FAQ Login
Suchen Profil
Mitgliederliste Benutzergruppen
Einloggen, um private Nachrichten zu lesen
        Login
Keruan Esgarath - Diener der Allmutter
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Keruan Esgarath - Diener der Allmutter
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
Keruan Esgarath





 Beitrag Verfasst am: 04 Nov 2007 20:02    Titel: Keruan Esgarath - Diener der Allmutter
Antworten mit Zitat

Kapitel 1 – Der Pfad des Lebens

Dunkel und kalt brach die Nacht über Gerimor herein, früher als sonst, als der junge Keruan durch die Straßen Varunas schlenderte. Es war der Tag des großen Unwetters gewesen, ein mächtiger Sturm hatte sich am Himmel erhoben und Tonnen von Wasser auf die Straßen der Stadt geschüttet. Selbst jetzt, Stunden, nachdem sich die Wolkenfront wieder aufgelöst hatte, standen noch Pfützen auf den matschigen Wegen und machten jenes Plitsch-Platsch, das schon kleine Kinder so sehr lieben, wenn man mit den Stiefeln in sie tritt. Doch es war nicht nur die unangenehme Feuchtigkeit, die in den Straßen und Gassen lag, sondern vor allem die merkwürdige Kälte, die den Abend unnatürlich werden ließ. Eine Kälte, die für den Rabenmond nicht ungewöhnlich sein mochte, jedoch erstaunlich schnell und abrupt hereinbrach.

Dies alles hinderte eben jenen jungen Mann namens Keruan nicht daran, seinen Spaziergang quer durch die Stadt fortzusetzen. Das leise Klock-Klock seines Wanderstabes begleitete seine langsamen Schritte monoton. Ein Wanderstab? Ein merkwürdiger Wanderstab in der Tat, war er doch an der Spitze verziert mit einem göttlichen Ankh, dem Zeichen für das Leben, und inmitten des Ankhs das Symbol der Hoffnung und der Wiederkehr, die Sonne. Auch die Gewandung des Mannes schien alles andere als üblich zu sein – eine einfache, erdfarbene Robe verhüllte den Blick auf seinen Körper. Kein Zweifel, dieser Mann musste ein Priester der göttlichen Allmutter sein, ein Anhänger der Pfade Eluives.

Zumindest fast. Keruan Esgarath, der erst vor kurzem noch in einem angesehenen Bürgerhaushalt in Varuna seinen neunzehnten Geburtstag feiern konnte, war in erster Linie ein Ausgestoßener. Ausgestoßen von seiner Familie, von seinem Vater, einem bekannten und beliebten Schreiner der Grafenstadt, der in ihm immer nur den Stammhalter und Nachfolger sah. Für Keruan hatte die Ausbildung früh begonnen und bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr sah er auch keine Veranlassung, jemals an der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges zu zweifeln. Es ist nun einmal Pflicht, dass der Sohn eines Schreiners dereinst auch ein Schreiner sein wird. Oder dass ein Metzgersohn sich irgendwann der Blutwurst zuwendet. Weshalb sich daher Gedanken über eine andere Zukunft machen, die es nie geben würde?

Ein alter, betagter Mann mit grauen Haaren, ein Diener der Eluive, hatte jedoch viel in seinem Leben verändert. Keruan hatte ihn eines Tages auf einem der viel besuchten Markttage Varunas angetroffen und erkennen müssen, dass sein Lebensweg ihm nun eine Abzweigung bot. Denn die Geschichten, die der Priester von der Allmutter und ihrem göttlichen Schicksal zu berichten wusste, faszinierten den Schreinerlehrling über alle Maße. Selbst den Pfad der Mutter zu gehen, ihr zu dienen, ihre Lehren zu verbreiten und in ihrem Sinne zu wirken, das hatte der alte Mann ihm in Aussicht gestellt. Er hatte ihm eine offene Hand dargeboten, Keruan brauchte sie lediglich zu ergreifen – und dabei mit allem zu brechen, was sein Leben bis dahin ausmachte.

Er hatte den Schritt gewagt und mehr bekommen, als er sich jemals hätte erträumen lassen. Schon eine Woche später eskalierten die hitzigen Diskussionen zwischen Vater und Sohn auf eine Weise, die keine Rückkehr mehr duldeten – Keruan zog aus und nahm sein Leben selbst in die Hand. Sein neuer Pfad führte ihn nicht nur in das nahe gelegene Kloster der Temora, sondern wie durch Schicksalshand in die Arme von Sanyarin Lefar, ihrer Gnaden, Diakonin der Allmutter, die durchaus bereit erschien, sich seiner Suche nach seinem Pfad und dem Pfad der Mutter anzunehmen.

Dies – und vielleicht noch ein paar Lebensepisoden mehr – ging Keruan durch den Kopf, während er seine Schritte beschleunigte und eine Häuserschlucht verließ. Mit der freien Hand raffte er dabei den Saum der Robe ein wenig empor, hatte der kostbare Stoff doch schon genug unter dem Regen und dem Schmutz der Straße zu leiden gehabt. Sein heißer Atem stieg in kleinen weißen Wölkchen bis zu den Laternen empor, die seinen Weg beiderseits säumten, als er sich Schritt um Schritt dem Kirchenbau an der Westmauer der Stadt näherte. Die beiden Wachen, die selbst in dieser Kälte loyal und dienstbeflissen ihrer Arbeit nachgingen, nickten ihm knapp zu und hielten den Blick weiterhin auf die schwach beleuchtete Straße gerichtet – sie kannten den jungen Akoluthen inzwischen schon gut genug, dass sie nicht weiter auf ihn zu achten hatten.

Mit einem lauten Knarren und einem dumpfen Rums fielen die beiden Kirchentore hinter Keruan wieder ins Schloss. Vor ihm lag der schwach beleuchtete Seitengang mit seinen beiden kostbaren roten Teppichen, um die der Akoluth mit seinen nassen Schuhen einen weiten Bogen machte. Im Kirchenschiff selbst war es genauso kalt wie außerhalb des Gebäudes, doch die Kerzen auf und neben dem Altar vermochten wenigstens das Innere des Gläubigen zu erhellen und zu wärmen. So trat Keruan leise bis vor den Altar, verneigte sich in gewohnter Weise tief und ehrfurchtsvoll, ehe er in einer der zahlreichen Bänke Platz nahm und seinen Priesterstab neben sich legte. Es herrschte eine gespenstische Stille am Ort der Göttlichkeit, so dass selbst der Hall des leichten Klackens des Stabes ein mulmiges Gefühl hervorrief.

