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MacAgrona - Rette sich, wer kann.
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Berek MacAgrona





 Beitrag Verfasst am: 08 Okt 2006 18:23    Titel: MacAgrona - Rette sich, wer kann.
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Rette sich, wer kann


Schilderung der Ereignisse um den Clan MacAgrona, die zum Verlassen ihrer Insel Scathlan führten ~ aus der Sicht von Berek MacAgrona:


>>> MacAgrona Geschichte Teil I - Das kalte Gefängnis <<<

>>> MacAgrona Geschichte Teil II - Der Ausbruch <<<

>>> MacAgrona Geschichte Teil III - Aufbruch zu neuen Ufern <<<


Zuletzt bearbeitet von Berek MacAgrona am 02 März 2007 13:23, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Berek MacAgrona





 Beitrag Verfasst am: 08 Okt 2006 19:17    Titel:
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Berek bahnt sich seinen Weg gen Norden
oder "Die Abenteuer des Rudwin Melchios"


Rudwin Melchios wußte nicht, ob er sich freuen oder selbst bemitleiden sollte. Auch wenn er die allwöchentlichen Wege zum Anleger von Berchgard nicht sonderlich schätzte, so konnte er sich bisher über den Profit nie beklagen, den ihm der Transport von gebranntem Lehm ins Landesinneren einbrachte. Zunächst hatte ihn der Gedanke doch etwas beunruhigt, er könnte öfter mit einem der hellhäutigen Hünen aus dem Norden verhandeln müssen, doch dem konnte er sich bislang entziehen. Der heutige Tag hatte sogar sehr erfreulich begonnen, das konnte er nicht leugnen. Die Bäckerstochter hatte ihn endlich verstohlen angelächelt, als er sich wie jeden Morgen einen Fladen als Proviant für die Reise abgeholt hatte. Doch jetzt, da er eingehüllt in eine löchrige, alte Decke den Heimweg antrat, hoffte er inständig, daß sie nicht aus dem Fenster sah. In Berchgard hatte er noch frohlockt, daß die Lehmziegel viel schneller auf seinen Karren geschlichtet worden waren als es üblich war. ‚Ha! Ein Glück nach dem anderen…’, hatte er sich zu Mittag gedacht, als er eben jene Decke über die Ware schlug, die er jetzt am Leib trug, um nicht völlig entblößt den Weg entlang zu schlurfen. Hätte sich sein Karren zur gewohnten Zeit, Stunden später also, von Berchgard in Bewegung gesetzt, er wäre wahrscheinlich früher und zufriedener heimgekehrt; doch er mußte ja unbedingt hoffen, noch heute das Mädel wiederzusehen, das ihm doch ein wenig den Kopf verdreht hatte und dessen Vater jedes Gespräch mit finster-wachsamen Blick verhinderte…

Am liebsten hätte der junge Karrentreiber vergessen, was ihm kurz danach widerfahren war, doch der Schreck saß noch immer so tief in den Gliedern wie ein Bienenstachel in der Haut. Er wollte sich am liebsten nur mehr an all die schönen Dinge zurückerinnern, an die eigene, blumig ausgemalte Zukunft, die ihm durch den Kopf gegangen war, bevor er etwas Seltsames in der Ferne erblickt hatte. Etwas, das zielgerichtet in seine Richtung gestapft kam. Er hatte zunächst nichts Genaues erkennen können, doch der Anblick hatte ihn umgehend aus seiner heilen Gedankenwelt gerissen. Er wurde langsamer. Umdrehen wollte er nicht, konnte er nicht. Mit jedem weiteren Schritt wurde ihm die Gestalt deutlicher und er mußte einsehen, daß sich sein Glück gewandelt hatte.

Ein Mann….
…. groß, bullig .…
…. eine wüste, undurchschaubare Haarmähne …
…..scheinbar leicht bekleidet.


Dann offenbarte sich ihm, daß die Wahrheit weit schlimmer war:

Ein nackter Angure.
Mitten auf seinem Weg und er hielt direkt auf ihn zu.


‚Ruhig bleiben’, hatte sich Rudwin eingeredet: ‚Sicher geht er nur an Dir vorbei und es war ihm einfach zu heiß hier.’ Und vor allem ‚Vielleicht, nein, hoffentlich ist er guter Laune.’ Doch je schärfer er die Konturen des unwirsch versteinerten Gesichts ausmachen konnte, desto sicherer war er, daß sich keiner seiner Wünsche erfüllen würde. Die letzten paar Dutzend Schritt Distanz verronnen viel zu schnell und es blieb nichts anderes als stehenzubleiben und auf das unvermeidliche zu warten. Noch jetzt, da alles längst ausgestanden war, empfand er es noch so lebendig, daß er Temora inniglichst anflehte, er möge in Zukunft vor derartigem verschont bleiben. Seltsam, daß das Einzige, woran er sich noch bildlich erinnerte, weniger das Gesicht des Riesen war, schon gar nicht die Augen, die er tunlichst vermieden hatte anzusehen, sondern daß der Nordmann seine Intimitäten hinter einem runden Brocken schmelzenden Eises verborgen hielt.


Die paar Herzschläge, die beide stumm voreinander standen, vergingen Rudwin wie bange letzte Momente seines jungen, unverbrauchten Lebens, dann hörte er ein paar Worte. Die Sprache der Anguren! Das hatte er sofort erkannt und war richtig stolz darauf. Einfache Teile davon hatte er von Händlern und Matrosen gehört. In diesem Moment war ihm, als hätte ihm dieses spärliche Sprachwissen sein Leben gerettet…

„Ich will Deine Kleider, Deine Schuhe und Dein Pferd.“

Rudwin hatte nicht diskutiert. Keine Frage. Es war nicht an ihm, so einem Flegel von Anguren Manieren beizubringen. Als er hatte mit ansehen müssen, wie der bedrohliche Wüterich die Ärmel seiner Weste abriß, um diese überziehen zu können, drängte sich ihm das Bild auf, er selbst sei das Kleidungsstück und die Ärmel seine Arme. Er hatte sogleich auch noch seine letzten Goldmünzen hingestreckt ohne danach gefragt zu werden. Nicht, daß das Monstrum sie später gefunden hätte und sich betrogen fühlte… Da war der junge Mann sehr genau. Er hatte ja nicht den Eindruck erwecken wollen, daß er etwas versteckt oder daß er nicht bereit wäre, für seine Arme und sein Leben alles zu geben. Und dieses hatte er ja behalten, ebenso wie die Decke und den beladenen Karren. Sogar den Esel, um ihn zu ziehen! Deshalb war er sich auch unsicher, ob er sich freuen oder bemitleiden sollte. Die ersten Häuser seines Dorfs kamen in Sichtweite und er war noch immer deutlich früher dran als an den anderen Tagen. Wieder sah er einen Menschen, den er lieber nicht sehen wollte. Und der vor allem ihn nicht sehen sollte.

Bewußtes Mädchen saß auf einem Hügel, der den Weg flankierte, und mußte ihn schon ein Weilchen beobachtet haben, nur war es ihm nicht aufgefallen, so unaufmerksam war er ganz in Gedanken dahingetrottet. Sie nahm aber nicht reißaus vor seiner ärmlichen Erscheinung, wie er angenommen hatte; sie kam ebenso direkt auf ihn zu wie der Angure Stunden zuvor, bestürzt, oder sogar besorgt? Rudwin Melchios beschloß, den Tag nicht vor dem Abend zu verdammen. Immerhin hatte er nun ein Gespräch ohne Aufsicht gewonnen und obendrein davon zu erzählen… wie er sich mutig einem Haufen Angurer entgegengestellt hatte.



*****


Etwa ebensoweit entfernt vom Ort ihres Zusammentreffens – jedoch in entgegengesetzter Richtung – tat Berek MacAgrona sein bestes, um strammen Schrittes voranzukommen. Er wußte, daß eine große Verantwortung auf seinen Schultern lastete und er seinen Nächsten einiges schuldig war; daß sie auf ihn vertrauten. Er war davon überzeugt, daß sie noch lebten, doch um sicher zu sein, mußte er sie wiederfinden. Seine verbissene, angespannte Laune hatte sich etwas gebessert, seit er wieder Stoff am Leib trug. Notwendig war es nicht, denn es war warm und die Landschaft war saftig und grün, wie er es noch nie gesehen hatte. Das machte den Reiz der Kleidung auch nicht aus. Vielmehr war er froh, endlich die letzte handfeste Erinnerung an die eisige Scholle losgeworden zu sein, mit der sie ‚gereist’ waren. Nun konnte er auch schon damit beginnen, zu vergessen und dafür brauchte sich Berek meist nicht einmal zu konzentrieren. Es ging ganz von selbst. Zu vergessen, wie er die kleine Gruppe von Clansbrüdern auf die Ebene geführt hatte, auf der das Eis besonders dünn und brüchig war und wie er den alten Weisen ruhig stellen mußte. Zu vergessen, wie sie auf dem weiten Meer dahintrieben waren und Berek als Einziger ein hoffnungsvolles, grundgutes Gefühl gewahrt hatte bis sie endlich eine Region erblickten, die an Scathlan, ihre Heimat, erinnerte. Zu vergessen, wie sich sein Gefühl dem der anderen anglich, als die Scholle an jener Insel vorbeigetrieben war und begonnen hatte, sich aufzulösen. Zu vergessen, wie sie auseinanderbrach und er alles Schwere den Tiefen des Meeres übergeben hatte und schließlich auch noch die vom Wasser vollgesogenen Felle abstrampeln mußte, um bis zum Ufer schwimmen zu können. Es mußten nur die anderen auch vergessen, wozu er sie genötigt hatte…

Bereks Laune war seitdem schon mehrmals umgeschwenkt zwischen dem Versuch, sich zu konzentrieren auf das, was vor ihm zu bewältigen war und dem gerechten Zorn auf all die ärgerlichen Ereignisse, die hinter ihm lagen. Umstände, die ihn beschäftigten, vorwärts trieben, aber auch ärgerten, gab es zu genug.

Getrennt zu sein von den anderen, deren Schicksal ungewiß ist…
Bearnards Axt verloren zu haben und seine Tochter obendrein…
Durch ein Land zu gehen, das sich unwirtlich und fremd anfühlt…
Kleidung am Leib zu tragen, der er schon vor dreißig Jahren entwachsen war…
Einen Bärenhunger zu haben…


Als ihm sein leerer Magen bewußt wurde, mußte er an den Mann zurückdenken, der ihm tatsächlich sein klein geratenes, seltsames Viech gegeben hätte. Leider war es nicht von großem Nutzen, einen so lahmen Gaul zu reiten, bei dem einem die Füße auf dem Erdboden streifen. Noch ein Grund mehr, sich zu ärgern. Er hätte es immerhin mitnehmen und essen können, dieses merkwürdige Tier. Der Junge hätte es vielleicht sogar mit ihm zubereitet, so hilfsbereit war er gewesen. Es waren verwunderliche Sitten in diesem Land, doch Berek sollte es nicht stören. Er hatte aus Erzählungen dieses oder jenes Gerücht gehört über allerlei wundersame Dinge in der Welt. Dunkel erinnerte er sich, von einem Volk der Zwerge gehört zu haben, die man an ihrem kleinen Körperwuchs erkennen konnte, doch daß sie so freigiebig waren, das überraschte und beschäftigte ihn ein ganzes Weilchen. Vielleicht konnte man hier ja alle notwendigen Dinge beschaffen, indem man sie nur nannte. Wenn dem wirklich so war, dann hätte er die Zukunft für seinen Clan schneller gesichert, als er es jemals erhofft hatte. Im fortwährenden Kampf seiner Gemütslage begannen Zuversicht und Zielstrebigkeit die Oberhand über Verbitterung und Groll zu gewinnen… wenigstens vorerst. Er würde das schneebedeckte Land finden, an dem sie vorbeigetrieben waren… bald schon.


Zuletzt bearbeitet von Berek MacAgrona am 06 Nov 2007 14:38, insgesamt einmal bearbeitet
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Berek MacAgrona





 Beitrag Verfasst am: 13 Dez 2006 14:33    Titel:
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Eingenistet auf Fuachtero



Ohne große Eile schob sich der beleibte Angure dem Licht entgegen, das den Durchbruch aus dem kühlfeuchten Inneren des Berges an die Oberfläche bedeutete. Fahl und farblos erschienen ihm die Felsen und Stalagmiten, an denen er sich seinen Weg vorbei bahnte. An anderen Stellen, wo sich der feuchte Lebenssaft der Insel zusammengefunden hatte und gefroren war, glänzten die Tropfen wie kleine Kristalle. Eisplatten spiegelten den Lichtstrahl vom Ausgang wieder, als wären sie eigenständige Lichtquellen. Die festen, fellumwickelten Stiefel des Nordmannes dämpften die Geräusche der Schritte trotz seines immensen Gewichts. So konnte er trotz der Bewegung die scharrenden Laute vernehmen, die aus einem der Seitenschächte an sein Ohr drangen und bekundeten, daß er in der Höhle nicht alleine war. Es mußten sich noch Dutzende, vielleicht Hunderte riesenhafte Wesen in den Tiefen des Berges eingenistet haben und das konnte Berek nur Recht sein. Es bot sich selten die Gelegenheit, gegen etwas anzugehen, das ihm an Stärke überlegen war. Hier hingegen konnte ihm ein direkt abgeblockter Hieb vermutlich den Arm abreißen und das war gut so, denn es hielt ihn in Bewegung und bei Konzentration.

Die letzten natürlichen Stufen bergan, dann begrüßte er mit einem entspannten Gähnen die morgendliche Sonne, deren Strahlen auch am höchsten Stand weder Nordwinde, noch Eis brechen konnten. Wieder an der Oberfläche, schon fühlte er sich deutlich wohler. Wie viele Ereignisse in seiner Vergangenheit hatte auch der Unfall auf Scathlan Spuren hinterlassen. Jugendliche Waghalsigkeit und unbedachte Kühnheit waren durch all das Erlebte aus seinem ungestümen Gemüt gewichen. Prägende Erfahrungen in den Jahren, die er in der kalten Wildnis verbracht hatte, hatten sie zu unerschrockener, umsichtiger Entschlossenheit gewandelt. So fürchtete Berek die felsige Höhlendecke über seinem Kopf nicht wirklich, doch jedes Knacken und Scharren unbekannter Herkunft ließ ihn die Ohren anlegen und er spürte, wie sich etwas tief in seiner kraftstrotzenden Brust verkrampfte. Das Gefühl fiel sofort ab, da er den hohlen Bauch des Berges verlassen hatte. Entspannt und für einen Moment losgelöst von allen Sorgen, streckte er beide Arme weit von sich. In der einen Hand hielt der Angure die riesengroße Axt, die einen bleibenden Eindruck auf die Kreaturen der Tiefen hinterlassen hatte. Das Blatt war verschmiert von einer dunkelroten, bereits eingetrockneten Flüssigkeit, wie es unmöglich das Blut eines Menschen sein konnte. Die Finger der anderen Hand umklammerten fest ein Horn, an welchem noch ein beinahe vollständiger Schädel hing ~ ohne den zugehörigen Körper. Bemerkenswerterweise tropfte kein Blut aus dem durchtrennten Stumpf, der einmal Bindeglied zwischen dem Leib der Kreatur und der erstarrten, hämischen Fratze gewesen sein muß.


