er dann weiter, während Jenea sich ein wenig aufrichtete. Die freundlichen Worte des Alten waren Balsam auf ihrer Seele und es tat gut sie zu hören. „Naja... ehm... danke“, meinte sie dann und trat unruhig von einem Bein auf das andere. Dann zuckte sie zusammen, als sich der kleine Mann auf seinem Stuhl aufrichtete. „Also gut! Dann lauf los zu der Mansen Familie. Die wollten mir noch eine Ladung Stofftücher vorbei bringen, aber die gute Hille hat wohl zu viel zu tun ihren Mann und ihre beiden Söhne zu bemuttern, bevor sie heute Abend losgehen.“, schlug dann seine Stimme um und mit einem Mal klang sie nicht mehr so freundlich, sondern anweisend und direkt. Die Stimme eines Befehlshabers. „Eh... Sofort!“, entgegnete Jen, dann rannte sie aus dem Haus, um die Anweisungen des alten Heilers auszuführen.
Immer wieder eilte sie durch das Dorf, holte noch Vorräte von anderen Dorfbewohnern ab, Stoffe, einige Kessel, Schnaps, ein paar Kräutersalben, Messer, Garn und Nadeln, um sie dem alten Yaron zu bringen. Der hatte sich nach einiger Zeit aufgerafft und begann an einem Kessel einen stark riechenden Trank anzurühren, während seine Finger mit geübten Griffen nach Kräutern griffen, diese in einem Mörser zerstampften, und dann in den Trank hinein warfen. „Wenn du einen Trank kochst, dann entscheide dich für eine Seite Kind. Entweder rechtsherum rühren oder linksherum. Wenn du zurückrührst, bringt das Unglück und ein schlechtes Gemisch!“, teilte er ihr nebenbei mit, während stark würzig riechende Dämpfe aus dem Kessel kamen. „Und sei vorsichtig, wie viel du wovon nimmst. All Ding ist Gift, junge Dame. All Ding ist Gift, allein die Menge machts, ob’s wohl tut oder weh!“
Mit solchen oder Ähnlichen Weisheiten verbrachte Jenea den Rest des Nachmittages, dann den frühen Abend. Aufmerksam und interessiert lauschte sie den Worten des alten Mannes, dann hörte sie wie draußen die Dorfbewohner zusammenkamen und der Anführer ihrer kleinen Siedlung eine kleine Ansprache hielt, doch sie traute sich nicht hinaus zu gehen. Der Heiler schnalzte kurz mit der Zunge, dann griff er nach ihrem Arm. „Komm Mädchen, schlaf ein wenig. Heute Nacht wird geschäftig genug... Du hilfst mir garnicht, wenn du vor Übermüdung umfällst.“ Dann bugsierte Yaron sie, ohne auf ihre Widerrede zu achten, zu einer kleinen Liege im hinteren Bereich seines Hauses. „Trink das!“, befahl er und reichte ihr einen Becher, dann wandte er sich herum. Das Mädchen betrachtete den Trank, schnupperte kurz daran. Ein süßer Geruch, wie Honig, stieg ihr in die Nase hinein. Ein Geruch nach wildem Weidenhonig, Milch und einem Hauch von Zimt. Mit einem genießerischen Seufzen trank sie den Becher bis zur Neige. Einen kurzen Augenblick später rollte sie sich auf dem Laken zusammen und war eingeschlafen, als der Trank seine Wirkung tat. Der Heiler drehte sich kurz herum und betrachtete sie, ehe er vorsichtig eine Decke bis zu ihrem Kinn hinauf zog. „Schlaf gut Kleines. Heute Nacht wird hoffentlich nicht so anstrengend, wie ich befürchte. Gebe Temora, dass ich mich irre.