Ein Schreiben an Jawahrah Bashir

[Fadi Yazir]

Ein Bote bringt ein Schreiben mit dem Siegel der Omar an Jawahrah aus dem Hause der Bashir und wartet dort, um ihm jenes persönlich zu überreichen.

Salam Jawahrah aus unserem Hause der Bashir,

mit Freude im Herzen kann ich nachfolgendes verkünden. Das Reich möchte Dir die Aufgaben des Handelsbeauftragten übertragen, da ich mich den Aufgaben als Wesir besser widmen möchte. Somit bist Du nicht länger nur für die Verwaltung des Kontors zuständig, sondern ebenso mit der Aushandlung sämtlicher Handelsbeziehungen unter Anleitung der obersten Diplomatin Khalida Yazir.

Am Ende der Woche ist eine Zusammenkunft für alle Berater des Reiches angedacht, die Fuad als neuer Statthalter einberufen wird.

Möge Eluive Dir für diese Aufgabe Weisheit und Kraft schenken.



*Siegel des Hauses Omar*

[Jahwarah Bashir]

Wäre der Ausdruck „Zittern wie Espenlaub“ im Wüstenreich bekannt, würde man ihn sicher nutzen um den Zustand von Jahwarahs Händen zu beschreiben. Und auch der Rest des menekanischen Frauenkörpers wurde von diesem kleinen Beben nicht verschont. In immer wieder neu angefachten Wellen bahnte es sich vom kräftig schlagenden Herzen aus seinen Weg durch jede Faser des Daseins.

Handelsbeauftragte!

Einer schwerelosen Feder gleich segelte das Pergament aus Jahwarahs Griff, schwebte in sanften Wogen zu Boden und legte sich mit einem leisen Rascheln auf dem weichen Teppich nieder.

Beraterin des Emirs!

Im gänzlichen Gegenteil zu dem Pergament, nämlich eher wie ein schwerer Sack voll Sand, plumpste Jahwarah mit einem dumpfen Knall auf den Boden nieder. Sprichwörtlich hatte es ihr den Boden unter den Füßen entzogen. Das Papier wurde wieder aufgegriffen, sehr zum Leidweisen Shainas, die ihre Samtpfoten schon vorfreudig danach ausgestreckt hatte. Das bernsteinfarbene Augenpaar überflog die Zeilen erneut, immer und immer wieder. Zum wievielten Male, das wusste Jahwarah schon lange nicht mehr. Feine Schriftzüge, direkt aus der Hand des Wesirs. Die Buchstaben verschwammen, wandelten sich zu einem schwarzen Batzen auf hellem Hintergrund. Die helle Stimme Armaitis, Schwester des erhabenen Wüstenherrschers, hallte in ihrem Kopf, eisblauen Augen manifestierten sich in Jahwarahs Gedanken.

„Handelsbeauftragte. Nicht mehr nur die Verwaltung des Kontors des Basar edler Künste. Eine aus dem Beraterstab des Emirs. Jahwarah Bashir!“

Die tiefe Stimme des neuen Stadthalters, Fuad, mischte sich darunter. Erklärte im Duett mit Armaiti was die neue Aufgabe bedeutete. Was sie für Jahwarah bedeutete. Die Stimmen schwollen an, wurden lauter, verzerrten sich und drohten Jahwarahs Kopf zum Zerspringen zu bringen.

„Ahhh!“, rief sie in die Stille ihres Hauses hinein und warf die Hände über das Gesicht. Wo war Raniya Sahar, ihre geliebte Cousine? Wo war Ibraheem, ihr geschätzter Bruder? Wo waren sie, denen sie ihr Herz und ihre Seele öffnen konnte? Raniyas Bett seit Tagen unberührt, Ibraheems Tür seit Tagen verschlossen. Wo waren sie?

Der Dattelwein war ihrer an diesem Abend, ihrer allein.

Die Freude und Ehre für die Familie Bashir, einen Berater des Emirs in ihren Reihen zu wissen…ihr allein.

Der leise Zweifel dieser Aufgabe vielleicht nicht gewachsen zu sein mit ihren jungen Jahren…ihr allein.

Der Traum vom Harem des Wüstenherrschers, von dem sie sich in diesem Moment endgültig verabschieden musste…ihr allein.

Der neue Weg, der ihre neue Bestimmung werden sollte…ihr allein.

Sie hob das Glas und prostete ins Leere.


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