Die beiden Hände flach und entspannt auf den Schoß gelegt und den Blick starr auf den Altar gerichtet blieb der Akoluth eine ganze Weile still sitzen. Zahllose Gedanken irrten durch seinen Kopf, Erinnerungen an die Worte, die Sanyarin ihm in ihren kleinen Lektionen mitgegeben hatte. Immer mehr erkannte er die Wahrhaftigkeit hinter dem Pfad der Mutter, den alles Leben zu gehen hatte, jenes Leben, das ihren Quell in sich trägt und mit einem Ursprung und einem Ziel voranschreitet. Immer deutlicher erschien ihm die Richtigkeit seines eigenen Pfades, als habe er mit Hilfe jenes alten Priesters dereinst den Weg zurück auf den rechten Pfad gefunden, als sei er nun dort, wo die Schöpferin ihn haben wollte. Ein beruhigender Gedanke, und in seinem Inneren breitete sich trotz der klirrenden Kälte ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit aus.

Doch nicht nur die Lehre des Pfades und des Lebens hatte Sanyarin ihm mitgegeben. Vor allem jene Lektion über den Ursprung aller Lebewesen machte ihm noch immer zu schaffen. Sie hatte ihm die Grundlagen anhand der Pilze beigebracht: ganz gleich, wie ein Pilz aussieht, welche Form und Größe oder gar Farbe er hat, er trägt immer die gleiche Wirkung in sich, gehört er zur gleichen Art. Ein Fliegenpilz verliert seine Wirkung nicht, selbst, wenn der Hut nur im schwachen Rot glänzt.
Noch mehr lehrt einen der Fliegenpilz. Kein Leben ist von Grund auf nur böse oder gut. Ein Fliegenpilz kann töten, wenn man ihn falsch zubereitet und nicht um seine Gefährlichkeit weiß. Doch er vermag auch in begrenzten Mengen die Konzentration des Menschen zu erweitern und sein Bewusstsein zu schärfen, wenn man richtig mit ihm umgeht.

Wie der Fliegenpilz, so verhält sich alles Leben, allen voran der Mensch. Form, Farbe und Größe, aber auch Wohnort und viele andere Dinge können über den wahren Kern des Menschen hinwegtäuschen, doch trägt jeder Mensch zugleich alle Seiten in sich. In jedem Menschen mag, gleich, wie er handelt und was er glaubt, der Kern auf dem Weg der Mutter geblieben sein, dem Weg des Friedens und der Gutmütigkeit. Den Menschen auf den rechten Pfad zurückzuführen, sie an ihre Bestimmung zu erinnern und über den wahren Pfad der Allmutter zu wachen, das sollte die Aufgabe der Anhänger Eluives sein.

Doch trotz alledem schien es Keruan schwierig, einem Diener des Panthergottes, der sich scheinbar nur noch dem Zorn und der Wut verschrieben hatte, noch den guten Kern abzugewinnen. Diese Geduld und vor allem den Glauben würde er sich erarbeiten müssen, würde er in erster Linie auch erfahren müssen. Er zweifelte nicht an der Richtigkeit der Worte, nur an seinen Fähigkeiten.

Die Kirchenuhr schlug dreimal – es war mitten in der Nacht und die Glocken verklangen mit ihrem gespenstischen Hall irgendwo im Dunkel der Welt, hoch oben über ihm. Dort oben hatte die Diakonin dem jungen Akoluthen auch die Wunder der Allmutter gezeigt, jene Kräfte, die sie denen zu schenken vermochte, die in ihrem Namen und in ihrem Sinne auf der Erde wandelten. Wasser, Spender allen Lebens, Quell des Seins und Element der Mutter – eine Flüssigkeit, ohne die Mensch, Tier wie auch Pflanze und Pilz in sich vergehen, ohne die niemand zu sein vermag. Da die Mutter Schöpferin und Behüterin allen Lebens ist, gewährt sie ihren Dienern auf Erden jene göttliche Gabe, Wasser zu schaffen, um Leben zu wahren. Keruan hatte dieses Wunder selbst erleben und herbeirufen können, um einer Pflanze hoch oben im Kirchenstuhl, die schon lange keinen Gönner mehr erblickt hatte, Wasser zu spenden. Wie aus dem Nichts trat Wasser in die Handfläche, die zur Schöpfkelle geformt über der Pflanze stand, und netzte die gierigen Wurzeln des Lebens mit dem Saft der Allmutter.

Jenes Wunder war Keruan noch immer so gänzlich fern und unbegreifbar, wie es ihm auch nahe und fühlbar erschien. Es war die Gnade und Gabe der Allmutter, ein Wunder, das nur im rechten Sinne einzusetzen sei. Es ist gar nicht nötig, den Ursprung dessen greifen zu können, was als wundervoll allein genug beschrieben ist. Vielmehr zu erkennen, welch unglaubliche Güte und Fürsorge dahinter steckt, ist das wahre Ziel.
Erneut läuteten die Kirchenglocken zur halben Stunde und Keruan erhob sich leise. Inzwischen waren selbst ein paar der Kerzen rund um den Altar abgebrannt – sie würden ersetzt werden, doch nun fehlte dem Akoluthen ihr wärmendes Licht auf dem Weg hinaus in die Kälte. Den Sonnenstab in der einen Hand tastete er sich langsam durch die Bankreihen – und stieß bei diesem einfältigen Versuch unsanft mit dem Bein gegen eine der Bänke. Ein kurzer Schmerzenlaut, ein Griff ans Schienbein - und überall Dunkelheit.

In dieser merkwürdigen Situation fiel Keruan wieder der Priesterstab seiner Lehrmeisterin und Diakonin ein, die mit ihrer Berührung ab und an in der Lage zu sein schien, die Sonnenscheibe am Kopfende des Stabes zum Erstrahlen zu bringen. War nicht Licht auch eine jener Gaben, die Leben braucht, um bewahrt zu sein? Pflanzen brauchten Licht, denn ohne sie fehlte ihnen die Kraft. Tiere und Menschen brauchten Licht, denn ohne das Licht wäre ihr Leben ein einziges Tasten und Suchen durch den Lauf der Zeit und ihre Seelen dunkel und leer. Und für Keruan selbst erschien das Licht im Augenblick wahrlich lebensrettend zu sein, würde es ihn doch von einigen unerfreulichen und schmerzhaften Flecken an Schienbein und Knöcheln bewahren. Weshalb folglich eigentlich nicht?