Erst bei dem brauchbaren Tageslicht bekam Berek die Gelegenheit, seine Trophäe richtig zu betrachten und hielt mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. „Na Du schiaches Flatterviech…“, schnaubte er tief und belegt, als könne ihn der Überrest des Dämonen noch verstehen: „ … woll’n wir Dich amal dem Jall zeig’n. Komm, Komm…“. Die spitze, unnatürlich dicke Zunge der Kreatur hing wie erwartet weiterhin schlaff aus dem Maul, keine Reaktion. „Gomaith“, und der Angure setzte seinen Weg fort. Schon nach wenigen Schritten gab der Fels den Blick auf die darunterliegende Ebene rund um Andraste frei. Jall würde sicherlich noch schlafen, wie er es meistens tat um die morgendliche Stunde. Vielleicht hatte er sich auch wieder vollaufen lassen mit irgendeinem selbst hergestellten Fusel und schlief deshalb so lange. Oder er braute gerade eben an einem solchen Fusel, um sich anschließend damit vollaufen zu lassen. Berek überlegte bei sich, was ihm von beidem weniger behagte, doch konnte er sich nicht recht entscheiden. Es war auch nicht sein Bier und er würde dem Alten nicht in die Quere kommen deswegen. Selbst Hallbrand hatte meist darüber hinweggesehen und überhaupt: Wer konnte denn auch feststellen, ob Jall-Argayth angetrunken war oder ihn eine Vorhersehung zu befremdlichen Verhalten brachte?

So lange Berek den Clansmimir auch kannte, von Urgestein zu Urgestein, er konnte sich nie sicher sein, ob es Jalls natürliche Eigenwilligkeit war oder ob er sich diese vorübergehend durch eine kleine, verborgene Sauferei angeeignet hatte. Doch auch das spielte keine Rolle, weise war er – hin oder her – und sicher war jeder MacAgrona froh, ihn bei sich zu haben. Froh, daß jemand getan hat, was getan werden mußte. Dem alten Fischfummler den Schreck seines Lebens zu versetzen, indem man ihn gegen seinen Willen auf die Scholle gezwungen hatte, dafür waren die anderen Berek sicher heute noch dankbar. Insgeheim natürlich. „Hrrrrm…“, vielleicht nicht sofort aber mit der Zeit würden sie ihm auf jeden Fall dankbar sein müssen, denn sonst wären weder sie, noch Jall hier. Mit dieser Überzeugung im Hinterkopf bahnte sich der Koloß seinen Pfad durch den knöcheltiefen Schnee den Berg hinab, Andraste entgegen. Den Gedanken, was passiert wäre, hätte der einzige Mimir des Clans in den Wogen des Meeres den Weg zu den Ahnen gefunden, noch dazu ohne sein Wissen weitergegeben zu haben, hatte Berek erfolgreich verdrängt. Diese Bedenken, dieser kleine Funke eines schlechten Gewissens, waren ohnehin erst aufgetaucht, als er schon gehandelt hatte. Und das war bei ihm auch ungeachtet seines Alters keine Seltenheit, wenn er denn erst einmal von etwas überzeugt war.

Das Wohlwollen der Vorfahren hatte wider aller Erwartungen und Zweifel dafür gesorgt, daß sich die Gruppe nach der Schollenfahrt wieder zusammengefunden hatte; und das auch noch lebendig!
Wenn das kein Zeichen der Ahnen war, das Richtige getan zu haben und sich rechtzeitig von Scathlan zu verabschieden…. ehe man mit den Resten der Eisinsel im Meer treiben würde.
Eine Prüfung, die der Clan ~ jeder von ihnen ~ zu bestehen hatte, um fortzubestehen und stärker zu werden. Wenn es nach Berek ging, so würden sie diese Prüfung alleine bestreiten. So wie es auch in der Vergangenheit Chieftain um Chieftain geschafft hatte, mit seinem eisernen Willen alleine jeden Widerstand zu brechen. Ganz gleich, was den Fortbestand des Clans gefährdet hatte, es wurde jede Gefahr abgewendet und gebrochen, sonst würde er heute nicht mehr atmen, vielleicht nie geatmet haben. Alleine; Alleine durch Einheit und Zusammenhalt…


Just als der Boden unter den abgetretenen Fellstiefeln flacher wurde und die Ebene von Andraste ankündigte, durchzuckte ein Gedanke wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Gehirnwindungen des abgeklärten Anguren. Etwas, das ihm nicht recht behagte und sich gar nicht in sein festgefahrenes Gedankenbild fügen wollte. Doch jetzt, da die Häuser der MacIora zwischen den dichten Nadeln der Bäume immer größer wurden, mußte er zwangsläufig daran denken, wie er das erste Mal diesen Anblick erlebt hatte. Wie er, zunächst noch alleine und im unklaren über den Verbleib der anderen, hier entlang geführt worden war. Weg vom Hafen, hin zu der Felswand, die so steil war, das sich nicht einmal der Schnee auf ihr festhalten konnte, der damals beständig vom Himmel gefallen war. Er war in den scheußlichen Kleidern eines kleinen Kerls hinterhergetrottet und hatte alles genau im Kopf behalten. Er erinnerte sich. Eine helle Stimme konnte Berek vernehmen, aber nicht durch seine Ohren; weiblich und mit etwas kindlich verspielten darin: „Hui…. Das Jahr schneit es schon früh, der Winter kommt schnell.“ Sie wurde nur von dem knirschenden Stapfen seiner Schritte übertönt, die bei jedem Aufsetzen Schnee zusammenpreßten. Der Wald ringsum war still, als der Angure die letzten Baumreihen hinter sich ließ. Er hatte nun freien Blick auf die Felswand und den Anfang eines schmalen Landstreifens, der sich hinter dem Berg außerhalb seiner Sichtweite hinfort schlängelte. Da war er bei seinem ersten Besuch auf der nordischen Insel entlang gegangen. Nein, er war nicht von alleine gegangen, sondern geführt worden …


Der Weg nach Machad.
Zoe.
Sullivan.


Nun wußte Berek, was ihn an der kurzen Reflexion gestört hatte und was seine heile, unangetastet engstirnige Gedankenwelt erschütterte.


Zuletzt bearbeitet von Berek MacAgrona am 06 Nov 2007 14:50, insgesamt einmal bearbeitet
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Berek MacAgrona





 Beitrag Verfasst am: 30 Jan 2007 15:15    Titel:
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Der Wegweiser der Ahnen
... nach Machad (Teil I)



Zu jenem Zeitpunkt hatte er nicht erahnen können, daß der Weg nach Machad ihn bald einholen würde. Ein Zeichen der Vorfahren, das mußte es gewesen sein. Ganz ähnlich dem Eisbären, der Berek den rettenden Ausweg von Scathlan gezeigt hatte. Gerade so als würden die Ahnen durch den Wind verschleiert Anweisungen an sein Ohr tragen, die sich dann tief in seinen Schädel schlängeln. Manchmal dauerte es, bis die Botschaft ihren Weg in die Gedanken eines Anguren gefunden hatte; selten war sie so unmißverständlich wie das warnend aggressive Brüllen eines Eisbären, den man mitsamt Nachwuchs in einer Höhle aufgestöbert hatte. Aber auch das kam vor. Die meisten von den überdeutlichen Ratschlägen hatten über Generationen ihren Niederschlag in Traditionen gefunden, deshalb erschienen sie einem nicht mehr einzigartig und fremd. Daß sie dennoch von den Vorfahren kamen, daran bestand kein Zweifel, denn zu Lebzeiten hatten sie diese schon übermittelt. So schloß sich der Kreis.

Als Berek vor einigen Sonnenläufen an Machad dachte, an Zoe, Sullivan und ihr ungewisses Schicksal, da hätte er geschworen, es wäre aufrechtes Interesse an ihrem Verschwinden und Sorge um ihr Wohl, das seine Gedanken gelenkt hatte. Freilich war auch das ein Teil von seinem Empfinden, er wußte gut, daß er in ihrer Schuld stand und diese vermutlich niemals begleichen würde können. Doch niemals hätte er sich ausgemalt, daß sich hinter all den Erinnerungen an die beiden und ihr angezuckertes Dorf ein Wink in die Zukunft seines eigenen Clans verbarg. Das war es, was die verschlungenen Pfade und sorgsam vorbereiteten Fügungen der weisen Vorfahren ausmachte. Die wahrhaftige Herausforderung war es, ihr Wohlwollen aufzufangen und es richtig zu deuten. Wenn es etwas gab, was Berek fürchtete und was den Eisberg an Selbstsicherheit zum Bröckeln bringen konnte, dann die Zahl der verpassten Gelegenheiten, wo er nicht wach genug war oder noch nicht bereit, zu verstehen.


Vieles offenbarte sich erst im nachhinein, um mahnend daran zu erinnern, stets die Umwelt zu beachten. Das hatte Berek bereits gewußt, denn erst im nachhinein erkennt man, ob die Entscheidung richtig oder falsch war. Den Jüngeren erklärte er es wie das Erklimmen einer steilen, vereisten Felswand, auch wenn seit seinem letzten Klettererlebnis gut drei Jahrzehnte vergangen waren: Ob man seine Beine der richtigen Stelle anvertraut hatte, ob die Finger am rechten Fleck Halt suchten, wußte man erst, wenn man von Erleichterung erfüllt oben angekommen war oder der überraschte Aufschrei des Absturzes in der letzten Gletscherspalte verhallt war. Erst dann hatte man Gewißheit. Soviel wußte er nach all den Erfahrungen seines Lebens, und so vieles anderes wußte er noch nicht. Daß sich die vorgezeigten Wege der Ahnen auch in den eigenen Gedanken zeigen können, das war ihm zum Beispiel neu. Doch so mußte es sein. Im nachhinein war alles schlüssig und einfach gehalten, so wie er selbst auch denken würde. Verwunderlich?

Er hatte an Machad gedacht und nun stand er in Machad.
Er hatte den Weg nach Machad gesehen und kurze Zeit darauf war er ihn mit den seinen gegangen.


Nicht etwa, weil sie es wollten, sondern weil es der einzige Weg war, der ihm sicher erschien, weg von der Katastrophe, die sich über Andraste hermachte. Keinen einzigen Verlust hatte seine tapfere Gruppe zu beklagen und sie alle ertrugen die Ohrfeigen des Unwetters ohne auch nur ein Murren. Zumindest war das die Realität, wie sie aus Bereks eigenen Augen aussah und selbst wenn es nicht so war ~ Seine Sturheit könnte ausreichen, um sie dahingehend zu ändern. In dem Sturm, der Andraste in einer abgehenden Lawine hinfortgerissen hatte, hätte er keinen der seinen verstanden, selbst wenn sie hellauf um Hilfe geschrien hätten. Doch das war ein Teil der Realität, mit dem sich Berek nicht befaßte. Sie waren durchgebeutelt, doch erhobenen Hauptes in Machad angekommen und das war es, was zählte. Was ebenso viel zählte:

Er hatte an ein Schiff gedacht und nun hatten sie ein Schiff.
So war es ihr aller Wunsch und so war es geschehen.



Unschuldig still und doch von den Kräften des Windes in Mitleidenschaft gezogen, lag der Kahn der MacDraig in Machad, als sie das Dorf vorgefunden hatten. Keine Spur von Leben, keine Anzeichen von atmenden Anguren. Ganz so, wie Calan es berichtet hatte. Berek ließ sich nichts anmerken und womöglich nahm er es nicht einmal bewußt wahr, daß er das Verschwinden der MacDraigs mit seinen eigenen Augen versuchte aufzuklären. Doch da war nichts. Weder warme Worte des Empfangs, noch nervtötendes, hysterisches Herumgekeife. Ernüchternd war der Gedanke, daß er an Ort und Stelle ein Huhn hätte packen können und ihm den Hals umdrehen, ohne daß jemand das panische Gegacker zum Anlaß genommen hätte, ihn aus dem Dorf werfen zu wollen. Die aufkeimende Erinnerung reichte aus, um alledem eine stechend erheiternde Note zu geben. Ausgesprochen hatte er es nicht und verzichtete der angenehmen Ruhe wegen auf das erheiterte Grinsen mancher Clansbrüder, das ihm sicher gewesen wäre. Auch nach all den Tagen in Machad, dem emsigen Ausbessern an Schiffsrumpf und Segel, konnte sich Berek nicht losreißen von den Anguren, die diesen Ort belebt hatten. Wenn er an den inzwischen demolierten Hütten der beiden Bekannten vorbeiging, durchschnitt etwas unerfreulich und beharrlich seine Pläne und Hoffnungen, um ihn an die MacDraigs zu erinnern. Nie reichte es aus, um ihn abzulenken und so setzten sich diese Gedanken in seinem Hinterkopf fest, um darauf zu warten, behandelt zu werden; ganz wie ein lästiger Floh, dessen Zwicken man zwar ignorieren kann, der aber immer weitermacht, bis man ihn endlich aus dem Fell zupft und erschlägt. Jeder MacAgrona an seiner Stelle, würde nur zu gut wissen, woher das Zwicken kam. Berek würde sich um den Floh kümmern, doch erst wenn das Schiff auf hoher See war, auf dem Weg nach Scathlan.


