Vom alten Hinrich

[Hinrich Desinger]

Es war eine kalte und stürmische Nacht als der einäugige Karl den Matrose der 'Neuen Hoffnung' endlich sein "Laaaaaaaaand in Sicht" meldete. Gerade zu dieser Zeit stand der alte Hinrich dem bärtigen Kapitän gegenüber am Heck des Schiffes.
Dieser schien - im Gegensatz zur restlichen Besatzung - vom Ausruf nicht sonderlich beeindruckt zu sein und brummte nur ein tiefes "Die Uhr!" vor sich hin, womit er dem vorausgegangenen heiteren Disput über das wahre Wesen der Nixen ein drastisches Ende setzte.
"Aber wer möcht' denn gleich so unhöflich werden", entgegnete ihm Hinrich mit einem müden Lächeln. Er wusste genau, dass ihn sein bärtiges Gegenüber durchschaut hatte, wollte aber nicht zugeben resignieren zu müssen und druckste noch ein wenig herum.
"Die Uhr", wiederholte der Kapitän erneut. Hinrich hatte seine nassen Finger schon längst in seiner Manteltasche verschwinden lassen und spielte aufgeregt am Aufzug der Taschenuhr. "Ein bisschen viel für 'ne Überfahrt", meinte er plötzlich mit einem seltsam agressiven Gesichtsausdruck "andere zahlen nur 'n paar Münzen!"
Der Kapitän schnalzte mit der Zunge.
"Es ist noch nicht zu spät dich ins Wasser zu werfen, mein lieber Desinger."
Der kleine, dicke Mann wiegte seinen Kopf hin und her. "Ich geb' sie dir, wenn wir da sind."
"Auf dein Wort kann ich nicht vertrauen." Und schon wendete er seinen Kopf nach hinten, bereit im nächsten Augenblick nach seinen Matrosen zu rufen und den undankbaren Gast den Wellen zu überlassen.
"Aye, aye... jetzt warte doch mal", seufzend holte er das gute Stück aus seiner Tasche hervor.

Noch am nächsten Tag, nämlich als er in einer schäbigen Gaststätte in Bajard aufwachte, bereute er den Tauschhandel. Das Instrument war doch etwas besonderes. Die Zeit auf jeden Moment genau zu wissen bringt einem gewisse Vorteile, die mit nichts wieder wett zu machen sind. Mit gar nichts, ja da war er sich sicher!
Aber die Überfahrt brachte ihm natürlich auch ihre Vorteile. Eine neue Insel, neue Bekanntschaften, neue Geschäfte, ein neues Leben. Vor allem aber die Anonymität!
Hier konnte er wieder ganz eigene Preise einführen, hier war er unbekannte, hier zählte sein Wort noch, wie das Wort eines jeden. Vielleicht sogar wie das eines Ehrenmannes, nein, doch wie das eines jeden, schließlich wollte er ja nicht übermütig wirken.