“ Dann griff er nach seinem Mantel und ging mit kleinen Schritten aus dem Haus hinaus, um sich zu den Dorfbewohnern zu gesellen und einige Tränke an sie zu verteilen. Der spürte einen kurzen Augenblick später eine Hand auf seiner Schulter und drehte sich herum. Ein großer, sehniger Mann stand vor ihm. Dann grinste er leicht. „Arion... Deiner Tochter geht es gut. Sie ist... flink, hört gut zu und tut, was man ihr sagt. Außerdem glaube ich, dass sie einiges in ihrem Köpfchen hat. Keine Sorge, sie ist bei mir gut aufgehoben.“ „Ist sie wach?“ „Nein – hab ihr was zum Schlafen gegeben, damit sie heute Nacht ausgeruht ist.“ „Hoffen wir, das ich dann nur eine übermütige und ausgeruhte Tochter ertragen muss... Die die ganze Nacht nicht schlafen kann, während wir uns von den Strapazen erholen und nicht, dass das wirklich gebraucht wird.“ „Man kann nie wissen, alter Freund. Man kann nie wissen...“

Als sie erwachte, war es dunkel in dem Zimmer. Nur eine kleine Talgkerze brannte neben ihrem Bett. Sie nuschelte etwas in sich hinein, dann schreckte sie aufeinmal hoch und sah an sich herab. Ein zerknitterter Rock, ein festes Hemd und eine Weste, alles mitgenommen und zerknittert, da sie darauf geschlafen hatte. Sie schlüpfte in ihre Schuhe, dann stolperte sie schläfrig von dem Bett weg. „Was... habe ich verschlafen?“, rief sie in den Raum hinein und erntete ein kurzes Schnauben. „Nein – natürlich nicht.“, entgegnete der ältere Heiler mürrisch, der von seinem Buch aufsah. „Wie bin... Moment! In der Milch war...“ „War ein Schlaftrunk, genau. Schwarzer Mohn, eine Messerspitze voll, eine Stunde lang ausgekocht in mit Honig und Zimt versetzter Milch. Lässt das Herz ein wenig langsamer schlafen und bettet die Glieder zur Ruhe.“, erklärte der alte Mann geduldig und erhob sich langsam. „Ein Becher mit dieser Konzentration und man schläft etwa für... fünf bis sechs Stunden.“, fuhr er dann fort und ging zu seinem Kessel hinüber. „Hier – grüner Mohn, drei Fingerhüte voll. Gemeinsam mit zwei Skrupel Nachtschattenstaub – nie mehr als zwei Skrupel, sonst vergiftet es schlimm – und weiterem Honig. Milch eignet sich dafür gut, es nimmt den Geschmack gut auf und mit dem Honig schmeckt es süß. Das Zeug ist zur Betäubung von Schmerzen... Stets nur ein halber Becher voll bei Verletzten. Bei schwer verletzten ein Dreiviertelbecher und bei... Leuten die nicht mehr zu retten sind, nimm einen großen Becher, damit sie friedlich der Welt entschlafen.“ Er erklärte ihr den Trank so ruhig, dass sie garkeine Zeit hatte sich noch zu fragen, warum er sie mit einem anderen Trank zur Ruhe gebettet hatte. „Aber... Brauchen wi...“ „Rede nicht davon Kind. Es bringt Unglück von denen zu reden, die noch nicht verletzt sind. Erst im Angesicht derjenigen ist es erlaubt, über diese Lage zu reden. Bete zu Temora, dass wir heute Abend niemanden in den Schlaf schicken müssen!“
