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Die Weise der welkenden Lilie (Caoimhe van Lilienhayn)
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Caoimhe van Lilienhayn





 Beitrag Verfasst am: 24 Nov 2007 16:21    Titel: Die Weise der welkenden Lilie (Caoimhe van Lilienhayn)
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Der Abschied – Erinnerungen

Seltsam leer, beinahe schon melancholisch einsam gähnte das offene Tor in die matschige, halbgefrorene Straße hinein, welche hinter den dicken Trutzmauern aus Sandstein und Lehm lag. Unbewusst fuhr die kleine, knochige Hand über das massive Eichenholz der Torflügel, welche einst in lebendigem Dunkelbraun mit den kupfernen Scharnieren um die Wette glänzten. Jetzt hatten Kälte und Witterung dünne Risse in das alte Holz gesprengt und die verbündete Macht von Regen und Sonne vermachte dem Tor seinen jetzigen, ausgebleichten Graustich, den nur das Moos mit einigen Grünflecken gnädig aufzuhellen versuchte. So viele Jahre hatte dieses alte Burgtor gesehen, unzählige Massen von Menschen waren im Laufe der Zeit hindurchgeschritten, geritten und, in edlen Kutschen, gefahren. Einige hatte es im Inneren der Burg aufgenommen, andere in die weite Welt ziehen lassen und nie wieder zurückkommen sehen.
Den letzten Abschied hatte das knarrende Tor erst vor wenigen Augenblicken erlebt und obwohl nur noch die Radspuren und Hufabdrücke im lockeren Erdboden von dem Auszug der jungen Herrin Muireall van Lilienhayn kündete, so spähte das noch immer offene Tor dem nunmehr leeren Pfad hinab ins Tal entlang.
Neben dem alten Burgtor, die bleiche Hand noch immer sanft auf dem Holz ruhend, blickte noch eine weitere Gestalt wortlos und nachdenklich in die vorwinterliche Landschaft des Gutes Lilienhayn.

Hellgrüne, große Augen, die Sehnsucht nach dem Frühling in der Seele weckten, wanderten blicklich über die Straße, stockten kurz bei einem Haselästchen, an dem eine dünne Strähne rotgüldenes Haar im Winde wehte und lugte dann wieder ins Tal herab. Längst war der Zug im feinen Herbstnebel verschwunden und auch das Kutschradrattern sowie Hufgeklapper drang nicht mehr bis zur Burg hinauf, dennoch verhielt sich die kleine Gestalt stoisch ruhig und abwartend, während die Gedanken auf Reisen geschickt wurden.

Zuerst hatte ihr hoher Herr Vater den Bruder ausgesandt, war es doch in seinen Augen eine Schande, dass über die letzten Jahre keiner der van Lilienhayns dem Alka nahe genug zur Seite stand und die Waffe tapfer im letzten Krieg hatte schwingen können. Sobald die schulische Ausbildung des Sohnes vollendet war, hatte Adhamh van Lilienhayn nicht gezögert und den Erstgeborenen nach Rahal geschickt um dort den alten Familiennamen, der Lilie gleich, wieder majestätisch aufblühen zu lassen. Mit Stolz hatte er nur wenige Mondläufe später den Fortschritt seiner älteren Tochter im Umgang mit dem Schwerte beobachtet. Er hatte schon immer geahnt, nein gewusst, dass seine Erziehung und die Kraft, welche der Panther ihrem noblen Hause zukommen ließ, nur Kinder hervorbringen konnte, von denen man Großes erwarten musste.
Muireall würde er als nächstes entsenden, auch wenn sie doch erst in einigen Wochen das einundzwanzigste Jahr erreichen sollte. Ihr Wille, ihre Fähigkeit und nicht zuletzt der brennende Ehrgeiz verlangten nach einem besseren Lehrmeister, als es ihr der alternde Schwertmeister der Burg war. Sein jüngerer Bruder Airleas hatte geprahlt, dass er seine Älteste eines Tages in die Obhut eines Ritters des Einen geben würde… ein fast schadenfrohes, wenngleich sehr kurzes, kaltes Lächeln erhellte die Adhamhs Züge – nun würde Muireall wohl vor Fainne diesen Weg beschreiten, wenn er sie nur rasch genug losschickte…

… und so war der Tag gekommen, an dem nur noch eines seiner Kinder an die Burg gebunden war und dieses eine, seine Jüngste, Caoimhe van Lilienhayn, würde wohl nie in den kriegerischen Dienst unter der Pranke Alatars treten können.

