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Zwischen Ringelblumen und Pfeilspitzen
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Alathair - Online Rollenspielshard Foren-Übersicht » Chargeschichten » Zwischen Ringelblumen und Pfeilspitzen
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Ysra Hinrah





 Beitrag Verfasst am: 10 Mai 2023 11:51    Titel: Zwischen Ringelblumen und Pfeilspitzen
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» Zwischen Ringelblumen und Pfeilspitzen «

° Die alte und die neue Heimat °

Gerade jetzt, wo ich etwas mehr als einen Mondlauf fern meiner Heimat bin, verspüre ich das nagende Gefühl von etwas, was sich wohl mit einer gewissen Sehnsucht nach dem heimischen Rudel erklären lässt, langsam verblassen. Wie die Wellen, die sich unaufhörlich an den steilen Klippen brechen, als würden sie versuchen, jene zu erklimmen, genauso lassen mich die Gedanken nicht los, die in meinem Kopf herumspuken. Anfangs noch einem unruhigen Meer gleich, werden die Wellen jedoch allmählich sanfter, bis sie nur mehr einem kleinen, plätschernden Bachlauf gleichen. Ich vermisse all die Weiber und Kerle, mit denen ich aufgewachsen bin, auch wenn in meiner Brust das Gefühl verharrt, dass ich hier, wo ich nun bin, eher hingehöre. Es lässt sich noch nicht erklären, weder irgendwie definieren noch verstehen - aber es ist da. Als würde ich versuchen, die Farben der Wälder und Wiesen mit nur einer einzigen Farbnuance zu beschreiben, etwas, was vermutlich unmöglich war. Es gibt immer mehr Facetten, es gibt immer mehr, als man auf den ersten Blick sehen würde und so versuche ich auch hier die Dinge zu sehen, die Anzeichen zu suchen, die mir mitteilen würden, dass ich dem richtigen Ruf gefolgt war. Die ersten zwei Wochenläufe waren besonders fordernd, als würde sich eine gänzlich neue Welt mir offenbaren, unzählige neue Gesichter und neue Namen, die ich mir merken musste und schließlich, als die eisige Decke des Winterschlafes den ersten wärmeren Sonnenstrahlen weichen musste, erblühte auch diese neue Heimat in einen mir unbekannten Bild. Es war alles so anders, so fremd und doch faszinierend.

Ich wurde auf einer kleinen, eisigen Inselgruppe, die irgendwo in den Sturmtiefen Meeres liegt geboren, wir selber nannten unsere Heimat Tjaruk, wie die Inselgruppe auf den Karten der Städder heißt, das kann ich ehrlich gesagt nicht beantworten, es kümmert mich aber auch nicht. Für mein altes Rudel war es einfach Tjaruk und Tjaruk stellte uns in jeder Jahreszeit vor kleinen und großen Herausforderungen.
Meine Mah hat mir öfters erzählt, als ich noch ganz klein war, dass Tjaruk, bevor es zu unserer Heimat wurde, nur ein grosser spuckender Berg war, in dessen Inneren ein zorniger Feuergeist wohnte. Sie erzählte mir, wie der Zorn des Geistes sich in glühender Weise über den schroffen Stein ergoss, so dass kein Lebewesen dort wirklich Fuß fassen konnte. Zorn, so heiß und brennend, dass das Gestein unter seiner Last schmolz und alles Leben, was im Begriff war zu entstehen, schon sein Ende fand, bevor es überhaupt beginnen konnte.
In der sicherlich fantasievoll ausgeschmückten Geschichte meiner Mah erzitterte die Erde jedoch irgendwann, als hätte sie genug vom Wüten und Zetern des Feuergeistes. Sie verbündete sich mit den unendlichen Tiefen des Meeres und unter tosenden Krachen und Brechen der Landmasse versuchten sie den Feuergeist zu verschlingen. Unter den kompromisslosen Zerren, so erzählte man mir als Welpe, zerbrach schließlich das Land, als würde sich die Erde, getrieben vom Wasser, dazu entschließen, sich vom Feuergeist zu entfernen. Als hätte der Aufstand der Geister ihnen die Kraft geraubt, kehrte mit dem Zerbrechen von Tjaruk eine trügerische Ruhe ein. Eine Ruhe und eine Art neues Gleichgewicht, in der viele neue kleine Geister es schafften Tjaruk mit Leben zu erfüllen.
Der Feuergeist, so sagt meine Mah immer, lebt bis heute auf Tjaruk, er bildet die größte Insel mit dem, was man wohl als Vulkan nennen würde, in seiner Mitte. Getrennt vom Meer, doch nicht so weit, dass man nicht in wenigen Stunden hinüber segeln konnte, hatten sich die abgetrennten Landmassen von Tjaruk angesiedelt. Kleinere Inseln, die sich rund um die Vulkaninsel platziert hatten und eben auf einer dieser Inseln war ich aufgewachsen. Bis heute sieht man die dicken Rauchschwaden des grollenden Feuergeistes in den Himmel hinaufsteigen, an manchen Tagen mehr, an manchen Tagen weniger. Alle paar Jahre gar, konnten wir ein Grollen vernehmen, ein unzufriedenes Beben, aber in all der Zeit bekam ich nur einmal mit, wie sich der glühende Zorn wirklich über Tjaruk ergoss. Ein Anblick, den ich niemals vergessen werde, und noch heute sehe ich die dicken, grauen Ascheflocken auf unser Dorf hernieder regnen, als hätte ein merkwürdiger Winter eingesetzt.