Drei Stunden nach Mitternacht kamen die Dorfbewohner wieder. Einige grimmig, andere mit schreckensstarren Gesichtern. Wortlos brachten sie die Verwundeten zu dem Haus des Heilers, ehe sie sich in der Taverne versammelten. Von den 20 Dörflern die ausgezogen waren, waren drei schwer verletzt, sieben leicht und zwei waren garnicht mehr zurück gekommen. Im Haus des Heilers brach schlagartig Hektik aus, als Jenea und Yaron alle Verwundeten auf Bänke oder Betten verteilten. Der letzte Mann, der von zwei weiteren hinein getragen wurde, war ihr Bruder Thomal. Er hatte einen tiefen Schwertstich in die Seite abbekommen und ein Pfeil hatte sein Bein gestreift. Das Gesicht war bleich und abgekämpft, während er halb bewusstlos zwischen seinem Vater und der Jagdmeisterin hing. Jenea wurde bleich, als sie seine Gestalt sah, dann eilte sie mit einem Schrei auf die drei zu. „Thomal... Thomal!“, rief sie, wurde jedoch von ihrem Vater mit ernstem Gesicht zurückgehalten, während er mit Yuleia seinen Sohn auf ein Bett legte. Yaron eilte herbei und besah sich kurz den Verletzten, dann seufzte er. „Also gut Mädchen. Den hier hats am Schlimmsten er...“ „Das ist nicht „der hier!“, das ist mein Bruder!“, entgegnete das Mädchen aufgelöst und betrachtete den Jungen mit seinen schwarzen Haaren, die ihm schweißnass auf der bleichen Stirn klebten. Vorsichtig streckte sie ihre rechte Hand aus und strich ihm eine Haarsträhne sanft aus der Stirn. „Beruhige dich!“, fuhr der Heiler sie mit scharfer Stimme an und sie hielt inne, dann wedelte er mit einer Hand in ihre Richtung. „Heißes Wasser, Mohnsaft, du weißt wieviel, Bandagen, Nadel, Faden und heißes Wasser! Los!“, mit einem Mal war die Stimme hart und der Heiler ging an den Rand des Bettes, fühlte Thomal über die Stirn und schürzte die Lippen, dann griff er nach einem Messer und schnitt dessen Kleidung auf. „Aye, wenn er das überlebt, dann hat er einige Narben, mit denen er vor den Frauen angeben kann...“, flüsterte der alte Mann, jedoch leise. Sehr leise.
Als Jenea mit den Sachen wiederkam, nickte ihr Yaron zu. „Heb seinen Kopf an, vorsichtig.“, dann griff er nach dem Becher und betrachtete den Inhalt. Zu dreivierteln gefüllt, auf den Strich genau. Nicht übel... Du kannst offenbar einfache Dinge, auch wenn du selber unter Druck stehst. Dann wartete er, bis das Mädchen mit bleichem Gesicht und zitternden Fingern den Kopf des jungen Mannes angehoben hatte. „Halte ihn fest, aber nicht zu fest! Verbanne das Zittern aus deinen Fingern, aus deinem Geist. Wenn du zitterst, zauderst du. Wenn du zauderst, zerstörst du seine Hoffnung auf Heilung“, meinte der Alte unwirsch, ohne auf das Nicken zu achten, was die junge Frau anbrachte. Zufrieden stellte er fest, dass sie ihn nun etwas fester hielt, während sie mit einem Daumen vorsichtig über seine Wange strich. „Ja, streichel ihn ein wenig. Das erinnert seine Seele daran, dass jemand bei ihm ist, die ihn liebt.“, meinte er ruhig, ehe er ihm, Schluck für Schluck, den Mohnsaft einflößte. Nach kurzer Zeit wurden die fahrigen Atemzüge des Jungen ruhiger und der Heiler nickte. „Gut, leg seinen Kopf vorsichtig auf das Kissen, dann wasch zwei Stoffstreifen aus.“ Sie tat, wie ihr geheißen. Mit fliegenden Fingern ließ sie zwei Stoffstreifen durch einen Eimer mit heißem Wasser gleiten, dann wrang sie diese vorsichtig aus und reichte sie dem Mann, der sich über die Wunde, die er freigelegt hatte, beugte und sie mit dem nassen Stoffstreifen säuberte. Er verzog kurz die Lippen, dann wusch er die Wundränder frei, während er Jenea wortlos einen blutigen Streifen reichte. Diese wusch diesen in einer weiteren Schale mit kaltem Wasser aus und legte ihn beiseite, ehe sie einen weiteren Streifen bereit machte. Dann, als der alte Mann fertig war, reichte sie ihm einen trockenen Verband. „Wenn die Wunde nicht zu tief hinein geht, immer einen trockenen Verband, damit das Blut aufgesogen wird und die Wunde verschorfen kann.