<< Fast einen Mondlauf zu früh, im Spätherbst, so wie jetzt, erblickte das Kind vor sechzehn Jahren das Licht der Welt im dunklen Glanze des Panthers. Doch ach, kein kräftiger Schrei drang von den fast bläulichen Lippen und nur matt hob und senkte sich die dürre Brust des Babys, unter deren heller Haut man die Rippenknochen hervorstehen konnte.
„Der Eine muss mit Euch zürnen, mein Herr, denn Eure hohe Frau Gemahlin hat eine Todgeburt zur Welt gebracht.“, raunte einer seiner Priester. Ein törichter, doppelzüngiger Mann, der wenige Tage später für seine Dreistigkeit aus dem Burghof gejagt wurde. Sie war noch nicht tot. Mit barschem Ton befahl er, dass man ihm das schwächliche, kranke Neugeborene bringen solle. Zögerlich versuchten ihm Hebamme und Mägde zu erklären, dass das Kind in einer zu matten Verfassung sei und die letzten Stunden wohl lieber in einem sauberen, stillen Bettchen verbringen sollte. Erst als er eine von ihnen mit geballten Fäusten schlug, hastete die Weibermeute wimmernd los und brachten ihm wenige Augenblicke später das schlaffe Bündel.
„Lasst mich mit meiner Tochter alleine!“
Diesmal folgten sie seiner Anweisung ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Gutes Personal brauchte eine starke Hand, im wahrsten Sinne des Wortes.
Als sich die prunkvolle Türe zu seinem Ratszimmer geschlossen hatte, blickte er seufzend auf das zitternde, jappsend atmende Kindlein, schüttelte unzufrieden das edle Haupt und trug die Kleine sanft in seinen Armen bis zum einzigen Fenster im Raume. Von dort hatte man einen prächtigen, erhabenen Ausblick in den Burghof und konnte so beobachten, überwachen und agieren. Still hielt er das Kind näher an die etwas milchige Scheibe – echtes Glas, eine wahre Kostbarkeit. Stumm starrten Vater und Tochter in die herbstlich trübe, graue Welt hinaus.
Mitten auf dem Burghof mühte sich ein kleines Mädchen, kaum 5 Jahre alt, die rotgüldenen Haare zu festen Zöpfen geflochten, im Holzschwertkampf gegen einen älteren Jungen ab. Beide Kinder schwitzten trotz der Kälte und man glaubte den keuchenden Atem der beiden bis in das hohe Zimmer zu vernehmen, so entkräftet und überfordert wirkten beide. Dennoch brannte eine Glut in den fliederfarbenen Augen der Kleinen und den des heranwachsenden Knaben. Keiner der beiden dachte auch nur im Ansatz daran, die Waffe zu senken und die Übung zu beenden, ehe man sie dazu aufforderte.

„Sieh genau hin, mein Kind.“, begann der Vater nun zu seinem neugeborenen Kindlein, als könne es ihn vollends verstehen, „Das sind deine Geschwister, wahre Kinder des noblen Hauses van Lilienhayn, echte Streiter des dunklen Panthers. Keiner der beiden würde je verzagen und aufgeben, keiner würde den einen Gott enttäuschen und das Leben, welches seine Mutter gab und er in die rechte Richtung lenkt, verwirken, verstehst du? Caoimhe, du bist mein Fleisch und Blut, deshalb erwarte ich Gehorsam und werde dir dies nur ein einziges Mal sagen: Kämpfe!“ Er schüttelte den kleinen Körper leicht und plötzlich öffnete das Kind die blauen Lippen und gab einen hellen, protestierenden Schrei von sich.
„So ist es richtig.“, raunte er nur und hob das Neugeborene näher, so dass sein großes, edles Gesicht in das kleine, bleiche Antlitz blickte. Ihr beider Augenmerk traf sich für wenige Momente. Helle, grünliche Augen, die wie der junge Frühling strahlten, waren ganz auf den Vater gerichtet und tief in den dunklen Pupillen sah er das Feuer brennen, die Flammen, welche den Kampfgeist der van Lilienhayns entfachten.
Zufrieden nickte er und wusste, seine jüngste Tochter würde nicht sterben, sondern ihren Weg unter dem behütenden Schatten Alatars finden. >>