Meine alte Heimat war geprägt von einer eher kargen, äußerst kalten Landschaft, dunkelgrauer, teilweise schwarzer Stein, der sich in seiner Endlosigkeit erstreckte, besprenkelt von grünen Tupfen moosiger oder von Flechten bewachsener Felsen. Eher lichte Nadelwälder, nie nur schwerlich den Blick zum Himmel versperrten und ihre Heimat eher an den äußersten Rändern der Inseln fanden, möglichst fern des feuerspuckenden Geistes. Dort wo die Natur es geschafft hatte zu erblühen, zeigte sie sich auf weiten, weichen krautigen Ebenen, durchsetzt von niedrigen Büschen. Obwohl wir dem überaus launischen Geist ausgesetzt waren, herrschte auf den Gipfeln mancher Inseln selbst im Sommer ein frostiges Klima, so dass die weißen Bergspitzen zum Panorama Tjaruks gehörten. Richtig warm wurde es im Sommer nie, dafür umso kälter, wenn der eisige Wind in den Wintermonden kam. Die fruchtbarsten Orte zeigten sich an den Küsten, die am weitesten vom Vulkan entfernt lagen und dort wurden die kargen, krautigen, steinigen Böden von einer saftig, dicken, moosigen Decke überzogen.

Hier, auf Gerimor, dieser mir so fremden Landmasse, war alles anders. Die Bäume, die Büsche, die Kräuter und die Blüten, selbst die Steine unterschieden sich von dem, was ich all die Jahre für selbstverständlich gehalten hatte. Nur wenige der Kräuter, die ich nach der Schneeschmelze fand, kannte ich aus meiner Heimat und mir wurde somit schmerzlich bewusst, dass ich doch irgendwie wieder am Anfang meiner Ausbildung stand.
Sand, den ich durch meine Finger rieseln ließ, war nicht von einer dunklen, grauen Färbung, sondern trug einen freundlich hellen, fast schon goldigen Schimmern. Hohe sattgrüne Gräser, ausladende Farne und Büsche mit unfassbar prächtigen Blütenschmuck komplementieren das Bild der Laubwälder. Laubwälder, keine Nadelwälder, wie ich sie kannte, sondern Bäume mit dicken, dichten Baumkronen, die das Licht der Sonne gänzlich verschlucken konnten, um Schatten zu spenden.
Auch der Himmel war klarer, ich konnte keine drohenden Rauchschwaden am Horizont erblicken, die mich immer wieder daran erinnerten, dass der grollende Feuergeist unser Nachbar war. Auch das Klima erschien mir milder als auf Tjaruk, es war einfach ein wenig absurd und ich brauchte ein wenig um mein nervöses Ich in den ersten Wochenläufen zu beruhigen. Das Rudel der Sturmheuler war groß, unzählig viele neue Gesichter, Geschichten und Namen und doch war es bei all dem was mir fremd und ungewöhnlich erschien, doch irgendwie herzlich. Fast so, als wäre ich nur ewig lange fort geblieben, als würden sie eine vergessene Freundin empfangen, keinen Fremde aus weiter Ferne, bei der sie sich über dessen Absichten nicht bewusst waren.