Ein wenig zögerlich – vielleicht erschrocken über seine eigene Courage – aber bald schon entschlossen nahm der Akoluth den Sonnenstab fest in beide Hände, reckte ihn ein wenig in die Höhe, dorthin, wo die Sonne stehen sollte, und schloss die Augen. Sein Herz gab ihm den Wunsch vor, das wärmende, schützende und leitende Licht. Doch sein Geist suchte die Bindung zur Erdmutter, ihre führende Hand, ihren Halt. Lange schien sich nichts zu tun – der Stab blieb wie immer und für einen kurzen, albernen Augenblick war Keruan in der Tat froh, dass ihn in der Dunkelheit niemand sehen konnte. Aber irgendwann war es plötzlich wieder da, dieses warme, geborgene Gefühl der Sicherheit, das er immer verspürte, wenn Sanyarin einen der Segen der Allmutter sprach. Und tatsächlich! Als Keruan die Augen öffnete, leuchtete die Sonne an der Spitze des Stabes in einem feinen, schwachen goldenen Licht. Eluive hatte seine Bitte erhört und ihm seinen Wunsch gewährt. Spätestens jetzt war der Akoluth vollkommen von der Güte und Wahrhaftigkeit der Erdmutter überzeugt.

Jetzt, Stunden später, lag Keruan zusammengerollt in einem weichen Bett, den immer noch leicht glimmenden Stab neben sich an die Wand gelehnt. Der Weg war mit der helfenden Hand der Mutter kein Problem mehr gewesen, doch nicht nur dieser Weg – auch der Pfad, den er zu gehen hatte, war deutlicher geworden.
 Nach oben »
Sanyarin Ar´states





 Beitrag Verfasst am: 13 Nov 2007 23:22    Titel:
Antworten mit Zitat

...hinab in die Tiefen mit den Geschwistern des Ordens wie auch des meinen anvertrauten Schützlings, um das Unleben, sowie jene Kreaturen, die das Leben verderben und an dem Werk der Göttermutter zehren, zu erlösen und ihre Seelen ins Lied zurück kehren zu lassen.

Mochte dieser Gang jenem Bruder namens Keruan doch einige Notwendigkeiten nahe legen, um den Pfaden der Göttermutter zu folgen...
Es sollte ein ereignisreicher Tag werden... nicht nur durch ein Zusammentreffen, dessen Details ich später herunter Schreiben werde, auch die Erfahrungen die er erbringen sollte. So zeigten ihm die Brüder des Ordens, das die Göttermutter im heiligen Orden selbst geehrt wurde und gar die Aufgabe, welche jene mit Temora hinterließ, auch als solche erkannt und bewusst sei. Selbst Bruder Sandroval vermochte ehrende Worte für die Mutter Temoras, die unsere, zu bringen.

...

Ward den der Gang hinab in die Stollen, vorbei an Kreaturen des Untodes und finsteren Kreaturen wider der Schöpfung.
Es sollte sich begeben, dass man dort, an diesem Ort auf Diener des Raben stieß, verruchte Schergen Krathors... jener, welcher sich anmaßt in die Schöpfung Eluives selbst, in den ewigen Kreislauf selbst ein zu greifen. Dem Gleichgewicht von Vergehen und Erschaffen.
Es musste darauf hinaus laufen in Konflikt zu geraten... bis die Dienerinnen Krathors nieder gestreckt wurde, von den Klauen eines Kreatur dunkler Art... welch Ironie...

Der Heimweg selbst ward wohl nicht recht ereignisreich, doch das Gespräch im Anschluss mit dem meinen Schützling und meinem Vater dafür um so mehr.
Wahrlich, es freut mich sehr welche Fortschritte ich beobachten kann und welch Gedanken sich mein Schützling macht. Sein Wissen wächst jeden Tag und er mehrt es auf mannigfaltige Weise. Er lernt die Lehren praktisch durch das Leben und dies sei wahrlich eine Gabe, welche ihm gegeben sei.
So er die Gabe der Schöpfung des Quells des Lebens erlernte, vermochte er ebenso aus eigener Kraft und Gedankenfreiheit die gütigen Strahlen der unseren Allmutter erwecken...
Das Wissen über jenes Element und die Bedeutung des Symbols der Wärme und Lebenskraft.
...wahrlich es stellte sich wohl die Frage aus welcher Quelle die Erdenmutter die Gebete der ihrigen Jünger speiste und welche Nuance im Lied stets den neuen Klang erbrachte.
So erlernte mein Schüler wohl schnell, dass es das Licht der Sonne und der hiermit verbunde Klang ward, welcher das Leben erlaubte. Die heilende Kraft der Sonne spendete die Energie das Leben zu Durchschreiten und Wunden zu schließen... ohne die Sonne, das Symbol der Mutter selbst, ward wohl kein Leben möglich und eben so schütze sie eben jenes.
Die andere Klangart, welche uns nahe liegt, ist der seichte Klang der Wogen, des Wiegens der Wellen des Meeres... das Wasser selbst, das lebenspendene Element, ward dem Wesen Eluive wohl am nächsten... Friedfertig... ruhig... und doch von solch einer unbändigen Kraft welche zu einer jeden Zeit eben jene zu zeigen vermag.

Wahrlich... eine Schöpferin... der Ursprung aller.



Aus dem Tagebuch Sanyarin Lefar's
 Nach oben »
Keruan Esgarath





 Beitrag Verfasst am: 04 Feb 2008 20:13    Titel:
Antworten mit Zitat

Kapitel 2 – Der Zweifel bricht

Ein junger Mensch schreitet einen ausgetretenen Waldpfad entlang. Es ist ein warmer, angenehmer Sommertag, die Vögel zwitschern vergnügt im Geäst ihre Lieder und Fuchs wie Hase spielen ausgelassen ihr Spiel. Das saftige, kräftige Moos bedeckt mit seinem frischen Grün den duftenden Waldboden und hie und da dringt ein Sonnenstrahl zwischen dem Blattwerk der Bäume hindurch und zaubert einen unscheinbaren Lichtklecks auf den Boden. Der Schritt des Wanderers ist fest und federnd, er kennt den Weg. Unbeirrt folgt er ihm, gleich, ob er dicke Wurzeln übersteigen oder rinnende Bäche durchwaten muss, ob er an schroffem Felsen entlang kriechen oder steile Abhänge hinab rutschen muss.

Mit einem Mal steht ein junges Mädchen etwas abseits des Pfades, elegant und aufreizend an die alte Rinde eines großen Baumes gelehnt. Sie trägt ein langes, rotes Kleid, das sachte mit dem Wind fliegt, der warm und zärtlich durch den Wald streift. Ihr Haar trägt sie offen. Es ist braun, schulterlang und rahmt das hübsche, junge Gesicht wie eine goldene Sonnenscheibe ein. Ihre Lippen sind voll und rot, sie lächelt den Wanderer an. Die kleinen Fältchen um ihre Augen, wenn sie lächelt, die unscheinbaren Grübchen, die dem Gesicht seine Einzigartigkeit verleihen. Die makellosen, grünen Augen. Alles an ihr spricht in einer Sprache, die keiner Worte bedarf, und doch versteht der junge Wandersmann zweifellos – „Komm her und geh mit mir.“.