Ein kalter Windhauch zog vom Tal aus den Berg hinauf und blies das letzte, gefallene Laub vor sich her. Der rotbraune Farbwirbel klatschte feuchtnass gegen die Burgmauer und das alte Eichentor. Mit kaltem, grimmigem Zorn, geboren aus dem ersten Winter, riss die Bö am einfachen Wollkleid und den kupferroten Locken der schmalen, schmächtigen Gestalt im Torbogen. Steif, mit gerader Haltung trotzte diese dem Wind, als gäbe es ein Duell um das Vorrecht an der Burg und hob das noch etwas rundliche, weiche Kinn stolz an. Nur für kurze Zeit funkelte sie so der kühlen Luftwand entgegen, ehe plötzlich etwas im zarten, schwachen Körper zu brechen schien und sie, bebend etwas in sich zusammensank. Die blasse, knochige Hand fand gerade noch Halt an einem der Torscharniere, während die restliche Gestalt, von einem dumpfen, bronchialen Husten geschüttelt, eher gen Boden ging. Der Anfall bog den gesamten Leib wie die Winterbö die jungen, gertenschlanken Bäume. Als der eigene Hustatem von einem hellen, kehligen Pfeifen untermalt war, presste sie die noch freie Hand mit rascher, bestimmender Geste auf die Lippen, zwang sich, ausreichend Luft durch die Nase zu ziehen um einer hysterischen Krampfattacke zu entgehen und schloss für wenige Momente die Augen. Langsam ebbte das Husten an und alsbald drangen Stimmen aus dem Burginneren hinter ihr zu der jungen Frauengestalt heran:
„Junge Herrin?! Ist Euch etwas passiert? Oh, soll ich den hohen Herren rufen?“, Panik in der Weiberstimme, schrill und unangenehm durch das Pochen im Kopfe. Mühsam beherrscht streckte sie die Rückenwirbel durch und zwang sich wieder in eine gerade, beinahe stockartige Haltung. Dann erst löste sie die Finger vom eisernen Scharnier und vollführte einen gebieterischen, einhaltenden Wink.
„Wenn du es auch nur wagst meinen hohen Vater mit einer derartigen Lappalie zu belasten, dann werde ich dafür sorgen, dass du dir diesen Winter einen Schlafplatz in einem der Bettelhäuser der Stadt suchen darfst.“
Sie hatte nicht sehr laut gesprochen und nicht einmal den Ansatz gezeigt sich zur Gesprächspartnerin umzudrehen. Doch der zittrige Unterton in der Frauenstimme hinter ihr, zeigte doch, dass ihre eisigen Drohworte die Wirkung nicht verfehlt hatten.
„Sicher, junge Herrin. Ich werde ihn bestimmt nicht damit belasten, wenn Ihr das nicht wünscht…“, sie stockte wohl, „… jedoch solltet Ihr Euch bald in die Wärme begeben. Es ist so kalt und in Eurem Zustand…“
„SCHWEIG!“, Wut hatte ihre Worte angefacht und Zorn spann den Satz weiter, „Wer bist du, dass du dir anmaßen kannst mich wie ein Kind ins Haus zu schicken? Ich weiß sehr wohl was ich mir wann zumuten kann und du solltest wissen wann es am besten ist, ohne auch nur ein weiteres Widerwort zu verschwinden!“
Ein kurzer, verzweifelter Wimmerlaut drang hinter ihrem Rücken hervor, doch die sich rasch entfernenden Schritte zeugten ein weiteres Mal vom Erfolg der jungen Frau.
Erst als es schon längere Zeit still hinter ihr geworden war, führte sie, nun selbst zitternd, die Hand, welche beim Anfall den Mund geschützt hatte, langsam näher an das Gesicht. Der Herzschlag schien ihr in diesem Moment wahrlich noch im Halse zu erbeben und grässlich lang war die erste Schrecksekunde, ehe sie im Halbdunkel des Abends einen klaren Blick in die bleiche Handfläche hatte.
Wenige und winzige, tiefrote Blutbröckchen malten sich grausam deutlich auf der weißlichen Haut ab und mit geschlossenen Augen tastete sich nach einem Leinentuch der Tasche des Wollkleides, während sie sich zwang tief durchzuatmen. Also hatte sie den unangenehmen süßlich-metallenen Geschmack auf der Zunge richtig gedeutet. Mit dem dröhnenden, keuchigen Husten war einmal wieder noch etwas Lebenssaft aus der Lunge herausgeschleudert worden – es wurde also wieder schlimmer und die Zeit drängte langsam. Nur wie konnte sie ihren Vater jetzt dazu bewegen auch sie ziehen zu lassen, wenn doch gerade erst ihre ältere Schwester den Weg nach Rahal angetreten hatte? Ein beinahe unmögliches und recht unrealistisches Unterfangen, zudem sie nicht vorhatte ihn mit ihrem genaueren Wissen und dem Stande der eigenen Krankheit, der Schwindsucht, zu belasten. Er glaubte noch immer, dass seine Hofärzte und der armselig einfältige Heiler des nächsten Dorfs ihr sowohl gute Lehrer als auch Heilung waren und ahnte nicht, dass sie selbst in den letzten Jahren mehr gelernt hatte, als diese beiden Tölpel zusammen je wissen würden. Es dürstete sie nach einer wahren Ausbildung und ihr letztes bisschen Zeit drängte sie in diese Richtung, doch wie sprach man darüber mit dem Vater ohne ihn zu drängen? Wie nur klärte man ihn über die Versager von Ärzten auf ohne ihm selbst Versagen bezüglich deren Einstellung zu unterstellen? Wie nur…

Schweigend verharrte sie noch wenige Augenblicke am Tor und ließ den Gedanken so lange freien Lauf, bis die Dunkelheit die Umgebung der Festung so sehr in Besitz genommen hatte, dass man kaum noch drei Schritte vom eigenen Standpunkt aus blicken konnte ohne gegen die Nachtschwärze zu prallen. Mit sanftem Seufzen löste sie den Blick von der Straße, welche ihre Schwester mit sich geführt hatte und wendete den steifen Körper der Burg zu. Mit beinahe feenhaft schwere- sowie lautlosen Schritten durchquerte sie den Burghof und wollte schon die Hand an die Türe zu den Hallen legen, als ein leises Geräusch ihre Bewegung stoppte und sie rasch umblicken ließ:
Ein dumpfes, feuchtes Schniefen, untermalt von einem schwach unterdrückten Husten.
Rasch entdeckten die hellen Augen einen mageren Stallknecht, welcher den Pferdemist, den die Tiere kurz vor der Abreise im Wimmelchaos auf dem Hof verteilt hatten, zusammensammelte und in einen Blecheimer warf. Seine Kleidung bestand nur aus dünnen Schuhen, einer einfachen Hose und einem Leinenhemdchen, welches an vielen Stellen schon geflickt war. Hüstelnd griff er nach dem Eimer, wischte sich fahrig über die Stirn und verschwand im Stall.
Noch kurz stand sie stirnrunzelnd am Hauseingang, ehe sie mit einem Ruck am Knauf zog und die Hallen betrat.
„Bekka! Sorge dafür dass die Knechte und Mägde langsam passender warm zum Trotz der Winterwitterung angezogen sind!“´, gellte ihr Ruf an die Haushälterin bald durch die Flure.
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Caoimhe van Lilienhayn





