B.T.A. - Gesammelte Werke

[Brandt Tomas Anderlin]

12. Hartung 240

"Die Schatten, Brandt! Achtet auf die Schatten!", mahnte die strenge Stimme in seinem Nacken und ließ den Jungen sofort die Augen fest zusammenpressen - die Macht der Gewohnheit. Es sollte auch gar nicht lange dauern bis der verdrehte Weidenstock gegen seinen Hinterkopf prallte, erst einmal, und als der nächste Pinselstrich durch die Wucht eine unerwünschte Bahn einnahm, direkt ein zweites Mal. Das Licht der beinahe herabgebrannten Kerzen flackerte in der kleinen, fensterlosen Kammer und ließ die ersehnten Schatten an den Wänden tanzen. Raymund Lysander Nebelherz war unter den Kunstschülern für seine harschen Lehrmethoden berüchtigt, doch der Anpassungsfähigkeit der Heranwachsenden konnte nichts im Wege stehen. So wurden verspielt die Beulen an den Hinterköpfen verglichen und wer am Ende der Woche die Kleinste hatte, musste sämtliche Pinsel und Farbtöpfe der Klassengemeinschaft waschen. Doch auch wenn der Zusammenhalt stark war, so war die Malerei für Brandt ein düsterer Kerker, seine Anwesenheit erzwungen von den Eltern, deren Ohren taub für Widerworte waren. Er verabscheute den starren Ablauf der Zeichenkunst, verachtete die trockene Theorie und das stupide Wiederholen der immergleichen Übungen. Es sollte ausgerechnet eine seiner schlimmsten Wochen sein, als die Perspektive einen Wandel einschlug: Der Hinterkopf brannte einmal wieder pochend heiß am Ende der Unterrichtsstunde, als der Lehrer ihm noch eine seiner zahlreichen Gemeinheiten an den Kopf warf und dann im Begriff war die Kammer zu verlassen. Doch kaum war die Türe geöffnet, huschte ein offenkundig verirrter Straßenköter ins Innere, gefolgt von einem zeternden Hofmeister, der ihn (den Schweißflecken zufolge) schon eine ganze Weile verfolgte. Brandts Liebe für die Malerei wurde wie ein Feuer entfacht, als der Vierbeiner überschwänglich in die aufgereihten Farbtöpfe krachte und ein kunterbuntes Chaos hinterließ. Farben, Emotionen, Leben.

22. Ashatar 266

Und letztlich: Fantasie. Auch wenn die Erinnerung Jahrzehnte alt war, wusste Brandt, dass der Köter in Wahrheit noch rechtzeitig mit einer Armbrust niedergestreckt worden war. All die Farbkleckse, das Schreien des Lehrers, all das hatte nur in seinem Kopf stattgefunden. Der Rahmen des Möglichen war gebrochen und die Welt des Unmöglichen nie wieder verlassen worden. Das Motiv des farbenfrohen Hundes hatte ihn schon lange begleitet und war in verschiedensten Varianten zu Papier gebracht worden. Es war nur recht und passend, dass sein treuer Begleiter sein erstes Werk auf Gerimor bekleiden und als Herzstück der Galerie-Eröffnung dienen würde. Der Wächter seiner Schaffenskraft.

> > > Der bunte Hund < < <