Der junge Wandersmann hält mitten im Schritt inne, kaum dass er an der Schönheit vorüber gegangen ist, und wendet sich um. Sein Herz stockt, kurz, dann rast es mit einem Mal. Blut schießt ihm in den Kopf und ein leichtes Schwindelgefühl überkommt ihn. Er ist gefangen, ohne Frage. Er weiß genau, dass er einen Fehler begeht, doch er kann nicht anders. Sein Atem wird langsam schwerer und der Jüngling fühlt in sich, wie der Kampf verloren geht. Er schluckt. Und folgt ihr.

Nun ist sie fort. Wie ein leiser Windhauch verschwand sie, dort, auf der grünen Lichtung, und ließ ihn allein zurück. Als hätte es sie nie gegeben, jene schöne, so wunderschöne Verlockung. Welche Verlockung? Die Erinnerung, sie verblasst. Zurück bleibt nur die Einsamkeit. Die Verlorenheit. Die Irre. Wo ist er? Wo ist sie? Welchen Weg hatten sie genommen durch Raum und Zeit? Wie lange waren sie gegangen, da sie den Weg verlassen hatten? Und der junge Wandersmann irrt durch den Wald, vorbei an Bäumen, die er nicht kennt, über Wurzeln, die er nicht sieht, durch Bäche, die er nicht spürt. Angst, Verzweiflung... Ohnmacht überfallen ihn.

Nun irrt er herum, der junge Mann. Irren ist menschlich, sagt man. Herumirren. Verirren. Kein Weg führt ihn mehr aus diesem Wald, kein Pfad zeigt ihm die rechte Richtung. Sein Geist verlässt ihn langsam und nur noch Angst treibt ihn. Und – Wut. Zorn. Wut auf sich selbst, denn er hatte den Fehler gespürt. Zorn auf die Verlockung, denn er war ihr erlegen. Und so irrt er weiter und entfernt sich immer mehr von jenem Weg, den er einst beschritten hatte.

Da lehnt ein weiterer Mensch an einem alten, knorrigen Baum mitten im Wald. Kein Weg führt zu dieser Stelle, kein noch so kleiner Pfad. Es ist ein alter Mann, schwach und kränkelnd steht er an den Stamm gelehnt und ein schwerer Husten plagt ihn. Doch scheint er nicht überrascht zu sein, den jungen Wandersmann fernab des Wanderweges anzutreffen. Er blickt ihn an. Ruhig. Gelassen.

Hass. Wilder, ungestümer Hass überkommt den jungen Wandersmann in seiner Lage. Irrational. Vollkommen unbegreiflich überkommt er ihn. Er schlägt nicht, er tobt nicht. Er verengt nicht einmal die Augen. Aber er spürt ihn. Tief in sich. Auf diesen alten, wehrlosen Mann, der seine Rettung sein könnte. Wieso Hass? Wieso auf ihn?

Doch der Mann wendet sich ab. Nicht, um zu gehen – sondern um voran zu gehen. Er bedeutet dem Jungen zu folgen. Sein Schritt ist unsicher, aber sein Pfad ist fest. Gestützt von des Jungen starken Arm schreiten sie gemeinsam durch das Dickicht und das undurchdringliche Labyrinth des Waldes. Sie reden nicht. Sie sehen sich nicht an. Sie gehen nur Seit an Seit. Und mit einem Mal, wie durch Wunderhand, gelangen sie zurück zu jenem Pfad, den der Jüngling zu Beginn beschritten hatte.

Ein junger Wandersmann schreitet durch einen sommerlichen Wald. Die Bäume rascheln vergnügt im Sonnenschein, die Vögel singen und die Tiere tollen umher. Die Zeit des Lebens ist wieder erwacht. Das Moos räkelt sich frisch und grün unter den Stämmen der alten, knorrigen Bäume und wacht über den Boden. Der Schritt des jungen Mannes ist federnd und fest. Er ist allein. Doch er kennt den Weg.


Eine Weile lang lauschte Keruan dem Nachhall seiner Stimme im gewaltigen Kirchenschiff. Als die Stille ihn wieder umfing, erhob er sich. Er nahm den großen, braunen Stab mit dem Sonnensymbol an der Spitze zur Hand, trat vor den Altar und verneigte sich. In Demut und voller Ehrfurcht, vor den Göttern des lichten Pantheons und der erhabenen Allmutter im Besonderen.

Er war alleine gewesen. Einsamkeit war nichts, was er vertrug – Keruan neigte in Zeiten, in denen niemand an seiner Seite weilte, oft zu melancholischen, beinahe depressiven Phasen und Momenten. Doch nun war er niemals mehr alleine. Nicht mehr nach dem heutigen Tage.

Denn sie hatte ihm ein Zeichen gegeben. Sie hatte ihm einen Auftrag gegeben. Sie hatte ihm ihr Vertrauen gegeben.

Sanyarin Lefar, Diakonin der Allmutter und Lehrmeisterin des Glaubens für Keruan, war die Botin gewesen. Botin der Allmutter, die mit ihrer melodischen Stimme wieder ein Stück des Weges für ihre Diener auf Erden gezeigt hatte. Keruan sollte ihr dienen, sollte ihre Lehre wirken und verbreiten, wie er es von seiner Lehrerin erlernt hatte. Die geistlichen Zeichen, die Runen am Gewand des Akoluthen, sie waren verändert worden durch die Strahlen der Sonne, durch seinen Mut, durch sein Ja.

Sie hatte ihn zum Diakon ernannt. Und er hatte Zweifel gehegt. Denn er war sicher gewesen, diesem Amte nicht gewachsen zu sein. Zu vieles hatte Sanyarin ihm noch nicht beigebracht, zu vieles wusste er noch nicht. Zu lehren, wenn man selbst noch lernt – wie sollte das gehen? Doch es war jener Augenblick am Altar zu Varuna gewesen – jener Augenblick, in dem er sich hatte entscheiden müssen – da sie seine Frage erfüllt hatte. Nicht mit einer Antwort, nur mit einem Gefühl. Er war sich sicher, er vertraute seiner Göttin – und sich selbst. Und er würde sein eigenes Vertrauen nicht erschüttern. Er würde die Menschen der Welt zurückführen auf den Pfad, den die Mutter ihnen einst zudachte.