“, erklärte er, dann wandte er sich ruhig dem Bein zu. „Mhhhm...“ „Was ist?“ „Das war kein... normaler Pfeil. Siehst du die ausgefransten Ränder? Hakenpfeile. Temora muss ihre Hand über ihn gehalten haben, sonst wäre es jetzt sehr hässlich geworden. Hakenpfeile bleiben stecken und lassen sich nicht so einfach entfernen. Oft verliert man das ganze Bein... aber mit Schmerzen ist es immer verbunden. Säubere die Wunde Jenea!“, dann ging der alte Mann mit seinem Nähzeug zu einer kleinen Flamme hinüber, während die anderen Verwundeten von einigen ihrer Mitkämpfer, solchen, die sich darauf verstanden, behandelt wurden.
Jen starrte hinunter auf das aufgerissene Fleisch und schüttelte den Kopf. Glück gehabt... Glück gehabt..., dachte sie immer wieder, dann befeuchtete sie entschlossen die Bandage. Ich mache das wieder gut Thomal! Das schwöre ich! , schoss es durch ihren Kopf, dann wrang sie die Bandage mit zitternden Fingern aus und entfernte damit vorsichtig Schmutz und Dreck aus der Wunde. „Du wirst nicht sterben Brüderchen. Das verspreche ich dir – weißt du? Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert. Du wirst wieder laufen können und nur eine Narbe wird zurückbleiben, die du stolz zeigen kannst. „Da hat mich ein Pfeil getroffen! Und meine Schwester hat die Wunde gereinigt!“, kannst du dann allen sagen.“, flüsterte sie mit leiser Stimme, während sie das Blut um die Wunde herum abwusch, dann aber erstarrte und einen kleinen, schwarzen Splitter entdeckte, der tief in dem aufgerissenen Fleisch steckte, fast verborgen, zwischen dem Gewebe. „Wer benutzt nur solche Pfeile? Na egal. Ich hole das Ding mal vorsichtig raus. Ist bestimmt wie bei einem Fleischhaken... erst prüfen, wo er sitzt“, sprach sie leise weiter, um sich zu beruhigen, während ihre Hände zitterten und ihr Herz unruhig schlug. Die Welt um sich herum hatte sie vergessen, sie war zusammengeschrumpft auf ihre Hände, das Bein und den kleinen, schwarzen Splitter darin. Vorsichtig zog sie mit spitzen Fingern an dem Metallsplitter, hielt dann aber sofort inne, als das Fleisch ein wenig mitging. Hat also wohl einen Haken, dachte sie, dann beugte sie sich noch tiefer und verengte die Augen. Sie folgte dem Verlauf des Splitters, dann beugte sie ihn leicht zu einer Seite, in Richtung dort, wo sie den Haken vermutete und drückte leicht dagegen. Sie spürte, wie der Hake unter ihren Fingern aus der Position glitt, dann schob sie den Splitter nach unten und drückte ihn vorsichtig in das Fleisch hinein, ehe sie ihn zwischen den Fingernägeln griff und vorsichtig hinaus schob. Sie betrachtete fasziniert und erleichtert ihre blutverschmierten Hände, mehr noch den feinen Widerhaken, der so seltsam zierlich wirkte. Dann hörte sie ein Räuspern hinter sich. „Warum hast du ihn alleine herausgezogen?“ „Oh... ich... Ich habe gedacht, ich könnte das schaffen. Ist nicht anders, als bei großen Haken, an denen man im Dorf geschlachtete Schweine aufhängt.