Zuletzt bearbeitet von Berek MacAgrona am 06 Nov 2007 14:56, insgesamt einmal bearbeitet
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Berek MacAgrona





 Beitrag Verfasst am: 01 Feb 2007 21:09    Titel:
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Das Eismeer wartet (nicht)




Die letzten Nächte waren nicht immer so ruhig verlaufen, wie es für Berek wünschenswert war. Eine Nebenerscheinung des fortschreitenden Alters. Für Lärm während der Schlafenszeit hatte er zwar zeitlebens nichts übrig gehabt, aber mit jedem weiteren Jahr erschien ihm auch jedes zu laute Geräusch während des Tages als störend und ließ seine hart anerzogene Geduld rapide schwinden. Einzig für seine eigene Stimme galt dies beispielsweise nicht oder für jede Art von Unruhe, für die er selbst verantwortlich war. Genaugenommen war er auch dafür verantwortlich, daß Oengus noch lange nach Sonnenuntergang einen Korridor für das Schiff in das Eis hämmerte, denn er selbst hatte ihn in höchstem Maße gelobt und motiviert. Und jeder im Clan wußte, was es bedeutete, wenn Oengus sich etwas fix in den Kopf gesetzt hatte, weil er sich mit einem Mal unentbehrlich wichtig fühlte: Mit bestem Gewissen und darüber hinaus würde der rundliche Riese die ihm auferlegte Aufgabe ausführen, ganz gleich, was sich ihm in den Weg stellte, ganz gleich, was es ihn für übermenschliche Anstrengungen kostete und auch ganz gleich, wen er damit vom Schlafen abhielt. Die von Caitlin geäußerte Hoffnung, die über das Land kriechende Finsternis würde dem Hämmern und dem dazugehörigen Schnaufen Einhalt gebieten und den angurischen Koloss zurück in die Hütte treiben, erwies sich als Reinfall. Sie war neben Berek nicht die Èinzige, die wach gehalten wurde, aber das Alter hatte ihn, wie auch Jall einiges gelehrt. Dazu gehörte neben all den überlebenswichtigen Erfahrungen auch die eine oder andere nützliche Kleinigkeit. Wie zum Beispiel das Maul zu halten und sich nicht anmerken zu lassen, daß man selbst auch nicht schlafen konnte. Am Ende würde ja doch einer der Jüngeren zuerst die Geduld verlieren, sich hochquälen und seinen Hintern in die beißende Kälte der Nacht bewegen, um mit Oengus zu reden. Der jugendliche Übermut mußte sie dazu treiben und würde dafür sorgen, daß die ehrwürdige Nachtruhe der Älteren nicht auf so unerfreuliche Weise gestört würde.

Elryk durchbrach das stutzige Schweigen der Wachgebliebenen und der sich schlafend Stellenden, um einen neuen Keim zu sähen: "Irgendwann wird der auch müde, was Berek?" Keine Antwort. Niemand reagierte. Dennoch bereitete ihm das nun ernstlich Kopfzerbrechen. Hatte man etwa gemerkt, daß er doch noch wach war? Am Ende stellte sich der Mimir überzeugender schlafend als er. Oder konnte der Alte tatsächlich schlafen? Konnte das sein? Er war sich nicht sicher, denn die frostige Stille trug das Hämmern weit über die flache, zugefrorene Wasseroberfläche an die Fenster der Hütte. So konnte man sich nie ganz sicher sein, ob der dösende Atem aus der dunklen Ecke der Hütte echt war oder der Alte nur gut spielte. Ein Schmatzen. Dann war es überraschend weg. Doch der Vorfreude war es zu viel, denn es ging über in ein vernehmliches, gleichmäßiges Schnarchen. Jall-Argayth schlummerte also ungestört in Seelenruhe. Das wollte Berek ganz und gar nicht behagen, denn die Jüngeren waren scheinbar doch zu faul, um etwas zu unternehmen und immer aufdringlicher war der unbekömmliche Gedanke, er selbst könne nun auch schon von siegreichem Kräftemessen und erfolgreichen Jagden träumen. Er versuchte es mit aller Gewalt. Eine Axt in seiner Hand, das war gut. Wieder gnadenloses Hämmern, das war weniger gut. Konzentration, nun brauchte es nur noch einen Feind von ansehnlicher Statur und der Schlaf konnte beginnen. Ulfhar von den MacGaulich.. zu leicht... Kelvar... zu jung... Die Axt drohte bereits zu verschwimmen und in einem letzten verzweifelten Versuch gab Berek alles, um sich zu konzentrieren...


"Roar.. !!"
Ein ungebändigter, tierischer Schrei.
Zwecklos.



Mit beherztem Austreten befreite sich Berek von all dem Fellwerk, mit dem er zugedeckt war, und machte sich nicht einmal die Mühe, sich großartig darin einzuhüllen, als er auf die Türe zuhielt. Ließ er grinsende Gesichter zurück? Darauf hatte er nicht geachtet und womöglich hatten sie alle nur darauf gewartet, daß er die Sache in die Hand nahm. Sie wußten sicher, daß nur ein Sturschädel dick genug war, um Oengus wieder umzustimmen und dieser Sachverhalt war das größte, unausgesprochene Kompliment, das man ihm machen konnte. "Ähähähä...", begleitete ein vertrautes Lachen das Schließen der sperrigen Holztür. Gut, der Alte hatte sich also nur schlafend gestellt, sollte er seinen Spaß haben. Immerhin hatte er gut mitgewirkt an der Befreiung des Kahns aus den Eisklauen des Wassers, die ihn fest umklammert gehalten und einen Aufbruch unmöglich gemacht hatten. Jeder hatte seinen Teil geleistet, denn jeder war untrennbar mit dem Schicksal der auf Scathlan Zurückgebliebenen verbunden und würde den Ahnen einmal Rechenschaft ablegen müssen, wenn er nicht alles ihm mögliche getan hatte. So war es nicht verwunderlich, daß Oengus so ungemein verbissen arbeitete, auch wenn er die direkten Konsequenzen nicht einmal vor dem schielenden Auge hatte. Womöglich trieb ihn eine innere Kraft, so wie Berek damals an Machad denken mußte. Wo war der Koloss aus Knochen, Fleisch und jeder Menge Fett jetzt genau? Am knappen Schiffssteg angekommen, war Oengus nirgends auszumachen. "Roar..!", tönte es markerschütternd über die leergefegte Ebene eisigen Untergrundes. Dank des mimirschen Gebräus war das Eis um den Schiffsrumpf weggebrannt und aufgelöst, den Rest des Korridors hatten sie begonnen mit allerlei stumpfen Hiebwerkzeugen freizulegen. Das Schiff war unter Segel gesetzt worden, um beim Aufbrechen des Eises mit etwas Druck nachzuhelfen und das hatte scheinbar besser funktioniert als angenommen, denn das Schiff war...
...weg!?
Die Momente, in denen Berek seinen Augen nicht traute, waren sehr rar gestreut, doch in diesem Fall hätte er gerne eine Ausnahme gemacht. Das Schiff war nicht vor dem Steg, Anker hatte es ja keinen mehr gehabt, aber das Eis hätte es doch bislang aufhalten müssen...

Beklemmende Finsternis umgab ihn und drohte ihm die Zuversicht zu vermiesen. Nicht etwa aus Angst oder weil er kaum etwas erkennen konnte, es war etwas anderes: Genauso wie das Schiff waren die Perspektiven für den Clan aus seinem Sichtbereich entschwunden. Eine aufkeimende Bedrohung für den Clan bedeutete ein klammes Gefühl in Bereks Innerem, wie es wenig schaffte, seine robuste Schale zu durchbrechen und ihm nahe zu gehen. Die folgenden Herzschläge vergingen langsam und trommelten ihm eine Erkenntnis in den Schädel, die ihm noch weniger behagte und den ersten Zweifel aufscheuchte wie ein junges Karnickel. Hatte er gar seinen impulsiven Tatendrang eingebüßt mit dem Fortschreiten des Alters? Er dachte zuviel, das war es. Und zu viel denken konnte auch gefährlich sein, genauso wie zu wenig davon. Leicht bekleidet wie er war, stürmte er hinaus auf das Eisfeld, welches im Sommer vermutlich von Wellen dahingetriebenes Naß war. Immer in ausreichendem Sicherheitsabstand zu den Rissen im Boden, entlang am Ufer der aufgebrochenen und zertrümmerten Eisbrocken. Ja, da war etwas großes, breites.. Noch etwas anderes, Bewegung! Das sanft geblähte Segel, zum Wohlgefallen Bereks stand es nicht richtig im Wind, und da war auch Oengus, der neben dem Segel herrannte. Durch das spärliche, gespenstische Licht der Nacht konnte man beides nur an den hellen Farben erkennen, aber sein Clansbruder mußte neben dem Schiff herlaufen und sich daran erfreuen. "Oengus... Ni' gut..!", preßte Berek angespannt und gezwungen aus seinem Leib, mahnend und schockiert. Doch bei so viel hechelnder Verzückung brachte er es nicht einmal zu dem zornigen Tonfall, der angemessen wäre ob der verzwickten Situation.


"Ni' gut..!", und ein rügendes Kopfschütteln im Vorbeieilen an der massigen Gestalt zeigte verspätet seine Wirkung. Die prekäre Lage schien endlich auch Oengus bewußt zu werden, wenngleich nur Bereks Anspannung auf ihn übergriff und es sehr zweifelhaft war, ob er denn überhaupt den Auslöser dafür begriffen hatte. Beide hasteten sie neben dem Segelkahn her, Wind kam auf und die klirrende kalte Luft aus Richtung des Meeres sorgte für Gänsehaut ob all der unbedeckten Stellen. Doch davon bemerkte Berek nicht einmal etwas, zu verbissen in seine Aufgabe, welche auch immer das nun sein sollte. Es war nicht schwer, mitzuhalten, aber umso kniffliger, sich in dieser Hast etwas einfallen zu lassen, wie man das Schiff stoppen konnte. Als hätte das Eis selbst seine Gedanken verstanden und wollte ihm zeigen, wie es gemacht wird, blieb der Kahn überraschend hängen. Das Holz knirschte unheilverheißend, jeden Moment erwartete Berek, der noch ein paar Schritte weitergetrottet war, ein besiegelndes, resignierendes Bersten. Der Rumpf hielt stand. Das Schiff war gestockt, doch das war nur ein gutmütiger Wink zu ihren Gunsten, der nicht ewig halten würde.

Jetzt waren Bereks Gedanken wieder so klar wie das Wasser, neben dem er nur einen Schritt entfernt stand auf gefrorener, schneeüberzogener Oberfläche. Er wußte, daß es keine Verzögerung geben durfte und genauso wußte er, was nun notwendig war, um seinen Clansbruder aufzurichten und zu belohnen für seine Mühen bis spät in die Nacht. Das war seine Domäne. Das war wie ein beherzter, von Rage und Überlebenswillen gespeister Kampf. Das, was Berek ohne auch nur sein Gehirn zu bemühen wie auswendig richtig machte: "Oengus.. d's hast gut g'macht. Gomaith.. Sag'ch..". Dabei umfaßten seine beiden riesigen Hände unnachgiebig fest die Reling, die langen Fingernägel bohrten sich in das Holz; auch wenn er auf dem Eis keinen Halt fand und ohnehin eine ungünstige Position innehatte, er würde sich eher von dem Schiff mitreißen lassen und sich die Zehen abfrieren, anstatt es loszulassen. Das Eis unter ihm knackte, wieder einmal nicht gut, doch das ließ er seiner Stimme nicht anmerken, die heiser belegt dahinpolterte, aber dennoch gutmütiges Lob für seinen Clansbruder bereithielt: "Oengus fleiß'g. Fleiß'ger MacAgrona is'n guter MacAgrona, hrr..? Jetza packst' das Schiff und ziehst es so fest'D kannst her.. 'ch komm gleich wied'r." Der Koloss tat wie ihm geheißen, etwas dümmlich entgegnete er noch: "Schiff fahren..!" - "Ab'r noch ni't jetza.. spät'r fahren. Halt's fest..", brüllte Berek ihm roh entgegen und eilte zurüber über das Eis nach Machad. Nur nicht einbrechen, nur nicht stürzen, möglichst schnell. "Zeig was'D kannst..", gab er seinem Clansbruder noch einen letzten Ansporn, dann widmete er sich mit wildem Geplärr dem Aufschrecken der anderen. Es wirkte. Noch ehe er die Blockhütte erreicht hatte, standen die ersten vor der Tür...



Eine halbe Ewigkeit, das Zusammenraufen der allernotwendigsten Habseeligkeiten und der Rückweg zum Schiff. Noch immer war Berek nicht annähernd ganz angekleidet, aber was kümmerte es, es drängte. Das merkte vor allem Mora, die widerwillig an einer Hand hinter dem führenden Anguren hergerissen wurde. Die anderen folgten so gut sie konnten. Selten kam es vor, daß man so schnell dahinrannte. In der Wildnis des ewigen Eises weiß man bald hauszuhalten mit seinen Kräften und lernt von kleinauf, daß einen der bemühteste Laufschritt wenig nutzt im knöchel- bis knietiefen Schnee. Wer sich zu sehr verausgabt, der hat nur wenige Gelegenheiten ehe sein Körper ihm den Dienst versagt. Aber heute rannten sie, als wäre eine Lawine hinter ihnen her, ohne recht zu wissen, was Berek so fuchsteufelswild machte. Ohne es zu merken, ließ dieser in den schonungslosen Bemühungen nach, als er sah, daß Oengus noch da war. Mit dem Schiff. Doch er hatte zu kämpfen, er wurde gezogen, der Wind kam erneut auf und diesmal kam er aus der richtigen und zugleich doch so falschen Richtung. "Hopp... Hopp...." trieb er die Gruppe zu einem letzten Spurt an mit den oft gehörten und deshalb auch vielgehaßten Worten. In hohem Bogen wuchtete er das Gepäck an Deck und ohne auf ihr Einverständnis zu warten, wurde Mora einfach die Reling hochgeschoben. Das war zu viel. Zusammen mit dem Wind wurde das Schiff weggedrückt von der Eisplatte, auf der es sich festgefahren hatte. Es nahm Fahrt auf... die ersten Nachzügler schloßen auf... der Abstand zum Eis vergrößerte sich, nur noch wenige Schritt und es würde auf dem offenen Meer sein.