Zuletzt bearbeitet von Keruan Esgarath am 04 Feb 2008 22:22, insgesamt 2-mal bearbeitet
 Nach oben »
Keruan Esgarath





 Beitrag Verfasst am: 23 Feb 2008 09:06    Titel:
Antworten mit Zitat

Kapitel 3 – Lehren und lernen

Die Sonnenscheibe weilte noch immer im Schoße der Schöpferin und bereitete sich auf ihre lange Reise vor, als der junge Diakon namens Keruan durch die Straßen Varunas schlenderte. Seine erdfarbene Robe schützte ihn nur behelfsmäßig von der Nässe und Kälte des frühen Morgens, und so trugen ihn weite, eilige Schritte auf seinem Pfad durch die menschenleeren, einsamen Straßen der Stadt. Dabei war er keineswegs ein Frühaufsteher – er genoss normalerweise das kitzelnde Gefühl im Gesicht, wenn das wärmende Licht der Sonne ihn am späten Vormittag aus dem Bett jagte und seinen müden Gliedern Lebenslust einhauchte. Doch in den letzten Tagen war er auf eine seltsame Art und Weise rastlos, ja beinahe gehetzt gewesen.

Seine Füße trugen ihn auf Umwegen zum Westtor der Stadt. Die meisten Häuser und Hütten, an denen er auf seinem Weg vorüber kam, waren noch dunkel, selbst die Wachhunde schlummerten den Schlaf der Gerechten. Aus der Bäckerstube allerdings drang wie gewohnt schon helles Kerzenlicht aus dem Fenster und das Geklapper der blechernen Tablette sowie der Duft frisch gebackenen Brotes, der die ganze Umgebung erfüllte, brachten Keruans Magen zum Knurren. Trotzdem blieb er nicht stehen, sondern setzte unumwunden seinen Weg fort. Sein Ziel war die örtliche Kirche – wie konnte es anders sein. Neben dem Orden der Temora, in dem er zusammen mit seiner Mentorin Sanyarin die Lehren der Eluive verbreitete, war dieser Ort der Geistlichkeit zu seinem zweiten Zuhause geworden. Er genoss die Stille, die Einsamkeit und die Nähe zu den Göttern, die er dort finden konnte.

Mit einer tiefen Verneigung und einem warmen Lächeln grüßte er die Wachmänner, die vor den Toren der Kirche ihren Dienst taten und die Göttlichkeit vor dem Verbrechen schützten. Kein Wort fiel zwischen ihnen, doch trotzdem konnte man seiner Geste eine tiefe Dankbarkeit für diesen Dienst entnehmen. Im Inneren der Kirche war es noch kalt und dunkel, als hätte das Leben dieses steinerne Haus noch nicht für sich entdeckt. Nur aus dem Kirchenschiff drang der Schein einer flackernden Kerze bis in den Vorraum. Der Küster musste schon früh seinen Dienst begonnen haben. Mit einer eher beiläufigen Handbewegung nahm Keruan seinen erdfarbenen Umhang ab und hängte ihn in die Garderobe. Seine schweren, müden Schritte wurden von dem dicken, weichen Teppich gedämpft, der den ganzen Kirchenboden bedeckte. Trotzdem war der Diakon streng darauf bedacht, mit seinem Priesterstab, an dessen Spitze die Sonnenscheibe und das Ankh des lichten Pantheons ruhten, den Boden nicht zu berühren. Je weiter er sich dem Altar näherte, desto ruhiger, gelassener und würdiger wurden seine Schritte, bis er direkt davor zum Stehen kam und sich tief und ehrerbietig verneigte. Leise nahm er in der ersten Bankreihe Platz, legte den Stab vorsichtig neben sich auf die Bank, ließ die Hände entspannt auf seinem Schoß ruhen und versank in seinen inneren Gedanken.
Es vergingen einige Stunden, in denen Keruan beinahe reglos in der Kirche verharrte. Draußen auf den Straßen begann derweil das Leben wieder zu erwachen. Die ersten Strahlen der Sonne tauchten die gepflasterten Straßen der Stadt in ein goldenes Gelb, die Blumen öffneten ihre Blüten in den herrlichsten Farben und nach und nach kamen die verschlafenen Menschen aus ihren Häusern, um ihrem Tagwerk nachzugehen. Schreiner spazierten fröhlich pfeifend mit einem Hackebeil über der Schulter aus den Stadttoren, hinter sich Packtiere im Schlepptau, um genug Holz für die anfallende Arbeit zu ergattern. Die ersten Händler stritten an den Wachtoren mit den Wachleuten oder besetzten den Marktplatz mit ihren bunten, voll gepackten Wägen und Pferden. Mütter gaben ihren Kindern noch einen Kuss auf die Stirn und etwas zu Essen in die Hand mit und schickten sie mit einem beinahe wehmütigen Lächeln auf den Lippen in die Schule oder zum Spielen, ehe sie sich entnervt umdrehten und dem Hausputz widmeten. Rekruten der Garde liefen schwer bepackt schon frühmorgens im Trab durch die Straßen, um ihre Ausdauer zu stärken oder übten sich in der Trainingshalle im Zweikampf. Draußen, vor den Toren der Stadt, waren auch die Bauern schon fleißig dabei, ihre Höfe zu überprüfen – ließ der Bodenfrost langsam nach? Ging es den Tieren gut?

Manche Leute übergaben sich sogar frühmorgens in die Hand der Götter, betraten die Kirche und erbaten von den Göttern Segen und Glück für ihre Arbeit. Der einsame Priester, der dort vorne in der ersten Reihe saß, wurde kaum wahrgenommen. Vermutlich war er einer der fanatischen Gottesdiener, die nur noch mit ihren Göttern sprachen, oder er war im Gebet eingeschlafen. Stören wollte ihn sowieso niemand. Und so gingen nicht nur die Stunden, sondern auch die Besucher vorüber, und Keruan harrte weiterhin auf seiner Bank aus.

Dabei war er weniger im Gespräch mit seiner Göttin, als die anderen Menschen vermuteten und auch weniger, als er sich selbst eingestehen wollte. Ihn bedrückten ganz andere Dinge. Die plötzliche, unerwartete „Beförderung“, die seine Göttin ihm zuteil hatte werden lassen, warf ihm einen ganzen Haufen von Problemen auf, die er nicht bewältigen konnte. Oder bei denen er nicht wusste, wie er sie anpacken konnte.

Seine Beziehung zu Sanyarin war komplizierter geworden – für ihn. Es schien sie nicht zu grämen, dass er nun wie sie ein Diakon der Göttin war und hatte ihm gesagt, sie könne ihm nicht mehr wirklich viel lehren. Sie stünden nun auf der gleichen Stufe, mussten zusammen arbeiten. Aber sie blieb für ihn nach wie vor seine Lehrerin, seine Mentorin, diejenige, zu der er kam, wenn er Probleme mit religiösen Auslegungen oder Verhaltensweisen hatte. Dies allein war nicht das Problem, mit dem er zu kämpfen hatte – doch er musste auch in religiöser Sicht langsam erwachsen und selbstständig werden. Zu sehr hing er im Grunde noch an ihrem Rockzipfel, bat sie um vieles oder erwartete von ihr Zustimmung und Erlaubnis. Er musste zum ersten Mal in seinem Leben alleine etwas auf die Beine stellen – ein Unterfangen, das ihm an manchem Morgen Unbehagen bereitete.