“, meinte sie dann mit betretener Stimme, ehe sich plötzlich namenlose Angst in ihrem Bauch breit machte. „Habe ich... habe ich etwas falsch gemacht?“, flüsterte sie, während eine widerwärtige Übelkeit in ihr aufstieg. Bitte... Bitte nicht. Yaron betrachtete sie kurz, dann lächelte er milde und schüttelte den Kopf. „Nein. Fast hätte ich gedacht... Na egal, nun säubere deine Hände, dann presse die Wundränder zusammen. Danach müssen wir nochmal an den Bauch.“, sagte er und griff dann nach Nadel und Faden. Mir geschickten stichen durchstach er mit der spitzen und dünnen Knochennadel die äußersten Wundränder. „Drei Nagelbreiten vom Rand weg, da reißt die Haut selten und man sticht nicht in zu viel Fleisch hinein.“, kommentierte er seine Taten, dann zog er den Faden geschickt nach. „Zum nähen eignen sich am besten Sehen vom Schwein. Entzünden die Wunde selten, wenn sie gut ausgekocht wurden. Aber du solltest sie, wenn sie zu hart sind, noch einmal vorkauen... Dadurch werden sie weicher und jedes Kind weiß ja, dass Speichel eines der besten Heilmittel überhaupt ist.“, erklärte der alte Mann ruhig weiter, während er seine Arbeit fortsetzte. Einige Stiche später war die Wunde sauber zusammengenäht. Dann nickte er zu dem Bauch. „Nimm den Verband ab und feuchte die Ränder der Wunde etwas an. Auch dort müssen wir nähen.“, sagte er, dann wartete er, bis seine Assistentin die Anweisung ausführte.
Die Bauchwunde erwies sich als etwas schwieriger, weil sie tiefer war. Der Heiler nähte sie dennoch mit geschickten Bewegungen zusammen, nachdem er einige der kleineren Adern mit einer glühenden Nadelspitze verödet hatte und ebenso mit den anderen verfuhr. „Glücklicherweise wurde keine große Ader verletzt. Die kleineren kann man mit einer glühenden Nadel verschließen, muss das sogar tun, denn wenn man sie offen lässt, bluten sie in die Wunde hinein. Und dann entzündet’s sich und stirbt vielleicht gar.“, meinte er dann zu seiner Helferin und nickte, ehe er die benutzten Utensilien in die Schale mit dem blutigen Wasser warf. „Mach die sauber, dann teilen wir uns auf. Du nimmst die leicht verletzten da hinten, ich kümmere mich um die beiden verbleibenden schweren Fälle. Lobe Phanodain Kind, dass er uns die Heilkunst geschenkt hat.“, wies sie der Heiler an, dann strich er eine grünliche Paste auf die beiden vernähten Wunden und verband sie sorgfältig und feste.

Jenea ging zwischen den Leuten mit Schnitten und Schürfwunden hin und her. Sorgfältig reinigte sie die Wunden von Schmutz und Rückständen, strich Salben auf die Schnitte und verband sie schließlich. Yaron selber schien überall gleichzeitig zu sein, stets stand er neben ihr, um einen Verband zu kritisieren, bis sie ihn schon nach kurzer Zeit richtig machte. Er selber nähte Wunden, vergab Tränke und sprach aufmunternde Worte zu den Kriegern, die, trotz zusammengebissener Zähne mit Scherzen antworteten. „Lachen ist die beste Medizin. Wenn ein Mann oder eine Frau lachen kann, dann wird er heilen. Der Seelenrabe nimmt lieber die Trübsinnigen, mit Heiterkeit weiß der nichts anzufangen“, erklärte er ruhig, während er seine Hände in einer Schale wusch und erntete damit ein verhaltenes Grinsen von Jen.