Ein kleiner quälender Funke an Unsicherheit, geboren aus Unwissen, war da noch in meiner Brust, geschuldet der Tatsache das ich nicht so recht wusste -warum- ich eigentlich hier her geschickt wurde, doch ich wusste, dass selbst wenn dieser Grund sich mir niemals offenbaren würde, ich in diesem Rudel ein gutes, neues Zuhause finden würde.

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Ysra Hinrah





 Beitrag Verfasst am: 15 Mai 2023 10:51    Titel:
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° Von Welpenpfoten zu Bärentatzen °

Meine Welpentage auf Tjaruk zählten vermutlich, rückblickend betrachtet, nicht zu den schönsten, über die man sich Gedanken machen könnte, und doch war ich selbst als Welpe die meiste Zeit zufrieden und ich empfinde auch heute keinen Gram oder dergleichen. Die Augen eines Welpen haben eine andere Sicht auf diese Welt und so nahm ich die unschönen Dinge natürlich wahr, aber sie wurden überschattet von anderen, viel strahlenderen Dingen. Unbekümmert, so hätte man mich wohl als Welpe bezeichnen können, aber vielleicht war das auch nur eine Art Selbstschutz, den ich mir, kaum konnte ich die Umgebung wirklich wahrnehmen, wie einen schützenden Wall selber aufgebaut hatte.

Hell, in der Sonne fast golden bis beige, mal feuerrot oder kupferrot glänzend, selten ein etwas matteres Haselnussbraun dazwischen, so sah man die Schöpfe in unserem Rudel durch unser Dorf wandern. Im Grundton alle recht blass, gezeichnet von der Kälte und dem fehlenden starken Sonnenlicht auf Tjaruk und entsprechend klaren, zumeist hellen Seelenspiegeln in der Farbe des grauen oder blauen Himmels.
Und dann war da ich, ein schwarzes Schaf.
Als ich geboren wurde, zeigte sich schnell das dunkle Haar in der Farbe von schwarzem Vulkangestein, wie die Rinde verbrannter Bäume, mehr Kohle als das Leben in ihnen ruht und man wusste wohl nicht so recht, wie das passieren konnte. Ein böser Geist, der sich in den Körper eines Neugeborenen eingenistet hatte? Nein, dafür gab es wohl keine Hinweise, aber das war egal, denn in den Augen der anderen Welpen war ich immer der Kohlkopp. Heute betrachtet ein unterhaltsames Wortspiel, zwei Beleidigungen in einem, doch früher als Welpe, zeigte es mir, dass ich in der Stille der Natur mehr Freude fand, als unter den anderen meines Alters

Die meiste Zeit verbrachte ich daher tatsächlich allein oder bei meiner Mah, ohne dass ich mich ernsthaft einsam dabei fühlte. Ich war genügsam und eh mehr gemütlichen Naturells, ich zog die Gesellschaft von Blumen und Kräutern, Vögeln und Krabbeltieren den anderen Welpen vor, bei denen ich eben nur das schwarze Schaf darstellte. Für meine Mah, die mich dennoch über alles liebte, sammelte ich schon als kleiner Welpe Blumen, je älter ich wurde, desto mehr fing ich an, diese gesammelten Pflanzen zu kleinen Kränzen oder anderen Objekten zu verflechten.
Nicht nur für meine Mah, denn jene lehrte mich, dass wir auch stets etwas an die Geister der Natur zurückgeben mussten, wenn wir etwas von ihnen nahmen. Nichts, was wir auf dieser Welt bekommen würden, war wahrlich umsonst und so wurde auch das ein oder andere Windspiel, Flechtwerk oder auch mal ein Schluck Metmilch für die Geister hinterlassen. Die kleine Kiefer, die neben unserer Hütte stand, war somit bald ein reich geschmueckter Klimperbaum, von dessen Ästen allerlei Flechtwerke, Windspiele oder andere Kleinigkeiten hingen. Wenn der Wind durch die ganzen Gaben strich und es raschelte, klapperte und klimperte, war ich als Welpe immer der festen Überzeugung, es wäre das Flüstern der Geister.