Außerdem war mit der Ankunft Dians und Lucas ein neuer Aufgabenbereich für ihn hinzugekommen. Er musste nun nicht mehr nur lernen, was die Lehre der Eluive beinhaltete, was seine Göttin ihm sagen wollte und daraus Schlüsse ziehen. Er hatte nun auch – glücklicherweise zusammen mit Sanyarin – die Verantwortung für die Ausbildung zweier neuer Akoluten, die dem wahren Glauben folgen wollten. Sie mussten geformt werden, gelehrt werden. So vieles gab es, was man ihnen nahe bringen musste: die Lehre der Eluive, ihre Geschichte, die Überlieferungen. Die Traditionen und Lebensweisen der Priester. Verhaltensregeln gegenüber Geistlichen wie Weltlichen, Werte und Tugenden, die es zu leben galt. Dabei war er selbst doch noch nicht in allem sicher! Wie kann ein Priester, der schlemmt und trinkt, seinen Schülern maßvolles Benehmen und Enthaltsamkeit lehren? Wie kann ein Priester, der jungen Frauen nachstellt, die Keuschheit als Tugend verbreiten? Wie kann jemand, der die Lehren noch nicht in Gänze überblickt hat, selbige lehren?

Sanyarin und selbst die erhabene Mutter hatten Vertrauen in ihn, glaubten, dass er weit genug war. Keruan aber wurde von Selbstzweifeln geplagt, die nur schwer nieder zu kämpfen waren. Es würde Zeit brauchen, sich an diese neue Rolle zu gewöhnen – und Mut.

Und dann war da noch sein neuer Stand als Diakon – er war nun ebenfalls ein Aushängschild für die Priesterschaft der Eluive und trug damit eine Menge Verantwortung. Wichtige Botschaften und Nachrichten konnte er nicht länger mit Boten versenden, denen er die Nachrichten einfach mündlich zutrug. Er musste versiegelte Briefe schreiben können – ein schweres Unterfangen, wenn man nie eine gute Schule besucht hatte und kaum mehr zu Papier brachte als das Grundvokabular eines Schreiners. Er musste Lesen und Schreiben erlernen. Seit Wochen besuchte er zu diesem Zweck schon die Bibliothek des Ordens, wühlte dort in Büchern und Pergamenten und kämpfte mit undurchsichtigen Texten und schwierigen Worten. Ihn trug seine Pflicht, das Vertrauen seiner Göttin und sein Ehrgeiz, aber nur die Mutter allein würde wissen, ob er Erfolg haben konnte. Er hoffte es.

Dies alles und noch einiges mehr ging ihm in den zahllosen Stunden durch den Kopf, immer und immer wieder. Es dauerte, bis er seine innere Ruhe wieder gefunden und einen Weg für sich gefunden hatte. Er glaubte nun zu wissen, wie alles zusammen hing. Wie er zu gehen hatte. Was er zu tun hatte. Mit einem leichten Seufzer erhob er sich wieder und verließ das Kirchengebäude. Es gab schließlich noch vieles zu tun. Es blieb noch so vieles zu lernen. Und zu lehren.
 Nach oben »
Keruan Esgarath





 Beitrag Verfasst am: 08 Apr 2008 20:26    Titel:
Antworten mit Zitat

Kapitel 4 – Zweifel oder Unwissen?

In flammendem Rot leuchtete der Himmel am Horizont auf, als die Sonne ihren täglichen Weg vollendete und die himmlische Ruhe antrat, den Platz am sternenbehangenen Firmament freimachte für ihr sichelförmiges Gegenstück. Der volle, würzige Geruch von nassem Gras hing über dem Land, während Keruan zu später Stunde den langen Weg zurück zum Orden der Temora antrat, der ihm nachwievor Schutz, Heim und Geborgenheit bot – noch wenige Stunden zuvor hatten ganze Teppiche aus Regentropfen bewiesen, dass die Winterzeit noch nicht vollkommen ihre Macht über das Land aufgegeben hatte. Ein leises Seufzen konnte Keruan nicht unterdrücken – es würde ihn wieder einen ganzen Tag kosten, die kostbare Robe zu reinigen und vom Schmutz zu befreien, wollte er nicht den Missmut ihrer Hochwürden auf sich ziehen. Nicht, dass Sanyarin solche Kleinigkeiten ständig bekrittelte oder bemängelte, aber er selbst hätte ihr nicht mehr unter die Augen treten können – von seiner Göttin ganz zu schweigen.

Der geplante Waschtag hatte jedoch kaum Platz in den Gedanken des jungen Diakons. Trotz seiner Wichtigkeit konnte er nicht die Erfahrungen und Worte der vergangenen Stunden überdecken, die Keruan eher unfreiwillig hatte machen müssen – und für die er seiner Göttin doch um alles in der Welt dankbar war. So manches hatte ihn aus seiner alten Bahn geworfen, warf Fragen auf, die nach Antworten lechzten und passte nicht in das einfache Bild einer Lehre, das er sich entworfen hatte.

Dabei war der Nachmittag dieses Tages ganz anders geplant gewesen. Nachdem Keruan nirgendwo Sanyarin, ihre Hochwürden, aufspüren hatte können und er wieder einmal das Bedürfnis nach der Nähe zum „einfachen Volke“ verspürte, hatte er kurzerhand seine Robe, seinen Priesterstab und einen dicken Umhang gepackt und sich auf den Weg ins Fischerdörfchen Bajard gemacht. Es war wie ein ungeschriebenes Geheimnis, dass sich dort noch am ehesten die einfachen und dunklen Gemüter des Volkes bewegen würden – Gemüter, die vielleicht noch dringender der Hoffnung, der Lehre und der Milde seiner Göttin bedurften als die gebildeten Menschen aus der Grafenstadt. Und selbst, wenn er niemanden finden würde, der die Nähe zur erhabenen Mutter suchte, versprach die Taverne des Ortes zumindest einen angenehmen Ausklang eines verregneten und tristen Tages.

Kaum hatte er zu seiner Rechten die Kutschstation des Ortes hinter sich gelassen und die ersten Häuser des Fischerdörfchens vor sich ausgemacht, da versperrte ihm eine merkwürdige Ansammlung von gerüsteten und offenbar bewaffneten Menschen den Pfad in die Stadt – allen voran eine Frau mittleren Alters, die ihn mit ihrem Blick sofort fixierte, kaum dass sie seiner Anwesenheit gewahr wurde. Auf ihrem großen, stolzen Pferd umkreiste sie ihn, behielt ihn im Blick und betrachtete ihn von oben herab. Äußerlich vermochte der junge Priester gelassen und selbstsicher zu wirken – der Stab, das Zeichen seiner Göttin, gab ihm Kraft und Halt. Aber innerlich machte er sich bereits auf das Schlimmste gefasst. Bajard war eben auch für die schlimmeren Seiten menschlichen Charakters bekannt und er hatte sich auch im Bewusstsein dieses Risikos in dieses Dorf gewagt. Vielleicht hatte er nun die Konsequenzen zu tragen.