Nach einer schier endlosen Zeit war es vorüber. Alle Verletzten die konnten, waren nach Hause zu ihren wartenden Familien gegangen, die schweren Fälle lagen in den Betten und der große Raum glich einem Schlachtfeld. Überall standen Schalen mit blutigem Wasser herum, einige Bandagen lagen auf dem Boden, der ebenfalls nass von vergossenem Wasser war. „Soso... Und nun kommt eine weitere Schlacht. Aufräumen! Da du die Jüngere von uns beiden bist und obendrein geschlafen hast, überlasse ich diese Aufgabe dir. Reinige das Besteck sorgfältig und verwahre es in dem ledernen Etui. Die Knochennadeln und die Bandagen verbrennst du hinter dem Haus, das Wasser gießt du weitab vom Dorf aus, damit die schlechten Säfte nicht den Boden vergiften. Mhh... ja... Dann darfst du nach Hause gehen“, teilte ihr der Alte mit einem Grinsen mit, ehe er sich in einen seperaten Raum zurückzog und Jenea sprachlos inmitten des Chaos stehen blieb. Dann warf sie einen Blick auf ihren Bruder und begann mit der Arbeit...
Etwa eine Stunde später, der Morgen graute bereits, saß sie an Thomals Bett. Sanft streichelte sie seine Hand, dann ließ sie erschöpft die Schultern hängen. Alles tat ihr weh, die Hände, der Rücken, die Augen, der Kopf. Aber ich werde dich nicht alleine lassen Bruder... Du musst überleben, hörst du? Du musst...!, dachte sie, dann schloss sie erschöpft die Augen. Einige Tränen fielen aus ihren Augen herab und benetzten die Hand des blassen Mannes, dessen Brust sich fahrig hob und senkte. Leises Klimpern schien die Tropfen zu begleiten, wie die Saiten einer Harfe, die sanft angezogen wurden. Das Mädchen war viel zu erschöpft um es zu merken, um zu erfassen, dass ihre silbrigen Tränen von der Haut ihres Bruders aufgesogen wurden. Sie sank dann mit dem Kopf auf den Bettrand und schlief ein, während der Atem ihres Bruders ein wenig kräftiger wurde...

„Sie hat Talent – so viel steht fest. Hat geschickte Hände und hört gut zu. Ihre Augen sind scharf und die Finger ruhig. Kann Entscheidungen treffen – aber sie müsste mehr mit den Leuten reden, sie beruhigen.“, verkündete Yaron, als er gemütlich am nächsten Abend in der Taverne saß, vor sich einen Krug mit schäumendem Bier und ihm gegenüber der Waffenmeister des Dorfes. Arion verzog kurz die Lippen, dann hob er seinen eigenen Krug an. „Naja, das war ein Tag. Aber... würdest du sie nehmen?“ „Nehmen? Verdammt, natürlich! Sie ist nützlich und fleißig, es wird mir eine Freude sein, sie zu unterrichten.“, brach es aus dem alten Mann hervor, ehe er in leiserem, irgendwie abwesenden Tonfall, fortfuhr. „Außerdem glaube ich, Arion, dass es richtig ist. Wenn ich sehe, wie sie gestern ihre Arbeit gemacht hat, dann fühlte es sich richtig an. Hast du Ihr die Grundbegriffe beigebracht?“ Der Waffenmeister grinste kurz, dann strich er sich durch seinen grauen Bart und hob die Schultern. „Eigentlich dachte ich, sie würde mit Waffen umgehen können. Aber auch da muss man sich hin und wieder verbinden können. Ich habe ihr ein wenig was gezeigt.“, entgegnete der Angesprochene bescheiden, ehe er dem Heiler zuprostete. „Dann... auf dich.“ „Auf deine Kinder“, entgegnete der Heiler ernst. „Der Junge wird es schaffen. Du solltest sehen, wie Jen sich um ihn kümmert...“

Zwei Tage später