Wie ein Rudel von Wölfen, das einer dicken Beute zusetzt und neben ihr herhastet, um sie zu treiben und auszulaugen, hielten sie alle mit dem Schiff Schritt. Der Kahn hatte schwer Schlagseite, schwankte. Oengus klammerte mit einer starren Maske unverbesserlicher Verzweiflung an der Bordwand. Er würde auf diese Art mit nach Scathlan segeln, wenn man ihm keine neuen Instruktionen gab. "Ihr bleibt's hier.. kapiert?", lautete Bereks Anweisung für alle... und ein lautes Platschen im Wasser sagte, daß das jemand zu wörtlich genommen hatte. "Zieht's den Oengus raus.. und...", er war froh, daß der alte Mimir schließlich doch noch aufgeholt hatte, in nicht viel mehr gehüllt als ein kümmerliches Fell und seinen Kilt, den er mit einer Hand zusammenhielt: "... her damit...!" Damit riß er das Stück blaue Stoff fort von Jall, auch wenn sich dieser wacker daran festhielt, und ein RITSCH besiegelte das Reißen in zwei ungleich große Fetzen. Berek hatte den Bärenanteil abbekommen. Noch bevor ihn die Rache des Alten einholen konnte, hatte sich der Täter umgewendet und hielt auf die letzten paar Schritte festen Untergrundes zu. Wieder Knacken unter ihm, er fühlte, wie das Eis nachzugeben drohte, wie die Erschütterung seines Gewichs es durchfuhr und splittern ließ. Auch das war wie eine Jagd und das Abschätzen der letzten Distanz vor dem entscheidenden Moment nur eine Frage der Erfahrung... Häp, Häp und Sprung. Mit aller Kraft stieß er sich ab und er hätte wahrlich keinen Wolfszahn kleiner sein dürfen, sonst wären seine Hände nicht an der Reling hängen geblieben, sondern sein ganzer massiger Leib ins Wasser geklatscht. So wie der bedauernswerte Oengus, der für seine aufopferungsvolle Pflichttreue gerade aus der See gezogen wurde, klitschnaß und betreten wie bei einem endgültigen Abschied.

"'ch komme wied'r!", sollte den fettleibigen Clansbruder mit dem schielenden Auge und dem großen, treuen Herzen aufheitern, doch zeigte es noch nicht seine Wirkung und Berek mußte sich damit zufriedengeben, daß er es erst bei seiner Rückkehr erklären können würde. Die Dunkelheit nahm das dahintreibende Schiff langsam aber sicher in sich auf und wischte es aus der Sichtweite der Zurückgebliebenen hinfort, die kaum ein Wort miteinander wechselten. Es war früh, keinem war zum Reden zu Mute. Das letzte, was sie von ihrem vorläufigen Anführer hörten, war schlecht imitiert und dennoch zielsicher genug, um den entrüsteten Alten zu treffen, der sich vorzeitig von der Eisoberfläche wegtrollte, die ihm unter dem gegebenen Umständen noch weniger behagte als sonst:

"Ähäärhärrhää..."


Zuletzt bearbeitet von Berek MacAgrona am 06 Nov 2007 15:18, insgesamt einmal bearbeitet
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Berek MacAgrona





 Beitrag Verfasst am: 08 Feb 2007 19:46    Titel:
Antworten mit Zitat

Der Wegweiser der Ahnen
... nach Scathlan (Teil II)



Vom kältebringenden Wind der nördlichen Regionen gebeutelt und so zu unberechenbar lebendigen Zuckungen erweckt, führte des Mimirs Kilt am Schiffsmast einen eigenwilligen Freudentanz auf. Unheimlich froh mußte er sein, endlich seiner Bestimmung zur Seefahrerei folgen zu können, an der ihn sein ehemaliger Besitzer in dessen panischer Wasserphobie gehindert hatte. Doch damit war es auch schon genug der Freude auf dem Kahn, der von zwei Anguren besetzt über das Eismeer dahinschipperte. Von dem anfänglichen Enthusiasmus, das Schiff noch rechtzeitig eingefangen und sich auf den lang ersehnten Weg gemacht zu haben, war nicht mehr viel übrig. Mora und Berek waren gut miteinander ausgekommen, sie hatte Wort gehalten und kam als Steuermann zurecht, doch das alte Herz hatte sich von der Hoffnung blenden lassen. Die Eigendynamik der bescheidenen Vorstellung, das Schiff alleine wäre schon die Rettung für die MacAgrona auf Scathlan, verlor in den erdrückend unendlichen Weiten des Wassers ihre Antriebskraft. Naivität machte auch vor dem Alter nicht halt, wenn man ein Ziel fix vor Augen hat und Neuland betritt, so wie die Schiffahrt es für Berek und auch für all seine Clansbrüder war. Die Erfahrung gab erst wieder Halt unter den Füssen, wenn es darum ging, wie man auf die Ernüchterung der Realität reagiert. Womöglich dachte Mora, noch nicht einmal ein vollwertiges Weib, Bereks Laune wäre gerade deshalb umgeschwungen; aus Ärger über die Unauffindbarkeit seiner Insel oder weil er die aussichtslose Lage langsam erst begreifen mußte. Doch das war es nicht. Der schmerzende Stachel saß noch viel tiefer in ihm und drückte auf seine Selbstzufriedenheit, die ähnlich seinem Körper anständig ausgeprägt war. All die Jahr auf seinem Buckel, all das Vertrauen auf seinen Schultern und doch hatte er sich von sich selbst täuschen lassen.

So trüb war seine Stimmung, daß er schweigend am Bug stand und geradeaus ein Loch in die Nebelwand starrte, die sich zeitgleich mit der Morgensonne über die Meeresoberfläche gelegt hatte. Immer zügelloser verschlang sie die Sicht, die das Tageslicht schenkte: Auf kleine Schollen, Eisbrocken und den einzigen Eisberg, den man in der Ferne ausmachen konnte. Es würde nicht mehr lange dauern und Berek sah so gut wie nichts mehr. Der Stand der Sonne war ohnehin nur noch vage auszumachen und hatte sich auf den gesamten Nebelschleier gleichmäßig verteilt. Hören konnte er ebensowenig; nicht etwa deshalb, weil es so still wäre, sondern weil Berek sich gegen Moras Stimme immunisiert hatte. Bei Einbruch der letzten Nacht hatte sie wohl aus Langeweile und Lustlosigkeit begonnen, belangloses zu erzählen und noch mehr zu fragen. Anfangs hatte er auch ehrlich versucht, ihr ein wenig zuzuhören und Antworten einzustreuen, denn sie war eine aufgeweckte, neugierige Göre und Interesse sollte man stets belohnen. Doch auch das dickste Fell ist einmal durchdrungen und das ständige Geplapper zehrte nicht nur an den Nerven, sondern auch an seiner Konzentration. Und selbst wenn Berek zugegeben nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wo genau ihr Ziel lag, wollte er sich immerhin ganz der Illusion hingeben, seine Aufmerksamkeit könnte den Ausschlag geben zwischen Erfolg oder Versagen. So kam es, daß irgendwann nur noch mürrisches Brummen sein einziges Zeichen von Aufmerksamkeit war, denn wann immer man ihr sagte, sie möge so still sein wie ein Fisch, dauerte es nicht lange und etwas Neues erregte ihre Phantasie und damit auch ihren Sprechfluß. Das Brummen versiegte schließlich zu beinhartem Schweigen, als ihre Worte ganz im Hintergrund verschwanden und von ihm abperlten wie vereinzelte, nasse Schneeflocken von seiner wüsten Haarpracht. So weit war es gekommen und dabei hatte die Fahrt erfolgsversprechend begonnen.



Nach der überhasteten Abreise waren sie beide bester Dinge gewesen. Gemeinsam hatten sie den Kilt des Alten als Wimpel gehißt und Berek war angetan, wieviel seine junge Begleitung von der Schiffahrt verstand. Kein Wunder, wenn man noch nie selbstständig gesegelt war. Das Angenehme an einer Reise, bei der man nur weiß, daß das Ziel im Norden liegt, ist die Sorglosigkeit, mit der man den Kurs wählen kann. So war genug Zeit, alles ausgiebig zu erklären und sich beim Schlafen abzuwechseln. Der reißende Sturm der ersten Nacht hatte sich jedoch nicht entscheiden können, das Segel verläßlich auszufüllen; so sehr Berek auch über das Getose hinweg geflucht und gewütet hatte, er hatte sich nicht recht überreden lassen. Stattdessen war die frostige Luft unberechenbar einmal aus dieser und wenige Herzschläge danach aus einer anderen Richtung gewirbelt. Der anbrechende Morgen hatte den nächsten Tiefschlag bereit gehabt. Weit und breit war kein fester Anhaltspunkt mehr auszumachen. Neue Hoffnung war aufgekeimt, als man einem überraschend aufgetauchten Teppich aus Eisschollen gefolgt war, und bitter enttäuscht worden, als die vermeintliche Spur abrupt abriß. Das, was man zunächst für einen Vorzug der Ahnungslosigkeit gehalten hatte, erwies sich schnell als sorgfältig genährter Grund für Unmut. Wer konnte schon wissen, wo sich Scathlan nun befand? Wer konnte erahnen, wie weit es entfernt war? Mit der Schollenreise war es ja doch nicht vergleichbar. Es konnte überall liegen. Die zweite Nacht brachte das rechte Maß an Ereignislosigkeit, um den Mut weiter sinken zu lassen. Am Ende war es noch so, daß sie weder Scathlan finden, noch Fuachtero wiederfinden würden. Mora begann Unheil verheißende Vergleiche zu ziehen, die jedoch an Berek vorüberzogen, der sich in den letzten Stunden nur noch ausgeschwiegen hatte.

Die Ahnen konnten doch nicht ganz von ihm abgewichen sein? Was hätte er denn auch getan, um den von ihnen gewählten Weg zu verfehlen? Das Schiff nicht einholen wäre eine Antwort gewesen. Nur was hätte es gebracht, es ziehen zu lassen und ihm tatenlos hinterherzusehen? Die endlose See mußte es sein und die ungewohnte Situation auf dem schaukelnden Kahn, welche Optimismus und Klarsicht gleichermaßen beeinträchtigten. Vielleicht war es auch die Ungewißheit über das Schicksal der anderen, die Bereks Ungeduld weiter schürte und all dies unerträglich und ärgerlich erscheinen ließ. Seit geraumer Zeit juckte und stichelte es an allen Enden seines Körpers. Er konnte nicht einmal mehr seinen eigenen Gedanken trauen und so war es das Beste, einfach nur in die Ferne zu starren und zu versuchen, nicht mehr zu denken. Nicht mehr zu denken und gleichzeitig nicht mehr zu hören. Beides funktionierte überraschend gut. Nichts passierte und der Kiel des Bootes schnitt weiter fort durch ein nichts an Wasser. Alles schien eintönig und ewig gleich, seine innere Uhr versagte und Berek konnte beim besten Willen nicht einschätzen, wie lange er so untätig aufrecht dagestanden hatte und nichts gesehen hatte außer einer weißen Wand und derselben ruhigen Wasseroberfläche, über die sie hinwegglitten. Vielleicht war es gerade diese Denkpause, die sein Schädel gebraucht hatte, ein gesundes Maß an Zorn über sich selbst und die Umgebung, um Luft zu schnappen und wieder einwandfrei zu funktionieren. Ob es nun lange oder kurz gedauert hatte, das wußte er freilich nicht, doch das war nicht von Bedeutung. Viel wichtiger war der Kern der Erkenntnis, die er für sich und für alle MacAgrona gewonnen hatte. Kein Blitz war es, der seinen Gedankenhorizont plötzlich erhellte, sondern ein massiger Stein auf einem Abhang, der unentschlossen zu rollen begann, immer entschiedener schneller und schneller wurde, bis er unaufhaltsam den Berg hinabpolterte und Hindernisse umging oder hinfortwalzte. Auf diese bodenständige Art kam die Erkenntnis über ihn, Willen und Wirken der Ahnen zweifelsfrei entschlüsselt zu haben. Er streubte sich nicht dagegen und nahm das Denken bereitwillig wieder auf.



Berek kannte die Geschichte der MacAgrona. Es war schon einmal eine Suche nach einer neuen Heimat gewesen, die damals Scathlan geheißen hatte. Ein Mann hatte das Überleben des Clans gesichert, indem er die Zeichen ihrer Vorväter richtig gedeutet hatte. Er hatte sie alle auf die Eisinsel geführt und dafür gesorgt, daß sie sich behaupteten gegen die ansässigen Clans; sich mit dem Recht ihrer Stärke nahmen, was ihnen zustand: Eine Heimat. Man hätte Zweifel daran hegen können, ob Scathlan die richtige Wahl gewesen war, denn nicht jeder hatte den Kampf überlebt. Jetzt erst recht, da die Insel sich nicht als beständig erwies.


Berek hatte die Antwort gefunden, wieso es nicht angebracht war, an der Vergangenheit zu zweifeln.
    Hallbrand hatte die Zeichen der Ahnen damals richtig verstanden, denn es war ihre Bestimmung, auf Scathlan zu leben und von diesem wieder vertrieben zu werden. Wieso war das so? Wieso konnte der Clan dort nicht länger so leben wie bisher? Man hatte alles, was man brauchte. Aber man sah die Gefahr nicht. Der Eisbär auf der Scholle war der Fingerzeig fort von Scathlan, aber es war nicht die Rettung vor dem Untergang, sondern ein Befehl, den Pfad weiterzugehen, der mit dem erobern ihrer Siedlung auf Scathlan begonnen hatte. Es war die rechte Entscheidung, sonst hätten sie nicht alle die abenteuerliche Fahrt überlebt.

Berek hatte die Antwort gefunden, wieso sie nicht auf Scathlan bleiben konnten.
    Es gab anderes, worauf sich der Clan konzentrieren mußte. Es gab eine Aufgabe, für die sie ihre Ahnen bestimmt hatten, zum Wohle und Fortbestand ihres Clans, ihres Lebensraumes und ihres Volkes. Sie hatten lange gerätselt, warum die Insel starb. Doch sie starb nicht, sie wurde getötet. Auf Scathlan gab es nichts, was diese Frage beantworten hätte können. Die Sicherheit der neuen Heimat hätte nur die Unerfahrenen getäuscht, denn auch dort lauerten Feinde. Mehr als man sich erhoffen hätte können.

Berek hatte die Antwort gefunden, wieso Fuachtero ihre neue Heimat sein mußte.
    Unzählige neue Entdeckungen hatten sie erwartet auf den "grünen Inseln". Unmengen an Kleinwüchsigen, Unmengen an unverständlichem Gebrabbel und Unmengen an Feindseeligkeit. Von der Hitze ganz zu schweigen, vermutlich der bleibendste Eindruck. Berek konnte sich nicht einmal mehr an all die fremden Gesichter erinnern, in die er geglotzt hatte, doch viele davon verbargen die Gefahr. Eines oder mehrere davon waren verantwortlich für das Schmelzen von Scathlan und es war ihre verantwortungsschwere Aufgabe, diesem Treiben ein Ende zu setzen.

Berek hatte die Antwort gefunden, wieso die Ahnen seinen Clan dafür bestimmt hatten.
    Eine Denkaufgabe, die jeder MacAgrona ohne große Schwierigkeiten gemeistert hätte. Gerade deshalb zauberte sie das einzige Lächeln auf Bereks Gesicht, das man auf dem Kahn seit einem Tag gesehen hatte. Er wußte, daß ihm sogar Oengus eine Antwort auf diese Frage geben konnte, indem er Zorn und Kampfeslust aus seinem Leib herausschrie. Und das, ohne daß die Frage überhaupt ausgesprochen worden wäre.