Die Frau dagegen hatte offenbar ganz andere Pläne mit ihm.

„Seid ihr sicher, dass ihr in diese Stadt wollt, Priester? Dieser Ort ist nicht sicher für einen wie euch.“, sprach sie ein wenig arrogant von ihrem Pferd herab zu ihm. Keruan musste innerlich schlucken. Er hatte sich bei dieser Reise auf den Schutz seiner Göttin verlassen – und musste sich in eben diesem Moment doch eingestehen, dass er vielleicht ein wenig naiv gewesen war. Bajard war gewiss kein sicheres Örtchen, und er war zu selten unterwegs, als dass er Gefahrensituationen hätte frühzeitig abschätzen können. Womöglich war es besser, nicht von vornherein alle Karten zu verspielen.

Ein kleines verbales Geplänkel entspann sich zwischen den beiden, der gewaffneten Frau auf ihrem Pferd und dem jungen Priester. Sie war offensichtlich aufgebracht, ein wenig verärgert und ließ ihren Frust ein Stück weit an ihm aus, provozierte ihn gekonnt und versuchte, ihn in die Enge zu treiben. Seine Lehren, die er von Sanyarin und anderen Priestern in der Kunst der Wortgewandheit erhalten hatte, zahlten sich aus und schenkten ihm zumindest ab und an die richtigen Phrasen, sich ihrer Sticheleien zu erwehren. Ihr Disput erinnerte vielmehr an eine religiöse Debatte über die Fehler und Schattenseiten jener Menschen, die sich den falschen Worten des Panthers angeschlossen hatten – Keruan hatte schon zu oft die hetzerischen Parolen derer gehört, die jeden Alatari am liebsten einzeln ermorden und töten wollten. Seine Worte des Mitgefühls und der Überzeugung, die durch die Lehre der Eluive bestimmt waren, interessierten hier die wenigsten.

Und so blieb auch hier Keruan das Herz beinahe stehen, als die Frau sich ein wenig zu ihm herunter neigte, einen scharfen spitzen Dolch aus ihrem Stiefel zog und ihm blitzend unter die Nase hielt. Ob seine Lehre ihm denn auch noch helfe, wenn sie ihm hier und jetzt die Kehle durchschnitte? Als ob jemand, der so schnell mit einer Waffe gegen einen wehrlosen Mann bei der Hand war, auch nur ein Stück besser wäre als ein Diener des Panthers. Aber Keruan konnte seinen inneren Unmut nicht offen zu Worte bringen – ein gezückter Dolch unter dem Kinn kann sehr einschränkend wirken, wenn man nicht aufpasst.

Die Situation begann sich ein wenig zu entspannen, als ein weiterer berittener Krieger – sie titulierten sich gegenseitig als Legionäre – in den Disput einschritt. Was der Frau denn einfiele, über Dinge und Götter zu diskutieren, die es überhaupt nicht gäbe. Keruan, der damit wieder aus dem Fokus der Frau gerückt war, konnte sich ein sachtes Lächeln nicht verkneifen – arme Unwissende. Vielleicht würde sich eines Tages eine Möglichkeit eröffnen, dem jungen Mann zu beweisen, dass es die Götter durchaus gab. Aber heute war wohl nicht der richtige Tag für solche missionarischen Heldentaten.
Stattdessen wandte sich die Kriegerin, kaum dass sie ihren Streitgefährten in die Schranken gewiesen hatte, wieder ihm zu. Er sollte ihr folgen – und das teilte sie ihm in einem gewohnten und geübten Befehlston mit, der Keruan Kehrt machen ließ, ehe er sich dessen bewusst wurde, dass er ihr gar nicht unterstellt war. Das Wort hatte offenkundig mehr Macht, als er sich bislang bewusst war. Ob Keruan eines Tages auch in der Lage sein würde, allein mit seinem Wort Menschen zu Dingen zu bewegen? Armen zu helfen? Geld zu spenden? Oder Kampfhandlungen einzustellen? Wer, wenn nicht ein Priester, wäre für Wunder zuständig?

Diesen Gedanken im Kopf folgte er der Frau und ihrem Pferd den breiten Weg hinauf zur Gaststätte von Tirell. Die beiden ließen sich auf einer der Holzbänke außerhalb des Gebäudes nieder, auch wenn das Holz noch nass glänzte – der Regen war inzwischen versiegt und hatte einem angenehmen stillen Abend Platz gemacht. Sie hatte ihm einen Krug mit dem kostbaren Wasser spendiert, das Eluive selbst den Menschen zum Geschenk gemacht hatte und musterte ihn anfangs abschätzend. Abrupt und ohne Vorwarnung erhob sie sich schließlich wortlos, stellte ein Bein auf die Holzbank vor sich und raffte den Rock empor. Das Symbol einer gewundenen, eingebrannten Schlange wurde auf ihrem Oberschenkel sichtbar – ein Symbol, das Keruan nicht zu deuten wusste, weshalb er sich ganz bewusst hinter seinem Wasserkrug versteckte. Die Erklärung für dieses Zeichen ließ nicht allzu lange auf sich warten.

Die Frau erzählte von der Bedeutung dieses Zeichens, dass es eine Art Verbundenheit zwischen ihr und einem Mann darstellte, ein Zeichen nächtlicher geheimnisvoller Verbundenheit. Ein Mann, der kaum älter war als sie selbst. Keruan wurde die Bedeutung dieser Worte erst gewahr, als sie es offen aussprach – diese Frau hatte eine Verbindung mit ihrem eigenen Zwillingsbruder, hatte mit ihm eine Tochter gezeugt – und saß nun einem Priester eben jener Göttin gegenüber, die ihr und ihrem Manne oder Bruder offenbar ihre Gunst versagte. Sie suchte Antworten, stellte seine Lehre in Frage und drängte ihn in die Ecke. Sie fühlte sich offenkundig verurteilt und verdammt für etwas, das sie nicht ändern konnte und nicht wollte – ihre Gefühle musste leibhaftig sein, doch sie musste auch viel Ablehnung erfahren haben in ihrem Leben.