 Beitrag Verfasst am: 26 Nov 2007 13:03    Titel:
Antworten mit Zitat

Die Bewährungsprobe – Momentaufnahmen

Kalt, steril und unwohnlich mutete die große, beinahe leere Speisehalle an. Getrennt von einer langen, schwarzen Schiefertafel saßen die letzten drei Mitglieder der Kernfamilie derer van Lilienhayns vor ihren Silbertellern und aßen mehr aus Notwendigkeit statt Lust das vorzüglich gewürzte und kunstvoll angerichtete Trüffelkaninchen mit Lauchgemüse oder nippten am gewärmten, edlen Weine, welcher zweifelsohne aus echten Kristallkelchen getrunken wurde. Prunk und feine Kost waren eben doch nur schmückendes Beiwerk und nicht Essenz eines glücklichen, gesprächsträchigen Abendmahls, dessen Sinn und Zweck sich an dieser Tafel eh jedem verschlossen hätte.
Nur ab und an wurde die Stille durch das leise Klirren eines Weinglases oder dem Quietschen von Metall auf Metall, wenn ein Messer zu fest über den Teller glitt, unterbrochen. Meist warf dann der Burgherr einen Blick, der sprichwörtlich ein ganzes Freudenfeuer gefrieren konnte, ziellos zwischen seinem Weib, welches noch in nächster Nähe stolz thronte, und seiner Jüngsten hin und her, verlor aber kein weiteres Wort.
Die Bediensteten warteten stramm und geduldig nahe der Eingangstüre, neben welcher das frische Essen in noch dampfenden Schüsseln und auf heißen Tabletts, auf einer Anrichte stand. Wann immer nun einer der hohen Herrschaften etwas verlangte, von einer weiteren, warmen Portion über das Nachfüllen des Weines, bis hin zu einem Napf für Knochen und Knorpel, hasteten diese möglichst lautlos heran um den angedeuteten Wunsch sofort zu erfüllen. Sie waren sehr darauf getrimmt, dass das Mahl ohne Störungen rasch ablaufen konnte, denn man fürchtete den legendären Zorn des hohen Herrn von Lilienhayn. Gerüchteweise schickten einige sogar ein Stoßgebet der Dankbarkeit zum Panthergott oder dessen Mutter, wann immer ein Essen glatt und ohne Unterbrechung abgelaufen war.

Diesmal allerdings bescherte ihnen das Schicksal gar eine kleinere Katastrophe.
Man war gerade bei der Nachspeise, Zimtgrieß mit Birnenkompott, angelangt und der hohe Herr hatte seinen Mahagonilöffel tief in den süßen Brei getunkt, als die Türe nicht gerade geräuschlos aufsprang und, ganz zum ohnmächtigen Entsetzen der beiden Bediensteten, Bekka, die rundliche Haushälterin, mit rosigen Wangen und geröteten Augen zur Tafel geeilt kam. Mit scheinbar viel Mühe und geschlossenen Augen versuchte Adhamh van Lilienhayn sein Temperament zu zügeln und schob den Teller ein Stückchen von sich. Auch die holde Gemahlin und das zarte Töchterlein hielten im speisen inne und blickten ungläubig in Richtung der Szenerie. Bekka indes, achtete in ihrer Sorge nicht auf das drohende Donnerwetter, sondern begann dreist den kummervollen Grund ihres Hereinplatzens zu erläutern:
„Herr, oh mein guter, hoher Herr, ich bin am Ende. Ich weiß nicht mehr weiter. Seit ein paar Wochen kursiert ein Schnupfen und Husten unter der Dienerschaft und die junge Herrin, der Eine möge ihre Weisheit belohnen, machte mich vor etwa zwanzig Tagen schon darauf aufmerksam, dass gerade die Knechte nicht angemessen gekleidet arbeiteten und diese Seuche weiter verschleppen und…“
„Komm zum Punkt, Weib, oder scher dich verdammt schnell wieder hinaus!“, donnerte Adhamhs Stimme durch den Raum und ließ kurz auch Weib wie Tochter etwas zusammenfahren.
„Es… es hat meinen Hynrich erwischt, oh Herr und dies in seinem hohen Alter!“
Tatsächlich schien kurz die Stimmung mit etwas mulmigem Unwohlsein getränkt, denn der alternde Hynrich, Bekkas Ehemann, war zugleich der Schmied der Burg und unter seinen kunstvollen Handgriffen war schon die ein oder andere, prachtvolle Waffe, unter anderem die Familienklinge „Schwertlilie“, entstanden und die Nachricht eines derartigen Krankheitsfalles wog auch für den hohen Herren schwer.
„Nun, dann werden ihm meine Ärzte und dieser Herr Varaleen, der Heilkundige aus Bilchstayn, gerne zur Verfügung stehen. Sie werden das auch ohne dein Gegreine wieder ins Lot bekommen.“