Soweit hatte er also verstanden, was der Sinn hinter all diesem Aufwand war. Es verbarg sich hinter all dem Schicksal und Unglück, das über sie hereingebrochen war, eine Botschaft der Vorfahren und diese entschlüsselt zu haben erfüllte Berek mit nicht weniger Stolz als ihr Inhalt. Nur noch wenige rätselhafte Stolpersteine enthielt die Verstrickung von Ereignissen. Die Eishöhle mußte einstürzen, um zu zeigen, wie schlimm es um die Insel stand und um eigenständig einen Ausweg zu suchen. Aber auch die Eintracht konnte so wieder einkehren, denn das Aufbegehren gegeneinander mußte die Vorfahren erzürnt haben. Das war mehr als einleuchtend, denn so mancher lernt nur durch Härte und Schmerz. Er selbst war einst einer davon gewesen, doch die Erinnerung wollte nicht für eine Regung in dem von geistiger Anstrengung gezeichneten Antlitz reichen. Zu viele Opfer hatte es gegeben. Die Fortschritte des Denkens erlitten unerwartet Schiffbruch und drohten in Sorge überzugehen. Unbegründete Sorge, denn Berek hatte die Antworten, die er brauchte, um sicher zu sein. Der Weg war der richtige, auch wenn er über endloses Wasser führte. Den seinen würde es noch gut gehen, denn es galt vieles für sie zu tun, um das Überleben des Nordlandes zu sichern. Die Siedlung würde noch bestehen wie er sie verlassen hatte, wenngleich die Insel sicherlich kein erfreulicher Anblick mehr war. In seiner felsenfesten Überzeugung konnte er sie förmlich sehen, die Ansammlung von Hütten, die über der glatten, schneeweißen Ebene thronte. Er konnte sich bildlich vorstellen, wie sich vor dem Hintergrund der weißen Wand die Konturen des Spähturms abzeichneten, auf dem ein treuer Schatten Ausschau hielt und über seine Herde wachte. Eine andere schemenhaft erkennbare Gestalt trat in die Hütte, in der Hallbrand zur Ruhe gebettet war. Sie würden ihn sicherlich pflegen. Er würde noch leben. Eine angenehme Gewißheit, die keinen Widerspruch duldete. Bald würde er all das mit eigenen Augen sehen und ihnen frohe Botschaft überbringen.

Ein schmerzerfülltes Knirschen des Holzes und das ganze Schiff wurde nach vorne geworfen. Falsch, denn so schien es einzig ihm. Berek wurde nach vorne geschleudert. Seine Reflexe ließen ihn nicht im Stich. Zufassen, nach etwas greifen, doch da war nichts. Ein Schritt. Ein Schritt zuviel. Er stolperte über etwas, was die Reling sein mußte, wurde aus seinem Gedankenbild gerissen wie sein Leib von Deck. "Brrrrrr...!" Die klitschnasse Pfütze, in der er landete, umringt von feuchtem Schnee tat ihr übriges, um ihn zurück in die Realität zu holen. Den brummenden Kopf hochgereckt, schüttelte er sich ordentlich durch und sah sich rasch um. Die Siedlung war noch immer da. Er hatte sie sich nur vorgestellt oder etwa nicht?. Er mußte noch einmal alles durchdenken, während er sich grunzend hochrappelte und seinen üppigen Fellbehang abklopfte.


Berek hatte die Antwort gefunden, ...
    Sie waren da.


Zuletzt bearbeitet von Berek MacAgrona am 06 Nov 2007 15:35, insgesamt einmal bearbeitet
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Berek MacAgrona





 Beitrag Verfasst am: 09 Feb 2007 17:34    Titel:
Antworten mit Zitat

Der Chieftain hat die Wahl ... getroffen
oder "Ein Kurzbesuch zu Hause"




Failté, Hallbrand!

Die wohlbekannte, rauh poltrige Stimme ließ die beiden Angurenweiber im Raum überrascht von ihrer Beschäftigung aufblicken. Einzig der Angesprochene auf dem massiven Bett reagierte nicht. Wahrscheinlich hatten die beiden mit jedem MacAgrona auf Scathlan gerechnet, als sie die schweren Schritte auf den Stufen der Hütte gehört hatten und die Türe aufgezogen wurde; mit jedem, nur nicht mit Berek, der nach einem vielsagenden Blick auf den abgezehrten Alten auf dem Lager mit dem Kopf zur Tür hin nickte. Nicht unhöflich und befehlend, aber aus seinen Augen sprach die übliche Bestimmtheit. Berek hatte mit dem Chieftain zu sprechen. Seine frostig herbe Miene nahm den beiden jeden Widerspruch aus dem Mund, doch die Wiedersehensfreude konnten sie nicht trüben. Ihre Augen sprachen darüber Bände, auch wenn ein Außenstehender denken mochte, sie würden ihn verärgert und im Stolz verletzt entgegenfunkeln. Augen, die er kannte seit er denken konnte und die ihm wohlvertraut waren. Doch genauso wie er ließen die beiden Vertraulichkeiten außen vor, legten alles aus ihren Händen bei Seite und zogen schweigend an ihm vorüber zur Türe. Hildegurn nickte, Maighread nickte, als sie sich an Bereks breiter Statur vorbeizwängten. Das verräterische, freudige Zucken der von Kälte geröteten Backen war ihm dabei freilich nicht entgangen. Er war zurück, das ausgezogene Grüppchen mit ungewissem Verbleib lebte. Er brachte Neuigkeiten! Bald würde die ganze Siedlung in Aufregung geraten sein, denn Berek hatte sich nicht mit Begrüßungen aufgehalten, sondern zielstrebig auf Hallbrands Hütte zugehalten. Der erste Eindruck hatte ihm als Bericht genügt: Alles war ruhig und unversährt, nirgends Kampfspuren, hinter den Fenstern sah man Lebenszeichen und Bewegung. Mit dieser Impression war der Heimkehrer auch schon unter den Augen des auf dem Turm Wachenden in der Hütte verschwunden. Die Tür wurde nun fest von außen zugezogen, Berek wartete zu und lauschte einzig dem kränklich rasselnden Schnaufen im Raum. Er horchte, bis sich der Wind über die sich entfernenden Schritte und das einsetzende Geschnatter gelegt hatte. Die Weiber waren gegangen. Hallbrand und er waren alleine. Zeit für ein Gespräch, auch wenn Berek dringend fühlte, daß es en Monolog werden würde.

In der Hütte war es düster, die warme, abgestandene Luft war ebenso erdrückend wie der Anblick des alten Chieftains auf seinem Lager. Auch wenn sich an seinem Äußeren seit Bereks Aufbruch nichts verändert hatte, war es immer aufs Neue ein Schock, das einst kraftstrotzende Antlitz derart ausgemergelt und schwach zu sehen. Sicherlich täuschte der Eindruck, denn Hallbrands Körper konnte nicht wesentlich an Masse eingebüßt haben. Und doch wirkte das grob gezimmerten Bettgerüst aus beindicken Stämmen jetzt unpassend überdimensioniert, als wäre es ihm entwachsen. Der Bärenschädel am Bettpfosten mußte elends lang nicht mehr auf Hallbrands Haupt geruht haben. Ein ungewöhnlicher Anblick, denn in allen Erinnerungen, die sich über die Jahrzehnte in Bereks Kopf angesammelt hatten, war der Chieftain nie ohne seine Kopfbedeckung gewesen. Einst soll Hallbrand das Vieh alleine im Jünglingsalter bezwungen haben, als es sich über das Nachtlager seines Jagdtrupps hergemacht und die beiden Älteren überwältigt hatte. Eine der ersten Geschichten, die Berek über seinen Chieftain gehört hatte, als er selbst erst ein strammer Bursche war und Hallbrand bereits den Clan führte. Er war Vorbild und Inspiration für viele gewesen und auch heute noch würde niemand gegen ihn sprechen, wenn nicht die Krankheit unnachgiebig die Lebensgeister aus seinem Leib gesogen hätte. Es war schwer für die Jüngsten, jemandem Anerkennung und ungeteilten Respekt entgegenzubringen, dessen unbeugsamen Willen und niederschmetternde Kraft sie niemals erlebt hatten. Wer wußte schon, wie lange Hallbrand sein Leiden ohne ein Murren mit sich herumgeschleppt hatte? Es mußten Jahre gewesen sein, in denen nur die ihm nächsten Altersgenossen erahnt hatten, daß er nicht mehr derselbe war. Doch keiner hätte es aussprechen, wenn es ihm aufgefallen wäre, denn wer wollte schon offen an der Stärke seines Chieftains zweifeln? Ebensogut hätte man sich spöttisch über seine Manneskraft äußern können und Berek hätte beides niemandem geraten, auch wenn es nicht an ihm war, den Stolz des Chieftains ins rechte Licht zu rücken. Er konnte irgendwo im hintersten Winkel seines Kopfes verstehen, wieso manche im Clan nicht mehr zu Hallbrand als erhabenem Anführer aufsehen konnten. Doch umso zuverlässiger wußte er auch, daß es bei diesen nur eine saftige Tracht Prügel brauchte, um sie wieder zum rechten Weg zu bekehren und ihnen Ehrerbietung vor den Älteren einzurenken.



Zeit wollte Berek nicht länger vergeuden. Es war ihm, als ginge er erhobenen Hauptes an das Krankenlager, doch in Wahrheit war sein Kopf ein Stück gesenkt. Besorgt sondierte er die halb geöffneten, altblauen Augen, doch es gab keine Hoffnung mehr auf eine Reaktion. Starr hatten sie eine bestimmte Stelle an der Decke angepeilt, an der es nichts zu sehen gab. Dann wieder ein rasselnder Atemzug. Hallbrands Lungen mußten sich die Luft hart und geräuschvoll erringen. Noch hangen sie am Leben und taten mühseelig ihre Aufgabe wie ein alter, gequälter Blasebalg. Berek bemerkte erst jetzt die Axt auf dem Leib des Liegenden. Es war die patriachalische Waffe von vereinnahmender Schmiedefertigkeit und Grobschlächtigkeit zugleich, die noch mehr Erkennungsmerkmal des Chieftains der MacAgrona war als der Bärenschädel. Eine Axt mit einer Vorgeschichte, die weit bis zu den Wurzeln und tiefliegenden Eisschichten des Clans zurückging. Das imposante Axtblatt war auf Fell gebettet zwischen den Beinen Hallbrands; seine hageren Finger umschlossen kraftlos und schlaff das Metall des Stiels. Ganz so, als hätte man sie ihm in Hände gelegt wie einem Toten. So war es auch gedacht. Kein MacAgrona sollte sterben ohne Waffe in Händen, so verlangte es das Brauchtum des Clans und man hatte weise daran getan, es Hallbrand nicht zu verwehren. Keinen Augenschlag verschwendete Berek an den Gedanken, ob der alte Chieftain den Wunsch selbst geäußert hatte. Sein schwergängiger Atem reichte vollkommen aus, um alles über seinen Gesundheitszustand zu sagen, was man zu wissen brauchte. Es war wie bei Tieren auf der Jagd. Man hörte an ihrem Hecheln und Schnaufen, wann sie erlahmten und wann sie die Lebensgeister verließen. Ebenso war es hier.

" 'ch bin wied'r hier, Hallbrand.", er wollte sicher gehen, daß sich dieser auch ja angesprochen fühlte und zielte mit seinen Worten direkt auf das Ohr des gebeugten Mannes. Nach einer kurzen Pause ohne das leisteste Mucken wollte er sich auch versichern, daß dieser wußte, wer denn nun sprach: " 'ch, Berek, bin hier." Keine Antwort, kein Zucken. Berek wußte, daß er nicht viel zu erwarten hatte, aber es war seine Aufgabe und Pflicht, dem Chieftain Bericht zu erstatten. Nur er würde über sie wachen und das Richtige entscheiden. Wenn nicht hier, dann wenn er ihm zu den Vorvätern vorausgegangen war. " 'ch hab Dir was mit'bracht vom Jall, das wird helfen.." Berek glaubte an den Mimir, aber an seine eigenen Worte nicht. Instinktiv langte seine behaarte Pratze zum Schemel, auf dem ein feucht-warmes Tuch zur Krankenpflege bereit lag, wußte aber nicht so recht, was nun damit tun. Er wollte es Hallbrand auf die Stirn drücken, sie abtupfen, aber es kam nicht dazu. Stattdessen tat er dasselbe bei sich selbst, denn ihm war heißer als es ihm behagte. Auch wenn es zwischen ihm und dem Chieftain seit Jahren nicht sowas wie betretenes Schweigen gegeben hatte, nun war es doch im Raum und konnte nur schwer vertrieben werden. Berek würde sich nicht setzen, aber er würde auch nicht gehen. Er nahm sich ein Herz, blieb einfach stehen und begann Hallbrand alles zu erzählen, was er zu berichten hatte. Von seiner Überfahrt, von den Clans auf Fuachtero, von den vielen befremdlichen Reizen und den noch viel zahlreicheren Ärgernissen der Fremde und von dem sicheren Rückhalt für die seinen. Er hielt sich kurz und bündig, ließ keine Pause aufkommen, bis er bei dem Reim angekommen war, den er sich selbst auf all das Unerwartete gemacht hatte. Die Reaktion blieb aus. Es wurde unangenehm, denn niemand konnte dem Chieftain einfach so die Entscheidung vorwegnehmen, was denn nun zu tun war. Hallbrand mußte es tun, aber er konnte es nicht. Er wollte es vielleicht sogar tun, aber er konnte nicht. "Wir werd'n rausfind'n, was Scathlan ruiniert hat und ihm den Hals umdreh'n." - "..." - "Wir können hier ni't bleib'n...", ein letztes, protestierendes Aufbegehren gegen das, was sogleich wieder den Raum ausfüllte.