Für Keruan bedeutete dieses persönliche Schicksal einen plötzlichen inneren Konflikt in der Lehre, die er zu leben bereit war. Auf der einen Seite war die intime Bindung zwischen Schwester und Bruder nicht… „normal“. Familiäre und emotionale Bande sollten einander nicht im Weg stehen und einander nicht ersetzen. Ein Bruder hatte seine Schwester nicht wie jede beliebige Frau zu sehen und sie auch nicht so zu behandeln. So dachte nicht nur er – aus den Erzählungen der Frau entnahm er problemlos, dass diese Beziehung in allen anderen Kreisen auch auf starke Ablehnung, ja beinahe auf Hass gestoßen war.

Auf der anderen Seite hatte er aber auch immer die unendliche Güte und Nachsichtigkeit seiner Göttin im Kopf. Was für eine Mutter wäre sie wohl, wenn sie nicht auch solche Fehler irgendwann verzeihen und akzeptieren würde? Alle Menschen entstammen dem Schoße der Eluive und sie liebt jeden Menschen gleich, ganz egal, welchem Weg er auch folgt. Sie trauert um verlorene Seelen und bangt um jene, die den Verlockungen von Zorn und Hass nachgeben – aber niemals gibt sie jene auf. Ihre Lehre, ihr Wesen verheißen Frieden und Gemeinschaft, nicht Hass und Verstoßung.

Ferner noch – vielleicht war dieser Frau eben jener Weg seit jeher angedacht gewesen. Vielleicht war eben dies ihr ganz eigener, persönlicher Pfad, der sie mit dem Gedanken des Ursprungs verband – auf ganz eigene Weise musste sie lernen, auch Menschen zu akzeptieren und zu schätzen, die „anders“ waren oder Empfindungen besaßen, die nicht der Norm entsprachen.

Keruan vermochte nicht – noch nicht – sich über diesen gedanklichen Spalt hinweg zu setzen. Er sah hier ein Dilemma, einen Abgrund zwischen dem Wunsch der Schöpfung und der Realität, zwischen der Absicht und der mütterlichen Güte. Wie konnte eine Mutter gutheißen, was eigentlich gar nicht vorhergesehen war? Oder wie konnte schändlich und schlecht sein, was selbst die Mutter billigte? Sie hatte dieser Bindung ein weiteres ihrer Kinder geschenkt, eine gesunde Tochter – hätte sie dieses Vertrauen geschenkt, wenn die Bindung falsch gewesen wäre?

Und wie hatte er sich als Priester zu verhalten? Er konnte als Würdenträger seiner Priesterschaft keinen Segen über ein Paar sprechen, das auf so deutliche Weise der normalen Verbindung zwischen Mann und Frau widersprach – und vermochte dafür keinen Grund zu finden. Weshalb sollten Bruder und Schwester sich nicht lieben können und dürfen, wenn ihre Gefühle es ihnen vorgaben? Gefühle, die aus ihrem Inneren kamen – und damit aus der Schöpfung selbst?

Sein Gegenüber war klug – sie hatte sich Gedanken gemacht über ihre Situation, sie wusste um die Schwierigkeit ihrer Lage. Sie wusste genau, wie sie ihn in die Enge treiben musste, um ihm die Unzulänglichkeit seiner eigenen Lehre vor Augen zu führen. Aber zugleich vermochte auch sie nicht alles zu überblicken, was das Leben und die Lehre aussagten.

Behutsam machte Keruan auch ihr klar, wie sie sich geirrt hatte. Ihr Weg war nicht von Eluive verlassen, sie hatte ihr und ihrem Bruder nicht ihre Liebe entzogen. Diese Frau hatte von klein auf einen schweren Weg zu gehen gehabt, einen Weg, der vielleicht steiniger war als der vieler anderer. Sie hatte Entscheidungen treffen müssen, die schwerwiegender waren als alles, was andere zu entscheiden hatten. Sie hatte sich gegen ein normales Leben entschieden, gegen ihre Eltern, aber für ihren Bruder, für ihre Liebe. Sie hatte stets nur ihren Verlust gesehen – die Liebe ihrer Eltern, die sich verweigert hatten, den Hass der anderen Menschen. Doch sie hatte nie das gesehen, was sie gewonnen hatte – ein neues, ein anderes Leben, ein Leben mit ihrer Liebe. Sie hatte sich nie ausgemalt, was es bedeutet hätte, sich gegen die Liebe zu entscheiden.

Das Leben, soviel wusste Keruan selbst in seinem zarten Alter nun schon, war ein Pfad voller Abzweigungen, Kurven, Steilen und Abgründe. Das Schlimmste mochte wohl sein, an einer Weggabelung zu stehen und sich entscheiden zu müssen – und damit seinem ganzen weiteren Leben eine Richtung zu geben. Dabei muss man sich jedoch stets vor Augen halten, dass es keinen wahren und keinen falschen Pfad gibt – denn weder der linke noch der rechte Weg sind richtig oder falsch. Vielmehr sind sie anders, zwei mögliche Alternativen. Und wie auch immer man sich entscheidet, genau diese Entscheidung gehört auch zu diesem Leben – denn sonst wäre man ein anderer Mensch. Wer in jeder Entscheidung nur den Verlust der Vorzüge des anderen Weges sieht, erlangt in seinem Leben nur Bitterkeit und Trübsal. Doch wer seine Wahl freimütig und lebensfroh annimmt, kann aus seinem Leben das Beste machen und noch mehr.

Das Gespräch, der beinahe philosophische Disput zwischen den beiden nahm einige Zeit in Anspruch und die Dunkelheit brach über das Land herein, als die Frau sich langsam erhob. Beide hatten viel gehört und erfahren, über das es sich nachzudenken lohnen würde. Vielleicht hatte diese Frau ein wenig Vertrauen in die Welt zurückgewonnen oder zumindest einen möglichen Weg gesehen, mit ihrem Problem fertig zu werden. Vielleicht auch nicht. Aber sie hatte begonnen, über sich selbst und über ihr Leben nachzudenken. Genauso, wie sie ihn, Keruan, zum Nachdenken über sich und seine Lehre gebracht hatte.

Dies und noch einiges mehr ging Keruan neben dem anstehenden Waschtag also durch den Kopf. Er würde mit Sanyarin Lefar sprechen müssen. Vielleicht wusste sie Rat, wie er mit diesem inneren Konflikt umzugehen hatte oder was er übersehen hatte. Eines aber war ihm klar geworden – es reichte bei weitem nicht aus, nur die Lehren der Götter kennen zu wollen und sie zu predigen. Eine Lehre zu leben war eben doch schwerer, als er es sich vorgestellt hatte.
 Nach oben »
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Keruan Esgarath - Diener der Allmutter
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.




phpBB theme/template by Tobias Braun
Copyright © Alathair



Powered by phpBB © 2001, 2002 phpBB Group
Deutsche Übersetzung von phpBB.de