Dieser Hinweis sollte als noble Geste gewertet werden, doch zur endgültigen Verwirrung des ehemaligen Reichsritters, begann Bekka auf die Ankündigung hin unkontrolliert zu schluchzen und stammeln.
„D… das ist es doch… m… mein Herr. Sie sagen a… allesamt, dass man ni… nichts mehr für ihn t…t… tun kann.“
Wimmernd bedeckte sie sich die Hände, während Adhamh, seines Mahls und Nerven beraubt, nun vollends die Beherrschung verlor.
„Dann, einfältige Gans, ist es die Sache auch nicht wert, dass du uns mit deinem Rotz und Wasser das Abendessen verdirbst. Mach, dass du mir auf der Stelle aus den Augen kommst, sonst erlöse ich deinen Mann noch diese Nacht von einer besonderen Seuche namens Eheweib.“
Bekka schluckte tapfer jedes weitere Kommentar herab und verließ, nunmehr ein kleines, wimmerndes Häufchen Elend, die Halle.
Der kalte Frieden im Raume war gestorben und begraben, denn während die Diener sich nun beinahe durchweg panische, angsterfüllte Blicke zuwarfen, musterte Duayna van Lilienhayn ihren Gemahl aufgrund des Kommentars zum „Eheweib“ mit besonders unterkühltem Augenmerk, doch dieser stocherte nur missgestimmt in seinem Breischüsselchen umher. Ein guter Zeitpunkt um vor dem sich entladenden Gewitter im Hause, die Tafel zu verlassen, befand Caoimhe und sprach mit heller, sanfter Stimme gen sich grämenden Burgherren:
„Bitte um die Erlaubnis mich in meine Gemächer entfernen zu dürfen, mein hoher Herr Vater.“
Sein eher wegwerfender Wink langte bei weitem um das Mädchen mit eiligen Schritten aus dem Raume zu leiten…

Caoimhe fluchte innerlich gefährlich unhöfisch, wenn sie an diese geballte Ladung Dummheit dachte. Oh nein, nicht das tölpelhafte Gebettel um Hilfe seitens Bekka, sondern die faule, halbherzige Diagnose der gut bezahlten Ärzte, welche auch sie über den Sommer hinweg so oft zum Aderlass gebeten und damit geschwächt hatten, bis sie ihnen den Zutritt zu ihrem Schlafgemach verweigert hatte. Narren, allesamt. Hirnlose, goldgierende Scharlatane, die eigentlich kaum etwas vom Heilhandwerk verstanden und nun allein wegen der Angst zu versagen, den alten Manne ohne den Hauch einer Behandlung verenden ließen.
Mit etwas viel Schwung, geleitet von Enttäuschung und maßloser Wut, stieß sie die Türe zu ihren Gemächern auf und trat mit eiligen Schritten ein. Für gewöhnlich zwang sie sich zu ein, zwei Stunden Schlaf nach dem Abendmahl, ehe sie doch bis spät in die Nacht noch die unzähligen, staubigen Folianten, welche sich in ihren Zimmern stapelten und alle im Entferntesten etwas mit der Kunst zu heilen zu tun hatten, studierte, doch diesmal führte sie ihr Weg zu dem kleinen Arbeitspult am Fenster und nicht in das seidig glänzende Himmelbett.
Unter diesem zog sie eine breite, gestärkte Ledertasche hervor, aus deren Inneren es seltsam hell klirrte, wie als würden kleine Gläschen aneinander schlagen. Mit ungewohnt kraftvoller Geste presste sie den Rand auseinander und blickte prüfend ins Tascheninnere:
Zarte, gläserne Phiolen, angefüllt mit eher erdfarbenen bis grünlichen Flüssigkeiten, waren adrett nebeneinander aufgereiht, in festen Schlaufen, darin zu finden und ebenso eine Menge frischer, zusammengelegter Wickel und Bandagen aus gutem Leinentuch. In festgezurrten Bündeln lagen allerlei getrocknete Blätter und Krautwerk dazwischen. Manche davon erweckten den Eindruck, dass es sich um Tannennadeln oder einfaches Heckenlaub handelte, doch war der Duft anders und intensiver. Tastend und vorsichtig wühlend tastete sie sich zwischen einigen dickeren Knollen und Wurzeln hindurch, fand im Inneren nun ein metallenes Gestell, eine Kerze, ein sauberes, kleines Kräutermesser, sowie eine einfache Steingutschale und einen Mörser samt Stößel aus demselben Material. Zufrieden nickte sie und warf dann wieder den Schatten der Taschenklappe über ihre seltsamen Schätze.
Als würde all der Tand kaum etwas wiegen, warf sie sich die Taschenschlaufe mit etwas Schwung über die Schulter und achtete nicht auf das matte, protestierende Knacken ihrer zarten Glieder, als sie den schweren Rucksack anhob und sich mit fliegenden Schritten wieder aus dem Raum machte.
Eile trieb sie an, dennoch wagte sie nicht übereilig zu hasten oder gar zu rennen. Es wäre ein ungutes Zeichen für all die Mägde, Burschen und allen voran Bekka gewesen, wenn die junge Herrin ins Krankenzimmer gestürzt gekommen wäre und damit nur einen Schwall blinde Panik, sowie Verwirrung erzeugt hätte – Ruhe war es doch, die der alte Mann nun brauchte.
Sowieso sorgte ihr Auftauchen für genug Unruhe und die ersten alarmierten, fragenden Rufe ließen nicht lange auf sich warten, als sie durch das simple Eichentürchen in den Schlafraum des Kranken trat.
„Junge Herrin? Ist etwas geschehen…?“
„Oh, schickt Euch der hohe Herr? Sind wir zu laut? Braucht er Leute?“
„Kommt nicht näher! Hynrich hat die Winterseuche, nicht dass er Euch ansteckt!“

