Es reicht ...

[Lynn MacCullon]

Es war einfach nicht auszuhalten. Dieses ewige 'Lynn hier, Lynn da, mach dies mach das'. Und seitdem William fortgezogen war, ists nur noch schlimmer geworden.

"Lynn !" gellte der Ruf abermals über den elterlichen Hof. Sie lies den Kopf zwischen den Ginsengwurzeln auf den Tisch sinken.
Was immer es war, es gehörte nicht zu dem Leben wie sie es sich vorstellte. "Wie sollte sie so einen klaren Gedanken fassen ? Was machte sie eigentlich hier ?"

Es schien Lynn als wenn sie den Hof allein versorgte. Natürlich stimmte das nicht, aber im Kopf der 14 jährigen rückte sich somanches an Plätzen zurecht, die nur für die junge Angurerin selbst Sinn machten.

"Ich bin einfach nicht da ..." dachte sie. "LYNN !" Recht erbost klang die Stimme mitlerweile. War sie denn so wichtig, dass man lieber Stundenlang nach ihr suchte und rumschrie, als wie den Kram in fünf Minuten selbst zu machen ? "Reine Schikane."

Sie würde nicht antworten. Sie hatte es grade jetzt beschlossen. Lynn rutschte den Schemel nach hinten, legte die Hände auf den Tisch und das Kinn darauf. Ihren Blick auf den Holzverhau der nächsten Wand gerichtet.
Sie hatte sich hierher zurückgezogen, mit ihrem 'Kreuterzeugs'. Vater hatte nicht viel dafür übrig. Sie solle sich lieber beim Vieh, auf dem Acker oder in der Küche nützlich machen.

Des öfteren hatte sie sich geweigert, des öfteren Ohrfeigen kassiert. "Du bist eine MacCullon, und so lang du den Namen trägst, machst du was ich sage!" kam dann meistens. Ja , ihr Vater war schon recht gescheit, wenn es um Argumente ging.
Lynn rümpfte die Nase bei dem Gedanken, dass es jetzt sicher wieder soweit kommen würde.

"LYYYYNN !!!" Sie sah seinen hochroten Kopf vor sich, und schüttelte sacht den Kopf. Wenn er so mit ihr verfahren würde, wie er grad schrie , dann würde es schlimm werden.

Es würde _immer_ schlimmer werden. Immer mehr verlangen, mit nichts zufrieden sein. "Sie konnte eh machen was sie wollte, war eh alles falsch."

Sie verfiel ins träumen. Das Geschrei schien immer weiter weg. Obwohl es stetig näher kam.

"Und wenn sie William einfach hinterherzog ?" Der Gedanke sprang sie unvermittelt an. "William und seine..., konnte man das Frau nennen ? ,... Frau würden sicher nicht so mit ihr umgehen. Oder ?"
Lynn hatte zu ihrem Bruder immer ein gutes Verhältnis gehabt, auch wenn er etwa 10 Jahre älter sein mochte, oder vieleicht auch grad deswegen.

"HAST DU DIR WAS IN DIE OHREN GESTECKT ?" bellte es direkt neben ihrem Gesicht, und sie fuhr sichtbar zusammen. Der Kopf von Ian MacCullon hatte in der Tat eine ungesunde Gesichtsfarbe und die Rechte schwebte schon hocherhoben über ihr. Sie hatte nicht bemerkt wie er reingekommen war.

"Nein" erwiderte sie seltsam ruhig, "ich hab nur gedacht ich antworte lieber nicht und ihr könnt euren Mist selber machen" fügte sie mit einer Engelsstimme hinzu.

Ihr Vater starrte sie an und man sah, dass er sich fragte ob er träume.

Lynn verlies den alten Schuppen ungeschoren, und lies einen Vater zurück der ihr teils ungläubig nachschaute, teils mit seinem viel zu hohen Puls kämpfte.
Heute Nacht würde sie ihr Bündel schnüren einen Brief für ihre Mutter hinterlassen und dann dem Hof von Ian und Gwyn MacCullon den Rücken kehren.

Es gab nur eine Fähre, und man würde sich dort sicher erinnern wohin William gezogen war.
Das bisher grösste Abenteuer ihres jungen Lebens sollte heut Nacht beginnen und es war der rechte Moment dafür, wie ihr schien.