Stille.
Mehr konnte Berek nicht tun, um ihn zu animieren. Er war ratlos wie Hallbrand regungslos. Am besten wäre es, Waffen zu besorgen, nach Mora zu sehen oder sonstetwas zu tun, um sich abzulenken. In der beengenden Hütte konnte er die Lösung nicht finden. Hier gab es nichts außer tiefsitzende Bekümmerung und von der Gegenwart zerschlagene Erinnerung. Bereks Hand wanderte auf die Hallbrands. Er klopfte beschwichtigend darauf, um den Druck der Verantwortung von ihm zu nehmen. "D'e soll'n D'r mal die Kräut'r geb'n!", klang seine Stimme schwer nach einem Abschied auf unbestimmte Zeit, bei dem er den Beutel von Jall hervorkramte und Hallbrand auf die Brust legte. Ächzend rasselte dessen Atem los. Berek wollte sich fortbewegen, doch etwas hielt ihn zurück. Sein Ohr zuckte, ohne das er es hätte beeinflußen können. Ein Instinkt, wie man auf Brechen von Zweigen im Geäst reagiert oder ein Rascheln im Gebüsch, wenn man in mondloser Nacht auf der Pirsch liegt.
Da war etwas...

Stille.

Hallbrand schnaufte wieder los, war da etwas wie ein Aufbegehren in dem kranken Gesäusel seines Atmens? Berek blickte nicht zurück, um die Empfindsamkeit seines Gehörs nicht durch das Bild zu verwaschen.

Stille. - Stille. - Stille.
Ein gieriger Atemzug.

Stille. - Stille.
Noch einer, krächzend und belegt, als würde eine ungeheure Last gegen seinen Brustkorb drücken.

Die Abstände verringerten sich. Hallbrand reagierte. Worauf? Wollte er etwas mitteilen? Berek wandte sich ihm zu und versuchte in den Augen etwas zu erkennen. Das kleine Indiz würde ihm ausreichen, um sich tagelang den Kopf zu zerbrechen, doch es kam nichts, das erregte Röcheln jedoch ging fort. Ein Zucken in einem Finger. Hallbrand mußte einen ungeheuren, innerlichen Kampf austragen, man konnte die Anstrengung förmlich fühlen, Berek hatte den Eindruck, es würde noch wärmer werden, doch sein Unwohlsein war dahin.

Es passierte etwas.



Gebannt bohrten sich Bereks forschenden Augen unnachgiebig in die leblos Erblindeten des Alten. Das folgende Donnerwetter an Worten grollte grimmig aus seiner Kehle als stünde die Krankheit leibhaftig vor ihnen beiden und er müßte seinem Clansbruder neuen Mut zusprechen: "Keine Sorg', 'ch schau', daß d'e and'ren nix passiert. Kannst D'ch auf mich verlassen, wie'ch mich auf D'ch, wie all' auf mich und all' auf D'ch..." Doch das war es nicht, was Hallbrand aufwühlte. Ohne helfen zu können mußte Berek zusehen, wie es den Leib weiter innerlich beutelte, Adern und Muskeln am Hals hervortraten bei der übermenschlichen Anstrengung, die er durchlitt. Die zerfurchte Stirn des Totkranken begann zu schimmern, dann feucht zu glänzen. Weitere Schweißperlen kamen hinzu und seine leeren Augen traten hervor, ohne daß sich die Augenlieder beteiligten. Der eine Finger regte sich weiter, noch einer, bis die ganze Hand, die neben dem Axtstiel lag, bebend zu zucken begann. "Ein Zeich'n, Hallbrand..", motivierte ihn erneut die lautstarke Stimme Bereks: "D's reicht mir scho'..." Die Hand fuhr von Krämpfen gebeutelt zur Seite, erkämpfte sich jeden Fingerbreit stoßweise und dann geschah es. Berek hatte gedacht, der Chieftain hätte den einzigartig verzierten und doch so schlichten Axtgriff verschoben, weil er ihn nicht mehr fühlte. Erst jetzt verstand er, zögerlich und doch mit einer bekümmernden Sicherheit:
"D'willst, daß ich s'e nehm'?"

Das Treiben des ausgelaugten Körpers ließ nach, die Unruhe fiel von ihm ab und seltsam still lag er wieder da, als wäre alles bislang nur Einbildung gewesen. Einzig der Schweiß auf Hallbrands Stirn und in den Furchen seines Gesichts waren stumm Zeuge für das Geschehene. So unscheinbar und doch unmißverständlich war seine Zustimmung. Sein Atem ließ zusehens wieder nach, klang noch immer krank, aber kein Vergleich. In Bereks Ohren klang es erleichtert, denn eine schwere Last mußte von seiner Brust gewälzt worden sein. Sicherlich nur Einbildung. Bevor er dazu kam, richtig nachzudenken, hatten seine Lippen schon alles vorweggenommen: "Du warst imm'r ein guter Anführer und hast all's für den Clan getan, was ma' sich wünsch'n kann. Ich würd' fast all's erfüll'n, was Du von mir willst." Spärlich waren die Gelegenheiten, in denen Bereks rauher Tonfall alleine es schaffte, etwas herzliches und verbundenes auszudrücken. Er selbst konnte es nicht steuern, es kam und ging wie es wollte. Diese wenigen Worte mußten eine dieser seltenen Gelegenheiten gewesen sein, denn Hallbrand reagierte noch nicht auf den Protest, blieb weiterhin andächtig liegen in seeliger Ruhe. "Ab'r nur fast, Hallbrand, d's sag ich Dir. Wennst glaubst, ich nehm jetz' Deine Axt, die Axt vom Chieftain..." ~ mit besonders nachdrücklicher Gewichtung ~ "... und latsch' hier raus, dann hast Dich g'schnitten." Er wies in seinen Ausführungen zur Tür und tätschelte die Hand seines Clansbruders. Dann faßte er befremdlich langsam nach dem Bettpfosten, als wäre er nur Beobachter seiner eigenen Handlung. "D'e verdien'ch mir, wennst mich im Kampf 'prüft hast oder d'e Ahnen Dich zu ihnen holen, weil ihnen die richt'gen Mannsbilder ausgeh'n, kapiert? Solang' bist Du der Chieftain. Wenn's Dir ni't passt, dann kriech' raus aus Deinem Bett und zeig', was'D kannst. Wennst drinbleibst, kümmer ich mich derweil um all's und führ mich auf wie d'r Chieftain, hrrrm...?"

Berek erwartete keine Antwort. Stattdessen zupfte er das herabhängende Fell des Bärenschädels zurecht, wie er es sonst höchstens mit seinem eigenen Bart tat, hingebungsvoll, sodaß alles recht daran saß. Dann nahm er ihn vom Holz herab und legte ihn überaus vorsichtig über Hallbrands Kopf auf den Felluntergrund, auf den dieser gebettet war. "Ay'kho. Das hast sowieso imm'r g'tan, Berek, harrm..", gab er stellvertretend für den kranken Anguren die Antwort ohne seine Stimme zu verstellen. Ernst und dennoch auf angenehme Weise vertraut beugte er sich erstmalig zu der reglosen Gestalt hinab und raunte ihr brummig entgegen: "Siehst? 'ch kann das scho' ganz gut, ab'r Dich kann'ma ni't ersetz'n." Ohne herabzusehen faßte er nach Hallbrands Hand, die seiner eigenen Pranke früher in nichts nachgestanden hatte, heute aber knochig wirkte. Ein besiegelndes Klatschen, dann der obligatorische sanfte Druck, um es zu bestätigen. Ein Druck aus beiden Händen. Berek konnte es fühlen, es war nicht viel, denn sein Clansbruder hatte all seine Kraft aufgebraucht, doch seine Muskeln zogen sich zusammen und ein Schwall tiefer Erleichterung entspannte sein Gemüt. Ein erhebender Moment, den Berek nicht überstrapazieren wollte. Er hatte den Höhepunkt ausgekostet und wäre noch gerne in gemeinsamen Erinnerungen geschwelgt, jetzt, da er sich ihm so nahe fühlte.


Die Tat wartete und sie war nicht geduldig.
Der Clan wartete.
Die Ahnen warteten.
Sie alle waren nicht geduldig, er selbst am allerwenigsten.


Zuletzt bearbeitet von Berek MacAgrona am 06 Nov 2007 16:01, insgesamt einmal bearbeitet
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Berek MacAgrona





 Beitrag Verfasst am: 06 Nov 2007 16:59    Titel:
Antworten mit Zitat

Zwei Chieftains sind besser als kein Chieftain
oder "Berek denkt"




Berek war hinaus auf die Eisebenen von Scathlan gegangen.
Er hatte sich direkt nach dem Besuch in Hallbrands Hütte dem Ansturm des neugierigen Clans gestellt. Insgeheim schätzte er nichts mehr als das Gefühl, in ihrer Mitte zu stehen. Nicht als Zentrum eines Kreises, sondern als unzertrennlicher Teil davon. Er war jedoch gewiss nicht der Schädel, dem alle anderen Glieder zu gehorchen hatten, so dachte er, als er von einer übersichtlichen, erhöhten Position aus über die angezuckerte Landschaft sah. Die Kälte eines beharrlichen Windstoßes fuhr durch die überlappenden Lagen seines dichten Behangs aus zäher, flachsiger Kleidung und durch den wolligen Stoff des Kilts. Sie machte nicht einmal vor der Schicht aus weichem und dennoch widerstandsfähigem Leder Halt.

Er war zu Hause.
Er gönnte sich die wenigen einsamen Augenblicke, um es zu genießen und mit dem wüsten Sturm in seinem Kopf aufzuräumen. Unnütze Gedanken des Zweifels warteten darauf, totgeschlagen werden. Er durfte die anderen nicht damit belasten. Sie vertrauten ihm. Die meisten zumindest, denn die mürrischen Fratzen blendete er aus seinen Erinnerungen so effizient aus, daß sie nicht mehr Namen und Gesichter waren, sondern nur noch Teile des Ganzen. Auch sie mußten ihm vertrauen, sie alle, und man vertraut niemandem, dem man einen Hauch von Zweifel ansah. Eine Gefahr, die bei Bereks Mienenspiel ohnehin unwahrscheinlich war, denn die Bandbreite an Emotionen, besonders jene, die man gemeinhin als Schwäche auslegen konnte, war erschreckend begrenzt. Er hätte sich gerne in Richtung der MacGaulich aufgemacht, um ihr Treiben zu beobachten, oder auf dem Weg eine Kreatur aufzustöbern, die er bekämpfen oder zumindest jagen konnte. Solch spannungsgeladenen, hitzigen Momente hätten ihm das Denken einfacher gemacht und seine Gedanken so klar wie das zu Eis gewordene Wasser des gefrorenen Gebirgsflußes, den er in weiter Ferne erspähen konnte. Er sah das erstarrte Gewässer weniger mit den Augen, vielmehr wußte er aus all den Jahren ganz selbstverständlich, wo es sich genau befand. Er konnte es nicht sehen und das bereitete ihm schlagartig einen neuen Quell von Sorge. Womöglich war der Fluß inzwischen gar nicht mehr so reglos und von brillanter Klarheit wie in den Erinnerungen jedes MacAgrona, sondern quälte sich inzwischen zäh vorwärts. Die Erwärmung der Insel war in manchen Morgenstunden nicht sogleich zu spüren, doch sie lauerte im Kern der Insel.
Berek hätte all das nur zu gerne überprüft, doch dazu hatte er nicht die nötige Zeit. Die vertraute, fröstelnd kalte Luft des Morgens auf Scathlan mußte ausreichen, um bar jeder Ablenkung klar nachzudenken.
Sie wird ausreichen, dazu würde er sich zur Not zwingen.

"Ein richt'ger Kämpfer denkt ni't mehr un' ni't läng'r als's sein muß.
Wer zu lang h'rumschädelt un' wartet.. wart't, der kriegt's mehr als ein'r, der wen'g denkt ab'r sofort was tut.", kaute er sich selbst die alte Litanei vor, welche die Zögerlichen im Clansnachwuchs vermutlich noch im Schlaf heimsuchte, so oft wie sie es von Berek eingetrichtert bekommen hatten. Guter Rat, Berek, und doch setzte ihm die Anteilnahme an Hallbrands Schicksal zu und lähmte seine Entschlußfreudigkeit in beklemmendem Bann. Er wußte sogar wieso. Es war nicht schwer.
Wenn man der Teil von etwas Ganzem ist, dann tut es einem weh, wenn einem anderen Teil des Ganzen etwas schmerzt oder er abstirbt. Doch das war es nicht alleine. Es ging über familiäre Verbundenheit hinaus und auch hier wußte Berek nach einem Weilchen an Grübelei wieso. Es ging um die Führung des Clans und Berek hatte sich nie wie der Kopf des Ganzen gefühlt. Aufbegehrend stießen ihm Erinnerungen an neckische Witzelein auf, die man hinter seinem Rücken oder auch offen ausgesprochen hatte.
'Heute wieder ein biss'l mehr Chieftain als sonst, Kleiner?', sprach Bearnard frohgemut so oft, um seine Tochter Caitlin, die "Kleine", an Berek zu rächen. Inzwischen ist er vermutlich schon längst bei den Ahnen angekommen und sah auf Berek herab, wie er alleine auf der weißen Ebene Scathlans stand, auf der man sich ob ihrer Weitläufigkeit und Größe selbst zu zweit einsam fühlen könnte. Am heutigen Tage wäre beiden nicht zum Lachen zumute gewesen, wenn der Satz gefallen wäre. Abgesehen davon, daß 'Berek ohnehin nur an den Tagen lachte, an denen kein Schnee fiel'. Ebenso eine von Bearnards Unkerein, die jeder junge MacAgrona zur Aufheiterung zumindest einmal im Leben gehört hatte, wenn Berek bei den Kampfübungen ruppig geworden war und seinen Unmut lautstark kundgetan hatte. Berek stellte Bearnard wehmütig in den Hintergrund seiner Erinnerungen, direkt neben die unzufriedenen Störefriede im Clan, die er schon vorher abseits in den Schatten gedrängt hatte.