Mit einer einzigen, energischen Wegwischbewegung gebot sie den Ausrufen Einhalt und sprach gepresst, mit halblauter Stimme mahnend in die entstehende Stille hinein:
„Schämt euch ein derartiges Geschrei in einem Krankenraum zu machen, wenn der Patient doch Ruhe und Schlaf nötiger hat, als alles andere um seine eigenen Kräfte zu finden.“, ihr Augenmerk glitt gen Bett und traf den glasigen, fiebrigen Blick Hynrichs. So etwas wie Sorge und auch Mitleid regten sich kurz in der Brust der jungen Frau und sehr bestimmt sprach sie ruhig nur in seine Richtung.
„Das wird schon wieder, Hynrich. Es handelt sich nur um eine sehr starke Erkältung, wenn es denn die gleiche ‚Seuche’ ist, die auch unsere Knechte heimgesucht hat.“
„Oh, junge Herrin“, setzte nun Bekka, die mit rotgeweinten Augen und blasser Gestalt neben dem Bett des Ehemannes stand, wimmernd ein, „Die beiden weisen Ärzte und Herr Varaleen sagen alle drei, dass es zu spät ist um noch etwas zu unternehmen. Es… es geht zu Ende mit ihm.“
Mit einem Zucken hoben sich die feinen Brauen über den Frühlingsaugen und erneut warf Caoimhe Hynrich einen Blick zu, als befürchte sie vielleicht eine ganz andere Person als Bekka zu sehen. Sicher, er war geschwächt, fiebrig und der Schleim in Nebenhöhlen und Lunge, welcher sich nicht lösen wollte, setzte ihm bestimmt zu, doch dem „Tod“ geweiht würde der Ärmste erst sein, wenn man ihm weiter jede Möglichkeit zur Ruhe nahm und so offensichtlich aufgab, dass er es auch noch hörbar mitbekommen konnte.
„Red keinen Unsinn, einfältige Kuh!“, zischte Caoimhe empört und trat energisch an ihr vorbei an den Bettrand um kurz seine Stirn mit kühler, kleiner Hand zu befühlen. Dann, noch immer von glotzenden Dienern umringt, machte sie sich Platz auf seinem Nachtkasten. Fegte Kreuze und Abschiedbriefe achtlos herab um den gewonnenen Raum mit dem drahtigen Metallgestell, der Kerze darunter, der Schüssel darauf, sowie einigen Kräuterbündeln und noch trockenen Wickeln zu füllen. Ohne sich durch die stummen Maulaffen beirren zu lassen, ging sie gedanklich ihre Arbeit durch.
Der Brenner war korrekt aufgestellt und die dicke Kerze würde noch etwas länger halten; die Steingutschale war gewaschen und bar jeglicher Garungsreste; die ‚wichtigsten’ Utensilien, die Kräuter, wurden einer genaueren Inspektion bedacht und während sie innerlich ihre Wirkungsweise aufsagte, sortierte sie alles für die geplanten Kräuterwickel und den Tee gegen die Influenza zusammen.

Mädesüss – eigentlich verwendete man es auf der Burg eher zum Süßen von Wein und Met, doch konnte es das Fieber senken, wie kein anderes Kraut.
Holunderblüte – im Frühling gepflückt und für einen solchen Moment gesammelt, um den Schnupfen zu bekämpfen und den Schleim zu lösen.
Lindenblüte – wie oft hatten die Bediensteten über den ‚Dreck’, welchen die Linde in blühender Pracht verursachte, aufgeregt und gefegt? Caoimhe hingegen hatte den ‚Dreck’ eingesammelt und gewusst, dass seine Blüten den Husten in ganz ähnlicher Weise wie die des Holunders den Schnupfen bekämpften.
Huflattich – der Auszug aus diesen breiten, oft für Unkraut gehaltenen Blättern, würde den Blüten der Linde im Kampf gegen die Hustkrämpfe und die verschleimten Lungen helfen.
Salbei – um den geschundenen Hals zu umschmeicheln, zu beruhigen und das Schlucken der Tees und Suppen rasch zu erleichtern.

Irgendetwas fehlte. Beunruhigt spähte die junge Frau in die große Tasche und versuchte sich zu konzentrieren. Wenn sie nun schon versagte, dann war jeder weitere Versuch, die Hysterie der Umherstehenden im Zaum zu halten, vergebens. Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

„Bekka, lauf und hol mir etwas Thymian aus der Küche. Dort müssten mehrere Bündel liegen.“
„Thymian? Aber… aber wozu? Das ist doch ein Gewürz…“, begann sie jammernd.
Langsam hatte Caoimhe die Dummheit der Haushälterin, welche sonst so beherrscht war und nun, wo es doch um das Wohl des eigenen Mannes ging, den Kopf verlor, deutlich satt. Ihre Antwort war unterkühlt, knapp und gereizt.
„Richtig. Zudem eines der besten Mittel gegen den Katarr. Still den Hustreiz und löst den Schleim. Verstehst du? Genau das was dein Mann braucht also spute dich!“