Während die anderen Welpen also durch die Gegend jagten, tobten und spielten, war ich eher im heimischen Blumen- und Kräuterbeet zu finden, manchmal auch an der Küste, um passende Muscheln oder rundliche Steine zu suchen. Als ich älter wurde, führte mein Weg mich auch immer öfter vom Dorf weg, hinein in die wilde und ungezähmte Natur, auf der Suche nach etwas, was ich nicht aus dem heimischen Beet kannte. Die fruchtbaren Stellen Tjaruks waren übersät mit Blaubeer- und Heidefeldern in einem sanft lavendelfarbenen bis tief violetten Ton und so karg wie meine Heimat die meiste Zeit im Jahr auch wirkte, so war es der milde Frühling und der kurze Sommer, der doch die ein oder andere bunte Blume hervorbrachte. Wenn die Geister aus ihrem Winterschlaf erwachten, so waren gerade in diesen, dem Feuergeist fernen Gebieten, die Ebenen und Hänge übersät von vielen verschiedenen Blüten. Knöterich, Weidenröschen, Wollgras und arktischer Mohn waren dann, nur um ein paar wenige zu nennen, zwischen niedrigen Blaubeerbüschen und krautiger Heide zu finden.

Wir hatten am Rand vom Dorf ein paar wenige Felder, wo wir Landwirtschaft betreiben konnten, doch waren die Erzeugnisse dort alles andere als vielfältig oder zahlreich. Rübenarten, Kohl, Radieschen, Rhabarber, hier und dort mal ein Salat, mehr wuchs nicht wirklich auf unseren Feldern. Die Fisch- und Jagdgründe waren allerdings umso ertragreicher und unsere Schafherde versorgte uns mit Milch, Wolle und auch mit Fleisch. Ein sicherlich begrenztes Angebot, doch in meinem Rudel kannte man es nicht anders. Handel wurde über das weite Sturmtiefen-Meer nur selten betrieben, doch wenn eines der Handelsschiffe von anderen Rudeln oder gar Städdern in die Nähe von Tjaruk kam, dann tauschten wir vor allem gegen Weizen und Obst. Gerade die Städder schienen ein größeres Interesse an Robbenfellen oder unserer dichten Schafswolle zu haben, sodass es eigentlich immer zu einem Austausch kam.

Auch wenn mit den Jahren meines Erwachsenwerdens die Dunkelheit nach und nach aus meinem Schopf wich, sodass er irgendwann eine wilde Mischung aus Ebenholz, Kastanienbraun und Mahagonie war, änderte sich aber nichts an meinen Gewohnheiten. Ich war für manche, aus reiner Gewohnheit, noch immer der Kohlkopp, wenn auch gesprochen mit einem gewissen nicht boshaft gemeinten Schalk. Mit Augen so dunkelgrün wie die spitzen Nadeln der Wälder auf Tjaruk und einer mehr speckigen, etwas unförmigen Figur, bei der die Proportionen irgendwie ein wenig verrutscht waren. Ich hatte damit jedoch meinen Frieden gefunden, ich wusste, die Natur nahm mich so, wie ich war und kein Geist, so hoffte ich zumindest, würde mir weniger Beachtung schenken, nur weil ich nicht den üppigen Vorbau hatte, wie es sich für ein thyrisches Weib gehörte.
Es half auch sicherlich, dass ich in meiner Jugend endlich eine Aufgabe für mich fand, einen Sinn, an dem ich mich festhalten konnte und etwas, das mir nicht nur Freude bereitete, sondern das mich auch zu einem helfenden Teil des Rudels machte. Meine Zurückgezogenheit und die damit einhergehende Begeisterung für die örtliche Flora und Faune erwies sich letztendlich als Stärke, denn als Schwäche…

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Ysra Hinrah





 Beitrag Verfasst am: 05 Jun 2023 11:46    Titel:
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° Auf den Weg von Bär °

Jeder Wolf im Rudel hat seine Aufgabe zu erledigen und seine Last zu tragen, denn nur so kann es funktionieren. War die Sicherheit des Rudels bedroht, so wären gerade die schwachen Glieder dieser Kette die Schwachstelle, auf welche sich der Gegner stürzen würde. Auch ich musste meinen Teil dazu beitragen - als Welpe verstand ich das noch nicht so gut, war gefangen in meiner bunten Welt auf Krabbeltieren, frischem Seewind und wilden Pflanzen, doch je älter ich wurde, je mehr wurde mir die Last bewusst, die auch ich zu tragen hatte.