Chieftain, das war Kern seiner Überlegungen.
Er selbst wollte nie Chieftain sein und hatte auch nie ernsthaft darüber nachgedacht. Freilich hatte er sich schon zwei Jahrzehnte hingebungsvoll um alles gekümmert, was Befehlsgewalt verlangte, doch sein Hauptaugenmerk lag auf der Gewalt. Er mochte es, andere durch seinen Eifer anzustecken, ihnen etwas beizubringen und ihre Erfolge durch eine Maske der Unerbittlichkeit zu verfolgen. Nur dann war es an der Zeit, sich zurückzuziehen und Hallbrand das Feld zu überlassen. Berek war ein Krieger, mit Leib und Seele, er dachte nur schnell und zielsicher im Kampf, er wollte mit vielen Angelegenheiten unbehelligt bleiben, die darüber hinausgingen. Er fügte sich gerne dem, was Hallbrand zu sagen hatte und machte sich ohne Gedanken des Zweifels daran, dessen Anweisungen auszuführen. Selten, wenn diese überhaupt ausgesprochen werden mußten. Es geschah über viele Jahre alles in stillem Einvernehmen, in schweigsamer Übereinstimmung. Berek hatte es schon lange nicht mehr nötig, von Hallbrand in Worten gelobt zu werden, er wartete nie darauf wie es viele der noch Jungen taten, und dennoch war es für ihn selbstverständlich geworden, stolz Zufriedenheit von seinem Chieftain zu erfahren. Wenn er länger darüber nachdachte, erinnerte er sich auch noch gut an die Zeit, wo er selbst nach Lob und Anerkennung getrachtet und mit Clansbrüdern wie Jall um Respekt gebuhlt hatte. Doch das waren Zeiten, an denen sein Bart noch nicht einmal die Länge eines anständigen Fellhaares hatte und er mit Hingabe Felsbrocken geworfen oder Baumstämme gestemmt hatte, nur um die jungen Mädeln im Clan zu beeindrucken; und weiß-Agrona-selbst, das war nur die Spitze des Eisbergs an Dummheiten, die sie sich geleistet hatten. Je mehr er darüber nachdachte, desto steifer fror die Gewißheit, daß er vielleicht nur aus purem Glück all die Torheit und den Übermut überlebt hatte und daß aus ebensoviel Glück all die Weiber vergessen hatten, was einst alles vorgefallen war. Ansonsten würden sie ihn nicht als den respektieren, der er heute war und auch Hallbrand mußte einige Dinge vergessen haben, um über die Jahre meist zufrieden und im Einklang mit Berek zu sein.

Hallbrands Zufriedenheit und Wohlbefinden.
Das war es, was Bereks Gedanken wie ein ausgetretener Trampelpfad auf weiter, weißer Flur durchzog. Egal, in welche Richtung man sie durchquerte, man würde doch immer wieder über den Pfad stolpern, früher oder später. Es gab kein Loskommen davon und darin lag eine Wahrheit, die sich nicht umgehen ließ:
Es war eine Zeit angebrochen, an der er seinen Chieftain vermutlich damit am Zufriedensten stimmen konnte, indem er ihn von seiner Last erlöste und diese übernahm. Doch das konnte Berek nicht, dafür fühlte er sich auf vollkommen neuartige Weise nicht stark genug. Nicht aus Schwäche oder mangelnder Überzeugung heraus nicht stark genug, sondern aus schierem, gutem ehrlichen angurischen Trotz. Doch er würde Hallbrand mit allen Kräften unter seiner Last stützen und so den Clan in eine Zukunft leiten, die er für ihn gewählt hatte ohne sich dessen voll bewußt gewesen zu sein. Eine Zukunft, die Berek bei seinen verflixten Denkorgien einholte, sich vor ihn stellte und aus den Gedanken in die Realität zurückboxte. Sie war hoch gewachsen, hatte eine Hakennase, ein säuerliches Gesicht purer, unerfahrener Jugend und zwei geballte Fäuste, von denen sie eine auf Bereks Oberarm abgefeuert hatte. Der riesige Angure hatte sie bislang nicht wahrgenommen, denn die starken Nordwinde gingen tückisch mit der Geräuschkulisse um und außerdem hatte er sich ja gegen ihre quängelige Stimme immunisiert. Da Mora nun aber unweigerlich seine Aufmerksamkeit hatte, mußte sich Berek geschlagen geben und ihre Vorhaltungen plätscherten ungehindert in seinen Schädel.



"Was ist'n los mit Dir? Läßt mich ganz einfach alleine mit dem Schiff und... und Dutzende von Euch stehen um mich 'rum... ...!", es war ihr vielleicht einen Moment peinlich, den Clan MacAgrona von sich zu separieren oder hatte sie doch nur nach Luft geschnappt, um fortfahren zu können? Unauffällig zog sie die Faust zurück, hatte sie ihn ohnehin nur angestupst, doch wer wußte schon, auf welch dumme Ideen man den ruppigen Klotz bringen konnte. Berek bildete sich ein, ihren Gedanken lesen zu können und war zufrieden mit dem Ergebnis. Beide Hände verschränkte Mora nun tief auf Bauchhöhe, um die Stelle prophylatkisch zu schützen, an der sie die letzte erzieherische Maßnahme getroffen hatte wie ein Hammerschlag. 'Gomaith', dachte der ruppige Klotz in sich hinein und ließ sie noch eine Weile weitermosern. Es gab nicht sonderlich viel, was sein Herz erwärmte, doch wenn jemand aus seinem Handeln etwas gelernt hatte und sei dieses auch noch so unbarmherzig gewesen, dann war das ein beiderseitiger Gewinn. Die einzige Art von Gewinn, die seine unverrückbare Einstellung zuließ neben dem Sieg im Kampf.

Mora schwatzte noch eine Strophe von Vorhaltungen herunter, Berek schwieg und beobachtete. 'Das nächste Mal hau ich ihr auf die Nase, dann lernt sie, daß Bauch schützen ganz gut ist, aber es was wichtigeres zu schützen gibt.', den Gedanken mochte er und innerlich mußte er bewußt die Vorfreude verdrängen, ihr sogleich eins auf die Hakennase zu verpassen. Zu ihrem Wohl, das verstand sich von selbst. Doch all das mußte passieren, wenn die Situation gut und gerecht oder er zornig war. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er zornig sein und es daher gerecht sein. Er spürte, wie sich seine Gesichtsmuskeln selbstsständig verspannten und im selben Moment ließ die entstellte Abart eines wohlmeinenden, seeligen Lächelns die junge Angure fassungslos fragen: "Findest Du das etwa auch noch lustig? Du hättest mir wenigstens sagen können, wohin Du gehst, damit ich mitgehen kann!"

"Jetza weißt, wieso'ch's Dir ni't g'sagt hab.", schnaufte ihr der träge Basston undeutlich dazwischen. Das eigenwillige Lächeln hatte sich bereits spurlos verloren. "Halt d'e Luft an un' schieb ab. 'ch komm eh glei', kapiert?" Das junge Mädel schluckte schwer und presste vorwurfsvoll die Lippen aufeinander, bevor sie hervorbrachte: "Dafür hätt' ich mir ein zweites Püsch verdient!" Dann folgte sie seinen Anweisungen und stapfte in besonders festem Schritt davon, um auf ihren Ärger aufmerksam zu machen. Doch das ging unbemerkt an Berek vorüber, der sich schon wieder der eintönigen Beobachtung der weißen Ebene verschrieben hatte. Ein Fell wollte sie und damit hatte sie seine Gedanken auf eine Spur gebracht, der er noch kurz nachgehen wollte.



Fell, Ein Fell...
Er hatte über sich, den Clan und dessen Führung nachgedacht, bevor sie ihn gestört hatte und das Fell war vielleicht eine Lösung dafür.
Wenn der Clan denn ein bäriger Körper war, dann war jeder auch ein Stückchen von einem Fell. So wäre Berek auch der Fleck eines Fells, das alle umschließt, wärmt und schützt.
Vielleicht war er nun für die anderen eine ganz besonders dicke Schicht Fell oder eine ausgesprochen zähe Faser davon.
Das war eine Position, mit der er sich viel eher anfreunden konnte, denn der Schädel wollte er nicht sein.

Oder.. Hrrrnm ... Oder...
Die Fettschicht darunter!
Das war ein noch passenderer Gedanke, denn Fett und Muskelmasse waren etwas, das Bereks Naturell noch weit eher entsprachen. Sie erschienen ihm noch weit persönlicher als das Fell alleine, das ganz außen liegt. Er war auch Teil eines Fettvorrates, der alle nährt und überleben ließ. Ihn unterschied von den anderen wahrscheinlich nur, daß er ein etwas größerer Fettpropfen tief drinnen im Gewebe war. Mit diesen satten Gedanken tief im Schädel verwurzelt, konnte er sich schließlich doch von der einsamen Wildnis Scathlans loseisen, die durch das störrische Weib in Sichtweite ohnehin verzerrt war.
Er war nicht mehr alleine. Obwohl er sich nur ein paar Herzschläge mehr gewünscht hatte, so war die ihm gegebene Zeit der einsamen Ruhe mehr gewesen, als er sich hätte erhoffen dürfen. Er war in Gedanken ohnehin nie alleine gewesen und würde es sein ganzes Leben nie mehr sein. Und obwohl die Hakennase nur darauf zu warten schien, endlich geschlagen zu werden, war Berek ihr irgendwo innendrinnen, wo er es nicht mehr genau lokalisieren konnte, dankbar dafür, daß sie aufgetaucht war und sich so in den Kreis derer gedrängt hatte, mit denen er sich herumschlagen mußte.

Nicht alleine zu sein,
die dichteste Fellschicht, der zähste Muskelstrang und der üppigste Fettpropfen zu sein,
das war ein Teil seiner Existenz.
Der wichtigste Teil davon.
Und all das war er nur zu gerne.


Zuletzt bearbeitet von Berek MacAgrona am 09 Nov 2007 00:05, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Berek MacAgrona





 Beitrag Verfasst am: 09 Nov 2007 02:54    Titel:
Antworten mit Zitat

Die Watschen der Wahl
oder "Die Wahl der Watschen"




Berek war zu der Ansammlung von Hütten auf Scathlan zurückgekehrt, die für zwei Generationen die Heimat der MacAgrona gewesen war. Auf dem Rückweg war Mora ihren eigenen Fußspuren entlang gefolgt und schien verblüfft, wie rasch diese hier aus allen Richtungen verweht waren, obwohl es nicht nachschneite. Sie hatte Scathlen nie zu einer Eiszeit erlebt, wo nicht einmal Erfahrung und Kraft ein Garant für eine sichere Heimkehr waren. Die Insel, wenn auch schwach und ihrer Reißzähne beraubt, stellte sich selbst vor und hielt mit ihren Tücken und Gefahren nicht hinterm Eisberg. Obgleich sich die beiden nur wenige hundert Schritt von der Siedlung entfernt hatten, hatte das freie Auge bereits Schwierigkeiten, die kontrastarmen Umrisse der kargen Blockbauten auszumachen. Die vom Wind aufgepeitschten Schneedünen ragten an den Wällen in weicher Krümmung empor bis auf die Höhe der Dächer und auf diesen lag das alles dominierende weiß jahraus-jahrein in dicken Schichten. Üblicherweise wurden die Dächer von den gelenkigen Wichten im Clan abgekehrt, damit das Gewicht der Schneemassen das Gebälg nicht erdrückte. Davon war an jenem Tag ebensowenig zu sehen wie von befeuerten Kaminen. Nur ein einziger Rauchfang spieh hustend seinen warmen Odem in den tristgrauen Abendhimmels und er gehörte zu Hallbrands Hütte. Die begrenzten Holzvorräte durften nie leichtfertig vergeudet werden und es war selten, daß bei solch mildem Klima eingeheizt wurde. Das war jedoch nicht der Grund, wieso in der Siedlung viel alltägliches unerledigt geblieben ist. Der Clan war auf den Beinen und es gab wichtiges zu erledigen.

Die Geräuschkulisse reger Geschäftigkeit erwartete die beiden Rückkehrenden, Berek und Mora, als sie der Siedlung nahekamen. Der Nordwind machte in seinem einsamen Pfeifen vereinzelt Halt und dann konnte man die Tat förmlich hören. Es gab einiges zu erledigen, um Bereks Anweisungen für die in Bälde angesetzte Abreise zu entsprechen. So sehr, wie er seine große Familie mit seiner plötzlichen Rückkehr überrascht hatte, so unerwartet kam die Ankündigung, daß er nicht bleiben würde. Von der Enttäuschung, das der Rückgewinn des alten Clansbruders nur vorübergehend gewesen war, fand glücklicherweise jeder seine Ablenkung.

Es gab viel zu denken und viel zu tun.



Eifrige Hände waren damit beschäftigt, allerlei Vorräte zu der Stelle zu schleppen, an der das Schff auf Scathlan gestrandet war. Kein Holz, nichts von den kargen Erträgen der kaum vorhandenen Vegetation, nur das Notwendigste an Nahrung, um die Rückreise zu bestehen, so unmißverständlich waren die knappen Anweisungen aus Bereks Mund gewesen. Fuachtero wäre im Vergleich hierzu ein gelobtes Land, in dem einem die Mahlzeit direkt vors geöffnete Maul lief. Man mußte nur noch zubeißen, so hatte Berek es ihnen schmackhaft gemacht. Er würde den Zurückbleibenden nichts wegnehmen, was ihnen beim Ausharren und Überleben fehlen könnte. Stattdessen hatte er es auf den brachialen Stock angurischer Handwerkskunst abgesehen, der sich über Jahrzehnte angesammelt hatte. Die meisten Stücke waren gezeichnet vom Gütesiegel bestechend einfacher Derbheit, das für schwere Effizienz und Zuverläßigkeit stand. Rüstzeug, Waffen und ein Teil des Waffenschatzes, der noch von Agrona und dessen Vorfahren erbeutet und gehortet worden war, wanderten auf Händen und Rücken einer unregelmäßigen Menschenschlange zum Schiff. Sie würden ihrem ureigenen Bestimmungszweck gewissenhaft zugeführt werden, denn in der warmen Welt der Ferne gab es dafür so viele Gelegenheiten wie fremde Gesichter. So schmucklos und knackig hatte Berek es ihnen geschildert, ohne sich mit Erklärungen zu verzetteln. Diese Prophezeiung mußte auch widerspengste Gemüter überrollen, denn eine Aussicht auf Kampf ließ kaum ein Herz kalt.

Jede Waffe sollte vor dem Verladen noch einer kleinen Prüfung unterzogen werden, auch wenn Berek das nur sehr ungern tat, denn es bedeutete Zweifel. Zweifel, die durchaus berechtigt waren für einen vernünftigen, pragmatischen Denker. Berek war jedoch beides nicht ohne Einbussen und Vorbehalte. Einige der Waffen waren sagenumwobene Relikte und damit womöglich durch Zeit und Klima unbrauchbar geworden, die überwiegende Masse bestand jedoch aus schmucklosen Versuchen eines MacAgrona, das Schmiedehandwerk auszuführen und hatten damit auch ernste Zweifel an ihrer Verläßlichkeit verdient. Es hätte gelten müssen, die sauberen Stücke von einem der seltenen Talente im Clan aus der Menge herauszufiltern, doch das hätte bedeutet, ein Unvermögen der eigenen Leute einzugestehen.

Das wäre vernünftig, pragmatisch, aber nicht Berek.

Auch so manchem metallische Manifest einer Legende hätte eine Überprüfung nicht geschadet, doch das hätte bedeutet, an den großen Taten der Vorfahren zu sägen und ihre Untastbarkeit in Frage zu stellen.