Sie saß an seinem Bett, wieder einmal, und hielt seine Hand. Mit bangem Gesicht beobachtete sie die leicht eingefallenen Wangen, die schon wieder etwas an Farbe gewonnen hatten. Die Wunden heilten gut und sie wechselte die Verbände jeden Tag. Der alte Heiler hatte ihre ständige Anwesenheit stumm hingenommen, ihre Eltern besuchten sie häufig und gerade ihre Mutter saß, genau wie sie, fast ständig an dem Bett. „Oh Thomal... Bitte... Du darfst jetzt nicht sterben. Du siehst doch wieder so viel besser aus... Bitte Bitte... Werd wieder gesund“, wiederholte Jenea mit leiser Stimme, wie an jedem der vorhergegangenen beiden Tage. „Damit ich deiner spitzen Zunge beraubt werde Schwester? Im Leben nicht.“, flüsterte der Junge dann heiser und grinste schwach, als seine Schwester erschrocken aufsprang und ihn anstarrte. „Du... du warst wach?“, erkundigte sie sich erschüttert, ehe sie die Arme mit einem Aufschrei um seinen Hals warf. Für einen kurzen Moment stöhnte er auf, ehe er seine Hände schwach auf die Schultern seine Schwester legte. Der Augenblick der Stille dauerte an, dann sahen beide Geschwister sich an und flüsterten mit leiser Stimme, so dass es eben nur der andere hören konnte: „Es tut mir leid.“

Vier Jahre danach
Vier Jahre gingen ins Land, in denen Jenea bei dem alten Heiler Yaron lernte. Entsetzt über ihren Mangel an Bildung schob er zuerst ihre Ausbildung in der Heilkunst hinaus, um ihr zuerst Lesen und Schreiben beizubringen. „Lesen und schreiben ist wichtig! Wie sollst du sonst alle Rezepte lesen?“, pflegte er immer nach einer Stunde zu sagen und ihr auf die Stirn zu tippen. „Selbst da drin kannst du nicht alles aufbewahren! Also schreib es auf, dann entgeht dir nichts. Papier ist sehr sehr geduldig!“. Danach lernte sie, wie man Wunden nähte, Kräuteraufgüsse zubereitete. Er nahm sie mit in die Berge, um ihr Pflanzen und Gräser zu zeigen, die man gegen Fieber, Wundbrand oder Krankheiten anwenden konnte. Des Abends studierte sie im flackernden Licht einer Talgkerze oft seine Bücher über Heilkunde. Die Zeit verging wie im Fluge, während sie ihm bei der Zubereitung von Tränken und Kräutern half und manche Dinge selber anrührte. Ihr Bruder wuchs ebenfalls heran und verfeinerte sein Geschick mit dem Schwert und obwohl die beiden Geschwister oft ihre Zungen aneinander wetzten, waren ihre Blicke niemals feindseelig. Eher so, als würde man ein altes Spiel aufnehmen, das noch vieler Episoden harrte. Jenea wuchs heran, zu einer schwarzhaarigen, jungen Frau mit einem eher schmalen Körperbau, die vielen anderen Jungen im Dorf jedoch als zu entfernt und vor allem zu scharfzüngig galt, um ihr den Hof zu machen, obgleich sie sicherlich nicht hässlich war. Eine wirkliche Schönheit wurde sie nicht, aber es reichte, um wenigstens „hübsch“ genannt zu werden.
Dann, an einem warmen Abend im Frühling, trat ihr Lehrer, der mittlerweile fast garnichts mehr sah, an sie heran. „Kind Kind... ich habe dir alles beigebracht, was du wissen musst. Aber... zu mehr bin ich ein zu schlechter Lehrer“, wobei seine Stimme von einem leichten Husten unterbrochen wurde. Ein weiterer Lehrling, ein Junge namens Irean, eilte heran um den alten Mann zu stützen. „Geh fort aus diesem Dorf – geh nach Varuna. Dort wirst du lernen können, mehr über die Kunst und manch andere, die dir noch verborgen ist.“
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