Mein Dah nahm mich einige Male mit auf die Jagd, drückte mir einen kleinen Bogen in die jugendlichen Finger und wollte, dass ich mich an der Hatz beteiligte, doch es bereitete mir keinerlei Freude. Ich tat es ihm zu Liebe und auch dem Rudel wegen. Die Zeit, in der er mir beibrachte, wie ich den Bogen zu halten und zu spannen hatte, wie ich die Atmung kontrollieren und das Ziel vor Augen halten musste, damit der Pfeil sein Ziel treffen würde, ging unglaublich zäh vorbei. Wie frischer Tau im Morgennebel, der sich nur quälend langsam von den Blattspitzen schälte, um irgendwann im Gras zu versickern. Doch ich legte ein Lächeln auf die Lippen und versuchte, das Beste für das Rudel und mich daraus zu machen. Ich ignorierte die schmerzenden Muskeln, ignorierte das Grummel meines Dahs, der tief in seinem Inneren wusste, dass ich keinerlei Gefallen daran fand. Rückwirkend betrachtet bin ich ihm jedoch dankbar dafür, denn er ist der Grund, warum ich heute weiß, wie ich wenigstens eine Waffe zu führen habe.

Die Wege des Lebens waren manchmal verworren und unverständlich für das sterbliche Auge, die Entscheidungen der Geister nicht zu verstehen, wenn überhaupt zu bemerken. Doch irgendwann, so fügte sich jede Naht zusammen und irgendwann würde jeder, der nur darauf achtete, seinen Weg finden. Ich fand meinen Weg, als meine Mah mich motivierte, zu Solveig zu gehen, um schließlich von ihr zu lernen. Ich erinnere mich noch genau an das erste Mal, als ich die Heilerhütte des Medizinweybes betrat, die mehr an eine Räucher- und Kräuterkammer erinnerte, als an einen Platz, an dem man Kranke behandeln könnte. Ich wusste natürlich schon zum Teil über die traditionellen Heilmethoden meines Rudels Bescheid, auch ich hatte mich auf der Hatz das ein oder andere Mal verletzt - wenn auch lange nicht ernsthaft.

Diese Hütte zu betreten war für alle Sinne überwältigend. Unzählige Kräuter hingen von den Dachbalken oder den Wänden hinab, teilweise zu dicken Bündeln gebunden, oder lose an Garnseilen geknüpft. Wie kleine, krautige Wasserfälle befüllten sie die Wände und verbargen zum größten Teil das alte Holz dahinter. Kräuter und Pflanzen, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren und ich mir auch ziemlich sicher war, dass sie hier auf der Insel nicht wachsen würden, fanden hier ihre Bestimmung. Eine Schale, gefüllt mit schwach glühenden Kohlen, stand in der Ecke des Raumes und verteilte einen eher leichten, mehr lichten Rauch, der mir jedoch mitteilte, dass dort in der Schale auch Kräuter verbrannt werden mussten. Der leicht krautige Geruch erinnerte mich an das Gefühl, wenn ich einen frisch gezupftes Salbeiblatt zwischen den Fingern zerrieb um an jenen zu riechen. Große Teile der Räumlichkeiten waren nur schlecht beleuchtet, lediglich durch kleine Öllampen oder weitere Kohleschalen. Einzig ein Platz, der an einer etwas weniger zugehangenen Stelle des Raumes zu finden war, war wirklich klar beleuchtet. Dort fand sich ein kleiner Arbeitstisch, auf dem sich Mörser, eine Waage und eine Sanduhr befanden, sowie eine Liege, von der ich vermutete, dass sie für Behandlungen sein musste. Weitere kleine Werkzeuge waren verteilt, die ich alle noch nicht so richtig zuordnen konnte, doch meine Neugierde schürten.