Als Bekka nach nur wenigen Momenten mit vielen der winzigen Thymianblättchen in den Händen zurückkam, hatte Caoimhe bereits alle anderen Bediensteten aus dem Zimmer gescheucht, etwas Wasser in der Steingutschale, unmittelbar über der Kerze, angesetzt und ihren Mörser, sowie Stößel, parat.
Sorgfältig und mit viel Geduld arbeitete sie stumm, zerdrückte und zerkleinerte die teilweise staubtrockenen Kräuter so lange, bis ein sandig anmutendes, grünes Partikelgemisch übrig blieb. Mit Bekka verlor sie derweil kaum ein Wort und hatte vielmehr den ein oder anderen beruhigenden Satz für ihren keuchenden Mann im Bette übrig. Ein dankbares, aber noch so unsicheres Lächeln traf sie kurz und bestätigte ihr, dass sein Weib ihm sein eigenes Ende tatsächlich für bare Münze verkauft hatte.
Mit zusammengepressten Lippen und nun doch einem eigenen Anflug von Nervosität fegte sie auch den letzten Kräuterbrösel in die erhitzte Schale mit dampfendem Wasser und beobachtete, wie sich die klare, reine Flüssigkeit in wenigen Augenblicken in eine grünbraune Brühe verwandelte. Aromatischer, angenehmer und reichhaltiger Kräuterduft stieg auf, der sofort in die Nase zog und auch Bekka, welche auf der anderen Seite des Betts stand, hörbar aufatmen ließ.
Dann war ihrer beider Geduld gefragt, denn obwohl das würzige Aroma längst in den Atemwegen kribbelte, brauchten die Kräuter einige Zeit im Sud, ehe sich die kräftigen Wirkstoffe ausreichend entfalten konnten. Ansonsten würde man dem alten Manne eher heißes Wasser mit einem dezenten Geschmack verabreichen und dass dann die große Besserung ausblieb, wäre nicht weiter verwunderlich gewesen.
Als man so nun lange genug dem Moment entgegengefiebert hatte, griff Caoimhe zuerst nach einem frischen Becher und bedeckte diesen mit einem der Leinenwickel. Vorsichtig fanden ihre dürren Fingerchen alsbald den heißen Schalenrand und ohne die Miene aufgrund der Hitze an der jungen Haut zu verziehen, führte sie diese über Holzbecher. Langsam, nur nichts überstürzend, goss sie die Brühe über das Tuch und beobachtete, wie der Plan tatsächlich aufging:
Die dunkle Flüssigkeit fand den Weg durch den groben Stoff hindurch und tropfte im kleinen Rinnsal in den Becher darunter, während die Kräuterstückchen auf dem Leinen liegen blieben und so gefiltert werden konnten. Mit einem erstmals erleichterten Seufzen zog sie den gewonnenen Tee unter dem Wickel zur Seite.

„Soll… soll ich den Unrat da… wegwerfen, junge Herrin?“
Bekkas dicklicher Finger deutete auf den sudgetränkten, bröseligen Leinenwickel und einmal wieder wunderte sich Caoimhe über das augenscheinliche Unwissen ihrer Haushälterin.
„Nicht doch! Diesen werden wir ihm um die Brust legen. Von dort aus steigen die Dämpfe am besten weiterhin die Atemwege.“, dann griff sie still nach dem Tee und die hellen Augen lagen kühl, beinahe herausfordernd auf dem kranken Manne im Bett, „Nun liegt es ganz an dir. Trink den Tee, Hynrich, gönn dir dann Ruhe und Schlaf und ich schwöre dir, bei meiner Liebe zum vielgesichtigen Panther und seiner lebenschöpfenden Mutter, dass du gesund werden kannst, wenn du denn gegen die Krankheit ankämpfst und dich nicht von diesem schwachsinnigen Gerede über deinen angeblich drohenden Tod niederschlagen lässt. Nun bist du an der Reihe, also kämpfe wie es von denen im Dienste der von Lilienhayns erwartet wird…“ Sie suchte nach einem Zeichen, einer Zustimmung, irgendeinen Wink, dass er sie auch wirklich verstanden hatte und fand diesen in dem auffachenden Glühen tief in den alten Augen. Mit etwas Grimm und Entschlossenheit führte er den Becher an die Lippen und trank.

Ein dünnes Lächeln umspielte die bleichen, meist blutleeren Lippen der jungen Frau, als Caoimhe etwas später die Dienstquartiere verließ. Er würde schon wieder auf die Beine kommen, dessen war sie sich sicher. Ein kleiner Anflug von Schwäche und ein weiterer Hustanfall überkam sie, kurz vor der Tür zu ihrem Zimmer. Mit viel Beherrschung wischte sie die Sorge beiseite und suchte sich nur wenige Momente später selbst Kräuter für einen wärmenden Tee zusammen.
Der Triumph gegenüber diesen verlogenen Affen von Ärzten und Heilern schmeckte unglaublich süß. Süßer noch als der erneute Geschmack des eigenen Blutes, welcher sich im Mundraum breit machte…
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Caoimhe van Lilienhayn





