zerrissene Gedanken

[Inara Schwarzmourne]

Mit einem tiefen Seufzer schloss sie die Türe hinter sich. Was um alles in der Welt hatte sie da eigentlich gerade getan? War ihr überhaupt noch zu helfen? Anscheinend war sie wohl doch dem Wahnsinn schon näher, als sie dachte.

Sie hatte Alex gebeten zu gehen, obwohl er anbot, auch über Nacht zu bleiben. Aber es war ihr zu früh… sie hatten sich ja gerade erst einander zugewandt. Aber war das wirklich der Grund? Sie schüttelte den Kopf. Nein. Nein, sie wusste, warum sie es getan hatte. Es war nicht die kaum miteinander verbrachte Zeit, es war wegen ihm… wegen Rafael.



Seit zwei Tagen schon konnte sie seinetwegen keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie benahm sich wie ein närrisches Mädchen, aufgekratzt und übermütig und alles nur wegen ihm. Aber war es nicht einfach nur töricht, zu glauben, er würde sich vielleicht wirklich für sie interessieren? Sie war schließlich nur eine einfache Bäuerin, keine Gräfin. Und selbst, wenn es so wäre, wenn sie es sich nicht nur einbildete und er genauso empfand wie sie… es war einfach nicht möglich. Grafen heiraten nur Gräfinnen und sie würde niemals eine sein. Gräfin war man von Geburt an, nicht weil man es beschloss. Gräfin vom Felde war sie vielleicht gerade mal noch. Ein bitteres lächeln verzerrte ihr Gesicht. War das Leben nicht ungerecht?



Es war noch früh am Morgen gewesen, die Sonne noch nicht mal aufgegangen, als sie bereits auf dem Feld nach dem rechten sah. Sie wollte nur sehen, ob das Schädlingsmittel, welches sie abends aufgetragen hatte, auch wirkte, als ein Mann eilig zu ihrem Anwesen lief. Sie hatte noch nie so früh einen Kunden auf den Beinen gesehen, doch er wollte offenbar ein Pferd. So ging sie mit ihm zu den Anbindepfosten, doch konnte sie ihm nicht die Art Mustang bieten, die er wollte. Trotzdem kam sie ins Gespräch mit diesem durchaus gut aussehenden Mann. Er war wohl ein wenig älter als sie und seine blonden Haare akurat geschnitten. Seine Kleidung verriet einen guten Geschmack und so wie er stand, war er eine imposante Erscheinung. Sein markantes Gesicht zierte ein freundliches lächeln. Überraschenderweise schien er ein Freund von Malachai zu sein. Merkwürdig, dass er nie von ihm gesprochen hatte, oder man sich in all den Jahren über den Weg gelaufen war. Dann stutzte sie jedoch, als er sich vorstellte. Rafael von Arganta, Graf und Kronritter! Natürlich hatte sie schon von ihm gehört, aber SO hätte sie ihn sich nie vorgestellt. Er war so gar nicht hoch gestochen, herablassend oder so unhöflich wie manch anderen Ritter, den sie hatte kennen lernen dürfen. Nein, er schien warmherzig, freundlich, er konnte sicher sehr liebevoll sein und seine Augen waren wie geschaffen, darin zu versinken.
Im Laufe des Gesprächs hatte sie immer mehr und mehr das Gefühl, als würde sie ihn schon seit Ewigkeiten kennen. Sie hatten so viel gemeinsam! Seine erste Frau war tot, ebenso ihr erster Mann. Seine zweite Frau hatte ihn verlassen, ebenso ihr Mann. Er lebte mit seiner Tochter allein, ebenso sie mit Marick. Fast war es, als würde sie in einen Spiegel sehen!? Aber konnte das sein? Man könnte sie sicherlich wegen Hochverrates oder Anmaßung verhaften, aber jede Faser ihrer Selbst brannte förmlich. Sie wollte ihn in den Arm nehmen, ihn trösten, ihm sagen, es werde alles gut, denn nun hatten sie sich ja gefunden und sie wollte ihn küssen, seine Hand nehmen und sie nie wieder los lassen. Sie hatte nie wirklich an die Götter geglaubt, aber nun hatte sie das Gefühl, sie hätten ihr den Mann geschickt, der schon immer für sie bestimmt gewesen war. Es war fast so, als hätte sie der Blitz getroffen und nun konnte man die Spannung in der Luft förmlich spüren.
So verging die Zeit wie im Fluge. Sie lachten, sie scherzten, warfen sich verstohlene Blicke zu. Ja, sie war sich sicher, er hatte es genauso gespürt, ihm erging es nicht anders. Trotzdem wussten beide, was drohend über ihnen schwebte.. es durfte nicht sein! Sie war nicht von Stand!

Mit einem herzhaften Fluch trat sie gegen die massive Eichenholztruhe in der sie eben noch ihre Samen verstaut hatte. Warum konnte sie nicht EINMAL wenigstens NUR glücklich sein?
Aber sie sollte auch nicht ungerecht sein. Sie hatte ja immerhin Alex. Er war so ... sooo.. *sie seufzte und ein lächeln stahl sich auf ihr Gesicht*
Er konnte sie auf eine Art faszinieren, wie es sonst keiner tat. Er war stets verständnisvoll, ehrlich, lies ihr die Zeit die sie brauchte. Und ihn umgab so eine Aura von Aufrichtigkeit und Unschuld.. dem konnte sie nicht wiederstehen. Ihr ganzes Leben hatte sie mit Gewalt, oder der Angst davor gelebt. Aber er strahlte so eine Ruhe aus und trotz seiner Unerfahrenheit wirkte er stark. Vielleicht lag es ja an seiner Gabe. Doch sie hatte keinen Zweifel, dass er sie immer beschützen würde, sie halten würde und sie unterstützte. Und sehnte sie sich nicht auch nach seinen Berührungen, seinem Lächeln?
Hoffentlich verstand er sich mit Marick. Sollte er nicht mit ihm zurecht kommen, so wäre eh alles sinnlos. Aber sie wollte nicht an das schlimmste denken. Am liebsten wollte sie gar nichts denken, denn sonst kreisten ihre Gedanken doch, trotz allem, immer nur um einen...