Einige Tage verbrachte ich mit Solveig, begleitete sie in die Wälder, beantwortete ihr unzählige Fragen, mit denen sie bestimmt meine Eignung feststellen wollte. Ich wurde nicht müde, ihr zu antworten und auch der damit verbundene Wissensaustausch war endlich etwas, was mich wirklich interessierte und wo ich nicht nach kurzem schon das nagende Gefühl der Belanglosigkeit und Langeweile spürte.
Medizinkerle und -weyber waren allerdings selten bei uns im Rudel. Die weniger freundliche Umgebung des Feuergeistes hatte über die Jahrhunderte immer wieder dafür gesorgt, dass wir uns kaum großartig ausbreiten konnten. Ebenso wichtig war aber auch eben das Wissen, welches Solveig mir vermitteln konnte und ebenso ernst musste ich diesen Weg nehmen. Ich hatte Anfangs die Befürchtung, das Medizinweyb würde mich aufgrund meiner Erscheinung ablehnen, doch interessierte sie sich offenkundig nicht dafür. Sie interessierte sich viel mehr für mein Wissen, mein Geschick, wie ruhig ich einen Gegenstand halten oder wie vorsichtig ich mit Zerbrechlichem umgehen konnte. Sie wollte wissen, wie ruhig ich in Gefahrensituationen bleiben würde, wie ich mit schweren Entscheidungen umgehen würde und stellt mir dazu unzählige Fragen mit Beispielsituationen. Ich weiß noch heute nicht, ob ich alles zu ihrer Zufriedenheit beantwortet hatte, doch es reichte aus, damit sie mich letztendlich in die Lehre nahm. Als Kräuterweyb vorerst sagte sie, denn das musste ich werden, ehe ich mich wirklich dem widmen konnte, was ein richtiges Medizinweyb ausmachen würde.

Der Weg von Bär, der Weg der Heilung, ist ein langer und nicht einfacher Prozess. Es ist ein steiniger Weg, auf welchem man immer wieder vor Herausforderungen gestellt wird, die einen nicht selten zum Wanken bringen. Man umgibt sich freiwillig mit Leid und muss jenes ruhig und gefasst zu händeln wissen, selbst wenn alle anderen in der Umgebung von Unruhe erfüllt sind. Die Last auf den Schultern, der entscheidende Funke zwischen Leben und Tod eines Rudelmitgliedes sein zu können, wiegt schwer und ist sicherlich nicht von jedem zu verdauen. Verantwortung. Absurd, dass ich gerade bereit bin, diese Verantwortung zu tragen.
Mir ist das alles noch heute sehr gut bewusst und doch habe ich bis heute diesen Weg nicht verlassen. Ich bin mir sicher, dass die Geister dafür gesorgt haben, dass ich zu Solveig und meiner Lehre gefunden habe…. genauso, wie die Dame mich letztendlich auch nach Gerimor, nach Wulfgard, zu meinem neuen Rudel brachte.
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Zuletzt bearbeitet von Ysra Hinrah am 05 Jun 2023 11:46, insgesamt einmal bearbeitet
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Ysra Hinrah





 Beitrag Verfasst am: 16 Sep 2023 11:41    Titel:
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° Heimreise °

Das Wüten von Tjaruk und der Tod des Medizinweybes

Zeit war ins Land geflossen wie ein steter, niemals endender Strom an Wasser und auch für das kleine Pummelchen Ysra hatte sich einiges geändert. Jene, zu der sie am meisten Verbindung gespürt hatte, waren abgereist und auch sie vernahm einen Ruf aus ihrer alten Heimat. Als würde sie etwas wieder dort hin ziehen, ihr behagten Veränderungen nicht. Sie mochte einen gleichbleibenden Fluss, die Wärme eines Zuhause und die Behaglichkeit von dem ihr Bekannten.

Schweren Herzens packte sie alles zusammen, was sie für die Reise brauchen würde und überließ den Rest, wie es eben so war, dem Rudel. Sie hinterließ kein Brett, keine große Ankündigung oder irgendetwas, es war immerhin lange um sie still gewesen und ihre Abwesenheit würde vermutlich kaum auffallen. Lediglich Elof teilte sie mit, sie würde zurück in die Heimat kehren, zum alten Rudel.