 Beitrag Verfasst am: 27 Nov 2007 18:45    Titel:
Antworten mit Zitat

Das Wunder – Zukunftsperspektiven

Wieder hatte sie die Nase, trotz der längst vorangeschrittenen Nachtstunde, tief in den Büchern vergraben. Das Letzte trug den schon fast nicht mehr leserlichen, vergilbten Titel „Salbenküche“ und hatte ihr Interesse mächtig gefesselt. Gerade, als ein etwas verwirrender Absatz über „Bienenwachs“ als Verdickungsmittel, ihre volle Konzentration forderte, klopfte es dreimal laut an ihrer Zimmertüre. Caoimhe schreckte ob des plötzlichen Lärms auf und klappte den dicken Wälzer, einer Eingebung folgend, eilig zu, ehe sie sich gen Tür drehte und hereinbeten wollte, doch diese sprang noch vor ihrem Wort auf und mit matt aufflauendem Entsetzen registrierte das Mädchen, dass ihr Vater mit festen, energischen Schritten den Raum betrat. Ein helles, quietschendes Geräusch ertönte, als sie den Stuhl vom Pult schon und sich pflichtbewusst erhob. Sie hatte sich, abgesehen von ihrer späten Lesephase, nichts zu Schulden kommen lassen und so erwiderte die junge Frau den gestrengen Blick ihres Vaters fragend und abwartend. Für wenige Momente fochten sie so beide eine Art Duell aus, zu Caoimhes Verblüffung gab der hohe Herr Vater zuerst nach und betrachtete plötzlich versonnen das kleine Fenster, vor welchem ihr Pult stand.

„Wenn man nun hinaussieht, dann schluckt die Nacht den eigenen Blick schon nach wenigen Herzschlägen. Dennoch empfehle ich dir, liebe Tochter, einmal hinauszuspähen und den Burghof insbesondere in Augenschein zu nehmen.“
Es war keine Aufforderung, Adhamh van Lilienhayn geruhte nicht zu bitten, es war ein Befehl und sein folgsames Kind gehorchte, wenn auch mit einem winzigen, wirren Zögern.
Rasch ließ sie den Blick über den Burghof wandern und es dauerte nicht lange, bis sie verstand, worauf ihr hoher Herr Vater hinauswollte: In der Schmiede brannte Licht und wenn man genau lauschte, dann konnte man sogar das helle, metallene Klirren, wenn Schmiedehammer auf den Rohling traf, vernehmen. Hynrich hatte die Arbeit im Hof derer van Lilienhayns wieder aufnehmen können.

Das wiederum bedeutete, dass ihr Vater bescheid wusste und von ihrer Nacht am Krankenbett mitten im Dienstquartier wusste! Mit aufkeimendem Entsetzen drehte sie den Kopf, gerade rechtzeitig um den Schlag, welchen er mit der Rückhand ausführte, noch zu sehen, ehe er ihren Kiefer traf. Sie taumelte nur leicht, hatte er bei weitem nicht auch nur den Hauch von Kraft in die Ohrfeige gelegt. Mit hochrotem Kopf hielt sie sich die schmerzende Wange und spürte, wie die Wut in ihr zu brodeln begann. Als sie diesmal einander ansahen, glomm in beiden Augenpaaren ein etwas kampfeslustiges Fünkchen, doch fand er rascher die Worte und sprach erzürnt:

„Warum hast du mir nie gesagt, dass du dich gut genug auf die Heilkunst verstehst, dass du besser Krankheiten austreiben kannst, als diese Stümper von Ärzten, die ich mit gutem Gold und Ruhm bezahle? Warum hast du mir nicht gestanden, dass der nachtschwarze Panther seine Pranke auch auf deinen Kopf gelegt und dich mit einer Gabe gesegnet hat? Warum hast du geschwiegen und mich zum Narren gehalten, so dass ich erst von einer einfältigen Haushälterin informiert wurde? Warum?“

„Ich wollte Euch nicht vor den Kopf stoßen und Eure Entscheidungen in Frage stellen, mein hoher Herr Vater“, ihre Antwort war korrekt, doch fiel der Unterton patziger aus, als geplant.
Für einen Lidschlag dachte sie, er würde ein weiteres Mal zuschlagen, jedoch sprach er nur eisig:

„Stattdessen vergeudest du unser beider Zeit. Ich muss mitansehen, wie mein Kind zu früh verwelkt und stirbt und frage mich warum der Eine unserem Haus in diesem Fall keinen Wink sendet, dabei liegt er längst in dir begründet.“, kurz schüttelte er trübe den Kopf und Caoimhe, erschüttert und gerührt über diesen Anflug von Emotionen, wollte schon den Arm nach ihm ausstrecken, als er sich auf dem Stiefelabsatz umwandte.

„Nachdem du ja schon so ‚früh’ wach bist, kannst du gleich jetzt anfangen deine Sachen zu packen. Im Morgengrauen bringt Kulmin dich in der Kutsche bis vor die Tore Rahals. Ein Botenreiter wird vorher geschickt, um deinen Geschwistern von deiner Ankunft zu berichten.“

Als er verstand, dass diese kühl herausgepressten Informationen ihr Verständnis überstiegen, legte er die Hand an die Türe und fügte noch knapp an:

„Du wirst dort mit einer Ausbildung zur Heilkundigen beginnen und den von Alatar aufgezeigten Pfad verfolgen, ob du nun willst oder nicht. Allerdings möchte ich dich daran erinnern wessen Fleisch und Blut du bist: Wage es nicht mir Schande über mein Haus zu bringen, Caoimhe van Lilienhayn!“

Kaum hatte er geendet, stieß er die Türe schwungvoll auf und entfernte sich festen Schrittes. Kein Abschiedswort, keine Glückwünsche sollten seine Jüngste auf ihrem Reiseweg begleiten. Sie sollte ruhig ein wenig leiden – doch konnte er nicht wissen, dass die Tränen, welche in just diesem Moment aus den frühlingsgrünen Augen traten und die farblosen Wangen entlangkullerten, keineswegs von Scham, sondern vielmehr unfassbarer Freude zeugten.
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