Das wäre vernünftig, pragmatisch, aber nicht Berek.

Seine zweckorientierte Seite, ohne die kein Angure überleben konnte, hatte sich daher mit den sturen Prinzipien geeinigt, jede Waffe und jedes Stück von einem Jungsporn prüfen zu lassen; zur Not indem auf ein Stück Holz eingeschlagen wurde. Hielt sie stand, so war sie zumindest irgendwie nützlich und wurde daher mitgenommen.




So kam es, daß Berek und Mora die typischen Geräusche von Waffengebrauch vernahmen, die sich problemlos durch das Windsäuseln schneiden konnten. Sie schwiegen beide; sie, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie wäre nicht mehr verärgert, und er, um die endlich eingetretene Ruhe nicht zu zerstören. Gerade eben hatten sie die ihm wohlbekannte Lücke im Wall erreicht, die schon vor Ewigkeiten ausgebessert gehört hätte. Stattdessen war sie zu einem direkten Eingang geworden, um nicht jedes Mal um die gesamte Pallisade laufen zu müssen. Soeben hatte er sich daran gemacht, seine ausnahmsweise störend breiten Schultern durch die schmale Öffnung zu bugsieren, schrie jemand panisch und alarmiert im Dorf.

"Hrrrrnm..?", zwei ausladende Schritte nach vorne ohne unnötig ins Laufen zu verfallen, denn Berek lief grundsätzlich erst, wenn er den Grund kannte. Irgendetwas von seinem Kilt blieb an dem borstigen Holz der Pallisadenwand hängen, doch das hielt ihn nicht auf. Schon hatte er zwischen zwei Hütten eingekeilt einen perfekten Ausblick auf das gesamte Treiben in der Siedlung: Einmal brummend nach links, einmal Ärgerliches raunend nach rechts gelugt, da hatte er auch schon den Quell des Schreis ausgemacht. Eigentlich die Stelle ausgemacht, auf die alle anderen Blicke zeigten, das machte es leicht. Gerade rechtzeitig hatte er hingesehen, um die schallende Ohrfeige noch mitzubekommen, die ein junges Mädel einem Burschen auflegte. Um ein Haar hatte er sie verpaßt. Und gleich wie viele Ohrfeigen man in seinem Leben gesehen hatte, es konnten einfach nie genug sein. Sie waren ein verläßlicher Freudenbrunnen, jede für sich, solange man sie nicht selbst einfing.


Sie hieß Asa oder Asar, sehr jung, ein unauffälliges Ding, deshalb war sie ihm bislang auch nicht groß im Gedächtnis haften geblieben. 'Kein Wunder bei der Watschen', dachte er bei sich, denn Bereks geübtes Auge hatte erschreckend viel Durchzugskraft vermißt. Wenngleich der klatschende Laut so satt war wie bei einem ins Wasser geworfenen Stein, der Kopf des Kerls hatte sich nicht einmal weggedreht beim Einschlag der Hand. Der Geschlagene hieß - Berek wollte der Name partout nicht einfallen - und glänzte nicht unbedingt mit seiner Reaktion. Er blieb einfach stehen und versuchte zu lächeln oder irgendetwas zu erklären. Stammelte er? Berek konnte es von hier nicht hören, doch daß der junge Mann beschämt war, das konnte jeder im Clan erkennen, auch wenn der Großteil trotzdem über die Situation lachten. Der Jungspund war davon jedoch nicht gekränkt, sondern wechselte über zu einem grinsen. Für ihn lachte man nun nicht mehr über ihn, sondern mit ihm und wahrscheinlich stimmte das für die meisten auch.
Svenja war keine davon.

Sie war nur wenige Schritte entfernt gestanden und bückte sich nach einem Axtkopf am Boden, den die Schneedecke vor den Blicken der Zusehenden bislang verschlungen hatte. Ehe die Erwartungen mit der Realität mithalten konnten, war die stattliche Angure schon bei dem Burschen angelangt, von dem Berek zunächst dachte, er sei ein lüsterner Sittenstrolch gewesen, den Asa für seine Dreistigkeit bestraft hatte.
"Willst uns all' erschlag'n, Du...", brauste sie auf, doch das Schimpfwort war vermutlich für niemanden zu hören gewesen. Nicht einmal für den Kerl selbst, denn in seinem Kopf mußte es nach der zweiten Ohrfeige klingeln und scheppern. Das war nicht mehr das Geräusch eines ins Wasser geworfenen Steins, das war Oengus, der einen Bauchfleck direkt ins eisige Meer machte. Auch die Wirkung hielt, was der wohlige Klang in Bereks Gehörgang versprochen hatte. Der ungeschickte Kerl war seitwärts in den Schnee gekippt und mußte erst seine Überraschung und Schmerzen hinunterschlucken, bevor er sich die rasch rot anlaufende Backe reiben konnte. Svenja wußte eben, wie man Farbe auf die Wangen brachte. Nun lachte niemand mehr prustend und die meisten der nach oben weisenden Mundwinkel waren in ehrlichem Bedauern nach unten erschlafft. Bei Berek war es genau umgekehrt.


"Bess'r", war sein beipflichtender Ein-Wort-Monolog dazu. Und bei seinem genüßlichen, geistigen Auswüchsen zum Thema Ohrfeigen tanzte auch wieder Moras Hakennase durch seine Gedankenlandschaft. Allmälich wurde es chronisch. Wo war sie überhaupt, die Nase? Widerwillig drehte er den Schädel zur Seite. Sie zupfte an der ihr so kostbaren Fellbekleidung, damit sie ja nicht in der Lücke der Pallisade beschädigt wurde, und hatte somit alles verpaßt. Es zwängte sich ihm der Drang auf, ihr mehr über handgreifliche Auseinandersetzungen einzubläuen. So war es höchste Zeit, sich anderem zu widmen, bevor er etwas tat, was sie später bereute, nämlich ihn begleitet zu haben. Berek trat aus der Deckung der Hütte heraus auf den zentralen, freien Platz. Die Ersten hatten ihn ohnehin schon gesehen und sich daher zurück an die Arbeit getrollt, denn sie ahnten, was nun folgen würde und behielten Recht. Diejenigen, die noch in einem Schwätzchen über das soeben Geschehene schnatterten, ernteten den Groll.

"Maul halt'n un' macht's weit'r. Da gibt's nix zum Glotz'n, wir ham's eilig!"
Dann hielt er auf den geschlagenen Kerl, Asa und Svenja zu und klärte die Sache schlicht und einfach. Er hielt seine basslastige Stimme dabei möglichst gleichmäßig frei von Tiefen, um den Burschen nicht noch weiter zu beschämen: "Du Vog'l", das erschien ihm als passender Ersatz für den vergessenen Namen ~ d'e Axt weg von d'e and'ren wennst rumprobierst, kapiert?" Berek hatte die Situation inzwischen richtig erfaßt, ohne sich genauer erkundigt gehabt zu haben. Der Stiel in der Hand des jungen Kerls, erklärte alles. Er hatte wohl die Tauglichkeit der Axt etwas zu übereifrig und sorglos erprobt und der Axtkopf mußte sich gelöst haben und Asa nur knapp verfehlt haben. Svenja hatte vermutlich ähnliches Glück gehabt oder war nur erbost darüber, wie leicht so viel jugendlicher Übereifer zur Gefahr geworden war. Berek aber interessierten solch kleine Details nicht. Er fragte auch nicht nach, sondern benickte Svenjas Reaktion stillschweigend, ehe er den nun unglücklichen Anguren von sich fortstieß; hart, aber versöhnlich. "Na los, mach weit'r.. und auch mit d'e Schäd'l arbeit'n." Bevor Svenja sich auch davonmachte, noch immer schäumend vor Wut, nahm Berek ihr den Axtkopf aus der Hand und ließ sie dann ziehen. 'Ni't Bearnards Axt.', sagte er sich selbst zufrieden, als er das klobige Stück scharfen Metalls befühlte. Es gab nirgends ein Erkennungsmerkmal dafür, ob es Bearnards Werk war oder das irgendeines Stümpers im eigenen Clan, doch Berek hatte ohnehin eine viel angenehmere Lösung parat: 'D'e kann ni't von uns sein.. Muß ein MacGaulich uns unt'rg'jubelt hab'n.'; er ließ sie verschwinden, um die Spuren von Fehlbarkeit zu verwischen und betrachtete seine Umgebung.




Ohne den Schrei hätte er es schon früher gemerkt und auch vor seinem kurzen Ausflug in die Wildnis Scathlans hatte es ihn schon alarmierend gejuckt: Das Gefühl, daß etwas nicht stimmte, befiel ihn aus dem Hinterhalt und auch wenn sich die MacAgrona in seiner Umgebung in ihre vorherige Beschäftigung stürzten, war ihm gänzlich offenbar, daß es unter der Oberfläche brodelte. Es war ihm wie das Gefühl als würde man etwas Geheimnisvolles vor ihm verbergen, doch dieser ohnedies schon sehr feinfühlige Eindruck war eine Täuschung und Berek fiel nicht darauf herein. Anspannung hielt die Siedlung der MacAgrona in ihrem Würgegriff und nachdem das Zwischenspiel der Ohrfeigen die Stimmung gelockert hatte, verkrampfte sie sich sogleich wieder. Die Gemüter taumelten zurück in die Realität, die unmittelbare Ablenkung war vorbei.

Er fühlte in sich hinein und nahm einen tiefen Lungenzug Frischluft.
Das machte es ihm leichter, mit dem einzigen Gebilde Kontakt aufzunehmen, dessen Gefühle er vollständig erfassen konnte: Dem Clan.
Ein dichter Nebel fixierter Vorstellungen hang in der Luft, geschwängert von hohen Erwartungen und sinkenden Hoffnungen, die förmlich darauf brannten, enttäuscht zu werden. Stolz war ebenso eine Zutat im diesem Eintopf der Emotionen, aus dem sich auch der beißende Dunst von Neid und Mißgunst erhob. Das alles war den Empfindungen ähnlich, die vor allem die Jungen im Clan vor einem Kampf auf ihn ausstrahlten. Es waren die Erkennungsmerkmale des Wetteiferns. Darüber hinaus nahm er auch Sorge und Kummer war, die bang und schwer an seidenem Faden in der Luft baumelten. Das Netz der Anspannung war über den ganzen Clan erstreckt. Berek war mit ihren Denkweisen und Motiven ganz gut vertraut, und deshalb hatte er einen naheliegenden Verdacht, woher all diese Spannung kam.



Es gab noch etwas, das Berek mitnehmen würde.
Er hatte nicht vor, sich auf ein paar Gegenstände zu beschränken, denn es brauchte auch kräftige Herzen und starke Arme, welche die Waffen führen würden. Vorbereitungen mußten getroffen werden, da Töchter und Söhne des Clans so unvermittelt aus ihrem gewohnten Umfeld entlassen werden sollten, um ihrer neuen Heimat entgegenzusteuern.
Die Auswahl war noch nicht getroffen.
Und eben dieser Punkt war eine verwundbare Stelle in der Selbstsicherheit aller, ließ Platz für Spekulationen, Erwartungen und die vorsorglich bohrende Trauer der wahrscheinlich Zurückbleibenden. Es würde sich vieles ändern, so viel war gewiss.

Diejenigen, die sich gierig auf die Tat für die Überfahrt qualifizieren wollten, strebten danach, ihren Arbeitswillen zu demonstrieren. Sie schleppten wie Wilde oder vollführten ausufernde Kampfübungen, anstatt die Ausrüstung milde zu erproben. Es war schon bemerkenswert, daß keine handfesten Streitigkeiten zwischen den Ambitionierten ausgebrochen war. Giftige Blicke, beißende Sprüche und auch die eine oder andere zufällige Rempelei blieb einem Beobachter auf der Pirsch aber nicht verborgen. Berek war so ein Beobachter. Und Mora, die vom kollektiven Zorn am meisten abbekam. Zum einen, weil sie die Einzige war, die mit Sicherheit mit Berek auf das Schiff durfte und damit das hatte, was sich so mancher Heißsporn wünschte, zum anderen, weil sie ihr übriges tat, um gleichaltrige MacAgrona und auch ein paar Ältere gegen sich aufzubringen. So stand oder hockte sie die ganze Zeit rings um Berek, meist etwas hinter ihm und vertrieb sich die Zeit damit, von ihm unbemerkt seine Anweisungen und Befehle neunmalklug zu benicken oder sogar mit dem Zeigefinger anzumahnen, wann immer er das tat. Zunächst war sie nur immer um Berek wie ein Schatten, weil er ihre einzige Bezugsperson war und sie sich so am ehesten vor Arbeit drücken konnte. Im Verlaufe des Tages war ihr Motiv zunehmend, Vergeltungsmaßnahmen von Gleichaltrigen zu entgehen und bei Berek war sie wohl sicher. Berek bekam das meiste davon mit, doch ließ er sie gewähren, um die Nase nicht sehen zu müssen, die sich auf gespenstische Weise in seinem Gedankenbild manifestiert hatte. Verführerisch war die Versuchung, sich von dem Zwang mit einem einzigen Schlag nur zu befreien, doch das konnte er ihr vor all den anderen nicht antun. Nicht einfach so.. und nicht, solange sie den Mund hielt, was sie verläßlich tat, um vermeintlich unentdeckt zu bleiben.

So konnte Berek ungestört auch jene Gruppe beobachten, die nicht davon ausging, mit ihm zu fahren, oder es auf Grund ihres Alters vorzogen, anderen die Möglichkeiten zu lassen. Sie brachten sich ein und verrichteten all die kleinen Aufgaben gewissenhaft im Hintergrund, selbst wenn ihnen das Herz schwer war. Jene, die eines Handwerks mächtig waren, versuchten in der kurzen Zeit noch möglichst nützlich zu sein, denn wer davon ausging, nicht mitzufahren, der wollte seinem Clan noch jetzt von großem Nutzen sein. Jene, die dem Unterfangen mit offener Skepsis gegenüberstanden, leisteten ebenso ihren Beitrag, indem Sie alles kritisch beobachteten, moserten oder die vermeintlich Abreisenden mit Ratschlägen eindeckten. Berek würde niemanden zwingen, seine Ansicht zu teilen. Noch nicht, denn das brachte ihm nur noch mehr Gegendruck ein. Er mochte Gegendruck und den Reiz, diesen zu überwinden, doch würde dies nur das Unbehagen aller fördern und die Fronten gegeneinander aufbringen.

Das wäre unvernünftig, unpragmatisch, aber nicht Berek.
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