Noch am selbigen Abend bestieg sie ein kleines Boot und machte sich auf den Weg zu den Vulkaninseln, auf denen sie geboren wurde, tief in den Sturmtiefen Meeres. Das Wetter stand auf ihrer Seite, zwar wurde das Meer immer wieder nervös und unruhig, als hätten die Geister einen Streit miteinander, doch überkamen sie nicht das Boot auf dem die das Medizinweyb reiste. Sie hatte genügend Proviant eingepackt um die Reise zurück in die Heimat gut zu überstehen und schließlich erkannte sie am Horizont den vertrauten Anblick von grauen, fahlgrünen Inseln, wovon eine sich einem Berg gleich in den Himmel hinaufbaute. Tjaruk, der Feuergeist, so erzählte man sich in den alten Geschichten ihres Geburtsrudels. Ein ziemlich übel gelaunter Geist, der immer wieder seinen Zorn von Form von glühender Lava über die Insel ergoss.

Medizinweyber waren hier wichtig und irgendetwas hatte sie zurück hier her gerufen. Das Wiedersehen mit ihrem alten Rudel war voller Wärme und Herzlichkeit, wenn auch behaftet mit dem typisch grummelig, rauen Ton der auf Tjaruks Inselgruppen herrschte. Das Leben hier war weitaus weniger sanft, milde und freundlich, wie sie es in Wulfgard kennengelernt hatte. Es hatte kleinere Beben und Ausbrüche der Geister gegeben und so fehlten einige Gesichter aus alter Zeit, aber das hatte sie erwartet. Die Geister nahmen sich jedes Jahr in ihren Unruhen jene die zu unvorsichtig... oder zu mutig waren.

Ysra spürte eine gewisse Nervosität im Rudel und auch die Insel zitterte öfters, als sie in Erinnerung gehabt hatte. Vielleicht war das aber auch nur Einbildung, geboren aus der Ruhe, die sie in den Monden in Wulfgard kennengelernt hatte. Für den Augenblick jedoch, war die Freude über ihre Rückkehr im Vordergrund und alles andere war erst einmal nicht wichtig.

Wenige Wochennläufe nach ihrer Ankunft auf Tjaruk verschlimmerte sich das Zetern und Grollen von Tjaruk jedoch, der seinen dunklen, grauen Qualm in den hellen Himmel hinaufstieß. Das Medizinweyb wusste nicht so richtig, warum es gerade nun so war, hatte das Rudel etwas getan um den Feuergeist so sehr zu verärgern? Die gleiche Frage stellte sich wohl auch das Rudel, aber einer konkrete Antwort fand keiner. Ebenso wenig wie es eine korrekte Antwort auf diese Frage gab, so gab es auch keine Rettung, als der Berg erneut unter Grollen und Fauchen seinen Zorn über die Inseln ergoss und jene unter der Last und Unruhe erzittern.

Aus der Ferne wäre es sicherlich ein unfassbares Spektakel gewesen, wie die glühenden Funken in den Nachthimmel flogen und sternschnuppengleich Feuersteine über die Inseln flogen. Wie sich glühende Adern in der Nacht über dunklen Stein ergossen und hell die Dunkelheit erleuchteten. Für die Bewohner von Tjaruk war es allerdings alles andere als „schön“ anzusehen. Die Nacht war erfüllt von geschrienen Anweisungen und dem Geräusch von flüchtenden Stiefelpaaren, als die Lava das Dorf erreichte und flammende Steinbrocken in Hüttendächer einbrachen.

Ysra, das Medizinweyb, hatte weniger Glück als manch anderer, denn die Füße des Pummelchens hatten sie einfach nicht schnell genug getragen, als das sie dem Zorn der Geister entkommen konnte. Es war ein schneller Tod, begraben von glühenden Lavamassen unterm vom Feuer erhellten Sternenzelt.
Als Tarjuk sich wieder beruhigte lag eine dicke Aschedecke über die Inseln und die wenigen, die es überlebt hatten, waren die einzigen Zeugen vom Tod des Medizinweybes. Die Asche rieselte wie Tränen vom Himmel, über die wenigen Verbliebenen... Ysra war kein Teil mehr davon..


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